Killer sind auch nur Mörder: 7 Strand Krimis

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18


Herb Greene schleppte die schwere Reisetasche zu seinem Wagen, verstaute sie im Kofferraum und schloss ihn ab. „Hallo, Herbie“, sagte eine Stimme hinter ihm. Greene schien zu erstarren. Er drehte sich sehr langsam um.

Roberto lächelte. „Da komme ich ja gerade noch rechtzeitig“, sagte er.

„Sie haben sich nicht gemeldet“, meinte Greene. „Nicht gestern Abend, wie Sie es versprochen hatten.“

„Ich war verhindert“, sagte Roberto. „Wir können jetzt miteinander reden.“

„Ich habe Ihnen nichts zu sagen.“

„Schade“, sagte Roberto.

„Darf ich Ihnen einen Rat geben, Briggs? Verschwinden Sie aus der Stadt. Es gibt ein paar Leute, die Ihnen nicht wohlgesonnen sind.“

„Ich weiß“, sagte Roberto. „Mit diesen Leuten haben Sie gesprochen. Mit Wingate, meine ich. Sie haben ihm mitgeteilt, dass ich bei Ihnen war und versucht habe, Sie zum Reden zu bringen. Daraufhin hat er gestern Abend einige seiner Gorillas ausschwärmen lassen, aber die haben in oder vor Ihrer Wohnung vergeblich auf mein Kommen gewartet. Ich tue nie das, womit andere fest rechnen.“

„Wingate weiß jetzt, wie Sie aussehen.“

„Das ist mein Problem. Ihres ist es, mit Wingate fertigzuwerden – unter anderem.“

„Mit Wingate?“, murmelte Greene.

„Aber klar. Seitdem er weiß, dass ich bei Ihnen war, hält er Sie logischerweise für ein Sicherheitsrisiko. So war es mit Maretti. Und genau das sind Sie auch für ihn.“

„Hauen Sie ab, ich habe schon zu viel Zeit mit Ihnen vertrödelt“, knurrte Greene und ballte die Hände.

„Sie wollen sich absetzen. Eine Fahrt ins Blaue, nicht wahr? Ich kann das verstehen. Sie haben das Gefühl, sich zwischen die Stühle gesetzt zu haben. Sie fürchten sich vor Wingate, vor mir, und vor der Polizei. Es wäre klüger gewesen, Sie hätten die Folgen Ihres Verrates vorher bedacht, dann könnte Cindy noch leben.“

Herb Greene riss die Faust hoch und schlug zu. Er hatte seinen Nerven mehr zugemutet, als sie verkraften konnten. Jetzt schwankte er zwischen Reue, Furcht und Aggressivität. Seine Rechte verfehlte ihr Ziel.

Roberto drehte sich ab. Dann konterte er. Der Schlag war hart und genau. Herb Greene stolperte zurück und schaffte es nur mit Mühe, nicht zu fallen. Noch ehe er sein Gleichgewicht stabilisiert hatte, wurde er erneut von Roberto erwischt. Greene spuckte einen Zahn aus, sackte in die Knie und hob zum Zeichen der Kapitulation beide Arme.

Roberto wartete, bis sein Gegner sich erhoben hatte. Greene baute sich breitbeinig vor ihm auf und fuhr sich mit den Fingern durch das dichte, weiße Haar. „Sie haben keine Ahnung, wie ich leide“, nuschelte er und befummelte mit der Zungenspitze die blutende Zahnlücke.

Roberto schwieg.

Er hasste Typen wie Greene. Greene besaß mehr als genug Geld. Trotzdem hatte er Cindys Leben verschachert. Für ihn war das Ganze nur ein Geschäft gewesen.

Greene schien zu spüren, was Roberto bewegte. „Sie sehen das falsch“, sagte er. „Ich habe Cindy geliebt. Ich wollte nicht, dass die Sache so endet ...“

„Sie haben Wingate mitgeteilt, wann und wo er Cindy abservieren kann.“

„Ich habe einem seiner Leute gesagt, dass ich vorhabe, mit Cindy ins Plaza zu gehen – was beweist das schon?“, meinte Greene lahm.

Auf der anderen Straßenseite stoppte ein Wagen. Ein Mädchen stieg aus und schickte sich an, die Straße zu überqueren, aber dann überlegte es es sich anders und stieg wieder ein. Roberto gab sich einen Ruck. Er sprintete los und erreichte den Wagen in dem Augenblick, als das Mädchen anzufahren versuchte. Er riss die Fondtür auf und schwang sich auf den Sitz.

Das Mädchen stoppte. Es blickte über ihre Schulter und fragte erregt: „Haben Sie den Verstand verloren? Sie hätten sich den Hals brechen können!“

„Wir leben alle gefährlich, Miss Dorsey“, stellte Roberto fest. „Das gilt auch für Sie.“

„Sie sind Briggs, nicht wahr?“ Roberto stieg aus, ging um den Wagen herum und nahm neben Linda Dorsey auf dem Beifahrersitz Platz. „Sie wollten Herb besuchen“, stellte er fest. „Als Sie ihn in meiner Begleitung sahen, zogen Sie es vor, die Kurve zu kratzen. Warum?“

„Ich muss ihn allein sprechen.“

„Wissen Sie nicht, was von ihm zu halten ist?“, fragte Roberto.

„Er hat Cindy auf dem Gewissen.“

„Seit wann wissen Sie es?“

„Ich weiß es nicht, aber ich muss es vermuten“, erklärte das Mädchen. „Haben Sie eine Zigarette?“

„Bedaure, Nichtraucher. Damit kann ich Ihnen dienen.“ Er streckte ihr ein angerissenes Kaugummipäckchen entgegen.

„Ich hasse das Zeug“, meinte Linda. Sie trug ein zimtfarbiges Jackenkleid. Um den Hals hatte sie sich einen grünen Schal geschlungen. Eine riesige Sonnenbrille gab ihrem aparten Gesicht einen hochmütigen Zug.

„Wie ich hörte, waren Sie der Polizei gegenüber sehr kooperativ“, grinste Roberto.

„Ich bin noch nicht sicher, ob ich meine Aussagen vor Gericht wiederholen und bestätigen werde“, sagte Linda. „Seien Sie lieb und besorgen Sie mir Zigaretten. Ich warte hier auf Sie.“

„Geht in Ordnung“, sagte Roberto, zog den Zündschlüssel mitsamt dem Ring ab, an dem noch vier andere Schlüssel hingen, stieg aus und kümmerte sich um Lindas Wunsch. Als er wieder einstieg und Linda die Zigaretten überreichte, sagte sie bitter: „Sie trauen mir nicht über den Weg, was?“

„Das darf Sie nicht überraschen.“

„Sie haben recht“, meinte Linda und zündete sich eine Zigarette an. „Ich habe wie eine Närrin gehandelt. Jetzt sitze ich in der Tinte und darf mich nicht wundern, wenn ich darin ersaufe.“

„So schlimm wird’s ja wohl nicht sein.“

„Ich habe ausgepackt. Die Polizei weiß alles über Archie, was ich wusste – und das ist eine ganze Menge. Damit ist Archie aber nicht am Ende. Er hat gute Anwälte. Er wird alles bestreiten und bis zum Gerichtstermin mehr als genug Zeit finden, meine Zunge zu vereisen. Sie wissen, wie ich das meine.“

„Sie können sich unter Polizeischutz begeben“, schlug Roberto vor.

„Ich kenne ein paar Leute, die dabei gestorben sind – aber nicht im Bett“, erklärte Linda grimmig.

„Verlassen Sie die Stadt.“

„Ohne Geld? Ich bin blank.“

„Warum wenden Sie sich nicht an Kemal Maffet? Er wird Ihnen helfen.“

Lindas Kopf zuckte herum. Sie starrte Roberto in die Augen. „Sie kennen ihn?“

„Nein. Aber ich weiß, was gespielt wurde. Sie verdanken es mir, dass Black nicht zum Zuge kam und dass in letzter Sekunde die Polizei einschreiten konnte.“

„Wer sind Sie?“

„Kein Freund Wingates“, sagte Roberto.

„Das ist mir inzwischen aufgegangen. Ihm aber auch“, sagte Linda bitter.

„Was wollten Sie von Greene?“

„Er ist ein Miesling“, sagte Linda mit einiger Überwindung. „Er ist noch korrupter, als ich es war. Ich möchte versuchen, ihn auf meine Seite zu ziehen. Wenn ich nicht allein gegen Wingate aussage, habe ich mehr Mut. Dann fühle ich mich sicherer. Ich muss noch ein paar Leute finden, die bereit sind, sich gegen Archie zu stellen. So eine Art von Notgemeinschaft, wissen Sie. Herbie ist gefährdet, ich bin es auch. Er muss das einsehen! Wir haben nur die Chance, zu überleben, wenn es uns gelingt, Archie zu stoppen.“

„Sehr vernünftig“, sagte Roberto.

„Das ist die eine Seite“, meinte Linda. „Es gibt noch eine andere. Im Grunde meines Herzens erkenne ich, wie sinnlos das alles ist. Ich bin keine Einzelkämpferin. Meine Lage würde sich auch nicht verbessern, wenn ich Greene als Mitstreiter gewinne. Bis zum Prozess werden Monate vergehen. Selbst wenn man Wingate verknacken und bis ans Ende seiner Tage hinter Gitter stecken sollte, ist mein Leben keinen Pfifferling mehr wert. Archie hat Beziehungen. Er ist rachsüchtig. Er würde es selbst aus dem Gefängnis heraus schaffen, mir eins überzubraten. Verdammt, er ist ein Mafiamann, und die kennen kein Pardon.“,

„Er ist kein Mafiamann“, sagte Roberto. „Das ist mir inzwischen aufgegangen. Er hat es lediglich verstanden, von dem aufgeklebten Mafia-Image zu profitieren.“

„Glauben Sie, es würde mir helfen, wenn ich mit Kemal spräche? Er hat inzwischen von der Polizei erfahren, weshalb ich das Hotelzimmer neben seiner Suite bezog, was ich in Wahrheit von ihm wollte und wer der Motor unserer Bekanntschaft war. Kemal wäre ein Dummkopf, wenn er mir verzeihen würde“, sagte Linda.

„Lassen Sie es darauf ankommen. Legen Sie die Karten offen auf den Tisch, beschönigen Sie nichts und bitten Sie ihn um Verzeihung“, riet Roberto.

„Das werde ich tun“, sagte Linda und entspannte sich. „Ich bin froh, dass ich Sie getroffen habe. Ich kann plötzlich freier atmen. Geben Sie gut auf sich acht, Mr. Briggs – oder wie immer Sie auch heißen mögen.“

„Danke“, sagte Roberto und stieg aus.

 



19


Raymond Aldrich griff nach dem Hörer, als das Telefon klingelte. „Ja?“, fragte er. Seine Stimme klang müde. Das war schon der siebte Anruf an diesem Morgen. Keiner der vorangegangenen hatte die erwartete Aufforderung seiner Erpresser enthalten.

„Ist alles bereit?“, fragte die Stimme eines Mannes, der seinen Namen nicht preisgab.

„Ja“, erwiderte Raymond Aldrich knapp.

„Verlassen Sie mit dem Geld das Haus. Wenden Sie sich nach links, biegen Sie in die erste Querstraße ein und steigen Sie in den gelben Lincoln mit dem schwarzen Vinyldach, der vor dem Haus 81 parkt. Verstanden?“

„Verstanden“, sagte Aldrich.

„Wiederholen Sie meine Worte.“ Aldrich gehorchte.

„Ihnen ist klar, was passiert, falls Sie die Polizei oder andere Helfer eingeschaltet haben sollten?“

„Ich mache mir darüber keine Illusionen.“

„Sie versprechen, allein zu kommen?“

„Ich verspreche es.“

„Okay, setzen Sie sich mit den Bucks in Bewegung. In dem Lincoln liegt auf dem Beifahrersitz ein Funksprechgerät. Sie erhalten über das Gerät unsere exakten Kursanweisungen. Roger.“

Es klickte in der Leitung.

Raymond Aldrich legte den Hörer auf, griff nach dem schwarzen Koffer, der an der Tür stand, und verließ damit das Zimmer. Der Butler stand in der Halle. Er hatte einen Kopfverband. „Soll ich mitkommen, Sir?“, fragte er besorgt.

Aldrich schüttelte den Kopf, stellte den Koffer ab und ließ sich von seinem Butler in den Mantel helfen.

Dann hob er den Koffer wieder auf und stieg damit wenig später in den gelben Lincoln.

Er legte den Koffer in den Fond, griff nach dem Funksprechgerät, einem handelsüblichen Walkie-Talkie, drückte die Sprechtaste und fragte: „Hören Sie mich?“

Er schaltete auf Empfang. „Ja, Aldrich. Fahren Sie erst mal über den Skyway bis zum City College. Dort erhalten Sie weitere Anweisungen.“

Die nächste Stunde verging damit, dass man Aldrich kreuz und quer durch die Stadt jagte. Es war offenkundig, dass die Leute, die ihn dirigierten, in seiner Nähe blieben, aber trotz seiner Blicke in den Rückspiegel gelang es ihm nicht, ein Verfolgerfahrzeug auszumachen. Aldrich befolgte geduldig jede Anweisung und merkte, wie er dabei schläfrig wurde, frei von Angst und Anspannung, als würde ihm mit der scheinbar sinnlosen, zeitfressenden Umherfahrerei eine Droge verabreicht.

Schließlich landete er in Riverdale, Tracy Street. Der Sprecher lenkte ihn auf das Gelände einer stillgelegten Autoreparaturwerkstatt. Zwischen den lang gestreckten Wellblechschuppen rosteten Wrackteile und ausgeschlachtete Wagen vor sich hin.

„Schuppen 2, das ist der in der Mitte“, informierte ihn der Sprecher. „Steigen Sie aus, nehmen Sie das Geld mit.“

Aldrich kletterte ins Freie. Ein leichter Nieselregen hatte eingesetzt. Hinter den Schuppen waren die Rückfassaden der Häuser zu sehen, die zur parallel verlaufenden Stewart Street gehörten. Schiefe Dächer mit windschiefen Fernsehantennen, ein paar wie angeklebt wirkende Balkone, und das übliche Strukturwerk rostiger Feuertreppen. Eine triste Gegend. Aus einer Fensterhöhle starrte ein alter Mann zu ihm hin.

Aldrich schleppte den Koffer in den Schuppen. Unterwegs fiel ihm ein, dass er vergessen hatte, das Sprechfunkgerät mitzunehmen. Er öffnete eine kleine Tür, die in das Schiebetor des hangarartigen Gebäudes eingelassen war. Zögernd schob er sich über die hohe Schwelle.

Das Innere der ehemaligen Reparaturhalle bot ein Bild trister Unordnung. In dem Betonboden waren die Öffnungen zurückgeblieben, in denen einmal Hebebühnen und Werkbänke verankert gewesen waren. Entlang der Wand gähnten zwei Montagegruben. Der ölverschmierte Boden war mit Glassplittern übersät. Die Fenster und Oberlichter waren längst den Steinwurftechniken spielender Kinder und Jugendlicher zum Opfer gefallen. Zwischen den Splittern lagen leere Flaschen und Ölkanister, Blechdosen und Putzlappen herum. Im hinteren Teil der Halle befand sich ein großer Glaskasten, der einmal als Büro gedient hatte.

Raymond Aldrich setzte den Koffer in der Mitte der Halle ab, blickte sich um, verschränkte die Arme vor der Brust und wartete.

Nachdem er vergeblich volle fünf Minuten in dieser Haltung verbracht hatte, hob er den Koffer auf, kehrte zurück zu dem Lincoln, griff sich das Sprechgerät und erkundigte sich, was los sei.

Der Teilnehmer antwortete nicht.

Aldrich schüttelte das Gerät und fragte sich, ob es defekt sei. „Hallo?“, rief er. „Antworten Sie!“

Der Lautsprecher blieb stumm.

Aldrich warf das Gerät zurück in den Wagen. Er hatte für das Ganze nur eine Erklärung. Der Sprecher war mit den anderen nach hier unterwegs, um den Koffer mit dem Geld übernehmen zu können. Aldrich trug den Samsonite-Koffer zurück in die Halle, setzte sich darauf und zündete sich eine Zigarette an.

Er dachte an eine Menge Dinge, aber merkwürdigerweise weder an Wingate noch an das, was ihn in diese Lage gebracht hatte. Alles schien jetzt unwirklich und lud zum Träumen ein. Er war stolz darauf, dass er dazu imstande war.

Er hörte Schritte.

Die kleine Tür öffnete sich. Ein Mann stieg gebückt durch die schmale Öffnung.

Aldrich kannte ihn. Er kannte auch den zweiten Mann, der hinter dem ersten auftauchte und die Halle betrat.

Morani und Cramer.

Morani, der Barmixer aus dem 'Top Five', hielt einen Revolver in der Hand.

Cramer war unbewaffnet, aber das schloss nicht aus, dass sich unter seinem Sportsakko eine Pistole oder ein Revolver verbarg.

„Wie schön, sich wiederzusehen“, sagte Cramer. Seine Stimme klang höhnisch. Er versuchte, wie ein Mann aufzutreten, der es gewohnt war, jede Situation souverän zu beherrschen. Aber hinter dieser brüchigen Tünche lauerten Angst und Spannung, das Wissen eines Mannes um die Gefahren, in die er sich begeben hatte.

Raymond Aldrich stand schweigend auf.

„Öffnen!“, befahl Cramer.

Morani war an der Tür stehen geblieben. Er blickte nach draußen und hatte offensichtlich den Auftrag, das Gelände abzusichern und bei der ersten verdächtigen Bewegung Alarm zu schlagen.

Raymond Aldrich legte den Koffer um, ließ die Schlösser aufschnappen und hob den Deckel an. In Cramers Augen entzündete sich ein begehrliches Glitzern. „Was für ein Anblick. Daran kann man sich gewöhnen.“

„Wollen Sie nachzählen?“, fragte Aldrich.

Cramer lachte kurz. „Nicht doch, Rich Boy. Wenn es nicht stimmen sollte, lassen wir es dich wissen, dann kommt eine kleine Nachforderung.“ Er wartete Aldrichs Antwort nicht ab, er schien auch keine erwartet zu haben, sondern wandte den Kopf und fragte zu Morani gewandt: „Alles okay?“

„Ja“, sagte Morani.

„Schließen Sie den Koffer“, befahl Cramer.

Aldrich gehorchte und richtete sich auf.

„Sie bleiben zehn Minuten hier, dann können Sie verduften“, sagte Cramer und griff mit der Linken nach dem Koffer.

„Kriege ich keine Quittung?“, fragte Aldrich.

Cramer sah verdutzt aus, dann kreischte er vor Vergnügen. „Hast du das gehört, Al? Er will ’ne Quittung!“ Er schaute Aldrich an. „Sie haben Luft im Rohr, Mann“, sagte er. „Für so was gibt’s doch keine Quittung!“

„Ich brauche sie nicht für’s Finanzamt“, sagte Aldrich, „aber wer garantiert mir, dass Sie das Geld bei Wingate abliefern und nicht damit verschwinden?“

„Das“, höhnte Cramer, „ist das kleine Risiko, mit dem Sie leben müssen.“

Er ging zur Tür. Aldrich blieb mitten im Raum stehen. Er blickte dem entschwindenden Geldkoffer hinterher und war erstaunt darüber, dass er keine Regung von Bedauern oder Ärger empfand.

Sein Gefühl sagte ihm, dass die Empfänger des Geldes schweren Zeiten entgegengingen, vielleicht sogar ihrem Untergang.

„Good bye, Rich Boy“, sagte Cramer, als er die Tür erreicht hatte. „Bis zum nächsten Mal!“




20


Die Tür knallte ins Schloss.

Dem Knall folgte ein zweiter, dann ein dritter, vierter und fünfter.

Die Schüsse kamen von draußen, zwei davon rissen das Wellblech der Halle auf.

Raymond Aldrich warf sich zu Boden und winkelte schützend die Ellenbogen um seinen Kopf. Er hatte das Gefühl, dass auf ihn geschossen wurde. Dann begriff er, dass das eine Täuschung war.

Raymond Aldrich konnte nicht sehen, was der alte Mann beobachtete, der immer noch an seinem Fenster saß und mit weit aufgerissenen Augen das Geschehen auf dem ehemaligen Werkstattgelände verfolgte.

In den Autowracks rings um die Halle hatten sich mehrere Männer verschanzt.

Sie schossen auf Morani und Cramer.

Cramer stolperte, er stürzte zu Boden. Dabei öffnete sich der Koffer, und ein Teil seines Inhaltes fiel heraus. Cramer riss seinen Smith & Wesson aus dem Schulterholster und schoss blindlings in das Gewirr aus Blech und Stahl, in dem die Schützen saßen.

Er erhielt einen Schlag gegen die Brust und spürte, wie sein Bewusstsein ins Trudeln geriet. Er schoss noch einmal, dann kippte er vornüber, eingerahmt von den Dollarnoten, die aus dem Koffer gefallen waren.

Morani kniete auf dem Boden. Er schoss auf die Stelle, wo er einen Mündungsblitz aufleuchten sah. Ein wildes Triumphgefühl weitete seine Brust, als er sah, wie ein Mann aus dem Wagenwrack kippte.

Das Triumphgefühl zerfaserte, als sein Denken und seine Reaktionsfähigkeit von einem Projektil außer Gefecht gesetzt wurden.

Er ließ die Waffe fallen und wurde, noch ehe er vorwärts auf sein Gesicht fiel, von einem weiteren Schuss getroffen. Er starb im gleichen Augenblick wie Bert Cramer.




21


„Warum haben Sie das getan?“, fragte Roberto wütend. „Es war gegen die Abmachungen!“

„Ich hatte plötzlich die Nase voll, ich wollte meine Ruhe haben“, entschuldigte sich Raymond Aldrich.

 

Die Männer saßen sich in Aldrichs Arbeitszimmer gegenüber. Aldrich rauchte ununterbrochen. Er sah aus, als litte er unter einer heraufziehen den Grippe, seine Augenränder waren entzündet.

„Sie waren aus dem Schneider!“, meinte Roberto kopfschüttelnd. „Lindas Geständnis macht es Wingate unmöglich, seine Intrige weiterzuspinnen. Er kann Ihnen nicht Cindys Ermordung anhängen. Die Polizei weiß, wer es getan hat.“

„Sie haben sie verständigt?“

„Nein, das hat mein Vorgesetzter getan. Er hat in meinem Auftrag dafür gesorgt, dass Linda nicht Cindys Schicksal erlitt, er hat Black verhaften und Marettis Leiche sicherstellen lassen.“

„Wer hat auf Cramer und Morani geschossen?“, wollte Aldrich wissen. Er hüstelte.

„Dreimal dürfen Sie raten“, sagte Roberto.

„Ich habe eine kleine Theorie entwickelt“, meinte Raymond Aldrich. „Cramer und Morani wollten vermutlich ihren Boss aufs Kreuz legen und hatten vor, sich mit dem Geld abzusetzen. Diesem Treiben hat Wingate auf seine Weise ein Ende gesetzt.“

„Falsch“, sagte Roberto. „Alles deutet darauf hin, dass Gonella seine Hände im Spiel hat.“

„Don Bruno?“

„Genau. Die Mafia wollte ein Zeichen setzen. Sie ist entschlossen, Archies Extratouren zu stoppen und ihm nicht länger die Möglichkeit zu bieten, als Dollar-Hai von Calumet City zu glänzen.“

„Was ist mit meinem Geld?“

„Holen Sie es sich von Gonella wieder!“

„Sie machen Witze. Wie stellen Sie sich das vor?“, fragte Aldrich.

„Hätten Sie mich von Ihrer Abmachung mit Wingate in Kenntnis gesetzt und nicht auf eigene Faust gehandelt, wären die Bucks noch in Ihrem Besitz“, sagte Roberto und fügte lustlos lächelnd hinzu: „Betrachten Sie das Ganze als Lehrstück und den Geldverlust als Lehrgeld.“

„Wollen Sie mich auf den Arm nehmen?“

„Wir hatten vor, Wingates Leute bei der Geldübergabe zu schnappen“, erinnerte Roberto den Millionär an die getroffene Absprache. „Wir hätten damit mehrere Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Stattdessen haben Sie sich von Wingate ins Bockshorn jagen lassen und ...“

Aldrich fiel dem Sprecher ins Wort. „Verdammt, ich weiß jetzt, dass es ein Fehler war“, sagte er. Seine Augen wurden wässrig. Er nieste und fuhr sich mit dem Handrücken über die Nase. „Ich kann ihn nicht rückgängig machen. Wie denn, zum Teufel? Warten Sie, mir fällt etwas ein, das wäre ein Weg! Ich hole mir das Geld von Archie Wingate wieder. Seine Leute haben es von mir bekommen, wie abgesprochen, also muss er für den Betrag geradestehen!“

Roberto schwieg.

Raymond Aldrich verzog das Gesicht. „Klingt nicht sehr überzeugend, was?“, fragte er mit einem unerwarteten Anflug von Humor.

„So ist es“, sagte Roberto.

„Ich habe einen der Schützen erkannt“, erklärte Aldrich plötzlich.

„Warum sagen Sie mir das erst jetzt?“

„Weil ich die Nase voll habe. Ich möchte meine Schwierigkeiten nicht vergrößern.“

„Wer ist es?“

„Ich habe ihn einige Male im Klub gesehen und weiß, dass sie ihn 'King Bull' nennen. Ein Spieler.“

„Ich denke, Sie haben von der Knallerei nichts mitbekommen, weil Sie in dem Schuppen auf dem Boden lagen?“

„Als nicht mehr geschossen wurde, bin ich aufgestanden. Ich schlich zu einem Loch in der Wand und peilte ins Freie. Da sah ich, wie die Gangster einen ihrer verwundeten Kameraden abschleppten. Es war King Bull.“

„Was wissen Sie noch über ihn?“

„Nichts. Ich kann nicht einmal sagen, auf wessen Zahlliste er steht.“ Roberto verabschiedete sich und ging. Er fuhr zu seinem Apartment in der Gunderson Street, hängte sich an die Strippe und wählte Myers Nummer. Diesmal hatte er Glück, der Colonel meldete sich persönlich.

Roberto schilderte, was er von Aldrich erfahren hatte und schloss: „Ich hoffe, unser Königsbulle steht in der Synonymkartei.“

„Das werden wir gleich haben“, meinte Myer. „Bleiben Sie am Apparat, bitte.“

Roberto setzte sich, legte die Beine hoch und wartete. Er hörte den Colonel bei dessen Unterhaltung über ein Zweittelefon. Drei Minuten später meldete Myer sich wieder.

„Charly Yardson, 29 Jahre alt, mehrfach vorbestraft, einer von Don Brunos Topleuten.“

„Ist das nicht wundervoll?“, fragte Roberto.

„Absolute Spitze. Wenn wir ihn durch die Mangel drehen und es schaffen, ihn zum Sprechen zu bringen, legen wir Gonella aufs Kreuz. Dann können wir seinem Schwiegersohn die zweifelhafte Genugtuung verschaffen, dass er nicht allein von den sprudelnden Dollarquellen seines Bezirkes Abschied nehmen musst.“

„Ich habe eine Idee“, sagte Roberto.

„Das wundert mich nicht“, meinte der Colonel. Seine Stimme verriet Respekt, sie klang aber auch amüsiert. „Sie haben fast immer Ideen, Roberto. Dass Sie darüber hinaus die Fähigkeit besitzen, sie in einer für uns äußerst raffinierten Weise zu verwerten, macht Sie für uns unentbehrlich.“

„Mir kommen gleich die Tränen“, sagte Roberto.