Religionsbegründung ohne Erkenntnis Gottes

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Religionsbegründung ohne Erkenntnis Gottes
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Xiaolong Zhou

Religionsbegründung ohne Erkenntnis Gottes

Die metaphysischen Grundlagen der kantischen und schleiermacherschen Religionsphilosophie im Vergleich

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Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades Doktor der Philosophie in der Philosophischen Fakultät der Eberhard Karls Universität Tübingen 2021

DOI: https://doi.org/10.24053/9783772057670

© 2022 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG

Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen

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Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de

ISSN 1432-4709

ISBN 978-3-7720-8767-7 (Print)

ISBN 978-3-7720-0181-9 (ePub)

Inhalt

  Danksagung

 0 Einleitung0.1 Fragestellung0.2 Forschungsstand und Methoden0.3 Ziel und Kapiteleinteilung

  A. Kant: Moral als Zugang zu Gott

 1 Zwei Methoden, die Eigenschaften Gottes zu denken1.1 Die Denkbarkeit Gottes bei Kant1.2 Die transzendentale Methode1.2.1 Gott als das „ens realissimum“1.2.2 Die Prädikate des „entis realissimi“1.3 Die analogische Methode1.3.1 Die Analogie als eine Methode der Erkenntnis1.3.2 Die Intelligenz Gottes durch die Analogie erkennen1.4 Die Ideen Gottes als das Substratum für die Materie und Form der Welt

 2 Der Mangel an Gewissheit der Existenz Gottes2.1 Das „ens realissimum“ ist subjektiv notwendig2.1.1 Eine Rekonstruktion des „entis realissimi“ aus der Perspektive der kritischen Philosophie2.1.2 Der Gottesbeweis im „Beweisgrund“ und das transzendentale Ideal2.1.3 Verschiedene Bedeutungen von Notwendigkeit2.2 Die höchste Intelligenz und der symbolische Anthropomorphismus2.2.1 Die Unterscheidung zwischen „an sich“ und „für uns“2.2.2 Die Als-Ob-Philosophie und die Gewissheit der Existenz Gottes2.2.3 Die Unterscheidung des dogmatischen und symbolischen Anthropomorphismus2.3 Die Ungewissheit der Existenz Gottes: Eine Zusammenfassung

 3 Die Existenz Gottes ist moralisch gesichert3.1 Eine kritische Untersuchung über den Weg von der Moral zum Postulat Gottes3.1.1 Eine Untersuchung über die Notwendigkeit, von der Moral zum höchsten Gut fortzuschreiten3.1.2 Eine Untersuchung über die Notwendigkeit, vom höchsten Gut zum Postulat Gottes fortzuschreiten3.2 Die Gewissheit der Existenz Gottes in der Postulatenlehre3.2.1 Gott als der Richter der Sitten und der Urheber der Natur3.2.2 Die Analogie als eine grundlegende Methode3.2.3 Die subjektiv notwendige Bestimmtheit Gottes3.3 Die Gewissheit der Existenz Gottes bei Kant: Eine Zusammenfassung

  B. Schleiermacher: Gott ist mitgesetzt im Selbstbewusstsein

 4 Die Gottesfrage beim frühen Schleiermacher4.1 Schleiermachers frühe Aneignung und Trennung von Kant4.1.1 Schleiermachers Kritik am kantischen Begriff vom höchsten Gut4.1.2 Die wechselseitige Umgestaltung der spinozianischen und kantischen Philosophien4.2 Die Darstellungen Gottes in R1 (1799) und R2 (1806)4.2.1 Religion als Anschauung und Gefühl des Universums4.2.2 Die Gottesfrage im Anhang der zweiten Rede in R14.2.3 Die verbesserte Darstellung Gottes in R2

 5 Die radikale Unerkennbarkeit Gottes in der Dialektik5.1 Eine kurze Darstellung zum Aufriss der Dialektik5.2 Die Grenzen des Wissens5.2.1 Die Grenzen des Wissens aufgrund einer Theorie des Vermögens5.2.2 Die Grenzen des Wissens ausgehend von den formalen Bestimmungen des Wissens5.2.3 Der Zusammenhang der unterschiedlichen Grenzen5.3 Die Kritik an den vier Formeln für den transzendenten Grund5.3.1 Die Ableitung der vier Formeln aus der Lehre vom Begriff und Urteil5.3.2 Die zweifachen Werte der Formeln5.4 Die radikale Unerkennbarkeit Gottes: ein Vergleich mit Kant

 6 Das unmittelbare Selbstbewusstsein (Gefühl) als Zugang zu Gott6.1 Das Wollen und der transzendente Grund6.2 Das unmittelbare Selbstbewusstsein und das Gefühl6.3 Der transzendente Grund und das unmittelbare Selbstbewusstsein (Gefühl)6.4 Gottesbewusstsein und Gotteswissen in der Glaubenslehre6.4.1 Das Gottesbewusstsein und Gotteswissen in § 9 von CG16.4.2 Das Gottesbewusstsein und Gotteswissen in § 4 von CG26.5 Die Eigenschaften Gottes6.6 Die Erkenntnis Gottes bei Schleiermacher: Eine Zusammenfassung

  C. Die metaphysischen Grundlagen der kantischen und schleiermacherschen Religionsphilosophie im Vergleich

  7 Gott, Vernunft und Welt: Voraussetzung und Schwierigkeit 7.1 Die gemeinsame Voraussetzung: Gott als Ding an sich 7.2 Die Transzendenz und Immanenz Gottes in Hinsicht auf die Welt und die Vernunft 7.3 Die Schwierigkeiten der Gotteslehre Kants und Schleiermachers Lösung 7.4 Die Schwierigkeiten der Gotteslehre Schleiermachers 7.5 Moral-Physikotheologie versus Bewusstseins-Kosmotheologie

  8 Abschluss und Ausblick: Religionsbegründung ohne Erkenntnis Gottes?

 LiteraturverzeichnisQuellen zu Kant und SchleiermacherQuellen zu anderen PhilosophenSekundärliteratur

Danksagung

Das Schreiben dieser Dissertation begann im September 2018 und der erste Entwurf wurde im August 2020 fertiggestellt, als die Covid-19-Epidemie in vollem Gang war. Während dieser schwierigen Zeit in den späten Phasen dieser Arbeit verbrachte ich die überwiegende Mehrzahl meiner Tage zu Hause, um nicht mit einer Maske schreiben zu müssen, und auch wegen der eingeschränkten Öffnungszeiten der Bibliothek, was einerseits die Sammlung von Materialien beeinträchtigte und andererseits den Prozess des Schreibens meiner Doktorarbeit objektiv beschleunigte, weil ich nicht ausgehen konnte. Das Verfassen dieser Dissertation ist meiner Frau Yuting Liu zu verdanken. Ich bedanke mich bei ihr für ihre Toleranz und für ihr Verständnis und dafür, dass sie mein langweiliges Leben mit dem täglichen Lesen und Tippen vor dem Computer ertragen hat. Sie war mir eine große Unterstützung und hat mein Leben reich und nahrhaft gemacht.

Mein Doktorvater, Prof. Dr. Johannes Brachtendorf, war seit dem Tag meiner Ankunft in Deutschland für mich da und hat mir in jeder Hinsicht geholfen. Er ist immer sehr freundlich, sehr geduldig und hat meinen deutschen Ausdruck und das Schreiben meiner Doktorarbeit immer gefördert. Er hat mich immer zu seinen Kursen und zum Kolloquium eingeladen und mich dazu ermutigt Vorträge zu halten. Obwohl ich wusste, dass mein Deutsch gebrochen war, hat er mich nach jedem Vortrag mit seinem „sehr gut“ und seinem Markenzeichen, dem Lächeln, von der Verlegenheit befreit. Es gab sogar Zeiten, in denen er den deutschen Studenten in der Klasse erklärt hat, wie schwierig es ist, einen Vortrag in einer Fremdsprache zu halten. Besonders nachdem wir Sprachpartner wurden, verbesserte sich mein deutscher Ausdruck sprunghaft. Dafür kann ich ihm nicht dankbar genug sein.

 

Außerdem möchte ich mich bei PD Dr. Stefan Gerlach für die Erstellung des Zweitgutachtens zu meiner Dissertation bedanken. Ich muss leider sagen, dass ich seine Vorlesungen noch nie gehört und nur seine Arbeit über Schelling gelesen habe. Ich danke meinem Zweitbetreuer Prof. Dr. Friedrich Hermanni, der zu Beginn dieser Dissertation die ersten Vorschläge gegeben hat und aus dessen Seminaren zur Theodizee, zur Hegelschen Religionsphilosophie und zur Spätphilosophie Schellings ich immer wieder Ideen bekommen und schließlich in meiner Dissertation umgesetzt habe. Ich hoffe, dass seine Gesundheit bald wieder hergestellt ist. Darüber hinaus danke ich Prof. Dr. Friedrike Schick, Prof. Dr. Ulrich Schlösser, Prof. Dr. Klaus Corcilius und Prof. Dr. Volker Leppin dafür, dass sie mir die intellektuellen Ressourcen wie Platon, Aristoteles, Luther, Kant, Hegel und andere Denker zur Verfügung gestellt haben.

Meine Vermieterin, Frau Anne Röhm, war eine wichtige Person für meine Frau und mich in unserem Leben in Deutschland. Sie führte uns zum Bodensee, zum Affenberg Salem, nach Stuttgart usw., so dass wir Deutschland allmählich kennenlernen und uns in Deutschland integrieren konnten, und sie gab uns auch jede mögliche Annehmlichkeit in unserem Leben. Sie hat uns das Leben in Deutschland so einfach wie möglich gemacht und uns unvergessliche Momente geschenkt. Dafür möchte ich mich bei ihr herzlichst bedanken. Sie ist für uns wie eine Mutter in Deutschland, eine kulturelle Mutter.

Außerdem möchte ich mich besonders bei meinem Master-​Berater, Prof. Dr. Wu Fei von der Philosophischen Fakultät der Peking Universität, bedanken. Seine Ermutigung hat mich dazu gebracht diese Dissertation zu schreiben. Ich möchte meinen Freunden danken, insbesondere Yue Shenghao, Zhu Lei, He Teng, Shari Georg, Liu Chang'an, Xu Yifei, Ruan Weicong, A Sihan, Zhong Wei, Fernando Gustavo Wirtz, Lisa Dann und Adrian Razvan Sandru. Sie haben dafür gesorgt, dass ich mich weniger hilflos, weniger einsam und freundlos und weniger unwissend gefühlt habe. Ich hoffe, dass sie alle an einem guten Ort ankommen werden.

Ich bin meinen Eltern dankbar. Sie arbeiten als Bauern und wissen nicht viel von dem, was ich studiert habe. Sie haben sich nie in meine Entscheidungen eingemischt und haben mich immer im Stillen unterstützt. Obwohl sie die meiste Zeit ihres Lebens arm gewesen sind, haben mir ihre harte Arbeit, ihre Einfachheit und ihre Sanftmut den größten Schatz in meinem Leben gegeben.

Aus diesem Grund widme ich ihnen diese Dissertation. Schließlich hoffe ich, dass meine beiden kleinen Nichten glücklich aufwachsen und ich, als der „abstrakte Onkel“, in der Zukunft mehr Zeit mit ihnen verbringen kann.

Meinen Eltern

0 Einleitung
0.1 Fragestellung

In der zweiten Auflage der KrV behauptet Kant in der Vorrede: „Ich mußte also das Wissen aufheben, um zum Glauben Platz zu bekommen.“1 In seinem System der Philosophie wird Gott aus den Gegenständen der Erkenntnis ausgeschlossen, indem Kant alle Erkenntnisse durch die Grenzen der Erfahrung beschränkt. In der transzendentalen Methodenlehre der KrV und auch in der KpV spielt die Gottesidee durch den Vernunftglauben und die Moralreligion wieder eine große Rolle im praktischen philosophischen System Kants. Deswegen ist Gott ein Gegenstand des Glaubens statt der Erkenntnis. Kants Denkweise hatte einen großen Einfluss auf die Philosophie und Theologie späterer Generationen. Im Hinblick auf die Philosophie nennen wir Hegel als Beispiel, dessen Philosophie versucht, dem kantischen Agnostizismus in Bezug auf Gott zu widersprechen und die gewisse Erkenntnis von Gott dialektisch zu erhalten. Theologisch betrachtet folgt Schleiermacher, der „der Kant der Protestantischen Theologie“ ist,2 dem kantischen Agnostizismus zur Gottesfrage. Auf dessen Grundlage verbindet er die Religion mit dem Gefühl. In dieser Arbeit werde ich vor allem die Auswirkung Kants auf Schleiermacher untersuchen und sie gleichzeitig an manchen Stellen auf Hegels System beziehen.

Karl-​Heinz Michel hat in seiner Schrift über die Gotteslehre Kants die Auswirkung der oben genannten kantischen Theorie folgendermaßen beschrieben: „Theologische Aussagen wurden dadurch, nach Kants Auffassung, ausschließlich zur Sache des Glaubens (eines Glaubens, der nur subjektiv für wahr halten, aber eben nichts wissen kann), weil Gott in Natur und Geschichte grundsätzlich unerkennbar bleibt. Diese negative Beantwortung der Frage der Erkennbarkeit Gottes warf ganz besonders für die Dogmatik ein schweres Problem auf. Denn wenn man Kant folgen wollte, dann stand angesichts der welt- und geschichtsgebundenen Gottesaussagen der biblisch-​christlichen Tradition nur noch der Weg eines agnostizistischen Rückzugs offen.“3 Danach nimmt Karl-​Heinz Michel die Glaubenslehre Schleiermachers als Beispiel, um diese Auswirkung zu erklären: Dies sei eine Glaubenslehre, „welche ihre theologischen Aussagen nicht mehr, wie bisher, von einem wahrnehmbaren geschichtlichen Handeln Gottes aus, das dem Glauben vorausgeht und ihn begründet, sondern vom persönlichen, subjektiven Glauben aus entwickelte.“4 Außerdem fügt Karl-​Heinz Michel die wichtigen Theologen nach Schleiermacher (wie W. Hermann, R. Bultmann, G. Ebeling) zu dieser Genealogie hinzu. Karl-​Heinz Michel zufolge hat, allgemein gesagt, die von Kant und Schleiermacher beeinflusste Theologie eine „Umdeutung des Handelns Gottes extra nos in ein nur noch pro me erfaßbares Handeln“ bewirkt.5

Karl-​Heinz Michels Meinung ist typisch bei diesem Thema. Obwohl die scharfsinnige Einsicht Michels sehr lehrreich ist, um die Theologie nach Kant und Schleiermacher zu verstehen, löste seine Auffassung doch einige Missverständnisse aus, die heute in der Forschung zur Religionsphilosophie von Kant und Schleiermacher existieren.

(1) Nach der Formulierung Karl-​Heinz Michels sei für Kant „nur noch der Weg eines agnostizistischen Rückzugs offen“. Allerdings müssen wir fragen: Was ist eigentlich der Agnostizismus in Kants und Schleiermachers Gotteslehre? Bezieht er sich auf Gottes Existenz oder auf seine Eigenschaften? Auf den ersten Blick scheint sich der Agnostizismus sowohl auf Gottes Existenz als auch auf seine Eigenschaften zu beziehen, aber wir werden darauf hinweisen, dass das dezidierte Motiv, welches Kant zum pro me erfassbaren Handeln führt, die Unerkennbarkeit der Existenz Gottes ist. Im Vergleich dazu spielen die Eigenschaften Gottes eine große Rolle in Kants System. Dies ist nicht vereinbar mit einem Agnostizismus. Wir möchten auch zeigen, dass die Existenz Gottes niemals ein Problem für Schleiermacher war. Schleiermachers Agnostizismus bezieht sich auf die Eigenschaften Gottes.

(2) Im oben genannten Bild von den kantischen und schleiermacherschen Religionsphilosophien wäre die Idee Gottes nur eine subjektive Wahrheit in dem Sinne, dass der Gottesbegriff nicht auf die Objektivität (nämlich auf Gott selbst) zu beziehen ist. Dieser subjektive Charakter ist dann besonders betont, wenn man vom Gottesbegriff bzw. Religionsverständnis Schleiermachers redet. Die Kritik von Hegel und Emil Brunner ist typisch für die Deutung von Schleiermachers Religionslehre, sie ist nahezu vorherrschend in deren Erklärung. Zum Beispiel schreibt Hegel in der Vorrede zu Hinrichs’ Religionsphilosophie: „Soll das Gefühl die Grundbestimmung des Wesens des Menschen ausmachen, so ist er dem Tiere gleichgesetzt, denn das Eigene des Tieres ist es, das, was seine Bestimmung ist, in dem Gefühle zu haben und dem Gefühle gemäß zu leben. Gründet sich die Religion im Menschen nur auf ein Gefühl, so hat solches richtig keine weitere Bestimmung, als das Gefühl seiner Abhängigkeit zu sein, und so wäre der Hund der beste Christ, denn er trägt dieses am stärksten in sich und lebt vornehmlich in diesem Gefühle. Auch Erlösungsgefühle hat der Hund, wenn seinem Hunger durch einen Knochen Befriedigung wird. Der Geist hat aber in der Religion vielmehr seine Befreiung und das Gefühl seiner göttlichen Freiheit; nur der freie Geist hat Religion und kann Religion haben; was gebunden wird in der Religion, ist das natürliche Gefühl des Herzens, die besondere Subjektivität; was in ihr frei wird und eben damit wird, ist der Geist“.6 Außerdem gibt es noch andere Forscher, die Kants Religionsphilosophie als eine Art von schleiermacherschem Subjektivismus betrachten.7 Deswegen stelle ich hier die Frage: Wenn Kant und Schleiermacher ihre Religionstheorie auf die Subjektivität gründeten, sind die kantischen und schleiermacherschen Religionsphilosophien dann wirklich rein subjektiv, ohne irgendein Objekt zu treffen?

(3) In Hinsicht auf den Agnostizismus gibt es auch Differenzen zwischen Kant und Schleiermacher. Diese werden bei der Beschreibung Karl-​Heinz Michels nicht deutlich. In der Tat kritisiert Schleiermacher die kantische Theorie in vielfältiger Hinsicht, deswegen ist es irreführend zu behaupten, Schleiermachers religiöse Theorie sei nur eine Variation der kantischen Philosophie. Vielleicht sind die Unterschiede zwischen beiden Philosophen bedeutender als die Übereinstimmungen. Obwohl Kant und Schleiermacher ihre Religionsphilosophie auf die Subjektivität gründen, basiert Kants Theorie von der Gewissheit der Existenz Gottes auf der praktischen Vernunft, die die Spontaneität des Subjekts beinhalte. Im Gegensatz dazu steht Gott bei Schleiermacher in einer ursprünglichen Relation mit dem Subjekt, die sich auf die extreme Rezeptivität des Ichs richtet.

Trotzdem repräsentieren die kantischen und schleiermacherschen Religionsphilosophien ein neues Paradigma und eine Tendenz, um die Religionsphilosophie zu begründen, indem sie die Gewissheit der Existenz Gottes nicht in der Natur und in der Geschichte suchen, sondern nur in der Subjektivität, bzw. in der Beziehung zwischen Gott und dem Ich. Deswegen ist in diesen Religionsphilosophien der Zusammenhang zwischen Gott und Welt, zwischen Gott und Subjekt gänzlich anders als in Hegels Religionsphilosophie, die keine Anstrengungen unterlässt, die Erkenntnis von Gott zu erhalten. Also hat Karl-​Heinz Michels Argumentation ihre Berechtigung.

Zusammenfassend wird deutlich, dass Kant und Schleiermacher einen neuen Trend in der Religionsbegründung gefördert haben, indem sie die Gewissheit der Existenz Gottes in der Beziehung zwischen Gott und dem Subjekt suchten. Allerdings zeigen sich doch viele Unterschiede im Detail, die man nicht vernachlässigen sollte. Unter den Forschern gibt es noch Missverständnisse, die einiger Erklärungen bedürfen.

Folglich behandelt diese Untersuchung die Übereinstimmungen und die Unterschiede beim Thema „Erkenntnis und Gewissheit der Existenz Gottes“ bei Kant und Schleiermacher. In meiner Dissertation werde ich die kantischen und schleiermacherschen Religionsphilosophien aus der Perspektive der Erkenntnis Gottes und der Gewissheit seiner Existenz behandeln. Die Erkenntnis Gottes ist ein wichtiges Problem für Kant und Schleiermacher, ein Agnostizismus gilt jedoch bei Kant nicht für die Eigenschaften Gottes, sondern nur für seine Existenz. „Agnostizismus“ bedeutet nicht, dass Kant und Schleiermacher aufgegeben haben, Gott zu erkennen; es bedeutet auch nicht, dass Gott für Kant und Schleiermacher nur eine menschliche Schöpfung ist. Das grundlegende Motiv der Religionsbegründung durch die Subjektivität liegt (sowohl bei Kant als auch bei Schleiermacher) darin, dass die Gewissheit der Existenz Gottes nur durch die Beziehung zwischen Gott und dem Subjekt garantiert wird.

Mit dem Titel „Religion ohne Erkenntnis Gottes“ (1) möchte ich einige Missverständnisse klären bzw. einigen zu erwartenden Vorwürfen widersprechen. Z. B. werden manche denken, dass Kant einen unerkennbaren Gott behauptet; deswegen seien nach Kant alle die Grenze der Erfahrung überschreitenden Diskussionen über Gott abzulehnen. Allerdings entspricht diese Auffassung den sich überall wiederholenden Diskussionen über Gott in Kants Schriften nicht. Zudem könnte man z. B. kritisieren, dass die Gefühlstheorie Schleiermachers subjektiv sei, jedoch verkennt diese Kritik die Tatsache, dass Gott eine wichtige Rolle in diesem Gefühl (oder im unmittelbaren Selbstbewusstsein, wie Schleiermacher es nennt) spielt. (2) Mit diesem Titel möchte ich auch die Frage stellen, ob es möglich ist, eine Religionstheorie zu begründen, ohne irgendeine Erkenntnis Gottes vorauszusetzen. Kant und Schleiermacher kritisieren dogmatische Behauptungen über Gott in der Vernunfttheologie oder in der natürlichen Theologie. Ich möchte untersuchen, ob sie es wirklich vermieden haben, eine Erkenntnis Gottes vorauszusetzen.