Kommunikationswissenschaft

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Kommunikationswissenschaft
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Wolfgang Sucharowski

Kommunikationswissenschaft

Eine Einführung

A. Francke Verlag Tübingen

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© 2018 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG

Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen

www.francke.de • info@francke.de

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E-Book-Produktion: pagina GmbH, Tübingen

ePub-ISBN 978-3-8233-0081-6

Inhalt

  Vorwort

  Kommunikation und Wissenschaft Interessen an der Kommunikation Das Fach Kommunikationswissenschaft Die Breite des Faches Kommunikationswissenschaft Sich einer Kommunikationswissenschaft annähern Literatur Problemstellung und Fragen

  Kommunikation setzt Kommunizieren voraus – der Alltag der Kommunikation Der Gebrauch des Wortes Kommunikation Kommunikation braucht Umgebungen Kommunikation setzt Ordnung voraus Kommunikation als Wissenschaft – die Anfänge der Theoriebildung Literatur Problemstellung und Fragen

  Information und Nachricht – Zeichen im Kontext Nachricht und Nachrichtenverarbeitung Daten und die Welt der Zeichen: Index, Ikon, Symbol Der Gebrauch der Zeichen Andere Zeichen und Funktionshintergründe Literatur Problemstellung und Fragen

  Handeln und Deuten in kommunikativen Alltagssituationen Handeln und Handlung Kommunikation als Handlung Deutungsunsicherheit Motivation interaktiver Ereignisse – Theorien des Handelns Literatur Problemstellung und Fragen

  Medien: Die Verbreitung kommunikativer Praktiken – in lokalen und globalen Kontexten Medien erfahren Der Medienbegriff Medien im Wandel der Zeit Die Dynamik der aktuellen Medien Literatur Problemstellung und Fragen

  Praktiken des Zusammenlebens und kommunikative Konsequenzen Kommunikative Erwartungen im Alltag Kommunizieren in fremden Umgebungen Miteinander Reden in institutionellen Kontexten Die Mehrschichtigkeit von Mehrwerten Literaturverzeichnis Problemstellung und Fragen

  Modellbildung: Theorien der Zeichenübertragung und Zeichenverarbeitung Übertragung von Signalen Die Rezeption des Transfermodells in anderen Wissenschaftsdisziplinen Die Transfer-Metapher Kommunikation – ganz anders Literatur Problemstellung und Fragen

  Theorien über die Konstruktion des Zusammenwirkens – der Andere und das Ich Symbol und Bedeutung Der Andere und das Ich Die Dynamik der Wechselseitigkeit Interpretation und Kommunikation Literatur Problemstellung und Fragen

  Theoriebildungen über das kommunikative Handeln und der gesellschaftliche Kontext Kommunikation – offene oder geschlossene Systeme Unsicherheit bedingt Kommunikation Symbolisch generalisierte Medien Formen und Funktionen, die Kommunikation erkennbar machen Literatur Problemstellung und Fragen

  Die Rolle der Akteure Die Dynamik gesellschaftlicher Systeme und ihre Folgen für die Kommunikation Kommunikation in Netzwerken Das Akzeptieren der Akteurswirklichkeit Die Sichtbarkeit von Kommunikation Literatur Problemstellung und Fragen

  Kommunikation analysieren – geisteswissenschaftliche Verfahren Kommunikative Phänomene und ihre Erfassbarkeit Geisteswissenschaftliche Methoden zur Beschreibung von Kommunikation Hermeneutik als wissenschaftliche Methodik Bedeutungsbezogene Beschreibungsmethoden Literatur Problemstellung und Fragen

  Kommunikation als Dokument Das Dokumentieren von Kommunikation Das Transkript – Mündlichkeit verschriftlichen Transkribieren heißt beobachten Beispiele für Transkriptionssysteme Literatur Problemstellung und Fragen

  Anwendungen der Kommunikationsanalyse Funktionale Interpretationstechniken „Inhaltsfreie“ Interpretationstechniken Die Quantifizierung von Inhaltlichkeit Befragen als Methode Literatur Problemstellung und Fragen

 

  Der Markt der Kommunikationsratgeber Die Popularität des Themas Kommunikation Der alltägliche Umgang mit Anderen Im Ausdrucksraum der Zeichen Das Arbeiten an den Wahrnehmungs- und Deutungsmustern Literatur Problemstellung und Fragen

  Personenregister

  Sachregister

  Abbildungsverzeichnis

Vorwort

Kommunikation – und Mensch sein – ist nicht einfach … aber überraschend wendungsreich.

Damaris Wieser

Wer eine Einführung in die Kommunikationswissenschaft veröffentlicht, muss sich die Frage des Warum gefallen lassen. Gibt es doch zahlreiche Bücher, in denen ganz viel und Wichtiges zur Kommunikationswissenschaft gesagt wird. Warum dann noch ein Buch?

Das Thema Kommunikation ist so vielfältig wie auch die wissenschaftlichen Interessen daran. Das spiegelt sich in den sehr unterschiedlichen Einführungen wider. Studierende wünschten sich ein Buch, das sie mit Praktiken der Analyse und Beschreibung von alltäglicher Kommunikation in ihnen bekannten Handlungsfeldern bekannt macht. Aufseiten der Lehrenden war vom Wunsch nach einem Buch zu hören, das Theorieansätze in ihren Grundzügen vorstellt, die auf ihre praktische Relevanz hin mit Studierenden geprüft werden könnten. Bei den über das Lehrfach hinaus interessierten Personenkreisen wurde angeregt, darüber nachzudenken, ob es nicht eine Darstellung geben könne, die einerseits mehr Verständnis für Kommunikation ermöglicht und andererseits auch die Schwierigkeit, über Kommunikation wissenschaftlich reden zu können, plausibel macht; jeder glaube, über Kommunikation reden zu können.

In den vorhandenen einführenden Darstellungen der vergangenen Jahre wird zum einen auf die Vielfalt der Interessen verwiesen, zum anderen orientieren sich die Einführungen an einer für sie wichtigen Bezugsdisziplin. Im deutschen Sprachraum waren das lange Zeit die Signaltheorie der Informatik und zeitlich fast parallel dazu die Psychologie und Psychotherapie. In den 80er Jahren galten als Reaktion auf die Bildungsreformen die Pädagogik und Soziologie als wichtige Bezugsgrößen für ein Nachdenken über Kommunikation. Seit den 90er Jahren findet ein grundlegender Wandel in den Medien statt, sodass die Medienwissenschaft die Aufmerksamkeit auf Kommunikation bindet. Parallel dazu hat die Sozialwissenschaft aufgrund ihrer Methoden großen Einfluss auf die Kommunikationsforschung genommen.

Die Idee für die hier vorgelegte Hinführung besteht darin, den Blick auf das Kommunikationsereignis in der Alltagswelt durch typische Sichtweisen einzelner Fachdisziplinen zu weiten. In Verbindung mit einem Kommunikationsbeispiel aus dem alltäglichen Umfeld soll fallweise herausgearbeitet und gezeigt werden, welche Merkmale von Kommunikation dadurch sichtbar gemacht werden und welcher Anspruch auf Gültigkeit mit diesen verbunden werden kann.

Dabei gilt die Grundannahme, wer sich auf Kommunikation wissenschaftlich einlässt, muss respektieren, dass Kommunikation ein flüchtiges Ereignis ist und sich nicht einfach in die Hand nehmen lässt, nicht durch ein Mikroskop betrachtet werden kann oder in chemische Elemente zerlegbar ist. Als mediales Ereignis ist Kommunikation an Raum, Zeit und Akteure gebunden. Die Akteure sind als Personen oder Institutionen fassbar. Ihr Handeln vollzieht sich in Räumen, die oft dafür geschaffen wurden, z.B. Schule, Gericht, Arztpraxis. Das Handeln ist sehr oft an bestimmte Zeiten gebunden, z.B. Sprechstunde, Seminarsitzung, Vollversammlung der Studierendenvertretung. Hier werden Dokumente erzeugt, die nach dem Kommunikationsereignis aufbewahrt werden, z.B. Protokolle, Berichte, Nachrichten in Massenmedien. Das alles kann nur stattfinden, weil es unter den Akteuren Erfahrungen im Umgang miteinander und ein Wissen übereinander gibt.

Im Buch werden Beschreibungsansätze ausgewählt und vorgestellt, an denen gelernt und geübt werden kann, solche Bedingungen zu erkennen, welche das kommunikative Verhalten für die beteiligten Akteure gegenseitig als Handeln abschätzbar macht. Was der Andere tut, ist nicht ohne weiteres als bestimmte Handlung identifizierbar. Es muss einen Kontext für das Tun geben, der bekannt ist. Kommunikation setzt Medien voraus, und diese nutzen Techniken. Das kann nur funktionieren, wenn es Zeichen gibt, deren Nutzung unter den Akteuren eingeübt worden ist. Der ganze Aufwand wird gemacht, weil Bedürfnisse vorhanden sind, die ohne die Anderen nicht befriedigt werden können.

Kommunikation ist ein komplexes Ereignis, das von den Akteuren vielfältigste Entscheidungen abverlangt. Um Kommunikation wissenschaftlich zu beschreiben, bedarf es daher theoretischer Konzepte und dazu passender Methoden. In den verschiedenen Einheiten wird darauf sukzessive eingegangen.

Den Ausgangspunkt bilden Fragen nach dem Verhältnis von Kommunikation und Wissenschaft in der gesellschaftlichen Diskussion (Einheit 1) und in den Lebenswelten des Alltags (Einheit 2). Der bekannteste Zugang zur Kommunikation erfolgte über die Nachrichtenübertragung und das Nachdenken darüber, wie Daten über weite Strecken hinweg versendet werden können (Einheit 3). Das kann nur funktionieren, wenn das dabei Vermittelte auf Mitspieler trifft, die aus dem Gesendeten Nachrichten generieren können (Einheit 4). Hier nun zeigt sich, wie erfinderisch Akteure im Laufe der Kulturgeschichte waren und gegenwärtig noch sind (Einheit 5). Das alles ist nur möglich, weil Gesellschaften und ihre Mitglieder Praktiken zur gemeinsamen Bewältigung ihrer Lebenswelten entwickeln (Einheit 6). Zu diesen Praktiken gehört die Nutzung von Signalen und mit ihnen verbundene Erklärungsmodelle, die das Verstehen von Kommunikation beeinflussen und damit verbundene Erwartungen verknüpfen (Einheit 7). Kommunikative Praktiken basieren nicht nur auf dem Zeichenaustausch, sie leben von der Auseinandersetzung mit dem Gegenüber des Einzelnen. Hier lernt er, ob und wie der Andere reagiert (Einheit 8). Einen weiteren Bezugshorizont, der den Einzelnen beeinflusst bzw. den er wählt, um Einfluss zu nehmen, findet der Einzelne in den gesellschaftlichen Verhaltensmustern und den für sie typischen Umgebungen (Einheit 9). Interessant ist auch die Frage, welche Dynamiken von diesen Bezugshintergründen ausgehen, wer sie auslöst und wie sie steuerbar sind (Einheit 10).

Kommunikation zu beschreiben, setzt handwerkliches Können voraus. Das beinhaltet eine geisteswissenschaftliche Komponente. Kommunikative Praktiken basieren auf Verständigungs- und Verstehensleistungen. Diese setzten das Deuten Können dessen voraus. Was andere für einen tun, spielt eine zentrale Rolle. Daher bedarf es einer Auseinandersetzung mit dem, was Interpretieren genannt wird (Einheit 11). Das kommunikative Ereignis ist ein flüchtiger Prozess, der zeitlich gebunden nicht wiederholbar ist. Dieser Vorgang lässt sich heute auditiv und bildlich, analog oder digital festhalten. Ein solches Dokument kann in Text umgewandelt werden. Dieser bietet sich dann als eine Grundlage für neuerliche Interpretationen an (Einheit 12). Kommunikation durchzieht alle Lebensbereiche und erzeugt vielfältigste Dokumente, die nicht nur klassisch interpretatorisch erschließbar sind, sondern auch mithilfe quantifizierender Verfahren Einsichten in kommunikatives Handeln ermöglichen (Einheit 13).

Die Darstellung endet mit dem Blick auf Praktiken der Kommunikationsberatung, wie sie vor allem in den USA entstanden und heute auch hier bei uns zur Selbstverständlichkeit geworden sind (Einheit 14).

Kommunikation und Wissenschaft

Inhalt

 1.1 Interessen an der Kommunikation 2

 1.2 Das Fach Kommunikationswissenschaft 3

 1.3 Die Breite des Faches Kommunikationswissenschaft 7

 1.4 Sich der Kommunikationswissenschaft annähern 9

 1.5 Literatur 16

 1.6 Problemstellung und Fragen 17

Überblick

Kommunikation ist immer und überall präsent. Die Wissenschaft geht damit sehr unterschiedlich und hoch ausdifferenziert um. Wenn allgemein von Kommunikation geredet wird, dann steht Kommunikation für Verständigung, Beziehungspflege und Durchsetzungsvermögen. Die Wissenschaft zur Kommunikation wird eher in der Medienwissenschaft vermutet. Gesellschaftlich ist das Interesse stark auf die technische mediale Seite ausgerichtet, die Psychologie der Kommunikation wird eher als Bildungsgegenstand der Kompetenzförderung betrachtet. Dabei stellt Kommunikation vielfältigste Anforderungen an den Alltag beginnend im privaten Umfeld und weiterreichend in die institutionellen und politischen Kontexte der Gesellschaft. Dort haben sich unübersehbar viele Praktiken entwickelt, die in Kulturen sichtbar sind und gelebt werden. Die Herausforderung für die Wissenschaft besteht darin, aufzuzeigen, wie diese Praktiken beobachtet, beschrieben und analysiert werden können und welche Schlüsse daraus für die betroffenen Akteure gezogen werden können.

Interessen an der Kommunikation

Wo wird Kommunikation zu einem Thema? Das Thema Kommunikation interessiert den Einzelnen genauso wie Organisationen und Institutionen und zwar unter dem Aspekt, wie Aufgaben im persönlichen Alltag, Beruf und in der Gesellschaft kommunikativ möglichst optimal gelöst werden können. Ärzte zum Beispiel lernen in Kursen, wie sie mit ihren Patienten in der Sprechstunde umzugehen haben: Die Patienten sollen sich ernst genommen fühlen und vom Arzt das erfahren, was sie über ihre Krankheit wissen müssen. Verkaufseinrichtungen schulen ihr Personal darin, das Interesse von Kunden zu wecken und sie an das Unternehmen zu binden. In Verkaufsschulungen werden Verkäufer trainiert, wie Kunden angesprochen werden sollten, um ihnen ein Produkt nahe zu bringen und sie zum Kauf zu motivieren. Sogar der Umgang mit Kundschaft an Supermarktkassen ist ein Übungsfeld für die Kassiererinnen. In eigens dafür eingerichteten Kursen werden mit ihnen Verhaltensregeln eingeübt. Themen wie Freundlichkeit, Höflichkeit und Geduld gehören in das Repertoire solcher Übungen. In Betrieben wird das Leitungspersonal auf Schulungen geschickt, um zu lernen, wie sie mit ihren Mitarbeitern möglichst konfliktfrei zusammenarbeiten können.

Für die Bildung spielt Kommunikation eine zentrale Rolle, weil Unterrichten und Lehren zunehmend als dialogisches Handeln gesehen wird. Erhofft wird, dass die Lernenden zum Vermittelten leichter einen Zugang finden und selbst in die Lage versetzt werden, das nicht Verstandene dem Lehrenden anzeigen zu können. Der Einzelne erfährt in seinem Alltag, dass Kommunikationsfähigkeit eine Schlüsselfunktion hat. Ständig wird er mit Situationen konfrontiert, die er kommunikativ lösen muss. Das geschieht nicht nur mündlich, sondern bedingt durch die elektronischen Medien in gleichem Maße auch schriftlich. Ihm werden entsprechend zahlreiche Bildungsangebote gemacht, wie er sich richtig im Umgang mit Anderen verhalten kann, die angemessenen Themen findet und die richtige Argumentation wählt. Wichtig erscheinen der Umgang mit Konflikten und das Finden einer kommunikativen Lösung. Ebenso kann er lernen, wie er sich im Internet effektiv darzustellen kann und einen Freundeskreis findet und pflegt.

Das Fach KommunikationswissenschaftKommunikationswissenschaftFach

Kommunikationswissenschaft zu studieren, ist ein beliebter Studienwunsch, aber was bedeutet eigentlich Kommunikation, wenn sich Wissenschaft ihr zuwendet? Schmidt und Zurstiege (Schmidt und Zurstiege 2000b, S. 9–57) Schmidt, Siegfried J.Zurstiege, Guido sprechen in der Einleitung ihrer Einführung zur Kommunikationswissenschaft davon, dass sich diese Wissenschaft mit etwas ganz Faszinierendem im Leben eines jeden beschäftige und sie charakterisieren dieses als den Stoff, aus dem Lebenswelt, Gesellschaft und Kultur bestehen. Alle möglichen Lebensbereiche weisen engste Verbindungen zur Kommunikation auf und erwecken so den Eindruck, alles sei Kommunikation. Dieser offenen Lesart steht ein Verständnis gegenüber, das Kommunikation auf Schlüsselbegriffe wie Sprecher und Hörer, Kanal und Medium, Botschaften, die gesendet und empfangen werden, verengt.

 

Siegfried J. Schmidt (*1949)

Germanist, Professor für Kommunikationstheorie und Medienkultur, Schwerpunkte: empirische Literaturwissenschaft, Texttheorie und Kommunikationswissenschaft


Guido Zurstiege (*1968)

Professor für Medienwirtschaft, Schwerpunkte: Empirische Medienforschung, Kommunikationstheorie sowie Rezeptions- und Wirkungsforschung

Bild in der ÖffentlichkeitKommunikationswissenschaft wird in der Öffentlichkeit nicht vorrangig mit den genannten Aspekten identifiziert. Schmidt und Zurstiege (2000a, S. 11) knüpfen an Diskussionen über die Medien- und Kommunikations- oder Informations- und Kommunikationsgesellschaft an. Wenn wir uns im Freundeskreis als Kommunikationswissenschaftler zu erkennen geben, kommt es zu Kommentaren wie „Ach, Sie machen Fernsehen!“ oder „Machen Sie uns mal einen Flyer!“ bzw. „Schauen Sie sich mal unseren Webauftritt an! Wie könnten wir ihn besser machen.“ Gleichzeitig spricht derselbe Kreis vom Axiom des „Nicht-nicht-Kommunizieren-Könnens“ des Watzlawick (1969, S. 4–26) Watzlawick, Paulund der Beziehungskommunikation eines Schulz von Thun (1982) und wie wichtig sie diese für ihren Alltag halten.


Paul Watzlawick (1921–2007)

Österreichisch-amerikanischer Kommunikationswissenschaftler, Psychotherapeut und Soziologe, Mitbegründer der Palo Alto Schule


Friedemann Schulz von Thun (*1944)

Psychologe und Kommunikationswissenschaftler

In den sich daran anschließenden Gesprächen wird offenkundig, dass wenig Wissen darüber besteht, womit sich Kommunikationswissenschaft beschäftigt. Wer Kommunikationswissenschaft beispielsweise mit der Medienrezeptionsforschung verbindet, sieht darin Befragungen über Medienverhalten und rückt das Fach in die Nähe der Meinungsforschung. Im Fall einer psychologischen Orientierung wird an das viel zitierte „Vier-Ohren-Modell“ Schulz von Thun (1982, S. 13–15) Schulz von Thun, Friedemanngedacht und es finden sich Kommentare wie, man sei ein Typ, der eher beziehungsorientiert und weniger sachorientiert kommuniziere. Kommunikationswissenschaft ist keine klassische Disziplin. Sie kann sich nicht wie etwa die Physik, Biologie oder Mathematik auf eine lange Tradition in der Entwicklung von Theorien und Methoden beziehen. Sie wird auch nicht automatisch mit einer Geisteswissenschaft wie der Germanistik, Philosophie oder Soziologie gleichgesetzt. Am ehesten gibt es im öffentlichen Bewusstsein Verknüpfungen zur Psychologie und in den letzten Jahren zur Medienforschung.

Erklärung

Das Fach hat viele Gesichter. Wenn Kommunikation den Stoff bietet, aus dem sich Lebenswelt, Gesellschaft und Kultur speisen, dann verwundert es nicht, dass sich eine Kommunikationswissenschaft vielfältigen und sehr unterschiedlichen Bereichen zuwendet. Entsprechend verschiedenartig sind die Gegenstände der Beobachtung und das Forschungsinteresse, das dem Verhalten von Personen gilt, dem Erscheinungsbild von Druckerzeugnissen oder Bildproduktionen gewidmet wird oder sich mit bestimmten thematischen Feldern wie Politik und Kultur auseinandersetzt. Damit verbunden sind ganz spezielle Methoden, die sich teilweise sehr deutlich voneinander unterscheiden. Kommunikationswissenschaft ist ein Sammelbegriff für Programme, die sich darin unterscheiden, wie sie das Thema der Kommunikation wissenschaftlich aufnehmen und behandeln.

Kommunikation wird in der gegenwärtigen Gesellschaft als fundamentale Bezugsgröße wahrgenommen. Daher überrascht es nicht, dass 2007 der deutsche WissenschaftsratWissenschaftsrat (Wissenschaftsrat 21.05.2007) die gesellschaftliche Bedeutung der Kommunikationswissenschaft betont hat und glaubt, dass von ihr „wesentliche Impulse für kulturelle, ökonomische und technische Entwicklungen“ ausgehen werden und „eine enorme Nachfrage“ zu erwarten sei. Vorgeschlagen wird, die Kommunikationswissenschaft in eine sozialwissenschaftlich orientierte Kommunikationswissenschaft, eine kulturwissenschaftliche Medialitätsforschung und in eine an der Informatik ausgerichtete Medientechnologie zu unterteilen. Dabei wird darauf hingewiesen, dass in Deutschland, im Gegensatz zu den USA, die Teilbereiche kaum vernetzt sind. Dem wird gegenwärtig versucht, durch eine besondere Forschungsförderung entgegenzuwirken.

Wissenschaftsrat

Der Wissenschaftsrat ist ein wichtiges Beratungsgremium. Er wurde am 5. September 1957 gegründet und berät Bund und Länder in Fragen der Weiterentwicklung des Hochschulsystems sowie der staatlichen Förderung von Forschungseinrichtungen. Er hat seinen Sitz in Köln.

Ursprünge des Faches

PrintmedienWenn nach den Anfängen des Faches gesucht wird, so werden europäische Emigranten genannt, die in den 1930er Jahren in die USA ausgewandert sind, dort 1924 die Zeitschrift Journalism BulletinJournalism Bulletin gegründet haben und sich erstmals zum Ziel gesetzt haben, die Printmedien wissenschaftlich zu begleiten. Im Zusammenhang damit entstand die erste Schule zur Ausbildung von Journalisten. In Deutschland erfolgte zwei Jahre später die Gründung der Zeitschrift ZeitungswissenschaftZeitungswissenschaft. Sie versuchte, ganz ähnlich wie in den USA, die Pressearbeit journalistisch und wissenschaftlich im Blick zu behalten. Parallel dazu muss die Entwicklung des Rundfunks sowie die zunehmende Bedeutung des Films in der breiten Öffentlichkeit gesehen werden. Es bildete sich durch die Erweiterung der Zeitungswissenschaft die Publizistikwissenschaft heraus. Sie widmete sich der Erforschung der Wirkung öffentlicher Reden auf die Rezipienten. Im Zentrum stand die Frage nach der Beeinflussbarkeit der Rezipienten. Den Schwerpunkt bildeten Diskussionen darüber, ob Rundfunk und Film das Verhalten der Masse beherrschen können.

Kommerzielle InteressenEs zeigte sich bald ein großes kommerzielles Interesse, was einen entscheidenden Schub in der Entwicklung des Fachs auslöste. Die Wirtschaft erkannte, dass mit den Medien Möglichkeiten der Werbung für ihre Produkte geschaffen wurden. Wissenschaftlich fanden darüber ab 1937 in der Zeitschrift Public Opinion Quarterly intensive Diskussionen statt. Diese wurden von der Soziologie, Psychologie und der Betriebswirtschaft aufgenommen und systematisch verfolgt. In Deutschland wurde nach dem Krieg 1956 mit der Gründung der Zeitschrift PublizistikPublizistik der Weg frei, um das, was in den USA entwickelt worden war, aufzunehmen und auf die speziellen Problemstellungen der neu gegründeten Bundesrepublik und auf die damit verbundenen Einführung der Rundfunkorganisation zu übertragen. Damit wird auch verständlich, warum der Begriff Kommunikationswissenschaft so eng mit der Medien- und Medienrezeptionsforschung assoziiert und in Deutschland vielfach gleichgesetzt wird.

Die wissenschaftliche Grundlegung des Faches fand nach dem Zweiten Weltkrieg in den USA statt. Dort wurden systematische Forschungen begonnen und präzise Frage- und Problemstellungen entwickelt. Das wurde durch die Öffnung hin zu den Disziplinen Psychologie und Soziologie verstärkt. Ausdruck fand diese Tendenz in der Gründung des Journal of CommunicationJournal of Communication 1951. Die Etablierung des Communication Yearbook of International Communication AssociationCommunication Yearbook of International Communication Association im Jahr 1978 schloss diese Entwicklung dann ab.

Communication Yearbook of International Communication Association

Communikation Yearbook veröffentlicht State-of-the-Disziplin Literatur, Rezensionen und Essays. Es agiert sowohl hoch international als auch interdisziplinär, mit Autoren und ihren Werken, die die breiten globalen Interessen der International Communication Association (ICA) vertreten. ICA ist eine wissenschaftliche Vereinigung für interessierte Wissenschaftler in der Studie, Lehre und Anwendung aller Aspekte der menschlichen und vermittelten Kommunikation.

PsychologieGrundlegend für die eigenständige, wissenschaftliche Entwicklung war die Forschung auf der Basis von empirischen Methoden. Das hatte sehr konkrete Hintergründe. Schnell wurde nämlich erkannt, dass sich die Wirkung von Medien nicht allein mit rhetorischen Stilen befriedigend erklären ließ. Dramatische Fehleinschätzungen bei Wahlvoraussagen zwangen die Medienforschung dazu, Verfahren aus der Psychologie und Sozialwissenschaft in die Kommunikationswissenschaft zu integrieren, um gesicherte Aussagen über die Wirkung von Äußerungsformen machen zu können.

Kommunikationswissenschaft verbindet sich daher seit den 1960er Jahren in den USA eindeutig mit Methoden, wie sie aus der Sozialforschung heraus entwickelt worden sind. Diese sollten dazu beitragen, gesicherte Aussagen über die Medienwirkung machen zu können. Ein weiterer Entwicklungsschub erfolgte durch die Adaption der nachrichtentechnischen Modellierung von Kommunikation in der Psychologie und Psychotherapie. Damit öffneten sich völlig neue Felder im sozialen und allgemeinen gesellschaftlichen Bereich, in denen sich ganz spezifische Fragestellungen auftaten und Methoden der Bezugsdisziplinen einen Forschungszugang ermöglichten.

Thematische FelderIm Jahrbuch der International Communication AssociationJahrbuch der International Communication Association wird 2004 eine Liste veröffentlicht, die Teildisziplinen der Kommunikationswissenschaft benennt: KommunikationswissenschaftArbeitsfelder


Information Systems Interpersonal Communication Mass Communication Organizational Communication Intercultural and Developmental Communication Political Communication Instructional and Developmental Communication Health Communication Philosophy and Communication Communication and Technology Popular Communication Public Relations Feminist Scholarship Communication Law and Policy Language and Social Communication Visual Communication Informationssysteme Interpersonale Kommunikation Massenkommunikation Organisationale Kommunikation Interkulturelle und Entwicklungskommunikation Politische Kommunikation Unterrichts- und Entwicklungskommunikation Gesundheitskommunikation Philosophie und Kommunikation Kommunikation und Technik Alltagskommunikation Öffentlichkeitsarbeit Feministisches Stipendium Rechts- und politische Kommunikation Sprache und soziale Kommunikation Visuelle Kommunikation

Die Ansätze zeigen einen hohen Differenzierungsgrad einzelner Teilbereiche und geben Hinweise auf die innerfachlichen Entwicklungen sowie die dort bestehenden Schwerpunktthemen. Wenn nach Gemeinsamkeiten bzw. gemeinsamen Ausgangspunkten gesucht wird, lassen sich die verschiedenen Ansätze übergreifend in drei Themenschwerpunkten einer Kommunikationswissenschaft erfassen:

 Öffentliche Kommunikation

 Interpersonelle Kommunikation

 Organisationale Kommunikation

Die Kommunikation im öffentlichen Raum umfasst das, was vor allem durch die Medien beherrscht wird und dort ganz eigenständige Entwicklungen im Rahmen der Medienwissenschaft bewirkt hat. Das thematische Feld der interpersonellen Kommunikation begleitet die alltägliche Kommunikation und wird in hohem Maße von der Psychologie erforscht. Die organisationale Kommunikation ist eng mit der Erforschung institutioneller Zusammenhänge verbunden und wird stark durch Ideen der Soziologie geprägt.