König Lear

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William Shakespeare

König Lear

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Inhaltsverzeichnis

Titel

König Lear

Erster Aufzug

Zweiter Aufzug

Dritter Aufzug

Vierter Aufzug

Fünfter Aufzug

Impressum neobooks

König Lear

Erster Aufzug

Erste Szene

König Lears Palast.

Kent, Gloster und Edmund.

KENT. Ich dachte, der König sei dem Herzog von Albanien gewogener, als dem von Cornwall.

GLOSTER. So schien es uns immer; doch jetzt, bei der Teilung des Reichs, zeigt sich's nicht, welchen der beiden Herzoge er höher schätzt. Denn so gleichmäßig sind die Teile abgewogen, daß die genaueste Forschung selbst sich für keine der Hälften entscheiden könnte.

KENT. Ist das nicht Euer Sohn, Mylord?

GLOSTER. Seine Erziehung ist mir zur Last gefallen: ich mußte so oft erröten, ihn anzuerkennen, daß ich nun dagegen gestählt bin.

KENT. Ich verstehe Euch nicht.

GLOSTER. Seine Mutter und ich verstanden uns nur zu gut, und dies Einverständnis verschaffte ihr früher einen Sohn für ihre Wiege, als einen Mann für ihr Bett. Merkt Ihr was von einem Fehltritt?

KENT. Ich kann den Fehltritt nicht ungeschehen wünschen, da der Erfolg davon so anmutig ist.

GLOSTER. Doch habe ich auch einen rechtmäßigen Sohn, einige Jahre älter als dieser, den ich aber darum nicht höher schätze. Obgleich dieser Schelm etwas vorwitzig in die Welt kam, eh' er gerufen ward, so war doch seine Mutter schön, es ging lustig her bei seinem Entstehen, und der Bankert durfte nicht verleugnet werden. Kennst du diesen edeln Herrn, Edmund?

EDMUND. Nein, Mylord.

GLOSTER. Mylord von Kent: gedenke sein hinfort als meines geehrten Freundes!

EDMUND. Mein Dienst sei Euer Gnaden gewidmet.

KENT. Ich muß Euch lieben und bitte um Eure nähere Bekanntschaft.

EDMUND. Ich werde sie zu verdienen suchen.

GLOSTER. Er war neun Jahre im Auslande, und soll wieder fort. Der König kommt!

Man hört Trompeten.

König Lear, Cornwall, Albanien, Goneril, Regan, Cordelia und Gefolge treten auf.

LEAR.

Führt ein die Herrn von Frankreich und Burgund, Gloster!

GLOSTER.

Sehr wohl, mein König!

Gloster und Edmund ab.

LEAR.

Derweil enthüll'n wir den verschwiegnen Vorsatz.

Die Karte dort! – Wißt, daß wir unser Reich

Geteilt in drei. 's ist unser fester Schluß,

Von unserm Alter Sorg' und Müh' zu schütteln,

Sie jüngerer Kraft vertrauend, während wir

Zum Grab entbürdet wanken. Sohn von Cornwall,

Und Ihr, gleich sehr geliebter Sohn Albanien,

Wir sind jetzund gewillt, bekannt zu machen

Der Töchter festbeschiedne Mitgift, daß

Wir künft'gem Streite so begegnen. –

Die Fürsten Frankreich und Burgund, erhabne

Mitwerber um der jüngern Tochter Gunst,

Verweilten lange hier in Liebeswerbung

Und harr'n auf Antwort. – Sagt mir, meine Töchter

(Da wir uns jetzt entäußern der Regierung,

Des Landbesitzes und der Staatsgeschäfte),

Welche von euch liebt uns nun wohl am meisten?

Daß wir die reichste Gabe spenden, wo

Verdienst sie und Natur heischt. Goneril,

Du Erstgeborne, sprich zuerst!

GONERIL.

Mein Vater,

Mehr lieb' ich Euch, als Worte je umfassen,

Weit inniger als Licht und Luft und Freiheit,

Weit mehr, als was für reich und selten gilt,

Wie Schmuck des Lebens, Wohlsein, Schönheit, Ehre,

Wie je ein Kind geliebt, ein Vater Liebe fand.

Der Atem dünkt mich arm, die Sprache stumm,

Weit mehr als alles das lieb' ich Euch noch.

CORDELIA beiseit.

Was sagt Cordelia nun? Sie liebt und schweigt.

LEAR.

All dies Gebiet, von dem zu jenem Strich,

An schatt'gen Forsten und Gefilden reich,

An vollen Strömen und weit grünen Triften,

Beherrsche du: dir und Albaniens Stamm

Sei dies auf ewig! Was sagt unsre zweite Tochter,

Die teure Regan, Cornwalls Gattin? Sprich!

REGAN.

Ich bin vom selben Stoff wie meine Schwester

Und schätze mich ihr gleich. Mein treues Herz

Fühlt, all mein Lieben hat sie Euch genannt;

Nur bleibt sie noch zurück: denn ich erkläre

Mich als die Feindin jeder andern Lust,

Die in der Sinne reichstem Umkreis wohnt,

Und fühl' in Eurer teuren Hoheit Liebe

Mein einzig Glück.

CORDELIA beiseit.

Arme Cordelia dann! –

Und doch nicht arm; denn meine Lieb', ich weiß,

Wiegt schwerer als mein Wort.

LEAR.

Dir und den Deinen bleib' als Erb' auf immer

Dies zweite Dritteil unsers schönen Reichs,

An Umfang, Wert und Anmut minder nicht,

Als was ich Gon'ril gab. Nun unsre Freude,

Du jüngste, nicht geringste, deren Liebe

Die Weine Frankreichs und die Milch Burgunds

Nachstreben; was sagst du, dir zu gewinnen

Ein reichres Dritteil als die Schwestern? Sprich!

CORDELIA.

Nichts, gnäd'ger Herr!

LEAR.

Nichts?

CORDELIA.

Nichts.

LEAR.

Aus nichts kann nichts entstehn: sprich noch einmal!

CORDELIA.

Ich Unglücksel'ge, ich kann nicht mein Herz

Auf meine Lippen heben; ich lieb' Eu'r Hoheit,

Wie's meine Pflicht geziemt, nicht mehr, nicht minder.

LEAR.

Wie? Wie? Cordelia! Beßre deine Rede,

Sonst schad'st du deinem Glück!

CORDELIA.

Mein teurer Herr,

Ihr zeugtet, pflegtet, liebtet mich; und ich

Erwidr' Euch diese Wohltat, wie ich muß,

Gehorch' Euch, lieb' Euch und verehr' Euch hoch.

Wozu den Schwestern Männer, wenn sie sagen,

Sie lieben Euch nur? Würd' ich je vermählt,

So folgt dem Mann, der meinen Schwur empfing,

Halb meine Treu', halb meine Lieb' und Pflicht.

Gewiß, nie werd' ich frein wie meine Schwestern,

Den Vater nur allein zu lieben.

LEAR.

Und kommt dir das von Herzen?

CORDELIA.

Ja, mein Vater!

LEAR.

So jung und so unzärtlich?

CORDELIA.

So jung, mein Vater, und so wahr.

LEAR.

Sei's drum! Nimm deine Wahrheit dann zur Mitgift:

Denn bei der Sonne heil'gem Strahlenkreis,

Bei Hekates Verderben, und der Nacht,

Bei allen Kräften der Planetenbahn,

Durch die wir leben und dem Tod verfallen,

Sag' ich mich los hier aller Vaterpflicht,

Aller Gemeinsamkeit und Blutsverwandtschaft,

Und wie ein Fremdling meiner Brust und mir

Sei du von jetzt auf ewig! Der rohe Scythe,

Ja, der die eignen Kinder macht zum Fraß,

Zu sätt'gen seine Gier, soll meinem Herzen

So nah stehn, gleichen Trost und Mitleid finden,

Als du, mein weiland Kind.

KENT.

O edler König!

LEAR.

Schweig', Kent!

Tritt zwischen den Drachen nicht und seinen Grimm;

Sie war mein Liebling, und ich hofft' auf Trost

Von ihrer sanften Pflege. Fort! mir aus den Augen! –

Sei Friede so mein Grab, als ich von ihr

Mein Vaterherz losreiße! – Ruft mir Frankreich!

Wer rührt sich? Ruft Burgund! – Ihr, Cornwall und Albanien,

Zu meiner Töchter Mitgift schlagt dies Dritteil! –

Stolz, den sie Gradheit nennt, vermähle sie!

Euch beide kleid' ich hier in meine Macht,

Vorrang der Würd' und allerhöchsten Glanz,

Der Majestät umgibt. Wir, nach der Monde Lauf,

Mit Vorbehalt allein von hundert Rittern,

Die ihr erhaltet, wohnen dann bei euch,

Nach Ordnung wechselnd. Wir bewahren nur

Den Namen und des Königs Ehrenrecht; –

Die Macht,

Verwaltung, Rent' und alle Staatsgewalt,

Geliebte Söhn', ist euer. Des zum Zeugnis

Teilt diesen goldnen Reif!

KENT.

Erhabner Lear,

Den ich als meinen König stets geehrt,

Geliebt als Vater, und als Herrn begleitet,

 

Als höchsten Hort einschloß in mein Gebet, –

LEAR.

Der Bogen ist gespannt, entflieh' dem Pfeil! –

KENT.

Er falle nur, ob auch die Spitze

Ins Herz mir bohrt: Sei Kent nur ohne Sitte,

Wenn Lear verrückt! Was tust du, alter Mann?

Meinst du, daß Pflicht zu reden scheut, weil Macht

Zum Schmeicheln sinkt? – Die Ehre fordert Gradheit,

Wenn Kön'ge töricht werden. Bleibe Herrscher,

Und mit der besten Überlegung hemme

Die frevle Eil'! Mit meinem Leben bürg' ich,

Die jüngre Tochter liebt dich minder nicht,

Noch ist der ohne Herz, des schwacher Klang

Nicht Hohlheit widertönt.

LEAR.

Schweig', Kent, bei deinem Leben!

KENT.

Mein Leben galt mir stets nur als ein Pfand;

Zu wagen gegen deinen Feind; gern opfr' ich's

Für deine Wohlfahrt.

LEAR.

Aus den Augen mir!

KENT.

Sieh besser, Lear, und laß mich immer bleiben

Den Zielpunkt deines Auges!

LEAR.

Nun, beim Apoll! –

KENT.

Nun, beim Apollo, König,

Du rufst vergeblich deine Götter an.

LEAR.

O Sklav'! – Abtrünn'ger!

Legt die Hand ans Schwert.

ALBANIEN UND CORNWALL.

Teurer Herr, laß ab! –

KENT.

Tu's, töte deinen Arzt und gib den Lohn

Der schnöden Krankheit! Nimm zurück die Schenkung,

Sonst, bis der Kehle Kraft versagt zu schrein,

Sag' ich dir, du tust Unrecht.

LEAR.

Höre mich,

Rebell, bei deiner Lehnspflicht, höre mich!

Weil du zum Wortbruch uns verleiten wolltest

(Den wir noch nie gewagt) und stolz verwegen

Dich drängtest zwischen unsern Spruch und Thron

(Was unser Blut und Rang nicht dulden darf),

Sprech' ich als Herrscher jetzt; – nimm deinen Lohn!

Fünf Tage gönnen wir, dich zu versehn

Mit Schirmung vor des Lebens Ungemach:

Am sechsten kehrst du den verhaßten Rücken

Dem Königreich, und weilt am zehnten Tag

In unserm Lande dein verbannter Leib,

So ist's dein Tod. Hinweg! Bei Jupiter,

Dies widerruf' ich nicht.

KENT.

So leb' denn wohl, Fürst! Zeigst du so dich, Lear,

Lebt Freiheit auswärts und Verbannung hier.

Dir, Jungfrau, sei'n die Götter mächt'ger Hort,

Die richtig denkt und sprach das rechte Wort!

Eu'r breites Reden sei durch Tat bewährt!

Daß Liebeswort willkommne Frucht gebärt!

Fahrt wohl, ihr Fürsten all': Kent muß von hinnen,

Im neuen Land ein Schicksal zu gewinnen.

Er geht ab.

Gloster kommt zurück mit Frankreich, Burgund und Gefolge.

GLOSTER.

Hier sind Burgund und Frankreich, hoher Herr!

LEAR.

Fürst von Burgund,

Zu Euch erst sprech' ich, der mit diesem König

Um unsre Tochter warb. Was als das Mind'ste

Erwartet Ihr als Mitgift, oder steht

Von Euerm Antrag ab?

BURGUND.

Erhabner König,

Mir g'nügt, was Ihr freiwillig habt geboten,

Und minder gebt Ihr nicht.

LEAR.

Mein würd'ger Herzog,

Als sie uns wert war, schätzten wir sie so;

Nun ist ihr Preis gesunken. Seht, da steht sie:

Wenn etwas an der kleinen, schmucken Larve

Oder sie ganz mit unserm Zorn dazu,

Und weiter nichts, Eu'r Hoheit noch gefällt,

So nehmt sie, sie ist Eu'r.

BURGUND.

Mir fehlt die Antwort.

LEAR.

Herr!

Wollt Ihr mit allen Mängeln, die ihr eigen,

Freundlos und neuverschwistert unserm Haß,

Zur Mitgift Fluch, durch Schwur von uns entfremdet,

Sie nehmen oder lassen?

BURGUND.

Herr, verzeiht,

Mit der Bedingung endigt jede Wahl.

LEAR.

So laßt sie; bei der Macht, die mich erschuf,

Ich nannt' Euch all' ihr Gut.

Zu Frankreich.

Ihr, großer König, –

Nicht so weit möcht' ich Eurer Lieb' entwandern,

Euch zu vermählen, wo ich hasse. Lenkt

Zu besserm Ziel, ich bitt' Euch, Eure Wünsche,

Als auf dies Wesen, das Natur errötet

Anzuerkennen.

FRANKREICH.

Wahrlich, dies ist seltsam! –

Daß sie, die eben noch Eu'r Kleinod war,

Der Inhalt Eures Lobs, Balsam des Alters,

Eu'r Bestes, Teuerstes, in diesem Nu

So Unerhörtes tat, ganz zu zerreißen

Solch reichgewebte Gunst! Traun, ihr Vergehn

Muß unnatürlich, ungeheuer sein,

Oder die Liebe, deren Ihr Euch rühmtet,

Ist tadelnswert. So schlimm von ihr zu denken,

Heischt Glauben, wie Vernunft ihn ohne Wunder

Mir nimmer einimpft.

CORDELIA.

Dennoch bitt' ich, Herr

(Ermangl' ich auch der schlüpfrig glatten Kunst,

Zu reden nur zum Schein: denn, was ich ernstlich will,

Vollbring' ich, eh' ich's sage), daß Ihr zeugt,

Es sei kein schnöder Makel, Mord noch Schmach,

Kein zuchtlos Tun, noch ehrvergeßner Schritt,

Der mir geraubt hat Eure Gnad' und Huld.

Nur, weil mir fehlt, – wodurch ich reicher bin, –

Ein stets begehrend Aug' und eine Zunge,

Die ich mit Stolz entbehr', obgleich ihr Mangel

Mir Euern Beifall raubte.

LEAR.

Besser wär's,

Du lebtest nicht, als mir zur Kränkung leben!

FRANKREICH.

Ist es nur das? Ein Zaudern der Natur,

Das oft die Tat unausgesprochen läßt,

Die es zu tun denkt? – Herzog von Burgund,

Was sagt Ihr zu der Braut? Lieb' ist nicht Liebe,

Wenn sie vermengt mit Rücksicht, die seitab

Vom wahren Ziel sich wendet. Wollt Ihr sie?

Sie selbst ist ihre Mitgift.

BURGUND.

Hoher Lear,

Gebt mir den Anteil, den Ihr selbst bestimmt,

Und hier nehm' ich Cordelia bei der Hand

Als Herzogin Burgunds.

LEAR.

Nichts! Ich beschwor's, ich bleibe fest.

BURGUND.

Dann tut mir's leid, daß Ihr zugleich den Vater

Verliert und den Gemahl.

CORDELIA.

Fahr' hin, Burgund! –

Da Wunsch nur nach Besitz sein Lieben ist,

Werd' ich nie seine Gattin.

FRANKREICH.

Schönste Cordelia, du bist arm höchst reich;

Verbannt höchst wert; verachtet höchst geliebt! –

Dich nehm' ich in Besitz und deinen Wert:

Gesetzlich sei, zu nehmen, was man wegwarf.

Wie seltsam, Götter! Meiner Liebe Glühn

Und Ehrfurcht muß aus kaltem Hohn erblühn.

Sie mußte Erb' und Glück bei dir verlieren,

Um über uns und Frankreich zu regieren.

Kein Herzog von Burgunds stromreichen Auen

Erkauft von mir die teuerste der Frauen!

Den Harten gib ein mildes Abschiedswort:

Das Hier verlierst du für ein beßres Dort.

LEAR.

Du hast sie, Frankreich: sie sei dein; denn nie

Hatt' ich solch Kind, und nimmer grüße sie

Mein altes Auge mehr! Folg' deinen Wegen

Ohn' unsre Lieb' und Gunst, ohn' unsren Segen!

Kommt, edler Fürst Burgund!

Trompetengetön. Lear, Burgund, Cornwall, Albanien, Gloster und Gefolge gehn ab.

FRANKREICH.

Sag deinen Schwestern Lebewohl!

CORDELIA beiseit.

Des Vaters Edelsteinen! –

Laut.

Nassen Blicks

Verläßt Cordelia euch.

Beiseit.

Ich kenn' euch wohl,

Und nenn' als Schwester eure Fehler nicht

Beim wahren Namen.

Laut.

Liebt denn unsern Vater,

Ich leg' ihn euch ans vielberedte Herz: –

Beiseit.

Doch ach, wär' ich ihm lieb noch wie vor Zeiten,

Wollt' ich ihm einen bessern Platz bereiten.

Laut.

So lebt denn beide wohl!

REGAN.

Lehr' uns nicht unsre Pflichten!

GONERIL.

Dem Gemahl

Such' zu genügen, der als Glücksalmosen

Dich aufnahm! Du verschmähst der Liebe Band,

Mit Recht entzieht sich dir, was du verkannt.

CORDELIA.

Was List verborgen, wird ans Licht gebracht,

Wer Fehler schminkt, wird einst mit Spott verlacht.

Es geh' euch wohl!

FRANKREICH.

Komm, liebliche Cordelia!

Frankreich und Cordelia gehn ab.

GONERIL. Schwester, ich habe nicht wenig zu sagen, was uns beide sehr nahe angeht. Ich denke, unser Vater will heut abend fort.

REGAN. Ja, gewiß, und zu dir; nächsten Monat zu uns.

GONERIL. Du siehst, wie launisch sein Alter ist; was wir darüber beobachten konnten, war bedeutend. Er hat immer unsere Schwester am meisten geliebt, und mit wie armseligem Urteil er sie jetzt verstieß, ist zu auffallend.

REGAN. 's ist die Schwäche seines Alters: doch hat er sich von jeher nur obenhin gekannt.

GONERIL. Schon in seiner besten und kräftigsten Zeit war er zu hastig: wir müssen also von seinen Jahren nicht nur die Unvollkommenheiten längst eingewurzelter Gewohnheiten erwarten, sondern außerdem noch den störrischen Eigensinn, den gebrechliches und reizbares Alter mit sich bringt.

REGAN. Solch haltungsloses Auffahren wird uns nun auch bevorstehen, wie diese Verbannung Kents.

GONERIL. Dergleichen Abschiedskomplimente wird's noch mehr geben, wie zwischen Frankreich und ihm: bitt' Euch, laßt uns zusammenhalten: Behauptet unser Vater sein Ansehn mit solchen Gesinnungen, so wird jene letzte Übertragung seiner Macht uns nur zur Kränkung.

REGAN. Wir wollen es weiter überlegen.

GONERIL. Es muß etwas geschehen, und in der ersten Hitze.

Sie gehn ab.

Zweite Szene

Schloß des Grafen Gloster.

Edmund mit einem Briefe.

EDMUND.

Natur, du meine Göttin! Deiner Satzung

Gehorch' ich einzig. Weshalb sollt' ich dulden

Die Plagen der Gewohnheit und gestatten,

Daß mich der Völker Eigensinn enterbt,

Weil ich ein zwölf, ein vierzehn Mond' erschien

Nach einem Bruder? – Was Bastard? Weshalb unecht?

Wenn meiner Glieder Maß so stark gefügt,

Mein Sinn so frei, so adlig meine Züge,

Als einer Eh'gemahlin Frucht? Warum

Mit unecht uns brandmarken? Bastard? Unecht?

Uns, die im heißen Diebstahl der Natur

Mehr Stoff empfahn und kräft'gern Feuergeist,

Als in verdumpftem, trägem, schalem Bett

Verwandt wird auf ein ganzes Heer von Tröpfen,

Halb zwischen Schlaf gezeugt und Wachen? Drum,

Echtbürt'ger Edgar! Mein wird noch dein Land: –

Des Vaters Liebe hat der Bastard Edmund

Wie der Echtbürt'ge. Schönes Wort: echtbürtig!

Wohl, mein Echtbürt'ger, wenn dies Brieflein wirkt

Und mein Erfinden glückt, stürzt den Echtbürt'gen

Der Bastard Edmund. Ich gedeih', ich wachse!

Nun, Götter, schirmt Bastarde! –

Gloster kommt.

GLOSTER.

Kent so verbannt! – Frankreich im Zorn gegangen!

Der König fort zu Nacht! – Der Kron' entsagt! –

Beschränkt auf Unterhalt! – Und alles das

Im Nu! – Edmund! Was gibt's? Was hast du Neues?

EDMUND steckt den Brief ein. Verzeih' Euer Gnaden, nichts.

GLOSTER. Warum steckst du so eilig den Brief ein? –

EDMUND. Ich weiß nichts Neues, Mylord.

GLOSTER. Was für ein Blatt lasest du?

EDMUND. Nichts, Mylord.

GLOSTER. Nichts? –Wozu denn die erschreckliche Eil' damit in deine Tasche? – Ein eigentliches Nichts bedarf keiner solchen Hast, sich zu verstecken. Laß sehn! Gib! Wenn es Nichts ist, brauche ich keine Brille.

 

EDMUND. Ich bitte, Herr, verzeiht; es ist ein Brief meines Bruders, den ich noch nicht ganz durchgesehen, und so weit ich bis jetzt las, finde ich den Inhalt nicht für Eure Durchsicht geeignet.

GLOSTER. Gib mir den Brief, sag' ich!

EDMUND. Ich werde Unrecht tun, ich mag ihn geben oder behalten. Der Inhalt, so weit ich ihn verstehe, ist zu tadeln.

GLOSTER. Laß sehn, laß sehn!

EDMUND. Ich hoffe zu meines Bruders Rechtfertigung, er schrieb dies nur als Prüfung und Versuchung meinerTugend.

GLOSTER liest. »Dieses Herkommen, diese Ehrfurcht vor dem Alter verbittert uns die Welt für unsre besten Jahre; entzieht uns unser Vermögen, bis unsre Hinfälligkeit es nicht mehr genießen kann. Ich fange an, eine alberne, törichte Sklaverei in diesem Druck bejahrter Tyrannei zu finden, die da herrscht, nicht weil sie Macht hat, sondern weil man sie duldet. Komm zu mir, daß ich weiter hierüber rede! Wenn unser Vater schlafen wollte, bis ich ihn weckte, solltest du für immer die Hälfte seiner Einkünfte genießen und der Liebling sein deines Bruders Edgar.« – Hum! – Verschwörung! – »Schlafen wollte, bis ich ihn weckte, – die Hälfte seiner Einkünfte genießen,« – mein Sohn Edgar! Hatte er eine Hand, dies zu schreiben? ein Herz und ein Gehirn, dies auszubrüten? Wann bekamst du dies? Wer brachte dir's?

EDMUND. Es ward mir nicht gebracht, Mylord, das ist die Feinheit; ich fand's durch das Fenster meines Zimmers geworfen.

GLOSTER. Du erkennst deines Bruders Handschrift?

EDMUND. Wäre der Inhalt gut, Mylord, so wollte ich darauf schwören; aber, wenn ich auf diesen sehe, so möchte ich lieber glauben, sie sei es nicht.

GLOSTER. Es ist seine Hand.

EDMUND. Sie ist's, Mylord, aber ich hoffe, sein Herz ist dem Inhalte fern.

GLOSTER. Hat er dich nie zuvor über diesen Punkt ausgeforscht?

EDMUND. Niemals, Mylord; doch habe ich ihn oft behaupten hören, wenn Söhne in reifen Jahren und die Väter auf der Neige ständen, dann sei von Rechts wegen der Vater des Sohnes Mündel, und der Sohn Verwalter des Vermögens.

GLOSTER. O Schurke, Schurke! – Völlig der Sinn seines Briefes! – Verruchter Bube! Unnatürlicher, abscheulicher, viehischer Schurke! Schlimmer als viehisch! – Geh gleich, such' ihn auf, ich will ihn festnehmen. – Verworfner Bösewicht! – Wo ist er? –

EDMUND. Ich weiß es nicht genau, Mylord. Wenn es Euch gefiele, Euren Unwillen gegen meinen Bruder zurückzuhalten, bis Ihr ihm ein beßres Zeugnis seiner Absichten entlocken könnt, so würdet Ihr sichrer gehen; wollt Ihr aber gewaltsam gegen ihn verfahren, und hättet Euch in seiner Absicht geirrt, so würde es Eure Ehre tödlich verwunden und das Herz seines Gehorsams zertrümmern. Ich möchte mein Leben für ihn zum Pfande setzen, daß er dies geschrieben hat, um meine Ergebenheit gegen Euch, Mylord, auf die Probe zu stellen, ohne eine gefährliche Absicht.

GLOSTER. Meinst du?

EDMUND. Wenn's Eu'r Gnaden genehm ist, stell' ich Euch an einen Ort, wo Ihr uns darüber reden hören und Euch durch das Zeugnis Eures eignen Ohrs Gewißheit verschaffen sollt; und das ohne Verzug, noch diesen Abend.

GLOSTER. Er kann nicht solch ein Ungeheuer sein.

EDMUND. Und ist's gewiß nicht.

GLOSTER. Gegen seinen Vater, der ihn so ganz, so zärtlich liebt! Himmel und Erde! Edmund, such' ihn auf! – Forsche mir ihn aus, ich bitte dich, führe das Geschäft nach deiner eignen Klugheit: ich könnte nicht Vater sein, wenn ich hierzu die nötige Entschlossenheit besäße.

EDMUND. Ich will ihn sogleich aufsuchen, Mylord, die Sache fördern, wie ich's vermag, und Euch von allem Nachricht geben.

GLOSTER. Jene letzten Verfinsterungen an Sonne und Mond weissagen uns nichts Gutes. Mag die Wissenschaft der Natur sie so oder anders auslegen, die Natur empfindet ihre Geißel an den Wirkungen, die ihnen folgen: Liebe erkaltet, Freundschaft fällt ab, Brüder entzweien sich; in Städten Meuterei, auf dem Lande Zwietracht, in Palästen Verrat; das Band zwischen Sohn und Vater zerrissen: dieser mein Bube bestätiget diese Vorzeichen; da ist Sohn gegen Vater. Der König weicht aus dem Gleise der Natur, da ist Vater gegen Kind. Wir haben das Beste unsrer Zeit gesehn: Ränke, Herzlosigkeit, Verrat und alle zerstörenden Umwälzungen folgen uns rastlos bis an unser Grab. Erforsche mir den Buben, Edmund, es soll dein Schade nicht sein; tu's mit allem Eifer! Und der edle, treugeherzte Kent verbannt! Sein Verbrechen, Redlichkeit! – Seltsam, seltsam! – Geht ab.

EDMUND. Das ist die ausbündige Narrheit dieser Welt, daß, wenn wir an Glück krank sind – oft durch die Übersättigung unsres Wesens –, wir die Schuld unsrer Unfälle auf Sonne, Mond und Sterne schieben, als wenn wir Schurken wären durch Notwendigkeit; Narren durch himmlische Einwirkung; Schelme, Diebe und Verräter durch die Übermacht der Sphären; Trunkenbolde, Lügner und Ehebrecher durch erzwungene Abhängigkeit von planetarischem Einfluß; und alles, worin wir schlecht sind, durch göttlichen Anstoß. Eine herrliche Ausflucht für den Lüderlichen, seine hitzige Natur den Sternen zur Last zu legen! – Mein Vater ward mit meiner Mutter einig unterm Drachenschwanz, und meine Nativität fiel unter ursa major; und so folgt denn, ich müsse rauh und verbuhlt sein. Ei was, ich wäre geworden, was ich bin, wenn auch der jungfräulichste Stern am Firmament auf meine Bastardisierung geblinkt hätte. Edgar, –

Edgar tritt auf.

Und husch ist er da, wie die Katastrophe in der alten Komödie. Mein Stichwort ist »spitzbübische Melancholei« und ein Seufzer wie Thoms aus Bedlam. – Oh, diese Verfinsterungen deuten diesen Zwiespalt! Fa, sol, la, mi –

EDGAR. Wie geht's, Bruder Edmund? In was für tiefsinnigen Betrachtungen?

EDMUND. Ich sinne, Bruder, über eine Weissagung, die ich dieserTage las, was auf diese Verfinsterungen folgen werde!

EDGAR. Gibst du dich mit solchen Dingen ab?

EDMUND. Ich versichre dich, die Wirkungen, von denen er schreibt, treffen leider ein! – Unnatürlichkeit zwischen Vater und Kind, – Tod, Teuerung, Auflösung alter Freundschaft, Spaltung im Staat, Drohungen und Verwünschungen gegen König und Adel, grundloses Mißtrauen, Verbannung von Freunden, Auflösung des Heers, Trennung der Ehen und was noch alles?

EDGAR. Seit wann gehörst du zur astronomischen Sekte?

EDMUND. Wann sahst du meinen Vater zuletzt?

EDGAR. Nun, gestern abend.

EDMUND. Sprachst du mit ihm?

EDGAR. Ja, zwei volle Stunden.

EDMUND. Schiedet ihr in gutem Vernehmen? Bemerktest du kein Mißfallen an ihm in Worten oder Mienen? –

EDGAR. Durchaus nicht.

EDMUND. Besinne dich, womit du ihn beleidiget haben könntest, und ich bitte dich, meide seine Gegenwart, bis eine kurze Zwischenzeit die Hitze seines Zorns abgekühlt hat, der jetzt so in ihm wütet, daß ihn kaum eine Mißhandlung an deiner Person besänftigen würde.

EDGAR. Irgendein Schurke hat mich angeschwärzt!

EDMUND. Das fürcht' ich auch. Ich bitte dich, weiche ihm sorgfältig aus, bis die Heftigkeit seines Ingrimms nachläßt, und, wie gesagt, verbirg dich bei mir in meinem Zimmer, wo ich's einrichten will, daß du den Grafen reden hören sollst. Ich bitte dich, geh, hier ist mein Schlüssel. Wagst du dich hervor, so geh bewaffnet!

EDGAR. Bewaffnet, Bruder?

EDMUND. Bruder, ich rate dir dein Bestes: geh bewaffnet: ich will nicht ehrlich sein, wenn man Gutes gegen dich im Schilde führt. Ich habe dir nur schwach angedeutet, was ich sah und hörte; längst noch nicht, wie entsetzlich die Wirklichkeit ist. Bitte dich, fort! –

EDGAR. Werd' ich bald von dir hören?

EDMUND. Zähle auf mich in dieser Sache!

Edgar geht ab.

Ein gläub'ger Vater und ein edler Bruder,

So fern von allem Unrecht, daß er nie

Argwohn gekannt, des dumme Ehrlichkeit

Mir leichtes Spiel gewährt! Ich seh' den Ausgang:

Wenn nicht Geburt, schafft List mir Land und Leute;

Und was mir nützt, das acht' ich gute Beute.

Er geht ab.