Free

Namenlos

Text
iOSAndroidWindows Phone
Where should the link to the app be sent?
Do not close this window until you have entered the code on your mobile device
RetryLink sent

At the request of the copyright holder, this book is not available to be downloaded as a file.

However, you can read it in our mobile apps (even offline) and online on the LitRes website

Mark as finished
Font:Smaller АаLarger Aa

Unaussprechliche Angst verschloß Mr. Noël Vanstone die Lippen. Er konnte nur durch Nicken antworten.

– Sehr gut, sagte der Hauptmann. Nun, Sir, werden Sie wohl bemerkt haben, daß ich ein Mann von ganz eigenthümlicher Lebensanschauung bin. Wenn es Ihnen bis jetzt noch nicht so vorgekommen ist, so mag es dann nothwendig werden, zu erwähnen, daß es Gegenstände gibt, in Bezug auf die ich beharrlich meine eigenes Meinung habe. Die Eheverträge sind ein solcher Gegenstand. Was pflegt, will ich Sie fragen, ein Vater oder Vormund in meiner gegenwärtigen Lage zu thun? Nachdem er dem Manne, welchen er zu seinem Schwiegersohne erkoren hat, das Glück einer Frau als heiliges Vermächtniß anvertraut hat, wendet er sich jählings wieder ab von dem Manne und weigert sich, die weit geringere Verantwortung, die Sorge für deren künftiges Auskommen, ihm zu überlassen. Er macht seinen Schwiegersohn mit der bündigsten Urkunde, die der Advocat aufsetzen kann, fest und bedient sich gegenüber dem Gatten seines eigenen Kindes derselben Vorsichtsmaßregeln, als wenn er es mit einem fremden Menschen oder mit einem Schelm zu thun hätte. Ich nenne ein solches Benehmen wie dieses ungeziemend und unfolgerichtig im höchsten Grade. Sie werden nicht finden, daß ich andere Lehren predige, als ich befolge. Wenn ich Ihnen meine Nichte anvertraue, vertraue ich Ihnen jede andere Verantwortung gegen sie und mich an. Geben Sie mir Ihre Hand, Sir, erklären Sie mir aus Ihr Ehrenwort, daß Sie für Ihre Gattin sorgen wollen, wie es Ihrer Stellung und Ihrem Vermögen entspricht: und die Frage des Ehecontractes ist zwischen uns von diesem Augenblick ein für allemal erledigt!

Nachdem er Magdalenens Weisungen in dieser stolzen Sprache ausgeführt hatte, schlug er seinen feierlichen Frack auseinander und saß da mit erhobenem Haupte und ausgestreckter Hand, das Muster väterlicher Empfindung und das Bild edelmenschlicher Uneigennützigkeit.

Für einen Augenblick blieb Mir. Noël Vanstone buchstäblich vor Erstaunen versteinert. Den nächsten Augenblick sprang er von seinem Stuhle auf und drückte in wahrer begeisterter Bewunderung die Hand seines großmüthigen Freundes. Noch nie in seiner langen, wechselvollen Laufbahn hatte Hauptmann Wragge solche Schwierigkeit empfunden, seine Fassung zu behaupten, als eben jetzt. Verachtung über den Ausbruch der elenden Dankbarkeit, deren Gegenstand er war, Siegesfreude wegen des Gelingens der Verschwörung gegen einen Mann, welcher das Erbieten seines Schutzes auf fünf Pfund zu schätzen sich unterfangen, Bedauern über die entgangene Gelegenheit, eine schöne Ernte »als moralischer Landwirth«, vulgo Industrieritter, zu halten, eine Gelegenheit, die er sich aus Furcht, in die kommenden Ereignisse verwickelt zu werden, nothgedrungen hatte entschlüpfen lassen müssen: alle diese verschiedenen Gefühle regten das Gemüth des Hauptmanns auf, alle strebten in ihm sich Luft zu machen durch Blick oder Wort. Er ließ Mr. Noël Vanstone sich so lange seiner Hand bemächtigen und eine Reihe von kreischenden Betheuerungen und Versprechungen herausstoßen, bis er seine gewöhnliche Selbstbeherrschung wiedererlangt hatte. Als Dies geschehen war, brachte er den kleinen Mann wieder an seinen Stuhl zurück und kehrte sofort zu der Frage betreffs Mrs. Lecount zurück.

– Wir wenden uns nun wieder zu der einen Schwierigkeit zurück, die wir noch nicht überwunden haben, sagte der Hauptmann. Wir wollen einmal sagen, daß ich meinen eigenen Gewohnheiten und Gefühlen Gewalt anthue, daß ich die Erwägung, die ich bereits erwähnt habe, bei mir zur Geltung kommen lasse, und daß ich Ihren Wunsch, mit meiner Nichte vereinigt zu werden ohne Benachrichtigung der Mrs. Lecount, gut heiße. Erlauben Sie mir für diesen Fall zu fragen, welche Maßregeln Sie zur Erreichung Ihres Zweckes vorschlagen können?

– Ich habe gar Nichts vorzuschlagen, versetzte Mr. Noël Vanstone in Verlegenheit. Wollen Sie mir nicht lieber Etwas vorschlagen?

– Sie stellen ein kühneres Ersuchen an mich, als Sie denken, Mr. Vanstone. Ich thue niemals die Dinge nur halb. Wenn ich mit meiner gewöhnlichen Offenheit zu Werke gehe, so bin ich, wie Sie schon wissen, aufrichtig bis zu dem äußersten Grade der Unklugheit. Wenn außerordentliche Umstände mich zwingen, ein entgegengesetztes Verfahren einzuhalten, so gibt es keinen schlaueren Fuchs, als ich bin. Wenn ich auch Ihr ausdrückliches Ersuchen mein ehrbares englisches Kleid hier ausziehe und eine Jesuitenrobe anlege, wenn rein aus Mitgefühl für Ihre mißliche Stellung ich einwillige, Ihr Geheimniß vor Mrs. Lecount bewahrt zu sehen, so muß ich aber auch mit keinen uuvernünftigen Bedenklichkeiten von Ihrer Seite zu kämpfen haben. Wenn es bei mir heißt: entweder, oder —, so muß es bei Ihnen auch heißen: entweder, oder —!

– Jedenfalls entweder, oder! sagte Mr. Noël Vanstone tapfer, – wohlverstanden, wenn Sie vorangehen. Ich habe kein Bedenken dagegen, die Lecount im Dunkeln zu lassen, aber sie ist verteufelt schlau, Mr. Bygrave. Wie wollen wir es nur anfangen?

– Sie sollen es gleich vernehmen, antwortete der Hauptmann, bevor ich meine Ansicht entwickle, möchte ich gern erst Ihre Meinung über eine rein moralische Frage kennen. Was halten Sie, lieber Herr von frommem Betrug im Allgemeinen?

Mr. Noël Vanstone sah etwas verlegen über diese Frage aus.

– Soll ich mich deutlicher ausdrücken? fuhr Hauptmann Wragge fort. Was sagen Sie zu dem allgemein angenommenen Grundsatz, daß »in der Liebe und im Kriege alle Kniffe gelten«? Ja oder Nein?

– Ja! antwortete Mr. Noël Vanstone mit der größten Bereitwilligkeit «

– Noch eine Frage, und ich bin fertig, sagte der Hauptmann. Haben Sie Etwas einzuwenden, gegen Mrs. Lecount einen frommen Betrug auszuführen?

Mr. Noël Vanstones Entschlossenheit begann ein wenig zu Wanken.

– Wird es auch Mrs. Lecount nicht etwa herausbekommen? frug er vorsichtig.

– Sie kann es unmöglich eher herausbekommen, als bis Sie verheirathet und aus ihrem Bereiche sind.

– Sie sind dessen gewiß?

– Vollkommen gewiß.

– Spielen Sie der Lecount jeden Streich, den Sie wollen, sagte Mr. Noël Vanstone mit der Miene unaussprechlicher Freude. Ich habe neuerdings den Verdacht geschöpft, daß sie mich zu beherrschen sucht: ich beginne zu fühlen, daß ich es mit der Lecount just lange genug ausgehalten habe Ich wünsche sie nun los zu sein.

– Sie sollen haben, was Sie wünschen, sagte Hauptmann Wragge. Sie sollen sie binnen einer Woche oder zehn Tagen los sein.

Mr. Noël Vanstone stand eifrig auf und kam auf den Stuhl des Hauptmanns zu.

– Was Sie da sagen! rief er. Wie denken Sie dieselbe fortzubringen?

– Ich denke sie auf eine Reise wegzuschicken, versetzte der Hauptmann Wragge.

– Wohin?

– Von Ihrem Hause zu Aldborough an das Bett ihres Bruders in Zürich.

Mr. Noël Vanstone fuhr bei der Antwort zurück und kehrte sofort auf seinen Stuhl zurück.

– Wie können Sie Das bewirken? frug er in der größten Verwirrung. Ihr Bruder – hol ihn der Henker! – befindet sich viel besser. Sie hat erst diesen Morgen einen zweiten Brief von Zürich erhalten, welcher Dies besagt.

– Sahen Sie den Brief?

– Ja. Sie ist immer besorgt um ihren Bruder, sie wollte ihn mir zeigen.

– Von wem war er? und was besagt er?

– Er war von dem Arzte, er schreibt immer an sie. Ich kümmere mich keinen Pfifferling um ihren Bruder und entsinne mich nicht mehr genau des Briefes, außer daß er kurz war. Der Mensch befand sich weit besser, und wenn der Doctor nicht wieder schreiben würde, so möchte sie es für ausgemacht halten, daß es gut ginge. – Das war das Wesentlichste daraus.

– Bemerkten Sie, wohin sie den Brief that, als Sie ihn ihr wieder gaben?

– Ja, sie that ihn in die Commode, wo sie ihre Rechnungsbücher aufhebt.

– Können Sie zu dieser Commode gelangen?

– Natürlich kann ich das! Ich habe einen Hauptschlüssel. ich muß stets einen Hauptschlüssel zu dem Orte haben, wo sie ihre Rechnungsbücher hat. Ich lasse niemals die Rechnungsbücher vor mir wegschließen, das ist eine Hausregel.

– Seien Sie so gut und nehmen Sie den Brief heute an sich, Mr. Vanstone, ohne daß es die Haushälterin merkt, und haben Sie dann noch die Güte, mir ihn hier insgeheim auf ein bis zwei Stunden zu überlassen.

– Wozu brauchen Sie ihn?

– Ich habe noch einige Fragen mehr an Sie zu richten, ehe ich es Ihnen sagen kann. Haben Sie einen vertrauten Freund in Zürich, von dem Sie Beistand erwarten können, wenn es gilt, Mrs. Lecount eine Streich zu spielen?

– Welcherlei Beistand meinen Sie? frug Mr. Noël Vanstone.

– Denken Sie ich einmal, sagte der Hauptmann, Sie sollten einen an Mrs. Lecount in Aldborough gerichteten Brief, welcher in einem andern Briefe an einen auswärtigen Freund eingeschlossen wäre, abschicken. Und dann denken Sie sich, Sie wiesen jenen Freund an, damit er Ihnen dabei helfe, einen derben Schabernack auszuführen, indem er den Brief an Mrs. Lecount zu Zürich auf die Post gäbe? Kennen Sie Jemand, der das zuversichtlich thun würde?

– Ich kenne zwei Personen, denen man Das zutrauen könnte! rief Mr. Noël Vanstone. Beides Damen, Beides alte Jungfern, Beides bittere Feindinnen der Lecount. Aber was haben Sie denn eigentlich vor, Mr. Bygrave? Obgleich ich für gewöhnlich nicht auf den Kopf gefallen bin, so sehe ich doch diesmal wirklich nicht ein, wohin Sie zielen.

– Sie sollen es gleich sehen, Mr. Vanstone.

Mit diesen Worten erhob er sich, begab sich an sein Pult im Winkel des Zimmers und schrieb ein paar Zeilen auf ein Blatt Briefpapier. Nachdem er sie erst genau selbst gelesen, bat er Mr. Noël Vanstone zu kommen und sie auch zu lesen.

– Vor wenigen Minuten, sagte der Hauptmann, indem er verbindlich lächelnd mit der Feder auf seinen Entwurf hinzeigte, hatte ich die Ehre einen frommen Betrug gegen Mrs. Lecount in Vorschlag zu bringen. Da ist er!

Er überließ seinen Stuhl am Schreibtisch seinem Gast. Mr. Noël Vanstone setzte sich und las folgende Zeilen:

 
Meine liebe Madame!

Seitdem ich Ihnen zuletzt geschrieben, hat Ihr Bruder, wie ich zu meinem Leidwesen melden muß, einen Rückfall bekommen. Die Krankheitserscheinungen sind so ernster Art, daß es meine persönliche Pflicht ist, Sie augenblicklich an sein Krankenlager zu rufen. Ich mache jede Anstrengung, um dem erneuten Fortschreiten der Krankheit Einhalt zu thun, und habe noch nicht alle Hoffnung auf Erfolg aufgegeben. Aber ich kann es vor meinem Gewissen nicht verantworten, Sie in Unbekanntschaft zu lassen mit der gefährlichen Verschlimmerung, welche in dem Befinden meines Patienten eingetreten ist, und die Von traurigen Folgen begleitet sein kann. Mit herzlicher Theilnahme verbleibe ich

Ihr u. s. w. u. s. w.

Hauptmann Wragge wartete mit einiger Spannung den Eindruck ab, den dieser Brief hervorbringen möchte. So niedrig denkend, selbstsüchtig und feig Mr. Noël Vanstone auch war, so konnte doch sogar er noch einiges Bedenken fühlen, solch eine Täuschung auszuführen, wie sie hier vorgeschlagen wurde, und zwar gegenüber einem Weibe, das zu ihm in dem Verhältniß stand, wie Mrs. Lecount. Sie hatte ihm treu gedient, so eigennützig ihre geheimen Zwecke dabei auch sein mochten, sie hatte seit seinen Knabenjahren schon das vollste Vertrauen seines Vaters besessen, sie stand jetzt unter dem Schutze seines Daches. Konnte er Das vergessen, und wenn er es nicht vergaß, konnte er so ohne Weiteres seine Hilfe bieten zu dem Plane, der ihm jetzt unter den Fuß gegeben ward? Hauptmann Wragge hatte unbewußt noch Glauben genug an die Menschheit bewahrt, um Dies zu bezweifeln. Zu seiner größten Verwunderung und – wie hinzugefügt werden muß – zu seiner Freude erwiesen sich seine Besorgnisse als durchaus unbegründet. Die einzigen Gefühle, welche in Mr. Noël Vanstones Brust beim Lesen des Briefes rege wurden, waren eine aufrichtige Bewunderung des Gedankens seines Freundes und ein eitles Verlangen, das ehrenvolle Zutrauen zu verdienen, daß er die Person sei, welche ihn ausführte. Es können alle Tage Beispiele von Narren gefunden werden, die keine Schurken sind, gelegentlich kann man wohl auch Narren auftreiben, die keine Schlauheit besitzen; aber mit Fug und Recht kann man Zweifel hegen, ob es irgendwo ein Beispiel von einem Narren giebt, der nicht grausam ist.

– Vortrefflich! rief Mr. Noël Vanstone und schlug in seine Hände. Mr. Bygrave, Sie sind so prächtig wie Figaro in der französischen Komödie. Da ich einmal vom Französischen spreche, es ist ein starker Fehler in diesem Ihren pfiffigen Briefe, er ist in der unrechten Sprache geschrieben. Wenn der Doktor an die Lecount schreibt, so schreibt er allemal französisch. Wollen Sie vielleicht, daß ich ihn übersetze? Sie können ohne meine Hilfe damit nicht zu Rande kommen, nicht wahr? Ich schreibe französisch so fließend als englisch. Jetzt sehen Sie mich 'mal an! Ich will ihn übersetzen, während ich hier sitze, mit zwei Federstrichen.

Er vollendete die Uebersetzung beinahe so rasch, als der Hauptmann die Vorlage ausgesetzt hatte.

– Warten Sie eine Minute! rief er in dem kritischen Hochgefühl, daß er noch einen Mangel an dem Entwurfe seines gescheidten Freundes entdeckte. Der Doctor datiert immer seine Briefe, hier steht kein Datum in dem Ihrigen.

– Ich überlasse das Datum Ihnen, sagte der Hauptmann mit sardonischem Lächeln. Sie haben den Fehler entdeckt, lieber Herr, bitte, verbessern Sie ihn auch!

Mr. Noël Vanstone sah im Geiste in die große Kluft, welche die Fähigkeit, etwas Falsches zu entdecken, von der Fähigkeit, auch ein Mittel zur Abhilfe zu erfinden, trennt, und lehnte nach dem Beispiele manches gescheidten Mannes ab, sich darüber hinaus zu wagen.

– Ich kann mir unmöglich diese Freiheit erlauben, sagte er höflich, vielleicht hatten Sie einen Grund, das Datum auszulassen.

– Vielleicht ja, versetzte Hauptmann Wragge in seinem leichtesten, launigsten Tone. Das Datum muß von der Zeit abhängen, die ein Brief braucht, bis er in Zürich ankommt. Ich habe darin keine Erfahrung, Sie aber müssen das von Ihres Vaters Zeit her noch recht gut wissen. Lassen Sie mich Ihrer Belehrung theilhaftig werden, und wir wollen das Datum hinzusetzen, bevor Sie den Schreibtisch verlassen.

Mr. Noël Vanstones Erfahrung war, wie Hauptmann Wragge richtig vorausgesetzt hatte, ganz maßgebend, um die Zeitfrage zu erledigen. Die Eisenbahnverbindungen des Festlandes waren (im Jahre achtzehnhundertsiebenundvierzig) noch dürftig, und ein zu jener Zeit von England nach Zürich abgeschickten Brief und von Zürich zurück nach England brauchte volle zehn Tage, um die doppelte Reise auf der Post zu machen.

– Datiren Sie den Brief auf Französisch fünf Tage voraus von morgen an, sagte der Hauptmann, als er belehrt worden war. Sehr gut. Das Nächste ist, mir des Doktors Brief zu verschaffen, sobald es Ihnen möglich ist. Ich werde genöthigt sein, einige Stunden zu arbeiten, ehe ich Ihre Uebersetzung in einer genauen Nachahmung der Handschrift des Doctors ausführen kann. Besitzen Sie etwas ausländisches Briefpapier? Lassen Sie mir einige Bogen zukommen und schicken Sie zugleich ein Couvert mit Adresse an eine jener Ihnen befreundeten Damen in Zürich, begleitet von der dringenden Bitte, den Einschluß zur Post zu geben. Das ist Alles, womit ich Ihnen beschwerlich fallen muß, Mr. Vanstone. Ich möchte um Alles nicht ungastlich erscheinen, aber je eher Sie mich mit meinen Unterlagen versehen können, einen desto größeren Gefallen werden Sie mir thun. – Wir verstehen doch einander vollkommen? Nachdem ich Ihre Bewerbung um die Hand meiner Nichte angenommen habe, gestatte ich eine heimliche Verheirathung in Erwägung der auf Ihrer Seite obwaltenden Umstände. Eine kleine harmlose Kriegslist ist nothwendig, um Ihre Absichten zu fördern. Ich erfinde die List auf Ihr Ersuchen, und Sie machen ohne das geringste Zaudern Gebrauch davon. Der Erfolg ist, daß Mrs. Lecount in zehn Tagen von morgen an gerechnet auf dem Wege nach der Schweiz sein, in fünfzehn Tageu von morgen ab in Zürich ankommen und den ihr gespielten Streich entdecken, darauf in zwanzig Tagen von morgen ab wieder zurück in Aldborough sein und auf ihrem Tische die Vermählungscarte ihres Herrn und ihren Herrn selbst auf der Hochzeitsreise abwesend finden wird. Ich habe es mit Zahlen ausgedrückt, um es klar auszudrücken. Gott befohlen. Guten Morgen!

– Ich habe doch morgen das Glück, Miss Bygrave zu sehen? sagte Noël Vanstone, indem er sich in der Thür umdrehte.

– Wir müssen vorsichtig sein, antwortete Hauptmann Wragge. Ich will das Morgen nicht abschlagen, aber ich mache keine weiteren Versprechungen darüber hinaus. Erlauben Sie mir, Sie zu erinneren, daß wir es noch zehn Tage mit Mrs. Lecount zu thun haben.

– Ich wollte, die Lecount läge aus dem Grunde der Nordsee! rief Mr. Noël Vanstone hitzig aus. Es ist für Sie leicht, es mit ihr zu thun zu haben, Sie wohnen nicht bei ihr. Was soll ich aber thun?

– Ich sage es Ihnen morgen, sprach der Hauptmann. Gehen Sie, um Ihren Morgenspaziergang allein zu machen, und sprechen Sie hier um zwei Uhr ein, wie Sie heute einsprachen Zugleich vergessen Sie nicht die Dinge, welche ich von Ihnen brauche. Siegeln Sie dieselbe in ein großes Couvert ein. Wenn Sie Das gethan haben, bitten Sie Mrs. Lecount mit Ihnen wie gewöhnlich auszugehen, und während sie oben ist, um ihren Hut aufzusetzen, schicken Sie das Mädchen zu mir herüber. Verstehen Sie? – guten Morgen!

Eine Stunde später kam das versiegelte Couvert mit den Inlagen richtig in Hauptmann Wragges Hände. Die doppelte Aufgabe, eine fremde Handschrift genau nachzumachen und Worte in einer fremden ihm wenig geläufigen Sprache richtig abzuschreiben, machte ihm mehr Schwierigkeiten, als er anfänglich gedacht hatte. Es war sieben Uhr, ehe die Arbeit, welche er unternommen hatte, glücklich vollendet, und der Brief nach Zürich zum Abschicken fertig war.

Ehe er zu Bett ging, machte er noch einen Spaziergang auf der einsamen großen Promenade, um die kühle Nachtlust zu genießen. Alle Lichter waren ausgelöscht in Villa Amsee, als er dorthin sah, außer dem Licht im Fenster der Haushälterin. Hauptmann Wragge schüttelte sein Haupt argwöhnisch. Er hatte gerade jetzt Erfahrungen genug gemacht, um Mrs. Lecounts Wachsamkeit das Schlimmste zuzutrauen.

Neuntes Capitel

Wenn Hauptmann Wragge hätte in Mrs. Lecounts Zimmer sehen können, während er auf der Promenade stand und das Licht in ihrem Fenster beobachtete, so würde er die Haushälterin in Gedanken gesunden haben, wie sie dasaß und ein werthloses kleines Stück braunes Zeug ansah, das aus ihrem Toilettentische lag.

Wie verzweifelt der Schluß auch sein mußte, Mrs. Lecount konnte sich nicht verhehlen, daß sie bis jetzt aus jedem Punkte ertappt und hinters Lichts geführt worden war. Was sollte sie zunächst thun? Wenn sie nach Pendril schickte, wenn er nach Aldborough kam – noch obendrein nur aus ein paar Stunden, die er sich abgemüßigt hatte, zu ihrer Verfügung – welchen bestimmten Weg sollte er einschlagen?… Wenn sie Mr. Noël Vanstone den eigentlichen Brief selbst zeigte, aus welchem ihr eigenes Briefchen abgeschrieben war, würde er sofort von der Schreiberin eine Erklärung fordern, würde die erdichtete Geschichte, durch welche Mrs. Lecount glücklich Miss Garth getäuscht hatte, ans Licht bringen und würde dann jedenfalls noch dazu auf das Zeugniß seiner eignen Augen hin erklären, daß die Probe mit den Kennzeichen auf dem Nacken platterdings fehlgeschlagen sei. Miss Vanstone die ältere, deren unerwartete Gegenwart in Aldborough Wunder gethan haben würde, deren Stimme in der Hausflur von Nordsteinvilla, selbst wenn sie nicht weiter vorgelassen würde, zu den Ohren ihrer Schwester gedrungen wäre und zu augenblicklichen Erfolgen geführt hätte – Miss Vanstone die ältere war außer Landes und kehrte aller Wahrscheinlichkeit wenigstens vor vier Wochen nicht zurück. Mrs. Lecount mochte den Weg, den sie bisher verfolgt hatte, noch so eifrig ins Auge fassen, sie vermochte nicht sich herauszufinden aus den angehäuften Schwierigkeiten, die sich ihrem Vorgehen entgegenstellten.

Andere Frauen würden in dieser Lage gewartet haben, bis die Umstände sich änderten und ihnen zu Gunsten ausschlügen. Mrs. Lecount ging kühn ihren Weg wieder zurück und beschloß, in einer neuen Richtung vorzudringen.

Indem sie für den Augenblick alle ferneren Versuche, die falsche Miss Bygrave als die wahre Magdalene Vanstone zu entlarven, aufgab, entschloß sie sich, den Kreis ihrer nächsten Bemühungen einzuschränken, die augenblickliche Frage von Magdalenens Persönlichkeit ganz aus dem Spiele zu lassen und sich schon zufrieden zu geben, wenn sie ihren Herrn von der einfachen Thatsache überzeugt haben werde, daß die junge Dame, welche ihn auf Nordsteinvilla so sehr bezaubern, und die verkleidete Frau, welche ihn auf der Vauxhallpromenade in Schrecken gesetzt habe, ein und dieselbe Person seien.

Die Mittel, um dies neue Ziel zu erreichen, waren allem Anscheine nach weit weniger leicht zu erhalten, als die zur Erreichung, des von Mrs. Lecount vorläufig jetzt ausgegebenen Zieles. Hier konnte von Anderen keine Beihilfe erwartet werden, keine anscheinend wohlwollenden Beweggründe konnten als Blendwerk vorgespiegelt, kein Aufgebot konnte an Mr. Pendril oder Miss Garth erlassen werden. Hier hing die einzige Aussicht der Haushälterin auf Erfolg lediglich zunächst davon ab, ob sie im Stande sein würde, einmal sich heimlich Eingang in das Haus zu verschaffen, und in zweiter Linie irgendwie herauszubekommen, ob jenes merkwürdige Alpacakleid, Von welchem sie heimlich ein Stückchen Zeug abgeschnitten hatte, zu Miss Bygraves Garderobe gehöre.

Indem Mrs. Lecount die Schwierigkeiten, die sie vor sich hatte, in der Reihenfolge, wie sie ihr entgegentraten, vornahm, beschloß sie zuvörderst die nächsten Tage dazu zu verwenden, um die Gewohnheiten der Bewohner von Nordsteinvilla von früh morgens bis spät in der Nacht zu beobachten und die Widerstandsfähigkeit des einzigen Dienstmädchens im Hause gegenüber der Versuchung einer Bestechung auf die Probe zu stellen. Indem sie nun annahm, daß der Erfolg ihre Bemühungen krönte und daß sie, sei es mit Geld oder durch eine List Eingang erlangte auf Nordsteinvilla – natürlich ohne Vorwissen Mr. Bygraves oder seiner Nichte, kam sie zunächst zu der zweiten Schwierigkeit, der nämlich, wie sie zu Miss Bygraves Kleiderschrein gelangen sollte.

Wenn das Dienstmädchen sich als bestechlich erwies, so konnten alle Hindernisse in dieser Richtung als von vorn herein beseitigt angesehen werden. Wenn sich aber das Mädchen als ehrlich und treu erwies, so war die neue Aufgabe nicht leicht zu erfüllen.

 

Lange und sorgfältige Erwägung der Frage brachte schließlich die Haushälterin zu dem kühnen Entschluß, sich, wenn sich mit dem Dienstmädchen Nichts anfangen ließe, eine Unterredung mit Mrs. Bygrave selbst zu verschaffen. Was war der eigentliche Grund, daß die Dame so geheimnißvoll eingeschlossen blieb? War sie eine Person von der unbedingtesten und unbequemsten Unbescholtenheit? oder eine Person, auf die man sich betreffs der Bewährung eines Geheimnisses nicht verlassen konnte? oder eine Person, die so abgefeimt als Mr. Bygrave selber war und die nur in Bereitschaft gehalten werde, um als Werkzeug einer neuen Täuschung zu dienen, welche erst noch kommen sollte? In den ersten beiden Fällen konnte sich Mrs. Lecount auf ihre eigene Kunst der Verstellung und die Erfolge, welche sie damit erzielen konnte, verlassen. Im letzten Falle konnte – wenn wirklich Nichts weiter erreicht wurde – es von äußerster Wichtigkeit für sie sein, einen neuen im dunkeln schleichenden Feind zu entdecken. Mochte es werden, wie es wollte, sie beschloß das Wagestück zu unternehmen. Von den drei Aussichten zu ihren Gunsten, auf welche sie zu Anfang des Kampfes gerechnet hatte, der Aussicht, Magdalene durch mündliche Rede zu verstricken, sie mit Beihilfe ihrer eigenen Freunde zu überlisten und endlich der Aussicht, sie mittelst Mrs. Bygrave ins Netz zu ziehen, waren bereits zwei versucht worden und waren beide fehlgeschlagen. Doch blieb die dritte, um sie zu versuchen, und die dritte konnte glücklich ausschlagen.

So schmiedete die Feindin des Hauptmanns in der Stille ihrer Kammer neue Pläne gegen ihn, während der Hauptmann draußen auf dem Strande stand und das Licht in ihrem Fenster beobachtete.

Den andern Morgen noch vor der Frühstücksstunde gab Hauptmann Wragge den gefälschten Brief mit eigener Hand nach Zürich auf. Er ging nach den Nordsteinen zurück, innerlich gar noch nicht recht einig mit sich über das gegenüber Mrs. Lecount in dem hochwichtigen Zeiträume der nächsten zehn Tage einzuhaltende Verfahren.

Zu seinem größten Erstaunen wurde seiner Ungewißheit über diesen Punkt plötzlich bei seiner Rückkehr nach Hause durch Magdalenen selbst ein Ende gemacht. Er fand sie, wie sie seiner wartete, in dem Zimmer, wo das Frühstück angerichtet war. Sie ging unruhig auf und ab, das Haupt auf ihren Busen gesenkt und das Haar unordentlich um die Schultern hängend. In dem Augenblick, als sie bei seinem Eintreten in die Höhe sah, fühlte der Hauptmann die Besorgniß, die Mrs. Wragge vor ihm gefühlt hatte, daß nämlich ihr Geist so gestört sein möchte, wie er schon einmal gestört war, als auf der Vauxhallpromenade Franks Brief an sie ankam.

– Kommt er heute wieder? frug sie, indem sie den Stuhl, den ihr der Hauptmann bot, mit solcher Heftigkeit fortstieß, daß sie ihn auf den Boden warf.

– Ja, sagte der Hauptmann, indem er ihr wohlweislich so kurz als möglich antwortete. Er wird um zwei Uhr kommen.

– Bringen Sie mich fort! rief sie aus und schüttelte ihr Haar wild aus dem Gesichte, bringen Sie mich fort, ehe er kommt. Ich kann das Entsetzen nicht verwinden, ihn heirathen zu müssen, so lange ich an diesem verhaßten Orte bin, bringen Sie mich wohin, wo ich es vergessen kann, sonst werde ich wahnsinnig! Lassen Sie mir zwei Tage Ruhe, zwei Tage fort von diesem schrecklichen Meere, zwei Tage aus dem Gefängniß dieses schrecklichen Hauses, zwei Tage irgendwo in der weiten Welt fort von Aldborough. Ich will mit Ihnen zurückkehren! Ich will es zu Ende führen! Geben Sie mir nur zwei Tage Ruhe vor diesem Manne und Allem, was mit ihm zusammenhängt!

– Hören Sie mich, Sie Schurke? rief sie, ergriff seinen Arm und schüttelte ihn in halb wahnsinniger Leidenschaft, ich bin nun gemartert genug, ich kann es nicht länger ertragen!

Hier gab es nur ein Mittel, sie zu beruhigen, und der Hauptmann ergriff es im Augenblicke.

– Wenn Sie versuchen wollen, sich zu fassen, sagte er, sollen Sie Aldborough binnen hier und einer Stunde verlassen.

Sie ließ seinen Arm los und lehnte sich schwer an die Wand hinter ihr.

– Ich will es versuchen, antwortete sie und rang nach Athem, sah ihn aber schon weniger wild an. Sie sollen nicht über mich zu klagen haben, wenn ich es vermeiden kann.

Sie machte noch immer verwirrt eine Bewegung, um ihr Taschentuch aus ihrer Schürzentasche zu nehmen und fand es nicht. Der Hauptmann nahm es statt ihrer heraus. Ihre Augen wurden sanft, und sie schöpfte freier Athem, als sie das Taschentuch von ihm empfing.

– Sie sind ein freundlicherer Mann, als ich dachte, sagte sie, ich bedanke, daß ich eben in der Leidenschaft zu Ihnen gesprochen habe, ich bedaure es sehr, recht sehr.

Die Thränen traten ihr ins Auge, und sie reichte ihm mit der angeborenen Anmuth und Huld aus der glücklicheren Zeit die Hand.

– Wir wollen wieder gute Freunde sein, sagte sie bittend. Ich bin ja nur ein Mädchen, Hauptmann Wragge, – ich bin ja nur ein Mädchen!

Er nahm schweigend ihre Hand, drückte sie einen Augenblick und machte dann die Thür auf, um sie wieder auf ihr Zimmer gehen zu lassen. Es war aufrichtiges Bedauern in seinem Angesicht, als er ihr diese kleine Aufmerksamkeit erzeigte. Er war ein Vagabund und ein Betrüger, sein Leben war ein niedriges, entwürdigtes und ränkevolles gewesen, – aber er hatte noch Gefühl und sie hatte den Weg gefunden zu den im ihm schlummernden Regungen, welche sogar die Selbstentheiligung eines Schwindlerlebens nicht ganz auszulöschen im Stande war.

– Hol der Henker das Frühstück! sagte er, als das Dienstmädchen hereinkam und nachfragte Gehen Sie sogleich nach dem Gasthause und bestellen Sie einen Wagen mit zwei Pferden in einer Stunde hierher vor die Thür.

– Er ging hinaus in den Gang, sein Gemüth noch immer in einem Grade und einer Weise aufgeregt, wie es an ihm ganz neu war, und rief heftiger denn je nach seiner Frau.

– Packe ein, was wir für eine Reise von einer Woche brauchen, und mach Dich in einer halben Stunde fertig!

Nachdem er diese Weisungen gegeben, kehrte er in das Frühstückszimmer zurück und sah auf den halb hergerichteten Tisch mit einem unbehaglichen Erstaunen über seine Abneigung, seine Mahlzeit abzuhalten.

– Sie hat mir die Schärfe meines Appetits genommen, sagte er zu sich mit einem gewaltsamen Lachen. Ich will eine Cigarre versuchen und einen Gang ins Freie machen.

Wenn er zwanzig Jahre jünger gewesen wäre, so würden diese Mittel bei ihm nicht angeschlagen haben. Aber wo ist ein Mann zu finden, dessen innere Politik der Revolution seines Herzens erliegen sollte, wenn er nämlich über die Fünfzig ist? Etwas Bewegung und Ortswechsel machten, daß der Hauptmann wieder zu sich selber kam. Er erhielt den verlorenen Geruch seiner Cigarre wieder und lenkte seine abschweifende Aufmerksamkeit wieder zurück auf die Frage seiner nahen Abreise von Aldborough. Nach einer Ueberlegung von wenigen Minuten fühlte sich sein Geist beruhigt, daß Magdalenens Ausbruch ihn dasjenige Verfahren einzuschlagen genöthigt habe, welches in säglicher Erwägung der bestehenden Verhältnisse einzuschlagen das Räthlichste war.

Hauptmann Wragges Erkundigungen an dem Abend, wo er und Magdalene auf Amsee Thee tranken, hatten ganz festgestellt, daß der Bruder der Haushälterin ein bescheidenes Auskommen hatte, daß seine Schwester seine nächste lebende Anverwandte war, daß es aber einige gewissenlose Vettern am Orte gab, welche die Stelle, welche mit Fug und Recht Mrs. Lecount zukam, sich anzumaßen strebten. Das waren starke Motive, welche die Haushälterin nach Zürich führen mußten, wenn der falsche Bericht von ihres Bruders Rückfall nach England gelangte. Wenn aber ein Gedanke von Noël Vanstones wahrem Verhältniß in derselben Zeit in ihr aufdämmerte, wer konnte sagen, ob sie nicht in der elften Stunde lieber ihren großen Geldanspruch an ihren Herrn im Auge behielt, als daß sie ihr kleines Geldinteresse an der Lagerstatt ihres Bruders wahren sollte? Während auf der einen Seite diese Frage unentschieden gelassen werden mußte, lag auf der andern die offenbare Notwendigkeit, das Wachsthum der Vertraulichkeit Noël Vanstones mit der Familie auf Nordsteinvilla möglichst zu hemmen, aus der platten Hand, und unter allen Mitteln, um diesen Zweck zu erreichen, konnte keines unverdächtiger sein, als die zeitweilige Entfernung des ganzen Haushaltes von seiner Wohnung zu Aldborough. Vollständig befriedigt von der Bündigkeit dieser Schlußfolgerung machte sich nun Hauptmann Wragge geradewegs nach Villa Amsee auf, um sich zu entschuldigen und Erklärung zu geben, ehe der Wagen kam, und die Abreise stattfand.