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Namenlos

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Sie machte einen Knix und ging hinaus.

– Wenn er in seinem Affenschädel nur ein wenig Grütze hätte, sprach sie auf dem Gange vor sich hin, was für ein ausgemachter Schurke würde er sein!

Sich selbst überlassen versank Mr. Noël Vanstone in eifrige Betrachtungen über die offen gelassene Stelle in dem Entwurfe der Anzeige Mrs. Lecounts auf den ersten Anschein überflüssiger Wink, in seinem Gelderbieten ja recht freigebig zu sein, wenn er mit sich eins sei, daß er doch Nichts geben wolle, war auf eine tiefe Kenntniß seines Charakters gegründet gewesen. Er hatte die schmutzige Liebe zum Gelde von seinem Vater geerbt, ohne jedoch zugleich auch den starrköpfigen Sinn und die Sicherheit seines Vaters in der Erkenntniß des passenden Gebrauches des Geldes mitzuerben. Der einzige Gedanke in Bezug auf das Geld, den er hatte, war der, es ja recht festzuhalten. Er war ein so eingefleischter Knicker, daß schon die bloße Möglichkeit, wenigstens dem Anschein nach freigebig zu sein, ihn in Schrecken setzte. Er nahm die Feder zur Hand und legte sie wieder hin. Er las den anonymen Brief wohl zum dritten Male und schüttelte darüber argwöhnisch mit dem Kopfe.

– Wenn ich nun diesem Menschen eine große Summe Geldes biete, dachte er plötzlich, wie kann ich wissen, ob er nicht doch ein Mittel findet, mich zu zwingen, sie ihm wirklich zu zahlen? Frauenzimmer sind immer vorlaut und schnell. Die Lecount ist auch immer schnell bei der Hand. Ich habe den Nachmittag vor mir – ich will den Nachmittag dazu verwenden, darüber nachzudenken.

Aergerlich legte er das Conceptbuch und den Entwurf der Anzeige auf den Stuhl, den Mrs. Lecount eben verlassen hatte. Als er zu seinem eignen Sessel zurückkehrte, schüttelte er seinen kleinen Kopf feierlich und schlug seinen weißen Schlafrock über die Kniee zusammen mit der Miene eines in eifrige Gedanken versunkenen Mannes. Minute auf Minute verrann, die halben und die Viertelstunden folgten einander auf dem Zifferblatte von Mrs. Lecounts Uhr, und noch blieb Mr. Noël in Ungewißheit befangen, noch immer wurde die Klingel des Empfangszimmers nicht in Bewegung gesetzt, um das Mädchen zu rufen.

* * * * * * * * * * *

Mittlerweile hatte Magdalene sich klüglich gehütet, auf ihre Wohnung zu über die Straße zu schreiten, und war erst, nachdem sie in der Nähe einen Umweg gemacht, zurückgekehrt. Als sie sich wieder auf der Vauxhallpromenade befand, war der erste Gegenstand, der ihre Aufmerksamkeit erregte, ein vor der Thür ihrer Wohnung haltender Cab. Als sie ein paar Schritte näher kam, sah sie die Tochter der Wirthin am Kutschenschlage stehen und sich mit dem Kutscher wegen des Fahrgeldes herumstreiten. Sowie Magdalene bemerkte, daß das Mädchen ihr den Rücken zukehrte, machte sie sich sofort diesen Umstand zu Nutze und schlüpfte unbemerkt ins Haus.

Sie eilte in dem Gange hin, stieg die Treppe hinan und stand plötzlich auf dem ersten Absatze ihrer Reisegefährtin gegenüber! Da stand Mrs. Wragge mit einem Haufen kleiner Päckchen auf den Armen, ängstlich auf das Ende des Streites mit dem Cabkutscher auf der Straße wartend. Umzukehren war unmöglich, der Klang der zornigen Stimmen unten näherte sich dem Gange im Hause. Zu zögern war noch schlimmer, als bloß unnöthig Nur eine Wahl blieb, die Wahl vorwärts zu gehen, und diese traf denn auch Magdalene in ihrer Rathlosigkeit Sie schob Mrs. Wragge bei Seite, ohne ein Wort zu sagen, lief in ihr Zimmer, warf ihren Mantel, den Hut und die Perrücke ab und schleuderte sie in den leeren Raum zwischen dem Sophabette und der Wand, wo sie Niemand sehen konnte.

In den ersten Augenblicken raubte das Erstaunen der guten Mrs. Wragge die Sprache, und sie blieb auf dem Flecke, wo sie stand, angewurzelt stehen. Zwei von den Gepäckstücken auf ihren Armen fielen auf die Treppe herunter. Der Anblick dieses Mißgeschicks richtete sie wieder auf.

– Diebe! schrie Mrs. Wragge, indem ihr plötzlich ein Gedanke durch den Kopf schoß, Die – be! Die – be!

Magdalene hörte sie durch die Thür, welche sie nicht Zeit genug gehabt hatte zuzumachen.

– Sind Sie es, Mrs. Wragge? rief sie hinaus mit ihrer Stimme. Was gibt es denn?

Sie nahm ein Handtuch, während sie sprach, tauchte es ins Wasser und fuhr damit rasch über den unteren Theil ihres Gesichts. Bei dem Klange der befreundeten Stimme wandte sich Mrs. Wragge um, ließ dabei ein drittes Päckchen fallen und stieg, ohne in ihrem Staunen darauf Acht zu geben, das zweite Treppenstück hinauf. Magdalene trat auf den Treppenabsatz des ersten Stockes hinaus mit dem Handtuch vor der Stirn, als ob sie Kopfweh habe. Ihre falschen Augenbraunen erforderten einige Zeit, ehe sie abgelöst werden konnten und ein augenblicklich vorgeschütztes Kopfweh gab den besten Vorwand ab, den sie eben gleich fand, um sie so vollständig zu verbergen, wie sie jetzt verdeckt waren.

– Warum bringen Sie das Haus in Aufregung? frug sie. Ich bitte Sie, seien Sie doch still. Ich kann vor Kopfschmerz kaum aus den Augen sehen.

– Ist ein Unglück geschehen, Madame? fragte die Wirthin aus dem Gange herauf.

– Gott behüte, versetzte Magdalene. Meine Freundin ist etwas furchtsamer Natur, und der Streit mit dem Kutscher hat sie erschreckt. Zahlen Sie dem Manne, was er verlangt, und lassen Sie ihn ziehen.

– Wo ist sie? fragte Mrs. Wragge, vor Furcht leise flüsternd. Wo ist das Weib, das an mir vorüber in Ihr Zimmer lief?

– Ach was! sagte Magdalene. Kein Weib ist an Ihnen vorüber gelaufen, wie Sie es nennen. Sehen Sie herein und suchen Sie es selbst.

Sie machte die Thür weit auf. Mrs. Wragge schritt in das Zimmer, sah sich überall um, erblickte Niemand und drückte nun ihr bodenloses Erstaunen über dieses Ergebniß dadurch aus, daß sie ein Viertes Päckchen fallen ließ und kläglich zitterte vom Wirbel bis zur Zehe.

– Ich sah sie aber doch hineingehen, sagte Mrs. Wragge in schreckergriffenem Tone. – Ein Weib in einem grauen Mantel und mit einem Schaufelhut – Ein grobes Weib. – Es lief an mir auf der Treppe vorbei, ja das that es. Hier ist das Zimmer und kein Weib darinnen. Geben Sie mir ein Gebetbuch! rief Mrs. Wragge, wurde todtenbleich und ließ ihre ganze übrige Packerei vollends fallen, als wollte sie ein Füllhorn leeren.

– Ich muß etwas Gutes lesen. Ich muß an mein letztes Stündlein denken. Ich habe einen Geist gesehen.

– Unsinn! sagte Magdalene Sie sind im Traume; das Einkaufen hat Sie zu sehr angegriffen. Gehen Sie in Ihr Zimmer und setzen Sie Ihren Hut ab.

– Ich habe wohl von Geistern in Nachtgewändern erzählen hören, von Geistern in Betttüchern und von Geistern in Ketten, fuhr Mrs. Wragge fort und stand dabei12 inmitten des Zauberkreises der am Boden verzettelten Leinwandpackereien wie festgebannt still. Hier ist aber ein Geist, schlimmer als jene insgesamt: ein Geist in einem grauen Mantel und mit einem Schaufelhute. Ich weiß es ja wohl, was es ist, fuhr Mrs. Wragge in reu- und wehmüthige Thränen ausbrechend fort, es ist ein Strafgericht für mich, weil ich mich so glücklich fühlte, da ich vom Hauptmann so weit weg bin. Es ist ein Strafgericht für mich, weil ich mit übergetretenen Schuhen in den Läden von halb London gewesen bin, erst an dem einen Schuh, dann auch an dem andern, und zwar die ganze Zeit über, wo ich aus war. Ich bin ein gar sündhaftes Geschöpf. Lassen Sie mich nicht allein gehen, was Sie auch thun mögen, lassen Sie mich nicht allein gehen!

Sie faßte Magdalenen fest am Arme und fing beim bloßen Gedanken, daß sie allein bleiben sollte, aufs Neue zu zittern an.

Das Einzige, das hier zu thun übrig blieb, war, sich den Umständen zu fügen. Magdalene brachte Mrs. Wragge zu einem Stuhle, nachdem sie denselben erst so gestellt hatte, daß sie ihrer Reisegefährtin so lange den Rücken kehren konnte, als sie mit etwas Wasser die falschen Augenbraunen ablöste.

– Warten Sie ein Weilchen, sagte sie, und sehen Sie zu, ob Sie sich beruhigen können, während ich meinen Kopf naß mache.

– Mich beruhigen? wiederholte Mrs. Wragge. Wie soll ich mich beruhigen, wenn mein Kopf so brummt, als wollte er mir zerspringen. Das schlimmste Schwirren und Sausen, das ich je über, das Kochbuch bekommen habe, war ein Spaß gegen das Sausen, das ich jetzt über den Geist bekommen habe. Ach, das ist ein klägliches Ende eines Festtages für mich! Sie können mich wieder zurücknehmen, meine Liebe, wann es Ihnen beliebt – ich habe bereits genug daran!

Als Magdalene endlich mit den Augenbraunen fertig war, so hatte sie nun Zeit, den unglücklichen Eindruck, den das Gemüth ihrer Gefährtin erfahren hatte, mit allen Mitteln der Ueberredungskunst zu bekämpfen, welche ihr Scharfsinn ihr eingab.

Der Versuch erwies sich als vergeblich. Mrs. Wragge beharrte bei dem Glauben, daß sie auf übernatürliche Weise einen Besuch aus der Geisterwelt erhalten habe, freilich auf Grund eines so thatsächlichen Beweises, welcher im Vorbeigehen gesagt gar mancher gescheidteren Geisterseherin genügt haben würde. Alles was Magdalene thun konnte, war, sich durch vorsichtige Fragen zu vergewissern, daß Mrs. Wragge nicht rasch genug gewesen war, zu erkennen, daß der angebliche Geist und die alte nordenglische Dame in der »Unterhaltung« ein und dieselbe Person waren. Als sie sich in diesem Betracht beruhigt hatte, konnte sie alles Uebrige nur der natürlichen Unfähigkeit, Eindrücke festzuhalten, wenn solche nicht beständig erneuert wurden, überlassen, welche eine von den bezeichnenden Schwächen im Charakter ihrer Reisegefährtin war. Nachdem sie Mrs. Wragge durch die wiederholte Versicherung aufgerichtet, daß eine einmalige Erscheinung nach Gesetz und Herkommen der Geisterwelt gar Nichts zu bedeuten habe, wenn nicht unmittelbar zwei andere daraus folgten, nachdem sie ruhig ihre Aufmerksamkeit auf die in der Hausflur und auf der Treppe verlorenen Packereien hingelenkt und ihr versprochen hatte, die Verbindungsthür zwischen den beiden Zimmern halboffen zu lassen, falls sie, Mrs. Wragge, ihrerseits sich anheischig mache, in ihre Kammer zu gehen und kein Wort mehr von dem entsetzlichen Gegenstande, der Geistererscheinung, zu sagen —: verschaffte sie sich endlich Gelegenheit, über die Ereignisse des merkwürdigen Tages ungestört nachzudenken.

 

Zwei ernste Folgen hatten sich an ihren ersten Schritt geknüpft. Mrs. Lecount hatte sie dabei ertappt, wie sie mit ihrer eigenen Stimme sprach, und der unglückliche Zufall hatte sie in ihrer Verkleidung mit Mrs. Wragge zusammengeführt.

– Welchen Vortheil hatte sie gewonnen, um ihn gegen dies Mißgeschick in die Waagschale legen zu können? Den Vortheil, daß sie nun Von Noël Vanstone und von Mrs. Lecount mehr wußte, als sie vielleicht in Monaten entdeckt hätte, wenn sie sich nur auf Nachforschungen Anderer hätte verlassen müssen. Eine Ungewißheit, die sie bisher beunruhigt und gestört hatte, war nun bereits beseitigt. Der Plan, welchen sie insgeheim gegen Michael Vanstone ausgedacht hatte und den Hauptmann Wragges scharfe Spüraugen bereits zum Theil durchschaut hatten, als sie ihm zuerst anzeigte, daß ihre Theilhaberschaft jetzt aufgelöst werden müsse, mußte ausgegeben werden, weil er bei Michael Vanstones Sohne nicht anschlagen würde, Das sah sie klar ein. Die Gewohnheit seines Vaters, zu speculiren, war der Angelpunct gewesen, um welchen das ganze Rüstwerk ihrer ausgedachten Verschwörung sich zu drehen berechnet war. In dem doppelt schmutzigen Charakter des Sohnes war kein solcher handhafter Punkt zu entdecken. Mr. Noël Vanstone war gerade auf dem Punkte unverwundbar, aus welchem sein Vater anzugreifen gewesen wäre.

Wenn sie nun zu diesem Schlusse gekommen war, wie sollte sie ihr künftiges Verhalten einrichten? Welche neuen Mittel konnte sie ausfindig machen, um trotz der arglistigen Wachsamkeit der Mrs. Lecount und Noël Vanstones knauserigem Mißtrauen dennoch ihren Zweck zu erreichen?

Sie saß vor dem Spiegel und kämmte in tiefen Gedanken ihr Haar, während diese höchst wichtigen Erwägungen ihren Geist beschäftigten. Die Aufregung des Augenblicks hatte ihr Fieberglut in die Wangen getrieben und ihre großen grauen Augen glänzend gemacht. Sie war sich bewußt, daß sie schöner als je aussah, wußte, daß ihre Schönheit nach der Entfernung der Verkleidung durch den Gegensatz gewann. Ihr liebliches lichtbraunes Haar sah dichter und weicher aus als je zuvor, jetzt da es befreit war von der häßlichen Umhüllung durch die graue Perrücke. Sie flocht es bald so, bald so mit raschen, geschickten Fingern, sie ließ es schwer über ihre Schultern fallen, sie warf es wieder hinter dieselben in einen Haufen und wandte sich seitwärts um zu sehen, wie es fiel, um ihren Rücken und ihre Schultern befreit von der künstlichen Entstellung durch den wattierten Mantel zu sehen. – Einen Augenblick darauf schaute sie wieder gerade in den Spiegel hinein, begrub ihre beiden Hände in ihrem Haar und sah mit den Ellenbogen auf dem Tische näher und immer näher auf das Spiegelbild ihrer selbst hin, bis ihr Athem das Glas trübe machte.

– Ich kann jeden Mann um den Finger wickeln, dachte sie und lächelte dabei Siegesstolz, so lange ich mein Aussehen behalte! Wenn der verächtliche Elende mich jetzt sähe…

Sie scheute sich, ihren Gedanken zu Ende zu führen, mit einem plötzlichen Schauder vor sich selbst und wandte sich bebend und die Hände vor das Gesicht drückend vom Spiegel weg.

– Ach, Frank, murmelte sie, nur um Deinetwillen, welch ein Geschöpf könnte ich werden!

Mit begierigen Fingern zog sie die kleine weißseidene Tasche aus ihrem geheimen Versteck in ihrem Busen, ihre Lippen bedeckten ihn mit stillen heißen Küssen.

– Mein Liebling, mein Engel! Ach, Frank wie lieb’ ich Dich!

Die Thränen traten ihr ins Auge. Sie trocknete sie hastig, steckte das Täschchen wieder an seinen Platz und wandte dem Spiegel den Rücken.

– Nichts weiter von mir selbst, dachte sie, Nichts weiter heute von meinem tollen, elenden Ich!

Indem sie sich vor jeder weiteren Ueberlegung ihres nächsten Schrittes scheute, sich scheute Vor dem Gedanken an die immer dunkler werdende Zukunft, mit welcher nunmehr Noël Vanstone in ihren geheimsten Gedanken in Verbindung gesetzt ward, sah sie sich ungeduldig im Zimmer nach irgend einer häuslichen Beschäftigung um, mit welcher sie gleichsam vor sich selber flüchten könnte. Der Verkleidungsanzug, den sie zwischen die Wand und das Bett geworfen hatte, kam ihr wieder in den Sinn. Es war unmöglich, ihn dort zu lassen. Mrs. Wragge, die jetzt dabei war, ihre Packereien auszusuchen und zu ordnen, konnte endlich ihrer Beschäftigung müde werden und jeden Augenblick zurückkommen an das Bett treten und den grauen Mantel sehen. Was sollte damit werden?

Ihr erster Gedanke war, die Verkleidung in ihre Reisetasche zurückzuthun. Allein nach Dem, was geschehen war, war es mißlich, dieselbe so nahe bei sich zu behalten, wo sie und Mrs. Wragge unter demselben Dache beisammen waren. Sie beschloß, sich derselben noch denselben Abend zu entledigen, und wollte sie kühnlich nach Birmingham zurückschicken. Ihre Hutschachtel paßte in ihre Reisetasche Sie nahm dieselbe heraus, warf die Perrücke und den Mantel hinein und drückte ohne Erbarmen den Hut oben darauf platt zusammen. Der Rock, den sie noch nicht ausgezogen hatte, war ihr gewöhnlicher; Mrs. Wragge hatte sie schon oft darin gesehen, es war nicht nöthig, denselben mit zurückzuschicken. Ehe sie die Schachtel zumachte, schrieb sie hastig folgende Zeilen auf ein Blatt Papier:

– Ich nahm aus Versehen die inliegenden Sachen mit fort. Heben Sie mir dieselben gefälligst mit meinem übrigen Gepäck in Ihrer Verwahrung auf, bis Sie wieder von mir hören.

Indem sie das Papier auf den Hut oben drauf legte, adressierte sie die Schachtel an Hauptmann Wragge zu Birmingham, trug sie sofort hinunter und schickte die Tochter der Wirthin damit zu der nächsten Annahmestelle (Receiving Please) fort.

– Diese Schwierigkeit wäre erledigt, dachte sie, als sie wieder auf ihr Zimmer hinaufging.

Mrs. Wragge war noch damit beschäftigt, ihre Packereien aus ihrem engen, kleinen Bette zu ordnen. Sie drehte sich mit einem leisen Schrei um, als Magdalene zu ihr hineinschaute.

– Ich dachte, es wäre wieder der Geist, sagte Mrs. Wragge. Ich werde mir zur Warnung dienen lassen, was mir begegnet ist. Ich habe alle meine Packereien hübsch gerade gestellt, wie es der Hauptmann gern sehen würde. Ich bin ordentlich in meinen beiden Schuhen; wenn ich heute Nacht meine Augen schließe, was mir wohl kaum möglich sein wird, will ich so gerade liegen, als meine Beine es nur gestatten. Ich will auch nie wieder einen freien Tag haben, so lange ich lebe. Ich hoffe, es wird mir Vergeben werden, sagte Abs. Wragge, indem sie betrübt das Haupt schüttelte. Ich hoffe in Demuth, es wird. mir vergeben werden.

– Vergeben! wiederholte Magdalene. Wenn anderen Frauen so wenig vergeben zu werden brauchte, als Ihnen, dann stände es gut, sehr gut! Wollen Sie nicht ein paar von diesen eingepackten Sachen aufmachen? Wohlan! Ich möchte sehen, was Sie heute eingekauft haben.

Mrs. Wragge zögerte, seufzte zerknirscht, besann sich ein Weilchen, streckte dann ihre Hand furchtsam nach einem von den Packeten aus, dachte aber sogleich wieder an die Mahnung ans der Geisterwelt und bebte vor ihren eigenen Einkäufen zurück mit einer verzweifelten Anstrengung, sich selbst zu beherrschen.

– Machen Sie, Dies hier auf, sagte Magdalene, um sie zu ermuthigen, was ist da drin?

Mrs. Wragges blaue Augen fingen an ein klein wenig glänzend zu werden, trotz ihrer Zerknirschung, allein sie schüttelte mit Seibstverleugnung den Kopf. Die große Leidenschaft für das Einkaufen mochte wieder ihre Rechte fordern, aber noch war ihr der Geist nicht aus den Gedanken gewichen.

– Haben Sie es wohlfeil eingekauft? frug Magdalene vertraulich.

– Spottwohlfeil, rief die arme Mrs. Wragge und fiel mit dem ganzen Leibe in die ihr gelegte Schlinge, indem sie dabei das Packet mit den Blicken verschlang, als ob Nichts vorgefallen wäre.

Magdalene hielt sie im Geplauder über die Einkäufe eine Stunde und noch länger fest und entschloß sich dann sehr klüglich, ihre Aufmerksamkeit von allen Gespenstererinnerungen durch einen Spaziergang mit ihr abzulenken.

Als sie die Wohnung verließen, öffnete sich drüben die Thür von Noël Vanstones Hause, und das Dienstmädchen erschien, um abermals einen Gang zu verrichten. Sie war dies Mal ersichtlich mit einer Briefbesorgung betraut, da sie sorgfältig ein Schreiben in der Hand trug. Magdalene, die sich bewußt war, selber noch keinen Plan gefaßt zu haben, weder zu Trutz noch zu Schutz, war mit einer augenblicklichen Furcht verlänglich zu wissen, ob denn Mrs. Lecount sich schon entschlossen hätte, neue Beziehungen anzuknüpfen, und ob der Brief etwa an »Miss Garth« gerichtet sei.

Der Brief trug keine solche Adresse. Mr. Noël Vanstone hatte endlich seine verzwickte Geldfrage entschieden. Die offen gelassene Stelle in der Anzeige war ausgefüllt, und Mrs. Lecounts Annahme der anonymen Warnung des Hauptmann Wragge war nun unterwegs, um in die »Times« gerückt zu werden.

Sechstes Buch
Aus Hauptmann Wragges und Magdalenes Familienpapieren

I
(Auszug aus dem Inseratentheile der »Times«)

»EIN UNBEKANNTER FREUND« wird ersucht, mittelst Ankündigung eine Adresse anzugeben, unter der ein Brief ihn finden kann. Für die Mittheilung, die er anbietet, wird er bei Empfang belohnt werden durch eine Zahlung von
Fünf PFUND

II
Hauptmann Wragge an Magdalene

Birmingham, den 2. Juli 1841
Liebe Magdalene!

Der Koffer mit den Stücken des Anzuges, den Sie irrthümlicherweise mitgenommen haben, ist richtig in meine Hände gelangt. Ich werde denselben so lange bestens aufheben, bis ich wieder von Ihnen höre.

Ich ergreife diese Gelegenheit, um Ihnen noch ein Mal die Versicherung zu geben, daß ich Ihren Interessen allezeit unwandelbar und treu dienen werde. Ohne gerade zu versuchen, mich in Ihr Vertrauen einzudrängen, darf ich mir wohl erlauben zu fragen, ob Mr. Noël Vanstone sich hat bereit finden lassen, Ihnen gerecht zu werden? Ich fürchte nur zu sehr, daß er sich dessen geweigert hat, für welchen Fall ich – die Hand aufs Herz – feierlich erkläre, daß seine niedrige Denkungsart mich empört. Warum habe ich die Ahnung, daß Sie sich vergebens an ihn gewendet haben? Warum muß ich mich dabei ertappen, daß ich diesen Menschen eigentlich recht wie ein schädliches Geschmeiß betrachte? Wir sind einander durchaus fremd; ich weiß von ihm nicht mehr als Das, was ich bei Gelegenheit der für Sie eingezogenen Erkundigungen über ihn in Erfahrung brachte. Hat mein inniges Mitgefühl für Alles, was Sie betrifft, mir die Gabe der Weissagung verliehen? Oder um es phantastisch auszudrücken: gibt es wirklich Etwas wie eine Vorexistenz der Seele? Und hat Mr. Noël Vanstone mich vielleicht schon einmal tödtlich beleidigt, nämlich auf einem andern Himmelskörper?

Ich schreibe, liebe Magdalene, wie Sie sehen, mit meinem gewöhnlichen Humor. Aber es ist mein voller Ernst, meine Dienste ganz zu Ihrer Verfügung zu stellen. Was die Bedingungen anbetrifft, so machen Sie sich keinen Augenblick darüber Gedanken. Ich nehme von vornherein jede Bedingung an, welche Sie mir zu gewähren für gut finden. Wenn Ihre Pläne darauf abzielen, so bin ich bereit, Mr. Noël Vanstone in Ihrem Interesse so lange zu pressen, bis ihm das Gold aus allen Poren schwitzt. Verzeihen Sie das unartige Gleichniß! Mein Eifer, Ihnen nützlich zu werden, macht sich in Worten Luft, legt Ihnen dieselben im Rohzustande zu Füßen und überläßt es Ihrem Geschmacke, dieselben mit dem gewähltesten Wortschmuck der englischen Sprache zu verbrämen?

Wie geht es meiner unglücklichen Frau? Ich muß leider fürchten, daß es Ihnen unmöglich fallen wird, ihr das Uebertreten der Schuhe abzugewöhnen und ihre persönliche Erscheinung mit den ewigen Gesetzen des Ebenmaßes und der Ordnung in inklang zu bringen. Versucht sie, mit Ihnen vertraulich zu werden? Ich habe mich immer gewöhnt, sie in dieser Hinsicht in einer gewissen Entfernung zu halten. Sie hat mich niemals anders als Hauptmann anreden dürfen, und bei den seit unserer Verheirathung nur selten vorkommenden Gelegenheiten» wenn sie durch Umstände veranlaßt war, mir zu schreiben, wurde ihre Eingangsformel der Anrede streng auf ein »Lieber Herr« beschränkt. Nehmen Sie diese kleinen Familiengeheimnisse als nutzbare Winke auf, welche Ihnen in dem Umgange mit Abs. Wragge zu Statten kommen werden, und betrachten Sie mich, der ich mit ängstlicher Spannung auf neue Nachricht von Ihnen harre, als

 

Ihren aufrichtig ergebenen

Horatio Wragge.
12wie Max im »Freischütz«