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Mann und Weib

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Mr. Vanborough reichte ihr seinen Arm und führte sie hinaus. Im Zimmer herrschte Todtenstille. Mrs Vanborough folgte den Fortgehenden mit demselben furchtbar starren Blick, bis sich die Thür hinter ihnen schloß. Der Advokat, der sich nun mit der verleugneten und verlassenen Frau allein befand, legte den werthlosen Schein schweigend auf den Tisch. Eine kurze Weile hatte sie abwechselnd auf den Schein und auf ihn geblickt, als sie plötzlich, ohne einen Schrei auszustoßen und ohne daß sie einen Versuch gemacht hätte, sich aufrecht zu erhalten, bewußtlos dicht vor ihm zu Boden sank.

Er hob sie auf und legte sie, in der Erwartung, daß Vanborough gleich wieder kommen werde, auf das Sopha. Bei dem Anblick ihres, noch in diesem Zustande der Bewußtlosigkeit schönen Gesichts, mußte selbst dieser Mann in seiner unerschütterlichen Kälte sich gestehen, daß ein hartes Schicksal diese Frau betroffen habe.

Aber die Verantwortlichkeit dafür hatte allein das Gesetz zu tragen.

Draußen ließ sich das Rollen eines Wagens vernehmen. Lady Jane fuhr weg. Delamayn fragte sich, ob der Mann dieser unglücklichen Frau zurückkommen werde; der Mann dieser Frau! So mächtig ist die Gewohnheit, selbst Delamayn sah trotz des Gesetzes und des eben Vorgefallenen noch immer in Vanborough den Mann dieser Frau.

Aber er kam nicht! Eine Minute nach der andern verging und noch immer erschien er nicht.

Es schien nicht gerathen, das Haus zu arlarmiren. Nur ungern mochte er allein die Verantwortlichkeit dafür übernehmem daß die Dienstboten von Dem, was vorgefallen war, Kenntniß erhielten. Aber noch immer lag sie bewußtlos da. Die kühle Abendluft drang durch das geöffnete Fenster in’s Zimmer und bewegte die leichten Bänder ihrer Spitzenhaube und die kleine Haarlocke, die sich gelöst hatte und auf den Hals herabhing. Da lag sie, das Weib, das Vanborough geliebt hatte, die Mutter seines Kindes.

Endlich mußte Delamayn sich entschließen, Hilfe herbeizurufen. Aber in dem Augenblick, wo er sich anschickte, die Glocke zu ziehen, wurde die Stille dieses Sommerabends noch einmal unterbrochen. Wieder ließ sich das Rolleii eines Wagens vernehmen, der sich rasch dein Hause näherte und plötzlich hielt.

War es Lady Jane, die zurückkam?

War es Vanborough?«

Die Hausglocke wurde stark angezogen, die Thür öffnete sich rasch und das Rauschen weiblicher Kleidung ließ sich auf dem Corridor vernehmen. Die Thür des Zimmers öffnete sich und eine Dame trat ein. Nicht Lady Jane, sondern eine Fremde, die um viele Jahre älter war, als Lady Jane. Eine Frau, die vielleicht zu andern Zeiten häßlich erschienen wäre, die aber jetzt in der Freude, die ihr Gesicht. verklärte, fast schön aussah.

Bei dem Anblick der bewußtlosen Gestalt auf dem Sopha eilte sie mit einem Schrei des Entsetzens auf dieselbe zu. Sie sank auf die Knie, drückte. das hilflose Haupt an ihr Herz und bedeckte die kalten, bleichen Wangen mit schwesterlichen Küssen.

»O, mein Herz!« rief sie, müssen wir uns so wiedersehen?«

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Ja, nach den langen, seit dem Abschiede in der Schiffskajüte verflossenen Jahren, sahen sich die beiden Schulfreundinnen zum ersten Male so wieder.

Zweiter Theil.
Der Gang der Ereignisse

V

Das Vorspiel geht von dem Zeitpunkt der zuletzt geschilderten Begebenheiten im Sommer 1855 zu einem zwölf Jahre späteren Zeitpunkt über, nachdem die Erlebnisse der mit dem Trauerspiel in der Villa zu Hampstead verknüpften Personen rasch vor den Augen des Lesers vorüber geführt sind, und derselbe bis an die Schwelle der Erzählung, die im Frühjahr 1868 beginnt, geleitet sein wird.

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Zu melden ist zunächst die Verheirathung des Mr. Vanborough mit Lady Jane Parnell. – — Drei Monate nach jenem denkwürdigen Tage konnte Vanborough, nachdem er von seinem Advokaten die Gewißheit erlangt hatte, daß er ein freier Mann sei und daß die Gesetzgebung Großbritanniens seinen schmählichen Verrath sanctionire, die Frau, deren Besitz er erstrebt hatte, sein eigen nennen.

Er wurde in’s Parlament gewählt, er gab, Dank der Stellung seiner Frau, sechs der größten Diners und zwei der fashionabelsten Bälle in der Saison; seine erste Rede im Unterhause wurde beifällig aufgenommen; er stiftete eine Kirche in einer armen Gegend der Nachbarschaft; er schrieb einen Artikel in einer Vierteljahrsschrift, der die allgemeine Aufmerksamkeit aus sich zog; er entdeckte und denuncirte einen schreienden Mißbrauch in der Verwaltung einer öffentlichen Wohlthätigkeitsanstalt und bewirkte dessen Abstellung; er konnte – ebenfalls Dank der Stellung seiner Frau – während der Herbstferien auf seinem Landhause unter seinen Gästen ein Mitglied der königlichen Familie begrüßen. Das waren seine Triumphe, das seine Fortschritte auf dem Wege zum Oberhause während der ersten Jahre seiner Ehe mit Lady Jane.

Es gab nur noch eine Gunst, welche das Glück seinem Schooßkind gewähren konnte, und auch diese Gunst gewährte es ihm. So lange die Frau, die er verleugnet und verlassen hatte, am Leben war, haftete ein Makel an Vanborough’s vergangenem Leben. Gegen Ende des ersten Jahres aber starb diese Frau und der Makel war getilgt.

Sie hatte die ihr angethane schimpfliche Beleidigung mit seltener Geduld, mit bewundernswerthem Muthe hingenommen. Man darf Vanborough die Anerkennung nicht versagen, daß er ihr Herz unter strengster Beobachtung der Gebote der Schicklichkeit brach. Er ließ ihr durch seinen Advokaten ein sehr anständiges Jahrgehalt für sie und ihre Tochter anbieten. Sie lehnte das Anerbieten, ohne sich einen Augenblick zu bedenken, ab. Sie wollte weder seinen Namen mehr tragen, noch sein Geld annehmen. Unter dem Namen, den sie als Mädchen getragen und der sie in der Kunstwelt berühmt gemacht hatte, waren Mutter und Tochter von nun an allen Denen bekannt, die es noch der Mühe werth hielten, sich um sie zu kümmern, seit sie in stiller Verborgenheit lebten.

Es war kein falscher Stolz in dieser Haltung, zu der sie sich entschloß, nachdem ihr Gatte sie verlassen hatte. Mrs. Silvester, wie sie sich jetzt nannte, nahm die Unterstützung der theuren alten Freundin, die sie in ihrem Unglück wiedergefunden hatte, und die ihr bis an das Ende ihres Lebens treu blieb, für sich und ihre Tochter Anne dankbar an.

Sie lebten bei dieser Freundin Lady Lundie, bis Mrs. Silvester sich stark genug fühlte, ihren künftigen Lebensplan, ihr Brot als Gesanglehrerin zu verdienen, zur Ausführung zu bringen. Dem äußern Anschein nach erholte sie sich und war nach Verlauf weniger Monate wieder ganz die Alte. Sie kam in ihrem neuen Beruf sehr gut fort, überall erwarb sie sich Sympathie, Vertrauen und Achtung, als plötzlich im Beginn ihrer neuen Laufbahn ihre Kräfte zu schwinden anfingen. Niemand wußte sich ihren Zustand zu erklären. Selbst die Aerzte waren verschiedener Ansichten. Medicinisch gesprochen, war kein Grund dieser verzehrenden Krankheit erfindlich, und für die Männer der Wissenschaft war es eine reine Redensart, wenn Lady Lundie erklärte, ihre Freundin habe den Todesstoß an dem Tage erhalten, wo ihr Gatte sie verlassen habe. Fest stand nur die Thatsache, die man sich erklären mag wie man will, daß Mrs. Silvester ungeachtet nicht nur der Anwendung aller physischen Mittel, sondern auch des ganzen Aufgebots ihrer Energie und des muthigen Entschlusses, für ihr Kind zu leben, hinsiechte und starb.

In den letzten Tagen ihrer Krankheit fing ihre Geisteskraft nachzulassen an. Die Jugendfreundin, die an ihrem Bette saß, hörte sie reden, als ob sie sich in jene Stunde des Abschieds in der Schiffskajüte zurückversetzt glaube. Die arme Sterbende hatte in ihrer Stimme wieder den Ton und in ihrem Auge fast wieder den Blick, wie in jener Stunde, in der die beiden Mädchen sich getrennt hatten, um so verschiedene Lebenswege zu betreten. »Liebste Freundin«, sagte sie, »wir wollen uns mit all’ der alten Liebe im Herzen wiedersehen«, und sprach diese Worte genau in demselben Ton, wie sie diese vor fast einem Menschenalter gesprochen hatte. Aber vor ihrem Ende erlangte sie wieder ein völlig klares Bewußtsein. Sie überraschte den Arzt und die Wärterin durch die freundlich ausgesprochene Bitte, das Zimmer zu verlassen. Als sie und Lady Lundie allein waren, sah sie diese an, als ob sie plötzlich aus einem Traum erwache und sich ihres Zustandes wieder klar bewußt werde.

»Blanche!« sagte sie, »willst Du Dich meines Kindes annehmen?«

»Sie soll mein Kind sein, Anne, wenn Du uns verlassen hast.«

Die Sterbende hielt inne und schien einen Augenblick nachzudenken. Plötzlich fing sie an zu zittern. »Im strengsten Vertrauen«, sagte sie, »ich fürchte für mein Kind.«

»Warum das?«

»Ist nicht Anne mein vollkommenes Ebenbild?«

»Ja.«

»Liebt sie nicht Dein Kind wie ich Dich geliebt habe?«

»Ja.«

»Sie trägt nicht den Namen ihres Vaters, sondern den meinigen. Ist sie nicht Anne Silvester, wie ich es gewesen bin? – Blanche! Wird sie auch enden wie ich?«

Sie that diese Frage mit dem schweren Athem und dem Lallen der Zunge, welche den nahen Tod verkünden. Die Freundin fühlte sich aufs tiefste erschüttert.

»Wie kommst Du auf solche Gedanken?« rief sie entsetzt »Um Gotteswillen, denke so etwas nicht!«

»Die Augen der Sterbenden nahmen wieder den Ausdruck der Bewußtlosigkeit an. Sie versuchte, eine ungeduldige Handbewegung zu machen. Lady Lundie beugte sich über sie und vernahm die kaum hörbar geflüsterten Worte »Richte mich auf!«

Als sie nun in den Armen ihrer Freundin lag und in deren Augen blickte, kam sie wieder auf ihre qualvolle Angst vor dem Schicksal ihres Kindes zurück.

»Laß sie nicht erzogen werden wie ich! Sie muß Gouvernante werden, sie muß ihr Brod verdienen. Laß sie nicht Schauspielerin, nicht Sängerin werden! Laß sie nicht auf die Bühne gehen!« Sie hielt inne, aber plötzlich fügte sie mit einem Lächeln und mit einer Stimme, deren Anmuth an frühere Zeiten erinnerte, die einst als Mädchen gesprochenen Worte hinzu: »Gelobe es mir, Blanche! Lady Lundie küßte sie und antwortete, wie sie damals auf dem Schiff geantwortet hatte, »ich gelobe es, Anne!«

 

Da ließ die Sterbende dass Haupt sinken, um es nie wieder zu erheben. Der letzte Lebensfunke flackerte noch einmal in den schon verdüsterten Blicken auf und verlosch. Noch einen Augenblick bewegten sich ihre Lippen. Lady Lundie legte ihr Ohr dicht an dieselben und hörte die schreckliche Frage noch einmal in denselben schrecklichen Worten ausgesprochen »Sie ist Anne Silvester, – wie ich es war. Wird sie auch enden wie ich?«

VI

Fünf Jahre waren vergangen und die Lebensschicksale der drei Männer, welche in der Villa in Hampstead zusammen beim Dessert gesessen hatten, fingen an, in ihrem wechselvollen Verlauf den Fortschritt der Zeit zu bekunden. Die drei Männer waren, wie sich der Leser erinnert, die Mrs. Kendrew, Delamayn und Vanborough.

Wie der Freund Vanborough’s, Mr. Kendrew, seine Empfindungen bei dem Verrath des Gatten geäußert hatte, ist bereits erzählt worden. Wir haben noch zu berichten, welchen Eindruck die Nachricht von dem Tode der verlassenen Frau auf ihn machte. Das Gerücht, welches den Menschen in’s innerste Herz zu schauen versteht und sich darin gefällt, dieses Innerste dem Auge der Menge blos zu legen, hatte immer behauptet, daß über dem Leben Krendrew’s ein Geheimniß walte, und daß dieses Geheimniß in einer hoffnungslosen Leidenschaft für die schöne Frau bestehe, die sein Freund geheirathet hatte. Keine gegen ein lebendes Wesen geschehene, noch so entfernte Anspielung, kein jemals zu der Frau selbst gesprochenes Wort konnte, so lange diese lebte, zum Beweise jener Behauptung angeführt werden. Als sie starb, tauchte das Gerücht mit größerer Bestimmtheit als je zuvor wieder aus und berief sich auf das Benehmen des Mannes als Beweis für seine Behauptung.

Er wohnte dem Leichenbegängniß bei, obgleich er kein Verwandter war. In einem Augenblick, wo er unbeobachtet glaubte, pflückte er einige Grashalme von dem Rasen, mit dem ihr Grab zugedeckt wurde. Man sah ihn nicht mehr in seinem Club, er ging auf Reisen. Als er zurückkehrte, erklärte er, daß er Englands überdrüssig sei und bewarb sich mit Erfolg um eine Anstellung in einer der Colonien. Was mußte man aus alle Dem, schließen? War es nicht klar, daß sein bisheriges Leben allen Reiz für ihn verloren hatte, seit der Gegenstand seiner Neigung verschwunden war? Vielleicht war dem so, es sind schon weniger wahrscheinliche Vermuthungen aufgestellt worden, die doch das Wahre getroffen haben. Wie dem aber auch sein mag, gewiß ist, daß er England verließ, um nie wieder dahin zurückzukehren.

Mr. Delamayn ließ sich von der Liste der Rechtsanwalte streichen, um sich durch ernste juristische Studien auf die Carriere eines plaidirenden Advocaten vorzubereiten. Drei Jahre lang erfuhr man nichts von ihm, als daß er eifrig studire. Als seine Studien zu Ende waren, fand er alsbald Gelegenheit dieselben zu verwerthen. Seine früheren Associé wußten, daß er ihr Vertrauen verdiene und übergaben ihm die Verhandlung ihrer Sachen vor Gericht. Im Verlaufe von zwei Jahren hatte er sich eine angesehene Stellung als Sachwalter gegründet. Am Schluß dieser zwei Jahre wußte er sich außerhalb der engeren juristischen Kreise eine Stellung zu gewinnen. Er erschien als einer der beiden Anwälte in einem berühmten Fall, in welchem die Ehre einer großen Familie und der Anspruch auf einen großen Grundbesitz auf dem Spiele standen. Am Vorabend der Hauptverhandlung erkrankte sein älterer College. Er hatte daher die Sache des Beklagten allein zu vertreten und gewann dieselbe. Auf die Frage seines dankbaren Clienten, was er für ihn thun könne, antwortete Delamayn, »Verhelfen Sie mir zu einem Parlamentssitz.« Sein Client ein Landedelmann, brauchte nur die nöthigen Befehle an seine Pächter zu erlassen, und siehe da, Delamayn wurde in’s Parlament gewählt!

Im Hause der Gemeinen traf das neue Mitglied mit Vanborough zusammen.

Sie saßen auf derselben Bank und gehörten zu derselben Partei. Delamayn fiel es alsbald auf, daß Vanborough grau geworden sei und alt und abgenutzt aussehe Er zog bei wohlunterrichteten Personen Erkundigungen über ihn ein. Die Befragten schüttelten den Kopf. Vanborough war reich, hatte durch seine Frau die einflußreichsten Verbindungen und war ein wohlbehaltener Mann in jedem Sinne des Worts, aber – Niemand mochte ihn. Im ersten Jahre seines öffentlichen Auftretens war es ihm sehr gut gegangen, aber seitdem war ein Stillstand eingetreten. Er war unleugbar ein gescheidter Mann, aber der Eindruck seiner Persönlichkeit im Hause war ein unangenehmer. Er gab glänzende Gesellschaften, war aber doch in der Gesellschaft nicht beliebt. Seine Partei respectirte ihn, aber, wenn sie irgend eine Gunst zu gewähren hatte, überging sie ihn. Was ihm im Wege stand, konnte in Wahrheit nur sein eigenthümliches Temperament sein; man konnte nichts gegen ihn sagen, Alles sprach zu seinen Gunsten; und doch konnte er sich keine Freunde erwerben, er war mit einem Wort ein verbitterter Mensch, in seinem ganzen Wesen in und außer dem Hause verbittert.

VII

Es vergingen fernere fünf Jahre seit dem Tage, wo die verlassene Frau begraben worden war. Es war im Jahre 1866.

An einem Tage dieses Jahres las man zwei bemerkenswerthe Nachrichten in den Blättern, die Nachricht einer Erhebung zum Pair, und die Nachricht von einem Selbstmord.

War es Mrs Delamayn schon in seiner Laufbahn als Advocat gut gegangen, so erreichte er doch noch größere Erfolge im Parlament. Er wurde eines der hervorragendsten Mitglieder des Hauses; er sprach klar, verständlich und bescheiden, – und niemals zu lang, wußte das Haus zu fesseln, wo noch begabtere Männer es langweilten. Die Häupter seiner Partei sprachen ihre Anerkennung offen in der Erklärung aus, daß etwas für Delamayn geschehen müsse. Die Gelegenheit bot sich dar, und die Parteiführer hielten ihr Wort. Ihr Staatsanwalt wurde zu einer höheren Stelle befördert, und sie machten Delamayn zu seinem Nachfolger. Unter den ältern Advokaten rief diese Ernennung große Aufregung hervor. Das Ministerium aber antwortete: »Wir brauchen einen Mann, dem man im Hause der Gemeinen zuhört, und wir haben ihn gefunden.« Die Zeitungen sprachen sich zu Gunsten der neuen Ernennung aus. Bei einer bald darauf entstehenden großen Debatte rechtfertigte der neue Staatsanwalt die Wahl des Ministeriums und die Unterstützung der Zeitungen. Seine Feinde sagten spöttisch: »Der wird in ein bis zwei Jahren Lordkanzler werden«, und seine Freunde machten in seinem häuslichen Kreise harmlose Scherze, die auf dieselbe Prophezeiung hinausliefen. Sie warnten seine beiden Söhne, Julius und Geoffrey, die damals im college waren, mit ihren Bekanntschaften vorsichtig zu sein, da sie jeden Augenblick Söhne eines Lords werden könnten.

Der Verlauf der Ereignisse schien der Prophezeiung Recht geben zu wollen. Der nächste Schritt, den Mr. Delamayn auf der Stufenleiter hoher Staatsämter machte, war seine Ernennung zum Kronanwalt. Ungefähr um dieselbe Zeit – so wahr ist es, daß nichts den Erfolg so sehr befördert, wie der Erfolg –, starb ein kinderloser Verwandter Delamayn’s und hinterließ ihm sein Vermögen. Im Sommer 1866 wurde die Stelle eines Oberrichters vacant. Das Ministerium hatte eine Wiederbesetzung dieser Stelle beabsichtigt, die allgemeines Mißfallen erregte. Als dasselbe daher einen Ersatzmann für die Stelle des Kronanwalts fand, offerirte es Delamayn die Stelle des Oberrichters. Er zog es aber vor, im Hause der Gemeinen zu bleiben und lehnte die angebotene Stelle ab. Das Ministerium seinerseits aber weigerte sich, die ablehnende Erklärung anzunehmen. Man fragte vertraulich bei ihm an, ob er die Stelle unter Erhebung zum Pair aceeptiren würde. Delamayn berieth die Sache mit seiner Frau und acceptirte die Stelle mit einer Erhebung zur Pairswürde. Die »London Gazette« verkündete der Welt seine Erhebung unter dem Namen eines Barons Holchester of Holchester. Und die Freunde der Familie rieben sich vergnügt die Hände und sagten: »Seht Ihr, haben wir es Euch nicht vorausgesag!? Jetzt sind unsere beiden jungen Freunde, Julius und Geoffrey, die Söhne eines Lords!«

Und wo war Mr. Vanborough während dieser ganzen Zeit? Genau da, wo wir ihn fünf Jahre früher verlassen haben.

Er war noch ebenso reich, vielleicht noch reicher, als zuvor. Er hatte noch dieselben einflußreichen Verbindungen; er war noch ebenso ehrgeizig, wie vordem, aber das war auch Alles. Seine Stellung im Hause der Gemeinen und seine Stellung in der Gesellschaft blieben unverändert, mit dem einzigen Unterschied, daß der verbitterte Mann noch verbitterter, sein graues Haar noch grauer und sein reizbares Temperament noch unerträglichen als zuvor geworden waren. Seine Frau bewohnte ihre eigenen Gemächer im Hause und er die seinigen, – und die Kammerfrau und der Kammerdiener sorgten dafür, daß sie sich niemals auf der Treppe begegneten. Sie hatten keine Kinder und sahen sich nur bei den großen Diners und Bällen, die sie von Zeit zu Zeit gaben. Die Leute aßen an ihrem Tische und tanzten auf ihrem Parquetboden und unterhielten sich nachher darüber, wie langweilig es gewesen sei. Während der Mann, der einst Vanborough’s Advokat gewesen war, eine Staffel nach der anderen auf der Leiter der Staatsämter emporstieg, bis er in’s Oberhaus gelangte und nicht höher steigen konnte, blieb Vanborough am Fuß der Leiter stehen und sah den Andern vor sich aufsteigen, ohne trotz all’ seines Reichthums und seiner vornehmen Familie mehr Aussicht zu haben, ihm in’s Haus der Lords zu folgen, als der Geringste aus dem Volk.

Die Carriere des Mannes war zu Ende, und an dem Tage, wo die Ernennung des neuen Pairs verkündet wurde, endete auch das Leben des Mannes.

Er legte die Zeitung, ohne irgend eine Bemerkung zu machen, bei Seite und fuhr aus. Er verließ den Wagen da, wo im Nordwesten von London noch heute grünes Weideland liegt, in der Nähe des Fußsteiges, der nach Hampstead führt. Er ging allein nach der Villa, in der er einst mit der Frau gelebt, die er so grausam behandelt hatte. Neue Häuser waren um dieselbe her emporgestiegen, selbst ein Theil des alten Gartens war verkauft und bebaut worden. Einen Augenblick zauderte er, dann trat er an’s Gitter und zog die Glocke. Er händigte dem Diener seine Karte ein. Dem Herrn des Hauses war der auf der Karte befindliche Name als der eines sehr reichen Mitgliedes des Parlaments bekannt. Er empfing den Fremden mit der höflichen Frage, welchem glücklichen Umstände er die Ehre dieses Besuches verdanke. Vanborough antwortete kurz und einfach: »Ich habe vor Jahren hier gewohnt, und knüpfen sich für mich Erinnerungen an diesen Platz, mit deren genauerer Mittheilung ich Sie nicht zu behelligen brauche. Sie müssen entschuldigen, wenn ich mich mit einer sehr sonderbaren Bitte an Sie wende; ich möchte gern das Eßzimmer einmal wieder sehen, wenn ich Niemanden störe und Sie nichts dagegen haben.«

Die »sonderbaren Bitten« reicher Leute genießen des Vorrechts einer freundlichen Aufnahme, aus dem sehr triftigen Grunde, daß man bei ihnen sicher ist, nicht um sein Geld gebracht zu werden.

In das Eßzimmer geführt ging Vanborough direct auf einen Fleck auf dem Teppich zu, in der Nähe der in den Garten führenden Glasthür, der Eingangssthür ungefähr gegenüber. Auf diesem Fleck blieb er, das Haupt auf die Brust gesenkt, schweigend und nachdenklich stehen. Tsar das vielleicht die Stelle, auf der er sie an jenem Tage, wo er das Zimmer auf immer verließ, zum letzten Male gesehen hatte? Ja, sie war es. Nachdem er so eine Zeitlang in Gedanken versunken dagestanden hatte, schien er wieder zur Besinnung zu kommen, sah aber noch immer träumerisch und abwesend aus. Er äußerte, es sei ein hübscher Landsitz, dankte dem Besitzer, blickte noch einmal um sich, bevor sich die Thür hinter ihm schloß und ging dann wieder seines Weges. An derselben Stelle, wo er seinen Wagen verlassen hatte, bestieg er ihn wieder. Er fuhr bei dem neuen Lord Holchester vor, gab seine Karte ab und kehrte dann nach Hause zurück. Hier erinnerte ihn sein Secretär daran, daß er in zehn Minuten Jemanden zu empfangen habe. Er dankte dem Secretair in demselben träumerisch abwesenden Tone, in welchem er dem Besitzer der Villa gedankt hatte und ging in sein Ankleidezimmer. Die Person, die er zu sich beschieden hatte, kam, und der Secretair schickte den Kammerdiener hinauf, bei dem Herrn anzuklopfen. Es erfolgte keine Antwort. Als man mit einem Schlüssel zu öffnen versuchte, fand sich, daß das Zimmer von innen verschlossen sei. Man erbrach endlich die Thür und fand Vanborough auf dem Sopha liegen. Man trat näher heran und fand, daß er sich selbst das Leben genommen hatte.