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Mann und Weib

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In dem Gartenhäuschen trug sich an jenem Abend ein geringfügiger Vorfall zu, der aber doch Stoff zu einer Notiz in Perry’s Lehr-Tugebuch lieferte. Geoffrey hatte das später am Tage ausgeführte Exercitium eines, während einer bestimmten Zeit und in einem bestimmten Raume vorgenommenen, möglichst raschen Ganges durchgemacht, ohne eines der Symptome der Erschöpfung zu zeigen, welche sich bei ihm nach der anstrengenden, vorher vorgenommenen Laufübung gezeigt hatten. Perry der, obgleich er im Geheimen gegen seine eigenen Wetten parirt hatte, doch ehrlich bestrebt war, Alles aufzubieten, um seinem Zöglinge am Tage des Wettlaufs, den Sieg zu verschaffen, hatte Geoffrey verboten, heute seinen abendlichen Besuch im Hause zu machen, und hatte ihn früher als gewöhnlich zu Bette geschickt. Der Lehrmeister war allein und eben damit beschäftigt, seine eigenen geschriebenen Lauf-Regeln einer Durchsicht zu unterwerfen und sich zu überlegen, welche Modificationen er am nächsten Tage etwa in der Diät und den Excertien Geoffrey’s eintreten lassen solle, als er durch ein heftiges Stöhnen aus dem Schlafzimmer, in welchem sein Zögling lag, erschreckt wurde. Er ging hinein und sah Geoffrey mit krampfhaft verzogenen Gesichtszügen, geballten Fäusten und dicken Schweißtropfen auf der Stirn, in einer durch die Schreckgestalten eines Traumes hervorgebrachten nervösen Aufregung, auf seinem Lager sich hin und her wälzen. Perry redete ihn an und richtete ihn im Bette auf. Er erwachte mit einem Schrei, starrte seinen Lehrmeister mit entsetzten Blicken an und rief ihm verworrene Worte entgegen. »Wonach sehen Deine gräßlichen Augen über meine Schulter?« rief er aus. »Geh zum Teufel! und nimm Deine höllische Schreibtafel mit Dir!« Perry redete ihn zum zweiten Mal an: »Sie haben von Jemand geträumt, Mr. Delamayn. Aber was haben Sie mit der Schreibtafel?« Geoffrey sah sich im Zimmer um und athmete erleichtert tief auf. »Ich hätte darauf schwören können«, sagte er, »daß sie mich über die Zwergbirnbäume weg ansähe. Aber es ist gut, ich weiß jetzt, wo ich bin Perry, der den Traum für nichts weiter, als für die Folge einer Unverdaulichkeit hielt, gab Geoffrey etwas Branntwein und Wasser zu trinken und verließ ihn dann, um ihn ruhig weiter schlafen zu lassen. Geoffrey, verbat sich in seiner nervösen Angst das Auslöschen des Lichts »Fürchten Sie sich vor der Dunkelheit?« fragte Perry lachend. »Nein« Er fürchtete, er möchte wieder von der stummen Köchin in Windygates-House träumen.

Vierter Band

Erstes Kapitel.
Der Vorabend

Es war Vorabend der Hochzeit. Der Ort der Handlung war Sir Patricks Haus in Kent. Die Advocaten hatten ihr Wort gehalten, der Ehecontract war rechtzeitig eingetroffen und schon seit zwei Tagen unterzeichnet. Mit Ausnahme des Arztes und eines der drei Studenten, der anderweitig engagirt war, waren sämmtliche Gäste von Windygates nach Süden übergesiedelt, um der Hochzeit beizuwohnen. Außer diesen Herren befanden sich unter den von Sir Patrick eingeladenen Gästen, einige Damen, die aber Alle zur Familie gehörten und von denen drei als Blanche’s Brautjungfern zu fungiren bestimmt waren. Rechnet man dazu noch ein paar zur Hochzeitsfeier eingeladene Nachbarn, so hat man die Hochzeitsgesellschaft vollständig beisammen.

Sir Patrick’s Haus hatte durchaus nichts architektonisch Bemerkenswerthes. Ham Farm war weder ein so prachtvoller Landsitz wie Windygates, noch hatte es den malerischen und alterthümlichen Reiz von Swanhaven. Es war ein, in einer ganz gewöhnlichen landschaftlichen Umgebung liegender, durchaus gewöhnlicher englischer Landsitz. Eine monotone Behaglichkeit empfing den Eintretenden und eine behagliche Monotonie schaute ihm entgegen, wenn er zum Fenster hinaussah. Es fehlte viel, daß das Leben und die Mannigfaltigkeit, an denen es in Ham Farm mangelte, durch die jetzt dort versammelte Gesellschaft ersetzt worden wären. Noch lange nachher konnte man die Bemerkung hören, daß niemals eine langweiligere Hochzeitsgesellschaft beisammen gewesen sei. Sir Patrick, für den sich keine Jugenderinnerungen an das Haus knüpften, gestand selbst offen ein, daß der Aufenthalt auf seinem Landsitz in Kent seinen Geist bedrücke und daß er seinerseits ein Zimmer in dem Gasthofe des Dorfes vorgezogen haben würde. Er gab sich die redlichste Mühe, sich seine gewohnte, Munterkeit zu erhalten, wurde aber in diesem Bestreben durch die Umstände und durch die ihn umgebenden Personen durchaus nicht unterstützt. Lady Lundie’s Treue gegen das Andenken des verstorbenen Sir Thomas auf dem Schauplatz seiner letzten Krankheit und seines Todes, gab sich beharrlich in einer affectirten Zurückhaltung kund, welche sogar die schwer zu trübende gute Laune Sir Patrick’s aus eine harte Probe stellte. Blanche, die ihr Kummer über Anne noch immer schwer bedrückte war nicht in der Stimmung, an dem letzten Tage ihres Jungfräulichen Lebens ein munteres Gesicht zu zeigen. Arnold, der auf ausdrückliches Verlangen Lady Lundie’s dem Gebot einer albernen Delicatesse zu gehorchen hatte, welches dem Bräutigam untersagt, vor der Hochzeit unter einem und demselben Dache mit der Braut zu schlafen, sah sich dadurch unbarmherzig aus dem gastlichen Hause Sir Patrick’s ausgeschlossen und mußte jeden Abend in das Exil eines Schlafzimmers im Gasthofe wandern. Er unterwarf sich diesem traurigen Loose mit einer Resignation, deren dämpfender Einfluß sich auch auf seine gewöhnliche gute Laune erstreckte. Von den Damen waren die älteren durch Lady Lundie’s aufdringliche Trauer ausschließlich in Anspruch genommen, während die jüngeren ganz in die wichtige Beschäftigung einer fortwährenden, vergleichenden Betrachtung ihrer Hochzeitstoiletten aufgingen. Die beiden Studenten verrichteten wahre Wunder des Billardspiels und in den Pausen wahre Wunder des Gähnens. Smith sagte verzweifelt: »In diesem Hause kann man sich nicht amüsiren, Jones.« Und Jones seufzte sanft zum Zeichen seiner Zustimmung.

An dem Vorabende des Hochzeitstages, einem Sonntage, erreichte die Langeweile natürlich ihren Höhepunkt. Von den vielen Beschäftigungen, denen sich die Menschen an Wochentagen hingeben dürfen, betrachtet die verstockt unchristliche Anschauungsweise, welche in dieser Beziehung bei der anglo-sächsischen Race herrscht, nur zwei als harmlos. Es ist keine Sünde, sich über religiöse Fragen zu streiten, und es ist keine Sünde, über einem religiösen Buche einzuschlafen. Die Damen in Ham Farm brachten den Abend ganz diesen Vorschriften gemäß zu. Die älteren unter ihnen stritten sich sonntagsmäßig über Religionsfragen und die jüngeren waren über der Lectüre von Sonntagsbüchern eingeschlafen. Was die Männer betrifft, so brauchen wir wohl kaum zu bemerken, daß die jüngeren unter ihnen sich die Zeit mit Rauchen vertrieben, wenn sie nicht gähnten, und mit Gähnen, wenn sie nicht rauchten Sir Patrick hielt sich in der Bibliothek auf, wo er alte Briefe sortirte und alte Rechnungen durchsah. Jedermann im Hause fühlte den schweren Druck der unsinnigen gesellschaftlichen Verbote, welche sich die Gesellschaft selbst auferlegt hat. Und doch würde Jedermann im Hause den stärksten Anstoß daran genommen haben, wenn Jemand sich in folgender Weise ausgesprochen hätte: »Ihr wißt, daß Ihr Euch das Joch, unter dem Ihr seufzt, selbst auferlegt habt; Ihr wißt, daß ihr selbst nicht an die Heiligkeit dieses Joches glaubt, warum tragt Ihr es denn?« Das freieste civilisirte Volk der Erde ist das einzige civilisirte Volk, das nicht den Muth hat, dieser Frage grade in’s Gesicht zu sehen.

Der Abend schleppte sich langsam hin, die willkommene Stunde des Schlafengehens rückte näher und näher. Arnold dachte eben daran, wie er bald zum letzten Mal sein einsames Lager im Gasthof aufsuchen würde, als er bemerkte, daß Sir Patrick ihm ein Zeichen gab. Er stand auf und folgte seinem Wirth in das leere Eßzimmer. Sir Patrick schloß sorgfältig die Thür hinter sich. Was hatte das zu bedeuten? Es bedeutete für Arnolds, daß eine vertrauliche Unterhaltung mit ihm, etwas Abwechselung in die Monotonie des langen Abends in Ham Farm bringen würde.

»Ich habe Ihnen«, fing der alte Herr an, »bevor Sie sich verheirathen, noch ein Wort zu sagen, Arnold Erinnern sie sich der Unterhaltung bei Tische gestern, über den Ball in Swanhaven Lodge?«

»Jawohl.«

»Erinnern Sie sich der Bemerkung, die Lady Lundie bei dieser Gelegenheit machte?«

»Sie erzählte mir, was mir völlig unglaublich scheint, daß Geoffrey Delamayn sich mit Mrs. Glenarm verheirathen werde.«

»Ganz richtig, und mir entging es nicht, daß Sie über die Mittheilung meiner Schwägerin erschraken, und als Sie erklärten, daß sie sich unzweifelhaft in diesem Fall durch den Schein habe täuschen lassen, machten Ihr Blick und Ihre Sprache mir den Eindruck eines Mannes, der ein Gefühl der Entrüstung zurückdrängt. Habe ich mich darin geirrt?«

»Nein, Sir Patrick,. Sie haben sich nicht geirrt.«

»Würden Sie etwas dagegen haben, mir den Grund Ihrer Entrüstung mitzutheilen?«

Arnold zauderte.

»Sie fragen sich vermuthlich, was mich bei der Sache interessiren kann?«

Arnold gab mit seiner gewohnten Offenheit die Richtigkeit dieser Vermuthung zu.

»In diesem Fall«, erwiderte Sir Patrick, »thue ich wohl besser, ohne Weiteres fortzufahren, um es Ihnen zu überlassen, selbst den Zusammenhang zwischen Dem, was ich Ihnen zu sagen habe und der Frage, die ich eben an Sie gerichtet habe, herauszufinden. Wenn ich zu Ende sein werde, können Sie dann meine Frage beantworten oder nicht, ganz wie es Ihnen recht scheint. Mein lieber Junge, der Gegenstand, über den ich mit Ihnen zu sprechen wünsche, ist – Miß Silvester.«

Arnold fuhr zusammen. Sir Patrick sah ihn einen Augenblick an und fuhr dann fort: »Meine Nichte hat ihre Launen und geht in ihrem Urtheil bisweilen fehl. Aber sie hat unter vielen anderen guten Eigenschaften eine, welche das Glück ihres ehelichen Lebens zu begründen ganz geeignet ist und dasselbe, wie ich zuversichtlich hoffe, ganz begründen wird. Um es mit einem sprichwörtlichen Ausdruck zu bezeichnen, Blanche ist treu wie Gold. Wen sie einmal zum Freunde erkoren hat, der kann für immer sicher auf sie rechnen. Merken Sie, wo ich hinaus will? Sie hat sich nicht darüber ausgesprochen, Arnold, aber sie hat nach meiner festen Ueberzeugung von ihrem einmal gefaßten Entschluß, sich mit Miß Silvester wieder zu vereinigen, noch durchaus nicht abgelassen. Eine der ersten Fragen, über die Sie sich übermorgen zu entscheiden haben werden, wird die sein, ob Sie Ihrer Frau gestatten wollen oder nicht, bei ihren Versuchen, sich mit ihrer verlorenen Freundin wieder in Verbindung zu setzen, zu beharren.«

 

Arnold antwortete völlig rückhaltlos: »Ich beklage Blanche’s Verlust aufrichtig, Sir Patrick. Meine Frau kann bei ihren Versuchen, Miß Silvester wieder aufzufinden, auf meine volle Genehmigung und, soviel in meinen Kräften steht, auch auf meinen vollen Beistand rechnen.«

Er sprach diese Worte in einer Weise, die keinen Zweifel darüber aufkommen lassen konnte, daß sie ihm von Herzen kamen.

»Ich glaube, Sie haben Unrecht«, entgegnete Sir Patrick, »ich fürchte, Sie ermuthigen Blanche dazu, ganz hoffnungslose Bemühungen anzustellen. Ich fürchte, Sie sind ihr dazu behülflich, sich eine Enttäuschung zu bereiten, die über die hellste Zeit ihres Lebens einen dunklen Schatten werfen wird. Indessen, das ist nicht meine, sondern Ihre Sache. Nach Ihrer eben abgegebenen Erklärung scheint mir meine Pflicht in dieser Angelegenheit deutlich genug vorgezeichnet zu sein. Vielleicht kann ich Ihnen bei der Aufsuchung der Spur von Miß Silvester durch gewisse, in meinem Besitz befindliche Mittheilungen behülflich sein?«

»Wenn Sie uns im Beginn über einige Schwierigkeiten hinweghelfen können, Sir Patrick so werden Sie Blanche und mich zum lebhaftesten Dank verpflichten.«

»Gut. Sie erinnern sich wohl, was ich Ihnen eines Morgens in Windygates sagte, als wir über Miß Silvester sprachen?«

»Gewiß, Sie sagten, Sie seien entschlossen, Miß Silvester ihren eigenen Weg gehen zu lassen.«

»Ganz Recht! An dem Abend des Tages, wo ich das« zu Ihnen gesagt hatte, erhielt ich die Nachricht, daß Miß Silvester’s Spur bis Glasgow verfolgt worden sei. Außer der durch diese Mittheilung gegebenen, giebt es noch zwei andere Chancen, ihre Spur aufzufinden, die beide nur erprobt werden können; wenn es gelingt, zwei gleich schwer umgängliche Männer dahin zubringen, zu bekennen, was sie über die Sache wissen. Der eine von diesen Beiden ist ein gewisser Bishopriggs, welcher früher Kellner in dem Gasthof in Craig-Fernie war.«

Arnold fuhr zusammen und wechselte die Farbe. Sir Patrick, dem das nicht entging, theilte Arnold nun die den verlornen Brief Anne’s betreffenden Umstände mit, welche ihn zu dem Schluß geführt hatten, daß der Brief in Bishopriggs Besitz sei. »Ich muß hinzufügen,« fuhr er fort, »daß Blanche unglücklicher Weise Gelegenheit gefunden hat, Bishopriggs in Swanhaven zu sprechen. Als sie und Lady Lundie in Edinburgh mit uns zusammentrafen, theilte sie mir im Geheimen eine Karte mit, welche Bishopriggs ihr gegeben hatte. Er hatte ihr gesagt, daß man unter der auf der Karte angegebenen Adresse von ihm würde hören können – und Blanche bat mich, bevor wir nach London abreisten, die Richtigkeit der Angabe zu erproben. Ich sagte ihr, daß sie sich einen großen Fehler durch den Versuch habe zu Schulden kommen lassen, sich auf ihre eigene Verantwortlichkeit mit Bishopriggs in Verbindung zu setzen; und ich bereitete sie auf das Ergebniß vor, zudem die Erkundigung, meiner festen Ueberzeugung nach, einzig führen konnte. Sie wollte nicht glauben, daß Bishopriggs sie betrogen habe. Ich sah, daß sie, wenn ich ihren Wunsch nicht erfüllte, die Sache wieder selbst in die Hand nehmen würde und ging daher nach der angegebenen Adresse. Genau wie ich es vorausgesehen, hatte der Mann, dessen Adresse die Karte enthielt, seit Jahren nichts von Bishopriggs gehört und wußte durchaus nichts über seinen jetzigen Aufenthalt. Blanche hatte durch ihr unüberlegtes Handeln nichts erreicht, als daß sie Bishopriggs vorsichtig gemacht und ihm gezeigt hatte, daß es räthlich für ihn sei, sich verborgen zu halten. Wenn Sie ihn künftig einmal treffen sollten, so sagen Sie Ihrer Frau nichts davon und berichten mir sofort darüber. Ich muß es ablehnen, Ihnen beim Aufsuchen von Miß Silvester behülflich zu sein, ich habe aber nichts dagegen, mich bei der Wiedererlangung eines gestohlenen Briefes nützlich zu erweisen. So viel von Bishopriggs. – Jetzt zu dem Andern.«

»Wer ist denn der?«

»Ihr Freund, Mr. Geoffrey Delamayn.«

Arnold vermochte seine Ueberraschung nicht zu verbergen und sprang auf.

»Meine Mittheilung scheint Sie in Erstaunen zu setzen«, bemerkte Sir Patrick.

Arnold setzte sich wieder und wartete in sprachloser Spannung ab, was Sir Patrick ihm weiter mittheilen werde.

»Ich habe gute Gründe«, fuhr Sir Patrick fort, »mich für überzeugt zu halten, daß Mr. Delamayn über die Situation, in welcher sich Miß Silvester augenblicklich befindet, sehr wohl unterrichtet ist. In welchem persönlichen Verhältniß er zu dieser Situation steht, und wie er in den Besitz seiner Kunde gelangt ist, das habe ich nicht herausbringen können. Meine Entdeckung beginnt und endigt mit der einfachen Thatsache, daß er sich im Besitz dieser Kunde befindet.«

»Darf ich mir eine Frage erlauben, Sir Patrick?«

»Und die wäre?«

»Wie haben Sie Ihre Kundschaft in Betreff Geoffrey Delamayn’s erlangt?«

»Es würde mich viel Zeit kosten, Ihnen das zu erzählen«, antwortete Sir Patrick, »und es ist für unsern Zweck durchaus nicht erforderlich, daß sie es erfahren. Was ich für meine Pflicht halte, ist Ihnen – wohlgemerkt: im strengsten Vertrauen! – mitzutheilen, daß die Geheimniße Miß Silvester’s keine Geheimniße für Mr. Delamayn sind. Ich überlasse es Ihnen, welchen Gebrauch Sie von dieser Mittheilung machen wollen. Sie sind jetzt in Betreff Miß Silvester’s genau so gut unterrichtet wie ich. Lassen Sie uns jetzt auf die Frage zurückkommen die ich beim Betreten dieses Zimmers zuerst an Sie gerichtet habe. Ist Ihnen jetzt der Zusammenhang zwischen dieser Frage und dem, was ich Ihnen seither mitgetheilt habe, klar geworden?«

Arnold vermochte diesen Zusammenhang auch jetzt noch nicht recht zu erkennen. Sir Patricks Entdeckung verwirrte ihn ganz und gar. Ohne eine Ahnung davon zu haben, daß er es Mrs. Inchbare’s unvollständiger Beschreibung seiner Person verdanke, der Entdeckung entgangen zu sein, konnte er es nicht begreifen, daß kein Verdacht auf ihn gefallen, während Geoffrey’s Situation theilweise wenigstens bekannt geworden sei.

»Meine Frage war«, nahm Sir Patrick wieder auf, indem er Arnold’s Fassungskraft zu Hilfe zu kommen suchte, »Warum die bloße Mittheilung, daß Ihr Freund wahrscheinlich Mrs. Glenarm heirathen werde, Ihre Entrüstung erregt habe, und Sie zögerten, mir darauf zu antworten. Zögern Sie noch?«

»Es ist nicht leicht für mich, darauf zu antworten, Sir Patrick.«

»Lassen Sie uns die Sache anders fassen. Ich nehme an, daß Ihr Gefühl bei der Mittheilung seinen Grund in einem Ihnen bekannten und uns Anderen unbekannten, vertrauten Verhältniß hat. Ist dieser Schluß richtig?«

»Ganz richtig!«

»Hängt das, was Sie über Mr. Delamayn wissen, mit etwas zusammen, was Sie über Miß Silvester wissen?«

Wenn Arnold sich frei gefühlt hätte, diese Frage zu beantworten, so würde seine Antwort Sir Patricks Verdacht erweckt haben und würde Sir Patricks Entschlossenheit Arnold, noch ehe er an diesem Abend das Haus verließ, unfehlbar zu einem vollständigen Bekenntniß gebracht haben. – Es war beinahe Mitternacht geworden. Die erste Stunde des Hochzeitstages nahte, als die Wahrheit ihren letzten Versuch machte, an’s Licht zu dringen. Die dunklen Phantome künftiger Sorgen und künftigen Schreckens umstanden beide Männer in diesem Augenblicke. Arnold verharrte in peinlichem Zaudern. Sir Patrick wartete auf seine Antwort.

Die Uhr in der Vorhalle schlug ein Viertel vor Zwölf.

»Ich kann es Ihnen nicht sagen«, erwiderte Arnold.

»Ist es ein Geheimniß?«

»Fühlen Sie sich durch Ihre Ehre verpflichtet, dasselbe zu bewahren?«

»Doppelt durch meine Ehre verpflichtet!«

»Was meinen Sie damit?«

»Ich meine, daß ich mich mit Geoffrey, seit er mich in’s Vertrauen gezogen, überworfen habe; darnach fühlte ich mich doppelt verpflichtet sein Vertrauen zu ehren.«

»Ist die Ursache Ihres Streites auch ein Geheimniß?«

»Ja.«

Sir Patrick sah Arnold fest in? Gesicht. »Ich habe vom ersten Augenblicke an Mißtrauen gegen Mr. Delamayn gefühlt«, sagte er; »antworten Sie mir noch darauf, haben Sie, seit wir zuerst im Garten-Pavillon in Windygates über Ihren Freund sprachen, Grund gehabt zu glauben, daß meine Ansicht über ihn doch am Ende die richtige sein könnte?«

»Er hat mich bitter enttäuscht«, sagte Arnold, »Mehr darf ich nicht sagen.«

»Sie haben sehr wenig Welterfahrung«, fuhr Sir Patrick fort, »und Sie haben eben zugegeben, daß Sie Grund gehabt haben, Ihren Erfahrungen über Ihren Freund zu mißtrauen Sind Sie ganz sicher, daß Sie Recht thun, mir sein Geheimniß vorzuenthalten? Sind Sie fest überzeugt, daß Sie das Verfahren, das Sie diesen Abend beobachten, nie bereuen werden?« Er betonte diese letzten Worte scharf. »Denken Sie nach, Arnold«, fügte er in herzlichem Tone hinzu, »denken Sie nach, ehe Sie antworten.«

»Ich fühle mich durch meine Ehre verpflichtet, sein Geheimniß zu bewahren, kein Nachdenken kann daran etwas ändern.«

»Sir Patrick stand auf und machte der Unterhaltung ein Ende. »Dann sind wir fertig!« Mit diesen Worten reichte er Arnold die Hand, drückte sie herzlich und wünschte ihm gute Nacht.

In die Vorhalle tretend, fand Arnold Blanche allein, nach dem Barometer sehend. Der Barometer zeigte schönes Wetter. »Lieber Schatz«, flüsterte er ihr zu, »gute Nacht zum letzten Mal.« Er umarmte und küßte sie.

In dem Augenblick, wo er sie verließ, ließ Blanche ein kleines Billet in seine Hand gleiten. »Lies das«, flüsterte sie, »sobald Du allein im Gasthofe bist.«

So trennten sie sich am Vorabend des Hochzeitstages.

Zweites Kapitel.
Der Hochzeitstag

Das Wetterglas hielt, was es versprochen hatte; die Sonne schien hell an Blanche’s Hochzeitstage. Um neun Uhr Morgens begann die erste Handlung des Tages, die wesentlich geheimer Natur war. Die Braut und der Bräutigam setzten sich über die geheiligten Schranken der Convenienz hinweg und gestatteten sich, noch ehe der Priester den Segen über sie gesprochen hatte, eine geheime Zusammenkunft in dem Treibhause von Ham Farm.

»Hast Du meinen Brief gelesen, Arnold?«

»Ich bin hergekommen, ihn zu beantworten, Blanche. Aber warum hast Du mir das nicht gesagt, wozu schreiben?«

»Weil ich es so lange aufgeschoben hatte, es Dir mitzutheilen und weil ich nicht wußte, wie Du es aufnehmen würdest, und aus noch vielen anderen Gründen. Einerlei, ich habe nun gebeichtet, ich habe nun kein Geheimniß mehr vor Dir. Noch hast Du Zeit, nein zu sagen, Arnold, wenn Du finden solltest, daß ich außer Dir für Niemanden in meinem Herzen Raum haben dürfe. Mein Onkel sagt, ich sei eigensinnig und habe Unrecht, daß ich Anne durchaus nicht aufgeben will. Wenn Du seiner Meinung bist, so sage das entscheidende Wort, lieber Arnold, bevor Du mich zu Deiner Frau machst.«

»Soll ich Dir sagen, was ich gestern Abend zu Sir Patrick gesagt habe?«

»Im Bezug auf diesen Gegenstand?«

»Ja. Die Beichte, wie Du es nennst, die Du in Deinem allerliebsten Billet machst, war gerade Das, worüber Sir Patrick sich gestern Abend, bevor ich fortging, im Eßzimmer mit mir unterhielt. Er sagte mir, Dein Herz hänge daran, Miß Silvester wieder zu finden und er fragte mich, was ich zu, thun gedenke, wenn wir verheirathet sein würden.

»Und Du sagtest?«

Arnold wiederholte die Antwort, die er Sir Patrick gegeben hatte, mit einer der Gelegenheit angemessenen, glühenden Verschönerung der ursprünglichen Ausdrucksweise – Blanche bezeugte ihr Entzücken durch einen Kuß, den sie Arnold ohne Erröthen, noch drei Stunden bevor die Sanction von Staat und Kirche ein solches Verfahren von ihrer Seite gebilligt hätte, auf die Lippen drückte.

»Jetzt,« sagte Arnold, »ist die Reihe an mir Feder und Dinte zu ergreifen. Ich, so gut wie du habe einen Brief zu schreiben, bevor wir uns verheirathen, nur mit dem Unterschiede, daß ich bei meinem Briefe Deines Verstandes bedarf.«

»An wen willst Du denn schreiben?«

»An meinen Advocaten in Edinburgh. Ich werde keine Zeit dazu finden, wenn ich es nicht jetzt thue. Wir gehen ja noch heute Nachmittag nach der Schweiz, nicht wahr?«

 

»Ja.«

»Nun gut, ich möchte Dich völlig beruhigt sehen, mein Engel, bevor wir fortgehen; würdest Du nicht gern die beruhigende Gewißheit mit auf die Reise nehmen, daß, während wir unterwegs sind, die richtigen Leute Miß Silvester’s Spur verfolgen? Sir Patrick hat mir den letzten Ort genannt, bis zu dem man ihre Spur verfolgt hat und mein Advocat wird die richtigen Leute weiter forschen lassen. Komm und hilf mir den Brief abfassen, und die Sache wird bald abgemacht sein.

»O, Arnold, wie kann ich Dich je genug lieben, um Dich dafür zu belohnen!«

»Das werden wir sehen, Blanche, in der Schweiz.«

Kühn drangen sie Arm in Arm in Sir Patricks Arbeitszimmer ein, das, wie sie wußten, zu dieser frühen Stunde vollkommen zu ihrer Verfügung stand. Mit Sir Patrick’s Feder und Papier brachten sie eine Instruction zu Stande, derzufolge die Nachforschungen, welchen Sir Patricks höhere Weisheit ein vorläufiges Ende gemacht hatte, wieder aufgenommen werden sollten. Weder Mühe noch Geld solle von dem Advocaten gespart werden, um sofort die richtigen Maßregeln und zwar zunächst in Glasgow zu«ergreifen, um Anne wieder aufzufinden. Der Bericht über das Resultat selbst solle an Arnold unter Sir Patrick’s Adresse in Ham Farm gerichtet werden.

Als sie den Brief geschrieben hatten, war es zehn Uhr geworden. Blanche verließ Arnold, um sich in ihre bräutlichen Gewänder zu kleiden, nachdem sie ihn abermals gegen alle gute Sitte geküßt hatte.

Die nächsten Handlungen des Tages hatten einen öffentlichen Charakter und entsprachen durchaus dem, was bei solchen Gelegenheiten üblich ist. Dorfjungfrauen streuten Blumen auf den Weg bis an die Kirche und überschickten noch am selben Tage die Rechnung dafür. Dorfburschen zogen die Freudenglocken und betranken sich für das Geld, daß sie dafür bekamen, noch an demselben Abend. Es fehlte nicht an der üblichen und schrecklichen Pause während der Zeit, wo der Bräutigam in der Kirche die Braut zu erwarten hatte, nicht an dem üblichen und erbarmungslosen Anstarren aller weiblichen Zuschauer in dem Augenblick, wo die Braut vor den Altar geführt wurde. Dann kam der vorgängige Blick des Geistlichen auf den Trauschein, als Ausdruck amtlicher Vorsicht, und dann der bedeutungsvolle Blick des Küsters auf den Bräutigam, der denselben im Voraus an die übliche Gratification mahnen sollte. Alle anwesenden Frauen schienen ganz in ihrem natürlichen Elemente zu sein, während alle Männer, die der heiligen Handlung. beiwohnten, sich sehr unbehaglich fühlten.

Endlich begann der Gottesdienst, den man wohl als eine der schrecklichsten Ceremonien bezeichnen kann, der Gottesdienst, welcher zwei menschliche Wesen, die in den überwiegend meisten Fällen so gut wie nichts von ihren beiderseitigen Charakteren wissen, dazu verpflichtet, das Experiment zu wagen, miteinander zu leben, bis der Tod sie trennen wird. Der Gottesdienst, der, wenn nicht in Worten, doch seinem wahren Sinne nach besagt: wagt Euren Sprung in die Finsternis wir sanctioniren ihn wohl, aber wir garantiren ihn nicht.

Der Gottesdienst verlief ohne die mindeste Störung. Die letzten Worte waren gesprochen und das Gebetbuch war geschlossen. Die jungen Eheleute schrieben ihre Namen in das Trauregister ein. Der junge Ehemann wurde beglückwünscht, die junge Frau umarmt und das neuvermählte Paar, dem auf seinem Rückweg noch mehr Blumen gestreut wurden, kehrte nach Hause zurück. Das Hochzeits-Frühstück wurde beschleunigt, die üblichen Toaste wurden abgekürzt. Es war keine Zeit zu verlieren, wenn die jungen Leute noch den Frühzug nach Dover erreichen sollten. Eine Stunde später waren sie im Wagen nach der Eisenbahn – Station abgefahren, nachdem ihnen die Gäste von den Stufen des Hauses aus den Abschiedsgruß zugerufen hatten. Welch’ einer goldenen Zukunft sahen diese beiden jungen, glücklichen, einander zärtlich liebenden, gegen alle kleinlichen Sorgen des Lebens gesicherten Menschen entgegen. Wer hätte bei diesem, mit der Sanction ihrer Familien und unter dem Segen der Kirche verheiratheten Paar denken können, daß gleichwohl die Zeit kommen sollte, wo in der Frühlings-Zeit ihrer Liebe die schreckliche Frage an sie herantreten würde: »Seid Ihr Mann und Weib?«