Kleine Novellen

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Sie verließ ihn, ehe noch Cosway erklären konnte, dass er und Herr Restall sich bis jetzt noch nicht gesehen hätten. Er schritt bis zum äußersten Ende des Gartens, von einem unbestimmten Argwohn beunruhigt und verletzt von der Kälte, mit der ihn Adele empfangen hatte. Als er das Gebüsch betrat, das an dieser Stelle den Garten anscheinend vor der außen vorüberführenden Straße verbergen sollte, bemerkte er plötzlich unter den Bäumen einen hübschen kleinen Pavillon. Ein kräftiger Herr in reiferen Jahren saß hier allein in dieser Einsamkeit. Stirnrunzelnd blickte er in die Höhe. Cosway entschuldigte sich, ihn gestört zu haben, und fing aus Höflichkeit eine Unterhaltung mit ihm an.

»Eine prächtige Gesellschaft heute, mein Herr.«

Der korpulente Herr antwortete in einem unartikulierten Tone, der so etwas zwischen Grunzen und Husten war.

»Und ein prächtiges Haus und Gelände« fuhr Cosway fort.

Der kräftige Herr wiederholte den unartikulierten Ton.

Cosway begann dies unterhaltend zu finden. War dieser seltsame alte Mann taubstumm?

»Entschuldigen Sie, dass ich Sie angeredet habe« fuhr Cosway fort. »Ich fühle mich wie ein Fremder hier. Hier sind so viele Leute, die ich nicht kenne.«

Der dicke Herr geriet plötzlich ins Sprechen. Cosway hatte endlich eine gleichgestimmte Faser berührt.

»Es sind sehr viele Leute hier, die ich nicht kenne« sagte er mürrisch. »Sie sind einer von diesen. Wie heißen Sie ?«

»Ich heiße Cosway, mein Herr. Und wie heißen Sie ?«

Der kräftige Herr erhob sich mit wütendem Blicke. Er stieß einen Fluch aus und fügte die unerträgliche Frage hinzu, die schon dreimal von anderen gestellt worden war: »Wie kamen Sie hierher?« Und der Ton dieser Worte war noch beleidigender als der Fluch. »Ihr Alter beschützt Sie, mein Herr« sagte Cosway mit der stolzesten Gemütsruhe. »Es tut mir leid, dass ich einem so groben Menschen meinen Namen nannte.«

»Grob?« schrie der alte Herr-. »Vermutlich wollen Sie meinen Namen ebenfalls wissen? Sie junger Geck, Sie sollen ihn erfahren! Ich heiße Restall.« Er kehrte ihm den Rücken und ging weg. Cosway schlug den einzigen Weg ein, der ihm offen blieb. Er kehrte in seine Wohnung

zurück.

Am nächsten Tage kam kein Brief von Adele. Er ging zur Post. Kein Brief war da. Es war schon Abend geworden, als eine Frau erschien, die ihm fremd war. Sie schien eine Dienerin zu sein, und war die Überbringerin einer geheimnisvollen Botschaft.

»Bitte kommen Sie um zehn Uhr morgen früh an die Gartentür, die auf die Straße hinausgeht. Klopfen Sie dreimal an die Tür — und dann rufen Sie ,Adele‘. Es wird jemand, der Ihnen wohl will, allein in den Anlagen sein und Sie einlassen. Nein, mein Herr! Ich soll nichts nehmen und kein Wort weiter sagen.« Sie sagte dies — und verschwand.

Cosway war pünktlich beim Stelldichein. Er klopfte dreimal und nannte Fräulein Restalls Vornamen. Aber nichts regte sich. Er wartete eine Weile und machte einen zweiten Versuch. Diesmal drang Adeles Stimme befremdlich aus der Anlage zu ihm und sie rief im Tone der Überraschung:

»Edwin, bist du es wirklich?«

»Erwartetest du sonst jemand?« fragte Cosway.

»Mein Liebchen, deine Botschaft sprach von zehn Uhr — und hier bin ich.«

Die Tür wurde rasch aufgeschlossen.

»Ich sandte keine Botschaft« sagte Adele, als sie sich auf der Türschwelle gegenüberstanden.

Schweigend und in der größten Verlegenheit gingen sie miteinander in den Pavillon. Auf Adeles Ersuchen wiederholte Cosway die Botschaft, die er erhalten, und beschrieb die Frau, die sie überbracht hatte. Die Beschreibung passte auf keine Frau, die Fräulein Restall bekannt gewesen wäre.

»Frau Margery sandte dir nie eine Einladung, und ich, ich wiederhole es, nie eine Botschaft. Diese Begegnung ist von jemand ins Werk gesetzt worden, der da weiß, dass ich nach dem Frühstück gewöhnlich in den Gartenanlagen spazieren gehe. Da ist irgendein heimliches Werk im Gange —«

Noch in Gedanken den Feind suchend, der sie verraten hatte, hielt sie inne und überlegte einen Augenblick. »Ist es möglich —?« begann sie und hielt wieder ein. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Mein Sinn ist so vollständig verwirrt« sagte sie, »dass ich über nichts mehr klar nachdenken kann. O Edwin, wir hatten einen glücklichen Traum, und er hat sein Ende erreicht. Mein Vater weiß mehr, als wir denken. Einige unserer Freundinnen gehen morgen ins Ausland — und ich soll mit ihnen gehen. Nichts, was ich auch sagen mag, übt auch nur die geringste Wirkung auf meinen Vater aus. Er gedenkt uns für immer zu trennen — und in dieser grausamen Weise will er es tun.«

Sie schlang ihren Arm um Cosways Hals und lehnte ihren Kopf liebevoll an seine Schulter. Mit zärtlichen Küssen erneuerten sie das Gelübde ewiger Treue, bis ihnen die Stimme versagte.

Cosway benutzte die Pause zu dem einzig vorteilhaften Vorschlage, den er jetzt machen konnte, mit ihm zu entfliehen.

Adele nahm diese kühne Lösung der Schwierigkeit, in die sie versetzt waren, gerade so auf, wie tausend andere junge Mädchen ähnliche Vorschläge vorher und nachher aufgenommen haben. Zuerst sagte sie entschieden Nein. Cosway beharrte auf seiner Meinung. Sie fing an zu weinen und fragte, ob er denn gar keine Rücksicht auf sie nehme. Cosway erklärte, dass seine Rücksicht jedes Opfer bringen könne, das ausgenommen, sich von ihr für immer zu trennen. Er könne und wolle, wenn sie dies vorziehe, für sie sterben, aber so lange er lebe, müsse er sich weigern, ihr zu entsagen. Daraufhin brachte sie einen anderen Grund für ihre Weigerung vor. Konnte er denn erwarten, dass sie allein mit ihm wegging? Sicherlich nicht. Ihre Kammerjungfer könnte mit ihr gehen, oder, wenn man sich nicht auf sie verlassen könnte, würde er sich an seine Wirtin wenden und eine anständige ältere Person annehmen, die sie bis zum Tage ihrer Verheiratung begleiten solle. Würde sie wohl ein wenig Mitleid mit ihm haben und dies sorgfältig überlegen? Nein: sie fürchtete sich, darüber nachzudenken. Wollte sie lieber Elend fürs ganze Leben? Nichts lag ihm an seinem Glücke: Nur ihr Glück hatte er im Sinne. Mit unsympathischen Leuten zu reisen, von England wer weiß wie lange abwesend zu sein, nach der Rückkehr an einen reichen Mann verheiratet zu werden, den sie nicht leiden mochte — wollte, konnte sie an diese Aussichten nur denken? Unter Tränen dachte sie daran, sie dachte daran unter Seufzern, Küssen und Beteuerungen — sie zitterte, zögerte und gab nach. Zu einer bestimmten Stunde der kommenden Nacht, wenn ihr Vater im Rauchzimmer und Frau Margery zu Bett gegangen sein würde, sollte Cosway noch einmal an der Straßentür klopfen, nachdem er ihr inzwischen Zeit gelassen hatte, alle notwendigen Anordnungen zu treffen.

Unter diesen Umständen war es das einzige dringende Erfordernis, sich gegen Verrat und Überraschungen zu schützen. Cosway spielte vorsichtig auf das noch ungelöste Geheimnis der Einladung und der Aufforderung zum Stelldichein an.

»Hast du irgendjemand in dein Vertrauen gezogen?« fragte er. Adele antwortete mit einer gewissen Verlegenheit. »Nur eine Person« sagte sie, — »das liebe Fräulein Benshaw.«

»Wer ist Fräulein Benshaw?«

»Weißt du es wirklich nicht, Edwin? Sie ist reicher selbst als Papa — sie hat von ihrem verstorbenen Bruder die Hälfte des großen Geschäftes in der City geerbt. Fräulein Benshaw ist die Dame, die Papa in seinen Erwartungen täuschte, als sie nicht zur Gartengesellschaft kam. Du erinnerst dich. mein Lieber, wie glücklich wir gewesen sind, als wir bei Athertons zusammen waren? Ich war sehr unglücklich, als sie mich wegbrachten. Fräulein Benshaw besuchte uns zufällig am nächsten Tage und bemerkte es.

,Meine Teuere« sagte sie (Fräulein Benshaw ist jetzt eine ganz alte Dame), ,ich bin eine alte Jungfer, die ihr Lebensglück verfehlt hat, da sie in ihrer Jugend keinen Freund hatte, der sie geführt und ihr geraten hätte. Leiden Sie, wie ich einst litt?« Sie sprach so liebenswürdig — und ich fühlte mich so unglücklich — dass ich wirklich nicht mithin konnte, ihr mein Herz zu öffnen.«

Cosway blickte ernst· »Bist du sicher, dass man sich auf sie verlassen kann?« fragte er.

»Vollkommen sicher.«

»Vielleicht hat sie aber, mein Liebchen, ohne etwas Arges dabei zu denken, mit einer ihrer Freundinnen über uns gesprochen? Alte Damen sind ja so sehr dem Klatsch ergeben. Es ist leicht möglich — meinst du nicht auch?«

Adele ließ den Kopf sinken.

»Ich habe es auch für möglich gehalten« gab sie zu. »Es ist reichlich Zeit, sie heute noch zu besuchen. Ich will unseren Zweifel beseitigen, ehe noch Fräulein Benshaw heute nachmittag ihre Spazierfahrt macht.«

Nachdem sie sich in dieser Weise verständigt hatten, trennten sie sich. Gegen Abend waren Cosways Vorbereitungen für die Flucht getroffen. Er nahm sein einsames Mittagsmahl, als ihm ein Billet überbracht wurde. Es war von einem Boten an der Tür abgegeben worden, der sich wieder entfernt hatte, ohne auf Antwort zu warten. Das Billet lautete also:

»Fräulein Benshaw übersendet Herrn Cosway ihre freundlichen Grüße und würde dankbar sein, wenn er sie heute abend um neun Uhr in einer Angelegenheit besuchen könnte, die ihn selbst betrifft.«

Diese Einladung war augenscheinlich die Folge des Besuches, den Adele ihr an diesem Tage bereits abgestattet hatte.

Cosway, von dem natürlichen Gefühle der Besorgnis und Spannung beunruhigt, fand sich bei ihr ein. Sein Empfang war nicht derart, ihn zu beruhigen. Er wurde in ein dunkles Zimmer geführt. Die einzige Lampe aus dem Tische war tief heruntergedreht und das so zugelassene spärliche Licht noch durch einen Schirm vermindert. Die Winkel des Zimmers waren beinahe in vollständige Dunkelheit gehüllt.

 

Aus einem der Winkel kam eine Stimme, die ihm zuflüsterte:

»Ich muss Sie bitten, das dunkle Zimmer zu entschuldigen. Ich leide an einer ernsten Erkältung. Meine Augen sind entzündet und mein Hals ist so schlimm, dass ich nur flüstern kann. Setzen Sie sich, Herr Cosway. Ich habe Nachrichten für Sie erhalten.«

»Hoffentlich keine schlimmen, gnädige Frau?« wagte Cosway zu fragen.

»Die allerschlimmsten Nachrichten« sagte die flüsternde Stimme. »Sie haben einen Feind, der Ihnen im Dunkeln seine Streiche versetzt.«

Cosway fragte, wer dies sei und erhielt keine Antwort. Er änderte die Frage dahin, warum denn der Ungenannte im Dunkeln nach ihm schlage. Dies hatte Erfolg; er erhielt jetzt eine Antwort:

»Es ist mir mitgeteilt worden« sagte Fräulein Benshaw, »dass diese Person es für nötig halte, Ihnen einen Denkzettel zu geben, und das boshafte Verlangen habe, dies so empfindlich wie möglich zu tun. Diese Person sandte Ihnen, wie ich zufällig erfahren habe, die Einladung zur Gartengesellschaft und veranlasste auch die Zusammenkunft, die an der Gartentür stattfand. Warten Sie einen Augenblick, Herr Cosway, ich bin noch nicht fertig. Die Person hat es auch Herrn Restall in den Kopf gesetzt, seine Tochter morgen ins Ausland zu schicken.«

Cosway versuchte sie zu veranlassen, dass sie deutlicher spreche.

»Ist dieses elende Geschöpf Mann oder Frau?« fragte er.

Fräulein Benshaw fuhr fort, ohne auf die Unterbrechung zu achten:

»Sie brauchen keine Besorgnis zu haben, Herr Cosway. Fräulein Restall wird England nicht verlassen. Ihr Feind ist allmächtig. Seine Absicht konnte nur sein, Sie zu einem Fluchtplan zu veranlassen — und, nachdem Ihre Vorbereitungen getroffen waren, Herrn Restall zu benachrichtigen und Sie und Fräulein Adele so vollständig voneinander zu trennen, als wenn jedes von Ihnen am entgegengesetzten Ende der Welt wäre. O, Sie werden unzweifelhaft voneinander getrennt werden! Boshaft, nicht wahr? Und, was noch schlimmer ist, das Unheil ist so gut wie geschehen.«

Cosway erhob sich von seinem Sitze.

»Wünschen Sie noch eine weitere Erklärung?« fragte Fräulein Benshaw.

»Noch eins« erwiderte er. »Weiß Adele davon?«

»Nein« sagte Fräulein Benshaw; »Ihnen bleibt es überlassen, es ihr zu sagen.«

Nun trat ein Moment des Schweigens ein. Cosway sah nach der Lampe hin. Wenn er einmal erregt war, so war mit ihm, wie dies bei Männern seines Temperaments gewöhnlich ist, nicht zu scherzen.

»Fräulein Benshaw« sagte er, »ich darf wohl sagen, dass Sie mich für einfältig halten; aber ich kann mir trotz alledem ein Urteil bilden. Sie sind meine Feindin.«

Die einzige Erwiderung war ein kicherndes Lachen. Alle Stimmen können im Flüstern mehr oder weniger erfolgreich verstellt werden — aber das Lachen trägt sein Erkennungszeichen in sich selbst. Cosway riss plötzlich den Schirm von der Lampe weg und drehte den Docht in die Höhe. Das Licht überflutete das Zimmer und zeigte ihm — seine Frau.

Dritter Zeitabschnitt in Cosways Leben

Drei Tage waren vorübergegangen. Cosway saß, bleich und erschöpft, allein in seiner Wohnung. Er war nur noch der Schatten seiner früheren Person.

Adele hatte er seit jener Entdeckung nicht gesehen. Es gab nur einen Weg, den er wagen konnte, um die unvermeidliche Eröffnung zu machen — er schrieb ihr und, Herrn Athertons Tochter trug dafür Sorge, dass der Brief in ihre Hände gelangte. Spätere, durch diese gute Freundin eingezogene Erkundigungen ergaben, dass Fräulein Restall erkrankt war.

Die Hausfrau kam herein.

»Frischen Mut, mein Herr« sagte die gute Frau.

»Heute haben wir bessere Nachrichten über Fräulein Restall.«

Er erhob den Kopf.

»Scherzen Sie nicht mit mir!« sagte er gereizt; »sagen Sie mir genau, was der Diener sagte.«

Die Frau wiederholte die Worte. Fräulein Restall hatte eine ruhigere Nacht und war imstande gewesen, für einige Stunden ihr Zimmer zu verlassen. Er fragte dann, ob eine Antwort auf seinen Brief angekommen sei. Es war keine Antwort eingegangen.

Wenn Adele es entschieden vermied, ihm zu schreiben, so war ihr Entschluss zu klar, um missverstanden zu werden. Sie hatte ihn aufgegeben — und wer konnte sie tadeln?

Man hörte ein Pochen an der Haustür; die Hausfrau blickte hinaus.

»Hier ist Herr Stein wieder zurück, Herr Cosway!« rief sie freudig aus — und eilte weg, um ihn hereinzulassen.

Cosway blickte nicht einmal auf, als sein Freund erschien.

»Ich wusste, dass es mir gelingen würde« sagte Stein. »Ich habe deine Frau gesehen.«

»Sprich mir nicht von ihr« rief Cosway. »Ich würde sie umgebracht haben, als ich ihr Gesicht sah, wenn ich nicht augenblicklich ihr Haus verlassen hätte. Die Elende wird noch von mir getötet werden, wenn du fortfährst, von ihr zu sprechen!«

Stein legte sanft seine Hand auf seines Freundes Schulter.

»Muss ich dich daran erinnern, dass du deinem alten Kameraden doch einigen Dank schuldig bist?« sagte er. »An dem Morgen, da ich deinen Brief erhielt, habe ich Vater und Mutter verlassen — und mein einziger Gedanke war, dir zu dienen. Zeige dich dafür erkenntlich. Sei ein Mann und höre, was zu erfahren dein Recht und deine Pflicht ist. Danach wollen wir, wenn du dies wünschest, nie wieder deine Frau erwähnen.«

Cosway ergriff schweigend seine Hand zum Zeichen des Zugeständnisses, dass er recht habe. Sie setzten sich zusammen nieder. Stein fing an:

»Sie ist so außerordentlich schamlos« sagte er, »dass ich keine Mühe hatte, sie zum Sprechen zu bringen. Und sie hasst dich so tiefinnerlich, dass sie ihrer eigenen Falschheit und Verräterei sich rühmt.«

»Sie lügt natürlich« sagte Cosway bitter, »wenn sie sich Fräulein Benshaw nennt?«

»Nein! sie ist wirklich die Tochter des Mannes, der das große Geschäftshaus in der City gründete.

Trotz aller Vorteile, die Reichtum und Stellung geben konnten, heiratete dieses eigensinnige Geschöpf einen der Angestellten ihres Vaters, der verdientermaßen aus seiner Stelle entlassen worden war. Von diesem Augenblicke an gab ihre Familie sie auf. Mit dem Gelde, das sie sich durch den Verkauf ihrer Juwelen verschafft hatte, erwarb ihr Gemahl den Gasthof, der uns so bittere Erinnerungen bringt — und sie führte das Geschäft auch nach seinem Tode weiter. So viel von der Vergangenheit. Gedenke nun der Zeit, da unser Schiff uns nach England zurückbrachte. Damals lag das letzte überlebende Glied der Familie deiner Frau — ihr älterer Bruder — in den letzten Zügen: Er hatte im Geschäfte seines Vaters Stelle eingenommen und außerdem dessen Vermögen geerbt. Nach einem glücklichen ehelichen Leben wurde er Witwer ohne Kinder, und er musste notwendigerweise seinen letzten Willen ändern. Er zögerte aber, dieser Verpflichtung nachzukommen, und erst zur Zeit seiner letzten Krankheit hatte er Weisungen für ein neues Testament gegeben, wonach er sein Vermögen mit Ausnahme gewisser Vermächtnisse an alte Freunde den Krankenhäusern in Großbritannien und Irland vermachte. Sein Rechtsanwalt verlor keine Zeit, die Weisungen auszuführen. Das neue Testament war bis auf die Unterschrift fertig — das alte war von seiner eigenen Hand vernichtet worden — als die Arzte erklärten, dass der Kranke nicht mehr bei Sinnen sei und wahrscheinlich in diesem Zustande sterben werde.«

»Ergab es sich, dass die Arzte recht hatten?«

»Vollkommen recht. Unsere erbärmliche Wirtin erbte als nächste Verwandte nicht allein sein Vermögen, sondern nahm auch nach dem Gesellschaftsvertrage die Stelle ihres verstorbenen Bruders im Geschäfte ein: unter der einzigen leichten Bedingung, dass sie ihren Familiennamen wieder annehme. Sie nennt sich selbst ,Fräulein Benshaw‘, aber gesetzliche Gründe machten es notwendig, sie im Vertrage als »Frau Cosway-Benshaw« zu bezeichnen. Nur ihre Geschäftsteilhaber wissen jetzt, dass ihr Gemahl noch lebt, und dass du der Cosway bist, den sie insgeheim geheiratet hat.

Willst du einen Augenblick Atem schöpfen? Oder soll ich fortfahren und die Sache zu Ende bringen?«

Cosway winkte ihm fortzufahren.

»Sie fragt nicht im geringsten« fuhr Stein fort, »nach einer Bloßstellung. ,Ich bin der Hauptteilhaber,‘ sagt sie, ,und der Reiche im Geschäft; sie dürfen nicht wagen, mir den Rücken zu kehren.« Du erinnerst dich doch der Auskunft, die ich ganz in gutem Glauben von dem jetzigen Inhaber des Gasthofes erhalten habe? Die Behauptung, dass sie einen Londoner Arzt besucht habe und krank sei, war nur ein Vorwand, um die Dame (jetzt die hochangesehene Dame!) auf gute Art von einem Berufe zu trennen, der wie der Wirtschaftsbetrieb ihrer so unwürdig war. Ihre Nachbarn im Seehafen wurden alle bis auf zwei durch diese List getäuscht Es waren dies zwei Männer — zwei Abenteurer, die beharrlich versuchten, sie, als sie noch Witwe war, zu einer Heirat zu verleiten. Sie glaubten nicht an die Krankheit und an den Besuch beim Arzte und bezweifelten die Gründe, die angeblich zu einem Verkaufe des Gasthofes unter so ungünstigen Umständen geführt hatten. Sie entschlossen sich, nach London zu gehen und waren hierbei von der niedrigen Hoffnung erfüllt, Entdeckungen zu machen, die sich als Mittel zu Gelderpressungen erweisen möchten.«

»Sie entwischte ihnen natürlich« sagte Cosway. »Wie ?«

»Mit Hilfe ihres Anwalts, der es nicht verschmähte, eine hübsche Extravergütung zu nehmen. Er schrieb dem neuen Wirte und zeigte ihm fälschlicherweise das Ableben seiner Klientin in einem Briefe an, den ich dir auf unserer Reise nach London im Eisenbahnwagen mitteilte. Noch andere Vorsichtsmaßregeln wurden getroffen, um die Täuschung aufrecht zu erhalten; doch erscheint es unnötig, sich bei ihnen aufzuhalten. Deine natürliche Folgerung, dass du frei seist, um Fräulein Restall den Hof zu machen, und des armen Mädchens unschuldiges Vertrauen in ,Fräulein Benshaws‘ Teilnahme gaben diesem gewissenlosen Weibe die Mittel, dir den herzlosen Streich zu spielen, der uns nun klar vor Augen liegt. Bosheit und Eifersucht — ich weiß es, wohlgemerkt, von ihr selbst! — waren nicht ihre einzigen Beweggründe. ,Wäre nicht dieser Cosway,‘ sagte sie — ich verschone dich mit dem Zusatz zu deinem Namen — ,mit meinem Gelde und in meiner Stellung hätte ich einen armen Lord heiraten und mich in meinen alten Tagen im vollen Glanze der Pairswürde sonnen können.’ Verstehst du nun, wie sehr sie dich hasst? Doch genug von der Sache! Die Moral davon, mein lieber Cosway, ist, diesen Ort zu verlassen und zu versuchen, was ein Ortswechsel für dich tun kann. Ich habe vollauf Zeit und will mit dir ins Ausland gehen. Wann soll es sein?«

»Lass mich noch einen oder zwei Tage warten« erklärte Cosway.

Stein schüttelte den Kopf. »Hoffst du noch, mein armer Freund, auf eine Zeile von Fräulein Restall? Du ängstigst mich.«

»Das tut mir leid, Stein. Wenn ich ein teilnehmendes Wort von ihr erhalten kann, so will ich mich dem elenden Leben unterwerfen, das vor mir liegt.«

»Erwartest du nicht zu viel?«

»Du würdest nicht so sagen, wenn du sie so liebtest, wie ich.«

Beide schwiegen. Allmählich wurde es dunkel, und die Hausfrau kam wie gewöhnlich mit der Lampe herein. Sie brachte einen Brief für Cosway mit.

Er riss ihn auf, las ihn in einem Augenblick und bedeckte ihn mit Küssen. Seine aufs höchste erregten Gefühle machten sich in einer kleinen entschuldbaren Übertreibung Luft.

»Sie hat mir das Leben gerettet!« sagte er, als er Stein den Brief überreichte.

Dieser enthielt nur folgende Zeilen:

»Meine Liebe gehört Dir, mein Versprechen Dir. Trotz aller Not, trotz aller Ruchlosigkeit, die uns bedroht, trotz der hoffnungslosen Trennung, die uns in dieser Welt bevorstehen mag, bete und sterbe ich als die Deinige. Mein Edwin, Gott segne und tröste Dich.«