Free

Antonia

Text
iOSAndroidWindows Phone
Where should the link to the app be sent?
Do not close this window until you have entered the code on your mobile device
RetryLink sent

At the request of the copyright holder, this book is not available to be downloaded as a file.

However, you can read it in our mobile apps (even offline) and online on the LitRes website

Mark as finished
Font:Smaller АаLarger Aa

Theile der zerlumpten Kleidung, von auf dem Boden liegen den Gestalten, die ihm am meisten ausgesetzt waren, schwebten langsam hin, und her, wie vom Tode auf der dem Ergeben nahen Citadelle des Lebens aufgepflanzte Paniere. Er zog heiß und mephitisch, wie von dem Hauche der wüthenden und schlechten Worte, welche er in die Bankethalle der leichtsinnigen Gäste des Senators trug, vergiftet, durch die offenen Fenster des Palastes. Ueber solche Scenen, wie die sich jetzt unter ihm ausbreitenden, getrieben, nahm er von ihnen eine Unheil verkündende Bedeutsamkeit an – er schien, wie eine aus den glühenden Tiefen des Erdmittelpunktes hervorgetriebene Atmosphäre zu wehen, und düstere Verkündigungen einer ungeheuern Convulsion in dem ganzen Gebäude der Natur über die Menschen erfüllte, traurige Straße zu hauchen.

So sah es vor dem Palaste aus und dies waren die Zuschauer, welche sich in düsterer Erwartung des Unterganges der Wohnung des Senators versammelt hatten. Mittlerweile nahte im Innern des Gebäudes der Anfang der Todesorgie.

Die Sklaven, die während der Noth in der belagerten Stadt mit vollkommener Straflosigkeit in ihrem gewohnten unbedingten Gehorsam gegen ihren Herrn erschlafft waren, hatten sich ausbedungen, daß es ihnen, sobald ihre vorbereitenden Arbeiten beendigt sein würden, freistehen solle, ihre eigene Sicherheit zu Rathe zu ziehen und den dem Verderben geweihten Palast zu verlassen.

Schon konnte man einige von den Schwächsten und Furchtsamsten von ihnen durch die Hinterthüren in den Garten hinauseilen sehen, wie Ingenieure, die eine Pulverleitung angezündet hatten und entflohen, ebe die Explosion ausbrach. Diejenigen von den Dienstleuten welche noch im Palaste geblieben waren, beschäftigten sich noch größentheils mit Trinken aus den Weingefäßen, die man ihnen vorgesetzt hatte, um ihre Kräfte bis zum letzten Augenblicke zu bewahren.

Der Hohn des Festes war selbst bis auf ihre Gewänder ausgedehnt worden. Grüne, von kirschrothen Gürteln zusammengehaltene Livreen bekleideten ihre abgezehrten Körper. Sie tranken im tiefsten Schweigen. Unter ihren Reihen war nicht der mindeste Schein von Lustigkeit oder Berauschung zu erblicken. Verwirrt, zusammengehäuft, wie um sich gegenseitig Schutz zu gewähren, warfen sie von Zeit zu Zeit scharfe Blicke des Argwohns und der Besorgniß auf sechs bis acht von den höhern Dienern des Palastes, die am äußern Ende der von ihren Kameraden eingenommenen Halle auf und ab gingen, und von Zeit zu Zeit bis an die Vorderthüren des Gebäudes schritten, wo sie verstohlene Zeichen mit einigen Mitgliedern der Menge auf der Straße austauschten. Es waren unbestimmte Gerüchte von einer geheimen Verschwörung im Umlaufe, die einige von den ersten Sklaven, und eine Anzahl von Bösewichtern unter dem Volke, eingegangen sein sollten, um alle Bewohner des Palastes zu ermorden, sich der Schätze desselben zu bemächtigen, den Gothen die Stadtthore zu öffnen und in der Verwirrung beim Plündern von Rom mit ihrer Beute zu entfliehen.

Bis jetzt war noch nichts Bestimmtes entdeckt, aber die wenigen Diener, die sich von den Uebrigen abgesondert hielten, wurden von allen ihren Kameraden beargwöhnt, und jetzt von diesen beim Weine mit ängstlichen Augen beobachtet. So verschieden auch die Scene unter den noch im Palaste gebliebenen Sklaven von dem Anblicke des auf der Straße befindlichen Volkes war, verkündete doch das Eine, wie das Andere, in seiner Art mit gleicher Düsterkeit ein bevorstehendes Unglück.

Die große Bankethalle des Palastes war jetzt zwar zum Feste gerüstet, hatte aber ein verändertes Unheil verkündendes Aussehen angenommen.

Die massiven Tische liefen noch immer von üppigen Ruhebetten umgeben, wie in früheren Zeiten durch die ganze Länge des Zimmers, auf ihrer glänzenden Oberflache war aber keine Spur von Speise zu erblicken. Kostbare Vasen, Flaschen und Trinkbecher bedeckten mit Wein gefüllt allein die festliche Tafel. Von der Decke hingen tief zehn große Lampen herab, die der Anzahl der versammelten Gäste, der einzigen, herbeizuschaffenden Vertreter der Hunderte von Festgenossen, welche in den jetzt auf ewig vergangenen glänzenden Nächten auf Vetranio’s Kosten geschmauset hatten, entsprachen. An dem untern Ende des Zimmers, der Hauptthür gegenüber, hing ein dicker schwarzer Vorhang, der zum Verbergen eines dahinter befindlichen geheimnißvollen Gegenstandes bestimmt zu sein schien. Vor dem Vorhange brannte eine kleine, gelbe Glaslampe auf einer hohen vergoldeten Stange und rund umher war an den Wänden und über einen Theil des Tisches eine bunte, wirre Masse von kostbaren. Gegenständen aufgehäuft; die Alle von mehr oder weniger brennbarer Natur und mit wohlriechenden Oelen besprengt waren. Hunderte von Ellen prächtig bunter Stoffe, Rollen über Rollen von Manustripten glänzende Kleidungen von jeder Farbe, Spielereien, Werkzeuge, unzählige Hausrathgegenstände von seltenen schön eingelegten Hölzern, waren nachlässig durch einander an den Wänden des Zimmers hingeworfen worden und erhoben sich bis nahe an die Decke.

Auf allen Theilen der Tische, welche nicht von den Weingefäßen eingenommen waren, lagen goldene, Juwelen besetzte Zierrathen, die das Auge durch ihren Strahlenglanz blendeten, während in außerordentlichem Contrast mit der so grenzenlos entwickelten Pracht in einer der obern Ecken der Halle ein alter hölzerner, mit einem groben Tuche bedeckter Tisch erschien, auf welchem ein paar Schüsseln von gemeinem Töpfergeschirr gestellt waren, die ein Gemisch von gekochter Kleie und eingesalzenem Pferdefleisch enthielten. Der widerliche Geruch, welcher sich aus diesem seltsamen Gemisch hätte erheben können, war von den verschiedenen im Zimmer verbreiteten Wohlgerüchen verdrängt, die im Verein mit dem durch die Fenster von der Straße hereinkommenden heißen Winde, eine so drückende und schwächende Atmosphäre erzeugten, daß sie trotz ihrer künstlichen Lockungen für den Geruchssinn der Luft eines Kerkers oder den Ausdünstungen eines Sumpfes glich.

Die auffallende Veränderung in dem gegenwärtigen Aussehen der Bankethalle war nur ein schwaches Abbild der Verschlimmerung in dem Aeußern des Festgebers und seiner Gäste. Vetranio lag in einen Scharlachmantel gehüllt, an der Spitze der Tafel. Eine gestickte Serviette mit purpurnen Quasten und Franzen, die durch goldene Ringe mit einander verbunden waren, hing über seine Brust und seine Arme waren von silbernen und elfenbeinernen Armbändern umschlossen. Die Gewänder waren jedoch Alles, was man noch von dem frühern Menschen erblickte. Sein Kopf war wie altersschwach vorwärts gebeugt, seine abgezehrten Arme schienen kaum das Gewicht der an ihnen schimmernden Zierrathen tragen zu können. Seine Augen hatten einen wilden unstäten Ausdruck angenommen und eine Todtenblässe überzog die einst runden jovialen Wangen, welche in frühern Zeiten so viele Frauen mit eigennützigem Entzücken geküßt hatten. Sowohl dem Gesicht, wie dem Benehmen nach, war der elegante Genußmensch seit der Bekanntschaft, die wir am Hofe von Ravenna mit ihm gemacht haben, gänzlich zum Schlimmern verändert. Von den übrigen acht Patriziern, die auf den Ruhebetten theilweise ausgelassen und leichtsinnig, theilweise düster und abgestumpft, um ihren veränderten Wirth lagen, hatten Alle ohne Ausnahme, gleich ihm, in der Prüfung der Belagerung, der Hungersnoth und Pest gelitten. Dies waren die Mitglieder der Versammlung, welche durch neun der von der Decke herabhängenden brennenden Lampen vertreten wurden. Die zehnte und letzte Lampe verkündete die Anwesenheit noch eines Gastes, der von den übrigen etwas entfernt lag.

Dieser sehnte war bucklig, sein knochiges, mageres Gesicht stand in einem abstoßenden Mißverhältnisse mit seinem winzigen Körper, der in ein weites, grellfarbiges Gewand gehüllt, doppelt verächtlich aussah. Der niedrigsten Hefe des Pöbels entsprungen, hatte er sich allmälig durch seine Geschicklichkeit in groben Possenreissereien und seine Bereitwilligkeit, den schlimmsten Lastern Aller zu fröhnen, die sich seiner zu bedienen Lust hatten, in die Gunst Höherstehender gedrängt. Da er während der Belagerung den größten Theil seiner Gönner verloren hatte, und sich von allen Seiten dem Hungertode Preis gegeben sah, war er jetzt als letztes Hülfsmittel um die Erlaubniß eingekommen, an dem Banket des Hungers Theil zu nehmen, es durch eine letzte Schaustellung seiner Lustigmacherei zu erheitern und mit seinen Herrn zu sterben, wie er mit ihnen gelebt hatte, als der Sklave der Schmarotzer und der Nachahmer ihrer niedrigsten Laster und schlimmsten Verbrechen.

Zu Anfange der Orgie hörte man außer dem Klappern der Weinbecher, dem leisen unterbrochenen Flüstern der Zecher und den von der Straße durch das Fenster heraufdringenden undeutlichen Stimmen des Volkes nur wenig. Die Gäste wurden jetzt durch das Verzweifelte ihres Bundes, da die Ausführung desselben wirklich begonnen hatte, unwillkürlich in Beklemmung versetzt. Als endlich ein Verstummen aller Töne eingetreten war – als sich eine vorübergehende Ruhe über den äußern Lärm gebreitet hatte, – als die Weinbecher geleert und auf einen Augenblick niedergesetzt worden waren, ehe sie wieder gefüllt wurden, – stand Vetranio schwach auf, verkündete mit einem spöttischen Lächeln, daß er im Begriff sei, eine Leichenrede über seine Freunde und sich selbst zu halten, und deutete auf die Wand unmittelbar hinter sich, als einen zur Erweckung des Erstaunens oder der Heiterkeit seiner mürrischen Gäste geeigneten Gegenstand.

An dem obern Theile der Wand waren verschiedene kleine Statuen von Bronce und Marmor befestigt, die alle den Eigenthümer des Palastes darstellten und mit goldenen Platten behängt waren. Unter ihnen erblickte man das Verzeichniß der Einkünfte seiner Güter in verschiedenartigen Farben auf weißes Pergament geschrieben und unter diesem war in schwachen unregelmäßigen Zügen kein geringerer Gegenstand als seine eigene Grabschrift auf den Marmor eingegraben. Sie kann folgendermaßen übersetzt werden:

 
Steh Wanderer!
Wenn Du ehrerbietig die Freuden des Geschmacks genossen hast,
so verweile bei den Ruinen dessen was einst ein Palast
War
Und lies mit Achtung auf diesem Steine
die Grabschrift
des Senators Vertranio
Er war der Erste, der eine gute Nachtigallensauce erfand,
Sein kühner und schaffender Geist vervollkommnete
die Kochkunst
und würde sie noch mehr vervollkommnet haben
Aber zum Unglück für die Interessen der Wissenschaft
lebte er in den Tagen, wo die gothischen Barbaren
die kaiserliche Hauptstadt
belagern
Der Hunger
ließ ihm keine Stoffe mehr zu Experimenten des
Geschmackes
und die Pest beraubte ihn der Köche, die er hätte aufklären können
Auf allen Seiten von der Gewalt widriger Umstände
gehemmt,
fand er sein Leben von keinem weiteren Nutzen
für
die kulinarischen Interessen Roms;
Er rief seine erwählten Freunde zum Beistande herbei,
trank gewissenhaft jeden Tropfen Wein, der noch in
seinem Keller war,
entzündete den Scheiterhaufen für sich und seine Gäste
in der Bankethalle seines eigenen Palastes
und starb, wie er gelebt hatte,
als ein patriotischer
Cato
der Gastronomie seines Vaterlandes!
—–

»Seht« rief Vetranio, indem er triumphirend auf die Grabschrift deutete, – »seht in jeder Zeile jener beredten Worte zugleich das Siegel meiner entschlossenen Anhänglichkeit an das uns hier vereinigende Bündniß und die Begründung meines gerechten Anspruches auf die Ehrerbietung der Nachwelt, für die nützlichste der Künste, die ich zum Wohle meines Geschlechts geübt habe! Lest, Freunde – Brüder – Mitmärtyrer des Ruhms – und freut Euch, während Ihr lest, mit mir über die Stunde unsers Scheidens von dem entweihten Schauplatze, der es nicht mehr verdient, daß man auf ihm die Spiele des Lebens feiert! Hört mich jedoch, ehe das Fest seinen Fortgang nimmt, an, – ich halte meine letzte Rede, als Richter unserer Leichenspiele, als Wirth bei dem Banket des Hungers!

»Wer möchte gemein unter dem langsamen Drucke des Hungers erliegen, oder den Untergang von dem blitzenden Stahl des Schwertes der barbarischen Eroberer finden, wenn sich seiner Wahl ein Tod, wie der unsrige, bietet? Wenn der Wein schimmernd fließt, um das Gefühl in Vergessenheit zu begraben und ein Palast mit seinen Schätzen zugleich die Schaubühne des Gelags und den glänzenden Scheiterhaufen darbietet? Die großen Philosophen von Indien, die begeisterten Gymnosophisten – starben, wie wir sterben werden! Calanus vor Alexander, Zamarus vor Augustus zündeten das Feuer an, welches sie verzehren sollte. Wir wollen ihr ruhmvolles Beispiel befolgen! An unsern Körpern werden keine Würmer zehren, bei unsern Begräbnissen werden keine gemietheten Klageweiber ein mißtöniges Geheul erheben, von dem ewigen Feuer gereinigt, werden wir Feinden und Freunden triumphirend entschwinden – als Wunder für die Erde, als herrliche Vision für die Götter selbst!

»Ist jetzt ein Lebenstag mehr oder weniger für uns von Wichtigkeit? Nein, unsere Bestrebungen können sich nur dem leichtesten und herrlichsten Tode zuwenden.

»Unter unserer Zahl befindet sich jetzt kein Einziger, der sich noch weiter mit den Sorgen der Existenz befassen möchte! —

»Hier, zu meiner Rechten, liegt mein schätzbarer Genosse bei tausend früheren Festen, Furius Balburius Placidus, der, wenn wir auf dem Lucriner See fuhren, sich über unerträgliche Leiden zu beklagen pflegte, wenn sich eine Fliege anf seinen vergoldeten Sonnenschirm niederließ, der sich nach einem Lande Kimmerischer Finsterniß sehnte, wenn ein Sonnenstrahl die seidenen Schirmdächer seiner Gartenterrasse durchdrang und der sich jetzt mit dem geringsten seiner Sklaven, um einen Bissen Pferdefleisch balgt und die prächtigsten von seinen Villen für einen Korb mit erbärmlichen Broden dahingehen würde!

»O, Furius Balburius Placidus, was kann Dir das Leben noch weiter nützen?«

»Dort, zu meiner Linken, erkenne ich das veränderte, wiewohl noch ausdrucksvolle Gesicht des entschlossenen Thascius – desjenigen, der einen Sklaven mit hundert Peitschenhieben züchtigt, wenn ihm nicht augenblicklich, nachdem er es befohlen, sein warmes Wasser gebracht wurde, – er, der durch seine erhabene Verachtung gegen jedes Mitglied des Menschengeschlechts, mit Ausnahme seiner selbst, einst zu den größten Philosophen gehörte – selbst er wandert jetzt unbedient in seinem Palaste umher und fällt dem Plebejer, der ihm ein Maß erbärmlicher Kleie verkauft, schmeichelnd zu Füßen!

»O, bewundernswürdiger Freund, o, richtig berechnender Thascius, sage, ob es in Rom noch etwas gibt, wodurch Du Deine Reise nach den elisäischen Feldern noch verschieben möchtest.

»Weiterhin am Tische sehe ich, während meiner Rede mit heftigem Trinken beschäftigt, Deine einst volle, runde Gestalt, o, Marcus Moecius Moemmius! Du, der Du einst gewohnt warst, Dich über die Länge Deines Namens zu freuen, weil er Deine Freunde in den Stand setzte, um so mehr zu trinken, wenn sie einen Becher auf jeden Buchstaben desselben leeren wollten. Sage mir, welche Bankethalle Dir außer dieser jetzt noch offen steht? und was sollte Dich, der Du so trostlos in der Stadt Deiner Triumphe zurückgeblieben bist, abgeneigt machen unser festliches Beisammensein als Dein letztes Gelage auf Erden zu betrachten!

»Auch Du, spaßhafter Buckliger, Fürst der Schmarotzer, unskrupulöser Reburrus, wo kann Dir Deine Lustigmacherei jetzt noch einen Trunk erquickenden Weins verschaffen, außer bei diesem Banket? Deine Herren haben Dich dem Düngerhaufen, auf dem Du geboren bist, wieder überlassen! Du wirst nicht mehr für sie schmeicheln, wenn sie borgen, oder grob sein, wenn sie bezahlen.

»Du wirst keine Anklagen der Giftmischerei oder Zauberei mehr schmieden, um ihre lästigen Gläubiger ins Gefängniß zu bringen. O, dienstfertiger Sykophant, Deine Beschäftigung ist zu Ende.

»Trinke, so lange Du kannst und überlaß dann Deinen Cadaver dem Kothe in welchen er gehört.

»Und Ihr, meine fünf übrigen Freunde, die ich da es mich nicht nach weiterer Zögerung gelüstet, zusammen anreden will – denkt an die Tage, wo der Verdacht einer ansteckenden Krankheit, bei irgend einem Eurer Gefährten hinreichend war, um Euch selbst von dem Liebsten derselben loszureißen, wo die Sklaven, die aus ihren Palasien zu Euch kamen, lange Waschungen bestehen mußten, ehe sie sich Euch nähern durften und bedenkt bei der Erinnerung daran, daß die meisten von uns, vielleicht wir Alle, die wir heute hier zusammen kommen, schon von der Pest angesteckt sind und dann sagt, welchen Vortheil es gewährt, sich nach der Verlängerung eines Lebens zu sehnen, welches Euch nicht mehr gehört?

»Nein, meine Freunde, meine Brüder im Banket, Ihr fühlt, daß es Thorheit wäre, fortzuleben, wenn das Leben werthlos geworden ist, Ihr könnt nicht vor dem erhabenen Entschlusse. durch welchen wir mit einander verbunden sind, zurückbeben – ich thue Euch schon durch den Zweifel Unrecht!

»Erlaubt mir jeßt vielmehr Eure Beachtung auf einen würdigern Gegenstand zu lenken, – auf die Nennung der festlichen Ceremonien, welche den Gang des Bankets bezeichnen werden. Sobald diese Aufgabe erfüllt ist, schließe ich mich Euch wieder zu der letzten Huldigung vor der Gottheit unsers geselligen Lebens, dem Gotte des Weines an!

»Es ist Euch, die Ihr in den Tischgebräuchen des Alterthums gelehrt seid, nicht unbekannt, daß es bei Einigen von den Alten gewöhnlich war, daß ein Meister der Philosophie, als Lehrer, wie als Gast, bei ihren Festen den Vorsitz führte. Ich habe dafür Sorge getragen. diesen Gebrauch wieder zu beleben, und wie diese unsere Versammlung in ihrer heroischen Absicht nicht ihres Gleichen hat, so war es auch mein Bestreben zu ihr eine, sowohl als Lehrer, wie als Gast unvergleichliche Person einzuladen. Durch eine originelle Idee angefeuert, von meinen Sklaven unbemerkt, und nur von meinem Sängerknaben dem treuen Glyco, unterstützt, ist es mir gelungen, hinter jenen schwarzen Vorhang einen Genossen unsers Gelags zu bringen, wie Ihr noch keinen gehabt habt – dessen Erscheinen im rechten Augenblicke Euch unwiderstehliches Erstaunen einflößen muß, und dessen Reden – nicht blos menschlicher Weisheit – von den mitternächtlichen Geheimnissen der Gruft eingegeben sein werden. Neben mir auf diesem Pergamente liegt das Formular der Fragen, welche Reburrus, sobald der Vorhang zurückgezogen sein und, an das Oralel der Mysterien anderer Sphären richten soll!

»Vor Euch seht Ihr in diesen Gefäßen Alles, was noch von dem Inhalte meiner einst wohlversehenen Keller enthalten ist und was ich dem Gaumen meiner Gäste bieten kann! Wir sitzen bei dem Banket des Hungers und an der bachanalischen Tafel findet kein gröberer Genuß, als der des begeisternden Weines Zulaß. Sollte aber Einer von uns in seinen letzten Augenblicken schwach genug sein, seine Lippen mit Nahrung zu beflecken, wie sie nur des Gewürmes der Erde würdig ist, so möge er den erbärmlichen kleinen Tisch, das Sinnbild der erbärmlichen kargen Speise, welche ihn bedeckt, dort in der Dunkelheit hinter mir aufsuchen. Dort wird er – im Ganzen kaum für das ärmlichste Mahl eines Menschen hinreichend – die letzten Bissen der erbärmlichsten Nahrung finden, wie sie noch im Palaste vorhanden sind. Was mich betrifft, so steht mein Entschluß fest, – nur der köstliche Weinbecher soll sich meinen Lippen nähern! Ueber mir sind die zehn Lampen, die der Anzahl meiner hier versammelten Freunde entsprechen. Eines nach dem andern, wie uns der Wein überwältigt, werden diese brennenden Bilder des Lebens von den Gästen verlöscht werden, welche der Flüssigkeit noch nicht erlegen sind und der Letzte von ihnen wird seine Fackel an der letzten Lampe anzünden und das Banket zu Ende bringen und seinen glänzenden Schluß feiern, indem er den Scheiterhaufen meiner Schätze, welcher dort an meinen Palastmauern aufgehäuft ist, in Brand steckt.

»Wenn mich meine – Kräfte eher verlassen sollten, als Euch die Euern, so schwört – mir, daß derjenige, welcher von Euch noch im Stande sein wird, den Becher an seine Lippen zu erheben, nachdem er den Händen der Uebrigen entfallen ist, den Scheiterhaufen anzünden will! Schwört es bei Euern verlorenen Geliebten, Eltern verlorenen Freunden, Euern verlorenen Schätzen und bei Euern eigenen, den Freuden des Weines und der Reinigung des Feuers geweihten Leben.«

Als Vetranio mit blitzenden Augen und geröthetem Gesicht auf sein Lager zurücksank, erhoben sich seine Genossen, von dem bereits getrunkenem Weine angefeuert den Becher in der Hand und wendeten sich ihm zu. Ihre mißtönig gemischten Stimmen sprachen zusammen den Eid aus und dann wendeten sich, als sie ihre frühern Lagen wieder annahmen, ihre Augen in glühender Erwartung dem schwarzen Vorhange zu.

Sie hatten den düstern sarkastischen Ausdruck im Auge Vetranio’s, als derselbe von seinem versteckten Gaste sprach, bemerkt, sie wußten, daß der Bucklige Reburrus unter seinen übrigen belustigenden Fähigkeiten noch die Bauchrednerei verstand, und sie vermutheten die Gegenwart der häßlichen und grotesken Bildsäule eines heidnischen Gottes oder Dämons in der verborgenen Nische, welchen die Gauckelei des Parasiten mit der Kraft der Rede begaben sollte. Sie erwarteten gotteslästerliche Kommentare über Leben, Tod und Unsterblichkeit. Vetranio bemerkte das allgemeine Verlangen nach dem Zurückziehen des Vorhanges, er winkte den Gästen mit der Hand Schweigen zu und rief gebieterisch:

»Die Stunde ist noch nicht gekommen, es muß mehr getrunken werden, es müssen mehr Libationen verschüttet worden sein, ehe das Geheimniß des Vorhangs offenbart wird.«

»He, Glyco,« fuhr er zu dem Sängerknaben gewendet, der schweigend in das Zimmer getreten« war, fort; »jetzt ist der Augenblick gekommen. Stimme Deine Leier und singe meine letzte Ode, die ich an Dich gerichtet habe. Die Reize der Dichtkunst mögen den Vorsitz über das Fest des Todes führen.«

Der Knabe trat zitternd vor. Sein einst von der Röthe der Gesundheit strahlendes Gesicht war farblos und eingefallen, seine Augen hefteten sich mit einem Blicke starren Entsetzens auf den starren Vorhang, seine Züge zeigten deutlich die Gegenwart einer geheimen furchtbaren Erinnerung an, die alle seine übrigen Fähigkeiten und Wahrnehmungskräfte erstickt hatte. Er wendete fortwährend und fast wie schuldbewußt sein Gesicht von dem seines Herrn ab und stand – ein schwaches gefallenes Wesen, ein trauriges Schauspiel schlecht an gewandter Gelehrigkeit und entwürdigter Jugend, – an Vetranio’s Lager.

 

Den Pflichten seines Berufes getreu, ließ er jedoch seine magern zitternden Finger über die Leier streifen und spielte mechanisch die Einleitung der Ode. Während der aufmerksamen Stille, die jetzt eingetreten war, drang jedoch das wirre Geräusch von dem Volke auf der Straße deutlicher in den Banketsaal und in diesem Augenblicke erhob sich über Alle – rauh, rasend, entsetzlich – die Stimme eines Mannes.

»Sprecht mir nicht von aus dem Palaste kommenden Wohlgerüchen!« schrie sie – »faule Dünste strömen daraus herab! – Seht, sie senken sich erstickend über mich. Sie baden Himmel und Erde und die Menschen, die sich um uns bewegen, in grausigem, grünen Lichte!«

Hierauf unterbrachen ihn andere schrille, wilde Männer- und Weiberstimmen: —

»Ruhe, Darus, Du erweckst die Todten um Dich her! verbirg Dich in der Finsterniß, Du bist von der Pest getroffen, Deine Haut ist verschrumpft, Dein Zahnfleisch ist zahnlos. Wenn der Palast angezündet wird, so sollst Du in die Flammen geworfen werden. Damit Dein verfaulter Leichnam gereinigt wird.«

»Singe!« rief Vetranio wüthend, als er den Schauder bemerkte, welcher den Körper des Knaben durchlief und ihn sprachlos erhielt – »schlage die Leier an, wie Timotheus vor Alexander! ersticke das Bellen der Köter, die auf der Straße auf unsern Abfall warten, durch wohlklingende Töne!«

Der entsetzte Knabe begann schwach und mit häufigen Unterbrechungen sein Lied, zu dessen heidnischer Philosophie das wilde anhaltende Gelärme der stöhnenden Stimmen vor dem Hause eine schaurige Begleitung lieferte. Er lautete ungefähr so:

An Glyco
 
Was, Glyco, soll Dein Blumenkranz
Wie bald verbleicht sein bunter Glanz
Zu Staub und todtem Wust.
Doch schneller noch verweht im Wind
Das erdgebor’ne Himmelskind,
Die Freud’ in unsrer Brust!
 
 
Die Wolke, die am Himmel zieht,
Die warm im Sonnenschein erglüht,
Und plötzlich dann vergeht;
Sie ist des Menschenlebens Bild,
Das heut das Wohlsein fröhlich schwillt
Und morgen schon verweht!
 
 
Wie Blinde tappen wir umher,
Beherrscht vom blinden ungefähr,
Das spöttisch uns verlacht.
Doch zu verlassen diese Welt,
Wenn sie uns einst nicht mehr gefällt,
Das steht in unsrer Macht!
 
 
Ist der wohl klug, der träge sinnt
Bis seines Lebens Sand verrinnt,
Wenn’s seine Lust verliert?
Nein, wenn der äußre Glanz verschwand,
So werft das Spielzeug aus der Hand,
So leicht wie Ihr’s geführt!
 

»Auf Glycos Gesundheit! einen vollen Becher auf den Sänger, der vom Himmel auf die Erde herabgekommen ist!« riefen die Gäste, sobald die Ode zu Ende war, indem sie ihre Weinbecher ergriffen und dieselben bis auf den letzten Tropfen leerten.

Ihr trunkener Beifallsruf drang jedoch nicht bis in das Ohr, für welches derselbe bestimmt war. Die Stimme des Knaben hatte beim Singen des letzten Verses der Qde plötzlich einen schrillen, fast schaurigen Ton angenommen, war dann plötzlich wieder bei den letzten wenigen Roten fast unhörbar geworden und jetzt, als die Zuhörer sich ihm mit beifälligen Blicken zuwendeten, sahen sie ihn kalt, starr und tonlos vor sich stehen. Im nächsten Augenblicke verzerrten sich seine Züge, sein ganzer Körper sank, wie von einem innern Krampf zerrissen, zusammen – er siel schwer auf den Boden nieder. Die Gäste näherten sich ihm mit schwankendem Gange und hoben ihn in ihren Armen auf. Seine Seele hatte die Fesseln des Lasters zersprengt, in welche sie von andern geschlagen worden war, die Stimme des Todes hatte dem Sklaven der großen Despotin, Sünde, zugeflüstert: »sei frei!«

»Wir haben den Schwan seine eigne Leichenhymne singen hören,« sagte der Patrizier Placidus, indem er mit trunkenem Mitleid von der Leiche des Knaben zu dem Gesichte Vetranio’s aufblickte, welches jetzt einen unwillkürlichen Ausdruck von Schmerz und Reue wahrnehmen ließ.

»Unser Wunder der Schönheit und Götterknabe der Melodie ist vor uns nach den elisäischen Feldern gegangen!« murmelte der bucklige Reburrus in rauhen sarkastischen Tönen.

Während der kurzen Stille, die jetzt eintrat, wurden die Stimmen von der Straße, an welche sich nun das Geräusch nahender Schritte auf dem Pflaster schloß, wieder deutlich hörbar.

»Etwas Neues! etwas Neues!« riefen die frischen Hülfstruppen, der schon vor dem Palaste versammelten Schaar. »Haltet Euch zusammen, wenn Ihr auf Euer Leben noch Werth legt! Es sind einzelne Bürger von fremden Männern in einsame Straßen gelockt worden und nie wieder zum Vorschein gekommen. In einem Fleischerladen hat man Krüge von frischgesalzenem Fleisch gefunden, die von keinem Thiere in der Stadt kommen konnten, da keines mehr lebt. Bleibt bei einander! bleibt bei einander!«

»Die Leiche meines armen Knaben soll von keinem Kannibalen unter dem Pöbel entweiht werden»rief Vetranio, der sich jetzt aus seiner kurzen Lethargie des Schmerzes aufraffte. »Komm, Thascius! Marcus! die Ihr noch stehen könnt, wir wollen ihn auf den Scheiterhaufen tragen. Er ist zuerst gestorben, seine Gebeine sollen zuerst zu Asche werden!«

Der Körper wurde nach dem untern Ende des Zimmers getragen und quer über den Tisch, an den schwarzen Vorhang und zwischen die Haufen von gewebten Stoffen und Hausrath gelegt, die dort an den Wänden aufgethürmt waren. Als die Gäste wieder aus ihre Plätze zurückschwankten, rief Vetranio, der an der Seite des Leichnams zurückgeblieben war, indem er ein kleines Weingefäß in seine zitternden Hände nahm, in Tönen wilden Triumphes:

»Die Stunde ist gekommen, das Banket des Hungers ist zu Ende, das Banket des Todes hat begonnen! Aus die Gesundheit des Gastes hinter dem Vorhange! Schenkt ein! Trinkt! seht!«

Er that einen tiefen Zug aus der Vase und zog die schwarze Draperie über sich bei Seite. Den berauschten Gästen entfloh ein Schrei des Schreckens und Erstaunens, als sie, in dem jetzt vor ihre Augen tretenden Raume, die weißgekleidete Leiche eines alten Weibes auf einem hohen schwarzen Throne, mit ihnen zugekehrtem Gesicht und künstlich unterstützten, wie strafend über den Bankettisch ausgestreckten Armen, erblickten.

Die gelbe Glaslampe, welche hoch über dem Körper brannte, warf ein grelles flackerndes Licht auf denselben. Die Augen standen! offen, die Kinnlade war herabgefallen das lange graue Haar hing schwer zu beiden Seiten der weißen hohlen Wangen herunter.

»Seht!« rief Vetranio auf die Leiche deutend, »seht meinen geheimen Gast! Wer eignet sich besser zum Vorsitze beim Banket des Todes, als die Todten? Ich habe Glyeo zur Hülfe gezwungen, von der freundlichen Nacht umhüllt, mich der ersten Leiche bemächtigt, die auf der Straße vor mir lag, und dort, von Allen ungeahnt, das passend sie Idol unserer Verehrung und den Philosophen bei unserm Feste hingesetzt! – Noch eine Gesundheit auf die Königin des Todesgelages, auf die Lehrerin der Geheimnisse unsichtbarer Welten, die davon erlöst, unbegraben zu verwesen, mit den Senatoren von Rom in den geweihten Flammen untergehen wird! Auf die Gesundheit der Todten ehe sie die mystischen Enthüllungen beginnt! Schenkt ein – trinkt!«

Durch das Beispiel ihres Wirthes angefeuert, von ihrem vorübergehenden Grausen zurückgekommen und durch die tolle Lustigkeit des Gelages bereits entflammt, sprangen die Gäste von ihren Ruhebetten auf und entsprachen Vetranio’s Aufforderung mit bachantischem Geschrei.

Die Seene näherte sich in diesem Augenblicke dem Uebernatürlichen. Die wilde Unordnung der schätzebeladenen Tische, der aus umgestürzten Gefäßen auf den Boden strömende Wein, die hell und ruhig die Verwirrung unter ihnen beleuchtenden Lampen, die feurigen Geberden, die erhitzten Gesichter der Zechen wie dieselben in rasendem Triumphe die juwelenbesetzten Pokale über ihren Köpfen schwangen und dabei der entsetzliche grausige Anblick am untern Ende des Saales, – der schwarze Vorhang, das einsam auf seiner hohen Stange brennende Licht, die auf dem festlichen Tische liegende Knabenleiche, neben der der Herr des Hauses stand und gleich einem bösen Geiste spöttisch aufwärts nach dem weißgekleideten Körper des Weibes deutete, der sich in seiner Unnatürlichen Lage über Alle erhob, mit seinen ausgestreckten dürren Armen, mit seinen sich zu bewegen scheinenden Zügen, über die das schwache flackernde Licht der Lampe spielte – Alles dies zusammen-genommen, bildete eine Combination von Gegenständen, welche aussahen, als ob sie kaum der Erde angehörten und deren Wirkung man eher malen, als beschreiben kann. Es war die Verkörperung der Vision eines Zauberers, – eine Apokalypse der über die letzten Ueberreste der Sterblichkeit in den Hallen des Todes triumphirenden Sünde.