Die Sprache des Traumes

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From the series: gelben Reihe #1
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Die Sprache des Traumes
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Wilhelm Stekel



Die Sprache des Traumes



Band 117 in der gelben Reihe





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Inhaltsverzeichnis





Titel







Vorwort des Herausgebers







Dr. Wilhelm Stekel







Vorwort des Autors







Die Bedeutung der Symbolik







Auf der Oberfläche der Probleme







Der Traum vom Rathaus







Der Traum vom zügellosen Leben







Der Traum vom versunkenen Baum







Die Traumentstellung







Der Traum vom Zuckerbäcker







Der Traum von der heuchlerischen Liebe







Die Spaltung der Persönlichkeit im Traume







Villa und Strafanstalt







Transformationen und Bisexualität







Was fünf Finger bedeuten







Träume eines Zweiflers







Leben und Sterben im Traume







Der Affekt im Traume







Was die Tiere im Traume bedeuten







Drei Träume einer Nacht







Ein Wespentraum







Der Traum vom Gewächshaus







Der Traum vom Reisigholz







Der Traum von den Erdbeeren







Die Rolle des Kindes und der Verwandten im Träume







Wortneubildungen und unverständliche Worte







Der Traum im Traume







Das Erlebnis im Traume und Rettungsträume







Die maritime gelbe Buchreihe







Weitere Hinweise







Impressum neobooks







Vorwort des Herausgebers








Von 1970 bis 1997 leitete ich das größte Seemannsheim in Deutschland am Krayenkamp am Fuße der Hamburger Michaeliskirche, ein 140-Betten-Hotel für Fahrensleute.








Im Februar 1992 entschloss ich mich, meine Erlebnisse mit den Seeleu­ten und deren Berichte aus ihrem Leben in einem Buch zusammenzutra­gen. Es stieß auf großes Interesse. Mehrfach wurde in Leserreaktionen der Wunsch laut, es mögen noch mehr solcher Bände erscheinen.



Inzwischen erhielt ich unzählige positive Kommentare und Rezensionen, etwa:

Ich bin immer wieder begeistert von der „Gelben Buchreihe“. Die Bände reißen einen einfach mit und vermitteln einem das Ge­fühl, mitten in den Besatzungen der Schiffe zu sein. Inzwischen habe ich ca. 20 Bände erworben und freue mich immer wieder, wenn ein neues Buch erscheint. oder: Sämtliche von Jürgen Ruszkowski aus Hamburg herausgegebene Bücher sind absolute Highlights der Seefahrt-Literatur. Dieser Band macht da keine Ausnahme. Sehr interessante und abwechslungsreiche Themen aus verschiedenen Zeitepochen, die mich von der ersten bis zur letzten Seite gefesselt haben! Man kann nur staunen, was der Mann in seinem Ruhestand schon veröffentlicht hat. Alle Achtung!



Während meiner Ausbildung zum Sozialpädagogen hatte ich das Glück, einige gute Dozenten im Fach Psychologie zu haben. Besonders bei Dr. Walter Uhsadel – später Universitätsprofessor – lernte ich viel über die Erkenntnisse eines Sigmund Freud über Traumanalyse und die Tiefenpsychologie, seine Begriffe „Libido“, das „Ich“ und „Es“ und das „Über-Ich“, des „Ödipus“- und „Elektra-Komplexes“, der „Verdrängung“, des „Abreagierens“ und der „Sublimierung“. Ferner belehrt er uns über den Freund-Schüler Alfred Adler und dessen Erkenntnisse über den Macht- und Geltungstrieb des Menschen. Besonders der Schweizer Carl Gustav Jung mit seiner „komplexen Psychologie“ und seine Begriffe „Selbst“, „Persona“, das persönliche und „kollektive Unbewusste“, die „archetypischen Symbole“, die Instinkte im kollektiven Unbewusstsein, die „Anima“ und den „Schatten“ vermittelt er uns. Auch über den Berliner Arzt Fritz Künkel berichtet er. Ich lese dessen Buch „Die Arbeit am Charakter“.



Seitdem interessierte ich mich sehr stark für alle psychologische Fragen und mögliche therapeutische Hilfen für meine Klienten.



Darum möchte ich auch dieses Buch von Dr. Wilhelm Steckel neu auflegen.



Vieles hat sich inzwischen in unserer Gesellschaft im Umgang mit der Sexualität geändert. Die Prüderie des 19. Jahrhunderts spielte bei den Traumanalysen bei Freud und Stekel noch eine große Rolle. Aber Perversionen sind auch heute noch zu beobachten. Die Notwendigkeit psychotherapeutischer Bemühungen ist weiterhin unbestritten.



Hamburg, 2020 Jürgen Ruszkowski








Ruhestands-Arbeitsplatz des Herausgebers – hier entstanden die weit über 100 Buchbände.



* * *










Dr. Wilhelm Stekel





Dr. Wilhelm Stekel





Aus seinem Leben laut



https://de.wikipedia.org/wiki/Wilhelm_Stekel



Wilhelm Stekel wurde am 18. März 1868 in dem zum Kaiserreich Österreich-Ungarn gehörigen Bojan in der Bukowina als Sohn aufstrebender jüdischer Kleinbürger geboren. Nach der Matura studierte er ab 1887 in Wien Medizin. Am 10. Juni 1893 promovierte er an der Universität Wien als Doctor der gesamten Heilkunde. 1895 veröffentlichte er den Aufsatz „Über Coitus im Kindesalter“, auf den sich Freud später in seiner Theorie der infantilen Sexualität bezog. Stekel hatte Sigmund Freud vielleicht schon 1891 im Kassowitz-Institut kennengelernt, in dem Freud Leiter der neurologischen Abteilung war.



Um 1901 ließ er sich als Patient von Freud wegen Potenzstörungen behandeln, in anscheinend nur wenigen Sitzungen. Von dessen Entdeckungen war er so begeistert, dass er zum bedeutendsten publizistischen Propagandisten der Psychoanalyse wurde. „Ich war Freuds Apostel und Freud war mein Christus“, schrieb er in seiner unvollendeten und postum herausgegebenen Autobiographie.








Sigmund Freud – 1905



1902 veranlasste er Freud, einige interessierte Ärzte, darunter auch Alfred Adler, zu Gesprächen in Freuds Wohnung einzuladen.








Alfred Adler



Daraus entwickelte sich die Mittwochsgesellschaft und in ihrer Folge die Wiener Psychoanalytische Vereinigung und die Internationale Psychoanalytische Vereinigung. In der Mittwochsgesellschaft war Stekel ein aktiver Teilnehmer, der seine eigenen Ansichten hatte und Freud in den „Onaniedebatten“ und bezüglich der Entstehung von neurotischer Angst widersprach. 1908 erschien sein erstes Werk, Angstzustände und ihre Behandlung. Es kam in Zusammenarbeit mit Freud zustande, der ein Vorwort schrieb, welches bei der dritten Auflage (1921) wegblieb. Sein zweites Buch war Die Sprache des Traumes (1911), das Freud zwar hart kritisierte, sich aber darauf in späteren Auflagen seiner eigenen „Traumdeutung“ bezog. Bei der Gründung der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung (März 1910 Kongress in Nürnberg) rebellierten die Wiener unter Führung von Adler und Stekel gegen Sigmund Freud, der Carl Gustav Jung zum Präsidenten auf Lebenszeit machen wollte.

 








Carl Gustav Jung



Freud musste nachgeben, und Jung wurde für nur zwei Jahre gewählt. Der Beschluss, lokale wissenschaftliche Vereinigungen zu gründen, wurde auch in Wien verwirklicht. Adler wurde Präsident und Stekel Vizepräsident der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung, die als Verein am 12. Oktober 1910 offiziell gegründet wurde. Zusammen mit Alfred Adler gründete Stekel ebenfalls 1910 das Zentralblatt für Psychoanalyse und war als dessen Schriftleiter tätig. Wenig später trat Alfred Adler im Dissens mit Freud aus der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung aus. Im Gefolge einer Intrige um das Zentralblatt, bei der sich Freud durch Stekel hintergangen fühlte, veranlasste er Stekel ebenfalls zum Austritt. Obwohl Stekel immer wieder versuchte, eine Versöhnung mit Freud herbeizuführen, wollte Freud nichts mehr mit ihm zu tun haben und lehnte eine Begegnung zum letzten Mal ab, als beide im Londoner Exil waren. Stekel entwickelte eine eigene Therapieform, die „Aktive Psychoanalyse“, die in der Fachliteratur als erste Form einer Kurzpsychotherapie gilt. Im Unterschied zur „klassischen Psychoanalyse“, welche sich mehr und mehr der Durcharbeitung von Widerstand und Übertragung gewidmet hatte, wodurch der Behandlungsprozess länger dauerte, versuchte Stekel die zentralen unbewussten Konflikte des Patienten direkter zu bearbeiten, auch mit suggestiven und pädagogischen Mitteln sowie Beratung in Lebensfragen. Seine Behandlungen sollen von einigen Wochen bis zu anderthalb Jahren gedauert haben, jedoch mit mehreren Sitzungen pro Woche (im Sitzen, das Liegen lehnte er ab).



Unter dem Druck der politischen Verhältnisse floh er am Tage des Anschlusses Österreichs, am 11. März 1938, über die Schweiz nach England und hatte in London eine psychoanalytische Privatpraxis. Durch die Flucht verlor er sein gesamtes Vermögen. Er schrieb seine Erinnerungen, die posthum herausgegeben wurden, und beteiligte sich an kulturellen Aktivitäten der österreichischen Flüchtlinge.



Stekel verübte wegen einer schweren Erkrankung Selbstmord im Pembroke Hotel in London im Alter von 72 Jahren. Als Todesursache wurde eine „selbstverursachte Aspirin-Vergiftung“ angegeben.



* * *





Vorwort des Autors





Vorwort des Autors





Alles seelische Geschehen wird von dem Gesetze der „Bipolarität“ beherrscht. Jedem Triebe entspricht ein Gegentrieb; jeder Tugend ein Laster; jedem „Oben“ ein „Unten“; jeder Stärke eine Schwäche. Niemals werden wir das Wesen eines Menschen verstehen können, wenn wir auf diese Erscheinung keine Rücksicht nehmen.



Mein Werk behandelt die Geheimnisse der menschlichen Seele. Wollte man die Menschen nur nach den Ergebnissen dieser Forschungen beurteilen, man täte ihnen Unrecht. Denn dieses Buch handelt vom Bösen im Menschen und zwar nur vom Bösen. Wir dürfen aber nie vergessen, dass es auch ein Gutes gibt.



Vielleicht kann ich mich am besten durch einen Vergleich verständlich machen. Ein Fremder kommt in eine ihm unbekannte Stadt; er besichtigt mit großer Gründlichkeit und Begeisterung die Stätten der Kunst und entzückt sich an allem Schönen und Sehenswertem, das die Kultur bietet. Er verlässt dann die Stadt mit dem Bewusstsein, sie bei einer Gründlichkeit genau kennen gelernt zu haben. Ein anderer Reisender sagt sich, nachdem er das Programm des Reiseführers absolviert hat: Jetzt will ich auch etwas von der Kehrseite des Erhabenen kennen lernen. Er lässt sich durch die Stätten des Elends, des Lasters und des Verbrechens führen. Er weiß, dass es hinter der prunkvollen Außenseite auch ein weniger schönes Inneres gibt, und er lernt aufs Neue, dass nur der die Lichtseiten beurteilen kann, der auch die Schattenseiten studiert hat.



Meine Forschungen befassen sich mit den Abgründen der menschlichen Seele.



Sie sind nicht für unerfahrene Laien berechnet, in deren Köpfen sie leicht Verwirrung anrichten könnten, statt Klarheit zu bringen.



Ärzten, Juristen, Seelsorgern, Pädagogen und Psychologen werden sie gewiss manche Anregung und eine Erweiterung ihres geistigen Horizontes erschaffen. Es ist höchste Zeit, dass wir den Phänomenen des Traumlebens mehr Aufmerksamkeit schenken. Hier eröffnen sich Einblicke in die Tiefen der menschlichen Seele, die uns eigentlich erst das Verständnis alles Psychischen ermöglichen.



Ich habe mich bei der Abfassung dieses Buches, das die Frucht jahrelanger, mühevoller Arbeiten darstellt, hauptsächlich von praktischen Gesichtspunkten leiten lassen. Das Theoretische und die bisherige Literatur über den Traum finden sich bei Freud so vorzüglich behandelt, dass ich alle, die sich für dieses Thema interessieren, auf das grundlegende und gedankenreiche Werk dieses Autors verweise.



Meine Arbeit will nicht nur gelesen, sie will auch nachgeprüft werden. Jede Kritik ist mir willkommen, wenn sie nicht von blinder Voreingenommenheit diktiert wurde. Denn manches in diesem Buche wird dem nicht in die Probleme der Traumdeutung Eingeweihten gesucht und gekünstelt vorkommen.



So ist es mir selber ergangen, als ich mich mit den Träumen zu beschäftigen begann. Eine Überzeugung kann nicht durch Lektüre allein, sie muss durch eigene Nachprüfung erworben werden.



Eine Tatsache möchte ich noch hervorbeben: Die Traumdeutung ist eine werdende Wissenschaft. Alles ist im Fluss, alles im Entstehen.



Auch dieses Buch soll nur eine Stufe sein. Wer kann es jetzt ermessen, wie stolz einmal der Bau ragen wird, zu dem diese Stufe hinauf führt?



Wien im Januar 1911.



* * *





Die Bedeutung der Symbolik





Die Bedeutung der Symbolik





„Wahrlich, währen die Menschen sinniger,



die feinen Winke der Natur zu beobachten



und zu deuten, dieses Traumleben müsste



sie aufmerksam machen. Sie müssten finden,



dass von dem großen Rätsel, nach dessen Lösung



sie dürsten, die Natur uns hier schon



die erste Silbe eingeflüstert hat.“ Kürnberger.



Die Kunst der Traumdeutung ist eine uralte. Die ältesten Überlieferungen erzählen uns von gedeuteten Träumen. Der Traum war der Mittler zwischen den höheren Gewalten und dem Menschen. Meistens war es die Stimme der Gottheit, die im Traume zu einem sprach. Auch Dämonen und alle finsteren Mächte konnten durch den Traum mit den Menschen verkehren. Es war eine Zeit, die wir Nüchternen uns kaum vorstellen können. „Die Beleuchtung und die Farben allerdings" — sagt Nietzsche — „haben sich verändert! Wir verstehen nicht mehr ganz, wie die alten Menschen das Nächste und Häufigste empfanden — zum Beispiel den Tag und das Wachen: Dadurch, dass die Alten an die Träume glaubten, hatte das wache Leben andere Lichter."



Doch das einfache Volk hat im Gegensatz zu den Gelehrten die Träume niemals als Schäume betrachtet. In ihm schlummerte das Bewusstsein von der Wichtigkeit dieses psychischen Materials. Nur bestand es hartnäckig auf dem Glauben, den wir den „historischen" nennen dürfen: es wollte aus dem Traume die Zukunft erschließen. Der Traum galt als der unfehlbare Prophet. Wer Träume deuten konnte, dem war die Gabe gegeben, die Rätsel der Zukunft zu lösen. Eine Abspaltung dieses Glaubens ist die Verwendung des Traumes zu Zwecken des Gelderwerbes. Die Umdeutung der Traumbilder in Nummern wird noch heute fleißig geübt und spielt eine große Rolle im Volke. (Ich will bei dieser Gelegenheit mitteilen, dass ich es nicht verschmäht habe, die verschiedenen ägyptischen und persischen Traumbücher durchzusehen. Ich wollte mich überzeugen, ob unsere aus Traumanalysen erworbenen Kenntnisse durch die Überlieferungen gestützt würden. Das ist nur selten der Fall gewesen. Die Traumbücher, die im Volke zirkulieren, machen mir den Eindruck von willkürlichen Machwerken. Die Umdeutung von Traumbildern in Nummern ist offenbar dem erst einige Jahrhunderte alten Lotteriespiele zu verdanken.)



Die „Gebildeten“ hielten es für ihre Pflicht, über diese Tendenzen erhaben zu lächeln. Der Traum wurde als ein müßiges Spiel einer vom Bewusstsein nicht gelenkten Phantasie betrachtet. Allerdings hätte die einfache Überlegung sagen müssen: Auch in dieser verzerrten Form handelt es sich um psychisches Rohmaterial. Lasst uns nachsehen, was wir daraus gewinnen können. Hie und da fanden sich auch Forscher, die den Versuch wagten, das Rätsel des Traumes zu lösen. Mehr als glückliche Anfange und missglückte Theorien kamen nicht zutage. Es ist das unsterbliche Verdienst von Freud, dieses große Werk in Angriff genommen und siegreich durchgeführt zu haben. Mit seinem grundlegenden Werke „Die Traumdeutung“ (F. Deuticke, III. Aufl. 1911) beginnt eine neue Epoche der Traumwissenschaft.



Die neue große These, die Freud aufgestellt hat, hieß: Der Traum ist eine Wunscherfüllung. Diese neue Erkenntnis stützte er durch eine große Reihe von geistreichen Traumanalysen. Er zeigte, dass die Sprache des Traumes gewissen Gesetzen unterworfen ist und durch den Prozess der Traumentstellung unkenntlich gemacht wird. Er bewies, dass der Unsinn der Träume nur ein Schein ist, der dazu dient, den wahren Sinn zu verbergen. Wir sollen nicht erfahren, was wir bei Nacht denken.



Auf diese Erkenntnisse kam er bei seinen Studien über die Hysterie und über die anderen Neurosen. Er führte einen neuen Begriff in die Medizin ein: der Unbewusste. Wer sich nur um die Regungen des Bewusstseins bekümmerte, für den war der Traum in der Tat ein nebensächliches psychisches Produkt. Dem Forscher, der an unbewusste Regungen glaubte, musste sich der Traum als wichtigstes unbewusstes Gebilde aufdrängen.



Bestand die neue Lehre von Freud darin, dass man hinter den neurotischen Symptomen unbewusste Vorstellungen finden konnte, so musste gerade der Traum einen Zugang zu diesen unbewussten psychischen Gebilden verschaffen können.



Diese Voraussetzungen erfüllen sich im reichsten Maße. Heute ist die „Traumdeutung“ ein wichtiger Bestandteil der Psychoanalyse. Heute muss sich der Arzt mit der Traumdeutung beschäftigen, wenn er auch Seelenarzt sein will. Und wie könnte ein wahrhafter Arzt etwas anderes sein wollen als ein Seelenarzt? ...



Es ist nicht so leicht, sich diese Kenntnisse anzueignen. Es bedarf darin einer eigenen Schulung und großer Ausdauer. Es bedarf gewissenhafter Nachprüfung der bisher gefundenen Resultate, bis man einmal selbst eine Überzeugung gewonnen hat und an die Dinge glaubt.



Die eigene Schulung zum Lesen des Traumes besteht in einer veränderten Auffassung der Sprache, in einem Aufspüren der Zweideutigkeiten und einer Kenntnis der Symbolismen und Vorgänge der Traumentstellung.



Die Bedeutung der Symbolik für das menschliche Leben wird noch immer unterschätzt. „Alle Kunst ist Symbolik“, sagt Feuchtersleben. „Als die wichtigste Aufgabe meines Lebens“, sagt Hebbel, „betrachte ich die Symbolisierung meines Innern.“



Wir sind durchsetzt von Symbolik. Die Sprache, die Gebräuche, die Gesten, die Gedanken sind mehr oder minder versteckte Symbolismen. Es ist das Verdienst von Rudolf Kleinpaul, in verschiedenen Werken, besonders in seiner „Sprache ohne Worte" und in dem groß angelegten Werke „Das Leben der Sprache“ (Leipzig, Wilhelm Friedrich, 1888) die ungeheure Bedeutung von Symbolismen für das Leben nachgewiesen zu haben.



Was ist eigentlich ein Symbol?



Ricklin (Schriften zur angewandten Seelenkunde. II. Franz Deuticke. Wien und Leipzig. 1909) sagt: „Ein Symbol ist ein Zeichen, eine Abkürzung für etwas Kompliziertes. Wenn ich im Fahrtenplan ein Posthorn neben dem Stationsnamen sehe, so sagt es mir, dass die Station eine Postverbindung hat nach Orten, die nicht an der Bahnlinie liegen.“



„Dem Symbol ist aber noch viel mehr eigen. Warum steht im Fahrplan für den Begriff ‚Postverbindung‘ und was damit zusammenhängt nicht irgendein anderes Zeichen? Das Posthorn ist etwas, was ursprünglich zur Post gehörte. Obwohl es kein nötiger Bestandteil derselben ist, so war es früher eine der sinnfälligsten Merkmale derselben, weniger fürs Auge, als für das Ohr. Wir haben also schon wieder zwei neue Momente, welche dem Symbol zukommen. Das zum Symbol gewählte Zeichen steht zum Bezeichnenden in einem assoziativen inneren oder äußeren Zusammenhang und es ist sinnenfällig. Ferner ist es umso mehr zum Symbol geeignet, als Geschichte und Entwickelung an ihm sind, wobei es aber meist nicht ohne Bedeutungswandel abgeht. Gegenwärtig sind die schönen Zeiten bei uns wohl so ziemlich vorbei, wo der Postillion lustig ins Horn blies. — Das Horn als Zeichen ist aber geblieben, im Fahrplan, beim Militär als Abzeichen der Feldpost und noch an vielen anderen Orten.“

 



„Mit dem Begriff Symbol ist meist auch etwas Geheimnisvolles verbunden. Symbole werden oft gebraucht als Erkennungszeichen für geheime Gesellschaften, nennen wir z. B. das Abzeichen der Freimaurer. Das Geheimnisvolle liegt auch darin, dass nur der Eingeweihte die Bedeutung des Symbols kennt. Das war z. B. der Fall mit der Runenschrift, welche nur bestimmte Leute lesen konnten; das gibt auch den kirchlichen Zeremonien ihre zauberhafte Wirkung auf die empfängliche Seele. Schon die Entwickelung und die damit verbundene Wandlung in der Bedeutung tragen dazu bei, dass nur der Eingeweihte den vollen Sinn des Symbols zu erkennen vermag.“



„Weil das Symbol nur ein Zeichen ist, nur ein Teil des ursprünglich Darstellenden, so ist gerade während seiner weiteren Entwickelung gegeben, dass es allmählich das Zeichen wird für verschiedene Dinge: das Posthorn kann je nach dem Ort, der Umgebung, im psychologischen Sinne je nach den damit verknüpften Assoziationen verschiedenes bedeuten: Fahrpostverbindung, wenn es beim Stationsnamen im Fahrplan steht, Briefpostverbindung, wenn es auf einem Einwurf steht. Im abgelegenen Gebirgsdorf bedeutet es noch viel mehr und auf dem Ärmel einer Uniform wieder etwas anderes.“



„Durch diese Summierung der Bedeutungen kommt es auch dazu, dass das Zeichen eine Verdichtung und eine Häufung aller dieser einzelnen Vorstellungen in sich birgt. Das charakterisiert z. B. das Traumsymbol, in das tausend Assoziationsfäden zusammenlaufen. Es kommt gleichzeitig auch zu einer Vielseitigkeit des Symbols, der „dunkle Sinn" kann auf alle mögliche Art ausgelegt werden. Wer nicht eingeweiht ist und das Symbol nicht nach allen Richtungen kennt, legt es falsch oder nur nach seinem Sinne aus. Die Bibel z. B. hat den Vorzug und Nachteil, dass sie viele Symbole enthält, die in verschiedenstem Sinne ausgelegt werden.“ (Wunscherfüllung und Symbolik im Märchen)



Ohne die Kenntnis der Symbolik ist die Traumdeutung unmöglich. Der große Irrtum der modernen Traumforscher bestand gerade in dem Umstande, dass sie sich mit der Symbolik nicht befreunden konnten. Darin waren uns die Alten überlegen. Wie herrlich ist die Symbolik des Traumes in der Bibel dargestellt! Und wie vollendet erscheint die Symbolik bei Artemidoros aus Daldis, dessen Buch „Die Symbolik der Träume (In vortrefflicher deutscher Übersetzung von Friedr. S. Krauss bei Hartleben in Wien (1881) erschienen. Leider fehlt das wichtigste Stück: Die Symbolik der Geschlechtsvorgänge.) noch heute für den Psychoanalytiker lesenswert ist!



Ehe wir mit der Darstellung der Traumdeutekunst beginnen, wollen wir uns kurze Zeit mit den Träumen der Bibel und mit der Deutekunst der Griechen befassen. Ich wüsste keine schöneren Beispiele zur Einführung in die Symbolik des Traumes.



Am bekanntesten ist ja die Traumdeutekunst Josefs aus dem ersten Buch Moses. Josef verdankte seine große Stellung nur seiner außerordentlichen Fähigkeit, die Träume seines Herrschers treffend deuten zu können. Der erste Traum, den er seinen Brüdern erzählte, lautet:



(1.) „Wir banden Garben auf dem Felde und meine Garbe richtete sich auf und stand; und eure Garben wieder neigten sich vor meiner Garbe.“



Die Brüder deuten diesen Traum sofort dahin, dass Josef sie überragen sollte: „Sollst du unser König werden und über uns herrschen?" Auch wir Kinder der neuen Zeit könnten diesen Traum nicht anders deuten. Nur dass wir aus diesem Traume den Schluss ziehen, ein Ehrgeiziger habe ihn geträumt. Und da Ehrgeizige es bekanntlich sehr weit bringen, wenn sie die nötige Klugheit mit nicht erlahmender Energie verbinden, so könnten wir fast günstige Schlüsse auf die Zukunft eines Menschen ziehen, der in seiner Jugend von solchen Träumen erfüllt ist. (Die Träume Ehrgeiziger äußern sich häufig mit den Ausdrucksmitteln der modernen Zeit; Die Menschen fliegen hoch über den Köpfen der anderen im Luftballon, mit einem Aeroplan oder nach alter guter Tradition als Engel. Mitunter fliegen sie ohne Flügel durch eine bloße Bewegung der Arme und des Körpers.) Auch der zweite Traum Josefs ist ein solcher Ehrgeiztraum:



(2.) „Mich däuchte, die Sonne und der Mond und die elf Sterne neigten sich vor mir.“



Dieser Traum sollte sein Verderben werden und war der Anfang seines märchenhaften Glückes. Ebenso wunderbar sind die weiteren Deutungen Josefs:



(3.) „Die sieben hässlichen mageren Kühe, welche die sieben schönen fetten Kühe auffressen“, wurden von ihm genialerweise als sieben magere Jahre der Hungersnot, die den sieben fetten Jahren der Fruchtbarkeit folgen würden, gedeutet. Alle diese Deutungen zeigen uns ein wunderbares Erfassen der Traumsymbolik. In gleichen Bahnen bewegte sich die Deutekunst der Griechen, von der ich hier zwei Beispiele aus dem Artemidoros anführen will:



(4.) „Es träumte jemand, er wäre mit einer Kette an das Postament des Poseidon am Isthmus gefesselt. Er wurde Poseidon Priester; denn als solcher musste er vom Orte des Heiligtums unzertrennlich sein.“



Dieser Blick in die Zukunft ist ebenso wohlfeil, als die nächste Prophezeiung des Artemidoros, die ich bald mitteilen werde. Es wird keiner Priester, der es nicht vorher lebhaft wünschte, es sei denn, er würde dazu gezwungen werden...



Der zweite Traum aus dem Artemidoros zeigt uns eine Symbolik, die uns noch des Öfteren beschäftigen wird. Das Sexuelle wird in diesem Traumgesichte als Fleisch dargestellt. Das Fleischliche im Menschen durch das Fleisch eines Tieres.



(5.) „Einer träumte, dass er sein eigenes Weib verführe und abopfere, das Fleisch einschrote und feilbiete, und dass ihm daraus ein großer Gewinn erwachse. Darauf träumt er, er empfinde darüber Freude und mache den Versuch, das zusammengebrachte Geld, um dem Neide der Umstehenden zu entgehen, zu verstecken." „Dieser Mann verkuppelte sein eigenes Weib und zog aus der Schande Gewinn. Diese Einnahmequelle erwies sich für ihn zwar als sehr ergiebig, war aber angezeigt, geheim gehalten zu werden.“ Auch diesem Mann ist der Wunsch vor der Tat Gevatter gestanden. Er träumte zuerst das, was er auszuführen noch nicht wagte. Da er den Traum als eine Mahnung der Götter auffassen konnte, löste der Traum möglicherweise eine Tat aus, die wahrscheinlich auch ohne Traum geschehen wäre. Vielleicht nur einige Zeit später. Der Traum ist ein Ungeduldstraum. Der Träumer kann es kaum erwarten, seine Frau zu verkaufen und den Gewinn einzuziehen.



Von der Traumdeutekunst der Orientalen könnte man auch manche köstliche Probe gehen. Ich beschränke mich auf die Mitteilung eines Schwankes von Buadem, der nach Dr. Müllendorf nur ein von dem Herausgeber Mehemed Tewfik gefundener Deckname für den bekannten Schwänkedichter Nassr-ed-din ist. Dieser türkische Eulenspiegel soll im 14. Jahrhundert gelebt haben. In schlagender Weise legt der folgende Schwank dar, dass der Traum eine Wunscherfüllung ist: Buadem (Deutsch: Dieser Mann.) war kaum fünf bis sechs Jahre alt, da erzählte er eines Morgens seinem Vater folgenden Traum:



(6.) „Vater, heute Nacht habe ich im Traum Kuchen gesehen." „Mein Sohn, das ist eine gute Vorbedeutung. (Im Scherz) Gib mir zehn Para (Kleinste in Konstantinopel kursierende Scheidemünze, nicht ganz 5 Pfennig.), und ich will dir den Traum auslegen!“ „Wenn ich zehn Para hätte, so hätte ich nicht von Kuchen geträumt.“ („Die Schwänke des Nassr-ed-din und Buadem“. Reclam 2735.)



Machen wir jetzt einen kühnen Sprung ins 16. Jahrhundert und teilen wir einen Traum des berühmten Arztes, Philosophen und Mathematikers „Cardanus" mit, der ein Buch „De somniis“ geschrieben, und dessen Glaube an die prophetische Wahrheit seiner Träume so unerschütterlich war, dass er seine Gattin, die Tochter eines Straßenräubers nach einem Traumgesicht wählte; der Traum hatte ihm bei dieser Frau das Erwachen seiner bisher schlummernden Natur vorhergesagt. Er war bis zum 34. Lebensjahre impotent. Dass ein Impotenter sich darnach sehnt, in den „Garten der Liebe“ einzudringen, dürfte jedermann verständlich sein. Hören wir, wie Cardanus dies ausdrückt.



(7.) „Ich befand mich einstmals des Nachts in einem schönen von Blumen und Früchten erfüllten Garten. Es wehte eine sanfte Luft, so dass kein Maler, kein Dichter, kein menschlicher Gedanke etwas Angenehmeres hätte hervorbringen können. Ich befand mich am Eingange des Gartens. Die Türe stand offen, als ich ein Mädchen in weißem Kleide erblickte. Ich umarmte und küsste sie; aber beim ersten Kusse schon riegelte der Gärtner die Türe zu. Ich bat ihn inständigst dass er sie offen lassen möchte. Es kam mir also vor, indem ich darüber traurig war