Zusammen aufwachen

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Fluchtmanöver und Ersatzbefriedigungen

Wenn du dich einsam erlebst, entwickelst du eventuell bestimmte Strategien, um deine Einsamkeit nicht zu spüren, kleine oder große Fluchten oder Ersatzbefriedigungen.

Manche Menschen versuchen, ihrer Einsamkeit durch Konsum zu entfliehen. Der Mechanismus wird in der Werbung sogar bewusst eingesetzt: Kauf das Produkt, und du erlebst Verbindung! Werbung für Alkohol zeichnet oft Bilder von Menschen, die gemeinsam fröhlich sind. Und eine Versicherung wirbt damit, »eine starke Gemeinschaft« zu sein.

Eine alleinerziehende Mutter erzählte mir von ihrer Essstörung: Den ganzen Tag über kann sie sich sehr zurückhalten, aber abends gibt es dann plötzlich kein Halten mehr, da stopft sie sich mit Chips und Süßigkeiten voll. Sie beginnt damit immer genau dann, wenn ihre Tochter ins Bett gegangen ist und sie alleine im Wohnzimmer sitzt. »Dann ist es immer so still in der Wohnung«, sagte sie.

Nicht wenige Menschen versuchen, ihre Einsamkeit zu übertünchen, indem sie sich viel Arbeit aufbürden. Effizient sein und Leistung bringen als Strategie, sich nicht selbst zu spüren. Im Urlaub suchen sich solche Menschen dann spektakuläre Ziele und atemberaubende Aktivitäten. Sie halten ihre Abenteuerreisen für erfüllend und merken gar nicht, dass sie damit vor allem ihre Einsamkeit erträglich machen wollen.

Die Liste ließe sich noch lange fortsetzen: Alkohol, Medikamente und Drogen, laute Musik, abends immer verabredet, an jedem Wochenende unterwegs, immer auf der Suche nach sexuellen Erlebnissen, rastloses Hoffen auf die nächste SMS oder »Gefällt mir«-Klicks bei Facebook.

Doch die innere Bedürftigkeit, die innere Leere, Innere Leere lässt sich nicht mit äußeren Dingen füllen.lässt sich nie mit äußeren Dingen füllen. Die Sehnsucht nach Verbindung befriedigst du nicht durch oberflächliche Kontakte. Und Betäubung hilft dir, wenn überhaupt, nur kurz.

Einsamkeit bewusst erleben

Der Buddha rät uns, schwierigen Gefühlen nicht auszuweichen, sondern sie bewusst zu spüren und zu akzeptieren. Nur so können wir einen heilsamen Umgang damit finden und uns weiterentwickeln.

Normalerweise gehen wir davon aus, etwas tun zu müssen, um unsere Situation möglichst schnell zu verbessern. Diese Überzeugung ist uns in Fleisch und Blut übergegangen. Also ergreifen wir eine Maßnahme nach der anderen gegen die Situation, wie sie jetzt gerade ist. Ich nenne diesen Geisteszustand den Tunmodus. Er entspringt dem Verstandesbewusstsein.

Der Tunmodus alleine vermag das Problem aber nicht zu lösen. Nur wenn du deine Aufmerksamkeit nach innen richtest, kannst du klar sehen, was in dir vorgeht und wonach du dich eigentlich sehnst. Schalte also um vom Tunmodus in den Seinsmodus.

Achtsamkeit entwickeln

Es ist wichtig, Gedanken und Gefühle der Einsamkeit so früh wie möglich wahrzunehmen und zu beobachten, damit sie dich nicht vereinnahmen können. Einsamkeit kann wie ein Sog wirken, die Lage erscheint dir dann immer aussichtsloser.

Ein guter Anfang kann sein, Tagebuch zu führen. Damit wendest du dich in liebevoller Absicht dir selbst zu, bringst dein Innerstes nach außen und lernst, in dir selbst gewissermaßen zu lesen wie in einem Buch. Das hilft dir, dich nicht in deinen Gefühlen zu verstricken, dich nicht mit ihnen zu »identifizieren«, sondern sie als ein vergängliches Geschehen zu betrachten, auf das du nicht festgelegt bist.

Denkmuster identifizieren

Selbstbeobachtung hilft dir, Denkmuster zu identifizieren, die dich blockieren. Viele Menschen sind fixiert auf ein Selbstbild, das sie in der Einsamkeit festhält und glauben lässt, an ihrer Situation nichts verändern zu können. Es bringt ständig negative Gedanken hervor: »Ich bin nicht liebenswert«, »Für mich wird sich nie jemand interessieren.« Oder: »Wenn ich einen Menschen an mich heranlasse, wird es wieder so schmerzhaft werden wie beim letzten Mal.« Vielleicht stempelst du dich ab, indem du denkst: »Ich bin kein geselliger Mensch.« Vielleicht verurteilst du dich: »Warum sollte auch jemand an einem Menschen wie mir Interesse haben?« Vorsicht ist immer auch bei Gedanken geboten, die mit »Ich sollte« oder »Ich müsste« beginnen (»Ich sollte längst jemanden gefunden haben.«) Damit setzt du dich selbst unter Druck.

Solche Muster des Denkens und Empfindens sind durch frühere Erfahrungen entstanden. Schenkst du den Gedanken Glauben, werden sie leicht zur sich selbst erfüllenden Prophezeiung, denn du verschanzt dich dann in deiner Haltung des Mangels, die von Angst geprägt ist und auf andere Menschen wenig anziehend wirkt. Negative Gedankenmuster sind nie hilfreich, sondern blockieren deine Fähigkeit, mit anderen Menschen in Kontakt zu treten – eine Fähigkeit, die in jedem Menschen als Potenzial vorhanden ist!

Trügerisch sind auch Gedanken, die nach dem Schema »Alles oder nichts« funktionieren. »Diese Frau oder keine!« – »Heute oder nie!« – »Niemand will mit mir tanzen.« Wie könnte man Hoffnungslosigkeit wirkungsvoller vorprogrammieren? Alles-oder-nichts-Gedanken postulieren einen Idealzustand, den es nicht gibt, oder sie geben alles verloren. Sie entwerten alle Möglichkeiten, die du ohne diese Gedanken hättest.

»Warum hast du nie geheiratet?«, wurde Mullah Nasruddin, eine Art Eulenspiegel der türkischen Volksliteratur, von einem Freund gefragt. »Oh, ich habe es mir sehr gewünscht«, antwortete Mullah Nasruddin. »Deswegen habe ich mich auf die Suche nach der perfekten Frau gemacht. In Damaskus fand ich eine schöne Frau, die gütig und spirituell war, aber sonst wenig wusste. In Isfahan traf ich eine Frau, die spirituell wie weltlich sehr gebildet war, aber wir verstanden uns nicht. In Kairo schließlich fand ich nach langer Suche eine perfekte Frau. Sie war spirituell, anmutig und wunderschön!« – »Warum hast du sie dann nicht geheiratet?«, fragte der Freund. »Sie suchte den perfekten Mann.«

Erwartungshaltungen entschärfen

Erwartungshaltungen verhindern Verbindung. »Mach mich glücklich!«, »Sei mein Ein und Alles!«, »Erlöse mich von meinem Leid!« – mit Erwartungen blockieren Verbindung. solchen Forderungen setzt du dich und potenzielle Partner unter Druck, schlägst sie geradezu in die Flucht. Kommt trotzdem eine Verbindung zustande, bewertest du jede Situation nach diesem überzogenen Maßstab – im Alltag, im Urlaub, im Bett. Damit überforderst du den anderen und blockierst die Bindung, bevor sie überhaupt wachsen kann.

Zugleich wirst du vermutlich an der Beziehung zweifeln, wenn der andere Mensch deinen Bedürfnissen nicht zu hundert Prozent genügt – was ganz sicher irgendwann der Fall sein wird. Früher oder später lassen dich überhöhte Erwartungen dann den Glauben an Beziehungen verlieren. Sie sind ein Grundstein der Einsamkeit.

Dich selbst befragen

Wenn es dir schwerfällt, mit anderen in Kontakt zu treten, kann dir eine Methode aus der Gewaltfreien Kommunikation des amerikanischen Psychologen Marshall Rosenberg helfen, den Gründen auf die Schliche zu kommen: der Selbstdialog.5

Nimm an, du befindest dich auf einer Party, aber du fühlst dich nicht wohl. Vielleicht hast du den Eindruck, dass du nicht richtig dazu gehörst, und fragst dich, was die anderen wohl von dir halten. Dies ist der Zeitpunkt, um mit dir in Dialog zu treten! Wende dich dem Teil deiner Persönlichkeit zu, der gerade dein Verhalten steuert, und frage ihn: »Was tust du gerade?« Die Antwort könnte lauten: »Ich habe mich in eine Ecke zurückgezogen.« Oder: »Ich rede laut und viel.« Oder: »Ich reiße die ganze Zeit Witze.« – »Ich halte mich an meinem Glas fest.« – »Ich rauche schon wieder so viel.« Und so weiter.

Nun kannst du diese Fragen stellen: »Was möchtest du mir zeigen?« – »Auf was möchtest du mich hinweisen?« – »Was möchtest du verbergen?« – »Was möchtest du beschützen?«

Vielleicht lautet die Antwort: »Ich bin unsicher.« Oder: »Ich möchte jemandem gefallen.« Oder: »Ich habe Angst davor, dass die anderen Gäste mich nicht mögen könnten.« Oder: »Ich muss aufpassen, dass niemand bemerkt, wie ungebildet ich bin.« Möglicherweise weisen dich die Antworten auch auf bestimmte bewertende Gedankenmuster hin: »Ich bin langweilig.« – »Die anderen sind geistreicher als ich.«– »Ich bin unfähig, in die Offensive zu gehen.« Die nächste Fragen lautet: »Welche tiefere Sehnsucht liegt all dem zugrunde?« Wenn du genau in dich hineinhorchst, wirst du feststellen: Es ist immer die Sehnsucht nach Verbindung. Sie äußert sich im Wunsch nach Akzeptanz, nach Aufmerksamkeit, Dazugehören. Nun fragst du den in dir aktiven Teil: »Führt dein Verhalten wirklich zu diesem Ziel?«

Einen solchen Selbstdialog kannst du immer führen, wenn dich etwas blockiert. Er wird dir helfen, dich nicht in kontraproduktives Verhalten zu verstricken. Vor allem aber führt er dich zu den Bedürfnissen hinter deinem Verhalten.

Bestehe am Ende aber nicht darauf, dass deine Wünsche und Bedürfnisse erfüllt werden. Bedürfnisse müssen nicht erfüllt werden, aber wollen gehört werden.Je mehr du dich gegen deine Situation wehrst, desto schmerzhafter wird sie. Manchmal kommt es einfach darauf an zu akzeptieren, dass Bedürfnisse gerade unerfüllt bleiben.

Die Bedürfnisse hinter den Wünschen

In anderen Fällen gibt es Möglichkeiten, Abhilfe zu schaffen – aber auf andere Weise als zunächst gedacht. Vielleicht sehnst du dich nach einer Beziehung und erkennst: Das Bedürfnis dahinter ist das nach Nähe und Fürsorge. Zurzeit bleibt es unbefriedigt. Wenn du dies akzeptiert und verstanden hast, kannst du im nächsten Schritt schauen, ob sich dieses Bedürfnis vielleicht auch auf andere Weise befriedigen lässt, zum Beispiel indem du dich intensiver um bereits bestehende Freundschaften kümmerst.

 

Mit diesem Vorgehen durchbrichst du das gedankliche Muster, nach dem du Glück nur erleben kannst, wenn du deinen Traummann oder deine Traumfrau findest.

Schüchternheit

Der Selbstdialog dient allein dem liebevollen Verständnis deiner selbst. Er darf nicht verwechselt werden mit der abwertenden Form von Selbstbeobachtung, zu der zum Beispiel schüchterne Menschen neigen. Ständig nehmen sie ihre vermeintlichen oder realen Schwächen in den Blick. Dahinter steckt die Angst, von anderen nicht gemocht zu werden, dahinter wiederum Selbstzweifel. Um negative Reaktionen zu vermeiden, verhalten sich schüchterne Menschen zurückhaltend. Sie trauen sich nicht, etwas zu sagen oder zu tun. Sie vermeiden Augenkontakt, und wenn man sie anspricht, erröten sie und verspannen sich.

Schüchternheit ist schmerzhaft und anstrengend, blockiert Verbindung, den Zugang zu positiven Ressourcen sowie Einfühlung dir selbst gegenüber.

Das wirksamste Gegenmittel ist die Metta-Meditation.6 Metta wird in »Auch du gehörst dazu.«der Regel mit »Liebende Güte« übersetzt. Treffender wäre aus meiner Sicht »tatkräftige Liebe«. In der Metta-Meditation geht es darum, Gefühle der Wertschätzung, Wärme und Nähe hervorzubringen, und zwar ausdrücklich auch dir selbst gegenüber. Was immer du in dir wahrnimmst, verurteilst du nicht, sondern nimmst es mit einer annehmenden Haltung an. Mein Lieblingsslogan für diese Umgangsweise lautet: »Auch du gehörst dazu.«

Wenn Metta in dir aktiv ist, gibt es keine besseren oder schlechteren Menschen. Deine Negativ-Urteile über dich selbst verlieren ihre zerstörerische Kraft, lösen sich auf in der Energie der Liebe.

Spüren eröffnet eine andere Dimension

Und wieder ist es das direkte Spüren, das dir den Quantensprung in eine andere Dimension des Erlebens ermöglicht. Einen guten Einstieg bieten dir auch die Körperempfindungen. Wenn Gefühle der Einsamkeit aufkommen, erspüre, wie sie sich im Körper äußern, zum Beispiel in Verspannungen, einem Kloß im Hals oder in Kopfschmerzen. Dies bewusst zu spüren wird die Einsamkeit nicht auflösen, doch ihre Intensität wird sich verändern. Das akzeptierende Spüren verschafft dir unmittelbar Linderung. Und dann kann der Wandel seinen Lauf nehmen.

Allein statt einsam

Ich bin als Mitglied einer Großfamilie auf einem Bauernhof aufgewachsen. Ab meinem 12. Lebensjahr starb jedes Jahr ein Mitglied der Familie, zuletzt meine Mutter. Ich erinnere mich an einen Sonntagmorgen, als ich als Siebzehnjähriger ganz allein auf dem Hof war. Mein Vater hatte eine Arbeitsstelle angenommen, und ich kümmerte mich um die Tiere. Es regnete, und ich fühlte mich zutiefst einsam.

Ich begann zu weinen. Viele Situationen der letzten Jahre wurden in mir lebendig, in denen ich mich einsam und ausgegrenzt gefühlt hatte, und ich beweinte auch diese Situationen ausgiebig. Ich weinte wohl eine Stunde. Und im Laufe dieser Stunde veränderte sich in mir etwas grundlegend. Indem ich mich fühlend dem gegenwärtigen Moment hingab, lockerte sich das feste Ich meiner persönlichen Identität. Ich erlebte eine Verbundenheit nach innen wie nach außen, zu den Tieren im Stall, zu jeder Kreatur.

Ich war immer noch der einzige Mensch auf dem Hof, Aus Einsamkeit kann Alleinsein werden.aber aus der Einsamkeit war Alleinsein geworden.

Einsamkeit und Alleinsein sind völlig verschiedene Zustände. Der Psychoanalytiker Rolf Haubl hat das sinngemäß so auf den Punkt gebracht: Einsamkeit heißt außer sich sein. Alleinsein hingegen bedeutet bei sich sein.

In der Einsamkeit hast du die Verbindung zur Welt verloren, kreist hilflos um dich selbst, bist gefesselt von Gedanken, deinem Widerstand gegen die Situation, deinem Begehren. Im Alleinsein hingegen ist die Welt in Ordnung. Die negativen Gefühle gehören zu dir, aber du reduzierst dich nicht darauf. Du weißt, dass du sehr viel mehr bist, spürst dich selbst sehr deutlich und fühlst dich in Verbindung mit deiner Umgebung.

In besonders kostbaren Momenten, wie ich einen solchen auf dem Hof erlebte, ermöglicht Alleinsein so etwas wie »mit dem All-eins-Sein«. Du bist in diesen Augenblicken vollkommen bei dir und mit dir, Alleinsein ermöglicht All-eins-Sein.erlebst gleichzeitig innere und äußere Vielgestaltigkeit und dabei dich selbst als Teil von etwas Großem, das alles in sich vereinigt. Und du erlebst Frieden.

In der Lehre des Buddha – wie in vielen spirituellen Traditionen – spielt das Alleinsein eine große Rolle. Sariputta, einer der bedeutendsten Schüler des Buddha, bezeichnete physische Abgeschiedenheit als wichtige Voraussetzung für das Entstehen geistiger Abgeschiedenheit. Die geistige Abgeschiedenheit wiederum ist notwendig, um geistige Trübung hinter sich zu lassen – und dies ist eine notwendige Bedingung für Verbundenheit, Frieden und Glück.

Vermutlich hast du selbst schon erlebt: Bist du über längere Zeit pausenlos in Gesellschaft, physisch zusammen mit anderen Menschen, zum Beispiel mit deinem Partner oder deiner Partnerin oder deinen Kindern, dann wird es früher oder später eng und schwierig. Leicht reagiert ihr überempfindlich aufeinander und verstrickt euch in Konflikten. Achtsame Selbstbeobachtung und -Einfühlung sind in Gesellschaft sehr viel schwieriger, oft kaum möglich. Ohne Phasen des Alleinseins kommt dir der achtsame Zugang zu dir selbst abhanden.

Es braucht Phasen des Alleinseins, um die vielfältige innere Landschaft deiner Bedürfnisse, deiner Wahrnehmungs- und Gewohnheitsmuster kennenzulernen.

Auch Widersprüchliches darf sich äußern, wächst im Raum der Akzeptanz zu einer Einheit zusammen. Du nimmst eine liebevolle Verbindung zu dir selbst auf.

Allein leben heißt nicht einsam sein

Zeitweilig allein zu sein in diesem Sinne ist also ein wichtiger Schlüssel zum inneren Wachstum. Du musst deswegen nicht zölibatär leben wie Mönche und Nonnen. Aber du kannst dich durchaus entscheiden, ohne Partnerschaft zu leben, und dich gleichzeitig ausbalanciert, zufrieden und verbunden fühlen, sei es nun phasenweise oder dauerhaft. Bewusstes Erleben kann Einsamkeit vollkommen in Klarheit und Verbundenheit verwandeln.

Um sich den Wert des Alleinseins zu erschließen, ist natürlich mehr als bloß physische Abgeschiedenheit notwendig. Sich wirklich auf sich selbst einzulassen, das sind die meisten Menschen nicht gewöhnt. Ohne Gesellschaft bekommen sie schnell Angst oder fühlen sich leer. Deswegen übertünchen sie diese wunderbare Gelegenheit, sich zu spüren, mit Geschäftigkeit, rufen so schnell wie möglich jemanden an oder schalten den Fernseher ein.

Es braucht Mut, sich zu spüren, und die Unterstützung durch Metta-Praxis, um den Zugang zur inneren Fülle zu erschließen.

Auf andere zugehen

Metta ist in jedem Menschen vorhanden, aber wir verlieren oft die Verbindung dazu. Wir können diese Liebe in uns allen mit entsprechenden Übungen wachküssen wie Dornröschen.

In Metta bist du allein und gleichzeitig verbunden mit anderen. Du erlebst dich nicht mehr getrennt, nicht mehr einsam. Mit Metta stößt du die Tür auf zu innerem Reichtum. Es mag eine Zeit dauern, bis deine Praxis dich zu diesem Erleben führt, aber wenn du Metta praktizierst, wird es ganz sicher geschehen.

Aus dem Erleben der Fülle, der Liebe in dir, kannst du dich besser auf andere Menschen zubewegen. Du suchst nicht mehr aus dem Gefühl der Bedürftigkeit und Begrenztheit nach Kontakt zu anderen, sondern gehst mit einem Gefühl innerer Stärke auf sie zu. Du stellst keine Forderungen auf, sondern hast etwas zu verschenken.

Keine schlechten Kompromisse

Wenn neue Partnerschaften oder Freundschaften entstehen, schau zunächst genau hin, wie der Mensch, der da gerade in dein Leben tritt, auf dich wirkt. Der Buddha rät dir eindringlich, in dieser Hinsicht keine Kompromisse einzugehen. Er sagt: Halte dich fern von Menschen, die dich zum Bruch der Tugendregeln veranlassen wollen. Nimm dich auch in acht vor Menschen, die gar nicht wirklich mit dir zusammen sein möchten, sondern die nur die Nähe eines anderen Menschen suchen, weil sie nicht alleine sein können. Und meide den Kontakt zu Menschen, denen es mehr um Zerstreuung als um Verbindung geht. Kurz: Mit Menschen, die deiner Entwicklung nicht gut tun, gehe keine engen Bindungen ein. In der Lehrrede vom Nashorn7 sagt der Buddha:

Wenn einen weisen Freund man findet,

Als Weg-Gefährten, edel lebend, kraftvoll,

Jedwede Widrigkeiten überwindend,

Mag wandern man mit ihm, beglückt und achtsam.

Wenn keinen weisen Freund man findet,

Als Weg-Gefährten, edel lebend, kraftvoll,

Gleich einem König, der besiegtes Land verlässt,

Allein mag wandern man, dem Nashorn gleich.

Wenn du dich nach einer Liebesbeziehung sehnst, mach dir bewusst, wie wertvoll auch die Freundschaften sind, die du vielleicht bereits pflegst. Der Buddha hat den Wert der Freundschaft sehr betont. Freundschaften sind nicht per se weniger bedeutsam als Liebesbeziehungen.

Wenn du wie ein Nashorn allein unterwegs bist, betrachte diese Zeit nicht als verlorene Zeit, sondern nutze sie zur Entwicklung. Lass nicht zu, dass bittere Gedanken dich beherrschen und sich verfestigen. Statt »warum?«, frage lieber »wozu?« Welche sinnvollen Schritte könntest du von hier aus gehen?

4. Wie Beziehungen gelingen können

Eine Freundin und ihr Mann stehen kurz vor der Silberhochzeit. Die beiden pflegen ein gemeinsames Ritual: Jeden Morgen trinken sie im Bett einen Cappuccino zusammen. Eines Morgens hat sie beim gemeinsamen Cappuccino ihren Mann gefragt: »Wenn du mal zurückdenkst an damals, als wir uns kennengelernt haben: Hast du dir unsere Beziehung damals so vorgestellt, wie sie jetzt geworden ist?« – »Nein«, antwortete er. Und nach einer kurzen Pause: »Ich habe sie mir damals nicht so schön vorgestellt.«

Das ist es, was möglich ist. Es gibt solche Paare, die uns wie ein Leuchtturm zeigen, wohin uns eine erfüllte Beziehung führen kann. Auch meine Großeltern lebten in dieser Weise 60 Jahre miteinander, bevor sie schließlich kurz nacheinander starben. Mein Großvater Eduard wurde 91, meine Großmutter Mathilde 90. In den letzten Jahren sprachen sie nicht mehr viel. »Ede, du sagst ja gar nichts«, sagte sie zu ihm manchmal. Nach einer Weile sagte er dann: »Ich hab doch schon alles gesagt.« In diesem Moment war für den kleinen Jungen, der ich damals war, eine tiefe Verbindung der beiden zueinander spürbar. Die Erinnerung daran hat mich durch meine Beziehungen in meinem Leben getragen und mir in schwierigen Momenten geholfen. Das Wissen: Es ist möglich! Worauf beruht eine glückliche Beziehung? Besonders wichtige Säulen sind: Bewusstheit, Einfühlung und Wertschätzung.

Die meisten Menschen versuchen, durch Beziehungen ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Der Partner soll unsere Wünsche erfüllen und uns Bewusstheit, Einfühlung und Wertschätzung sind tragende Säulen einer Beziehung.Erleichterung verschaffen, wenn es uns nicht gut geht. Das ist etwas ganz Natürliches. Problematisch wird es immer dann, wenn wir darauf bestehen, dass der andere unsere Bedürfnisse befriedigt. Allzu oft betrachten wir unseren Partner als Goldesel für unser Wohlbefinden.

Treten Probleme auf, wollen wir schnelle Lösungen. Treten Wünsche auf, wollen wir schnelle Erfüllung. Ist dies nicht möglich, werden wir ungeduldig und fordernd. Den hinter dieser Haltung verborgenen Widerstand gegen das, was jetzt ist, erkennen wir nicht. Vielmehr nähren wir auf diese Weise unsere Unzufriedenheit und oftmals setzen wir zusätzlich unsere Partner unter Druck.

Die drei Säulen glücklicher Beziehungen – Bewusstheit, Einfühlung und Wertschätzung – sind nicht auf Lösungen und schnelle Veränderungen ausgerichtet, sondern auf Beistand und Offenheit. Sie helfen uns, einfach mit anderen zusammen zu sein, statt sie oder auch die Beziehung verändern zu wollen. Sie erschließen Beziehungen als ein Feld der Entwicklung. Dabei ist es nicht erforderlich, dass sich zwei Menschen in die gleiche Richtung oder sogar im Gleichschritt entwickeln. Es kann wunderbar und sehr hilfreich sein, wenn man gemeinsam mit der Partnerin oder dem Partner einen spirituellen Weg geht, aber das ist eine Seltenheit und es ist keine notwendige Bedingung für eine gelungene Beziehung.

 

Es geht nicht darum, Dissonanzen und Meinungsverschiedenheiten um jeden Preis zu vermeiden. Damit eine Bindung lange bestehen bleibt und immer tiefer wird, ist es wichtig, dass wir den anderen auch dann respektieren, wenn er sich anders verhält oder entwickelt, als wir es uns wünschen.

Entscheidend ist, wie du reagierst, wenn Schwierigkeiten aufkommen, etwa wenn ein Streit beginnt. Nimmst du die Dissonanz bewusst wahr? Oder verlierst du die Bewusstheit, überlässt dich den Gefühlen, wirst zu ihrem Spielball – und trägst damit zur Eskalation bei? Erinnere dich in schwierigen Momenten zunächst an die erste tragfähige Säule von Beziehungen: Bewusstheit.

Schwierigkeiten können für dich mit der Zeit die gleiche Funktion bekommen wie eine Klangschale im Meditationszentrum: Sie erinnern dich daran, dass eine Übungssituation beginnt. Mit problematischen Situationen und Gefühlen bewusst umzugehen ist ein unverzichtbarer Teil buddhistischer Praxis. Was du im Beziehungsleben erlebst und üben kannst, ist sehr wertvoll; es lässt sich durch die Praxis auf dem Meditationskissen nicht ersetzen. Liebesbeziehungen intensivieren viele Gefühle enorm, die angenehmen wie die schmerzhaften. Sie wirken gewissermaßen wie ein Mikroskop für Emotionen und geben dir damit auch die Chance, besonders genau hinzuschauen, besser gesagt: hinzuspüren.

Wenn hier von Bewusstheit die Rede ist, dann ist achtsames Bewusstsein gemeint: Achtsamkeit auf dich selbst, deinen Körper, die Gefühle und die Gedanken. Nimm aber auch deinen Partner sehr achtsam wahr: Wie verhält er sich? Wie fühlt er sich gerade? Welche Bedürfnisse hat er? Betrachte ihn also nicht nur durch die Brille deiner eigenen Wünsche und Bedürfnisse, sondern übe dich in Empathie, der Einfühlung in seine Situation.

Beschränke dich dabei nicht auf die schwierigen Momente, sondern gönne dir auch, die glücklichen Momente bewusst wahrzunehmen und bis in die letzte Faser deines Körpers zu spüren. Lass Bewusstheit in alles fließen, was du denkst, sagst und tust.Tränke deinen ganzen Alltag immer mehr mit Bewusstheit. Es wird dir mit der Zeit immer leichter fallen. Egal was passiert, bevor du reagierst, tauche spürend ein in die jeweilige Situation und die damit verbundenen Gefühle, zunächst ohne etwas verändern oder auch nur verstehen zu wollen.

Zwischen dir und deinem Partner bahnt sich ein Streit an? Du hast Angst davor? Bist wütend? Versuche nicht, diese Situation mit den damit verbundenen unangenehmen Gefühlen wegzuschieben oder möglichst schnell zu beenden. Handle vor allem nicht aus Gefühlen von Ärger und Wut heraus – das würde das Problem nur verschärfen. Mach dir stattdessen bewusst: Das ist jetzt die Realität. Und spüre mutig, was geschieht. Schon allein die Akzeptanz, die im Spüren liegt, entspannt die Situation. Und je intensiver du spürst, desto mehr kommt in der Tiefe etwas in Bewegung. Du fühlst dich verbunden und es wird eine Kraft in dir aktiviert, die dir beim heilsamen Umgang mit der Situation eine große Hilfe ist. Bewusstes Beobachten und bewusste Einfühlung in das, was in dir geschieht, lösen dich aus der Identifikation mit deinen Gedanken und Gefühlen. Bewusstheit wirkt befreiend.Diese werden erkannt als das, was sie sind: menschliche Gefühle und Gedanken. Auf diese Weise können sie weiterhin bestehen – werden also nicht verdrängt –, aber sie verlieren die Macht, dich zu vereinnahmen und dein Verhalten zu steuern.

Erinnere dich immer wieder: Agiert der Verstand allein, speist er sich aus dem Gefühl von Trennung und Mangel, erlebst du dich als unvollkommen. Demzufolge versuchst du, Menschen und Situationen zu manipulieren, kontrollieren und in Besitz zu nehmen. Das bringt Schwierigkeiten und Dukkha hervor. Das Verstandesbewusstsein braucht darum immer die Verbindung mit dem Spürbewusstsein, das Akzeptanz und eine liebende Kraft in dir freisetzt. Ohne diese Verbindung können Beziehungen immer nur ein Abglanz ihrer Möglichkeiten sein.

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