Grammatisches Kompendium

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5.3 Typen von Morphemen

Morpheme lassen sich unter mehreren Gesichtspunkten in unterschiedliche Typen differenzieren und klassifizieren: Hinsichtlich ihrer Bedeutungsfunktion wird zwischen lexikalischen und grammatischen MorphemMorphemen (▶ Nr. 5.3/1, Nr. 5.3/2) unterschieden; hinsichtlich ihres VorkommenVorkommens bzw. ihrer Selbstständigkeit unterscheidet man zwischen freies MorphemMorphemMorphemfreiesfreien und gebundenes Morphemgebundenen MorphemMorphemgebundenesMorphemen (▶ Nr. 5.3/3, Nr. 5.3/4) mit dem Spezialfall der unikales MorphemunikalenMorphemunikales bzw. blockiertMorphemblockiertesblockiertes Morphemen MorphemMorpheme (▶ Nr. 5.3/5, Nr. 5.3/6) und der KonfixKonfixe (▶ Nr. 5.3/6a). Spezialfälle in anderer Hinsicht bilden diskontinuierliches Morphemdiskontinuierliche MorphemMorphemdiskontinuierlichesMorpheme (▶ Nr. 5.3/7) und Portmanteau-MorphemMorphemPortmanteau--Portmanteau-AllomorphAllomorphPortmanteauAllomorphe (▶ Nr. 5.3/8).

Nach der Bedeutung/Funktion:

5.3/1 Lexikalisches Morphemlexikalisches MorphemMorphemlexikalisches

MorphemMorphem mit eigener lexikalischer oder SachbedeutungBedeutung. Kombinationen von lexikalisches Morphemlexikalischen MorphemMorphemen ergeben (neue) Wörter bzw. WortstammWortstämmStammStammWort-e (▶ Nr. 5.4/1).

5.3/2 Grammatisches MorphemMorphemgrammatischesgrammatisches Morphem

MorphemMorphem mit grammatischer oder struktureller BedeutungBedeutung. Kombinationen von lexikalisches Morphemlexikalischen MorphemMorphemen mit grammatisches Morphemgrammatischen MorphemMorphemen ergeben WortformWortformen, nicht neue Wörter.

Nach dem Vorkommen/der Selbstständigkeit:

5.3/3 Freies MorphemMorphemfreiesfreies Morphem

MorphemMorphem, dessen AllomorphAllomorph(e) allein für sich (ohne direkte Bindung an ein anderes MorphemMorphem) in einem Satz als Wort auftreten kann (können).

5.3/4 Gebundenes MorphemMorphemgebundenesgebundenes Morphem

MorphemMorphem, dessen AllomorphAllomorph(e) in einem Satz nicht selbstständig als Wort auftreten kann (können), sondern immer an ein anderes MorphemMorphem gebunden ist (sind).

Beispiel zu Nr. 5.3/1 bis Nr. 5.3/4:

In dem folgenden Satz sind die MorphemMorphemtypen der AllomorphAllomorphe gekennzeichnet:

Auflex,fr dgr,geb-emgr,geb Schreiblex,fr-tischlex,fr lieglex,fr-tgr,geb

eingr,fr grünlex,fr-lichlex,geb-esgr,geb Büchlex,fr-leinlex,geb

5.3/5 Unikales MorphemMorphemunikalesunikales Morphem

Gebundenes lexikalisches MorphemMorphem, das nicht allein, sondern nur in Verbindung mit einem einzigen anderen MorphemMorphem auftritt.

Beispiele:

Das MorphemMorphem {Him} kommt nur in Verbindung mit dem MorphemMorphem {Beere} vor, ebenso {Brom} und {Preisel}; {mutterseelen} nur mit {allein}; {Kegel} (in dieser Bedeutung!) nur nach {(mit) Kind und}.

5.3/6 Blockiertes MorphemMorphemblockiertesblockiertes Morphem

Gebundenes lexikalisches Morphem, dessen Kombinationsfähigkeit stark eingeschränkt ist.

Beispiel:

Das Morphem {Schwieger} kommt nur in Verbindung mit {Eltern, Kind, Mutter, Sohn, Tochter, Vater} vor. (Die Verwendung von Schwieger als freies Morphem in der Bedeutung ‘Schwiegermutter’ ist veraltet.)

5.3/6a KonfixKonfix

Gebundenes lexikalisches MorphemMorphem, das aus einer anderen Sprache entnommen worden ist, als BasisBasis (▶ 5.5/10) einer AbleitungAbleitung (▶ 5.5/5), als KompositionsgliedKompositionsgliedKompositionsglied (▶ 5.5/2) oder in beiden Verwendungen.

Beispiele:

Konfix {therm} in der Ableitung thermisch (mit Suffix {isch}), in den Komposita Thermalbad (mit freiem Morphem {Bad}), Thermostat (mit Konfix {stat}), Thermometer (mit Konfix {meter}, im Unterschied zum freien Morphem {Meter}).

Spezialfälle:

5.3/7 Diskontinuierliches MorphemMorphemdiskontinuierlichesdiskontinuierliches Morphem

Morphem mit einem AllomorphAllomorph, das aus mehreren Teilen besteht, die nicht unmittelbar aufeinander folgen, sondern durch andere Elemente getrennt sind.

Beispiele:

Die VerbformVerbform ge-sung-en weist das diskontinuierliche AllomorphAllomorph /g«- … ‑«n/ des Morphems {Partizip II = Partizip PerfektPartizip PerfektPartizip II} auf; entsprechend /g«- … ‑«/ in Ge-birg-e, Ge-jammer-e usw. (ZirkumfixZirkumfix, ▶ Nr. 5.4/9).

5.3/8 Portmanteau-AllomorphAllomorphPortmanteauPortmanteau-Allomorph

Nicht zerlegbarer AusdruckAusdruck (Zeichen), dem die InhaltsseiteInhaltsseiten mehrerer Morpheme zugeordnet sind.

Beispiele:

In der französ. FormForm <au> (gesprochen: [o<]) sind die beiden Morpheme à und le »verschmolzen«. – In Formen wie im, am sind die PräpositionPräpositionen in und an mit der ArtikelArtikelform dem verschmolzen (VerschmelzungsformVerschmelzungsform, ▶ Nr. 6.9/7). – Formen des Verbs sein wie bin, bist, sind lassen sich nicht wie die entsprechenden Formen anderer Verben – z. B. (ich) sing-e / (du) sing-st / (wir) sing-en – in StammStamm und EndungEndung zerlegen, sodass bin, bist, sind als Ganze zu betrachten sind, in denen Stamm- und Endungsbedeutung unsegmentierbar präsent sind.

Die Aussprache kann sich an das Französische ([pütmA=Èto<]) oder ans Englische ([p<tÈmQnt«U]) anlehnen.

5.4 Zur Beschreibung von WortformWortformen

Wortformen (▶ Nr. 6.1/1) sind die konkreten Gestalten, in denen Wörter (im Sinn von LexemenLexem bzw. VokabelVokabeln, ▶ Nr. 6.1/2 bzw. 6.1/3) im Satz erscheinen.

5.4/1 WortstammStammWortstammStammWort-

WortformWortform ohne Flexionsmorpheme; Teil einer Wortform, der übrig bleibt, wenn Flexionsmorpheme (▶ Nr. 5.4/3) abgetrennt werden.

5.4/2 Grundmorphem = StammmorphemGrundmorphemStammmorphem = WurzelWurzel

WortformWortform ohne WortbildungsmorphemWortbildungsmorphemMorphemWortbildungs-e; Teil eines WortstammWortstammStammWort-es, der übrig bleibt, wenn WortbildungsmorphemWortbildungsmorpheme (▶ Nr. 5.4/4) abgetrennt werden.

Beispiel:

Eine der WortformWortformen des LexemLexems Begründung ist Begründungen. Nach Abtrennung des Flexionsmorphems {PluralPlural} (AllomorphAllomorph /«n/) bleibt {be-Grund-ung} als WortstammWortstammStammWort- übrig. Nach Abtrennung der WortbildungsmorphemWortbildungsmorpheme {be} und {ung} bleibt {Grund} als Grundmorphem = Stammmorphem = WurzelWurzel übrig. Bei einer WortformWortform wie Gründ-e sind WortstammWortstammStammWort- und Grundmorphem identisch: {Grund} (hier als AllomorphAllomorph /grYnd/).

5.4/3 FlexionsmorphemFlexionsmorphemMorphemFlexions- = FlexivFlexivgebundenes Morphem

Gebundenes grammatisches MorphemMorphemgrammatischesMorphemgebundenesgrammatisches Morphem, das an WortstammStammWort-WortstämmStamme tritt und zur Bildung von WortformWortformen dient.

das FlexivFlexiv, des Flexivs, die Flexive (Betonung auf -xi(v)-)

5.4/4 WortbildungsmorphemWortbildungsmorphemMorphemWortbildungs-gebundenes MorphemMorphemgebundenes

Gebundenes lexikalisches MorphemMorphemlexikalischeslexikalisches Morphem, das in Verbindung mit einem GrundmorphemGrundmorphemMorphemGrund- einen komplexer Wortstammkomplexen WortstammWortstammStammWort-Wortstammkomplexer ergibt; an einen solchen komplexen Wortstamm können weitere Wortbildungsmorpheme treten.

Beispiel:

Aus der Kombination des Wortbildungsmorphems vor mit dem GrundmorphemGrundmorphem = StammmorphemMorphemStamm-Stammmorphem = mit der WurzelWurzel tanz entsteht der komplexe WortstammWortstammStammWort- vor-tanz. An diesen komplexen Wortstamm kann das Wortbildungsmorphem er antreten, sodass sich der neue Wortstamm Vor-tänz-er ergibt, an den nochmals ein Wortbildungsmorphem, z. B. in, angefügt werden kann. Es ergibt sich dann der mehrfach komplexe Wortstamm Vor-tänz-er-in.

5.4/5 AffixAffix

Zu einem WortstammWortstammStammWort-/GrundmorphemGrundmorphemMorphemGrund- hinzutretendes gebundenes grammatisches Morphemgrammatisches Morphem (= FlexionsmorphemFlexionsmorphemMorphemFlexions- = FlexivFlexiv) oder gebundenes lexikalisches Morphemlexikalisches Morphem (= Wortbildungsmorphem).

5.4/6 PräfixPräfix

Vor einen WortstammWortstammStammWort-/ein GrundmorphemGrundmorphem tretendes AffixAffix.

5.4/7 SuffixSuffix

An das Ende eines WortstammStammWort-Wortstammes/GrundmorphemGrundmorphems tretendes AffixAffix.

5.4/8 InfixInfix

Zwischen die Bestandteile eines WortstammWortstammStammWort-es/GrundmorphemGrundmorphems tretendes AffixAffix.

5.4/9 ZirkumfixZirkumfix

Kombination aus PräfixPräfix bzw. InfixInfix und SuffixSuffix.

 

Beispiele zu Nr. 5.4/6 bis Nr. 5.4/9:

PräfixPräfixe treten fast ausschließlich als Wortbildungsmorpheme wie un- (z. B. un-schön), miss- (z. B. miss-trauen), ver- (z. B. ver-sinken), Ur- (z. B. Ur-großvater) auf. SuffixSuffixe treten sowohl als FlexionsmorphemFlexionsmorpheme auf wie in lach-t, lach-en, Haus-es, schön-en als auch als WortbildungsmorphemWortbildungsmorpheme wie in Lach-er, häus-lich, Schön-heit. Ebenso verhält es sich bei ZirkumfixZirkumfixen: ge-lach-t (ge- … –t als FlexionsmorphemFlexionsmorphem), Ge-birg-e (Ge- … –e als WortbildungsmorphemWortbildungsmorphem). InfixInfixe sind die FlexionsmorphemFlexionsmorpheme ge und zu bei trennbaren Verbtrennbar (Verb)Verbtrennbaresen (▶ Nr. 6.2/17): auf-ge-hör-t, auf-zu-hör-en, wo sie zugleich erster Bestandteil eines ZirkumfixZirkumfixes sind.

das AffixAffix/PräfixPräfix/SuffixSuffix/InfixInfix/ZirkumfixZirkumfix, des Affixes etc., die Affixe etc. (Bet. -fix-)

5.4/9a HalbaffixHalbaffixAffixHalb- = AffixoidAffixoid

AffixAffixartiges WortbildungsmorphemWortbildungsmorphem, das reihenbildend auftritt und mit einem gleichlautenden = homonymenhomonym/Homonymfreies Morphem freien MorphemMorphem bedeutungsverwandtBedeutungsverwandtschaft ist.

5.4/10 HalbpräfixHalbpräfixPräfixHalb- = PräfixoidPräfixoid

PräfixPräfixartiges WortbildungsmorphemWortbildungsmorphem, das reihenbildend auftritt und mit einem gleichlautenden = freies Morphemhomonymenhomonym/Homonym freienfreies Morphem MorphemMorphem bedeutungsverwandt ist.

Beispiele:

Elemente wie sau-, super-, auf- erscheinen als gebundenes Morphemgebundene Morpheme in Wortbildungen wie saublöd, Sauwetter; superschnell, Superathlet; aufblühen, aufstehen und vielen weiteren. Daneben stehen Sau (‘weibliches Schwein’), super (‘hervorragend’), auf (lokale Präpositionlokale Präposition) als freies Morphemfreie Morpheme, mit deren Bedeutungen die der entsprechenden HalbpräfixHalbpräfixe = PräfixoidPräfixoide im Sinne einer Entkonkretisierung verwandt, aber nicht identisch sind.

5.4/11 HalbsuffixHalbsuffixSuffixHalb- = SuffixoidSuffixoid

SuffixSuffixartiges WortbildungsmorphemWortbildungsmorphem, das reihenbildend auftritt und mit einem gleichlautenden = freies Morphemhomonymenhomonym/Homonymfreies Morphem freien MorphemMorphem bedeutungsverwandt ist.

Beispiele:

-muffel in Sexmuffel, Krawattenmuffel, ‑papst in Literaturpapst, ‑geil in erfolgsgeil, ‑verdächtig in olympiaverdächtig (aber nicht in tatverdächtig: Kompositum).

das AffixoidAffixoid/PräfixoidPräfixoid/SuffixoidSuffixoid, des Affixoid(e)s/Präfixoid(e)s/Suffixoid(e)s, die Affixoide/Präfixoide/SuffixoidSuffixoide (-oi- wird [o-i<] gesprochen, Betonung auf -i(d)-)

5.4/12 SuppletivallomorphAllomorphSuppletiv-Suppletivallomorphe

AllomorphAllomorphe eines MorphemMorphems, deren AusdrucksseiteAusdrucksseiten untereinander in keinem regelhaften Zusammenhang stehen.

Beispiele:

Die Ausdrucksseiten der Allomorphe des Morphems {viel} – /fi<l/, /me</ (meh-r), /maíe/ (mei-st(en)) – sind lautlich nicht regelhaft aufeinander beziehbar, vielmehr kommen unterschiedliche Stämme zum Einsatz. Man spricht von SuppletionSuppletion oder SuppletivwesenSuppletivwesen. Hierbei handelt es sich um einen Spezialfall der morphologischen Konditionierung.

Weitere Beispiele:

In der SteigerungSteigerung = KomparationKomparation (▶ Nr. 6.6/3) des Morphems {gern} treten die ausdrucksseitig voneinander völlig verschiedenen Allomorphe gern und lieb- (lieb-er, lieb-st(en)) auf. – Beim MorphemMorphem {geh(en)} sind die Allomorphe /ge</ einerseits und /gIN, gaN/ andererseits lautlich nicht aufeinander beziehbar; letztere sind aber regulär durch AblautAblaut (▶ Nr. 5.2/7) miteinander verbunden.

5.4/13 NullallomorphNullallomorphAllomorphNull-

AllomorphAllomorph eines Morphems, das keine materielle (phonische oder graphische) AusdrucksseiteAusdrucksseite hat.

Beispiel:

Bei Morphemen wie {Auto, Geist, Flut} hat das MorphemMorphem {PluralPlural} die Allomorphe /s, «r, «n/ mit jeweils materiell fassbarer AusdrucksseiteAusdrucksseite. Bei Morphemen wie {Meister, Löffel} wird das MorphemMorphem {PluralPlural} dagegen materiell nicht ausgedrückt, ist aber in Kombinationen wie die Meister, die Löffel inhaltsseitig in gleicher Weise vorhanden wie in die Autos, die Geister, die Fluten. Es wird daher aus Symmetriegründen häufig die Anwesenheit eines AllomorphAllomorphs mit einer AusdrucksseiteAusdrucksseite postuliert, deren materieller WertWert Null ist. – Weitere Beispiele ▶ Nr. 5.5/9.

NullNull (durchstrichene)allomorphNullallomorphe werden mithilfe des durchstrichenen NullsymbolsNullsymboldurchstrichenes Nullsymbol, »∅«, notiert: /maíest«r-∅/, /l¿f«l-∅//.

5.5 Morphologische Wortbildungslehre

Den Gegenstand der WortbildungslehreWortbildungslehre bilden komplexer Wortstammkomplexe WortstammStammWort-WortstammkomplexerWortstämme (▶ Nr. 5.4/4), die entweder aus Wortstämmen (z. B. Haus-tür) oder aus Kombinationen aus WortstammWortstammStammWort- und WortbildungsmorphemWortbildungsmorphemMorphemWortbildungs- (z. B. Häus-chen) bestehen und sich in diese Bestandteile zerlegen lassen. Dabei können die bei der Zerlegung sich ergebenden WortstammStammWort-Wortstämme ihrerseits komplex oder aber einfach = GrundmorphemGrundmorphemMorphemGrund-e sein.

 Beispiele für die Zerlegbarkeit in WortstammStammWort-Wortstämme: Haustür: Haus + Tür; Glatteiswarndienst: Glatteis + Warndienst; diese (komplexen) WortstammWortstämme sind ihrerseits zerlegbar in glatt + Eis und warn + Dienst.

 Beispiele für die Zerlegbarkeit in WortstammWortstamm und WortbildungsmorphemWortbildungsmorphem: sonnig: sonn + ig; Häus-chen: Haus + chen; unschön: un + schön; Begründung: begründ + ung; ersteres weiter zerlegbar in be + Grund (▶ Nr. 5.4/1 und 5.4/4WortstammStammWort-).

Wortstämme der ersten Art heißen KompositumKomposita = zusammengesetztes WortWortzusammengesetzteszusammengesetzte Wörter = ZusammensetzungZusammensetzungen (▶ Nr. 5.5/2Wortstamm); Wortstämme der zweiten Art heißen DerivativumDerivativa = DerivationDerivationen = abgeleitetes Wortabgeleitete Wörter Wortabgeleitetes= AbleitungAbleitungen (▶ Nr. 5.5/5). Zusammenfassend spricht man von WortbildungenWortbildung. Einfache WortstammWortstämme heißen SimplexSimplizia:

5.5/1 SimplexSimplex

WortstammWortstammStammWort-, der lediglich aus einem Grundmorphem = StammmorphemStammmorphemMorphemStamm- = einer WurzelWurzelGrundmorphem besteht.

das Simplex, des Simplex, die Simplexe (Betonung jeweils auf Sim-) od. die Simplizia (Betonung auf -pli-)

5.5/2 KompositumKompositum = zusammengesetztes Wortzusammengesetztes WortWortzusammengesetztes = ZusammensetzungZusammensetzung

WortstammWortstamm, der sich in zwei weitere WortstammStammWort-Wortstämme zerlegen lässt.

Hauptfälle:

 Substantivkomposita (= NominalkompositaNominalkompositumSubstantivkompositumKompositumNominal-KompositumSubstantiv-)Haustür: einfacher WortstammWortstammStammWort- = GrundmorphemGrundmorphemHaus + einfacher Wortstamm = Grundmorphem TürGlatteiswarndienst: komplexer WortstammWortstammkomplexerkomplexer WortstammGlatteis + komplexer Wortstamm Warndienst

 AdjektivkompositaAdjektivkompositumKompositumAdjektiv-dunkelblau, schwarz-rot-golden/schwarzrotgolden, dauerarbeitslos

 VerbkompositaVerbkompositumKompositumVerb-staubsaugen/Staub saugen, mähdreschen, kaltschweißen

Nach den Verhältnissen, in denen die Glieder eines KompositumsKompositionsglied inhaltlich zueinander stehen, werden folgende Unterscheidungen getroffen:

 KopulativkompositumKopulativkompositumKompositumKopulativ-: Die Glieder sind inhaltlich gleichgeordnet; z. B.: Hemdbluse (‘Hemd und Bluse’),Dichterkomponist (‘Dichter und Komponist’), mähdreschen (‘mähen und dreschen’)

 DeterminativkompositumDeterminativkompositumKompositumDeterminativ-: Das zweite Glied = das GrundwortGrundwortWortGrund- wird vom ersten Glied = dem BestimmungswortBestimmungswortWortBestimmungs- inhaltlich spezifiziert; z. B.: Milchkanne, Drehtür, dunkelblau, kaltpressen

Je nachdem, ob der »Kopf« des Kompositums in diesem selber liegt oder außerhalb, wird zwischen endo- und exozentrischen Komposita unterschieden:

 endozentrisches Kompositumendozentrisches KompositumKompositumendozentrisches: Das Kompositum, AB, bezeichnet die im zweiten Glied benannte Größe, B (Formel: »AB ist B«); das zweite Glied kann das Kompositum insgesamt ersetzen (»eine Milchkanne ist eine Kanne«, »kaltpressen ist pressen«)

 exozentrisches Kompositumexozentrisches KompositumKompositumexozentrisches = PossessivkompositumKompositumPossessiv- = BahuwrihiBahuwrihiKompositumBahuwrihi: Das Kompositum bezeichnet nicht die im zweiten Glied benannte Größe, sondern eine explizit nicht genannte Größe, die vom Kompositum insgesamt beschrieben wird; das zweite Glied kann das Kompositum nicht ersetzen (»ein Dummkopf ist kein Kopf«): Grünschnabel, Milchgesicht, Dummkopf

Der Terminus ZusammensetzungZusammensetzung = KompositionKomposition dient auch zur Bezeichnung des grammatischen Prozesses, der zur Bildung von KompositumKomposita = zusammengesetztes Wortzusammengesetzten Wörtern = Zusammensetzungen führt.

das KompositumKompositum, des KompositumKompositums, die KompositumKomposita (Betonung auf -po-)

das od. der Bahuwrihi, des Bahuwrihi, die Bahuwrihi (Betonung auf -wri-)

5.5/3 KompositionsfugeFugeKompositions-Kompositionsfuge

Nahtstelle zwischen den WortstammStammWort-Wortstämmen, die die Glieder eines KompositumKompositums bilden.

Die KompositionsfugeKompositionsfuge kann durch spezielle FugenelementElementFugen-Fugenelemente gekennzeichnet sein, z. B. -s- in Geburt-s-datum, -er- in Hühn-er-ei, -e- in Schwein-e-fleisch, -(e)n- in Frau-en-arzt, Ente-n-ei (»PlusfugeFugePlus-Plusfuge«). Keine FugenelementFugenelemente treten auf in Haus-∅-tür, Rind-∅-fleisch, Speise-∅-karte usw. (»NullFugeNull-fugeNullfuge«). Der vordere Wortstamm kann auch verkürzt werden, z. B. in Kirch-turm (»MinusfugeFugeMinus-Minusfuge«).1

5.5/4 DekompositumDekompositum = ParasynthetumParasynthetum

KompositumKompositum, das als Ganzes aus mehr als zwei Gliedern besteht.

Erläuterung:

Komposita wie Glatteiswarndienst oder Lampenschirmfabrik bestehen im ersten Analyseschritt jeweils aus zwei Gliedern: Glatteis und Warndienst, Lampenschirm und Fabrik. Beide Glieder bzw. eines von ihnen lassen sich ihrerseits in zwei Glieder zerlegen: glatt und Eis, warn und Dienst sowie Lampe und Schirm. Die KompositumKomposita bestehen also, insgesamt gesehen, aus vier bzw. drei Gliedern.

das DekompositumDekompositum, des DekompositumDekompositums, die DekompositumDekomposita (Betonung auf -po-)

das Parasynthetum, des Parasynthetums, die Parasyntheta (Betonung auf -syn-)

 

5.5/5 AbleitungAbleitung = DerivativumDerivativum = DerivativDerivativ = DerivatDerivat = DerivationDerivation = abgeleitetesabgeleitetes Wort WortWortabgeleitetes

WortstammWortstammStammWort-, der sich in einen Wortstamm und ein WortbildungsmorphemWortbildungsmorphemMorphemWortbildungs- zerlegen lässt. Der bei der Zerlegung zu ermittelnde Wortstamm kann seinerseits komplex oder aber ein GrundmorphemGrundmorphemMorphemGrund- = StammmorphemStammmorphemMorphemStamm- = eine WurzelWurzel sein.

Die Termini AbleitungAbleitung/DerivationDerivation dienen auch zur Bezeichnung des grammatischen Prozesses, der zur Bildung von Ableitungen = Derivativa … führt. – Je nachdem, ob an der Bildung SuffixSuffixe bzw. HalbsuffixHalbsuffixe = SuffixoidSuffixoide (▶ Nr. 5.4/7 bzw. Nr. 5.4/11) oder PräfixPräfixe bzw. HalbpräfixHalbpräfixe = PräfixoidPräfixoide (▶ Nr. 5.4/6 bzw. Nr. 5.4/10) beteiligt sind, werden SuffigierungSuffigierungen = SuffixbildungSuffixbildungen und PräfigierungPräfigierungen = PräfixbildungPräfixbildungen unterschieden.

das Derivat, des Derivat(e)s, die Derivate (Betonung auf ‑va(t)-)

das Derivativ/Derivativum, des Derivativs/Derivativums, die Derivative/Derivativa (Betonung auf -ti(v)-)

die Derivation, der Derivation, die Derivationen

5.5/6 SuffigierungSuffigierung = SuffixbildungSuffixbildung = SuffixableitungSuffixableitung

DerivativumDerivativum, das aus einem WortstammWortstammStammWort- und einem SuffixSuffix oder einem HalbsuffixHalbsuffixSuffixHalb- = einem SuffixoidSuffixoid besteht.

Beispiele:

Dienst: einfacher Wortstammeinfacher WortstammWortstammStammWort- = GrundmorphemGrundmorphem dien + SuffixSuffix ‑st

sonnig: einfacher WortstammWortstamm = GrundmorphemGrundmorphem Sonn(e) + SuffixSuffix ‑ig

Begründung: komplexer Wortstammkomplexer Wortstamm begründ + SuffixSuffix ‑ung

Krawattenmuffel: einfacher WortstammWortstamm Krawatte + HalbsuffixHalbsuffix = SuffixoidSuffixoid -muffel

olympiaverdächtig: einfacher WortstammWortstamm Olympia + HalbsuffixHalbsuffix = SuffixoidSuffixoid ‑verdächtig

Manchmal werden die Termini DerivationDerivation/AbleitungAbleitung im engeren Sinn allein zur Bezeichnung der SuffigierungSuffigierung = SuffixbildungSuffixbildung und nicht auch der PräfigierungPräfigierung = PräfixbildungPräfixbildung verwendet.

5.5/7 PräfigierungPräfigierung = PräfixbildungPräfixbildung = PräfixableitungPräfixableitung

DerivativumDerivativum, das aus einem PräfixPräfix oder einem HalbpräfixHalbpräfixPräfixHalb- = einem PräfixoidPräfixoid und einem WortstammWortstamm besteht.

Beispiele:

un-schön: PräfixPräfix un- + einfacher Wortstammeinfacher WortstammWortstammStammWort- = GrundmorphemGrundmorphem schön

unbegründet: PräfixPräfix un- + komplexer Wortstammkomplexer Wortstamm begründet

aufblüh(en): HalbpräfixHalbpräfix = PräfixoidPräfixoid auf- + GrundmorphemGrundmorphem blüh(en)

saublöd: HalbpräfixHalbpräfix = PräfixoidPräfixoid sau- + GrundmorphemGrundmorphem blöd

Superathlet: HalbpräfixHalbpräfix = PräfixoidPräfixoid super- + GrundmorphemGrundmorphem Athlet

5.5/8 Kombinierte Präfix- und Suffixbildungkombinierte Präfix- und Suffixbildung = ZirkumfigierungZirkumfigierung

DerivativumDerivativum, das aus einem ZirkumfixZirkumfix (▶ Nr. 5.4/9) und einem WortstammWortstammStammWort- besteht.

Beispiele:

Ge-plärr-e: PräfixPräfix ge- + SuffixSuffix ‑e = ZirkumfixZirkumfix ge- … ‑e + GrundmorphemGrundmorphem plärr

be-rein-ig(en): PräfixPräfix be- + SuffixSuffix ‑ig = ZirkumfixZirkumfix be- … ‑ig + GrundmorphemGrundmorphem rein.

5.5/9 NullableitungNullableitung

DerivativumDerivativum, das aus einem WortstammWortstamm und einem AffixAffix (SuffixSuffix oder PräfixPräfix) in FormForm eines NullallomorphNullallomorphs (▶ Nr. 5.4/13) besteht.

Beispiel:

Der Vergleich von Lehrer und Koch zeigt, dass Lehr-er mithilfe des SuffixSuffixes -er vom VerbVerb lehr(en) abgeleitet ist, während die Bildung Koch (von koch(en)) kein offenes SuffixSuffix aufweist. Wegen der inhaltlichen Parallelität beider Bildungen wird für Koch die Anwesenheit eines mit /«r/ zusammengehörigen AllomorphAllomorphs mit einer AusdrucksseiteAusdrucksseite postuliert, deren materieller WertWert Null ist. Das MorphemMorphem {Nomen AgentisNomen Agentis} (▶ Nr. 5.5/11) hat also die AllomorphAllomorphe /«r/ und ∅: /le<r-«r/, /kx-∅/.

Hierher gehören auch Fälle mit Änderung des Stammvokals wie find(en) – Fund, bind(en) – Band – Bund (Ablaut, ▶ Nr. 5.2/7), schwarz – schwärz(en) (Umlaut, ▶ Nr. 5.2/5). Hier spricht man auch von impliziter Derivation, ▶ Nr. 5.5/9b.

5.5/9a KonversionKonversion

Alternative Deutung der Nullableitung (▶ Nr. 5.5/9): Übertritt eines Wortstamms in eine andere Wortart ohne Kennzeichnung durch ein Affix.

5.5/9b Implizite Derivationimplizite DerivationDerivationimplizite

Ableitung ohne offenes Affix, aber mit Änderung des Stammvokals.

5.5/9c Explizite DerivationKonversionDerivationexplizite

Ableitung mit offenem Affix.

Beispiele vor ▶ Nr. 5.5/9a.

5.5/10 BasiBasiss

WortstammWortstammStammWort- als Ausgangspunkt einer AbleitungAbleitung = einer DerivationDerivation; bei dem Wortstamm kann es sich um ein GrundmorphemGrundmorphemMorphemGrund- = StammmorphemStammmorphemMorphemStamm- = eine Wurzel oder einen schon komplexen Wortstammkomplexer WortstammWortstammkomplexer handeln. Bei ZusammenbildungenZusammenbildung ist eine WortgruppeWortgruppe die Basis der Ableitung.

Zur Erläuterung vgl. die Bemerkungen zu ▶ Nr. 5.4/4, zu ZusammenbildungenZusammenbildung ▶ Nr. 5.5/12. – Je nach der Wortartzugehörigkeit der BasisBasis von AbleitungAbleitungen = von DerivationDerivationen spricht man von

 deverbalen deverbalBildungenBildungdeverbale (z.B. Lehr-er, zisch-el(n)),

 desubstantivischdesubstantivischen (= denominaldenominalen) BildungenBildungdenominaleBildungdesubstantivische (z. B. kellner(n), Gärtner-in),

 deadjektivischenBildungdeadjektivischedeadjektivisch Bildungen (z. B. ver-edel(n), grün-lich),

 deadverbialBildungdeadverbialedeadverbialen Bildungen (z. B. hies-ig, gestr-ig).

die BasisBasis, der BasisBasis, die Basen

5.5/11 SubstantivierungSubstantivierung (= NominalisierungNominalisierung)

AbleitungAbleitung = DerivationDerivation eines SubstantivSubstantivs.

Beispiele:

Lehr-er ist eine SubstantivierungSubstantivierung = NominalisierungNominalisierung des VerbVerbs lehr(en), Röte ist eine SubstantivierungSubstantivierung = NominalisierungNominalisierung des AdjektivAdjektivs rot.

»SubstantivierungSubstantivierung im engeren Sinn« meint die AbleitungAbleitung von SubstantivSubstantiven aus BasisBasen anderer Wortartzugehörigkeit; »SubstantivierungSubstantivierung im weiteren Sinn« umfasst auch die AbleitungAbleitung von SubstantivSubstantiven aus Substantiven, z. B. Autor-in, Schrift-tum.

Hauptfälle:

 Nomina ActionisNomen Actionis = handlungsbezeichnende SubstantiveGrab-ung, Lauf-erei, Such-e, Rast-∅

 Nomina AgentisNomen Agentis = täterbezeichnende SubstantiveLehr-er, Koch-∅, Liefer-ant, Eindring-ling, Fris-eur/Fris-ör, Kompon-ist

 Nomina InstrumentiNomen Instrumenti = werkzeugbezeichnende SubstantiveBohr-er, Entsaft-er, Öffn-er, (Bremskraft-)Regl-er

 PrädikativsubstantivPrädikativsubstantiveBläu-e, Größ-e, Klug-heit

das Nomen Actionis/Agentis/Instrumenti, des Nomen Actionis/Agentis/Instrumenti, die Nomina Actionis/Agentis/Instrumenti (Betonung auf -tio-, ‑gen-, -men-)

5.5/12 ZusammenbildungBildungZusammen-Zusammenbildung

AbleitungAbleitung = DerivationDerivation mit einer WortgruppeWortgruppe als Basis.

Beispiele:

Bildungen wie Krachmacher, Gesetzgebung, 52-jährig usw. lassen sich nicht wie KompositaKompositum = ZusammensetzungenZusammensetzung auflösen in Krach + Macher, Gesetz + Gebung, 52 + jährig; vielmehr stellen sie AbleitungenAbleitung aus den WortgruppenWortgruppe Krach mach(en), Gesetz(e) geb(en) bzw. 52 Jahr(e) dar.

5.5/13 Lexikalisierte BildungBildunglexikalisiertelexikalisierte Bildungen

LexemLexeme, die in ihrer Form Ähnlichkeiten zu WortbildungWortbildungen (KompositumKomposita oder DerivativumDerivativa) aufweisen, die sich aber inhaltlich nicht (mehr) als Wortbildungen erweisen.

Beispiele:

aufhör(en) im Gegensatz z. B. zu zu-hör(en): zu-hör(en) enthält das MorphemMorphem hör(en) – Zuhören ist eine Art des Hörens; aufhör(en) enthält das MorphemMorphem hör(en) nicht – Aufhören hat mit Hören bedeutungsmäßig nichts zu tun. Weitere Beispiele: be-komm(en), ge-ling(en), ver-gess(en); Hoch-zeit, Schorn-stein, Bundes-tag.

Die in ihnen aufzufindenden Bestandteile können als PseudomorphemePseudomorphem (▶ Nr. 5.1/1) oder FormmorphemeMorphemForm-Formmorphem bezeichnet werden; sie sind entweder homonymhomonym/Homonym mit existierenden Morphemen, z. B. auf-hör(en) – hör(en) – auf-sitz(en), be-komm(en) – komm(en) – be-wein(en), oder existieren allein im vorliegenden Wortstamm, z. B. ver-lier(en), oder bilden eine Mischung von beidem, z. B. Schorn-stein, Hoch-zeit.