Grammatisches Kompendium

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Grammatisches Kompendium
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Wilfried Kürschner

Grammatisches Kompendium

Systematisches Verzeichnis grammatischer Grundbegriffe

A. Francke Verlag Tübingen

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© 2018 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG

Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen

www.francke.de • info@francke.de

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

E-Book-Produktion: pagina GmbH, Tübingen

ePub-ISBN 978-3-8463-4693-8

Inhalt

  Vorwort

 1 Semiotik: Lehre vom Zeichen1.1 Das sprachliche ZeichenEigenschaften des sprachlichen Zeichens:Beziehungen zwischen sprachlichen Zeichen:1.2 Differenzierung des Sprachbegriffs

 2 Semantik: Lehre vom Inhalt2.1 Ausdrucks-Inhalts-Beziehungen zwischen Zeichen2.2 Zur Beschreibung der Inhaltsseite2.3 Beziehungen zwischen Zeicheninhalten2.4 Bedeutungsübertragung und Bedeutungswandel

 3 Graphemik: Lehre von der Schreibung3.1 Existenzweisen der Sprache3.2 Zur Beschreibung der Graphie

 4 Phonologie: Lehre von der Lautung4.1 EinzellauteVokaleKonsonantenAkzent4.2 Lautkombinationen und Lautprozesse4.3 Lautentwicklungen in der deutschen SprachgeschichteIm Althochdeutschen und beim Übergang zum Mittelhochdeutschen:Im Mittelhochdeutschen:Beim Übergang vom Mittelhochdeutschen zum Frühneuhochdeutschen/Neuhochdeutschen:

 5 Morphologie: Lehre vom Bau der Wörter5.1 Allgemeines5.2 Zur Beschreibung der Allomorphik im Deutschen5.3 Typen von MorphemenNach der Bedeutung/Funktion:Nach dem Vorkommen/der Selbstständigkeit:Spezialfälle:5.4 Zur Beschreibung von Wortformen5.5 Morphologische Wortbildungslehre

 6 Wortartenlehre6.1 AllgemeinesZum Wortbegriff:Veränderliche Wortarten:Wortartenübergreifende Erscheinungen:6.2 Verb6.2.1 Funktionsklassen6.2.2 Wortformen6.2.2.3 Bau der Konjugationsformen6.2.3 Syntaktische Klassen6.3 SubstantivWortformen6.4 ArtikelFunktionsklassen6.5 PronomenFunktionsklassen6.6 Adjektiv6.6.1 Wortformen6.6.2 Syntaktische Klassen6.6.3 Zahladjektive6.7 Adverb6.7.1 Bedeutungsklassen6.7.2 Funktionsklassen6.8 PartikelFunktionsklassen6.9 Präposition6.9.1 Syntaktische Klassen6.9.2 Bedeutungsklassen6.10 Konjunktion6.10.1 Bedeutungsklassen6.10.2 Funktionsklassen6.11 Interjektion

 7 Syntax: Lehre vom Satz7.1 PhrasenTypen von Verbphrasen nach der Anzahl der Wortformen:Typen von Verbphrasen nach der Finitheit:Typen von Verbphrasen nach der Modalisierung:Typen von Teilsatz-Phrasen nach der Satzform:Typen von Teilsatz-Phrasen nach der Einleitung:Typen von Teilsatz-Phrasen nach der Stellung relativ zum Trägersatz:Satzkonstituenten, Satzteile, Phrasenteile7.2 Satzteile7.2.1 Prädikat7.2.2 Satzglied7.2.3 Satzbestimmung7.2.4 Korrelat7.2.5 Parenthese7.2.6 Absolutelement7.2.7 Satzverknüpfung7.3 Phrasenteile7.3.1 Nukleus, Spezifizierung, Attribut7.3.2 Komparationsbestimmung7.3.3 Phrasenverknüpfung7.4 Satzstellungsformen, Satzarten7.5 Feldgliederung (Wortstellung/Stellungsfelder)Abwandlung der Grundwortstellung:7.6 SatzfügungZur Beschreibung von Satzgefügen:Zur Beschreibung von Satzreihen = Satzreihungen:7.7 Satzäquivalente

 8 Textgrammatik8.1 Allgemeines: Text, Texthaftigkeit8.2 Textverknüpfung8.2.1 Kohäsion8.2.2 Kohärenz8.3 Textthema8.3.1 Allgemeines8.3.2 Themenentfaltung8.4 Sprach- und Textfunktionen8.4.1 Sprachfunktionen8.4.2 Textfunktionen8.5 Textsorten8.6 Nichtsprachliche Mittel8.7 Kommunikationssituation

 9 Orthographie: Lehre von der normgerechten Schreibung9.1 Domänen, Gebiete, Bereiche der Orthographie9.2 Orthographische Prinzipien9.2.1 Lautprinzip9.2.2 Stammprinzip9.2.3 Wortklassenprinzip9.2.4 Herkunftsprinzip9.2.5 Unterscheidungsprinzip9.2.6 Satzbauprinzip9.2.7 Ästhetisches Prinzip9.2.8 Textprinzip9.3 Orthographische Felder9.3.1 Laut-Buchstaben-Zuordnungen9.3.2 Wortauszeichnung9.3.3 Wortgliederung9.3.4 Zeichensetzung: Kommasetzung

  Anhang Vorbemerkung 1. Lautlehre, Rechtschreibung, Zeichensetzung 2. Wortlehre 3. Satzlehre 4. Bedeutungslehre (Semantik)

  Literatur

  Notationszeichen

  Register

Vorwort

Der Charakter des vorliegenden Buches hat sich gegenüber den vorangegangenen Auflagen nicht verändert: Das Grammatische Kompendium nimmt eine Zwischenstellung zwischen terminologischem Wörterbuch und ausführlicher Grammatik des Deutschen ein. Anders als in den üblichen Terminologielexika unterliegt die Reihenfolge der hier aufgenommenen Termini nicht den Zufälligkeiten des Alphabets, sie werden vielmehr in sachlich-systematischen Feldern angeordnet, definiert und an Beispielen erläutert. Damit kann das Kompendium auch als eigenständiges kurzgefasstes grammatisches Lehrbuch benutzt werden.

Eine sachlich und terminologisch harmonisierende Darstellung der vorliegenden Literatur ist, auch angesichts der zahlreichen neuen Publikationen zur deutschen Grammatik, nicht zu erreichen. Der Leser sollte daher darauf gefasst sein, im vorliegenden Buch eine weder terminologisch noch sachlich mit irgendeiner anderen Grammatik völlig übereinstimmende Darstellung vorzufinden. Es dominieren hier die Vorstellungen der traditionellen und der Schulgrammatik, verbunden mit Elementen aus der Valenzgrammatik. Insofern kommt das Kompendium in den Kapiteln zu Wortarten und Syntax der grammatischen Begrifflichkeit in Schullehrbüchern, in Schulgrammatiken und in dem (im Anhang abgedruckten) »Verzeichnis grundlegender grammatischer Fachausdrücke« der Kultusministerkonferenz (1982), auf das sich die Schulbücher zu stützen haben, entgegen, ohne sie in jeder Hinsicht zu teilen.

Die vorliegende 7. Auflage des Grammatischen Kompendiums unterscheidet sich von der vorangehenden Ausgabe hauptsächlich von der äußeren Aufmachung her, inhaltlich nur in geringem Maß. Es waren einige (wenige) Versehen zu korrigieren, die immer noch stehengeblieben waren und auf die mich Studenten und Kollegen freundlicherweise aufmerksam gemacht haben. Außerdem wurden einige sachliche Zusätze und Modifikationen vorgenommen und die Literaturangaben aktualisiert.

 

Zu danken ist Olga Gowin, Johanna Helfer und Sönke Rasche (Vechta) für wichtige Anregungen zu Textänderungen. Sebastian Kürschner (Eichstätt) hat die neue Fassung gründlich durchgesehen. Tillmann Bub vom Verlagslektorat hat die Erstellung der Neuauflage mit Sachverstand und Freundlichkeit begleitet.

Vechta, im Juni 2017 Wilfried Kürschner

Das im Folgenden häufig verwendete, hier am Rand abgebildete Icon steht für ‘Redeweise’, ‘Redewendung’ und wird vor Angaben über Wortformen grammatischer Termini (z. B. »das Genus, des Genus, die Genera«) und vor typische Redewendungen der Grammatiker (z. B. »Dieses Verb regiert den Akkusativ«) gesetzt.

Angaben zur konventionellen Notation sind mit dem nebenstehenden Stift-Icon versehen.

Auf wichtige Hinweise im Text macht ein Icon mit einem Ausrufezeichen aufmerksam.

1 SemiotikSemiotik: Lehre vom Zeichen
1.1 Das sprachliche Zeichen

Eine Sprache kann als ein System angesehen werden, in dem mithilfe von Lauten Bedeutungen zum Ausdruck gebracht werden. Das heißt, es werden ZeichenZeichen gebraucht:

1.1/1 Sprachliche ZeichenZeichensprachlichessprachliches Zeichen

Einheiten, in denen Laute/Lautfolgen bzw. ihre schriftlichen Entsprechungen mit BedeutungBedeutungen = InhaltInhalten verknüpft sind.

Als Zeichen können ganze TextTexte, SätzeSatz, Teile von Sätzen bis hinunter zu WörternWort und MorphemenMorphem betrachtet werden. Die kleinsten, minimalen ZeichenZeichen sind die MorphemMorpheme (▶ Nr. 5.1/1 und Nr. 5.1/3).

Eigenschaften des sprachlichen ZeichenZeichens:

1.1/2 BilateralitätBilateralität = ZweiseitigkeitZweiseitigkeit

Das Vorhandensein zweier Seiten, einer Ausdrucksseite und einer Inhaltsseite, die die konstitutiven Elemente eines Zeichens sind.

1.1/3 AusdrucksseiteAusdrucksseite

LautLaute/LautfolgenLautfolge bzw. deren graphische Entsprechungen (in vielen Sprachen: BuchstabeBuchstabeBuchstaben/BuchstabenfolgenBuchstabenfolge), die zum AusdruckAusdruck (Zeichen) der entsprechenden InhaltsseiteInhaltsseite dienen.

1.1/4 InhaltsseiteInhaltsseite

InhaltInhalte = BedeutungBedeutungen, die mit der AusdrucksseiteAusdrucksseite eines sprachlichen ZeichenZeichensprachlichessprachliches Zeichens verknüpft sind.

Für die Termini »AusdrucksseiteAusdrucksseite« und »InhaltsseiteInhaltsseite« sind auch die in ▶ Tabelle 1 dargestellten Alternativen gebräuchlich:


AusdrucksseiteAusdrucksseite InhaltsseiteInhaltsseite

Tabelle 1: Alternative Termini für »Ausdrucksseite« – »Inhaltsseite«

Die Termini »Bedeutung«Bedeutung und »Inhalt«Inhalt werden im Folgenden gleichbedeutend verwendet, mit »Zeichen« ist stets ‘sprachliches Zeichen’Zeichensprachliches gemeint.

1.1/5 ArbitraritätArbitrarität = BeliebigkeitBeliebigkeit

WillkürlichkeitWillkürlichkeit der Zuordnung von Inhalts- und AusdrucksseiteAusdrucksseite im ZeichenZeichen.

Beispiel:

Der stets gleiche InhaltInhalt ‘4’ ist im Deutschen mit dem AusdruckAusdruck (Zeichen) [fi<Œ] bzw. <vier>, im Englischen mit dem AusdruckAusdruck (Zeichen) [f<] bzw. <four>, im Französischen mit [katü] bzw. <quatre> und in anderen Sprachen mit nochmals anderen AusdrucksseiteAusdrucksseiten verknüpft (zwischen einfachen = halben AnführungszeichenAnführungszeichenhalbes-Anführungszeicheneinfaches-Anführungszeichen wird die Bedeutung, zwischen eckigen Klammerneckige KlammerKlammereckige die AusdrucksseiteAusdrucksseite in der LautungLautung, zwischen spitzen Klammernspitze KlammerKlammerspitzespitze Klammer die AusdrucksseiteAusdrucksseite in der SchreibungSchreibung wiedergegeben – ▶ Nr. 2.2/2, Nr. 3.2/7 und Nr. 4.1/3). Dies zeigt, dass die Zuordnung der beiden Zeichenseiten zueinander zwar konventionellkonventionell-einzelsprachlich festliegt, nicht aber »naturnotwendig«, sondern vielmehr arbiträrarbiträr = beliebigbeliebig = willkürlichwillkürlich ist: Keine Eigenschaft der InhaltsseiteInhaltsseite verlangt [fi<Œ] oder [f<] als AusdrucksseiteAusdrucksseite, umgekehrt weist kein MerkmalMerkmal dieser Ausdrücke darauf hin, dass mit ihnen die InhaltsseiteInhaltsseite ‘4’ verknüpft ist. – Ausdrücke aus Kombinationen von AusdrucksseiteAusdrucksseiten wie [fIütse<n] <vierzehn> bzw. [f<ti<n] <fourteen> sind dagegen nicht völlig arbiträr, sondern teilmotiviertmotiviertteil-teilmotiviert, insofern sie zur InhaltsseiteInhaltsseite ‘14 (= 4 + 10 bzw. 10 + 4)’ hin »durchsichtigdurchsichtig« sind. Die einzelnen Bestandteile dieser Komplexe sind jedoch für sich genommen arbiträr.

1.1/6 LinearitätLinearität

Zeitliche bzw. räumliche Aufeinanderfolge sprachlicher ZeichenZeichen und ihrer Ausdruckselemente im SyntagmaSyntagma (▶ Nr. 1.1/8).

Im KommunikationsprozessKommunikationsprozess, in der ParoleParole (▶ Nr. 1.2/3), werden die sprachlichen ZeichenZeichen in gesprochener SpracheSprachegesprochenegesprochene Sprache zeitlich, in geschriebener SpracheSprachegeschriebenegeschriebene Sprache räumlich nacheinander angeordnet, sie folgen einander gewissermaßen (wie die BuchstabeBuchstaben in einer Zeile) auf einer Linie. Dies betrifft sowohl die an der Bildung einer RedeketteRedekette beteiligten jeweiligen ZeichenZeichen als Ganze wie auch die Elemente ihrer AusdrucksseiteAusdrucksseiten, die LautLaute bzw. BuchstabeBuchstaben, die nicht zugleich, sondern nacheinander produziert werden.

Beziehungen zwischen sprachlichen ZeichenZeichen:

1.1/7 Syntagmatische BeziehungBeziehungsyntagmatischesyntagmatische Beziehung

Beziehung, die zwischen mindestens zwei ZeichenZeichen herrscht, die miteinander in der RedeketteRedekette verknüpft werden.

Beispiel:

In der Kette die Leiter an der Wand stehen die ZeichenZeichen die und Leiter und an und der und Wand in syntagmatischer Beziehung zueinander. Solche Zeichenverbindungen bilden SyntagmaSyntagmen:

1.1/8 SyntagmaSyntagma

Geregelte Verbindung von mindestens zwei ZeichenZeichen.

Nicht jede Aneinanderreihung sprachlicher ZeichenZeichen stellt ein SyntagmaSyntagma dar, z. B.: *an der die Leiter Wand. Der Aufbau von SyntagmenSyntagma gehorcht vielmehr Regeln, die in der SyntaxSyntax (▶ Kapitel 7) beschrieben werden.

Ein SternchenSternchen = Asterisk(us)Asterisk(us): »*«, das/der vor sprachliche Formen gesetzt wird, zeigt an, dass diese nicht regelgerecht gebaut, sondern ungrammatisch, unzulässig (in der historischen Sprachwissenschaft: nicht in Texten belegt) sind.

das SyntagmaSyntagma, des SyntagmaSyntagmas, die Syntagmen od. SyntagmaSyntagmata (Betonung auf -tag-)

1.1/9 Paradigmatische BeziehungBeziehungparadigmatischeparadigmatische Beziehung

Beziehung, die zwischen mindestens zwei ZeichenZeichen herrscht, die gegeneinander ausgetauscht werden können.

Beispiel:

In dem SyntagmaSyntagma die Leiter an der Wand könnte statt des Zeichens die das ZeichenZeichen eine, statt Leiter das ZeichenZeichen Uhr oder Zeichnung usw., statt an das ZeichenZeichen auf oder hinter oder über usw., statt der das ZeichenZeichen einer oder mancher oder dieser oder jener usw. gewählt werden. Es ergäben sich dann jeweils neue SyntagmaSyntagmen.

ZeichenZeichen, die sich gegenseitig ersetzen lassen, bilden ein Paradigma:

1.1/10 ParadigmaParadigma

Menge/Klasse von ZeichenZeichen, die gegeneinander ausgetauscht werden können.

Über diesen engeren, nur die Austauschbarkeit von ZeichenZeichen als Ganzen betreffenden Paradigmenbegriff hinaus gibt es eine weiter greifende Auffassung von »Paradigma«Paradigma sowie die klassische Auffassung (Paradigma = FlexionsformFormFlexions-Flexionsformen eines Wortes bzw. FlexionsmusterMusterFlexions-Flexionsmuster, ▶ Nr. 6.1/7). Nach der weiteren Auffassung stehen nicht nur ZeichenZeichen, wie bei der vorangehenden Nr. 1.1/9 beschrieben, in paradigmatische Beziehungparadigmatischer Beziehung zueinander, sondern auch die Glieder von WortfamilieWortfamilien wie binden, Band, Binde, Gebinde, Bund, bündeln, bündig, Binder, bei denen keine durchgängige gegenseitige Ersetzbarkeit an einer bestimmten Position eines SyntagmaSyntagmas vorliegt (z. B. können die Verben binden und bündeln nicht das Adjektiv bündig, dieses nicht die Substantive Band, Binde, Gebinde, Bund, Binder ersetzen).

Darüber hinaus können auch Elemente von Zeichenausdrucksseiten, nämlich LautLaute (bzw. BuchstabeBuchstaben), in paradigmatischer Beziehungparadigmatische Beziehung zueinander stehen. So bildet etwa die Menge aller LautLaute, die im AnlautAnlaut, im InlautInlaut oder im AuslautAuslaut von Wörtern vorkommen bzw. dort nicht vorkommen können, jeweils ein ParadigmaParadigma (z. B. können im AnlautAnlaut deutscher Wörter alle LautLaute stehen, nur nicht die LautLaute [N] (wie in eng), [x] (wie in ach) und [s] (wie in heiß), im InlautInlaut können alle LautLaute stehen, nur nicht der LautLaut [h] (wie in halt) usw.).

das Paradigma, des Paradigmas, die Paradigmen od. Paradigmata (Betonung auf -dig-)

1.2 Differenzierung des Sprachbegriffs

Der alltagssprachliche Ausdruck Sprache Sprachbegriffist mehrdeutig. Im Folgenden werden einige Begriffe zur Erfassung der unterschiedlichen Aspekte, unter denen der Gegenstand Sprache betrachtet werden kann, aufgeführt.

1.2/1 LangageLangage

Menschliche SprachfähigkeitSprach- und SprechfähigkeitSprechfähigkeit und RedetätigkeitRedetätigkeit überhaupt.

der/die LangageLangage, des/der LangageLangage (Plural nicht gebräuchlich, Aussprache: [lA=Èga<Z])

1.2/2 LangueLangue = SprachsystemSprachsystem

Abstraktes System von ZeichenZeichen und Regeln einer Einzelsprache.

die LangueLangue, der LangueLangue, die Langues (Aussprache: [lA=<g])

 

1.2/3 ParoleParole = RedeRede = SprachverwendungSprachverwendung

Konkretes, individuelles SprechenSprechen auf der Basis des zugrundeliegenden ZeichenZeichen- und Regelsystems der LangueLangue = des SprachsystemSprachsystems.

die ParoleParole, der ParoleParole (Plural nicht gebräuchlich, Aussprache: [paÈül])

Diese Begriffe (sowie die übrigen oben erwähnten das ZeichenZeichen betreffenden Begriffe) gehen auf Ferdinand de Saussure zurück (1857–1913, postum erschienenes Hauptwerk: »Cours de linguistique générale«, 1916). Noam Chomsky (geb. 1928) hat unter Rückgriff auf diese Begriffe die Unterscheidung von KompetenzKompetenz und PerformanzPerformanz eingeführt:

1.2/4 KompetenzKompetenz

Wissen eines »idealen Sprecher-HörerSprecher-Höreridealer Sprecher-Hörers« von seiner Sprache, dem InventarInventar ihrer Elemente und ihren Verknüpfungsregeln; Fähigkeit des Sprecher-Hörers, auf dieser Grundlage eine unbegrenzte Zahl von Äußerungen zu bilden und zu verstehen.

1.2/5 PerformanzPerformanz

Gebrauch der Sprache, ihre konkrete Realisierung in Äußerungen, die in einer bestimmten Situation von einem bestimmten Sprecher produziert und von einem bestimmten Hörer rezipiert werden.

Ebenfalls auf de Saussure geht die Unterscheidung von SynchronieSynchronie und DiachronieDiachronie zurück:

1.2/6 SynchronieSynchronie

SprachzustandSprachzustand innerhalb eines bestimmten (kurzen) Zeitraums.

1.2/7 DiachronieDiachronie

Geschichtliche Entwicklung einer Sprache.

Untersuchungen, die einen SprachzustandSprachzustand (etwa das AlthochdeutschAlthochdeutsche, das MittelhochdeutschMittelhochdeutsche, das GegenwartsdeutschGegenwartsdeutsche usw.) zum Gegenstand haben, heißen synchronsynchron oder synchronischsynchronisch (»Querschnittsuntersuchungen«). Entsprechend heißen auf die geschichtliche Entwicklung einer Sprache gerichtete Untersuchungen diachrondiachron oder diachronischdiachronisch (»Längsschnittuntersuchungen«).

2 SemantikSemantik: Lehre vom InhaltInhalt
2.1 Ausdrucks-Inhalts-Beziehungen zwischen Zeichen

Die Beziehungen zwischen AusdrucksAusdrucksseite- und InhaltsseiteInhaltsseite(n) von ZeichenZeichen können unterschiedlich beschaffen sein:

 gleiche Inhalte – unterschiedliche Ausdrücke (SynonymieSynonymie = BedeutungsgleichheitBedeutungsgleichheit),

 gleiche Ausdrücke – unterschiedliche Inhalte (AmbiguitätAmbiguität = Mehrdeutigkeit):

2.1/1 SynonymieSynonymie = BedeutungsgleichheitBedeutungsgleichheit

Verhältnis zwischen zwei (oder mehr) ZeichenZeichen, deren InhaltsseitenInhaltsseite gleich, deren AusdrucksseiteAusdrucksseiten aber verschieden sind.

Beispiele:

Sonnabend – Samstag

Linguistik – Sprachwissenschaft

Metzger – Fleischer – Fleischhauer – Schlachter

Karls Buch – das Buch von Karl

Adam liebt Eva – Eva wird von Adam geliebt

die Synonymie, der Synonymie, die Synonymien (Betonung auf -mie, Trennung: Syn-ony-mie oder Sy-no-ny-mie)

das Synonymsynonym/Synonym, des Synonyms, die Synonyme (Betonung auf -ny(m)-) – Adjektiv: synonymsynonym/Synonym

(Die Zeichen/Wörter) Sonnabend und Samstag sind synonym/sind Synonyme.

2.1/2 AmbiguitätAmbiguität = MehrdeutigkeitMehrdeutigkeit

Eigenschaft von AusdrucksseiteAusdrucksseiten, denen mehr als eine BedeutungBedeutung zugeordnet ist.

Bei Ambiguität = MehrdeutigkeitMehrdeutigkeitAmbiguität kann danach unterschieden werden,

 ob die Bedeutungen zwar voneinander verschieden, aber miteinander verwandt sind – es handelt sich dann um e i n Zeichen mit mehreren Bedeutungen; man spricht von PolysemiePolysemie (▶ Nr. 2.1/3),

 oder aber ob die unterschiedlichen Bedeutungen nicht miteinander verwandt sind – dann handelt es sich um mehrere Zeichen, deren Ausdrucksseiten gleichlautend = homonymhomonym/Homonym sind (▶ Nr. 2.1/5: HomonymieHomonymie). Im Einzelfall kann die Unterscheidung zwischen polysemen und homonymen Ausdrücken/Zeichen schwer zu ziehen sein.

die Ambiguität, der Ambiguität, die Ambiguitäten (Betonung auf -tä(t)-) – Adjektiv: ambigambigAmbiguität (Betonung auf -big)

2.1/3 PolysemiePolysemie

Eigenschaft eines Zeichens, dessen AusdrucksseiteAusdrucksseite mit mehreren, miteinander verwandten BedeutungBedeutungen verknüpft ist; ein polysemes Zeichen hat mehrere SememSememe = LesartenLesart = BedeutungsvariantenVarianteBedeutungs-Bedeutungsvariante (▶ Nr. 2.2/1).

Beispiele:

Birne ‘Frucht’ – ‘Leuchtkörper’

Pferd ‘Tier’ – ‘Turngerät’ – ‘Schachfigur’

Feder ‘Gefiederteil’ – ‘Schreibgerät’

die Polysemie, der Polysemie, die Polysemien (Betonung auf -mie)

Adjektive: polysempolysem (Betonung auf -sem), polysemantischpolysemantisch (Betonung auf -man-)

Bedeutungsangaben in halbenhalbe Anführungszeichen = einfachen AnführungszeichenAnführungszeicheneinfaches-Anführungszeichenhalbes-einfache AnführungszeichenAnführungszeichen.

2.1/4 MonosemieMonosemie

Eigenschaft eines Zeichens, dessen Ausdrucksseite mit nur einer Bedeutung verknüpft ist.

Beispiele:

Kugelschreiber, beige

die Monosemie, der Monosemie (Plural nicht gebräuchlich, Betonung auf -mie)

Adjektiv: monosemmonosem (Betonung auf -sem), monosemantischmonosemantisch (Betonung auf ‑man-)

2.1/5 HomonymieHomonymie

Beziehung zwischen zwei (oder mehr) ZeichenZeichen, deren AusdrucksseiteAusdrucksseiten gleich sind, deren InhaltsseiteInhaltsseiten aber voneinander unterschieden und miteinander nicht verwandt sind.

Beispiele:

Bank ‘Sitzgelegenheit’ –Bank ‘Geldinstitut’; keine Homonymie im Plural: Bänke – Banken

Bremse ‘Bremsvorrichtung’ –Bremse ‘Stechfliege’

kosten ‘wert sein’ –kosten ‘probieren’

en ‘Infinitiv’ (wie inleb-en) – en ‘Plural’ (wie inFrau-en)

alte Männer und Frauen ‘alte Männer und alte Frauen’ –alte Männer und Frauen ‘Frauen und alte Männer’

Dann wurde der Brief von Klaus verlesen ‘Dann wurde der Brief, der von Klaus stammte, verlesen’ –Dann wurde der Brief von Klaus verlesen ‘Dann verlas Klaus den Brief, der von x stammte’

die Homonymie, der Homonymie, die Homonymien (Betonung auf ‑mie, Trennung: Hom-ony-mie oder Ho-mo-ny-mie)

das Homonymhomonym/Homonym, des Homonyms, die Homonyme (Betonung auf -ny(m)-) – Adjektiv: homonymhomonym/Homonym

(Die Zeichen/Wörter) Bremse und Bremse sind homonym/sind Homonyme.

Hinsichtlich der ExistenzweisenExistenzweise der Sprache (gesprochene Sprachegesprochene und geschriebene SpracheSprachegeschriebeneSprachegesprochenegeschriebene Sprache, ▶ Nr. 3.1/1) lässt sich innerhalb der Homonymie folgende Unterscheidung treffen:

2.1/6 HomophonieHomophonie

Beziehung zwischen zwei (oder mehr) homonymen ZeichenZeichen mit lautlich gleichen, aber orthographischOrthographie unterschiedlichen AusdrucksseiteAusdrucksseiten.

Beispiele:

Moor – Mohr

beten – Beeten

Arm – arm

die Homophonie, der Homophonie, die Homophonien (Betonung auf -nie, Trennung: Ho-mo-pho-nie)

das Homophonhomophon/Homophon, des Homophons, die Homophone (Betonung auf -pho(n)-) – Adjektiv: homophonhomophon/Homophon

(Die Zeichen/Wörter) Moor und Mohr sind homophon/sind Homophone.

2.1/7 HomographieHomographie

Beziehung zwischen zwei (oder mehr) homonymen ZeichenZeichen mit orthographischOrthographie gleichen, aber lautlich unterschiedlichen AusdrucksseiteAusdrucksseiten.

Beispiele:

Montage ‘mehrere erste Tage der Woche’ –Montage ‘das Montieren’

Druckerzeugnis ‘gedrucktes Erzeugnis’ –Druckerzeugnis ‘Zeugnis eines Druckers’

umfahren ‘zu Fall bringen’ – umfahren ‘um … herumfahren’

die Homographie, der Homographie, die Homographien (Betonung auf -phie, Trennung: Ho-mo-gra-phie)

das Homographhomograph/Homograph, des Homographs, die Homographe (Betonung auf -gra(ph)-) – Adjektiv: homographhomograph/Homograph

(Die Zeichen/Wörter) Montage und Montage sind homograph/sind Homographe.