Moderne Alchemie und der Stein der Weisen

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Moderne Alchemie und der Stein der Weisen

Eine Reise durch die Welt der hohen Drücke

Wilfried B. Holzapfel


In großer Dankbarkeit für viel Verständnis und Geduld Traudl gewidmet.

Als Reisebrevier gestaltet für Marie, Helen und Max.

Moderne Alchemie und der Stein der Weisen

Wilfried B. Holzapfel

published by: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

Copyright: © 2014 Wilfried B. Holzapfel

ISBN 973-3-8442-8054-8

Coverdesign: Wilfried B. Holzapfel

Inhalt

Prolog

Die Blüte der Alchemie

Was ist denn diese Quintessenz?

Moderne Alchemie

Unsere Erde

Eine Zustandskarte für den gesamten Kosmos?

Der Stein der Weisen

Heißes Eis

Schwarz-rot-goldener Schwefel

Schwarze Luft

Baupläne einfacher Kristalle

Landkarten: Vom Diamant zum Blei

Wird Stickstoff ein Metall?

Auf zur Sauerstoffgruppe!

Wenn Moleküle zusammenrücken

Jupiters Innenleben

Warum, warum, warum!

Bor und seine Familie

Tomografie der Erde - Viel heißes Eisen

Ein Blick ins Innere der Atome

Die weichen Kandidaten

Die Erdalkalimetalle, die Nachbarn der Übergangsmetalle

Die bunte Welt der Seltenen-Erd-Metalle

Ein bunter Teppich

Wie weich sind die Atome?

Die träge Masse in der Wissenschaft

Was heißt hier heiß?

Landkarten mit Profil

Ein schönes Tortenstück

Dank und Anerkennung

Anhang 1: Literaturzitate zu Strukturen und Phasenübergängen

Anhang 2: Gitterdynamik (im Web)

Anhang 3: Zustandsgleichungen (im Web)

Anhang 4: Thermodynamik der Phasenübergänge (im Web)

Anhang 5: Datensammlung zur Berechnung thermophysikalischer Eigenschaften der Elemente in weiten Druck- und Temperatur-bereichen (im Web)

Die weite Welt der Elemente

unter hohen Drücken

(United States of the Elements)

Am Anfang war ein "großer Knall",

der schuf den Wasserstoff im All.

Von vielen Hydrogen genannt,

bringt seine Masse erst zustand,

dass diese Welt

zusammenhält.

Auch etwas Helium war dabei

in diesem ersten Schöpfungsbrei.

Fusion und Explosion von Sternen

erschufen bald in frühen Fernen

der Elemente bunten Reigen.

Die Säule hier, sie soll euch zeigen,

dass die Gesetze der Natur

erzeugen Ordnung und Struktur.

Hier könnt ihr sieben Zyklen seh'n,

die das periodische System

der Elemente strukturieren

und acht Hauptgruppen generieren.

Das sind die breiten Spalten hier!

In schmalen Spalten findet ihr

die Nebengruppen, die mit zehn

Elementen jeweils dann dazwischen steh'n.

In einem Sektor sich verbergen

ganz dicht gedrängt die "Seltenen Erden".

Das siebte, fast verborgene Band

verschwindet schnell im unteren Rand.

Die Elemente sind hier instabil!

Mehr an Details wär' wohl zu viel!

Denn schließlich zeigt euch die Figur

noch mehr aus der Elementstruktur.

Die Neugier kann ich hier nur wecken!

Den Rest, den könnt ihr selbst entdecken!

Vielleicht in einem schönen Buch?

Oder beim Internet-Besuch:

www.mog-group.de/Elemente

Prolog

Helen, die Jüngere, fragt - wie so oft - ihre ältere Schwester, die schon viel von ihrem alten Alchemisten gelernt hat:

Marie, weißt du, was unser alter Alchemist mit der komischen Figur im Vorgarten eigentlich will? So einen ähnlichen Tannenbaum hat er ja auch schon in seinem Arbeitszimmer stehen und manchmal spricht er von seiner Säule der chemischen Elemente!


Marie: Nun ja, so ganz genau weiß ich das auch nicht, aber diese Figur ist wohl so was wie ein Globus aber für die Welt der Elemente, die unseren alten Alchemisten so interessiert. Der Herr Professor spricht da oft von seiner "Zustandssäule der Elemente". Besser gefällt ihm wohl noch seine englische Bezeichnung "United States of the Elements", und er versucht mir dann zu erklären, dass diese Figur für die Welt der Elemente wirklich so etwas wie ein Globus ist, der vor einer großen Reise in die Welt der hohen Drücke einen ersten Überblick liefert, ähnlich wie ein Globus der Erde, der die verschiedenen Länder der Erde auf einer Kugel zeigt, um auch hier einen ersten Überblick zu vermitteln. Auf einem Globus sind ja Meere, Länder, Flüsse und Städte nur ganz grob dargestellt, und wenn du mehr über ein einzelnes Land erfahren willst, brauchst du genauere Landkarten, Bildbände oder Reiseführer. Aber trotzdem gibt dir der Globus schon ein erstes grobes Bild. Du siehst, welche Länder zusammen passen, welche Länder in kalten oder warmen Zonen liegen und wo du Wüsten finden kannst. Genau so soll wohl diese "Welt der Elemente" eine gewisse Ordnung für die chemischen Elemente aufzeigen und dabei für eine Reise durch die Welt der hohen Drücke wirklich wie ein Globus die verschiedenen Landschaften so abbilden, dass wir eine Ordnung erkennen können, die es uns erlaubt, in dieser neuen Welt uns besser zurecht zu finden.

Helen: Das klingt aber doch recht kompliziert!

Marie: Weißt du, Physiker sind in mancher Hinsicht faule Leute. Stures Auswendiglernen behagt ihnen gar nicht. So meint unser großer Alchemist wohl auch, dass man sich viele Dinge viel besser merken kann, wenn man die Zusammenhänge erst einmal erkannt hat. Wie bei einem Glasperlenspiel mit tiefer verborgenen Spielregeln, die für einen einfachen Zuschauer nicht sichtbar sind, für den eingeweihten Spieler aber den ganzen Reiz des Spiels ausmachen, so sind die Regeln in der Natur auch große Leuchttürme, die immer wieder eine genaue Orientierung ermöglichen.

So sagte mir unser Alchemist einmal, dass die Zeit der großen Entdeckungsfahrten auf der Erde wohl vorbei sei. Die weißen Flecken auf dem Globus sind heute nur bekannte Eisflächen und keine "terra incognita", keine unbekannten Landstriche mehr. Mit Satellitenbildern kannst du dir bei Google jeden Platz auf der Erde ansehen! Aber dennoch gibt es andere Welten zu entdecken! Die Welt der hohen Drücke ist so ein Bereich! Ich glaube, mit den verschiedenen Bildern, die unser Alchemist gerade so zusammenstellt, möchte er uns auf eine Reise durch die Welt der hohen Drücke vorbereiten.

Helen: So einen Entwurf für ein Plakat, das ähnlich aussieht wie ein Periodensystem der chemischen Elemente, habe ich schon mal auf dem Bett neben seinem Arbeitstisch gesehen. Irgendwann wird uns der Herr Professor ja wohl mit einem langen Vortrag noch erklären wollen, was er alles in diesen Entwurf hinein gezaubert hat. Aber ich weiß schon, dass die weißen Stellen hier wie in früheren Landkarten unerforschte Bereiche bei den einzelnen Elementen in den Hochdrucklandschaften markieren, um uns schon vorab zu zeigen, dass es hier für junge Forscher noch sehr viel zu entdecken gibt! Zunächst können wir wohl nur die bunten Muster hier bewundern. Bei unserer Reise durch die Welt der hohen Drücke wird dieses Plakat dann aber immer wieder wie eine Weltkarte zur Orientierung dienen.


Marie: Ist dir schon einmal aufgefallen, dass hohe Drücke an vielen Stellen in der Natur auftreten und dort für viele Merkwürdigkeiten sorgen? Hier auf der Erde am Meeresboden und dann besonders im tiefen Inneren der Erde wirken ja enorme Drücke. Gerade heute stand in der Zeitung, dass am Meeresboden in 2 km Tiefe heiße Quellen Wasser mit einer Temperatur von 400 Grad ausspucken, ohne dass dieses Wasser dabei sprudelnden Dampf entwickelt oder blubbernd kocht! Der hohe Druck sorgt dort dafür, dass es ganz einfach flüssig bleibt und viele Mineralstoffe mit sich führt.

Noch viel gewaltiger sind aber die Drücke im Inneren der Erde, im Zentrum der großen Planeten und erst recht im Inneren der Sterne! Es ist schon schwer, sich vorzustellen, was diese Drücke dort bewirken! Doch nicht nur im Weltall, auch bei vielen technischen Entwicklungen wie Dampfmaschinen, Benzin- und Dieselmotoren, bei Raketen und Sprengstoffen und auch an vielen Stellen in der chemischen Industrie, bei der Herstellung von Düngemitteln, von Kunststoffen oder von koffeinfreiem Kaffee, überall wird mit hohem Druck gearbeitet. Neuerdings werden sogar Lebensmittel mit hohem Druck besser haltbar gemacht!

 

Weist du, dass unser alter Alchemist die Welt der hohen Drücke oft als moderne Alchemie bezeichnet? Damit ich das verstehe und weil in unserem Geschichtsunterricht viel mehr über Kriege als über die Entwicklung der Naturwissenschaften berichtet wird, hat mir unser Herr Professor mal einige Bücher über Alchemisten und die frühe Entwicklung der Naturwissenschaften im Mittelalter hingelegt, damit ich die Sprache der Alchemisten und damit auch die Begriffe einer modernen Alchemie besser verstehen kann.

Anmerkung des Alchimisten: Viele Begriffe und Personen, die Marie und Helen im Folgenden erwähnen, werden oft nicht genau erklärt. Nützliche Hinweise zu diesen Begriffen und Personen findet ihr aber sehr leicht bei www.Wikipedia.de. Im Text sind solche Wikipedia-Stichworte blau markiert und mit der Wiki-Adresse hinterlegt. Für gründliche Leser liefern diese Wikipedia-Stichworte sicher sehr viele zusätzliche Informationen, aber in vielen Fällen wird es besser sein, erst einmal weiter zu lesen und später dann erst nachzuschlagen.

Helen: Aber Marie, warum nennst du ihn den "großen Alchemisten"?

Marie: Ja, Helen, man sagt doch, dass die Alchemisten vor allem künstlich Gold erschaffen wollten. Das sieht er wohl etwas anders, aber auch bei ihm gab es so etwas wie den Stein der Weisen. Das war doch früher ein wundersames, meist gar nicht klar beschriebenes Hilfsmittel, um dieses Werk des Goldmachens zu vollenden. Die einzelnen Alchemisten hatten dabei recht unterschiedliche Vorstellungen, und da die meisten Berichte über die Alchemisten ja von Schreiberlingen stammen, die wenig vom Tagewerk der wahren Alchemisten wussten, werden hier immer wieder fantastische Vorstellungen wie bei Harry Potter blumig ausgemalt. Hast du dir schon mal den komischen Eisenklotz auf dem Schreibtisch unseres Alchemisten genauer angesehen? Er meint, das wäre für ihn so etwas wie sein Stein der Weisen.


Helen: Wie kommt er denn darauf? Weißt du, was er damit meint? Und was der Stein der Weisen für die frühen Alchemisten denn so war?

Marie: Nun ja, er hat mir einmal gesagt, dass dieser Eisenklotz hier in Wirklichkeit eine ganz besondere Hochdruck-Apparatur ist. Er nennt diesen Klotz auch manchmal Diamantstempel-Hochdruckzelle und meint, dass uns dieser Stein der Weisen auf unserer weiteren Reise durch die Welt der hohen Drücke wie eine Richtschnur oder wie ein Kompass begleiten wird! Wie ein Mikroskop einen Blick in den Mikrokosmos ermöglicht, so eröffnet diese Hochdruckzelle ein Fenster in die Welt der hohen Drücke. Ich glaube, der große Alchemist wird uns das noch genauer zeigen. Auf jeden Fall hat dieser unscheinbare Klotz wie ein moderner Stein der Weisen es unserm Alchemisten erst ermöglicht, ganz merkwürdige neue Stoffe zu erzeugen! Das war wohl seine "Moderne Alchemie".

Wenn wir mit ihm in seine Welt der hohen Drücke reisen, werden wir wohl "heißes Eis" kennen lernen. Eine Station wird uns zum schwarz-rot-goldenem Schwefel führen. Gelber, oranger, violetter und schwarzer Luft werden wir begegnen.

An einer Zwischenstation werden wir uns einige Baupläne von Kristallen näher ansehen, damit wir dann mit der Sprache der Kristallographen die weiteren Landkarten auf unserer Reise besser lesen können.

Die vielen einzelnen Stationen unserer Reise muss ich dir hier noch nicht alle verraten. Nur soviel kann ich jetzt schon sagen: Nach dieser Reise wird "Die bunte Welt der Elemente" unseres großen Alchemisten sicher auch für dich eine ganz besondere Bedeutung gewinnen. Sie wird dich an viele Stationen der Reise erinnern, sie wird dir zeigen, wo heute noch große weiße Flecken in der Hochdrucklandschaft auf neue junge Forscher warten. Ja, vielleicht wird dich diese Reise auch dazu anregen, deine eigene "Welt der Elemente" auszudrucken und auf eine Küchenrolle aufzukleben. Dann hast du deinen eigenen Globus für einen Teil der Welt der hohen Drücke!

Helen: Marie, du hast doch sicher auch schon gesehen, dass unser Alchemist diese Farbmuster so aufgearbeitet hat, dass sie zwei Kaffeetassen zieren. Vielleicht wird man diese Kaffeetassen demnächst auch mal wo kaufen können. Aktuelle Informationen dazu wird er dann sicher auf seiner Webseite angeben: www.mog-group.de/Elemente

Die Blüte der Alchemie

Marie: Helen, hast du dir schon mal eines der vielen Bücher über Alchemie aus dem Regal unseres großen Alchemisten angesehen?

Helen: Nein, wieso?

Marie: Nun, in diesen Büchern findet man einiges über die Entwicklung der Naturwissenschaften und damit auch einen ersten Weg in die Welt der hohen Drücke. Schau dir mal dieses Bild 4 einer Alchemistenküche hier an, mit all den verschiedenen Geräten zum Zerkleinern, Destillieren, Kondensieren, Sublimieren, Separieren, Dekantieren, Kristallisieren, Schmelzen, Filtrieren, Verbrennen, Vermischen, Verdünnen, Potenzieren und vielen anderen merkwürdigen Prozeduren.


Helen: Was haben die alles gemacht? Zerkleinern kenne ich noch! Dann wird es aber immer merkwürdiger!

Marie: Ja, ich wollte dir nur zeigen, dass diese Alchemisten schon viele neue Begriffe und neue Prozeduren eingeführt haben, die heute vielleicht nur noch die Fachleute kennen. Dazu haben sie dann auch noch eine alte Symbolsprache verwendet, die ähnlich wie unsere heutigen Verkehrsschilder eine bessere internationale Verständigung ermöglichte, denn all das Wissen wurde mal in arabisch, mal in hebräisch, mal in griechisch und mal in Latein niedergeschrieben. Hinzu kam noch, dass man die Temperatur ja auch noch gar nicht richtig messen konnte. So musste man die Temperatur mit Begriffen wie warmes Wasser, schwache Glut, schwache Flamme oder heiße Glut umschreiben und auch für solche Begriffe gab es dann noch extra Symbole.

Weißt du, dass der alte Begriff des Potenzierens auch heute noch bei den Apothekern für mehrfaches Verdünnen von homöopathischen Lösungen verwendet wird?

Wenn man sich so ein Bild einer Alchemistenküche näher ansieht, kann man erahnen, dass hier mit vielen merkwürdigen Apparaturen nur einfache chemische Prozesse ausprobiert wurden.

Diese Alchemistenküchen hatten im Mittelalter schon eine lange Tradition hinter sich. Schon für die Gewinnung von Kupfer aus Kupfererz und das Legieren von Kupfer mit Zinn zu Bronze in der "Bronzezeit" musste man bereits eine besondere Handwerkskunst der Metallbearbeitung beherrschen. Die spätere Eisengewinnung und auch das besondere Schmieden von Schwertern mit gut gehärteten Klingen wurde schließlich als besondere Kunst angesehen, mit vielen wohl behüteten Regeln. Durch Patentanmeldung konnte man damals das Wissen noch nicht schützen! Die Vorschriften und Arbeitsschritte waren sicher nicht so genau festgelegt, dass man immer das gleiche Ergebnis erhielt. Damit die Arbeit zum erhofften Ziel führte, musste man deshalb wohl jedes Mal auch noch die Götter anrufen und in der letzten Verzweiflung vielleicht auch einen Pakt mit dem Teufel eingehen. Kam doch das Wissen der Alchemisten im Wesentlichen aus der heidnischen Welt des Morgenlandes mit fremden Götzen und ketzerischem Glauben. Sicher war die Metallgewinnung und Metallveredelung bei den alten Ägyptern schon eine hohe Kunst, die von den Priestern in den Tempeln gehütet wurde. Dabei wurden Bronze und Eisengegenstände auch in verschiedener Weise mit Gold überzogen und neue härtere Goldlegierungen hergestellt, was dann auch vielfach als "Goldmachen" bezeichnet wurde. Schon früh spielte dabei das Quecksilber eine große Rolle. Vereinigte dieses flüssiges Metall in sich doch so unterschiedliche Eigenschaften wie die von Wasser und von Metallen.

Helen: Aber Quecksilber ist doch heute auch noch ein besonderes Metall!

Marie: Ja, ja, das stimmt schon. Nur bei den wenigen Metallen, die man damals kannte, spielte es natürlich noch eine größere Extrarolle. Wie es damals so üblich war, wurden die neu gefundenen Stoffe oft auch nach Göttern benannt und ihre Eigenschaften wurden mit göttlichen Eigenschaften verglichen. Quecksilber (im Englischen: Mercury) wurde mit Eigenschaften des Gottes Merkur verglichen, Gold mit der Sonne, dem Sonnengott, oder auch mit Jupiter, dem höchsten Gott. Silber entsprach Luna, dem Mond, der in den südlichen Ländern ja immer als liebliches, weibliches Wesen angesehen wird. Das weniger edle Kupfer wurde mit Venus verglichen, Eisen mit Mars, Jupiter mit Zinn und Saturn mit Blei. Auch wenn man dann die besonderen Verfahren zur Herstellung einer bestimmten Legierung aufschreiben wollte, war es jeweils vorteilhaft, in diesen Kochrezepten Abkürzungen und Verschlüsselungen mit alten Symbolen zu verwendenBS1671. Mit diesen besonderen Zeichen konnten dann nur die Adepten, die eingeweihten Schüler, diese Geheimrezepte lesen, und sicher wurden dabei auch oft bewusst recht irreführende Namen mit eingeführt. Ein paar dieser Symbole der alten Alchemisten sind in den Bildern 5 und 6 zusammengestellt und miteinander verglichen.


Die gleichseitigen Dreiecke hatten in der Symbolsprache der alten Griechen ja schon eine ganz besondere Bedeutung: Das aufrechte Dreieck war ein Symbol für männlich und für Feuer, das nach unten zeigend Dreieck wurde weiblich als Dreieck der Venus und als Symbol für Wasser verwendet. Beide Dreiecke übereinander ergeben den sechszackigen Stern als vollkommene Vereinigung dieser gegensätzlichen Elemente. So kann man den Stern hier auch als Symbol für den himmlischen Urstoff, die materia prima, ansehen. Wenn dieser so symmetrische Stern in unsere Welt gelangt, zerfällt er in seine irdischen Bruchstücke, in die zwei Gegensatzpaare Feuer und Wasser einerseits, und andererseits in Luft und Erde, wobei diese beiden Elemente hier als Dreiecke mit Querstrich dargestellt werden.

In der Welt der Alchemisten tauchen diese Symbole immer wieder zusammen mit anderen Zeichen auf, die viel über den damaligen Wissensstand aussagen. In besonders schöner Weise wird dieser Wissensstand für das sechzehnte Jahrhundert dargestellt in dem Frontispiz, der linken Seite vor der eigentlichen Frontseite, aus dem Werk von Basilio ValentinoBV1717, in dem eine alte chemische Schrift des Trithemii de SponheimTr1482 aus dem Jahre 1482 ins Deutsche übertragen wird.


In der entsprechenden Abbildung 6 deutet der große Kreis zunächst einmal an, dass bei der Schöpfung in diesem Weltenkreis aus dem umgebenden Chaos, dem „Confusum Chaos“, eine erste Ordnung entstand. Hier erscheinen jetzt die vier Elemente in dem von dem äußeren Kreis eingeschlossenen Quadrat. Diese vier Elemente sind durch einen inneren Kreis verbunden mit drei „Prinzipien“, die durch die drei Symbole für Salz, Schwefel und Quecksilber dargestellt sind. Der nächste Kreis umschließt den sechszackigen Stern, der ja nichts anderes ist, als die Überlagerung der vier Element-Symbole. Im innersten Kreis steht dann das Symbol der Sonne über dem Symbol für den Mond, ähnlich wie Yin und Yang in der asiatischen Symbolik für männlich und weiblich, wobei im Mittelmeerraum die Sonne ja männlich und der Mond weiblich ist.

Helen: Marie, meinst du nicht, dass dieses Bild doch schon so etwas Ähnliches wie die moderne Tafel für die chemischen Elemente ist?

Marie: Na ja, es zeigt wohl eine Ordnung für die Elemente der alten Griechen, aber auch viele spekulative Zusammenhänge in diesem alten Weltbild der Alchemisten auf. Heute würde man die drei hier mit eingetragenen Stoffe Salz, Schwefel und Quecksilber als typische Beispiele für die drei wesentlichen Bindungstypen in der modernen Chemie ansehen. Die Salze wie Kochsalz, Pottasche, Natron oder Soda, die du vielleicht noch aus Omas Küche kennst, die bei den Alchemisten wohl bekannt waren, und die sich alle leicht in Wasser lösen, sind typische Vertreter der ionischen Bindung. Diese besonders einfachen Salze bestehen jeweils aus zwei ganz unterschiedlichen Atomsorten, einem unedlen, chemisch sehr reaktionsfreudigen Metall, wie z. B. Natrium (Na) oder Kalium (K), und einem Salzbildner, einem Halogen, oder anderen Bestandteilen von Säuren, wie z. B. Kohlendioxid (CO2). In diesen Salzen gibt das Metallatom ein Elektron an ein Atom des Salzbildners ab, so dass beim Aufbau dieser Salzkristalle sich nicht mehr neutrale Atome sondern positiv und negativ geladene Ionen zusammenlagern. Bei solchen Stoffen spricht man deshalb von Ionenbindung.

 

Ganz anders ist die Sache bei Schwefel. Im Schwefel gibt es keine Ionen. Die Bindung der Schwefelatome muss also durch andere Kräfte erfolgen. Seit man mehr über den Aufbau der Elektronenschalen der Atome weiß, versteht man auch diese Bindung zwischen gleichartigen Atomen viel besser. Grob gesprochen werden hier unvollständig gefüllte Elektronenschalen der Atome dadurch gefüllt, dass sich zwei Atome ein gemeinsames Elektronenpaar teilen. Die Wissenschaftler sprechen dann von kovalenter Bindung. Das beste Beispiel für einen Stoff mit kovalenter Bindung ist der harte, glasklare Diamant, der nur aus reinem Kohlenstoff (C) besteht. Auch die meisten wasserunlöslichen Kristalle und Schmucksteine sind gute Beispiele für Stoffe mit kovalenter Bindung.

Ja, und das Quecksilber ist hier ein Vertreter für die metallische Bindung, die durch die Verteilung von gemeinsamen Elektronen über viele Nachbaratome zu einem anderen Bindungstyp bei den Metallen führt. Dabei sind diese bindenden Elektronen praktisch über den ganzen Metallkristall oder Metalldraht verteilt und ermöglichen so auch die Leitung von elektrischem Strom.

Helen: Willst du damit sagen, dass die alten Alchemisten ahnten, dass unterschiedliche Bindungskräfte für die Unterschiede zwischen den drei Stoffklassen, Salzen, schwerlöslichen (kovalenten) Kristallen und Metallen, verantwortlich sind?

Marie: Von Bindungskräften hat man damals wohl noch nicht gesprochen. Der Aufbau der Materie aus Atomen war damals auch nur eine theoretische Spekulation. Die Reaktionsfreudigkeit verschiedener Stoffe hat man viel menschlicher als "Affinität", also eine Art Zuneigung, angesehen. Aus dem Bild 6 kannst du aber noch mehr über die Welt der Alchemisten erfahren. Da gab es die Vorstellung, dass alle Materie letztlich aus einem Urstoff, der materia prima, entstanden ist. Das wird in diesem Bild einmal durch die Vereinigung der vier Elemente in dem sechs-zackigen Stern verdeutlicht, und dann noch einmal weiter innen durch die Vereinigung von Sonne und Mond im innersten Kreis.

Helen: Reden nicht heute die Kosmologen auch von einer "großen Vereinigung" aller Materie und aller Bindungskräfte in einer Art Ursuppe zur Zeit, als die Welt in einem Urknall entstand?

Marie: Ja, das klingt sehr ähnlich. Das werde ich dir später noch genauer erklären.

Die Alchemisten des Mittelalters waren ja die Universalgelehrten ihrer Zeit. Neben chemischen Prozessen der Metallveredelung, neben medizinischen Kenntnissen und einem umfassenden Wissen über alle möglichen Götterlehren, Religionen und Legenden hatten diese Alchemisten auch ein breites Wissen über die Philosophie und Naturlehre der alten Griechen.

Da gab es einmal den Naturphilosophen Demokrit, der allein aus logischen Überlegungen zu der Auffassung kam, dass alle Materie aus verschiedenen kleinsten, unteilbaren Teilchen bestehen müsste. Aus dem griechischen Begriff für unteilbar, a-tomos, entstand so unser Wort Atom. Da Harmonie und Symmetrie in dieser Zeit besonders in der Philosophie eine große Rolle spielten, meinte dazu Platon, dass diese Atome irgendwie aus gleichseitigen Dreiecken aufgebaut sein müssten. Mit vielen Dreiecksflächen, aber auch aus Quadraten und regelmäßigen Fünfecken baute er dann "ideale" hochsymmetrische Körper zusammen, die er als Modelle für verschiedene "Atome" ansah. Aber auch die vier verschiedenen Erscheinungsformen der Materie als Erde, Wasser, Luft und Feuer versuchte er so zu erklären. Heute nennen wir seine Modelle Platonische Körper, und du wirst sehen, dass diese Modelle in etwas anderer Form auch bei den modernen Alchemisten wieder auftauchen! Einige dieser Körper siehst du im nächsten Bild.


Helen: Aber werden die Atome heute nicht meistens als Kugeln dargestellt?

Marie: Für einzelne freie Atome in einem Gas sind Kugeln ein brauchbares Bild. Aber bei Kugeln denkt man immer sofort an eine feste Oberfläche, die es bei den Atomen so nicht gibt, und damit stößt das Bild der kugelförmigen Atome bei den chemischen Verbindungen und erst recht bei festen Stoffen, den Salzen, kovalenten Kristallen und Metallen, an seine Grenzen. In einem besseren Bild bestehen die Atome aus einer weiten, nebelartigen Hülle aus unheimlich leichten, ganz diffus verteilten Elektronen mit negativer Ladung ohne scharfe äußere Oberfläche und einem winzigen, schweren Kern mit positiver Ladung. Wichtig für den Aufbau der Atome ist dabei auch, dass alle Elektronen völlig gleich aussehen. Sie haben alle die gleiche negative elektrische Ladung. So nimmt man dann die Ladung eines einzelnen Elektrons als Maß für alle Ladungen, und bezeichnet sie oft als -1.


Die Atome eines chemischen Elements besitzen alle die gleiche Zahl von Elektronen und gleich viele positive Ladungen in dem winzigen Kern. Damit kann man allen chemischen Elementen eine "Ordnungszahl" geben, mit der die Elektronenzahl und die Kernladungszahl dieses Elements angezeigt wird. Mit trickreichen Apparaturen kann man die einzelnen Atome auch wiegen und stellt dabei fest, dass nicht nur die Ladung der Atomkerne sondern auch ihre Masse in gleichmäßigen Portionen von einem Element zum nächsten zunimmt. So bekommt der Wasserstoff als leichtestes Element die Ordnungszahl 1 und auch die Massenzahl 1. Der Kern dieses normalen Wasserstoffatoms besteht damit nur aus einem Teilchen, dem positiv geladenen Proton mit der Massenzahl 1.

Aber Achtung, es gibt auch noch neutrale Teilchen mit der Massenzahl 1, die man dann Neutronen nennt. Damit wird die Massenzahl der Atomkerne nicht nur von der Zahl der Protonen sondern auch von der Zahl der Neutronen mitbestimmt. So gibt es neben den normalen Wasserstoffatomen mit der Massenzahl 1 auch noch andere mit der Massenzahl 2 und sogar 3. Die Wissenschaftler sprechen dann vom Isotop oder von den verschiedenen Isotopen eines Elements. Das führt dazu, dass die mittleren Massen der chemischen Elemente keine glatten Zahlen mehr sind, sondern nur grob der doppelten Kernladungszahl entsprechen.

Helen: Ja, damit verstehe ich, dass in dem Bild 8 hier oben die Kerne für die verschiedenen Atome unterschiedlich groß gezeichnet sind.

Marie: Du siehst aber auch, dass in diesem Bild die Atome immer noch so gezeichnet sind, als hätten sie eine scharfe Oberfläche! Es ist nicht einfach, die heutigen Modellvorstellungen über die Atome und den ganzen Mikrokosmos in einfachen Bildern darzustellen. Hier oben sind auch die Atomkerne im Verhältnis zur Größe der Elektronenhülle viel zu groß gezeichnet!

Neben diesem schematischen Bild eines Atoms siehst du hier oben auch noch das Bild eines Moleküls, in dem zwei (kleine) Wasserstoffatome mit einem (größeren) Sauerstoffatom fest verbunden sind. Der Bindungswinkel für die beiden Wasserstoffatome ist in diesem Wassermolekül gut bekannt, aber die Ladungsverteilung ist hier auch wieder nur sehr grob modellhaft dargestellt.

Anders sieht das bei Ionen aus. Da haben einzelne Atome einen Teil ihrer Ladung aus der Elektronenhülle an die Umgebung oder an andere Atome abgegeben. So entstehen dann die positiven und negativen Ionen, die in den späteren Bildern wichtig werden, wobei die Ladungsverteilung hier wieder nur sehr schematisch dargestellt ist.

Helen: Ja, die Probleme mit der Darstellung von Molekülen kenne ich vom Schreibtisch unseres Alchemisten. Da stehen verschiedene Figuren mit Stahlkugeln und Magnetstäben, aber auch ein paar Modelle mit angeschnittenen Kugeln, die wie Lego-Bausteine über Druckknöpfe miteinander verbunden sind. Er nannte diese Figuren: Kalottenmodell.

Marie: Ja, wenn man sich die Anordnung von Atomen in einem Kristall vorstellen will, sind solche Modelle sehr hilfreich. Die Vorstellung von Demokrit mit seinen kleinen, regelmäßigen Körpern gibt es aber auch heute noch in etwas anderer Form.

Schau dir mal die dichte Packung von Kugeln im nächsten Bild an!


Wenn man hier den Raum um die Kugeln herum jeweils symmetrisch auf alle Nachbarkugeln aufteilt, dann entsteht ein regelmäßiger Körper mit 12 gleichen Flächen, die jeweils zu den nächsten Nachbaratomen hinweisen.

Was da entsteht, nennt man Rhombendodekaeder, weil dieser Körper 12 gleiche, rhombischen Außenflächen besitzt. Das ist zwar keiner der schönen Körper des Platon, aber mit vielen solchen Körpern als "Atomen" könnte man wie mit Lego-Steinen ein Kristallgitter aufbauen, das dann die gleichen Symmetrie-Eigenschaften hätte wie diese dichte Kugelpackung. Weißt du, ideal gewachsene Kristalle sind immer aus solchen kleinsten Einheiten ganz regelmäßig aufgebaut. Bei vielen Elementen enthalten diese Einheiten dann genau ein Atom in der Mitte, und wenn diese Einheiten dabei ohne Drehung nur gegeneinander verschoben sind, dann nennen die Kristallographen ein solches Gitter "primitiv". Die vielen verschiedenen Gittertypen, die bei den chemischen Elementen auftauchen, zunächst bei normalem Druck und später auch noch unter hohem Druck, führen ja gerade zu der bunten Welt der Elemente, die im Bild 2 schon mal vorgestellt wurde. Später werden wir uns dieses Bild noch in allen Einzelheiten ansehen!