Ökologie der Wirbeltiere

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Weiterführende Literatur

Viele der erwähnten Prinzipien und Zusammenhänge sind auch in den allgemeinen Lehrbüchern zur Tierphysiologie in größerem Detail ausgeführt. Auf dem Markt gibt es mehrere umfassende Werke sowohl auf Englisch wie auf Deutsch – letztere nicht nur als Übersetzungen, sondern auch als Originalwerke. Die im folgenden aufgeführten Lehrbücher haben einen verstärkten Fokus auf die ökologischen Implikationen der physiologischen Muster.

Das enzyklopädische Grundlagenwerk zur energetischen Ökologie der Wirbeltiere ist:

• McNab, B.K. 2002. The Physiological Ecology of Vertebrates. A View from Energetics. Cornell University Press, Ithaca.

Von demselben Autor stammt eine neuere, kürzere Übersicht über die Energetik der Vögel und Säugetiere, die vor allem die Anpassung an unterschiedliche Umweltbedingungen auslotet:

• McNab, B.K. 2012. Extreme Measures. The Ecological Energetics of Birds and Mammals. The University of Chicago Press, Chicago.

Eine breitere Darstellung der Physiologie aller Tiere in ihren Beziehungen zur Umwelt liefern:

• Willmer, P., I. Johnston & G. Stone. 2004. Environmental Physiology of Animals. 2nd ed. Blackwell Science, Oxford

Physiologische Variabilität zwischen Individuen, Populationen und Arten und die zugrunde liegenden Mechanismen sind in unserem Kapitel wenig zum Zuge gekommen; ihnen ist folgendes Buch gewidmet:

• Spicer, J.I. & K.J. Gaston. 1999. Physiological Diversity and its Ecological Implications. Blackwell Science, Oxford.

Sowohl für Säugetiere als auch für Vögel gibt es je eine spezifische, detaillierte ökophysiologische Darstellung:

• Withers, P.C., C.E. Cooper, S.K. Maloney, F. Bozinovic & A.P. Cruz-Neto. 2016. Ecological and Environmental Physiology of Mammals. Oxford University Press, Oxford.

• Bicudo, J.E.P.W., W.A. Buttemer, M.A. Chappell, J.T. Pearson & C. Bech. 2010. Ecological and Environmental Physiology of Birds. Oxford University Press, Oxford.

Eine Darstellung des Stands des Wissens rund um die Allometrien und die metabolische Theorie der Ökologie liefern zahlreiche Autoren in einem Sammelband:

• Sibly, R.M., J.H. Brown & A. Kodric-Brown (eds.). 2012a. Metabolic Ecology. A Scaling Approach. Wiley-Blackwell, Chichester.

Thermobiologie ist in unserem Kapitel nur über das Phänomen der Heterothermie als Anpassung an Ressourcenmangel zur Sprache gekommen. Ein neueres Werk liefert eine umfassende Synthese, während ein editierter Sammelband sich spezifisch der Heterothermie widmet und auch die zugrunde liegenden physiologischen und molekularen Mechanismen analysiert:

• Angilletta, M.J. 2009. Thermal Adaptation. A Theoretical and Empirical Synthesis. Oxford University Press, Oxford.

• Ruf, T., C. Bieber, W. Arnold & E. Millesi (eds.). 2012. Living in a Seasonal World. Thermoregulatory and Metabolic Adaptations. Springer-Verlag, Berlin.

Ein originelles Werk führt in die hier nur am Rand erwähnten extremen physischen Leistungen von Tieren ein und beleuchtet diese unter physiologischen, anatomischen, und evolutionsbiologischen Blickwinkeln:

• Irschick, D. & T. Highham. 2016. Animal Athletes. An Ecological and Evolutionary Approach. Oxford University Press, Oxford.

Stärker auf eigentliche Ernährungsphysiologie bezogen sind zwei Werke, wobei Karasov & Martínez del Río auf packende Weise auch Wert auf die Vermittlung methodischen Wissens legen:

• Karasov, W.H. & C. Martínez del Río. 2007. Physiological Ecology. How Animals Process Energy, Nutrients, and Toxins. Princeton University Press, Princeton.

• Starck, J.M. & T. Wang (eds.). 2005. Physiological and Ecological Adaptations to Feeding in Vertebrates. Science Publishers, Enfield.

Ernährung und Ernährungsphysiologie der Wildtiere, lange durch das Standardwerk von Robbins (2. Auflage 1993) abgedeckt, ist nun von einem Nachfolgewerk gut bedient:

• Barboza, P.S., K.L. Parker & I.D. Hume. 2009. Integrative Wildlife Nutrition. Springer-Verlag, Berlin.

Die Ernährung der Wiederkäuer ist in einem monumentalen Klassiker umfassend diskutiert:

• Van Soest, P.J. 1994. Nutritional Ecology of the Ruminant. 2nd ed. Cornell University Press, Cornell.

Stärker auf die Beziehungen zwischen Form und Funktion der Verdauungssysteme sind zwei weitere, immer noch aktuelle Klassiker ausgerichtet:

• Stevens, C.E. & I.D. Hume. 1995. Comparative Physiology of the Vertebrate Digestive System. 2nd ed. Cambridge University Press, Cambridge.

• Chivers, D.J. & P. Langer (eds.). 1994. The Digestive System in Mammals: Food, form and function. Cambridge University Press, Cambridge.

Schließlich liegt ein Werk vor, das sich im Detail mit den Möglichkeiten des schnellen Auf- und Abbaus von Körpergewebe als Anpassung auf energetische Anforderungen beschäftigt:

• Piersma, T. & J.A. van Gils. 2011. The Flexible Phenotype. A Body-Centred Integration of Ecology, Physiology, and Behaviour. Oxford University Press, Oxford.

3 Nahrung suchen, finden und verarbeiten: Die verhaltensbiologischen Aspekte der Nahrungsökologie


Abb. 3.0 Sturmmöwe (Larus canus)

Kapitelübersicht
3.1 Kausale und funktionale Erklärung des Nahrungssuchverhaltens
3.2 Nahrungswahl und Nahrungsspektrum
3.3 Optimierte Nahrungssuche und Nahrungswahl
Suche
Nahrungseffizienz
Grenzen der Optimierungsmodelle
3.4 Optimierte Nahrungssuche in patches
3.5 Prädation vermeiden bei der Nahrungssuche
3.6 Nahrungssuche in der Gruppe
3.7 Nahrung horten
3.8 Synthese: Nahrungssuche bei Herbivoren
Nahrungswahl und Aufnahmeraten
Nahrungssuche in heterogener Umwelt
Bissgröße, Bissrate und Aufnahmerate
Beweidung von patches
Funktionelle Reaktionen

Aus dem vorangehenden Kapitel ist deutlich geworden, dass die physiologischen Ansprüche an ein Wirbeltier komplex sind und mehr oder weniger stetige Zufuhr von Nahrung in Form von Wasser, Nährstoffen, Mineralen und Vitaminen bedingen. Die Zufuhr muss quantitativ ausreichend und qualitativ in bestimmter Zusammensetzung erfolgen. Um dies zu gewährleisten, ist ein Individuum auf der Ebene des Verhaltens gefordert. Es muss Nahrung finden, erkennen und beurteilen können. Darauf gestützt, hat das Tier Strategien anzuwenden, welche die ausreichende Nahrungszufuhr – sowohl quantitativ als auch qualitativ – gewährleisten. Dazu gehört etwa, den Nettogewinn an Energie groß genug zu halten, denn mit der Nahrungsaufnahme sind auch Kosten verbunden, etwa für das Ergreifen und Bearbeiten der Nahrungsstücke. Bei der Nahrungssuche setzt sich ein Tier zudem erhöhten Risiken aus; der zeitliche Aufwand zur Feindvermeidung oder das Aufsuchen von Deckung gegen extreme Witterungseinflüsse verringern die Effizienz bei der Nahrungsbeschaffung und sind deshalb ebenfalls als Kosten zu betrachten. Da die Nahrung in Quantität und Qualität unterschiedlich im Raum verteilt ist, gehören zu einer erfolgreichen Strategie des Weiteren Entscheidungen darüber, wo und wie lange an einer bestimmten Stelle Nahrung aufgenommen werden soll, bevor sich ein Wechsel zu einer neuen Stelle lohnt. Die erfolgreichste Strategie trägt das Ihre zur Maximierung der Fitness bei und wird als optimierte Nahrungssuche bezeichnet. Nahrungssuche findet zudem bei vielen Arten nicht solitär, sondern in der Gruppe statt. Dies verändert Kosten und Gewinnmöglichkeiten, weil die Individuen untereinander zwar um die Nahrung konkurrieren, sich dafür aber den Aufwand der Feinderkennung teilen können. Daneben beeinflussen die Möglichkeiten des Informationsgewinns die Strategien bei gemeinsamer Nahrungssuche. Information muss zudem gespeichert und abgerufen werden können, etwa wenn Tiere gehortete und einzeln versteckte Nahrungsstücke wieder auffinden sollen.

Natürlich stellen sich den carnivoren Arten, die mehr oder weniger mobile Beute jagen, in der Regel aber ihre Nahrung in Form diskreter Stücke von hohem Nährwert finden, teilweise andere Probleme als den Herbivoren, deren unbewegliche Nahrung meist in Menge, aber in niedriger Qualität vorkommt. Deshalb ist den spezifischen Aspekten der Nahrungssuche von Herbivoren zum Schluss dieses Kapitels ein eigener Abschnitt gewidmet. Dennoch, die grundlegenden Prinzipien der Fitnessmaximierung mittels des Verhaltens bei der Nahrungssuche sind dieselben. Diese Prinzipien sind in einem umfangreichen mathematisch-theoretischen Gebäude formalisiert, dem eine wesentlich geringere Zahl empirischer Studien gegenübersteht. Wir legen das Gewicht diesbezüglich auf die konzeptuelle Darstellung der theoretischen Überlegungen und fokussieren auf jene Prinzipien, die mit realen Daten validiert sind.

 

3.1 Kausale und funktionale Erklärung des Nahrungssuchverhaltens

In verschiedenen Gebieten wurden ausgerottete Huftiere wieder eingebürgert. Dabei hat man wiederholt beobachtet, dass die Geburtenraten zunächst niedrig waren und die Population stagnierte, nach einigen Jahren dann aber zu wachsen begann, ohne dass sich wesentliche Umweltfaktoren geändert hätten. Als Erklärung wurde angeführt, dass die mit dem Gebiet nicht vertrauten Tiere einige Zeit des Lernens benötigen, wie das Nahrungsangebot verteilt ist und wie die jahreszeitlich unterschiedlichen Bedürfnisse damit am besten gestillt werden können – offenbar gehen die Tiere bei der Nahrungssuche zunächst ineffizient vor (Owen-Smith 2003). Umfassend getestet ist diese Hypothese noch nicht, aber anhand intensiver Untersuchungen bei der Wiedereinbürgerung der Arabischen Oryx (Oryx leucoryx) in Oman konnte gezeigt werden, dass die Antilopen anfänglich weite Gebiete erkundeten und sich später auf ein kleineres Areal beschränkten, dabei aber die zu Beginn auf Gräser beschränkte Nahrung um das Laub verschiedener Büsche ergänzten. Diese Entwicklung dauerte 6–8 Jahre; eine später freigelassene Oryxgruppe machte einen ähnlichen Prozess durch (Tear et al. 1997).

Dieses Beispiel illustriert zwei grundsätzliche Aspekte.

1. Nahrungssuchverhalten kann kausal oder funktional erklärt werden. Kausale (oder mechanistische) Erklärungen zeigen, wie ein Verhalten entsteht, zum Beispiel durch Lernen, und wie es angewendet wird. Dabei spielt der Zustand des Tiers eine Rolle, etwa wie hungrig es ist; je nachdem kann die eine oder andere Variante eines Verhaltens gewählt werden. Die funktionale Erklärung betrachtet die Wahl eines bestimmten Verhaltens im Hinblick auf ein Ziel, das es zu erreichen gilt; für ein bestimmtes Ziel gibt es damit mindestens eine optimale Lösung. Oft aber verhalten sich Tiere nicht optimal. Solche funktionalen Paradoxe lassen sich nur über den kausalen Ansatz erklären, etwa dass ein Lernprozess noch nicht zu Ende gekommen ist (Provenza & Cincotta 1993).

2. Auch unter dem funktionalen Aspekt ist es schwierig, die Auswirkungen unterschiedlich erfolgreicher Strategien der Nahrungssuche auf die Fitness – also die ultimativen Konsequenzen – zu messen. Wie das Beispiel der Arabischen Oryx gezeigt hat, sind selbst unter speziellen Bedingungen oft nur ansatzweise Antworten möglich. Viel einfacher ist es, die proximaten Effekte zu bestimmen, nämlich die unmittelbare Effizienz der Energie- und Nährstoffaufnahme. Der Großteil unseres Verständnisses des Nahrungssuchverhaltens von Wildtieren bezieht sich auf diese kurzfristig wirksamen funktionalen Aspekte, die auch den Hauptteil des vorliegenden Kapitels ausmachen; doch kommen auch kausale Erklärungen in Zusammenhang mit Lernen zur Sprache. Anpassungen bei der Strategie der Nahrungssuche durch Lernen erfolgen in der Regel auf zwei Weisen, einerseits durch direkte Erfahrungen, etwa beim Verdauen einer mild toxischen Pflanze (post-ingestive feedback), andererseits durch Lernen von Artgenossen, oft auch über die Generationen hinweg (Avital & Jablonka 2000; Fragaszy & Perry 2003).

3.2 Nahrungswahl und Nahrungsspektrum

In Kapitel 2.3 war bereits die Rede davon, dass Arten mit breitem Nahrungsspektrum oft als Generalisten, jene mit engem Spektrum als Spezialisten bezeichnet werden. Letztere zeichnen sich jedoch mehr durch stereotype Nahrungswahl als durch die Beschränkung in der Zahl gefressener Beutetypen aus (Sherry 1990). Im Gegensatz dazu haben Opportunisten räumlich und zeitlich variable Nahrungsspektren, weil sie lokal jeweils die häufigste oder am besten zugängliche Nahrungsquelle nutzen, ohne bezüglich Art und Beutegröße speziell selektiv zu sein. Häufigkeit, Verteilung und Verhalten der Beute sind vor allem für Carnivoren wichtig (Abb. 3.1), bei Herbivoren spielen Biomasse und Qualität des Angebots die größere Rolle. Deshalb wird bei Huftieren oft zwischen selektiven und nicht selektiven Äsern unterschieden, wobei selektive Arten bestimmte Pflanzen oder Pflanzenteile hoher Qualität herausgreifen (Kap. 2.5, Abb. 2.25). Nicht selektive Herbivoren benötigen größere Pflanzenmengen pro Zeiteinheit und weiden flächiger; der englische Begriff bulk feeder drückt dies treffender aus.

Oft zeigt es sich bei genauerer Analyse, dass auch Generalisten oder Opportunisten zu einem gewissen Grad selektiv vorgehen (Loxdale et al. 2011). Zudem enthalten Populationen einer sich generalistisch ernährenden Art oft einen Anteil spezialisierter Individuen (Bolnick et al. 2003; Araújo et al. 2011; Dall et al. 2012; Layman et al. 2015). Ist dieser Anteil hoch und die Spezialisierung individuell verschieden, so kann die Summe der Nahrungsspektren spezialisierter Individuen auf Populationsebene das Bild einer generalistischen Ernährungsweise ergeben (Hückstädt et al. 2012; Ceia & Ramos 2015; Pagani-Núñez et al. 2015). Selektivität hängt also auch davon ab, welche Ebene betrachtet wird, Individuum, Population oder Art. Zudem kann sie von der Populationsdichte beeinflusst werden: Bei geringer Dichte zeigten Seeotter (Enhydra lutris) keine Spezialisierung, bei hoher Dichte aber schon (Tinker et al. 2012). Weiter spielt die räumliche oder zeitliche Skala (Kap. 5.1) eine Rolle (Novak & Tinker 2015). Bulk feeders etwa können selektiv bestimmte Flächen beweiden, auch wenn sie dann innerhalb der Fläche wenig wählerisch sind. Bei Prädatoren kommt dazu, dass das nutzbare Angebot vom Verhalten der Beutetiere mitbestimmt wird und sich dann schlecht ermitteln lässt, was die Bestimmung der Selektivität erschwert. Die genannten Einteilungen sind deshalb mit Vorsicht anzuwenden und vor allem beim direkten Vergleich verschiedener Arten aus derselben Verwandtschaft oder derselben Gilde (Arten mit ähnlichem Nahrungserwerb respektive ähnlicher Nische; Kap. 8.5) sinnvoll. In diesem Fall können sie allerdings zu interessanten weiterführenden Fragen Anlass geben (Abb. 3.1).


Abb. 3.1 Die Wiesenweihe (Circus pygargus; Bild) jagt im Offenland in generalistischer Weise kleine Säuger und Vögel, die ähnliche Steppenweihe C. macrourus hingegen ist eine spezialisierte Wühlmausjägerin. Bei hoher Wühlmausdichte hat die Steppenweihe einen relativ höheren Jagderfolg als bei niedriger Dichte und ist erfolgreicher als die Wiesenweihe, während die Erfolgsrate bei der Wiesenweihe unabhängig von der Beutedichte konstant bleibt und bei niedriger Wühlmausdichte höher ist als bei der Steppenweihe (Terraube et al. 2011).

3.3 Optimierte Nahrungssuche und Nahrungswahl

Nahrungswahl und allfällige Spezialisierung haben sich im Rahmen der evolutiven Vorgaben zum Körperbau zu bewegen. Das bedeutet, dass die morphologischen Anpassungen einer Art die Möglichkeiten der Nahrungswahl beschränken. Die erwähnte Variation beim Grad der individuellen Spezialisierung zeigt aber auch, dass innerhalb des vorgegebenen Rahmens Raum für verhaltensbiologische Flexibilität besteht, den ein Individuum mehr oder weniger erfolgreich nutzen kann (Bell W. J. 1991). Die Theorie rund um die optimierte Nahrungssuche (optimal foraging, oft auch synonym mit optimierter Nahrungswahl, optimal diet, gebraucht) befasst sich mit diesem Spielraum und versucht letztlich, die realisierte Nahrungszusammensetzung aufgrund einer Kosten-Nutzen-Modellierung vorauszusagen (Emlen 1966; MacArthur & Pianka 1966; Schoener 1971; Stephens D. W. & Krebs 1986). Die erfolgreichste Strategie der Nahrungssuche ist jene, welche den größten Energiegewinn pro Zeiteinheit bringt, denn die Energie kann in die Erhöhung der Überlebenschancen und in größere Nachkommenschaft, also die Steigerung der Fitness investiert werden. Falls eine Strategie zu deutlich erhöhter Fitness führt, wird sie durch die natürliche Selektion favorisiert werden. Wir betrachten eine solche Strategie demnach als Adaptation. Die in diesem und in Kapitel 3.4 dargestellten Optimierungsmodelle beziehen sich auf Individuen, die allein Nahrung suchen; die Erklärung von Verhaltensweisen bei der gruppenweisen Nahrungssuche (Kap. 3.6) erfordert andere Ansätze.

Welches sind nun die Elemente der Kosten-Nutzen-Rechnung? Der nutzbaren Energie aus der Nahrung steht die verbrauchte Energie für den gesamten Ablauf vom Suchen bis zum Verdauen der Nahrung entgegen. Der resultierende Nettogewinn muss dann in Relation zum Zeitaufwand gesetzt werden. Daraus ergibt sich:


Es gilt also, den Nettogewinn an Energie zu maximieren und den Zeitaufwand zu minimieren. Nettogewinn, Zeitaufwand oder andere Elemente solcher Optimierungsmodelle (die sich nicht auf Energie beschränken müssen) werden als currency bezeichnet. Diesen stehen die constraints entgegen, also etwa physiologische oder verhaltensbiologische Grenzen, die dem Tier gesetzt sind (Davies N. B. et al. 2012). Aus den Modellen lassen sich überprüfbare Hypothesen herleiten und im Experiment oder in empirischen Feldstudien testen. Viele der Befunde stimmen mit den Erwartungen nur teilweise überein. Unterstützung kommt vor allem von Studien an Arten, die immobile Beute jagen, während die Theorie für Jäger mobiler Beute oft keine ausreichend genauen Voraussagen macht (Sih & Christensen 2001). Dies mag damit zusammenhängen, dass das Verhalten der Beute die Nahrungswahl der Prädatoren modifizieren kann, während die Wahl bei unbeweglicher Beute weitgehend vom Nutzer allein abhängt. Viele Feldstudien und die meisten experimentellen Untersuchungen fanden unter Bedingungen der Nutzerautonomie statt und maßen die Nahrungseffizienz (profitability):


Diese ergibt sich als Verhältnis E/h zwischen dem Energiegehalt E der Nahrung und der Zeit h, die für ihre Gewinnung (handling) nötig ist. Die Gewinnung beginnt also mit dem Entdecken der Nahrung und umfasst den Zeitbedarf für Fang, Bearbeitung und Aufnahme; je nach dem nötigen Aufwand kann auch die Zeit für die Verdauung mitberücksichtigt werden. Die Nahrungseffizienz ist wesentlich einfacher zu erheben als die Nettoenergie-Aufnahmerate, da sie den Suchaufwand ausklammert und auch den Aufwand der Behandlung der Nahrung nur über die Zeit «abrechnet».

Suche

Der Zeitbedarf zum Auffinden der Nahrung wird von der Häufigkeit, Sichtbarkeit und Verteilung der Nahrung im Raum bestimmt und kann über die Suchzeit oder die Antreffhäufigkeit (encounter rate) gemessen werden. Je nach Nahrungsart unterscheidet sich die Antreffhäufigkeit enorm; für Herbivoren ist sie aufgrund der Häufigkeit der Nahrung meist von untergeordneter Bedeutung. Immerhin hat man beobachtet, dass die Geschwindigkeit, mit der sich selektiv grasende Säugetiere bei der Nahrungssuche bewegen, asymptotisch mit zunehmender Distanz zwischen den einzelnen nutzbaren Pflanzen ansteigt (Shipley et al. 1996). Herbivoren, aber auch Insekten- und Fischfresser finden ihre Nahrung zudem oft geklumpt an bestimmten Stellen vor, wo sie zur Nahrungsaufnahme bleiben, bis die Ausbeute unter eine bestimmte Grenze fällt (s. auch Kap. 3.4).

Für Prädatoren mobiler oder auch kryptischer Beute hingegen ist die Suchzeit oft eine wichtige Größe. Die Suchstrategien sind darauf angelegt, die Antreffhäufigkeit zu optimieren, was stetige Lernprozesse voraussetzt (Bell W. J. 1991; Adams-Hunt & Jacobs 2007). Dabei können, je nach Ausdehnung und Ausstattung des bejagten Gebiets, auch Kombinationen verschiedener Strategien zur Anwendung kommen. Südliche See-Elefanten (Mirounga leonina), eine große Robbenart der Subantarktis, schwimmen schnell und direkt zu ihnen bekannten Zentren hoher Nahrungsdichte, nehmen während der Reise aber bereits kleine und häufige, jedoch zufällig im Raum verteilte Beutetiere auf. In den Zentren wechseln sie zu langsamem Suchen auf gewundenen Suchpfaden (area-restricted search) und bleiben lange an Stellen hoher Dichte von weniger kleinen Beutetieren (Thums et al. 2011). Die Berechenbarkeit (predictability) des Vorkommens von Beute ist aber gerade für marine Prädatoren oft gering (Weimerskirch 2007). Studien an Mittelmeermöwen (Larus michahellis) haben gezeigt, dass anthropogen erhöhte Berechenbarkeit, in diesem Fall die Verfügbarkeit von Fischabfällen rund um die Fangschiffe, die räumliche Verteilung und Tagesaktivität der Möwen stark beeinflusst (Cama et al. 2012). Umgekehrt müssen Prädatoren größerer Beutetiere vermeiden, für ihre Beutetiere selbst so berechenbar zu werden, dass diese sich auf ihr Jagdverhalten einstellen können. Löwen (Panthera leo) wechseln nach erfolgreicher Jagd in weiter entfernte Teile ihres ausgedehnten Streifgebiets (Valeix et al. 2011). Ähnliche Verhaltensmuster (rotational territory use) sind auch von anderen größeren Prädatoren wie etwa dem Wolf (Canis lupus) bekannt (Demma & Mech 2009).

 

Handelt es sich bei der Nahrung um regungslose, kryptisch gefärbte Beute, so stellt sich das Problem, die Erkennung solcher Nahrung zu optimieren. Viele Tiere können offenbar lernen, sich auf bestimmte Stimuli zu konzentrieren und damit ein Suchbild (search image) für eine bestimmte Nahrung zu entwickeln. Als Stimuli dienen Merkmale, welche die Beutestücke von ihrem Untergrund abheben (Reid & Shettleworth 1992). Das Suchbild ist allerdings ein vereinfachtes Konzept der komplizierten perzeptiven und kognitiven Abläufe beim Finden kryptisch gefärbter Beute (Shettleworth et al. 1993). Experimentell ließ sich aber zeigen, dass Blauhäher (Cyanocitta cristata) weniger erfolgreich waren, wenn sie ihre Aufmerksamkeit gleichzeitig auf zwei Typen kryptischer Nahrung richten mussten, als wenn nur einer vorhanden war (Dukas & Kamil 2001). In solchen Fällen ist es von Vorteil, sich auf den häufigsten Typ zu konzentrieren (Bond 2007). Damit steigt dessen Aufnahmerate, während jene von selteneren Typen sinkt (Ishii & Shimada 2010).


Abb. 3.2 Verteilung nahrungssuchender Blauaugenscharben (Phalacrocorax atriceps) (schwarze Punkte) auf dem Meer vor ihrer Brutkolonie (weißer Kreis mit rotem Punkt) an der Küste Argentiniens. Der Farbengradient illustriert die benötigte massenspezifische Energie (J kg-1 s-1), die am entsprechenden Ort pro Sekunde Aufenthalt am Meeresboden aufgewendet werden muss. Tiefen von 10–30 m erlauben den effizientesten Energieeinsatz. Mit zunehmender Tiefe muss zwar weniger Energie zur Kompensation des Auftriebs eingesetzt werden, doch sinkt die zeitbezogene Energieeffizienz schnell, weil die Tauchdauern ansteigen und exponentiell dazu die anschließend benötigten Erholungszeiten (Wilson R. P. et al. 2012) (Abdruck mit freundlicher Genehmigung von The Royal Society, © The Royal Society).

Der Suchaufwand ist nicht nur eine Frage der benötigten Zeit, sondern auch der dabei verbrauchten Energie. Suchenergie wird allerdings selten gemessen und spielt in den experimentellen Versuchsanordnungen meist keine Rolle. Unter Freilandbedingungen kann die Heterogenität der Landschaft jedoch den Energieverbrauch bei der Nahrungssuche stark beeinflussen, denn je nach Terrain benötigt die Fortbewegung unterschiedlich viel Energie. Meeresvögel, die ihre Beute tauchend finden, begrenzen ihren Aktivitätsradius auf Zonen, die mit geringstem Energieaufwand befischbar sind (Abb. 3.2). Auch die eigentlichen Tauchgänge werden energetisch so optimiert, um eine maximale Aufenthaltsdauer in den nahrungsreichsten Tiefen zu erreichen (Hanuise et al. 2013). Tauchgänge in tiefere Zonen umfassen deshalb auch längere Aufenthaltsdauern in der befischten Zone, um den Zeitaufwand für Hin- und Rückweg zu kompensiren. Bei Blauwalen (Balaenoptera musculus) zeigte sich, dass die Kompensation nicht hundertprozentig ist, da auch noch längere Erholungsdauern an der Oberfläche anfallen. In weniger tiefem Wasser stand deshalb relativ mehr Zeit zum Jagen zur Verfügung und die Rate der Nahrungsaufnahme war höher, sodass die Wale häufiger nachts jagten, wenn sich das Zooplankton näher an den Wosseroberfläche aufhielt (Deniol–Valcroze et al. 2011).

Nahrungseffizienz

Wenn das Tier Nahrung gefunden hat, (stellt sich ihm grundsätzlich die Frage: Soll ich diese Nahrung aufnehmen oder sie zugunsten einer ergiebigeren Alternative übergehen? Bei optimierter Nahrungswahl ist zu erwarten, dass das Tier fähig ist, die Beutestücke bezüglich ihrer Nahrungseffizienz zu bewerten und so Entscheidungen zu fällen. Ein einfaches Modell mit zewi Alternativen einem größeren und einem kleineren Nahrungsstück, ist ln Box 3.1 formal dargestellt. Es macht drei Voraussagen:

Box 3.1 Modell der Nahrungseffizienz

Zwei verschieden große Nahrungsbrocken 1 (groß) und 2 (klein) enthalten unterschiedlich viel nutzbare Energie, E1 und E2, verlangen entsprechend Zeit für das Handling, h1 und h2. Die Nahrungseffiezienz (oder Profitabilität) ist als E/h definiert (siehe weiter oben in diesem Kapitel). Wenn die größere Nahrung profitabler ist, ergibt sich:


Wie soll ein nahrungssuchendes Tier nun zwischen den unterschiedlichen Nahrungsbrocker auslesen, wenn es seine Rate der Energieaufnahme maximieren will?

(a) Trifft es auf die profitablere Nahrung 1, so sollte es diese immer fressen, unabhängig von der Häufigkeit der Nahrung 2.

(b)Nahrung 2 sollte es hingegen nur fressen, wenn der Gewinn größerist, als wenn es Nahrung 2 über gehen würde und weitere Suchzeit S1 für Nahrung 1 in Kauf nehmen würde.


Durch Umformung zeigt sich, dass das Tier Nahrung 2 nur fressen sollte, wenn:


Die Wahl der weniger profitablen Nahrung 2 hängt also von der Häufigkeit der profitableren Nahrung 1 ab. Das Modell geht auf Charnov (l976a) und Krebs J.R. et al. (1977) zurück. Die Darstellung hier folgt Davies N. B. et al. (2012); eine gute Zusammenfassung findet man auch bei Giraldeau (2008a).

1. Das Tier sollte entweder nur die profitablere Nahrung 1 fressen (sich spezialisieren) oder beide, Nahrung 1 und Nahrung 2, annehmen (sich generalistisch verhalten).

2. Die Entscheidung, sich zu spezialisieren, hängt nur von S1 ab, der Suchzeit für die profitablere Nahrung, und nicht von jener für die weniger profitable.

3. Der Wechsel von der Spezialisierung auf Nahrung 1 hin zum generalistischen Fressen beider Nahrungstypen sollte abrupt sein und dann vollzogen werden, wenn die Suchzeit für die profitablere Beute (S1) so ansteigt, dass Formel B3.1.3 erfüllt ist. Das Tier sollte also eine «Alles-oder-nichts-Reaktion» zeigen, das heißt, die weniger profitable Nahrung entweder immer oder nie akzeptieren.

Die ersten beiden Voraussagen sind intuitiv sofort einleuchtend: Wenn eine profitable Nahrung problemlos verfügbar ist, ergibt es keinen Sinn, sich mit weniger ergiebiger Beute abzugeben, egal wie häufig sie ist. Zahlreiche Studien haben auch gezeigt, dass viele Tiere gemäß den ersten beiden Erwartungen handeln, jedoch der «Alles-oder-nichts-Regel» nicht (konsequent) folgen. Ein klassisches Beispiel ist ein Experiment mit Kohlmeisen (Parus major), denen auf einem Förderband große und kleine Mehlwürmer präsentiert wurden, wobei die Antreffhäufigkeit bei den großen Mehlwürmern variierte (Krebs J. R. et al. 1977). Die Meisen waren in der Lage, die Würmer gemäß ihrer Profitabilität zu selektieren, und folgten auch bei der Wahl von großen und kleinen Mehlwürmern den Erwartungen. Hingegen wichen sie vom optimalen «Alles-oder-nichts-Verhalten» ab, bei dem sie unterhalb einer gewissen Antreffhäufigkeit von großen Mehlwürmern auch alle kleinen Individuen hätten aufnehmen müssen, oberhalb hingegen keine der kleinen. Stattdessen nahmen sie kleine Mehlwürmer manchmal an, manchmal nicht (Abb. 3.3). Auch bei späteren, verfeinerten Varianten des Versuchs akzeptierten Kohlmeisen häufiger als erwartet die weniger profitable Beute (Berec et al. 2003).


Abb. 3.3 Der Versuchsapparat im Kohlmeisen-Experiment von Krebs J. R. et al. (1977). Die Meise sitzt im Käfig und kann die vorbeifahrenden Mehlwürmer vom Förderband wegpicken. Das Band ist oben bis auf ein offenes Fenster abgedeckt, wodurch die Meise die Mehlwürmer nur 0,5 s lang sieht und sich schnell entscheiden muss. Nimmt sie einen Mehlwurm auf, so verpasst sie während der Zeit, in der sie frisst, weitere und allenfalls profitablere Mehlwürmer (Abbildung neu gezeichnet nach Davies N. B. et al. 2012).

Je nach Beuteart spielt nicht die Suchzeit, sondern der Aufwand für das Handling die größere Rolle. Dass Tiere diesen Aufwand ebenfalls in die Entscheidungen bei der Nahrungswahl einbeziehen können, haben Feldstudien an der Sundkrähe (Corvus caurinus) eindrücklich gezeigt (Zach 1979). Sundkrähen ernähren sich an der Küste gern von Stachelschnecken (Nucella), doch müssen sie zuerst die Schale aufbrechen können. Sie lassen die Schnecken deshalb mehrfach aus gewisser Höhe auf felsigen Untergrund fallen. Je größer die Fallhöhe ist, desto eher bricht die Schale auf, bei größeren Schnecken schneller als bei kleineren. Die größeren Individuen versprechen zudem einen höheren Energiegewinn. Deshalb ist zu erwarten, dass Schnecken nur von einer gewissen Größe an profitabel sind; für kleinere wird der Aufwand für die wiederholten Flüge zu hoch. Dazu müssen die Krähen auch einen Kompromiss zwischen Abwurfhöhe und Zahl der benötigten Abwürfe finden (Abb. 3.4).