Ökologie der Wirbeltiere

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Abb. 2.20 Der australische Koala (Phascolarctos cinereus) lebt von den Blättern von nur etwa fünf verschiedenen Arten von Eucalyptus, wovon er etwa 500 g pro Tag benötigt. Zur Fermentation dieser stark faserhaltigen Nahrung ist sein Blinddarm enorm entwickelt; er besitzt mit einer Länge von bis zu 2,5 m das größte relative Fassungsvermögen unter allen Säugetieren. Der Blinddarm ist auch für die effiziente Absorption des Wassers aus der Nahrung verantwortlich, denn frei lebende Koalas trinken nur selten freies Wasser.

Der Fasergehalt der Nahrung sagt aus, wie «rau» («Raufutter») die Nahrung ist; die obere Grenze akzeptabler Qualität liegt dort, wo für Kauen und Fermentierung fast so viel Energie ausgegeben wie gewonnen wird. Die Retentionszeit steigt mit dem Fasergehalt und kann bis zu 100 h betragen. Der gesamte Verdauungsprozess der Wiederkäuer ist recht effizient, solange der Faseranteil nicht sehr hoch ist, und ergibt bei mittlerem bis geringem Faseranteil eine Verdaulichkeit organischer Substanz von 65–75 % (Kap. 2.6). Ein weiterer Vorteil ist, dass Stickstoff in Form von Harnstoff rezykliert werden kann. Als Nachteil schlägt zu Buche, dass die Mikroben Nährstoffe verdauen, welche der Wirt selbst hätte nutzen können, und ein Teil der resultierenden Energie dann in Form von Methan verlustig geht.

Zu den Wiederkäuern gehören die Hirschferkel, Hirsche, Moschustiere, Boviden (Kühe, Antilopen, Schafe und Ziegenartige etc.), Gabelböcke und die Giraffen, die alle Angehörige der gleichnamigen Unterordnung Ruminantia (= Wiederkäuer) sind. Auch die Kamelartigen haben ein ähnliches Vormagensystem mit Sortierfunktion und Wiederkäuen entwickelt. Alle funktionellen Wiederkäuer sind damit Paarhufer.

Nicht wiederkäuende Vormagenfermentierer kommen in den verschiedensten Verwandtschaftsgruppen vor. Allen gemeinsam ist die Kammerung des Magens in zwei bis drei sack- und schlauchförmige Teile (Abb. 2.15d, 2.21), wobei die Fermentation wie bei den Wiederkäuern proximal abläuft und vom distalen sauren Milieu (analog dem Abomasum) getrennt sein muss. Sortierung des Fermentierguts nach Partikelgröße und Retention großer Partikel ist anders als bei Wiederkäuern wenig ausgeprägt und fehlt bei großen Arten weitgehend; die Retentionszeiten sind für alle Partikelgrößen relativ lang. Bei Arten mit mehr schlauchförmigem Bau des Vormagens, zum Beispiel dem Känguru, kann Nahrung gleichmäßiger hindurchtransportiert werden, ohne wie bei den Wiederkäuern am Übergang zwischen Reticulum und Omasum zurückgehalten zu werden. Die Annahme, dass Kängurus demnach sehr faserhaltige Nahrung nutzen könnten, während Wiederkäuer im gleichen Fall durch zu lange Retentionszeit an weiterer Nahrungsaufnahme gehindert würden und in ein Energiedefizit gerieten (Hume 2006), steht im Widerspruch zu entsprechenden Felddaten (Meyer K. et al. 2010). Kängurus selektieren im Vergleich zu Schafen eher Nahrung höherer Qualität und können während längerer Zeit konstant Nahrung aufnehmen (Munn 2010). Insgesamt aber ist die Strategie der nicht wiederkäuenden Vormagenfermentierer in ihren Möglichkeiten stärker limitiert als jene der Wiederkäuer (und auch der Dickdarmfermentierer) und scheint sich vor allem auf Arten mit relativ tiefem Grundumsatz und niedriger Rate der Nahrungsaufnahme zu beschränken (Clauss et al. 2010). Zu den Vormagenfermentierern ohne Wiederkäuen gehören Flusspferde, Pekaris, Faultiere, Kängurus und laubfressende Affenarten (Colobus, Nasenaffe; Abb. 2.23). Auch ein blattfressender Vogel, der südamerikanische Hoatzin, praktiziert prägastrische Fermentation (Abb. 2.23).


Abb. 2.21 Verdauungstrakte eines Wiederkäuers (Hausschaf, Ovis aries, links) und eines nicht wiederkäuenden Vormagenfermentierers (Östliches Graues Riesenkänguru, Macropus giganteus) (Abbildung neu gezeichnet nach Stevens C. E. & Hume 1995).

Wale und Delfine, die nahe mit den Paarhufern verwandt sind, besitzen ebenfalls einen sehr langen Verdauungstrakt mit einem mehrkammerigen Magen (Berta et al. 2006). Allerdings ist nur der erste Teil drüsenfrei (gegenüber Rumen, Reticulum und Omasum der Wiederkäuer), doch gibt es Hinweise, dass vor allem Bartenwale in diesem Vormagen fermentieren, um das Chitin der gefressenen Krustentiere (Krill) zu assimilieren (Olsen M. A. et al. 2000).


Abb. 2.22 Bei diesem wiederkäuenden weiblichen Wasserbock (Kobus ellipsiprymnus) erkennt man die mahlenden Kaubewegungen.

2.5 Nahrungsstrategien der Herbivoren

Vereinfacht gesagt, steigt die räumliche Kapazität des Verdauungsapparats und damit das Aufnahmevermögen von Nahrung linear mit der Körpergröße an (W1.0; Demment & Van Soest 1985), der Energieverbrauch und damit der Bedarf hingegen nur mit der ¾-Potenz (W0.75; Kap. 2.1). Die Differenz W0.25 kann theoretisch von größeren Herbivoren auf zwei Arten genutzt werden:

• Bei gleichbleibender Qualität der Nahrung muss pro Einheit Körpermasse weniger Nahrung aufgenommen werden.


Abb. 2.23 Links: Der Nasenaffe (Nasalis larvatus) aus den flussbegleitenden Tieflandwäldern Borneos besitzt als spezialisierter Laubfresser den kompliziertesten Kammermagen aller Affen; er wirkt deshalb dickbäuchig. Neueste Beobachtungen lassen vermuten, dass auch Nasenaffen Nahrung zum erneuten Kauen aufwürgen, aber nicht nach Partikelgröße sortieren (Matsuda et al. 2015). Rechts: Der Hoatzin (Opisthocomus hoazin), ein entfernter Verwandter der Kuckucke, ist bislang der einzige bekannte Vormagenfermentierer unter den Vögeln. Er erreicht damit ähnlich wie die nicht fermentierenden Strauße (Struthio), aber im Gegensatz zu anderen herbivoren Vögeln, den Säugetieren vergleichbare lange Retentionszeiten und hohe Verdaulichkeit der Nahrung (Fritz S. A. et al. 2012).

• Bei gleicher Menge aufgenommener Nahrung können größere Arten mit Nahrung schlechterer Qualität, also Pflanzen mit höherem Faseranteil, auskommen. Erklären lässt sich dies über die höhere Kapazität im Verdauungsapparat, der längere Retentionszeiten und damit eine verbesserte Verdauung von faserreicher Nahrung zulassen sollte.

Dass kleinere Arten fast durchweg Nahrung von höherer Qualität konsumieren als größere, ist bereits von Bell R. H. V. (1970) und Jarman (1974) an afrikanischen Huftieren beobachtet worden. Der Sachverhalt ist heute als «Jarman-Bell-Prinzip» bekannt und nicht nur im Vergleich vieler Arten – Säugetiere wie Vögel – bestätigt worden, sondern auch für Männchen und Weibchen bei geschlechtsdimorphen Herbivoren und selbst für ungleich große Individuen innerhalb desselben Geschlechts (Brivio et al. 2014). Die lange akzeptierte Erklärung von Demment & Van Soest (1985), dass kleinere Arten Nahrung geringerer Qualität schlechter verdauen können als größere Arten, wird aber weder theoretisch noch durch Daten gestützt (Clauss et al. 2013). Tatsächlich zeigen sowohl existierende Datenreihen als auch neue Fütterungsversuche, dass die Fähigkeit zur guten Verdauung nicht körpergrößenabhängig ist, sondern dass größere Herbivoren höhere Aufnahmeraten besitzen, die allometrisch mit einer höheren Steigung skalieren als der Grundumsatz (Müller et al. 2013; Steuer et al. 2014). Beobachtungen zur Allometrie der Nahrungsaufnahme von Herbivoren im Freiland (Kap. 3.8) unterstützen die Erklärung, dass große Herbivoren auf qualitativ schlechte Nahrung fokussieren, weil normalerweise nur diese räumlich konzentriert und in einer Menge vorhanden ist, welche die benötigten Aufnahmeraten garantiert.

Werden Herbivore nach ihrer Nahrungsstrategie klassifiziert, so kann die Einteilung entweder anhand der Art der Nahrung (botanischen Zusammensetzung, Pflanzenteile) oder anhand ihrer Qualität erfolgen.

• Bei der Einteilung nach der (botanischen) Nahrungszusammensetzung lassen sich unterscheiden: Laubäser (browser) – Mischäser (mixed feeder) – Grasäser (grazer). Bei der Laubäsung zählen nicht nur die Blätter von Sträuchern und Bäumen, sondern auch Knospen, Zweige und Rinde sowie dikotyle Kräuter (forbs), auch wenn Letztere in punkto Nahrungsqualität oft nicht mit eigentlichem Laub vergleichbar sind. Mischäser nutzen sowohl Laub als auch Gras, während Grasäser normalerweise kein Laub fressen, aber beim Grasen einen kleineren Anteil dikotyler Kräuter aufnehmen können.

• Die gängige Unterteilung gemäß Qualität unterscheidet hingegen: Konzentratselektierer (concentrate selector/selective feeder) – Intermediärtyp (intermediate feeder) – Raufutter-Fresser (roughage/bulk feeder). Als Qualitätsmerkmal gilt der Fasergehalt, wobei davon ausgegangen wird, dass der Bedarf an höherer Qualität mit stärkerer Selektivität bestimmter Pflanzen (oder Teilen davon) einhergeht.

Wie bei vielen Klassifikationen darf aber nicht vergessen werden, dass die Grenzen zwischen den Gruppen oft fließend sind, weil viele Arten eine gewisse Flexibilität zeigen können, sodass sich über die Herbivorenarten hinweg mehr oder weniger ein Kontinuum ergibt.

In einem vereinfachten, aber berühmt gewordenen Konzept (Hofmann 1989) sind die beiden Aspekte Nahrungsart und Qualität respektive Selektivität vermengt worden. Hofmanns Schema (Abb. 2.24) ordnet die verschiedenen europäischen Wiederkäuer anhand ihres mittleren Grasanteils in der Nahrung innerhalb des Kontinuums von Laubäsern (links) zu Grasäsern (rechts) ein. In dieser eindimensionalen Darstellung wird jedoch der Gradient Laub – Gras zugleich zu einem Gradienten abnehmender Nahrungsqualität. Zwar besitzt Gras im Durchschnitt einen höheren Faseranteil als Laub, doch der höhere Ligningehalt sowie sekundäre Pflanzenstoffe im Laub können dessen Qualität ebenfalls herabsetzen. Laubnahrung ist deshalb nicht a priori von besserer Qualität als Gras (Box 2.5). Der populäre Begriff «Konzentratselektierer» für Laubäser ist auch insofern problematisch, als selbst qualitativ gute Laubäsung noch immer einen weit höheren Faseranteil besitzt als alles, was aus der Tierhaltung unter der Bezeichnung «Konzentratfutter» bekannt ist (Clauss et al. 2010). Die Qualität der aufgenommenen Nahrung wird am stärksten über die Selektivität (für bestimmte Pflanzenarten, Altersstadien oder Teile der Pflanze) gesteuert. Es gibt sowohl bei Laub- als auch Grasäsern selektive und auch nicht selektive Arten. Tendenziell sind kleinere Herbivoren wegen ihres relativ höheren Energiebedarfs stärker selektiv als größere; zudem sind sie aufgrund der schmaleren Schnauze stärker dafür prädestiniert (Kap. 3.8).

 

Box 2.5 Nahrungsqualität von Gras und Laubäsung im Vergleich (nach Karasov & Martínez del Río 2007)

Gras (Monokotyledonen) und Laubäsung (Blätter krautiger und verholzter Dikotyledonen) unterscheiden sich in mancher Hinsicht bezüglich ihrer Nahrungsqualität für Herbivoren:

• Zellwände sind in Gräsern eher dick, mit einem höheren Anteil an Zellulose und Hemizellulose. In Blättern sind sie trotz des größeren Gehalts an Lignin eher dünn, was einen höheren Anteil zyto-plasmatischen Inhalts zur Folge hat. Da Zellulosen fermentiert werden, ist die Assimilationsdauer von Gras länger (Lignin kann nicht fermentiert werden).

• Abwehrstoffe: Siliziumkristalle in Gras und verschiedene sekundäre Metaboliten in Blättern sind Abwehrmechanismen der Pflanzen, um Herbivorie zu reduzieren (Kap. 2.2). Als Folge sind die Grasfresser mit starker Abnutzung ihrer Zähne konfrontiert, während Laubäser zum Teil aufwendige Entgiftung der Nahrung durchführen müssen. Man nimmt an, dass die im Vergleich zu Grasäsern stark vergrößerten Speicheldrüsen der Laubäser dem Abbau der Metaboliten dienen (Hofmann et al. 2008). Tanninbindende Proteine im Speichel werden nicht nur von Huftieren, sondern auch von Primaten (inklusive des Menschen), Nagetieren, Hasenartigen, Beuteltieren und weiteren produziert (Espinosa Gómez et al. 2015).

• Architektur der Pflanze: Gräser bestehen aus Blattspreiten, Stängel (mit Fruchtständen) und Blattscheiden und wachsen oft in einer dicht gepackten Vegetationsschicht, was den Herbivoren die Selektion der qualitativ höherwertigen Teile erschwert, besonders da die proteinreicheren jungen Blätter an der Basis entsprießen. Laubäsung enthält eine räumlich oft mehr heterogene Zusammensetzung aus Knospen, jungen und älteren Blättern, Zweigen sowie Blüten und Früchten, die von Herbivoren besser selektiv genutzt werden können (Ausnahme: das dichte Gewirr von dornen- oder stachelbewehrten Sträuchern und Bäumen, zum Beispiel Akazienverwandte).

• Räumliche Verteilung: Grasnahrung ist im Raum sehr gleichförmig vorhanden, Laubäsung kommt hingegen lockerer verteilt vor und bietet den Herbivoren eine geringere nutzbare Biomasse.

Die Klassifikation von Van Soest (1994) trägt den genannten Mängeln Rechnung, indem eine zweite Dimension für Selektivität eingeführt wird (Abb. 2.25); größere Selektivität steht damit für Nahrung höherer Qualität. Obligate Gras- und Laubäser bleiben bei zunehmender Selektivität bei ihrem Nahrungstyp, greifen aber bestimmte Pflanzenarten heraus oder konzentrieren sich auf junge Triebe. Intermediärtypen oder Mischäser tendieren generell dazu, Gras höherer Qualität zu fressen und bei dessen Mangel die Aufnahme von Laubäsung zu steigern.


Abb. 2.24 Die nahrungsökologische Klassierung europäischer Wiederkäuer (Abbildung neu gezeichnet nach Hofmann 1989).

Die artenreiche und nach Körpergröße stark differenzierte Herbivorenfauna Afrikas, welche dem Jarman-Bell-Prinzip Pate stand, bot auch Anlass zu weitergehenden Überlegungen, nämlich dass Körpergröße und Nahrungsstrategie mit Sozialstruktur, Reproduktionsverhalten und Taktik der Feindvermeidung ein Beziehungsmuster ergeben, in dem sich fünf Gruppen unterscheiden lassen (Jarman 1974; ähnlich auch bei Geist 1974). Die meisten dieser Zusammenhänge wurden später auch statistisch erhärtet (Brashares et al. 2000). Die Darstellung hier folgt der bezüglich weiterer Herbivoren ergänzten Zusammenfassung in Fryxell et al. (2014); das Thema der ökologischen Grundlagen des Fortpflanzungsverhaltens wird in Kapitel 4 mehrfach wieder aufgegriffen.

1. Kleine Arten (3–20 kg) mit hoch selektiver Wahl nährstoffreicher Nahrung, die neben frischen Triebspitzen vor allem auch Blüten, Samenstände, Früchte und sogar Fleisch umfasst. Sie sind Bewohner von Wald oder dichtem Busch, leben einzeln oder paarweise, zeigen wenig Sexualdimorphismus und verteidigen ein Territorium, wobei sich beide Geschlechter beteiligen. Feindvermeidung geschieht über unauffälliges Verhalten in der Deckung. Zu dieser Gruppe gehören die kleinsten Antilopen (Abb. 2.26) und Ducker.

2. Kleine bis mittelgroße Arten (20–100 kg) können Grasfresser oder Laubäser sein, sind aber bezüglich bestimmter Pflanzen oder Teile davon ähnlich selektiv wie die ganz kleinen Arten. Sie leben in Galeriewäldern, dichtem Busch oder in Hochgrasbeständen, in etwas größeren Gruppen (etwa 2–6, oftmals mit einem Männchen und mehreren Weibchen), sind meist territorial und zeigen einen gewissen Sexualdimorphismus. Feindvermeidung geschieht in der Regel durch Verstecken und regungsloses Verharren. Zu diesen Arten gehören Laubäser im Trockenbusch wie das Gerenuk (Litocranius walleri), aber auch Grasfresser wie die Riedböcke (Redunca) oder das Oribi (Ourebia ourebi), das mit seinen 15–17 kg der kleinste Grasfresser ist (Abb. 2.25).

3. Mittelgroße Arten (50–150 kg) sind oft Mischäser, mit reiner Grasnahrung während der Regenzeit und größerem Laubanteil zur Trockenzeit. Habitate variieren und reichen von dichter bewaldetem Gebiet über Savannen bis zu offenen Flussebenen. Männchen verteidigen einzeln ein Territorium, das von umherwandernden Weibchengruppen (6–200 Individuen) besucht wird; nicht territoriale Männchen streifen ebenfalls in Gruppen umher. Die Streifgebiete der Weibchen sind groß, besonders zur Regenzeit. Der Sexualdimorphismus ist sehr ausgeprägt; das Feindverhalten fußt auf gemeinsamer Wachsamkeit und Flucht. Arten in dieser Kategorie umfassen Impala (Aepyceros melampus, Abb. 1.0), Wasserböcke (Kobus, Abb. 2.22), Rappenantilope (Hippotragus niger), Gazellen und viele weitere.


Abb. 2.25 Klassifikation der Herbivoren entlang von zwei Achsen: Anteile von Gras und Laubäsung in der Nahrung gegen Grad der Selektivität. Pfeile geben die Spannweite bezüglich der Einteilung entlang der Achsen an (nach Van Soest 1994). Die Selektivitätsachse ist stark von der Körpergröße geprägt, da kleinere Herbivoren besser einzelne Pflanzen oder Teile davon selektieren können als größere Arten mit breiteren Schneidezahnbögen (incisor arcade). Zudem haben Laubäser im Allgemeinen schmalere Bögen als Grasfresser, doch treten die Unterschiede erst bei Arten mit Körpergrößen von >90 kg auf; kleinere Arten können offenbar bei Gras wie Laub die benötigte Selektivität erreichen (Abbildung verändert nach Janis & Ehrhardt 1988; Gordon & Illius 1988).

4. Mittelgroße bis große Arten (100–250 kg) von Grasfressern mit Präferenz für qualitativ gutes Gras. Dominante Männchen sind solitär und territorial, die übrigen bilden Junggesellenherden. Auch die Weibchen leben in oft großen Herden (6 bis mehrere 100) mit riesigem Streifgebiet oder wandern saisonbedingt zwischen zwei Gebieten, generell in offener Savanne oder gar baumlosen Ebenen. Sexualdimorphismus ist vorhanden, aber weniger ausgeprägt als bei Arten der Gruppe (3); Feindvermeidung erfolgt ähnlich. Zu dieser Kategorie gehören Weißbartgnu (Connochaetes taurinus; Abb. 3.14), Kuhantilopen (Alcelaphus) oder Topi (Damaliscus lunatus, Abb. 4.32).

5. Die großen Arten (>200 kg) sind unselektive Äser von Gras oder Laub geringer Qualität, also sehr häufiger Nahrung. Habitate umfassen sowohl bewaldete Gebiete als auch lockere Savanne, die in saisonalen Bewegungen durchstreift werden. Männchen sind nicht territorial und bilden eine Dominanzhierarchie, Weibchen leben in Herden (10 bis mehrere 100) mit großem Streifgebiet. Feindvermeidung geschieht wie bei (3) und (4), außer bei den größten Arten (Kaffernbüffel, Syncerus caffer; Savannenelefant, Loxodonta africana, Abb. 5.16), die sich auch gegen Prädatoren verteidigen können. Als weitere Mitglieder dieser Kategorie gelten etwa Elenantilope (Taurotragus oryx), Spießböcke (Oryx), oder auch Steppenzebra (Equus quagga, Umschlagbild) und Giraffe (Giraffa camelopardalis, Abb. 7.8).

Dieses Klassifikationsmuster hat entsprechend auch für andere Herbivorenfaunen Gültigkeit, etwa jene Asiens, wo die Kategorien der hochselektiven kleinen Laubäser aber nicht durch Boviden, sondern vor allem durch kleine Hirschartige repräsentiert werden. Hofmanns (1989) Klassifikation der Wiederkäuer geschah weniger vor dem Hintergrund solcher verhaltensökologischer Zusammenhänge als im Hinblick auf die Evolution von Verdauungssystemen. Sie führte zu einer Reihe von Hypothesen über unterschiedliche morphologische Anpassungen im Verdauungsapparat von Laub- und Grasäsern und damit verbundenen Verdauungsleistungen (die sogenannte ruminant diversification hypothesis). Wie weit solche Unterschiede mit der Gras- oder Laubpräferenz zusammenhängen oder vor allem mit Körpergröße und taxonomischer Zugehörigkeit zu tun haben, wird jedoch immer noch diskutiert (Karasov & Martínez del Río 2007; Clauss et al. 2008, 2010).


Abb. 2.26 Mit etwa 5 kg Körpermasse gehören die Dikdiks (hier ein männliches Damara-Dikdik, Madoqua kirkii) aus den ariden Gebieten Afrikas zu den kleinsten Antilopen. Sie leben streng territorial und monogam. Ihre schmale vorspringende Schnauze erlaubt ihnen als Laubäser, auch kleinste Blätter zu selektieren.

2.6 Effizienz der Assimilation

Dass die verschiedenen Nahrungsbestandteile sehr unterschiedliche Gehalte an Energie aufweisen, zeigte bereits Tabelle 2.1. Bei der Betrachtung der Verdauungsmechanismen der Herbivoren wurde aber auch klar, dass die in der Nahrung vorhandene Energiemenge nicht gänzlich genutzt werden kann und dass die Effizienz der Nutzung von der Tierart beziehungsweise von ihrem Verdauungssystem abhängt. Die nicht zur Assimilation nutzbare Energie (apparent digestible energy) geht über den Kot wieder verloren (Abb. 2.27). Aus Formel 2.1 (Kap. 2.1) errechnet sich damit der verdauliche Energieanteil DE, welcher die Verdaulichkeit (digestibility, assimilation efficiency) der Nahrung beschreibt:


Protein ist für alle Wirbeltiere gut verdaulich, im Mittel zu etwa 92 %. Ähnliches gilt für Lipide. Carnivoren erreichen bei guter Fleischnahrung deshalb oft eine Verdaulichkeit von 80–85 %; bei Arthropodennahrung liegen die Werte aufgrund des Chitinanteils tiefer. Mit über 98 % sind auch Zellinhalte (nicht strukturelle Kohlenhydrate) von Pflanzen fast vollständig verdaulich (Robbins 1993). Nektarfresser kommen so auf 95 % und mehr Verdaulichkeit, Samenfresser auf 70–80 %. Kommerzielles Samen- und Körnerfutter für Nagetiere ist sogar so zusammengestellt, dass im Maximum fast 90 % Verdaulichkeit erreicht wird. Bei grünem Pflanzenmaterial liegt die Verdaulichkeit jedoch wesentlich tiefer und hängt zunächst vom Anteil an Lignin, Cutin und Silizium in den Zellwänden, dann aber auch vom Verdauungssystem und der Retentionszeit ab. Diese Aspekte sind in den vorausgehenden Kapiteln bereits intensiv zur Sprache gekommen. Sehr häufig liegt die Verdaulichkeit der Zellwände (das heißt der Gesamtfaser) zwischen 30 % und 60 % und bei qualitativ guter Pflanzennahrung insgesamt bei 60–70 %. Riesenpandas (Ailuropoda melanoleuca) erreichen bei ihrer faserreichen Bambusnahrung lediglich eine Verdaulichkeit von 12 %, weil sie als Bären nur den Hemizellulosenanteil verdauen können (Robbins 1993). Wie stark die Unterschiede in der Verdaulichkeit zwischen Herbivoren ausfallen können, lässt sich an deren Kot ablesen (Abb. 2.27).

 

Die Effizienz, mit der assimiliert wird, ist in mehrfacher Hinsicht von ökologischer Bedeutung. Drei Aspekte sind nach Karasov & Martínez del Río (2007) besonders wichtig:

1. Niedrige Effizienz bringt Fitnesseinbußen bei schlechterer Energieversorgung oder bei höherem zeitlichem Aufwand für die Nahrungssuche (Kap. 3).

2. Die Effizienz der Verdauung hat Implikationen für den Material- und Energiefluss zu anderen trophischen Stufen in einem Ökosystem.

3. Viele Tier-Pflanzen-Interaktionen, zum Beispiel bei der Blütenbestäubung oder der Verbreitung von Samen durch Tiere (Zoochorie), hängen oft von bestimmten Verdauungsleistungen ab.


Abb. 2.27 Kot des Weißbartgnus, links, des Savannenelefanten, Mitte, und des Schneehasen (Lepus timidus), rechts. Pflanzenfresser produzieren aufgrund der geringeren Verdaulichkeit ihrer Nahrung wesentlich mehr Kot als Carnivore. Als Wiederkäuer verdauen die Gnus die Nahrung allerdings besser als große Dickdarmfermentierer wie Elefanten oder Pferde, deren Kot meist viele sichtbare Stängel enthält. Der Faserkot des koprophagen Schneehasen besteht aus runden, sehr dicht gepressten Bällchen.