Ökologie der Wirbeltiere

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Abb. 2.6 Gesamtumsatz (gemessen als FMR) in Abhängigkeit der Körpermasse bei 229 Arten terrestrischer Wirbeltiere. Die Gerade ist die aus allen Werten berechnete Regressionslinie (Abbildung neu gezeichnet nach Nagy 2005).


Abb. 2.7 Bei der Schmalfuß-Beutelmaus (Sminthopsis crassicaudata), einem kleinen carnivoren Beuteltier aus den Trockenzonen Australiens, wurde mit 6,9-mal BMR einer der höchsten Gesamtumsätze gemessen (Nagy 1987). Mittels Torpor sind diese kleinen Raubbeutler jedoch in der Lage, außerhalb der Fortpflanzungszeit bei plötzlichem Nahrungsmangel bis zu 50 % der täglichen Energieausgabe einzusparen - und dank Sonnenbaden sparen sie auch beim Aufheizen auf die Normaltemperatur (Kap. 2.7).

Auch beim FMR bestehen die größten absoluten Unterschiede zwischen Exothermen und Endothermen: Der FMR (und damit der Nahrungsbedarf) ist bei Reptilien etwa 15-mal geringer als bei Vögeln und Säugetieren gleicher Körpermasse (Abb. 2.6). Da die Energieumsätze meist in Jahreszeiten mit größter Aktivität der Tiere gemessen werden, können sich über das Jahr aufsummierte Unterschiede bis zum 30-Fachen ergeben, denn der FMR steigt bei Endothermen in der kühlen Jahreszeit, während er bei Exothermen aufgrund der dann reduzierten Aktivität sinkt (Nagy 2005).

Wie beim Tätigkeitsumsatz, so ist es auch beim Gesamtumsatz instruktiv, den Wert als Mehrfaches des BMR auszudrücken. Für Vögel und kleinere Säuger liegt er bei den meisten Arten beim 2- bis 4-fachen BMR, bei vielen Gruppen kleinerer Vögel sogar recht eng im Bereich 3,0- bis 3,4-mal BMR, und in vielen Fällen noch deutlich darunter (Bryant 1997). Da das Äquivalent eines 4-fachen BMR bereits einer energetisch aufwendigen Lebensweise entspricht, ist eine Erhöhung darüber hinaus schnell mit Fitnesskosten verbunden. Länger andauernde Gesamtumsätze (sustained metabolic scope) bis etwa zum 5,2-Fachen des BMR kommen bei größeren Vögeln noch regelmäßig vor (McNab 2002). Noch höhere Werte sind selten und am ehesten bei kleinen, sehr aktiven Carnivoren zu finden (Hume 2006; Abb. 2.7); das 7-Fache des BMR dürfte das Maximum sein (Hammond & Diamond 1997). Allerdings zeigen die jüngsten Nachweise von über 10 000 Kilometer langen Nonstopflügen ziehender Pfuhlschnepfen (Limosa lapponica; Kap. 6.6), dass Vögel imstande sind, über neun Tage lang eine Leistung im Umfang des 8- bis 10-fachen BMR zu erbringen (Gill R. E. et al. 2009). Ein Vergleich mit dem menschlichen Leistungsvermögen ist in diesem Zusammenhang instruktiv: Teilnehmer am dreiwöchigen Radrennen, Tour de France 1984, verbrauchten über die Zeit ein mittleres Energieäquivalent von 4,3 bis 5,3-mal BMR (Westerterp et al. 1986).

Natürlich kann der Gesamtumsatz bei Arten in stark saisonalen Klimazonen über das Jahr hin merklich schwanken. Beim Gemeinen Rothörnchen (Tamiasciurus hudsonicus) betrug die maximale Energieausgabe im Sommerhalbjahr das 3,7-Fache des winterlichen Minimums, wobei die größten Ausgabeposten auf die Laktation (Kap. 4.1) und den herbstlichen Aufwand für das Sammeln der zu hortenden Nahrung (Kap. 3.7) entfielen (Fletcher et al. 2012). Selbst in den Tropen kann es zu Jahresgängen im Energieverbrauch kommen, wenn auch zu wesentlich geringeren Schwankungen. Bei tropischen Standvögeln wurde eine maximale Erhöhung während der Brutzeit um etwa 50 % des außerbrutzeitlichen Minimums gemessen. Bei Standvögeln, die in gemäßigten Zonen ausharren, liegt die winterliche Energieausgabe hingegen höher als jene zur Brutzeit (Wells & Schaeffer 2012).

2.2 Nahrung als Energie- und Nährstofflieferant

Zusammensetzung der Nahrung

Aus der Nahrung muss der tierische Organismus Energie und über 50 verschiedene Inhaltsstoffe beziehen können, welche zudem in einem bestimmten Verhältnis zueinander stehen sollten. Abb. 2.8 gibt einen Überblick über die wichtigsten Komponenten. Alle Arten von Nahrung enthalten zumeist einen bedeutenden Anteil an Wasser. In tierischem Gewebe ist er relativ konstant bei etwa 60–70 %, bei Pflanzen hingegen variabler. Am wasserreichsten sind Algen, gewisse Wasserpflanzen und Beeren mit über 80 %. Krautige Pflanzen und Wurzelknollen kommen auf etwa 70 %, Gras und Flechten auf 40–50 %, und am trockensten sind Zweige oder Samen mit etwa 30 %. Dies sind Mittelwerte; zudem nehmen im saisonalen Klima Wasser- und Stickstoffgehalt in Blättern und Stängeln gegen das Lebensende oder zum Beginn der Dormanz der Pflanze hin ab. Deshalb werden Energie- und Nährstoffwerte in der Regel auf die Trockenmasse der Nahrung bezogen.


Abb. 2.8 Die Trockensubstanz besteht aus einem anorganischen Anteil (welcher bei Nährstoffanalysen nach der Verbrennung als Asche anfällt) und organischen Komponenten. Diese umfassen neben den eigentlichen Nährstoffen (leichtverdaulichen Kohlenhydraten, Proteinen und Lipiden) sowie den Mikronährstoffen wie Vitaminen auch teilweise unverdauliche (Faser = schwer- und unverdauliche Kohlenhydrate) bis mild toxische Komponenten (Sekundärstoffe) (nach Karasov & Martínez del Río 2007).

Energie

Energie wird aus der Oxidation der Nährstoffe (Proteine, Kohlenhydrate und Lipide) bezogen; die Nährstoffe sind zugleich Bausteinlieferanten des Körpers oder lassen sich in solche umwandeln. Lipide (Fette und Öle) haben den höchsten Energiegehalt; Proteine (Eiweiße) und Kohlenhydrate liegen deutlich darunter (Tab. 2.1). Der Energiegehalt der Nahrung ergibt sich also vor allem aus ihrer Zusammensetzung. Fleisch ist wesentlicher energiereicher als pflanzliche Nahrung, je nach Fettgehalt aber auch variabler. Gerade bei Fischen kann der Fettgehalt den Nährwert stark beeinflussen: Ölhaltige Arten (etwa Aal, Anguilla anguilla) liefern bis zu 4-mal mehr Energie als ölfreie Fische (wie etwa Flussbarsch, Perca fluviatilis). Pflanzengewebe, besonders Blätter und Stängel, sind weniger variabel als tierisches Gewebe, doch können die bereits erwähnten saisonalen Abnahmen für Herbivoren von Bedeutung sein, wenn der Nährwert der Nahrung bereits an der unteren Grenze liegt. Oft betreffen solche Veränderungen nicht den Bruttoenergiegehalt (GE), sondern den nutzbaren Anteil, der durch die Verdaulichkeit der Nahrung gegeben ist (DE). Bei Pflanzen hängt die Verdaulichkeit stark von den Anteilen verschiedener Fasern ab; Lignin ist auch für Herbivoren weitgehend unverdaulich (Kap. 2.6). Bei tierischer Nahrung ist der Anteil unverdaulicher Materie oftmals dort hoch, wo kleinere Beutetiere samt Exo- oder Endoskelett ganz verschlungen werden (bis 80 % bei Mollusken mit Schalen, bis 50 % bei Arthropoden mit Cuticula, bis 17 % bei kleineren Vertebraten samt Federn, Haaren oder Knochen) oder wo kleine Beutetiere, zum Beispiel Arthropoden, mit anhaftender Erde oder Sand aufgenommen werden – ein häufiger Fall bei Ameisen- und Termitenfressern (McNab 1984; s. Abb. 2.14).

Box 2.2 Zusammenbruch der Geierpopulationen in Südasien

Ab etwa 1993 brachen die Bestände der Geier der Gattung Gyps (G. bengalensis, G. indicus, G. tenuirostris) auf dem Indischen Subkontinent innerhalb weniger Jahre um 99,9 % ein. Die zuvor häufigen Aasvertilger, welche die Kadaver von Kühen auch in den Städten beseitigten, waren nun am Rande des Aussterbens. Eine solche Rate der Populationsabnahme konnte nur durch eine massiv erhöhte Adultmortalität zustande kommen. Nach einiger Zeit war die Ursache identifiziert. Das entzündungshemmende Mittel Diclofenac wurde mehr und mehr auch zur Behandlung von Kühen eingesetzt und war überall leicht und günstig erhältlich. Wurde Diclofenac in den letzten Tagen vor dem Tod einer Kuh verabreicht, war das Mittel anschließend im Kadaver noch nicht abgebaut und wurde von den Geiern in letaler Dosis aufgenommen. Diclofenac f𠃼hrt bei den Geiern zu Niereninsuffizienz und damit zu gestörter Wasserregulation; die Anreicherung von Harnsäure in Blut und Gewebe (Viszeralgicht) wirkte dann schnell tödlich. Weiträumige Erhebungen der Kontamination toter Kühe mit Diclofenac, verbunden mit Populationsmodellen der Geier, wiesen nach, dass die Kontamination den Rückgang der Geier allein bewirken konnte. Da unschädliche Alternativen zu Diclofenac existierten, wurde die Anwendung des Mittels auf dem Indischen Subkontinent 2006 verboten (Green et al. 2007; Pain et al. 2008). Darauf stabilisierten sich die Restbestände, und neuerdings scheint sich eine Umkehr der Bestandsentwicklung abzuzeichnen (Chaudhry et al. 2012; Prakash et al. 2012; Cuthbert et al. 2014). Das praktische Verschwinden der Geier hatte weitreichende negative Auswirkungen, bis hin zum Anstieg der Todesfälle in der Bevölkerung durch Tollwut. Dies war darauf zurückzuführen, dass die Zahl verwilderter Hunde in Indien stark anwuchs, nachdem sie an den Kadavern toter Kühe keiner Konkurrenz durch Geier mehr ausgesetzt waren (Markandya et al. 2008).


Abb. 2.9 Zwei der hauptbetroffenen Geierarten: Bengalengeier (G. bengalensis, oben), und Dünnschnabelgeier (G. tenuirostris, unten).

 

Wasser

Wasser ist der Reaktionsträger für Stoffwechselvorgänge in Pflanzen und Tieren, denn eine riesige Vielfalt von Stoffen ist in Wasser löslich, von einfachen Mineralionen bis zu Zuckern, kurzkettigen Fettsäuren, Aminosäuren oder komplexen Proteinen und Vitaminen. Tiere brauchen damit Wasser, um Volumen und Zusammensetzung ihrer Körperflüssigkeiten aufrechtzuerhalten. Beeinträchtigungen dieser Fähigkeit durch Wassermangel führen schnell zum Tod. Auch toxische Effekte können die Regulationsfähigkeit einschränken (Box 2.2).

Tiere nehmen Wasser auf und geben Wasser an die Umgebung ab; diese Balance funktioniert je nach Lebensraum in unterschiedlicher Weise. Bei wasserlebenden Arten, die über Kiemen oder die Haut leicht Wasser mit ihrem Medium austauschen, spielt die Osmolarität eine entscheidende Rolle. Im Meerwasser mit hoher Osmolarität lebende Knochenfische sind hypoosmotisch. Sie verlieren Wasser und müssen trinken; dabei wird Salz wieder über Nieren und Kiemen ausgeschieden. Süßwasser besitzt niedrigere Osmolarität als die Körperflüssigkeit von Fischen oder Amphibien; diese Arten sind gegenüber ihrer Umgebung hyperosmotisch. Sie müssen nicht trinken und schaffen das eindringende Wasser als Urin aus dem Körper. Terrestrische Wirbeltiere verlieren Wasser über Haut, Lungen, Niere und den Verdauungstrakt und müssen dieses ersetzen. Sie können es generell auf drei Arten aufnehmen: 1. frei, also durch Trinken, 2. als Bestandteil der Nahrung und 3. als metabolisches Wasser, das heißt durch die Oxidation organischer Verbindungen wie Proteine und Fett.

Verschiedene Wasser- und Meeresvögel, Wale, Robben und andere Säuger nehmen über die Nahrung hohe Salzkonzentrationen auf und können auch Salzwasser trinken; das Salz wird über die Nieren mit speziell hoher Resorptionsfähigkeit für Wasser (Säugetiere) und spezielle Salzdrüsen (Vögel, auch bei Reptilien) wieder ausgeschieden (Abb. 2.10). Dies gilt vor allem bei Arten, die sich von Invertebraten (zum Beispiel Krill) ernähren, da Invertebraten im Unterschied zu Fischen hyperoder isoosmotisch sind. Fisch- und fleischfressende Arten, aber auch viele Herbivoren müssen kaum trinken, da die Nahrung selbst genügend Wasser enthält und zudem über den Fettabbau oxidatives Wasser liefert. Selbst herbivore Wüstenbewohner können viel Wasser über sukkulente Pflanzen, Knollen und Wurzeln beziehen; zudem ist Tau für sie eine Wasserquelle. Australische Hüpfmäuse (Notomys alexis) ändern bei Wassermangel ihre metabolische Strategie: Durch erhöhte Nahrungsaufnahme lagern sie in der Leber Glykogen an, aus dem sie – anstatt aus dem Fett – metabolisches Wasser beziehen (Takei et al. 2012). Daneben besitzen Wüstentiere Adaptationen, um den Wasserverlust zu reduzieren. Beispielsweise vermindern sie die Verdunstungsrate über den Anstieg der Körpertemperatur (Heterothermie, Kap. 2.7), oder sie produzieren sehr trockenen Kot und stark konzentrierten Urin (Fuller A. et al. 2014). Der Wasserverlust steigt generell mit zunehmender Umgebungstemperatur und körperlicher Leistung; so kann etwa die Reichweite ziehender Watvögel im Nonstopflug (Kap. 6.6) durch den Wasserverlust begrenzt werden. Auch über die Milchproduktion entsteht größerer Wasserbedarf. Umgekehrt können viele Tiere zur Kühlung mittels Hecheln den Wasserverlust erhöhen; bei größeren laufenden Arten wie Pferden oder auch dem Menschen erfolgt die kühlende Wasserabgabe über Drüsen nahe der Körperoberfläche in der Nähe der wärmeproduzierenden Muskeln (Schwitzen).

Eigentliche Nährstoffe

Kohlenhydrate, Proteine und Lipide machen den Löwenanteil der organischen Substanz in der Nahrung aus. In Pflanzen besteht diese hauptsächlich aus Kohlenhydraten, in tierischem Gewebe aus Rohprotein. Bei Nahrungsuntersuchungen spricht man oft von Rohfaser, Rohprotein und Rohfett, wenn nicht genau zwischen den einzelnen chemischen Formen unterschieden wird. Rohprotein bezeichnet damit die Summe der meisten N-haltigen Verbindungen, also Proteine und Nukleinsäuren. Der Sammelbegriff «Rohfaser» gilt nur als sehr grobes Maß für die Nahrungsqualität, da er Faserarten sehr unterschiedlicher Verdaulichkeit und weitere wenig definierte Substanzen umfasst.

Proteine sind Aminosäureverbindungen, die im Körper der meisten Tiere in relativ ähnlicher Zusammensetzung vorhanden sind und zahlreiche verschiedene Funktionen ausüben. Damit ist die Nahrung der Carnivoren ähnlich zusammengesetzt wie ihr eigener Körper und bezüglich der benötigten Nährstoffe in der Regel ausgeglichen, während bei Herbivoren in der Nahrung wichtige Komponenten fehlen können. Zehn der 23 proteinogenen Aminosäuren können von Tieren mit einfach gebautem Verdauungssystem (vor allem Carnivoren und Omnivoren) nicht selbst synthetisiert und müssen über die Nahrung beschafft werden; man bezeichnet sie als essenzielle Aminosäuren. Ein Mangel an essenziellen Aminosäuren führt meist zu Einbußen bei Wachstums- und Reproduktionsleistungen, besonders schnell im Fall der Aminosäure Arginin; bei Katzen ist Argininmangel sogar tödlich. Katzen als strikte Fleischfresser können auch Taurin nicht selbst herstellen. Taurin ist in Fleisch häufig, fehlt jedoch in Pflanzen. Pflanzenfresser sind deshalb in der Lage, Taurin zu synthetisieren (Robbins 1993). Selbst synthetisierbare Aminosäuren heißen nicht essenziell. Herbivoren mit komplizierter gebautem Verdauungssystem fermentieren mithilfe von Mikroorganismen im Vormagen oder Blinddarm (Kap. 2.4) und vermögen im Rahmen der mikrobiellen Synthese mehr Aminosäuren aufzubauen.


Abb. 2.10 Die Salzdrüsen der Vögel sind paarige Nasendrüsen oberhalb der Augen und bei den meisten Arten funktionslos, bei marinen und anderen Vögeln, die ihre Nahrung aus dem Salzwasser aufnehmen, jedoch gut ausgebildet. Das Sekret mit hoher Natriumchloridkonzentration (bis zum Doppelten des Gehalts im Meerwasser) wird über die Ausfuhrgänge zu den Nasenlöchern und von dort in Furchen zur Schnabelspitze abgeleitet. Bei den Röhrennasen (Procellariiformes) sind die Ausfuhrgänge von einem röhrenförmigen Teil des Schnabels umschlossen. Diese Röhren sind beim Riesensturmvogel (Macronectes giganteus; im Bild) auffällig, bei manchen Arten aber kürzer (weitere Arten in Abb. 2.5, 5.17 und 6.7).

Pflanzliche Kohlenhydrate (KH) können gemäß ihrer Funktion in der Pflanze in nicht strukturelle und strukturelle Kohlenhydrate unterschieden werden; die Unterscheidung ist auch in nahrungsphysiologischer Hinsicht sinnvoll. Nicht strukturelle KH reichen von löslichen Mono- und Disacchariden («Zucker») zu Polysacchariden, zum Beispiel als Stärke in Samen und Wurzeln. Nicht strukturelle KH kommen in allen Pflanzenteilen vor, gehäuft aber in Früchten, Samen, in der Stängelbasis und in Wurzeln von Gräsern und Kräutern, in Wurzelknollen und in den Wurzeln der meisten Bäume und Sträucher. Sie dienen der Pflanze als Reserve und zeigen im Wechselspiel von Fotosynthese und Atmung deutliche Tagesgänge und saisonale Schwankungen ihrer Konzentration. Nicht strukturelle KH sind allgemein sehr gut verdaulich (Kap. 2.6).

Tab. 2.1 Energiegehalt (in kJ/g) und Zusammensetzung (%) der Nährstoffe, von verschiedenen Nahrungstypen und von Exkreten (Durchschnittswerte) (nach Robbins 1993, Willmer et al. 2004, Karasov & Martínez del Río 2007 sowie Senser et al. 2009). *Daten aus Lebensmitteltabellen (bei Fleisch Mittelwerte aus verschiedenen Fleischteilen, jedoch auf den essbaren Anteil bezogen)


Die beiden wichtigsten strukturellen KH in den Zellwänden der Pflanzen sind Zellulose und Hemizellulose, die für statische Festigkeit vor allem gegen Zugkräfte sorgen. Zellulose und Hemizellulose können von Wirbeltieren nur mittels von Mikroben produzierter Enzyme abgebaut werden. Herbivoren gewinnen einen bedeutenden Anteil ihrer Energie aus Zellulose und Hemizellulose. Zusammen mit Lignin bilden die strukturellen KH den Faseranteil. Lignin ist kein KH, sondern ein aromatisches, nicht saccharides Polymer, das in der Zellwand für Druckfestigkeit sorgt und die Verholzung bewirkt. Lignin kann auch von der Darmflora nicht fermentiert werden und ist damit weitgehend unverdaulich. Lignin trägt stark dazu bei, dass Verdaulichkeit (Kap. 2.6) und Nährwert der Pflanze oft umgekehrt proportional zum Faseranteil sind.

Lipide sind eine heterogene Gruppe organischer Verbindungen, die aus Fettsäuren aufgebaut sind. Nicht nur Fette und Öle gehören dazu, sondern auch Wachse, Sterole, Sphingolipide und Phospholipide. Letztere bilden wesentliche Bestandteile von Membranen von mikrobiellen, pflanzlichen und tierischen Zellen. In der Ernährung aber spielen Lipide ihre bedeutendste Rolle in Form von Fetten und Ölen (Triacylglycerole, früher oft als Triglyceride bezeichnet), aber auch von Wachsen; sie dienen als Energiespeicher, da sie wesentlich energiereicher als Kohlenhydrate oder Proteine sind (Tab. 2.1). Dank der hydrophoben Eigenschaften der Lipide kann die Energie zudem «sauber», das heißt ohne größere Mengen angelagertes Wasser gespeichert werden, im Gegensatz etwa zu Glykogen, einem anderen Energiespeicher. Da Körperfett sehr direkt aus aufgenommenen Fettsäuren synthetisiert werden kann, lagern Tiere bei fettreicher Nahrung schnell entsprechende Vorräte an – etwa Lachs fischende Grizzlybären (Ursus arctos), die vor allem Gehirn und Laich der Fische fressen. Auch Omnivoren wie Hühner- und Gänsevögel können aus der in Körnern enthaltenen Stärke schnell Körperfett aufbauen (Barboza et al. 2009). Zur Mobilisierung der Fettreserven siehe Kapitel 2.7.

Minerale

Verbrennt man organische Substanz unter hoher Temperatur, etwa bei Nährstoffanalysen, so bleibt am Schluss Asche übrig. Diese repräsentiert den «anorganischen» Anteil, das heißt praktisch den Totalgehalt an Mineralen. Quantitativ ist ihr Anteil im Vergleich zur organischen Substanz relativ gering (Minerale machen im Tierkörper etwa 5 % aus), qualitativ hingegen von großer Bedeutung für verschiedene Körperfunktionen. Gemäß den benötigten Mengen unterscheidet man zwischen Makro- und Mikromineralen (oder-elementen).

Makroelemente werden in «größeren» Mengen benötigt, die gewöhnlich in mg/g Nahrung gemessen werden. Kalzium und Phosphor sind wichtig für die Knochenbildung und die Produktion von Eischalen; männliche Hirsche haben während der alljährlichen Neuproduktion ihres Geweihs einen stark erhöhten Kalziumbedarf, weibliche Säugetiere generell während der Laktation, da die produzierte Milch reich an Kalzium und Phosphor ist. Deshalb muss die Kalziumversorgung oft über spezielle Verhaltensweisen sichergestellt werden: Carnivoren kauen Knochen, Nagetiere benagen Knochen oder abgeworfene Geweihe, und Vögel nehmen Schneckenhäuschen oder Kalksteinchen auf (Box 2.3). Phosphor ist in den meisten organischen Verbindungen vorhanden und gibt in der Regel keinen Anlass zu Versorgungsproblemen. Allerdings scheinen regionale Defizite bei Phosphor und anderen Mineralen in tropischen Grasländern die Verteilung großer Herbivoren über die Landschaft mitzubestimmen. Die Wanderungen von 1,5 Mio. Weißbartgnus (Connochaetes taurinus) im Serengeti-MaraÖkosystem (Tansania und Kenia; Kap. 6.3) werden nicht nur über das Proteinangebot der Pflanzennahrung, sondern auch über regionale Unterschiede im Phosphorgehalt gesteuert (McNaughton 1990). Natrium spielt im Wasserhaushalt des Körpers, bei der Muskelkontraktion und bei der Übertragung von Nervenimpulsen eine wichtige Rolle. Fleischnahrung liefert genügend Natrium, doch in Pflanzen kommt Natrium nur in geringer Konzentration vor. In der Regel nimmt die Natriumversorgung von den Küstengebieten (natriumhaltige Aerosole) ins Innere der Kontinente hinein ab. Herbivoren sind deshalb dort oft auf zusätzliche Aufnahme angewiesen, etwa an Salzlecken oder durch Aufnahme von Erde (Geophagie). Geophagie wird regelmäßig von vielen Arten von Huftieren, Elefanten, Primaten, Nagetieren und Vögeln praktiziert (Abb. 2.11). «Hunger» nach Kalzium und Natrium ist den Tieren angeboren (Abb. 3.6). Andere Makroelemente (Kalium, Magnesium, Chlor, Schwefel) sind in der Regel in genügender Konzentration in Pflanzen vorhanden und stellen wild lebende Tiere kaum vor Versorgungsprobleme.

 

Ähnliches gilt für die Zufuhr von Mikroelementen (Spurenelementen), deren Bedarf in der Größenordnung von μg/g Nahrung liegt. Zu ihnen gehören Eisen, Kupfer, Zink, Mangan, Selen und zehn weitere Elemente. Spurenelemente haben wichtige Funktionen als Katalysatoren für oxidative oder reduktive Reaktionen. Die quantitativen Bedürfnisse nach Spurenelementen sind allgemein noch wenig untersucht; man nimmt an, dass die meisten Arten an die Versorgung in ihrem Verbreitungsgebiet angepasst sind. Regionaler Selenmangel (und auch lokaler toxischer Selenüberschuss) ist etwa aus Teilen Nordamerikas und im südlichen Afrika bekannt, scheint aber nur auf größere Herbivoren gewisse Auswirkungen zu haben, etwa über erhöhte Mortalität von Jungtieren; auch Kupfermangel kann sich ähnlich auswirken (Robbins 1993; Karasov & Martínez del Río 2007). Bei insektenfressenden Vögeln Australiens hat man nachgewiesen, dass die von ihnen bevorzugten Arthropodengruppen (Käfer, Schmetterlinge, Heuschrecken und Spinnen) nicht nur höhere Gehalte an Rohprotein und Fett aufwiesen als weniger häufig gefressene Gruppen (Zweiflügler, Hautflügler und Libellen), sondern noch ausgeprägt höhere Gehalte an allen elf analysierten Makro- und Mikroelementen (Razeng & Watson 2015).

Vitamine

Ähnlich den Spurenelementen sind Vitamine in der Nahrung nur in kleinsten Mengen vorhanden, für Tiere aber unverzichtbar. Vitamine sind relativ komplexe organische Verbindungen, weisen darüber hinaus aber keine engere chemische Verwandtschaft auf und werden vor allem wegen ihrer ähnlichen Funktionen als Koenzyme unter einem Begriff zusammengefasst. Vitamine sind normalerweise essenziell, das heißt von Tieren nicht (oder nicht in genügender Menge) synthetisierbar. Vitamin C (Ascorbinsäure) ist teilweise eine Ausnahme, da die meisten Säugetiere, Vögel, Amphibien und Reptilien es synthetisieren können; manche Arten haben aber im Lauf der Evolution diese Fähigkeit bereits wieder verloren. Vitaminmängel sind bei wild lebenden Tieren schwierig nachzuweisen und scheinen vor allem dort vorzukommen, wo Populationen auf kleine Gebiete (zum Beispiel kleine Inseln) mit eingeschränkter Nahrungswahl zurückgedrängt worden sind. Wie weit ein Syndrom bei Vögeln im Gebiet der Ostsee, das zu Lähmungserscheinungen und oft zum Tod führt, auf einen Mangel an Thiamin (Vitamin B1) zurückgeführt werden kann, ist umstritten (Balk et al. 2009; Sonne et al. 2012).


Abb. 2.11 Auch Frucht- und Samenfresser sind auf zusätzliche Quellen von Natrium-, Kalium-, Magnesium- und Kalziumverbindungen sowie andere Minerale angewiesen. Grünflügelaras (Ara chloropterus) besuchen wie viele weitere neotropische Papageien Lehmlecken (clay licks) an steilen Flussufern, deren Gehalt an Natrium gegen 4-mal höher ist als in umliegenden Böden und etwa 6-mal höher als in der Nahrung. Neben der Bedeutung als Natriumlieferant mögen auch detoxifizierende und andere Wirkungen des Lehms eine Rolle spielen, besonders für Herbivoren, deren Nahrung durch einen hohen Gehalt an sekundären Pflanzenstoffen charakterisiert ist (Brightsmith et al. 2008; Powell et al. 2009).

Sekundärstoffe

Im Gegensatz zu den bisher behandelten Nahrungsbestandteilen, die in irgendeiner Form der Ernährung dienen, sind Sekundärstoffe (secondary metabolites) Stoffe, die Pflanzen und Tiere als Abwehrstoffe gegen Prädation respektive Herbivorie produzieren. «Sekundär» bedeutet, dass sie in der Regel in der Pflanze keine primäre metabolische Funktion innehaben. Unter den Tieren sind es viele Invertebraten, aber auch Fische, Amphibien und sogar einzelne Vögel, die solche Stoffe – oft Neurotoxine – synthetisieren oder aus ihrer eigenen Nahrung gewinnen und sie dann im Körper akkumulieren. Die größte Vielfalt an Sekundärstoffen wird aber von Pflanzen produziert, vor allem von Dikotylen, viel weniger von Monokotylen (Gräsern), die zum Schutz gegen Frass eher Siliziumkristalle einlagern (Box 2.5). Die Konzentration an Sekundärstoffen ist artspezifisch und bei vielen Pflanzenarten in älteren Blättern hoch, bei anderen hingegen in jungen Zweigen. Dazu kommen Schwankungen nach Jahreszeit oder Jahr, aber auch individuelle Unterschiede. Da die Produktion mit Kosten verbunden ist, geht sie beim Nachlassen von Fraßdruck zurück. Die Wirkung der Tausenden bereits bekannter Sekundärstoffe reicht von geschmacklicher Wirkung (Bitterstoffen) über verdauungshemmende bis zu toxischer Wirkung; diese muss aber nicht für alle Konsumentengruppen gleich sein. Was zum Beispiel toxisch für Insekten sein kann, mag für Säugetiere neutral wirken. Der Abbau der Toxine geschieht durch die Mikroben im Verdauungstrakt (Kohl et al. 2014).

Box 2.3 «Unerwartete» ökologische Auswirkungen von anthropogen verursachten Störungen in der Kalziumversorgung von Vögeln

Schneckenhäuschen sind für viele Vögel wichtige Kalziumquellen vor der Eibildung, denn Vögel können keine größeren Kalziumvorräte im Körper anlegen. Weil Landschnecken auf sauren Böden geringere Dichten als auf kalkreichem Untergrund erreichen, können sie die Dichte von Singvögeln in natürlicherweise kalkarmen Gebieten limitieren. Nachdem Forscher in niederländischen Wäldern auf sandigen Böden Rückgänge im Bruterfolg bei Singvögeln feststellten, wiesen sie nach, dass Eier öfter zerbrachen, weil die Dicke der Eischalen abnahm. Dies wiederum war auf einen Rückgang in der Häufigkeit der Landschnecken zurückzuführen, der seinerseits durch den anthropogen bedingten sauren Regen verursacht wurde (Graveland & van der Wal 1996; Graveland & Drent 1997).

Geiernestlinge müssen ihren Kalziumbedarf durch Knochenfragmente decken, die ihnen die Eltern füttern. Diese stammen in der Regel von Knochen, die vorgängig von größeren Säugern zerbissen wurden. Nach der Ausrottung von Löwen (Panthera leo) und Hyänen (Crocuta, Hyaena) auf dem Farmland in Südafrika konnten sich die Kapgeier (Gyps coprotheres, ähnlich den Arten in Abb. 2.9) zwar weiterhin vom Fleisch von totem Vieh ernähren. Da die Knochen aber nicht mehr durch Großprädatoren aufgeschlossen wurden, fehlte es an verfütterbaren Knochen, und aufgrund des Kalziummangels litten die Geiernestlinge vermehrt an Knochenmissbildungen (metabolische Osteodystrophie, «Rachitis»). Bei Kolonien in Wildreservaten mit Großprädatoren war dies nicht der Fall (Richardson et al. 1986).

Entsprechend ihrer chemischen Verwandtschaft lassen sich etwa 20 Gruppen sekundärer Pflanzenstoffe unterscheiden. Zu ihnen gehören etwa Terpene, Phenole oder Alkaloide. Terpene hemmen als Aroma- oder Bitterstoffe die Tätigkeit der Mikroorganismen im Pansen der Wiederkäuer. Phenole, zu denen die Tannine gehören, binden sich an Proteine und reduzieren dadurch deren Verdaulichkeit. Die meisten Blätter von Bäumen enthalten Tannine. Alkaloide sind zyklische Stickstoffverbindungen, die vor allem mild toxisch wirken. Viele Raupen können Alkaloide sequestrieren und im eigenen Körper akkumulieren, was sie selbst gegen Fraß durch Vögel schützt. Die große Vielfalt der Sekundärstoffe auch innerhalb einer Gruppe bringt es aber mit sich, dass sich die Wirkungen der einzelnen Stoffe innerhalb einer Gruppe deutlich unterscheiden können. Dazu kommt, dass die Konsumenten im Laufe der Evolution selbst zahlreiche Abwehrmechanismen entwickelt haben. Je nachdem werden sie demnach versuchen, die Einnahme dieser Stoffe zu vermeiden, niedrig zu halten oder deren Wirkung zu neutralisieren.