Ökologie der Wirbeltiere

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Weiterführende Literatur



Zur Definition der Art gibt es eine umfangreiche Literatur. Einige neuere Werke präsentieren die Ideen rund um die Artkonzepte in verschiedenen Kontexten (Klassifikation, geschichtlich und philosophisch):



• Kunz, W. 2012. Do Species Exist? Principles of Taxonomic Classification. Wiley-Blackwell, Weinheim.



• Wilkins, J.S. 2009. Species. A History of the Idea. University of California Press, Berkeley.



• Richards, R.A. 2010. The Species Problem. A Philosophical Analysis. Cambridge University Press, Cambridge.



Ein lesenswerter Text, wie sich die verschiedenen Artkonzepte in der praktischen Anwendung, nämlich dem Erstellen einer Checkliste der Vögel der Erde, eignen und wie das System von Tobias et al. (2010) im großen Rahmen angewandt werden kann, bildet das Einführungskapitel von:



• del Hoyo, J. & N.J. Collar. 2014. HBW and BirdLife International Illustrated Checklist of the Birds of the World. Volume 1: Non-passerines. Lynx Edicions, Barcelona.



Zu den Wirbeltieren, Säugetieren und Vögeln existieren umfangreiche Standardwerke, die alle bereits mehrere Auflagen erlebt haben. Bei den meisten nimmt die Behandlung der höheren taxonomischen Einheiten breiten Raum ein. Zwei Werke widmen sich den Vertebraten insgesamt, wobei Linzey einen breiteren biologischen Ansatz wählt, während Kardong auf die Anatomie und Morphologie fokussiert:



• Linzey, D.W. 2012. Vertebrate Biology. 2nd ed. John Hopkins University Press, Baltimore.



• Kardong, K.V. 2014. Vertebrates. Comparative Anatomy, Function, Evolution. 7th ed. McGraw Hill, Boston.



In ähnlicher Weise behandeln zwei Lehrbücher nur, dafür ausführlicher, die Säugetiere:



• Vaughan, T.A., J.M. Ryan & N.J. Czaplewski. 2015. Mammalogy. 6th ed. Jones and Bartlett Learning, Burlington.



• Feldhamer, G.A., L.C. Drickamer, S.H. Vessey, J.F. Merritt & C. Krajewski. 2015. Mammalogy. Adaptation, Diversity, Ecology. 4th ed. John Hopkins University Press, Baltimore.



Über die Vögel, die sonst bezüglich spezifischer Themen sehr gut mit Büchern abgedeckt sind, ist gegenwärtig ein einziges neues Standardwerk von ähnlicher Form wie jener für die Säugetiere erhältlich:



• Lovette, I.J. & J.W. Fitzpatrick (eds.). 2016. The Cornell Lab Handbook of Bird Biology. 3rd ed. John Wiley & Sons, Hoboken.



Die Sinnesleistungen der Vögel und Säugetiere sind in den genannten Werken unterschiedlich detailliert behandelt; eine neue Darstellung fokussiert auf den ökologischen Kontext:



• Stevens, M. 2013. Sensory Ecology, Behaviour, and Evolution. Oxford University Press, Oxford.



Spezifische Werke über die Mauser der Vögel existieren nur wenige. Der alte Klassiker der Stresemanns ist nach wie vor eine Quelle genauster Angaben, während Howells rezentes Werk die Mauser bei den nordamerikanischen Arten behandelt und das nordamerikanische System der Mausernomenklatur erklärt:



• Stresemann, E. & V. Stresemann. 1966. Die Mauser der Vögel. Journal für Ornithologie 107: Sonderheft.



• Howell, S.N.G. 2010. Molt in North American Birds. Houghton Mifflin Harcourt Publishing Company, New York.



Eine schöne Einführung in die Thematik, vor allem die Koordination der Mauser mit den Erfordernissen des Zugs, am Beispiel europäischer Singvögel, bietet das Einleitungskapitel von:



• Jenni, L. & R. Winkler. 1994. Moult and Ageing of European Passerines. Academic Press, London.







2 Energie, Nahrung und Verdauung: die physiologischen Aspekte der Nahrungsökologie








Abb. 2.0 Westlicher Fettschwanzmaki (Cheirogaleus medius)





Kapitelübersicht



2.1 Energiehaushalt (Metabolismus)





Energiefluss





Energieumsatz





Grundumsatz





Leistungs- und Gesamtumsatz





2.2 Nahrung als Energie- und Nährstofflieferant





Zusammensetzung der Nahrung





Energie





Wasser





Eigentliche Nährstoffe





Minerale





Vitamine





Sekundärstoffe





2.3 Ernährungstypen





2.4 Verdauungssysteme





Verdauungssysteme der Herbivoren





Dickdarmfermentierer





Vormagenfermentierer





2.5 Nahrungsstrategien der Herbivoren





2.6 Effizienz der Assimilation





2.7 Energiebalance und Kondition





Energiespeicherung und Kondition





Energieeinsparung





Sich zu ernähren, ist das unmittelbarste Bedürfnis eines Tiers. Energie, Nährstoffe und Wasser werden zum Aufrechterhalten der Körperfunktionen, für Wachstum, Aktivität und zur Reproduktion benötigt. Ernährung ist von direkter Relevanz für die Fitness eines Individuums, das heißt seinen Erfolg bei der Weitergabe der eigenen Gene in die nachfolgenden Generationen. Verhungern ist nämlich bei vielen Tierarten eine bedeutende direkte, Unterernährung eine bedeutende indirekte Mortalitätsursache. Zum Aufrechterhalten der Körpertemperatur ist bei Endothermen regelmäßige Nahrungsaufnahme vonnöten; Ausnahmen sind möglich bei herabgesetzter Körpertemperatur, etwa während des Winterschlafs, oder wenn bei gewissen Tätigkeiten (zum Beispiel Brunft, Bebrütung des Geleges) auf körpereigene Reserven zurückgegriffen werden kann. Exotherme Tiere sind dagegen in der Lage, lange Perioden ohne Nahrungsaufnahme durchzustehen.



In diesem und dem folgenden Kapitel geht es um die Ökologie der Ernährung, die als Nahrungsökologie bezeichnet wird. Unter diesem Begriff treffen Aspekte zusammen, die oft in zwei ganz unterschiedlichen Disziplinen behandelt werden.



1. Die Bedürfnisse eines Tieres bezüglich seiner Ernährung erschließen sich primär über das Verständnis der Physiologie und der entsprechenden Anpassungen im Körperbau. Es geht also um den Bedarf und die Aufnahme von Energie und Nährstoffen, um deren Mobilisierung aus unterschiedlicher Nahrung (zum Beispiel aus pflanzlichem oder tierischem Gewebe) und die Möglichkeiten und Grenzen, die sich aus den entsprechend adaptierten Verdauungssystemen ergeben. Der Rahmen dafür ist die natürliche Umwelt, mit der sich das Tier auseinandersetzen muss, was zu verschiedensten physiologischen Strategien im Umgang mit der verfügbaren Energie geführt hat. So verbinden sich physiologische mit ökologischen Fragen – das Merkmal der grenzüberschreitenden Disziplin der Ökophysiologie. Diese Thematik ist Gegenstand des

Kapitels 2

.



2. Will man hingegen wissen, wie ein Tier diese Bedürfnisse erfüllt, also die benötigte Nahrung beschafft, steht ein verhaltensökologischer Ansatz im Vordergrund. Die Fragen lauten dann zum Beispiel, wie das Nahrungsangebot räumlich und zeitlich verteilt ist, wie ein Tier die Nahrung nutzen kann (zum Beispiel selektiv oder opportunistisch) und welche Strategie der Nahrungssuche und -aufnahme letztlich zum besten Erfolg, das heißt zur Fitnessmaximierung führt. Theorien und Befunde, Fragen und Antworten dazu bilden das

Kapitel 3

.





2.1 Energiehaushalt (Metabolismus)



Energiefluss



Energie wird aufgenommen und für verschiedene Zwecke wieder verbraucht. Der Energiefluss lässt sich mittels eines Energiebudgets beschreiben und seine Bilanz berechnen. Als Maßeinheit für die Energie wird in der Regel das Joule (J) respektive das Kilojoule (kJ) verwendet; früher wurde eher mit Kalorien (cal) gerechnet, wobei 1 J = 0,239 cal oder 1 cal = 4,186 J. Wird eine Energieangabe gemacht, so sollte stets hinter der Einheit ( Joule oder Kalorie) die Art der Energie genannt werden, wie im folgenden Energiefluss-Schema (Abb. 2.1) ausgedrückt.








Abb. 2.1 Vereinfachtes Schema des Energieflusses durch den Körper. Nicht angegeben sind geringere Verluste, die bei den Assimilationsvorgängen und dem Gewebeaufbau (siehe Text) anfallen. Auch die zur Verdauung benötigte Energie, die als Wärme abgegeben wird (diet induced thermogenesis, specific dynamic action), ist ein solcher Verlust, sofern sie nicht zur Balance von Kältestress verwendet werden kann. Der Verlust hängt von der Art der Nahrung und weiteren Faktoren ab und beträgt oft 10–20 %, mitunter sogar 50 % der assimilierbaren Energie; die Verdauung von Protein ist energieintensiv (Barboza et al. 2009).

 



Von der aufgenommenen Bruttoenergie GE (gross energy, typischerweise mittels Verbrennungs-Kalorimetrie gemessen) kann nur ein Teil genutzt werden; der andere geht auf verschiedenen Stufen verloren. Zunächst wird das nicht verdaubare Material als Kot F (faeces) ausgeschieden; die verdauliche Energie DE (digestible energy) steht zur Assimilation zur Verfügung. Das Verhältnis von DE zu GE wird oft als Verdaulichkeit der Nahrung bezeichnet (s.

Kap. 2.6

). Bei der Absorption der Stoffe geht nochmals Energie über Exkrete Ex (Urin, Harnsäure, Hippursäure und andere) verloren; Pflanzenfresser geben auch Methan ab (s.

Kap. 2.4

). Daraus resultiert die assimilierbare oder verstoffwechselbare Energie ME (metabolizable energy), die nun dem Stoffwechsel zur Verfügung steht. Ein Teil davon, oft sogar der größte Teil, dient der Veratmung R (respiration), welche die für den «Betrieb» des Organismus bei Massenkonstanz nötige Energiemenge bezeichnet. Der andere Teil kann für die Bildung von Körpergewebe P (production) verwendet werden, zunächst für Gewebeersatz und das eigene Wachstum, dann auch zur Reproduktion (Gonadenbildung). Da für diese Prozesse nicht die gesamte Energie direkt in die Produktion von Gewebe fließt, sondern auch – produktionstypisch – zusätzliche Wärmeverluste auftreten, kann die reine, nur für die Nettoproduktion (ohne Wärmeverluste) verbrauchte Energie als Nettoenergie NE (net energy) quantifiziert werden. Diese letzte Energiestufe spielt in der Ökologie meist keine Rolle, sondern in der Fütterung landwirtschaftlicher Nutztiere (zum Beispiel als NettoenergieLaktation NEL für die Milchbildung). Damit ergibt sich:








Generell variieren die verschiedenen Budgetkomponenten in ihrer relativen Bedeutung stark in Abhängigkeit der Nahrung, der Tiergruppe, von Körpergröße, Alter, Jahreszeit und weiteren Faktoren. Oft benötigt der Erhalt der Körpermasse bereits die ganze assimilierbare Energie ME, sodass nichts für Wachstum oder Reproduktion zur Verfügung steht - zum Beispiel in der kühlen Jahreszeit oder während Trockenperioden. Ist ME sogar kleiner als R, so muss auf körpereigene Energievorräte zurückgegriffen werden, wobei das Tier an Masse verliert (s.

Kap. 2.7

).



Energieumsatz



Die Energieausgabe während einer bestimmten Zeitdauer wird als Umsatz (metabolic rate) bezeichnet und in der Regel auf 24 Stunden bezogen. Der dabei erzielte Verbrauch eines normal lebenden Tieres mit allen Aktivitäten ist der Gesamtumsatz. Aus Feldmessungen am wild lebenden Tier stammt der englische Begriff field metabolic rate.



Der Gesamtumsatz besteht damit aus



• einem weitgehend festgelegten Teil für den Erhalt der körpereigenen Grundfunktionen, dem Grundumsatz (basal metabolic rate, BMR) und



• einem äußerst variablen Teil, dem Tätigkeits- oder Arbeitsumsatz, der den Energiebedarf für Verdauung und zusätzliche Temperaturregulation sowie die lokomotorischen Aktivitäten umfasst.



Falls das Tier in dieser Zeit zudem Körpergewebe aufbaut (Wachstum und Reproduktion oder Anlagerung von Fettreserven), ist die Energieaufnahme entsprechend höher als der Gesamtumsatz.



Grundumsatz



Der Grundumsatz ergibt sich aus dem Energiebedarf für die Grundfunktionen der Körperorgane (Exkretion, Atmung, Blutkreislauf, Nervenfunktion, Leberfunktion, etwa 36-50 % des BMR) sowie der Zellfunktionen (Protein- und Lipidumsatz, Ionentransport, etwa 40-56 %). Diese Energiemenge entspricht bei Endothermen (

Box 2.1

) dem Erhaltungsumsatz bei Ruhe und Fasten innerhalb der thermoneutralen Zone, das heißt, wenn für Wärmeregulation und Verdauung keine zusätzliche Energie aufgewendet werden muss. Oft lässt sich bei Messungen an Wildtieren die Bedingung des Fastens nicht überprüfen und experimentell ist sie bei Pflanzenfressern mit konstant gefülltem Magen-Darm-Trakt nicht ohne Auslösen erheblichen Stresses zu erreichen; beim gemessenen Wert spricht man dann vom Ruheumsatz (resting metabolic rate, RMR). Der BMR ist also unabhängig von irgendwelcher Tätigkeit des Tieres und als solcher ein für Vergleiche geeignetes Standardmaß; Messungen liegen von über 1 200 Vogel- und Säugetierarten vor (White C. R. & Kearney 2013). Der BMR wird oft als reine Funktion der Körpermasse dargestellt:








Dabei sind BMR = kJ ME pro Tag und W = Körpermasse in kg. Die Werte der Konstanten a und b sind tiergruppenspezifisch. Für Endotherme liegt die Steigung b meist um 0,71–0,75 und a variiert je nach den für Energieausgabe und Körpermasse verwendeten Maßeinheiten (Abb. 2.2 und 2.3; zu beachten ist, dass die Linearität nur eine Folge der doppellogarithmischen Darstellung der Potenzfunktion ist). Der Grundumsatz steigt also weniger stark als die Körpermasse an oder anders gesagt, der relative Aufwand pro Masseneinheit (die spezifische Metabolismusrate) und damit auch der relative Nahrungsbedarf nehmen mit zunehmender Größe ab. Solche Funktionen zwischen Körpergröße und anderen biologischen Parametern werden Allometrie genannt, wobei der Spezialfall der linearen Beziehung mit Exponent = 1 als Isometrie bezeichnet wird.



Die Skalierung (scaling) mit der Steigung b ≈ 0,73, die als Mittel der Messungen an zahlreichen Tierarten gewonnen wurde, ist nach deren Beschreibung im Jahre 1932 durch den Schweizer Agrar- und Ernährungswissenschaftler Max Kleiber (1893–1976) als Kleibers Gesetz bekannt geworden und wird (aufgerundet auf 0,75) auch als three-quarter rule bezeichnet; sie ist das Kernstück der Metabolischen Theorie der Ökologie (Sibly et al. 2012a). Ob ihr gesetzmäßige Gültigkeit zukommt und welche Mechanismen ihr zugrunde liegen, wird heute wieder intensiv diskutiert (White C. R. & Kearny 2013). Würde die Energieausgabe linear der Körpermasse folgen, ergäbe sich b = 1; die Beziehung wäre statt einer Allo- eine Isometrie. Würde sie hingegen linear mit der Körperoberfläche skalieren, ergäbe sich b = 0,67, da die Beziehung Oberfläche = Volumen2/3 eine geometrische Gesetzmäßigkeit ist und auch bei vielen unterschiedlich großen Vögeln und Säugern gefunden wurde. Mit b ≈ 0,73 folgt die Steigung im Mittel tatsächlich enger der Körperoberfläche als dem Volumen, was grundsätzlich damit zusammenhängen mag, dass zahlreiche physiologische Prozesse, wie etwa der Wärmeaustausch über die Haut, über Oberflächen stattfinden. Weil die Steigung dennoch stärker als b = 0,67 ist, dürften mehrere verschiedene Mechanismen zur Allometrie beitragen (McNab 2002; Savage et al. 2004; Glazier 2005; O’Connor et al. 2007). Aktuelle Modelle erklären die Allometrie als Folge begrenzter Möglichkeiten des Energie- und Nährstoffflusses im Körper, wobei die einen auf das Transportnetzwerk fokussieren (West et al. 1997; Banavar et al. 2010; White C. R. & Kearny 2013), die anderen auf Vorgänge, die das Verhältnis zwischen struktureller Biomasse und Metaboliten (Körperreserven) bestimmen (Maino et al. 2014).








Abb. 2.2 Grundumsatz (Messung basierend auf Sauerstoffverbrauch pro Zeiteinheit) in Abhängigkeit der Körpermasse von 580 Säugetierarten (offene Kreise: Plazentatiere; gefüllte Kreise: Beuteltiere; gefüllte Rauten: Kloakentiere). Die Kurven sind für verschiedene Verwandtschaftsgruppen eingezeichnet und deren Steigung b angegeben. Die Kurve für alle Säugetierarten ist nicht eingezeichnet; ihre Steigung ist aber fast identisch mit dem b = 0,721, das von McNab (2008) mit einer anderen Methode der Kurvenanpassung gewonnen wurde (Abbildung verändert nach Capellini et al. 2010).








Abb. 2.3 Grundumsatz (gemessen in kJ/h) in Abhängigkeit der Körpermasse von 261 Nichtsingvögeln (a; Kurve ausgezogen) und von 272 Singvogelarten (b; Kurve gestrichelt). Zur besseren Vergleichbarkeit sind in (a) und (b) jeweils beide Kurven eingezeichnet. Die Kurvensteigung b beträgt für alle 533 Vogelarten zusammen 0,652. Der BMR liegt im unteren Bereich der Körpergrößen deutlich über dem BMR gleich schwerer Säuger, gleicht sich aber wegen der geringeren Kurvensteigung im oberen Größenbereich jenem der Säugetiere an (aus McNab 2009; s. auch McNab 2012) (Abdruck mit freundlicher Genehmigung von Elsevier,© Elsevier).



Das Wesen der allometrischen Skalierung des BMR beruht also auf mechanistischen Prinzipien der Physiologie. In je einem Datensatz von 639 Säugetierarten und 533 Vogelarten (Abb. 2.3) erklärte die Körpermasse 96,8 % respektive 94,1 % der Variation, wobei die Korrelationen deshalb so hoch ausfielen, weil die Spanne der involvierten Körpermassen zwischen den kleinsten und größten Arten bei Vögeln und ganz besonders bei Säugetieren riesig ist (McNab 2008, 2009, 2012). Die massenunabhängige Variation ist deshalb ebenfalls von Bedeutung; sie ist sowohl durch phylogenetisch als auch durch artspezifisch gegebene Anpassungen an ökologische Gegebenheiten bedingt. Vögel haben – je nach Masse, weil die Steigungen der Allometrien etwas differieren (Abb. 2.2 und 2.3) – einen um etwa das 1,1- bis 2-Fache höheren BMR als Säugetiere, was auf die Flugfähigkeit zurückgeführt wird; flugunfähige Vögel haben einen ähnlichen BMR wie die Säugetiere (McNab 2012). Bei Letzteren weichen etwa Carnivore und Fledermäuse durch höhere Steigung, Insectivore durch deutlich niedrigere Steigung vom Säugermittel ab (Capellini et al. 2010; Abb. 2.2). Oft wurden solche Unterschiede über die Ernährung erklärt:



• Bei Arten mit häufiger, gut verdaulicher Nahrung ist der BMR eher höher.



• Bei Arten mit spärlicher, schlecht verdaulicher Nahrung ist der BMR eher niedriger.



Ein Beispiel für letztere Gruppe liefern etwa die südamerikanischen Faultiere, deren BMR weniger als 50 % des aufgrund der Körpermasse erwarteten Wertes liegen kann (McNab 2002). Allerdings geht die Spezialisierung auf schlecht verdauliche Pflanzennahrung oft mit bewegungsarmer Lebensweise einher, sodass die relative Höhe des BMR auch mit der Mobilität zusammenhängen kann, wie der Unterschied zwischen Vögeln und Säugetieren nahelegt. Tatsächlich tendieren hoch mobile und unter Prädationsdruck stehende Säugetierarten zu höherem BMR als weniger hektisch lebende Arten (Lovegrove 2000).



Letztlich ist die Form der Ernährung mit der Körpertemperatur korreliert, die bei herbivoren Säugetieren und (weniger deutlich) Vögeln höher liegt als bei carnivoren Arten (Clarke & O’Connor 2014). Als unmittelbare Messgröße für den Wärmefluss im Körper erklärt die Körpertemperatur in Modellen deshalb die Unterschiede im BMR besser. Säuger in Polargegenden haben etwas höhere Körpertemperatur und einen bis 40 % höheren BMR als direkt vergleichbare Individuen unter tropischen Bedingungen (Clarke et al. 2010). Ähnliches gilt für Vögel: Arten gemäßigter Breiten weisen einen höheren BMR und auch höhere Organmassen (Ausnahme: Gehirn und Verdauungsapparat) auf als eng verwandte und ökologisch äquivalente Arten tropischer Zonen (Wiersma et al. 2007b, 2012; Londoño et al. 2015). Entsprechende Unterschiede treten auch innerhalb einer Art zwischen Populationen auf, die auf unterschiedlichen geografischen Breiten leben (Maggini & Bairlein 2013).



Trotz seiner Eignung als Vergleichsmaß ist der Grundumsatz nicht die minimal mögliche Energieausgabe eines Individuums! Der Energiebedarf der Grundfunktionen von Zellen und Organen ist nicht statisch, und so kann der BMR durch Schlaf, Unterernährung, Dehydrierung oder Torpor respektive Winterschlaf (

Kap. 2.7

) weiter reduziert werden. Der BMR ist damit auch alters-, tages- und jahreszeitenabhängig; oft ist er zum Beispiel bei Jungtieren höher. Untersuchungen an Vögeln haben gezeigt, dass der BMR selbst kurzfristig an veränderte Bedingungen angepasst werden kann, etwa bei Langstreckenziehern, die sich im Jahresverlauf in höchst unterschiedlichen klimatischen Umgebungen aufhalten (McKechnie 2008).

 



Box 2.1 Endothermie und Exothermie



Lange wurden Tiere bezüglich ihres Wärmehaushalts in Warmblüter (Vögel und Säugetiere) und Kaltblüter (Fische, Amphibien und Reptilien sowie alle Wirbellosen) eingeteilt, später anhand der Konstanz der Körpertemperatur in Gleichwarme (Homoiotherme) und Wechselwarme (Poikilotherme). Diese Klassifizierung wird der thermobiologischen Vielfalt aber bei Weitem nicht gerecht, denn auch viele Gleichwarme können ihre Körpertemperatur zur Energieersparnis absenken (

Kap. 2.7

). Heute wird eher die Herkunft der Wärme in den Vordergrund gestellt. Endotherme (Vögel und Säuger) produzieren Körperwärme weitgehend selbst über ihren Metabolismus, während die Exothermen (übrige Gruppen) hauptsächlich auf externe Wärmequellen zurückgreifen. Allerdings sind zum Beispiel auch Insekten in der Lage, während ihrer Aktivitätsphase eine hohe, streng regulierte Körpertemperatur einzuhalten.



Welches sind die Vorteile der Endothermie? Die «Energieeffizienz» ist bei endothermen Organismen mit ihrem großen Aufwand für die Respiration viel kleiner als bei exothermen; es bleibt ihnen im Mittel etwa 2 % der Energie für die Produktion von Körpergewebe, gegenüber 50 % bei Exothermen. Deshalb stellt sich die Frage nach den Vorteilen konstanter Körpertemperatur, und damit nach der Evolution von Endothermie – die übrigens bei Vögeln und Säugern jeweils unabhängig entstand.



Traditionelle Erklärungsversuche über die physiologische Leistungsfähigkeit (aerobic capacity) oder die Thermoregulation heben hervor, dass Endothermie



• Aktivitäten ohne Abhängigkeit von Sonneneinstrahlung möglich macht – zum Beispiel sind sehr viele Säuger nachtaktiv – und höhere Ausdauerleistungen zulässt,



• die konstante Möglichkeit bietet, auf äußere Stimuli zu reagieren, etwa bei der Nahrungssuche oder der Feindvermeidung,



• die Besiedlung kälterer Gegenden auch für terrestrische Tiere möglich macht,



• Torpor (Kältestarre) dennoch zulässt, zum Beispiel in Form von Winterschlaf und Winterruhe bei Säugern und in einem Fall bei Vögeln (

Kap. 2.7

).



Eine neuere, breiter abgestützte Theorie führt das Entstehen der Endothermie auf die Evolution der Brutpflege (

Kap. 4.5

) zurück, welche aus verschiedenen Gründen auf konstant hohe Körpertemperatur angewiesen ist (Farmer 2000; Koteja 2004). Ein formaler Test von Modellen mit Daten von Nagetieren fand jedoch größeren Support für eine der physiologischen Hypothesen, die auf der Bedeutung einer hohen metabolischen Kapazität fußt (Clavijo-Baque & Bozinovic 2012).








Abb. 2.4 Endothermie benötigt morphologische Anpassungen zur Regulation des Wärmeaustauschs über die Körperoberfläche. Reduktion des Wärmeverlusts über die Füße ist bei Vögeln in kalten Umgebungen wichtig, besonders bei Wasservögeln, die wie diese Lachmöwe (Chroicocephalus ridibundus) mit kalten Oberflächen in dauernder Berührung sind. Dies wird unter anderem über Wärmeaustauschnetze in den Blutbahnen der Extremitäten erreicht sowie durch die Möglichkeit, den Blutfluss bis zum Verhältnis 1:600 zu regulieren (Bezzel & Prinzinger 1990).



Zwischenartliche Vergleiche sind nicht nur innerhalb der Endothermen, sondern auch zwischen diesen und Exothermen (

Box 2.1

) aufschlussreich. Auch bei Exothermen (und selbst Einzellern) folgt der BMR der Körpermasse mit ähnlicher Steigung b wie bei den Endothermen. Absolut gesehen, liegt der BMR bei Exothermen jedoch um ein Vielfaches tiefer, da diese nur wenig Körperwärme selbst generieren und ihre Körpertemperatur deshalb mit der Umgebungstemperatur variiert. Bei einer Umgebungstemperatur von 20 ° C beträgt der Unterschied gegen das 30-Fache (entspricht einer Differenz beim Achsenabschnitt a). Auch bei Exothermen steigt der BMR jedoch mit der Körpertemperatur an. Bei etwa 37 °C, einer Körpertemperatur, welche auch von vielen Reptilien bevorzugt wird, beträgt der Unterschied im Vergleich zu Endothermen gleicher Körpergröße noch etwa das 5-Fache.



Leistungs- und Gesamtumsatz



Der Energieverbrauch für die Aktivitäten, besonders die lokomotorischen, ist ökologisch bedeutsamer als der BMR. Gern wird der relative Aufwand für die einzelnen Tätigkeiten (Leistungs- oder Arbeitsumsatz), aber auch für den Gesamtumsatz innerhalb einer bestimmten Zeitspanne, im Verhältnis zum BMR angegeben (factorial aerobic scope); statt des eigentlichen BMR wird bei Wildtieren oft der weniger streng definierte Ruheumsatz verwendet. Tätigkeiten wie Stehen erhöhen den Grundumsatz um 10–30 %. Am aufwendigsten sind spezielle Fortbewegungsarten wie schneller Ruderflug großer Vögel (siehe unten) oder Nahrungstauchen bei gewissen Wasservögeln, die das 10- bis 20-Fache des BMR betragen und in Extremfällen noch deutlich höher liegen können. So wurde ein Wert von etwa des 47-Fachen des BMR bei stoßtauchenden Dreizehenmöwen (Rissa tridactyla) gemessen, das heißt für eine Aktivität, zu welcher die Möwen keine speziellen morphologischen Anpassungen besitzen ( Jodice et al. 2003). Säugetiere besitzen eine etwas geringere aerobe Kapazität als Vögel, doch erbringen spurtstarke Läufer wie Hunde (Canis familiaris), Pferde (Equus caballus) oder Antilopen kurzfristig ebenfalls Leistungen im Bereich des 30-fachen BMR. Länger dauernde Höchstleistungen können aber sowohl bei Vögeln als auch Säugern nicht wesentlich über dem 15-Fachen des BMR liegen. Gleichmäßig fliegende Vögel auf dem Zug erreichen das 16-Fache des BMR, bei forciertem Fliegen unter experimentellen Bedingungen jedoch nur etwa das 6,4-Fache des BMR bei tropischen und etwa das 9-Fache des BMR bei vergleichbaren Arten aus gemäßigten Klimazonen (Wiersma et al. 2007a).



Morphologische Anpassungen reduzieren die Kosten von intuitiv aufwendig erscheinenden Tätigkeiten deutlich. Der Aufwand des Tauchens entspricht bei Wasservögeln, die den Vortrieb mit den Füßen erzeugen (Enten, Kormorane etc.), etwa 4- bis 10-mal dem BMR, bei Arten, die mit den Schwingen rudern (Alken, Pinguine), sogar nur 2,2- bis 4,2-mal (Enstipp et al. 2005). Stromlinienförmig gebaute Endotherme (zum Beispiel Robben) benötigen zum Schwimmen das 2- bis 3-Fache des BMR, Fische das 3- bis 7-Fache; der Unterschied ist aber dadurch bedingt, dass bei Endothermen der Grundumsatz bereits sehr viel höher liegt (Barboza et al. 2009). Grundsätzlich kostet Schwimmen dank des Auftriebs (und trotz des höheren Widerstandes) weniger Energie pro Einheit Körpermasse als vergleichbare terrestrische Fortbewegung wie Gehen oder Laufen; Fliegen liegt kostenmäßig dazwischen. Allerdings muss im Einzelfall zwischen unterschiedlich kostenintensiven Bewegungsformen (beim Fliegen etwa Segelflug, Ruderflug oder Schwirrflug) differenziert werden; zudem spielen Körpermasse und Geschwindigkeit eine Rolle. Bei fast allen Fortbewegungsarten nehmen die Kosten pro Masseneinheit und zurückgelegter Distanz mit zunehmender Körpergröße ab, die maximal erreichbaren Geschwindigkeiten hingegen zu. Für Schwimmen und Laufen ist diese Allometrie deutlich enger als für Fliegen, da beim Ruderflug die benötigte Energie im Vergleich zum Grundumsatz mit der Körpermasse sogar ansteigt. Ein gut 7 kg schwerer Geier (Gyps sp.) benötigt im Ruderflug etwa das 20-Fache des BMR, ein 4 g schwerer Kolibri im Schwirrflug nur etwa das 3,3-Fache (Bicudo et al. 2010). Große Vögel haben deshalb sehr kostensparende Formen des Fliegens entwickelt, die noch etwa das 1,5- bis 3-Fache des BMR kosten (McNab 2002; Abb. 2.5).



Der Gesamtumsatz wird häufig auf 24 Stunden bezogen und dann als Tagesumsatz (average daily metabolic rate, ADMR) bezeichnet. Grundsätzlich lässt sich der Gesamtumsatz für eine beliebige Zeitspanne bei Vorliegen eines Aktivitätsbudgets und der Kenntnis der relativen Kosten der verschiedenen Aktivitäten errechnen. In der Regel jedoch wird er direkt gemessen. Bei Wildtieren ist das oft nicht einfach, da etwa bei Messungen des O2-Verbrauchs im Labor auch gut ein