Ökologie der Wirbeltiere

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1.2 Vögel und Säugetiere – die endothermen Wirbeltiere

In der klassischen, lange gültigen Systematik bildeten Vögel (Klasse Aves) und Säugetiere (Klasse Mammalia) zusammen mit den Reptilien, Amphibien, Knochen- und Knorpelfischen den Unterstamm Kiefertiere innerhalb des Stamms der Chordatiere. Nach heutigem Stand des Wissens ist die hierarchische Ordnung, welche die Stammesgeschichte repräsentieren soll, wesentlich differenzierter; in einigen Fällen besteht Uneinigkeit (Abb. 1.1).

Vögel sind näher mit den Krokodilen als den übrigen Reptilien verwandt und leiten sich aus einer Gruppe der Dinosaurier (Theropoda) ab; man kann sie auch direkt als Dinosaurier bezeichnen (Padian & de Ricqlès 2009). Säugetiere können fossil etwas weiter zurückverfolgt werden als echte Vögel; frühe Formen existierten bereits neben den (nicht vogelartigen) Dinosauriern in bemerkenswerter Diversität. Sowohl Vögel als auch Säugetiere sind nach gegenwärtigem Wissensstand monophyletisch, das heißt, sie gehen je auf einen einzigen Vorfahren zurück. Die traditionelle Gruppierung «Reptilien» ohne die Vögel ist – phylogenetisch gesehen – eine paraphyletische Einheit, weil sie unter den Vorfahren und einige, aber (mit dem Ausschluss der Vögel) nicht alle Nachfahren enthält.

Auch wenn Vögel mit den Säugetieren weniger nahe verwandt sind als mit anderen Reptilientaxa, haben sie mit den Säugetieren ein Merkmal gemeinsam, das sie von den übrigen Tieren unterscheidet: die Entwicklung einer differenzierten Isolationsschicht an der Körperoberfläche, welche die Endothermie (Homöothermie) ermöglicht (Kap. 2.1, Box 2.1). Die Fähigkeit, unabhängig von den Schwankungen der Außentemperatur eine konstante Körpertemperatur aufrechtzuerhalten, ist ökologisch äußerst bedeutsam und hat zu vielen Gemeinsamkeiten in den Lebensstrategien von Vögeln und Säugetieren geführt. Natürlich zeigen diese auch bedeutsame Unterschiede im Körperbau, welche die Lebensstrategien beeinflussen und letztlich ökologische Konsequenzen nach sich ziehen. Tabelle 1.1 liefert einen Überblick über die wichtigsten Unterschiede; die ökologischen Folgen sind aber mit Ausnahme des Federwechsels bei den Vögeln (Kap. 1.4) in den entsprechenden Folgekapiteln näher erläutert.


Abb. 1.1 Kladogramm der Wirbeltiere: Ein Kladogramm ist ein mit den Methoden der phylogenetischen Systematik (Box 1.1) erstellter, sich dichotom verzweigender Stammbaum (phylogenetic tree), der die stammesgeschichtlichen Beziehungen von systematischen Einheiten (= Taxa) wiedergibt. Jede Verzweigung ist durch mindestens ein neues evolutionäres Merkmal (Apomorphie) charakterisiert. Das vorliegende Kladogramm ist eine konservative Schätzung der Phylogenie (Stammesgeschichte) der Wirbeltiere, widerspiegelt aber die Übereinstimmung zwischen morphologischen und molekularen Daten. Wo Differenzen und damit Unsicherheiten über den Verzweigungspunkt (Knoten, node) bestehen, sind sie als Polytomien angegeben, das heißt als Knoten, die durch mehr als zwei Verzweigungen gebildet werden (Abbildung verändert nach Meyer & Zardoya 2003; verändert gemäß Heimberg et al. 2010 und Oisi et al. 2013).

Tab. 1.1 Morphologische Unterschiede zwischen Vögeln und Säugern und daraus resultierende (verhaltens-) ökologische Konsequenzen. Die ersten drei Kriterien werden generell als die wichtigsten differenzierenden Merkmale betrachtet. Neben den aufgeführten Kriterien bestehen weitere anatomische Unterschiede, zum Beispiel beim Knochenbau oder bei der Anordnung des Blutkreislaufs, der die Sauerstoffaufnahme beeinflusst.


1.3 Sinnesleistungen

Auch wenn es in diesem Buch um die Ökologie der Vögel und Säugetiere und nicht um Körperbau und -funktionen geht, ist es dennoch sinnvoll, sich im Rahmen der Ökologie auch über die von den Vögeln und Säugetieren erbrachten Sinnesleistungen Rechenschaft abzulegen. Ganz allgemein lässt sich sagen, dass bei Vögeln vor allem Gesichtssinn und Gehör (Licht und Schallwellen als Signale), bei Säugern neben dem Gehör primär Geruchs- und Geschmackssinn (chemische Signale) gut ausgebildet sind. Manche Verhaltensweisen benötigen aber weitere Sinnesleistungen und sind nur erklärbar, wenn man die zugrunde liegenden Mechanismen der Wahrnehmung kennt. Man läuft schnell Gefahr zu vergessen, dass Vögel oder Säugetiere – bei aller Ähnlichkeit zu uns Menschen – auch Signale empfangen können, die uns Menschen ohne technische Hilfsmittel verborgen bleiben (Stevens M. 2013). Zum einen ist das wahrnehmbare Frequenzspektrum von Licht und Schallwellen bei Tieren oft weiter als beim Menschen. Zum anderen nehmen Vögel und Säugetiere auch gänzlich andere Formen von Signalen wahr, die wir selbst mangels genügend empfindlicher Rezeptoren nicht empfangen können. Dies gilt in großem Maße für das Orientierungsvermögen, bei dem das Erkennen elektromagnetischer Felder eine wichtige Rolle spielt; die dafür benötigten Sinnesorgane sind noch wenig bekannt (Weiteres in Kap. 6.3 und 6.8). Auch der Tastsinn von Vögeln, die im Schlamm verborgene Invertebraten und Beute aufspüren können, die sich in einiger Entfernung von der Schnabelspitze befinden, gehört dazu (Cunningham et al. 2010). Einige vorwiegend aquatisch lebende Säugetiere besitzen Elektrorezeptoren, mit denen sie elektrische Signale niedriger Spannung erkennen können, wie sie zum Beispiel bei der Muskelkontraktion von Beutetieren abgegeben werden (Stevens M. 2013; Abb. 1.2). Die folgende kurze Darstellung illustriert spezifische Sinnesleistungen von Vögeln und Säugetieren anhand weniger Beispiele zu den drei klassischen Sinnen, Riechen, Sehen und Hören. Für eine umfassendere Übersicht siehe etwa Stevens M. (2013).


Abb. 1.2 Das australische Schnabeltier (Ornithorhynchus anatinus) sucht im schlammigen Grund von trüben Gewässern Nahrung und hält beim Schwimmen die Augen geschlossen. Die Beute findet es mithilfe seiner über 50 000 Elektrorezeptoren, die auf dem Schnabel sitzen und aus Hautdrüsen entstanden sind (Czech-Damal et al. 2013).

Chemische Signale

Die guten olfaktorischen Leistungen der Säugetiere sind wohlbekannt. Dass aber auch Vögel über den Geruch wichtige Informationen aufnehmen können, ist erst über neuere Forschung erhellt worden. Die Orientierung über Geruchsgradienten kommt in Kapitel 6.8 zur Sprache. Aber auch in anderen Zusammenhängen können Vögel chemische Signale nutzen. So finden insektenfressende Vögel Raupen, weil deren Laubfraß volatile Stoffe aus den Blättern freisetzt, oder erkennen Hausgimpel (Haemorhous mexicanus) umgekehrt die Präsenz von ihren Prädatoren am Geruch (Amo et al. 2013, 2015). Auch beim Sozialverhalten verschiedener Vögel findet Kommunikation über olfaktorische Signale statt (Bonadonna & Mardon 2013).

Licht und Sehvermögen

Die Fähigkeit, Licht im ultravioletten Bereich (UV) wahrzunehmen, ist bei Tieren weit verbreitet. Viele Säugetiere scheinen sie zwar im Laufe der Evolution verloren zu haben, doch findet man entsprechende Rezeptoren in der Netzhaut von verschiedenen nachtaktiven Arten (Vaughan et al. 2015), vor allem bei Fledermäusen (Zhao et al. 2009). Auch Vögel besitzen solche Rezeptoren und benutzen UV-Licht in verschiedenen Situationen, etwa bei der Nahrungssuche (Yang et al. 2016), besonders aber bei der Partnerwahl. Viele Arten, unter ihnen zum Beispiel Papageien, besitzen Federpartien, die ultraviolettes Licht entweder reflektieren oder es absorbieren und mit größerer Wellenlänge wieder abstrahlen (Fluoreszenz). Bei Königs- und Kaiserpinguinen (Aptenodytes patagonicus, A. forsteri) wurden UV-reflektierende Stellen am Schnabel entdeckt (Jouventin et al. 2005). Solche leuchtenden Flecken sind Teil der Ornamentierung, mit denen Individuen (vorwiegend Männchen) um die Gunst von Geschlechtspartnern werben (Kap. 4.8). Zur Fähigkeit der Vögel, das Polarisationsmuster von Licht zu nutzen, siehe Kapitel 6.8.

Schall und Hörvermögen

Auch bei Schallwellen vermögen manche Vögel und Säugetiere solche oberhalb (Ultraschall) oder unterhalb (Infraschall) des durch Menschen wahrnehmbaren Frequenzbereichs zu hören. Kommunikation im Ultraschallspektrum ist etwa bei kleinen Nagetieren, Fledermäusen und Walartigen verbreitet, während Elefanten (Loxodonta sp.) und gewisse Wale die weittragenden Infraschallwellen nutzen können (Stevens M. 2013). Die meisten Fledermäuse und Zahnwale (Abb. 1.3) sind zudem zu Echoortung (echolocation, biosonar) fähig. Diese Technik ist in einfacherer Form auch von einigen anderen Säugetieren und von in Höhlenkomplexen brütenden Vögeln (hauptsächlich kleinen Seglern) entwickelt worden. Echoortung ist ein aktiver Sinn, indem Schall sehr hoher Frequenz ausgestoßen und mit dem zurückgeworfenen Echo verglichen wird, was räumliche Orientierung oder das Auffinden von Beute ermöglicht (Fenton 2013; Klemas 2013; Madsen & Surlykke 2013).

 

1.4 Mauser der Vögel

Vögel und die meisten Säugetiere machen, auch wenn sie ausgewachsen sind, im Laufe des Jahres periodische morphologische Veränderungen durch. Diese können so bedeutende Organe wie den Verdauungsapparat betreffen, dessen Masse je nach Nahrung und allfälliger anderweitiger Belastung (etwa bei ziehenden Vögeln: Kap. 6.7) erhöht und verkleinert werden kann (Piersma & van Gils 2011). Auch der Auf- und Abbau von Fettvorräten (Kap. 2.7 und 4.1) führt bei vielen Arten zu periodischen Veränderungen der Körpermasse. Solche sind in der Regel bei Arten, die in saisonalen Klimazonen leben, ausgeprägter als bei tropischen Arten.

Für den Betrachter sind oft die Veränderungen am auffälligsten, die mit dem jahreszeitlichen Wechsel des Haar- oder Federkleids einhergehen. Die gegenwärtigen Funktionen von Federn und Haaren stehen nicht notwendigerweise in Zusammenhang mit der Evolution der Endothermie (Kap. 2.1), auch wenn ihr Beitrag zur Isolation respektive Thermoregulation des Körpers eine der wichtigsten Funktionen ist (Ruben & Jones 2000). Eine weitere Funktion sowohl von Federn als auch Haaren ist optischer Natur, indem Färbungsmuster Signale aussenden oder auch das Gegenteil bewirken sollen, nämlich ihre Träger zu tarnen. Bekannt ist der Wechsel von Braun im Sommer zu Weiß im Winter bei kleineren, bodenlebenden Arten schneereicher Gebiete, sowohl von Vögeln als auch von Säugetieren (Abb. 1.4).


Abb. 1.3 Fledermäuse und Zahnwale (hier Zügeldelfine, Stenella frontalis) haben die Fähigkeit zur Echoortung unabhängig voneinander entwickelt, funktionell aber sehr ähnliche Lösungen gefunden (Madsen & Surlykke 2013).

Federn oder Haare neu zu bilden, bringt energetische Kosten mit sich. Bei Haaren sind sie vergleichsweise gering, sodass der Haarwechsel parallel zu anderen aufwendigen Tätigkeiten der Säugetiere, wie Austragen und Säugen der Jungen stattfinden kann. Die Bildung einer neuen Federgeneration bei Vögeln, Mauser (moult/molt) genannt, ist demgegenüber ein ungleich aufwendigeres Ereignis im Jahreszyklus, das bezüglich seiner zeitlichen Einpassung und der Geschwindigkeit des Ablaufs enge Koordination mit anderen energetisch kostspieligen Verrichtungen wie der Fortpflanzung und den Wanderungen erfordert.


Abb. 1.4 Verschiedene Hasenarten hoher Breiten wechseln zwischen braunem Haarkleid im Sommer und praktisch weißem im Winter (im Bild ein Schneehase, Lepus timidus, im Haarwechsel). Gute zeitliche Abstimmung des Umfärbens mit der Schneeschmelze ist wichtig, damit die Tarnwirkung der Fellfärbung optimal bleibt. Beim ähnlichen Schneeschuhhasen (Lepus americanus) wurde gezeigt, dass die wöchentliche Überlebensrate von Individuen mit unangepasster Fellfarbe bis zu 7 % geringer war als jene von Artgenossen, deren Fellfärbung der Umgebung entsprach (Zimova et al. 2016).


Abb. 1.5 Indischer Schlangenhalsvogel (Anhinga melanogaster), ein Verwandter der Kormorane, schwimmt häufig mit eingetauchtem Körper. Viele tauchende Wasservögel können ihr Gefieder stärker anpressen, wodurch Luft entweicht, sodass der Auftrieb geringer ausfällt.

Grundsätzlich ist die Mauser eine Folge davon, dass Federn sich abnutzen und deshalb regelmäßig ersetzt werden müssen. In der Regel geschieht das einmal im Jahr. Federn würden zwar etwas länger als ein Jahr funktionstüchtig bleiben, werden aber vor ihrem Verfalldatum erneuert. Die Mauser ist also nicht eine Reaktion auf ein bereits abgenutztes Gefieder, sondern eine Prävention gegen zu starke Abnutzung. Ausgelöst wird die Mauser nicht durch den Grad der Abnutzung, sondern wie andere jahresperiodische Vorgänge durch einen inneren Zeitgeber.

Funktionen des Federkleids

Neben den beiden bereits erwähnten Funktionen, Isolation und Signal- respektive Tarnwirkung, kommt den Federn entscheidende Bedeutung bei der Fortbewegung und Steuerung zu.

1. Die Isolation des Körpers gegenüber der Außentemperatur und der Schutz gegen eindringendes Wasser geschieht hauptsächlich über die kleinen, den Kopf, Hals, Bauch und Rücken sowie die Flügel und Schenkel bedeckenden Federn, die in ihrer Gesamtheit als Kleingefieder (body plumage) bezeichnet werden. Bei Wasservögeln ist dieses Gefieder dichter als bei Landvögeln und wird auch stärker eingefettet (Abb. 1.5).

2. Zum Fliegen kommen die größeren Federn am Flügel, die sogenannten Schwungfedern oder Schwingen (remiges) zum Einsatz, die in die distal liegenden Handschwingen (primaries) und proximal liegenden Armschwingen (secondaries) unterteilt werden. Die großen Schwanzfedern (rectrices) dienen hingegen primär der Steuerung im Flug und beim Tauchen. Zusammen werden diese Federn als Großgefieder bezeichnet (Abb. 1.6).

3. Färbung und Musterung des Gefieders haben zudem eine optische Funktion. Braune, oft dunkler gemusterte Federkleider dienen dazu, den Vogel weniger gut sichtbar zu machen, meistens im Sinne einer Tarnung (crypsis) vor Prädatoren; vor allem Weibchen und auch Jungvögel tragen ein solches Gefieder (Abb. 1.7). Bei Arten, die eine mehrjährige Jugendentwicklung durchmachen, wie etwa die größeren Möwen (Abb. 1.8), dient ein solches Gefieder auch zur Beschwichtigung adulter Geschlechtsgenossen. Es drückt aus, dass die immaturen (unausgefärbten) Träger dieses Kleids keine Konkurrenten bei der Partnersuche darstellen, womit sie sich Aggression vonseiten der Adulten ersparen. Optisch auffällige Gefieder besitzen dagegen Signalwirkung und kommen mehrheitlich bei Männchen vor (Abb. 1.7). Sie sind in der Regel das Ergebnis von sexueller Selektion und sollen dem Geschlechtspartner oder Konkurrenten die eigenen Qualitäten vor Augen führen (Kap. 4.8). Vögel in Regenwäldern können beide Funktionen – Krypsis und auffällige Signale – auch in einem Gefieder kombinieren (Gomez & Théry 2007). Auffallende Färbungsmuster sind bei Arten, die Inseln bewohnen, im Vergleich zu nahverwandten Arten auf dem Festland reduziert. Es wird angenommen, dass solche Muster auch der intraspezifischen Arterkennung dienen und dass aufgrund der geringeren Artenzahl auf Inseln der Selektionsdruck für entsprechende Differenzierung kleiner ist (Doutrelant et al. 2016).

Gefiederfolgen

Die zeitliche Abfolge der verschiedenen Gefieder im Leben eines Vogels ist das Resultat der periodischen Federwechsel und geschieht in festgelegter Weise. Das Grundmuster ist folgendes: Bereits im Ei oder dann während der Nestlingszeit wird in der Regel das Dunenkleid (natal down) angelegt, das aus Dunenfedern besteht und im Laufe des Jugendwachstums schnell durch das Jugendkleid (juvenile plumage), das erste Kleid aus «richtigen» Federn ersetzt wird. Auch dieses ist nur von kurzer Dauer; bald darauf folgt das Ruhekleid, oft auch Winter- oder Schlichtkleid (winter oder non-breeding plumage) genannt. Viele Arten tragen dieses Kleid ganzjährig, andere wechseln vor der Brutzeit ins Brutkleid respektive Pracht- oder Sommerkleid (summer oder breeding plumage). Anschließend alternieren in diesem Fall Winter- und Brutkleid. Bei größeren Arten folgen nach dem Jugendkleid noch weitere Immaturkleider; alle sind «schlichter» als Adultkleider (Abb. 1.8). Vögel in solchem Gefieder werden als «unausgefärbt» bezeichnet.


Abb. 1.6 Der landende Basstölpel (Morus bassanus; oben) demonstriert, wie Hand- und Armschwingen je spezifische Aufgaben beim Landemanöver übernehmen; auch die verschiedenen Reihen von Deckfedern, die normalerweise eine Schutzschicht für die Schwingenbasen bilden, unterstützen den Bremsvorgang. Unter Belastung nützen sich die Federn ab. Besonders deutlich kommt dies beim zerschlissenen Gefieder des Nepalhaubenadlers (Nisaetus nipalensis) im Bild unten zum Ausdruck. Dieser Greifvogel schlägt bodenlebende Beute im Wald und stürzt sich dabei mit Wucht durch das Unterholz.


Abb. 1.7 Deutliche Unterschiede in der Gefiederfärbung zwischen den Geschlechtern zeigen sich beim Kalifasan (Lophura leucomelanos). Das braune Gefieder des Weibchens (links) wirkt als Tarnkleid während des Brütens im Bodennest, während das auffälligere blauschwarzweiße Gefieder des Männchens vor allem Signalfunktion im Kontext des Paarungsverhaltens besitzt.

Die hier verwendete traditionelle Nomenklatur der Gefieder ist auf die Verhältnisse der temperierten Gebiete abgestimmt. Eine vor allem in Nordamerika gebräuchliche Benennung verwendet hingegen genereller anwendbare Bezeichnungen, die nur auf die Abfolge, nicht jedoch auf Zeitpunkt, Färbung oder Funktion der Gefieder Bezug nimmt. Das Grundgefieder, das auf das Jugendkleid folgt, ist das basic plumage (entspricht dem Ruhekleid), das allfällige zweite Kleid im Jahr (bei Adulten das Brutkleid) ist das alternate plumage. Die adulten Gefieder werden als definitive, die immaturen Gefieder (Abb. 1.8) als first, second etc. (basic oder alternate) bezeichnet oder, falls es sich um Zwischengefieder ohne spätere Entsprechung handelt, als formative. Die Mauser wird nach dem Gefieder benannt, das sie bewirkt: Die pre-juvenile molt führt zum juvenile plumage, die pre-basic molt zum basic plumage und die pre-alternate molt zum alternate plumage (Howell 2010).

Mausertypen und -strategien

Die Mauser ist meist ein geordneter und zeitlich regelmäßiger Prozess, der aber – je nach dem zu bildenden Gefieder – unterschiedliche Gefiederpartien erfasst. Bei der Vollmauser werden sowohl Körperfedern als auch Schwung- und Steuerfedern erneuert, bei einer Teilmauser meist nur das Kleingefieder, allenfalls noch einzelne Schwanzfedern. Die Anzahl Mausern pro Jahr und deren Umfang sind artspezifisch, auch wenn innerhalb einer Art eine gewisse Variation möglich ist. Vereinfacht lassen sich, unter Einbezug des Zeitpunkts des Mauserns, vier Mauserstrategien unterscheiden:

1. Eine jährliche Vollmauser nach der Brutperiode. Viele große Vögel, aber auch der Großteil der Singvögel, verfolgen diese Strategie (Abb. 1.9).

2. Eine Vollmauser nach der Brutperiode und eine Teilmauser vor der Brutperiode. Diese Strategie ermöglicht das Anlegen eines bunteren Brutkleids, doch folgen ihr auch Arten, deren Winter- und Brutkleider sich nicht auffällig unterscheiden.

3. Eine Teilmauser nach der Brutperiode und eine Vollmauser vor der Brutperiode; vor allem bei Singvögeln, die weite Distanzen ins Winterquartier ziehen und dort die Vollmauser durchmachen.

4. Zwei jährliche Vollmausern, eine vor und eine nach der Brutperiode. Diese Strategie ist auf wenige Arten beschränkt.

Diese Strategien können komplizierter ausfallen, wenn etwa Zugvögel eine begonnene Mauser während des Zugs unterbrechen (suspended moult) und erst nach Ankunft im Winterquartier weiterfahren oder wenn das Großgefieder so langsam erneuert wird, dass die einzelnen Mauserperioden nicht mehr gegeneinander abgrenzbar sind. Verschiedene Vogelarten wechseln zudem bestimmte Federgruppen mehr als 2-mal jährlich. Solches kann beim einzelnen Vogel schnell zu einem komplizierten Muster unterschiedlich erneuerter Federn führen.

Geschwindigkeit der Mauser

Während der Ersatz der Körperfedern relativ unproblematisch ist, kann die Mauser der Schwung- und Steuerfedern während einiger Zeit die Flugfähigkeit beeinträchtigen. Ist das aufgrund der Lebensweise inakzeptabel, so bieten sich zwei Lösungen an: Entweder verläuft die Mauser radikal, dafür aber sehr schnell, oder sie verläuft sehr schonend, dafür aber sehr langsam.

1. Sehr schnelle Mauser erfordert den weitgehend gleichzeitigen Ersatz aller Schwungfedern. Dies resultiert zwar in einem vollständigen Verlust der Flugfähigkeit, der aber nur kurz dauert. Eine solche Lösung praktizieren Arten, die sich vor Prädatoren in Sicherheit bringen können, etwa indem sie sich in sehr dichter Bodenvegetation (Rallen) oder auf offenem Wasser aufhalten, wo sie bei Gefahr wegtauchen oder sich in die Ufervegetation zurückziehen (Wasservögel wie Enten und Lappentaucher oder gewisse Meeresvögel). Bei ihnen dauert die Flugunfähigkeit je nach Körpergröße zwischen wenigen und über 50 Tagen. Verschiedene Enten und andere Wasservögel fliegen oft weite Distanzen zu günstigen Gewässern, die genügend Schutz und Nahrung bieten, um dort zu mausern (Mauserzug; Kap. 6.4).

 

2. Vor allem große Arten und solche, die viel segeln, verteilen den Wechsel der Schwungfedern auf zwei oder mehr Jahre. Jedes Jahr wird ein Teil der Schwungfedern erneuert, dann folgt eine Mauserpause. Im nächsten Jahr geht die Mauser dort weiter, wo sie zuvor gestoppt wurde. Gleichzeitig beginnt sie aber am Anfangspunkt des Vorjahres erneut. Es laufen also gleichzeitig zwei bis drei oder sogar vier Mauserwellen über den Flügel, was zu einem unregelmäßigen Muster von alten (ausgebleichten) und neuen (frischen) Federn führt. Diese Art zu mausern heißt Staffelmauser und kommt unter anderen bei Adlern, Geiern, Störchen, Pelikanen (Abb. 1.10) und Albatrossen vor.


Abb. 1.8 Größere Möwen haben eine längere Abfolge von Immaturkleidern, bis sie das Adultgefieder erreichen. Im Bild zwei Kamtschatkamöwen (Larus schistisagus), links ein 1-jähriger, rechts ein adulter (mindestens 4-jähriger) Vogel.

Zeitpunkt der Mauser

Eine Vollmauser durchzuführen, ist für einen Vogel aufwendig. Die zu ersetzende Federmasse entspricht je nach Art etwa 4–12 % der Körpermasse, und da die Energieeffizienz bei der Federbildung erstaunlich gering ist (bei den meisten Singvögeln unter 10 %), resultiert ein zusätzlicher Energiebedarf von 10–110 % (Murphy 1996). Beim australischen Weißbürzel-Honigfresser (Ptilotula penicillata) wurden eine Energieeffizienz von 6,9 % und ein zusätzlicher Energieverbrauch von 82 % im Vergleich zur Zeit vor Mauserbeginn ermittelt, wobei die Spitzen beim Energieverbrauch nicht genau mit den Perioden des stärksten Federwachstums übereinstimmten (Hoye & Buttemer 2011). Offenbar kommt die mauserbedingte Zusatzenergie nicht nur durch das Federwachstum, sondern auch durch andere Faktoren wie etwa die verringerte Wärmedämmung des Gefieders zustande. Die Nahrungsversorgung und damit der Körperzustand kann bei vielen Vögeln das individuelle timing der Mauser beeinflussen (Newton 2011). Dies konnte kürzlich sogar experimentell an Wildvögeln gezeigt werden: Zusatzfütterung bewirkte bei Sumpfammern (Melospiza georgiana), dass sie mit der spätwinterlichen Teilmauser früher begannen (Danner et al. 2015).


Abb. 1.9 Flügel eines jungen Gelbsteißbülbüls (Pycnonotus xanthopygos) in der ersten Vollmauser. Die alten Federn sind etwa ein halbes Jahr alt und ausgebleicht, die erneuerten und wachsenden Federn hingegen dunkel und ganzrandig. Während Bülbüls als adulte Vögel dem Normalfall der Singvögel mit einer jährlichen Vollmauser folgen, gehören sie im ersten Lebensjahr zu einer Minderheit von Arten, die bereits aus dem Jugendgefieder eine Voll- und nicht nur eine Teilmauser durchführt.

Bei solchen Kostenfolgen müssen die meisten Vögel die Mauser zeitlich von anderen energieintensiven Aktivitäten wie der Fortpflanzung oder den Wanderungen trennen. Zudem könnten sie diese Aktivitäten auch nicht mit reduzierten Federfunktionen ausüben, ohne Fitnesseinbußen erwarten zu müssen. Möglicherweise wären die energetischen Konsequenzen einer Mauserlücke im Flügel in manchen Fällen sogar höher als die Kosten der Federneubildung. In den gemäßigten Klimazonen findet die Vollmauser deshalb in der Regel zwischen Brut- und Zugzeit statt, das heißt im Sommer. Wo die Zeit für die ganze Mauser nicht ausreicht, ist die Unterbrechung der Mauser während des Zugs eine Lösung. Oder die Mauser findet überhaupt erst nach Ankunft im Winterquartier statt, wenn dort das Nahrungsangebot hoch ist (Barta et al. 2008).


Abb. 1.10 Staffelmauser beim Rosapelikan (Pelecanus onocrotalus). Man erkennt mehrere Mauserwellen, die von den dunkelsten Schwungfedern (neue Federn) zu den helleren braunen Schwingen (älteren, ausgebleichten Federn) führen.

In weniger saisonalen Klimazonen, besonders in den Tropen, verläuft die Mauser hingegen langsamer und zeitlich ausgedehnter, sodass sie stärker mit anderen Aktivitäten wie der Fortpflanzung überlappt. Bei gegen 30 000 Vögeln, die im Amazonasgebiet diesbezüglich untersucht wurden, standen 12,7 % der mit der Fortpflanzung beschäftigten Individuen gleichzeitig in der Mauser. Die Anteile variierten zwischen den Verwandtschaftsgruppen. Vor allem Singvögel zeigten auch hier eine klare zeitliche Trennung zwischen Brutgeschäft und Mauser ( Johnson E. I. et al. 2012). Ein Spezialfall sind die meisten Arten der Nashornvögel (Bucerotidae). Die Weibchen brüten in Baumhöhlen, deren Eingänge sie von innen her fast ganz zumauern. Während ihrer «Gefangenschaft» werden die Weibchen von den Männchen gefüttert und können deshalb aufgrund des geringen aktivitätsbedingten Energiebedarfs eine Schwingen- und Schwanzmauser durchführen (Kemp A. 1995; Abb. 1.11).


Abb. 1.11 Doppelhornvogel (Buceros bicornis), Paar.

Stärkere Überlappung zwischen Fortpflanzung und Mauser ergibt sich auch bei Arten, deren Federn relativ lange für das Wachstum benötigen. Die Entwicklungsdauer der Schwungfedern korreliert positiv mit der Federgröße respektive jener des Vogels (Rohwer et al. 2009). Dies bedeutet, dass große Vögel, besonders jene mit Staffelmauser, auch in saisonalen Klimazonen während der Fortpflanzungszeit mit der Schwingenmauser fortfahren müssen; im Winter wird die Mauser aber unterbrochen.