After the Storm - Kaninchen in Cornwall

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Kapitel 2

Am nächsten Morgen stand Bettina zur verabredeten Zeit an der verabredeten Straßenecke und wartete. Ihre Freundin Annette war stocksauer, weil sie das British Museum nun allein besichtigen musste, aber das war Bettina gerade herzlich egal. Sam hatte ihr gestern Abend noch per WhatsApp den Treffpunkt und die Uhrzeit durchgegeben und viel mehr hatten sie nicht geschrieben. Bettina hatte den gestrigen Tag immer noch nicht ganz überwunden und sah mit gemischten Gefühlen dem heutigen entgegen. Aber die Vorfreude überwog eindeutig. Sie würde den Dreharbeiten zu Ihrer Lieblingsserie zuschauen dürfen und wahrscheinlich auch die anderen Schauspieler treffen oder zumindest sehen, was genauso unglaublich war, wie gestern mit Sam in einem Café zu sitzen.

Ein großer, schwarzer Land Rover hielt neben ihr und die Fensterscheibe fuhr herunter. Drinnen saß eine blonde Frau mit Pferdeschwanz, die sehr englisch und sehr streng aussah. „Bist du Bettina?“, rief sie über den Beifahrersitz hinweg.

„Ja, guten Morgen.“

„Guten Morgen, steig ein.“

Bettina öffnete die Autotür, kletterte auf den Beifahrersitz und schnallte sich an.

„Hi, ich bin Nancy, Terrys Assistentin.“ Sie schüttelten sich kurz die Hände und Nancy lenkte den Geländewagen wieder in den fließenden Verkehr. Bettina fühlte sich nicht wirklich willkommen.

Sie fuhren noch eine Weile durch London und kamen dann über einige Landstraßen auf eine Autobahn. Unterwegs telefonierte Nancy fast ununterbrochen mit Terry und einem anderen Mann und klärte den Tagesablauf sowie diverse Sachen, die Bettina nicht zuordnen konnte. Erst als sie London schon weit hinter sich gelassen hatten, war das Telefon einen Moment lang ruhig.

„Sorry, aber das mussten wir jetzt klären. Außendrehs sind immer etwas Besonderes. Besonders aufwendig, besonders nervig und besonders teuer. Und heute wird es echt ungemütlich. Das Wetter am Drehort ist nicht das Beste, aber das passt gut zu unseren Szenen. Leider hat der Golfclub um die Ecke zu, sonst hätten wir dort wenigstens die Sanitärräume und ein paar andere Räume mitnutzen können. So müssen wir alles rankarren und noch das Catering … oh Mist, da muss ich noch mal anrufen.“ Sie wählte eine Nummer und diskutierte mit einer genervt klingenden Frau, die einen für Bettina fast völlig unverständlichen englischen Dialekt sprach, wann, wo, wieviel und was an Essen herbeigeschafft werden sollte.

„Woher kennst du Sam eigentlich? Ist für ihn recht untypisch, dass er Leute mit zum Set bringt“, sagte Nancy, nachdem sie das Telefonat beendet hatte.

Bettina sah zu ihr hinüber. „Ich kenne ihn erst seit gestern. Ich bin aus Deutschland und hier im Urlaub. Wir haben uns zufällig an der Themse getroffen und er hat mich eingeladen, weil ich die Serie sehr mag.“

Nancy machte ein überraschtes Geräusch. „Einfach so?“

„Ja.“

„Du bist also Fan der Serie?“

„Ja.“

„Oh.“

„Ist das ein Problem?“

Nancy zuckte mit den Schultern. „Nein, ich denke nicht. Nein. Aber es wundert mich eben.“

„Ich finde es auch seltsam.“

Nancy lachte, aber es klang etwas aufgesetzt. Der nächste Anrufer klingelte nun durch, es war erneut Terry, der ziemlich sauer klang, weil etwas mit einem Zelt nicht funktionierte. Nancy telefonierte daraufhin mit zwei Leuten, beide Verbindungen waren wirklich schlecht und sie schrie das halbe Auto zusammen.

Nach einer weiteren Stunde auf sich durch eine Hügellandschaft voller Schafe windenden Landstraßen kamen sie am Drehort an. Nancy wurde von einem Sicherheitsposten durchgewunken und bekam von einem Mann in Regenkleidung und Signalweste einen Parkplatz zugewiesen. Bettina war froh, sich so wettertauglich wie möglich angezogen zu haben, aber Nancy schob sie trotzdem erst einmal zu einem LKW, bei dem sie von einer kleinen, runden Frau eine richtig feste Regenjacke und auch eine Regenhose zugeteilt bekam.

„So, dann komm mal mit“, sagte Nancy und Bettina folgte ihr über einen Trampelpfad zu einer Ansammlung von raumhohen Zelten inmitten einer großen Wiese. Nancy selbst erschien viel zu ordentlich angezogen für eine Umgebung wie diese.

„Was ein verdammtes Mistwetter für den Dreh“, fluchte sie laut, als sie sich unter dem großen, schmutzigweißen Zelt die Kapuze vom Kopf schob.

„Allerdings“, sagte ein großer, breiter Mann mit schwindender Haarpracht, der an einem Klapptisch saß und mit drei anderen Männern diskutiert hatte, die um ihn herum standen.

„Hi, ich bin Terry“, stellte er sich vor und schüttelte Bettina die Hand über seinen Laptop hinweg.

„Bettina.“

Terry zog die Stirn in Falten und betrachtete Bettina von oben nach unten. „Aha. Ja, schön. Moment. Nancy? Nancy!“ Seine Stimme wurde lauter und klang fordernd. Die Angesprochene reagierte nicht, sie war mit dem Aufbau eines Campingstuhls und eines Klapptisches in der gegenüberliegenden Zeltecke beschäftigt. Terry stöhnte genervt, wühlte in einem großen Pilotenkoffer und gab Bettina einen eng bedruckten Zettel und einen Kugelschreiber. „Lies das und unterschreibe es. Das ist eine Verschwiegenheitserklärung. Das ist wichtig.“

Bettina nahm beides entgegen und begann, es im Stehen durchzulesen.

„Hi“, hörte sie plötzlich von links und schaute hinüber. Sam kam unter das Zelt, in der Hand einen dampfenden Plastikbecher. Sam hatte einen fürchterlich aussehenden, nassen, mehrere Nummern zu großen Parka undefinierbarer Farbe an, darunter dunkelbraune Cargohosen und ein halboffenes Jeanshemd, an seinem Gürtel hing Munition und eine Waffe steckte in einem Holster an seinem Oberschenkel. Es war eher Joe als Sam.

„Ich würde dich ja zur Begrüßung umarmen, aber das ist gerade ungünstig“, sagte er und zeigte an sich hoch und runter. Stattdessen schüttelte er Bettina freundlich die Hand. „Hat also geklappt, prima.“ Er lächelte und Bettina hatte den Eindruck, dass er sich wirklich darüber freute, sie zu sehen.

„Ja.“

„Sam, wir brauchen dich gleich unten“, schrie ein großer Mann mit schwarzem Vollbart unter das Zelt, sprach etwas in ein Funkgerät und verschwand gleich wieder.

„Ich muss weg, viel Spaß“, sagte Sam und folgte dem Mann.

Bettina las die Verschwiegenheitserklärung weiter durch. Sie gab Terry das unterschriebene Dokument wieder zurück. Er schaute sie irritiert und nicht gerade freundlich an. „Was?“, fragte er gereizt.

„Die Verschwiegenheitserklärung. Die sollte ich unterschreiben.“

„Ja, und? Was soll ich jetzt hier damit?“, fragte er und funkelte sie böse an. Seine drei Beisitzer hielten die Luft an.

„Du hast sie mir gegeben, also dachte ich, du willst sie auch zurück haben.“

Terry schnaubte und sah Bettina durchdringend an. Sie schaute zurück. Und verstand, warum einige nicht mit ihm arbeiten konnten oder wollten. Wenn Blicke töten könnten, wäre sie jetzt schon längst im Jenseits. Aber sie hielt seinem Blick stand. Er legte seinen Kopf schräg, unterbrach den Blickkontakt und nickte. „Nancy!“

Er griff nach dem Zettel und hielt ihn in Richtung Nancy, die herbeigeeilt kam und ihn wegtrug zu ihrem Tisch, an dem sie sich gerade häuslich einrichtet hatte.

„Was denn jetzt noch?“, fragte Terry Bettina und sah sie herausfordernd an.

„Sorry, ich bin das erste Mal an einem Drehort. Gibt es noch irgendwas, das ich beachten muss?“

„Steh nicht im Weg rum und sei leise. Nebenan gibt’s Kaffee und später Catering. Die Klos sind hinter dem Nachbarzelt. Und jetzt lass uns hier bitte weitermachen.“

„Danke.“

Terry nickte abschließend und konzentrierte sich wieder auf seinen Monitor. Bettina wusste zwar immer noch nicht, wohin sie nun gehen sollte, ohne zu stören, oder wo gerade etwas Interessantes passierte, aber dieses Problem löste sich von allein.

„Hey, bist du unser Besuch?“, fragte eine sehr große, dünne Gestalt mit quietschgelben Regenklamotten und bis über die Knöchel verdreckten Armeestiefeln.

„Ja, ich bin Bettina, hallo.“

Der Mann schob seine Kapuze zurück und Bettina erkannte ihn. Es war Robert, der in der Serie Stanley, den Sonderling, spielte. Robert war Ire, sehr groß und dürr, hatte wirr gelockte, fast orangene Haare und schiefe Zähne. Er sah aus wie eine Mischung aus E.T. und Sid, dem Faultier aus Ice Age. Robert kugelte Bettina beim Begrüßen fast den Arm aus, aber er schien über ihren Besuch hier wirklich erfreut zu sein. „Ich bin Robbie. Kennst du die Serie?“

„Ja, ich mag die Serie echt gern.“

„Das ist schön, ich auch! Und warum bist du hier?“

„Sam hat mich eingeladen.“

„Oh, oh, schön! Ja, das hat er schon gesagt.“

„Robbie, könntet ihr bitte draußen weiterdiskutieren?“, rief Terry herüber.

„Ja, Boss, klar, Boss. Na, komm mit.“ Robbie zog sich die Kapuze wieder ins Gesicht und trat nach draußen in den Regen. Bettina tat es ihm gleich und folgte ihm.

„Da drüben haben Sam, Neal und Jake grad eine Szene zusammen, wollen wir zuschauen gehen?“

„Klar, gern. Das ist echt aufregend hier.“

Robbie lachte. „Ja, Außendrehs sind schon spannend. Haben wir ja oft, aber eher auf Studiogelände oder nicht ganz so schwierig wie hier. Aber das wird echt toll. Gut, dass wir Regenklamotten haben.“

Sie liefen einen schmalen, matschigen Pfad entlang in Richtung eines kleinen Abhangs. In einer Senke stand eine halbverfallene Holzhütte, daneben einige Leute in Outdoor- und Regenkleidung. Bettina und Robbie kamen näher heran und blieben zwischen den anderen Zuschauern stehen, die den Dreh hier aus einigen Metern Entfernung beobachteten.

Sam, Jake und Neal oder eher gesagt Joe, Jerry und Noah, standen umringt von einigen Drehteammitgliedern neben der Hütte, ohne Regenkleidung oder Jacken, und alle drei waren ziemlich verdreckt. Einige Leute schoben an ihren Haaren oder ihrer Kleindung herum. Bettina sah sich um, es war für sie wirklich faszinierend, die Dreharbeiten zu ihrer Lieblingsserie zu sehen. Und auch das ganze Drumherum.

 

„So, dann mal los! Phil, Howie, ist alles klar bei euch?“ schrie Terry von hinten. Eigentlich schrie er gar nicht, er sprach einfach nur laut. Aber er hatte wirklich Reichweite in der Stimme und kam nun auch den Pfad herunter. Ein Mann löste sich aus der Gruppe der Wartenden und kam ihm entgegen. Gemeinsam gingen sie den Rest des Pfades nach unten zu den drei Schauspielern und diskutierten einiges aus. Terry gestikulierte herum, zwei andere kamen noch dazu und nach einigen Minuten und einigen Übungsdurchläufen ließ er die Szene drehen.

Alles in allem dauerte es ewig. Soweit Bettina es verstanden hatte, kam Sam alias Joe hinter der Hütte herum zu den anderen beiden, dann stritten sie sich, diskutierten irgendetwas, das Bettina von ihrem Platz aus nicht richtig verstehen konnte, und dann verschwand Joe in der Hütte und die anderen beiden rannten links über die Wiese von der Hütte weg.

Bettina war fasziniert, das alles live mitzuerleben, aber ihr wurde auch kalt. Und als es wieder zu regnen begann, wurde es allgemein noch ungemütlicher, als es eh schon war. Zumal Terry immer lauter und die Stimmung immer genervter wurde, zumindest bei Neal und Jake, Sams Schauspielkollegen. Sam selbst lieferte, soweit Bettina das beurteilen konnte, eine solide Leistung ab und befolgte die Anweisungen, die er bekam. Er machte auch den einen oder anderen Fehler, aber sie hatte das Gefühl, dass zwischen den anderen beiden und Terry das weit höhere Konfliktpotential bestand. Hier gab es Diskussionen über die Dialoginhalte und den Ablauf der Szene. Als Jake dann noch beim Wegrennen auf der nassen Wiese hinfiel und das Gras so wegschob, dass eine matschige Spur entstand, beendete Terry die Dreharbeiten und schickte nach einem Blick auf die Uhr alle in die Mittagspause.

Neal und Jake stapften ohne hochzuschauen oder etwas zu sagen mit dem gesamten Tross des Drehteams an Bettina und Robbie vorbei in Richtung der Zelte. Terry, ein anderer Mann und Sam standen noch eine Weile diskutierend um das zerstörte Rasenstück herum. Der Mann versuchte, zu retten, was zu retten war und die Grasbrocken wieder aufrecht zu stellen, aber es klappte nicht richtig. Terry schüttelte den Kopf und sie kamen dann ebenfalls nach oben. Terry fluchte, als sie vorbeiliefen.

Robbie klopfte Sam auf den Rücken. „Hey, Kumpel, super gemacht“, sagte er fröhlich. Sam atmete lautstark aus, sah zwischen Bettina und Robbie hin und her und stapfte los, als Terry nicht mehr in Hörweite war. „Das war echt anstrengend. Ich hab kein gutes Gefühl dabei.“

„Wobei?“, fragte Robbie und lief neben Sam her, ein lustiges Bild, da Robbie fast zwei Köpfe größer war als Sam. „Was ist denn mit dem Gras? Kaputt?“, fragte Robbie aufgeregt und schaute noch einmal zurück.

„Ja, das hat das Fass jetzt noch zum Überlaufen gebracht. Jake hätte das nicht tun sollen. Terry hofft, dass man die Aufnahmen irgendwie so schneiden kann, dass man den Boden nicht sieht. Wir werden das definitiv noch mal nachdrehen müssen. Vielleicht auch alles noch mal neu.“

„Aber jetzt erst mal was essen“, sagte Robbie versöhnlich.

„Ja.“

„Hast du heute auch noch Szenen?“, fragte Bettina zu Robbie hoch.

„Ich? Ja, heute Abend aber erst. Geht schnell.“

Sie waren nun beim Cateringzelt angekommen. Es saßen schon einige Leute an langen Campingtischen, andere holten sich gerade etwas zu essen.

Nach einigen Minuten hatte jeder etwas Passendes gefunden und einen Sitzplatz im Trockenen. Bettina klemmte am Ende einer Sitzbank neben Robbie, Sam saß ihr gegenüber. „Und wie findest du es?“, fragte Sam und stopfte eine Gabel voll Pommes in seinen Mund. Bettina war kurz abgelenkt, weil Robbie irgendetwas neben ihr murmelte, es klang wie ein Tischgebet.

„Er ist Ire und streng katholisch“, flüsterte Sam über den Tisch. Robbie machte ein kicherndes Geräusch.

„Ich finde es super hier. Bisschen widrige Umstände, aber es ist echt aufregend.“

„Aufregend, so so“, tönte es von schräg über ihr. „Rückt mal bitte, ich möchte hier sitzen“, sagte Terry und gestikulierte die Bank entlang. Alle rückten brav auf, sodass Terry sich noch neben Bettina quetschen konnte. Er begann mit Sam eine Diskussion darüber, wie die weiteren Szenen heute aussehen könnten. Der große Mann mit schwarzem Vollbart, der vorhin schon kurz am Zelt und auch beim Drehen dabei gewesen war, saß nun Bettina gegenüber und verwickelte sie in ein Gespräch. Er hieß Howard oder eben Howie und war zuständig für die technischen Dinge am Set. Da Bettina auch gern fotografierte und vor kurzem ihr Fernstudium in Mediengestaltung abgeschlossen hatte, hatten die beiden ausreichend Gesprächsstoff. Robbie diskutierte fröhlich mit und so ging die Pause sehr schnell herum.

Die nächsten Stunden vergingen erneut unten bei der Hütte, es wurden mehrere Varianten der Szene vom Vormittag gedreht und nach einer kurzen, heftigen Diskussion unter allen Beteiligten stapften Neal und Jake stocksauer zurück nach oben zu den Zelten und kamen auch nicht wieder.

„Sind die für heute fertig oder haben die sich jetzt endgültig zerstritten?“, fragte Bettina Robbie.

„Wahrscheinlich beides. Jetzt kommt eigentlich noch eine Szene.“

„Robbie, komm mal hier runter, bitte!“, schrie Terry zu Robbie hoch. „Und bring Betsy mit!“

„Oho“, sagte Robbie. „Na, dann komm, bin mal gespannt! Heißt du nicht irgendwie anders?“

„Bettina.“

„Ah, ja. Wusste ich’s doch.“

Sie gingen hinunter zu der Hütte. Einige Helfer kamen dazu und rollten einen Gartenschlauch aus, andere montierten Lampen auf dem Dach der Hütte. Terry erklärte Sam, dass er von der kleinen Anhöhe hinunterspringen sollte in einen schlammigen Teich schräg hinter der Hütte, dort sollte er im hüfthohen Wasser stehenbleiben und mit Jake, der auf dem Dach der Hütte stehen würde, kurz diskutieren und dann nach vorn wegrennen. Da Jake aber nun nicht mehr da war, würde Robbie seinen Text übernehmen. Jake würde seinen Teil der Szene dann morgen nachdrehen. Terry drückte Robbie einen Zettel in die Hand und einer der Helfer lehnte eine Leiter an die Hütte. Robbie machte sich an den Aufstieg.

Terry sah sich suchend um. „So, du…“, sagte er und deutete auf Bettina und dann auf den Gartenschlauch, der am Boden lag. „Dich brauche ich zum Saubermachen.“ Bettina sagte nur „Ähä“ und Terry rang sich ein Lächeln ab. „Probier mal, bitte.“ Er ging einen Schritt zurück.

Bettina nahm den Gartenschlauch hoch. Am Schlauchende war eine passende Brause montiert. Bettina kannte diese Dinger aus dem Garten ihrer Eltern. Hier war allerdings kein Wasser herauszubekommen, egal wie.

„Wasser, ihr Stümper!“, schrie Terry nach oben und nach ein paar Sekunden kam ein gedämpftes „Okay“ zurück.

Bettina probierte erneut, diesmal funktionierte es. Terry schien zufrieden mit den Tests und zeigte auf einen Punkt einige Meter entfernt. „Stell dich bitte da an die Hecke, am besten halb rein, die Kamera muss vor dir vorbei. Und pass auf den Schlauch auf, den wollen wir nicht im Bild haben. Wenn Sam mit seiner Szene durch ist, läuft er hier vor.“ Terry zeigte an sich vorbei zur Vorderseite der Hütte. „Da wir definitiv mehrere Takes brauchen, aus verschiedenen Sichtwinkeln, muss er mehrfach von da oben runter. Was es einfacher macht, er kommt wegen des Regens schon klatschnass da oben an, also ist deine Aufgabe nur, den Schlamm wegzuspritzen. Wir probieren das mal. Sam, hierher.“

Sam seufzte und kam näher.

„Gib mir das bitte kurz“, sagte Terry und nahm Bettina den Wasserschlauch ab. Sam konnte gar nicht so schnell reagieren, wie Terry ihn vollends nassgespritzt hatte, von oben bis unten.

Er öffnete die Augen und funkelte Terry böse an. „Du Arsch! Das ist verdammt kalt!“

Terry lachte und nach einem kurzen Anstarrduell lachte Sam mit. Bettina ging sicherheitshalber ein paar Schritte zurück, da jetzt Howie mit einer Handkamera vorbeikam und Sam zuzwinkerte.

„Terry, ich liebe dich“, sagte Sam sehr überzeugend und umarmte Terry fest. Der quietschte los und wand sich, schaffte es aber nicht, Sam loszuwerden. Erst als er nachgab und Sam ebenfalls umarmte, ließ dieser los. Terry war nun fast genauso nass wie Sam. Alles lachte. Howie wich Terry aus, der nach ihm treten wollte, drückte seine Kamera an sich und flüchtete sich vor die Hütte.

„Ihr Säcke, ihr!“, fluchte Terry. Bettina musste auch lachen und bekam einen todbringenden Blick vom tropfenden Terry zugeworfen. „Auf deine Position!“, brüllte er sie an. „Und du auch, du Drecksack!“, scheuchte er Sam in Richtung Hügel. „Und alle anderen auch! Keine Testläufe, sofort filmen, dann haben wir mehr Material.“

Alle gingen in Position und Bettina tat ihren Job, so gut sie konnte. Sobald Sam vorbeigerannt war und Terry „Schnitt!“ gerufen hatte, kam Sam zu Bettina zurückgetrabt und ließ sich brav abduschen. Dann joggte er wieder zurück zu dem kleinen Grasüberhang und wartete auf Terrys Kommando. Robbie brüllte Jakes Text von der Hütte und Sam hatte keinen einzigen Textpatzer. Einmal variierte er seine Worte ein wenig, aber niemand sagte etwas.

Nach einer gefühlten Ewigkeit rief Terry: „Letztes Mal! Und los!“ Die Szene lief gut, wie die vorherigen auch und nach dem finalen „Schnitt!“ gab es Applaus von allen Umstehenden, viele waren es nicht mehr. Robbie kletterte von der Hütte, das Drehteam packte die Technik zusammen und die Zuschauer stapften zurück in Richtung der Zelte. Sam wurde noch einmal gründlich geduscht. Unter wacher Aufsicht der Requisiten- und Garderobenverantwortlichen wurden auch die Munitionsattrappen und die Airsoftwaffe gut abgespült.

Oben bei den Zelten bekamen Robbie und Bettina von Terry einige Handtücher zugeworfen, bevor er und Sam in Richtung der Wohnmobile verschwanden.

„Wie geht’s jetzt weiter?“, fragte Bettina.

Robbie trocknete sich die Haare ab und legte das Handtuch in einen bereitstehenden Wäschekorb. Bettina legte ihres dazu.

„Für heute ist, denke ich, Schluss, zumindest für Sam. Wir machen jetzt Kaffeepause, dann hab ich noch meine Szene, die ist aber in einem Auto, das steht da hinten irgendwo. Ich denke mal, ihr fahrt dann jetzt nach London zurück.“

Bei einem Kaffee warteten sie zusammen mit Howie und Phil und nach einer gefühlten Ewigkeit kamen Terry und Sam zurück. Terry versammelte sofort seine Leute um den Laptoptisch. Sam hatte zwar noch nasse Haare, war aber mit Jeans und Pulli wieder von Joe zu Sam geworden.

„So, dann mal gute Rückfahrt, schön, dass du da warst“, sagte Robbie herzlich und umarmte Bettina kurz und heftig. Sie klopfte ihm auf den Rücken. „Ja, war schön. Echt spannend hier.“

„Ja“, strahlte er.

Sam lachte. „Na, dann los.“ Er legte Bettina eine Hand um die Schulter und drehte sie in Richtung Zeltausgang. Dann ließ er sofort wieder los. „Terry, du meldest dich? Morgen geht’s weiter? Oder übermorgen?“

„Ich melde mich. Morgen, wenn überhaupt, erst nachmittags. Für dich eher erst übermorgen. Wir sind gut vorangekommen. Danke.“ Und an Bettina gewandt sagte er: „Tschüss dann, gute Arbeit.“ Er schüttelte ihr kurz die Hand, bevor er sich wieder auf seinen Laptop konzentrierte. Sam sah erstaunt aus, beide Augenbrauen hochgezogen. „Na dann, ab nach Hause“, sagte er und sie gingen zusammen am Requisitenlaster vorbei, wo Bettina ihr Regenzeug abgab.

„Unser Auto ist schon da, meine Güte, was freue ich mich auf eine warme Dusche.“ Sam steuerte auf den Kleinbus zu, der mit geöffneter Seitentür und laufendem Motor ein paar Meter entfernt wartete.

„Das glaub ich dir“, sagte Bettina, kletterte hinter Sam in das Auto und schob die Tür zu.

„Fertig für heute, hm?“, fragte der Fahrer nach hinten.

„Ja, ich bin echt froh, wenn ich zu Hause bin. Das war eine nasse Sache heute.“

Der Fahrer lachte und sie hoppelten über die unbefestigte Straße durch die umliegenden Schafweiden, bis sie auf die Landstraße kamen.

„Bei Terry hast du aber mächtig Eindruck gemacht“, sagte Sam nach einigen Minuten Stille.

„Was? Warum?“ Bettina sah verwirrt von ihrem Handy hoch. Sie hatte Annette gerade geschrieben, dass sie auf dem Rückweg war. Sam lachte. „Naja … er war echt beeindruckt und hat sogar ‚gute Arbeit’ gesagt. Das ist schon was bei ihm.“

 

„Ich fand ihn extrem unhöflich. Ich meine, es war wirklich toll und spannend, ihn mal getroffen zu haben, er ist ja schon ein Genie. Auch die anderen seiner Serien sind hervorragend, aber menschlich finde ich ihn schwierig einzuschätzen.“

„Ach, er kann noch ganz anders. Terry hat halt auch eine Menge Druck von allen Seiten. Er muss alles zusammenhalten. Es ist so schon schwierig genug. Und wir Schauspieler sind auch nicht immer einfach.“

„Was war denn mit Jake und Neal?“

„Mal wieder Rumgezicke. Ich hoffe, dass sie sich aussprechen. Sonst wird es echt schwierig langsam. Was sagt deine Freundin über das British Museum? War es schön?“

„Sie sagt bisher noch gar nichts.“

Sam grinste. „Ich kenne jemanden, der unter anderem dort arbeitet. Ich war mal drin, als eigentlich geschlossen war. Das war cool.“

Bettina lächelte. „Das glaub ich. Oh, Antwort.“ Sie las Annettes Nachricht. <Ja, war toll. Ich bin heute erst spät im Hotel. Gehe noch ins Kino, gegessen habe ich schon>.

„Oho“, sagte Bettina.

„Hm?“, machte Sam.

„Sie geht noch ins Kino, gegessen hat sie schon, es wird spät heute, Museum war schön.“

„Na super. Wirklich gut befreundet seid ihr nicht, oder?“

Bettina sah erstaunt zu Sam hinüber. „Naja, geht so. Sie ist nicht meine beste Freundin, nein, aber ich dachte wirklich, das mit dem Urlaub klappt besser.“

Sam schaute sie an und übermittelte sehr treffend ein ‚Das tut mir leid, aber mach dir nichts draus!’, nur durch seinen Gesichtsausdruck. „Hast du Hunger?“, fragte er. Zur Antwort knurrte ihr Magen so laut, dass sogar der Fahrer lachen musste. Sam lachte mit. „Gut. Was hältst du davon, dass wir noch was zusammen essen? Du wirst ja nicht wirklich vermisst von deiner Freundin.“

Bettina wurde wieder ganz warm und eine Übelkeits- oder eher Aufgeregtheitswelle durchzog ihren Bauch. Der Tag war schon toll genug gewesen, jetzt noch mit Sam zu essen war gigantisch.

„Okay.“

„Magst du Nudeln?“

„Klar. Wer mag die nicht?“

„Das trifft sich gut.“