Das Tal der Tränen

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Das Tal der Tränen
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Das Tal der Tränen

Walther Kabel

Inhaltsverzeichnis

Über den Autoren:

Das Tal der Tränen.

Impressum

Über den Autoren:

Walther August Gottfried Kabel war ein deutscher Unterhaltungsschriftsteller. Er gilt als einer der meistgelesenen deutschen Volks-Schriftsteller der 1920er Jahre. Er veröffentlichte unter anderem unter den Pseudonymen Walter Kabel, Max Schraut, Olaf Karl Abelsen, W. Belka, Walther Neuschub, William Käbler, M.E.

Das Tal der Tränen.

Erzählung nach einer wahren Begebenheit von Walter Kabel-Langfuhr.

Auf der Veranda von William Pickers Hotel „Zum Präsidenten“ saßen an einem Vormittag des Frühjahrs 1905 zwei Männer hinter einer dickbauchigen Flasche und starrten schweigend vor sich hin in die von Wagenspuren aufgewühlte Straße, die sich zwischen den primitiven, roh aus Brettern und Latten zusammengezimmerten Häusern von Neuparis hindurchschlängelte. Als jetzt der eine seinen zerbeulten Blechbecher aufs neue füllte, behielt er die Flasche noch einen Augenblick in der Hand und suchte das schmutziggraue Etikett zu entziffern, auf dem noch einige Buchstaben zu lesen waren. Und diese verrieten, daß die Flasche einst in den Kellern einer der ersten französischen Sektfirmen gelagert hatte. Doch diese besseren Tage waren für das edle Fräulein längst dahin –, geradeso wie für die beiden stillen Zecher, die aus ihr mit Will Pickers selbstgebrautem Whisky, einem Aufguß von billigstem Spiritus über Pfeffer und etwas Zucker, ihre anspruchslosen Kehlen anfeuchteten und deren Äußeres jeden Landgendarm in Deutschland zu einer möglichst eingehenden Prüfung der Legitimationspapiere veranlaßt haben würde. Daß Fred Burns in seinem einst schwarz gewesenen, nunmehr grünlich schillernden, zerrissenen Gehrock und Harry Wilson mit dem ebenso schäbigen braunen Samtanzug hier in Neuparis zu den Honoratioren gehörten, lag an den etwas ungeordneten Zuständen, die in dem vor kaum drei Jahren entstandenen Städtchen herrschten. Selbst auf einer noch so genauen Karte von Nordamerika wird man Neuparis heute vergeblich suchen. Dem Orte war nur eine kurze Lebensdauer beschieden. Er verschwand ebenso schnell unter den Fluten des Koloradoflusses[1], wie er 1902 nach Bekanntwerden der Goldfunde in den Randbergen der Koloradowüste aus der Erde wuchs. Denn damals hatte sich plötzlich ein großer Menschenstrom in den bisher völlig unbewohnten, von der Südpazifikbahn durchschnittenen Landstrich im Südosten des Staates Kalifornien ergossen, zerteilte sich und besiedelte die Grenztäler der öden Steppe, in der nichts gedieh als das dürre Gestrüpp des Kreosotstrauches und die verschiedensten, anspruchslosen Kakteenarten in weiten, undurchdringlichen Feldern.

Es schien, als ob jene Zeiten wiederkehren sollten, in denen um die Mitte des vorigen Jahrhunderts das Goldfieber ganze Scharen von Abenteurern in die Bergöden Kaliforniens gelockt hatte, als ob ein neues Klondyke gefunden war, das wie ein Magnet die hoffnungsfreudige Menge anzog. – Doch das neu entdeckte Goldland hielt nicht, was es anfänglich versprach. Es fehlte überall an dem zur Gewinnung des edlen Metalls notwendigen Wasser, und die wenigen reicheren Minen, deren trockener Abbau sich verlohnte, gingen schnell in die Hände von größeren Gesellschaften über und waren noch schneller erschöpft. So flutete der Strom der Einwanderung schon nach kaum zwei Jahren wieder rückwärts. Die wie Pilze aus dem Boden geschossenen Ortschaften wurden verlassen, und nur halbverfallene Gebäude, der aufgewühlte Boden und hin und wieder ein einfaches Holzkreuz auf einem Grabhügel bewiesen, daß auch hier der Mensch versucht hatte, der Erde in hartem Kampfe ihre Schätze abzuringen. Und selbst als im Jahre 1903 ein findiger amerikanischer Unternehmer einen sechzig Kilometer langen und fünf Meter breiten Graben unter Benützung eines ausgetrockneten Flußbetts vom Kolorado nach dem tiefsten Punkte der Wüste auswerfen ließ, um das Wasser an die anliegenden Grubenbesitzer zur Benützung für die ergebnisreichere Goldwäsche zu verpachten, konnte das die zunehmende Entvölkerung nicht mehr aufhalten, da die aus dem Sande gewonnene Metallmenge die aufreibende Tätigkeit nicht verlohnte. Nur dem dicht am Kanal und etwa zwei deutsche Meilen vom Kolorodo entfernt liegenden Städtchen Neuparis blieb ein Teil seiner Bewohner treu, trotzdem sich auch hier die wenigsten noch mit Minenarbeit beschäftigten, sondern es vorzogen, durch Berieselung weiter Landstrecken einen mit der Zeit ganz ertragreichen Weizenacker zu schaffen. Denn was von den Geographen bisher nur vermutet war, bestätigte sich jetzt bei der Bewässerung und beim Umpflügen des scheinbar so dürren Bodens dieser weiten Tiefebene. Der kalifornische Golf mußte tatsächlich einst bis zum San Georgoniopaß gereicht haben und hatte bei seinem Zurückweichen dann einen Binnensee gebildet. Dieser See trocknete allmählich aus und hinterließ eine fette Schlammerde, die mit der Zeit durch eine feine, von den Randbergen herübergewehte Sandschicht bedeckt wurde und der weiten Niederung das Aussehen einer unfruchtbaren Wüste verlieh, so daß niemand an die Nutzbarmachung dieser etwa tausend Quadratkilometer großen Fläche dachte. Erst bei der Suche nach dem lockenden Golde war man auf die fruchtbare Erdschicht gestoßen, und die landwirtschaftlichen Erfolge veranlaßten dann im Früchjahr 1904 eine Erweiterung des Grabens um sieben Meter, da die Wassermenge für den Farmbetrieb, der bald zu beiden Seiten des Kanals in größerem Umfange aufgenommen wurde, nicht mehr genügte. Daß man bei diesem Ausbau der neuen Wasserstraße mit echt amerikanischer Leichtfertigkeit verfuhr und weder genügend sichere Schleusen noch Stauwerke vorhanden waren, um bei dem in jedem Frühjahr drohenden Hochwasser des reißenden Stromes Herr zu werden und eine Überflutung des Kanals, der an seiner Mündungsstelle in den Kolorado ein bedeutendes Gefälle hatte, zu verhüten, kümmerte die Stadtbehörden von Neuparis nicht im geringsten, noch weniger die kalifornische Regierung, der die auf so billige Weise erfolgte Erschließung einer bisher völlig unausgenützten Sandfläche durchaus gelegen kam.

In William Pickers Hotel „Zum Präsidenten“ war es zum größten Schmerz des Besitzers nach Abzug der Kanalarbeiter wieder recht still geworden, und der Verkauf des selbstgebrauten, extrafeinen Whiskys hatte demzufolge um die Hälfte nachgelassen. Auch in anderer Hinsicht glaubte der dicke Wirt, dessen blaurot schimmernde Nase am besten für die alkoholische Reinheit der von ihm verschänkten Getränke sprach, allen Grund zur Unzufriedenheit zu haben. Denn seitdem auch die Einwohner des Städtchens sich dem ertragreicheren Ackerbau zugewendet hatten, mieden sie ebenfalls den Schankraum seines „Hotels“. Eine geradezu unheimliche Solidität hatte die Neupariser befallen, der Will Picker selbst durch die gewagtesten Preisermäßigungen für seine feuchten Artikel nicht beikommen konnte. Und als er jetzt in die Tür trat und die beiden alten Stammgäste betrachtete, die allein in der mit altem, löcherigen Sacktuch überspannten Schafhürde, hier stolz Veranda genannt, an einem der wackligen Tische saßen und stumpf vor sich hinstierten, verzerrte sich sein aufgedunsenes Gesicht zu einer ärgerlichen Grimasse. Er versetzte dem auf der Türschwelle liegenden großen Hofhund einen Fußtritt und kam dann näher,zog sich einen der Schemel heran und ließ sich aufstöhnend darauf nieder. Ungeniert griff er zu Harry Wilsons Becher, leerte ihn auf einen Zug, wischte sich mit der Hand die Lippen und meinte mit einem Versuch, in seine verschwommenen Züge den Ausdruck größten Genusses zu legen: „Das Zeug schmeckt – schmeckt –!“ Und er schnalzte leise mit der Zunge. – Fred Burns murmelte etwas in seinen blonden Schnurrbart, das die größte Ähnlichkeit mit „Verfl… Rattengift!“ hatte. Und auch Wilson blieb dem dicken Hotelier eine Anerkennung schuldig.

Da merkte Will Picker, daß seine Gäste heute nicht in der Stimmung waren, ihm irgendwelche Schmeicheleien zu sagen, er schaute erst prüfend den einen, dann den anderen an und fragte schließlich zögernd: „Jungens, was habt ihr eigentlich? Gesichter macht ihr, wie kürzlich der Ned Parker, als ihm der verdammte Sergeant aus Fort Mojave die Kugel durchs Hirn blies, um einer Durchlöcherung des eigenen Felles zuvorzukommen!“

Fred Burns, der in seinem schäbigen Gehrock und den grauen Leinwandhosen wie ein verkommener Gelehrter aussah, drehte unschlüssig seinen Becher in einer Whiskylache auf der rauhen, ungehobelten Tischplatte hin und her. Dann kniff er die listigen Äuglein noch mehr zusammen und warf einen forschenden Blick auf seinen Freund Harry, der soeben mit einem grellbunten Taschentuch an seiner Browningpistole herumputzte. – Will Picker beobachtete das alles schweigend, dachte sich aber sein Teil. Er kannte die beiden gut genug um zu wissen, daß etwas Besonderes in der Luft schwebte. Und es dauerte auch nicht lange, da begann der blonde Fred bedächtig:

„Will, Ihr seid doch mindestens ein ebenso geriebener Hallunke wie Harry und ich, nicht wahr?“

Der dicke Wirt dankte für dieses Befähigungszeugnis durch ein ganz ernstes: „Nicht ganz, alter Sohn, – nicht ganz!“

„Na, jedenfalls habt Ihr aber noch Verstand genug, um zu begreifen, daß … Ihr uns Beiden tausend Dollar borgen müßt!“

Der Eigentümer des erstklassigen Hotels „Zum Präsidenten“ fuhr wie von einem bösen Insekt gestochen empor.

„Tausend … tausend Dollar …!“ stotterte er. „Ja, seid ihr denn verrückt, Jungens! Woher soll ich wohl das Geld nehmen?“

 

Harry Wilson hatte wie zufällig die Mündung seiner Selbstladepistole auf die Brust des vor ihm sitzenden Wirtes gerichtet und spielte mit dem Zeigefinger recht auffallend an der Sicherung.

„Aus Eurem Geldkasten, Will, aus Eurem Geldkasten!“ half er dem Gedächtnis seines Gegenüber nach und lachte dann hell auf, als er bemerkte, wie Will Pickers kirschbraune Wangen bei dem Anblick der Browning sich plötzlich verfärbten. – Doch Fred Burns schien mit dieser zarten, nach Schießpulver riechenden Mahnung nicht einverstanden.

„Steck’ deine Knallbuchse ein, Wilson!“ meinte er ärgerlich. „Unser Gönner denkt sonst wahrhaftig, wir wollen die tausend Dollar von ihm erpressen! Und es soll doch nur ein regelrechtes Darlehen werden.“

Harry Wilson ließ schmunzelnd die Pistole in die Brusttasche seines Samtjacketts gleiten und Will Picker neigte ergeben in sein Schicksal das Haupt.

„Also, teurer Freund, wir brauchen das Geld unbedingt. Wollen nämlich nichts anderes, als dem Deutschen das Tal der Tränen wieder abkaufen! – Geht Euch nun ein Licht auf, Will?“

Der Dicke schaute ihn überrascht an.

„Wieder abkaufen? – Ja, aber wozu denn?“ fragte er zweifelnd.

Da lachte Fred Burns aus vollem Halse.

„Wird doch wohl 'nen Grund geben, der uns die Felshölle wertvoll erscheinen läßt, denke ich! Oder meint Ihr, daß Harry und ich wie einst wieder mit der kläglichen Goldsucherei beginnen wollen, um nach zehnstündiger Arbeit vielleicht für fünf Dollar gelbe Körnchen erbeutet zu haben? – Ne, alter Will, das würde uns nicht locken! Doch die Sache liegt jetzt andere …!“

Er beugte sich weit über den Tisch und flüsterte dem Hotelier zu: „Der Deutsche muß in dem Tal der Tränen eine reiche Goldader entdeckt haben, – muß, Will Picker! Denn als er kürzlich mit der Post nach La Pax fuhr, habe ich mir Jim Setters dürren Klepper für zwei Tage ausgeliehen und bin dem aufgeblasenen Kerl nachgeritten, habe dann in La Pax sehr wohl am Schalter der Bank beobachtet, wie er zwei große Lederbeutel voll Nuggets (Goldkörner) abwiegen und zur Aufbewahrung daließ!“

Dem Hotelier quollen die Augen beinahe aus dem Kopf. In sein brutales Gesicht trat ein widerwärtiger Zug von Habgier, den er vergeblich hinter einem freundlichen Grinsen zu verbergen suchte, mit dem er jetzt dem blonden Burns zunickte.

„Also daher die häufigen Reisen des Herrn Walters nach La Pax, daher!“ meinte er, durch die Zähne pfeifend. „Kein vernünftiger Mensch konnte begreifen, warum er dort in dem ausgetrockneten Bach noch immer herumwühlt, wo doch hier in der Umgegend jedes Stäubchen Gold längst verschwunden ist! – Nun haben wir ja eine Erklärung! Und es wird damit wohl stimmen!“ Dann schien er eine Weile angestrengt nachzudenken.

„Jungens, ob der Deutsche aber so freiwillig in den Rückkauf willigen wird, möchte ich bezweifeln,“ sagte Will Pickers schließlich, ungläubig den Kopf hin und her wiegend. „Versuchen könnt ihr’s ja! Aber für ‘nen Erfolg garantiere ich nicht.“

„Die Hauptsache ist, daß Ihr uns das Geld gebt, Will,“ platzte Wilson kurz heraus und zog sein geblümtes Halstuch energisch zurecht. „Daß wir dann wieder in den Besitz unseres früheren Eigentums gelangen, dafür laßt nur uns Sorgen. – Ihr wart ja Zeuge bei dem Kaufabschluß, und könnt doch nötigenfalls vor dem Bezirksrichter beeidigen, daß wir uns das Rückkaufsrecht innerhalb von zwei Jahren vorbehalten haben, nicht wahr,“ setzt er lauernd hinzu. – Der edle Wirt verstand sofort.

„Natürlich – natürlich! s’ war vorbehalten auf zwei Jahre, und die Frist läuft bald ab. Wenn ich nicht irre, kann’s Anfang Juni 1903 gewesen sein, als ihr ihm das Tal der Tränen übergabt.“

Dann steckten die drei die Köpfe noch enger zusammen und berieten den Plan mit allen Einzelheiten. So verging eine halbe Stunde. Hin und wieder wurde auch ein lauteres Wort ihres Gesprächs vernehmbar, besonders wenn Will Pickers dröhnender Baß etwas dazwischenrief. – Die Flasche war längst leer, und schon mehrmals hatte Harry Wilson seinen Becher sehr bezeichnend zum Munde geführt und den dicken Wirt dabei halb bittend, halb fordernd angesehen. Aber dieser wollte die zarten Winke nicht verstehen, qualmte in solchen Momenten nur verlegen einige Wolken aus seiner kurzen Stummelpfeife. Schließlich dauerte dieses bescheidene Flehen dem Inhaber des schäbigen Samtanzuges doch zu lange. Er benützte sehr geschickt eine Pause in der Unterredung, holte langsam seine blitzblanke Browning aus der Brusttasche hervor und klopfte damit gegen die Sektflasche.

„Wie ist’s mit ’nem kleinen Freitrunk auf unser Geschäft hin, Will,“ meinte er grinsend und weidete sich förmlich an den verängstigten Augen des Dicken, dessen Mut zu der enormen Körperfülle in keinem rechten Verhältnis zu stehen schien.

„Laßt das Schießeisen weg,“ brummte der Hotelier unruhig. „Kürzlich ist Parkers Pistol auch ganz ohne Grund losgegangen und hätte mir beinahe eine überflüssige Öffnung in meinen Brustkasten eingesenget.“ – „Weiß ich, Will, weiß ich,“ warf der rotfuchsige Harry seelenruhig ein. „War damals, als Ihr dem langen Kerl auf seine blanken Dollars Euer famoses Gemisch aus Messing- und Goldstaub herausgeben wolltet.“

Der Dicke richtete sich scheinbar beleidigt auf.

„Ich verbitte mir …“

Doch das gröhlende Gelächter der beiden Freunde und einstigen Besitzer des Tals der Tränen schnitt ihm das weitere ab.

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