Ich reich´ dir meine Hand

Text
Read preview
Mark as finished
How to read the book after purchase
Ich reich´ dir meine Hand
Font:Smaller АаLarger Aa

Ich reich´ dir meine Hand

1  Ich reich´dir meine Hand

Ich reich´dir meine Hand

Marie ist eine junge Frau, die mit ihren zweiundzwanzig Jahren schon recht viel erlebt hat. Sie wurde schon oft verarscht. Ob von Freunden, Bekannten und erst recht von ihren Exfreunden. Jedes mal heuchelte man ihr die große Liebe vor und dann wurde sie für eine hübschere, dümmere Frau verlassen. Irgendwann hatte es ihr gereicht und sie suchten nicht mehr nach ihrem Mister Right. Sie ist nun freier, glücklicher Single. Oft bekommt sie über die sozialen Medien Anfragen, ob sie sich nicht mit jemanden treffen möchte. Ihr Profilbild sei ja so hübsch. Ja klar ist Marie hübsch, aber nicht doof. Schwarze, schulterlange Haare, blaue Augen und ein sanft brauner Hautteint ist anscheinend immer ein Zeichen von Blödheit und „ leicht zu haben“ scheint ihr auf der Stirn, für Vollidioten, tätowiert zu sein. Nein, nicht mit Marie. Sie genießt die Zeit alleine für sich und mit ihren weiblichen Freunden und hält sich weitestgehend von Männern fern.

Eines Tages war Marie im Supermarkt nebenan einkaufen und konnte die Blicke von einer jungen Frau nicht abwenden. Sie sah die schweren Tüten, die diese Frau schleppte. Marie kaufte nur drei Teile. Toastbrot, Käse und Schokolade für den Abend. Alles was eine junge Frau braucht um glücklich zu sein. Sie bezahlte ihre Artikel und eilte der Frau zur Hilfe.

Marie sprach die Frau an: „ Entschuldigung!“ Doch die Frau reagierte nicht. Noch einmal sagte Marie: „ Entschuldigung, junge Frau mit den schweren Einkaufstaschen.“ Jetzt drehte sich die Frau um und schaute Marie an. Marie fragte sie, ob sie ihr helfen soll, die Taschen zum Auto zu tragen. Die Frau erwiderte, dass sie kein Auto habe, bedankte sich und wollte weiter gehen. Doch Marie ließ nicht locker. Sie fragte, wo sie denn hin müsse. „ Nicht so weit“, sagte die Frau schüchtern. Marie erwiderte, dass sie ums Eck wohnt und ihr gerne hilft die Taschen nach Hause zu bringen. Noch bevor die Frau antworten konnte, nahm Marie ihr eine Tasche ab. Diese war wirklich schwer. Die schüchterne Frau grinste ein wenig und bedankte sich von Herzen. So gingen sie und Marie zu ihr nach Hause. Es waren gerade ein mal zehn Minuten Weg. In der Zeit kamen die zwei Frauen ins Gespräch und Marie erfuhr, dass die schüchterne Frau Ela heißt. Sie war gerade einmal zwei Jahre älter als Marie. Marie trug die schwere Tasche bis zur Wohnungstür. Ela bedankte sich nochmals und wartete bis Marie verschwand, erst dann ging sie zur Tür rein.

Glücklich jemanden geholfen zu haben ging Marie auch gleich nach Hause. Denn immerhin musste sie am nächsten Tag wieder zur Arbeit. Marie arbeitet als pädagogische Fachkraft in einer Bildungseinrichtung für Langzeitarbeitssuchende. Dort steht sie Frauen und Männern mit Rat und Tat zur Seite und hilft ihnen bei der Jobsuche. Ihr machte der Job sehr viel Freude. Denn Marie half gerne Menschen und mochte es die unterschiedlichsten Menschen kennen zu lernen. Von verhasstem Arschloch bis hin zu hilfsbereiten, netten Kontakten.

Doch der nächste Morgen war anders als die anderen. Da war sie wieder. Die Frau von gestern. Ela war diesmal als Teilnehmerin angemeldet wurden und wurde der Einrichtung und den anderen Mitgliedern vorgestellt. Marie merkte sofort, dass mit ihr etwas nicht stimmte. Ja, sie war auch gestern schüchtern. Doch heute war sie irgendwie anders. Sie sah Marie mit großen Augen an und wurde plötzlich rot. Ob sie sich schämte, dass sie hier sein musste, sollte, wollte? Marie kümmerte sich vorerst um den normalen Ablauf und ließ Ela sich den anderen Mitgliedern vorstellen. Sie nannte allerdings nur ihren Namen, ihr Alter und setzte sich rasch wieder hin. Die schüchterne Frau hatte einen dicken Pullover an, obwohl es über einundzwanzig Grad im Raum waren. Alle saßen in Shirts oder in dünnen Strickjacken da. Elas Pullover war zudem viel zu groß. Marie versuchte Kontakt mit ihr aufzunehmen, denn das hatte ja gestern so gut geklappt. Doch diesmal wandte sich Ela etwas von ihr ab und suchte sich Hilfe von anderen Leuten, wenn sie etwas nicht verstand. Marie war verwirrt. Doch so ging es noch einige Tage.

Als es selbst Ela zu warm in ihrem dicken Pulli wurde, zog sie diesen aus und schob ihren rechten Arm ziemlich an sich heran. Doch Marie hatte beim Ausziehen des Pullovers schon gesehen was sie dort versteckte. Sie bat Ela in ihr Büro für ein Gespräch. Unter dem Vorwand, dass sie ein paar Jobangebote hätte und diese mit ihr persönlich besprechen wollte, in einer ruhigeren Umgebung, folgte ihr Ela auch. Marie fragte sie erst ein mal, ob sie sich denn wohl fühle in der Einrichtung und ob sie gut klar kommt. Ela nickte hastig und hoffte, dass das Gespräch bald beendet sei. Doch Marie brannte etwas ganz anderes auf der Seele. Sie wusste das etwas nicht mit Ela stimmte. Also versuchte sie es so sanft wie möglich aus zu sprechen. Sie fragte Ela, was sie am Arm denn gemacht habe und ob es Auswirkungen auf die Jobsuche hätte. Auch dort schüttelte Ela nur den Kopf hastig und meinte, dass sie sich blöd gestoßen habe. Auf die Frage, wie das denn passiert sei, meinte Ela nur, dass sie es nicht mehr genau weis. Das kaufte ihr Marie jedoch nicht ab. Sie zeigte ihr dennoch ein paar Stellenangebote, damit es nicht aussah, als würde sie Ela nur aushorchen wollen. Natürlich wusste sie, dass diese nichts für Ela seien und schickte sie nach dem Gespräch wieder in die Gruppe. Doch ihr ließ dieses Gespräch keine Ruhe, sie glaubte Ela nicht. So entschied sie sich am Abend, als sie auf dem Sofa saß, dass sie einfach mal bei ihr vorbei schauen sollte. Natürlich wollte sie nicht das Ela etwas mit bekommt, denn sie mochte ja nicht als Stalker da stehen. So zog sich Marie unauffällig an und ging zum Haus, wo Ela wohnte. Da sie schlecht bei ihr klingeln konnte, machte sie das beim Nachbarn und entschuldigte sich, dass sie sich verdrückt hatte. Als sie in den Flur eintrat hörte sie einen fürchterlichen Lärm im Haus. Sie fragte den Nachbarn, was das für ein Geschrei denn sei. Dieser erwiderte nur, dass das doch jeden Tag so sein. Bis die Frau anfängt mit weinen und dann wieder Ruhe ist. Marie fiel es wie Schuppen vor den Augen. Das kann nur in Elas Wohnung sein. Sie rannte schnell nach oben und es war tatsächlich in ihrer Wohnung. Ein Mann schrie sie an. Was genau er sagte, konnte sie nicht wirklich verstehen. Dennoch hörte es sich sehr wütend an. Plötzlich hörte sie Ela. Sie entschuldigte sich und bat ihn, dass er doch nicht mehr schreien soll. Doch dann hörte Marie ein Klatschen. Ob er Ela geschlagen hatte? Sie konnte es nicht genau definieren. Dann hörte sie Ela weinen. Der Mann war jetzt leise. So wie es der Nachbar gerade erzählte. Marie ging mit gemischten Gefühlen nach Hause.

Als sie am nächsten Morgen wieder auf Arbeit war, klingelte das Telefon von ihrem Kollegen und er nickte nur und meinte dann: „ Kein Problem, gute Besserung.“ Marie bekam eine Gänsehaut. Sie ahnte schon wer er am anderen Ende der Leitung war. Ihr Kollege legte den Hörer wieder in die Aussparung vom Apparat und trug etwas in seinem Kalender ein und meldete Ela krank. Sie würde sich nicht so gut fühlen. Marie wurde blass und hatte Tränen in den Augen. Doch ihrem Kollegen sagen, dass sie gestern bei ihr vor der Wohnungstür war und was sie gehört hatte, konnte sie nicht . Immerhin sollte beruflich und privat getrennt werden. Darauf bestand auch ihr Arbeitgeber. Ihr Kollege fragte, was sie denn habe. „ Nichts, nichts“, sagte Marie und verkroch sich hinter ihrem Computer. Auch dieser Arbeitstag nahm sein Ende und Marie war froh, denn sie wollte nochmal zu Ela gehen. Diesmal klingelte sie absichtlich beim Nachbarn und fragte ihn, was er über dieses Geschrei wüsste und ob er die junge Frau schon gesehen hatte. Er meinte nur, dass es ihn nicht interessiert, was hinter fremden Türen geschieht und er nicht vierundzwanzig Stunden, sieben Tage die Woche am Fenster schauen würde, wer in diesem Haus ein und aus geht. Er meinte auch, Marie soll ihn in Ruhe lassen, nicht mehr bei ihm klingeln und schmiss dann die Tür vor ihrer Nase zu. Ein wenig schockiert rümpfte sie die Nase und flüsterte dann leise: „Arschloch.“

You have finished the free preview. Would you like to read more?