Der Teufel

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2. Okkultismus, Satanismus – Destruktive Opposition

Dem Bösen haftet mithin eine eigentümliche Faszination an, die sich auch immer wieder in okkulten Praktiken zeigt, die zumeist losgelöst von (christlicher) Religion und auf das vordergründig Wahrnehmbare (aber gerade eben nicht rational Erklärbare) reduziert sind. Es bilden sich quasireligiöse Vorstellungen, durchsetzt von Schwarzer Magie, von Hexen, Zauberern und Wahrsagerinnen, von parapsychologischen Fähigkeiten und Räumen voller Geister und Dämonen. Spätestens seit Mitte der 1980er-Jahre ist ein Aufflammen okkulter Phänomene und Thematiken zu erkennen, sei es in esoterischen oder spiritistischen Zirkeln oder in dezidiert okkulten Kreisen. Die Moderne setzt also vielerorts auch eine Suche nach mehr als Faktizität, Rationalität und Funktionalität in Gang. Offensichtlich haben die Großkirchen diese Suche nach religiöser Verortung nur ungenügend beantwortet, das dadurch entstandene (Sinn-)Vakuum in postmoderner Unsicherheit wird von dubiosen Sekten und ernsthaften Selbstfindungs- und Meditationsseminaren gleichermaßen ökonomisch verwertet: Wenn der Markt für religiöse Befriedigung mit okkulter Ausrichtung auch im täglichen Geschäft des Gesellschaftsbetriebs nebensächlich zu sein scheint, so ist er offensichtlich noch lange nicht gesättigt. Ob nun in der Esoterik der Blick in erster Linie auf positive Mächte oder wie im Okkultismus auf böse Geister gerichtet wird: Die Faszination am Transrationalen, am Metaphysischen und Übersinnlichen scheint ungebrochen – und mit dieser Faszination ist ein gutes Geschäft zu machen.

Mit dem Okkultismus verbunden, aber dennoch davon abzugrenzen ist der Satanismus. Dieses Phänomen ist ein nur schwer definierbares, und selbst Experten und Expertinnen widersprechen sich in der Beschreibung und Beurteilung von satanistischen Szenen und Gruppen: Von harmloser Protestjugendkultur bis zu gefährlichen Ritualkulten, von unschädlicher Musikströmung über Schwarze Messen hin zu Tier- und Menschenopfern reicht die Spannbreite in der Beschreibung. In der Tat ist der Satanismus ernst zu nehmen, seine psychischen und physiologischen Folgewirkungen sind nicht zu vernachlässigen. Doch allzu oft erscheint Satanismus als Projektionsfläche gieriger Sensationslust und unseriöser Spekulationen, die genährt werden von Vorfällen wie dem sog. „Wittener Satanistenmord“ im Juli 2001, als ein Ehepaar einen Menschen unter Verwendung satanistischer Symbole tötete.

Im Satanismus manifestiert sich ein jahrhundertealter Satanskult, dessen Wurzeln Antithesen zum christlichen Kult sind. Von Beginn dieser Strömung an wollte man gegen das Christentum aufbegehren, das man auf die scheinbar spezifische Grundlage, den Gegensatz Gott – Satan reduzierte, sodass die satanistische Bewegung ursprünglich auf der Rebellion gegen die etablierte Religion und Kirche gründet. Geprägt ist die Sprache des Satanismus in allen seinen Ausprägungen von martialischem Vokabular, Hauptakteur ist der Teufel, das Biest, der Antichrist, der Satan. Der moderne Satanismus des 20. und 21. Jahrhunderts und seine zahlreichen subreligiösen Versionen lassen sich vielfach zurückführen auf Aleister Crowley (1875 – 1947) und seine Ideen und Schriften. In Crowleys „Offenbarungsbuch“ Liber Al Vel Vegis, dessen Inhalt ihm angeblich 1904 in Kairo von einer jenseitigen Wesenheit namens Aiwass mitgeteilt wurde, steht der zentrale und immer wieder zitierte Satz, ein Aufruf nach absoluter und völlig autonomer Durchsetzung der eigenen Interessen und Begierden, nach schrankenlosem Sich-ausleben: „Es gibt kein Gesetz, außer tue, was du willst“ (Erster Teil, 40). Crowley versteht sich selbst als „wahrer Gott vom wahren Gott“ und folgerichtig bezeichnet er sich in dieser Selbstvergottung als die Inkarnation Satans und im Anschluss an das biblische Buch Offenbarung Kap. 13 als The Beast 666.

Stark beeinflusst durch das Denken Crowleys sind Charles Manson, der Gründer der Final Church, der in den späten 1960er-Jahren durch sexuelle Kultorgien und Ritualmorde bekannt wurde, und der Gründer der Church of Satan, Anton LaVey (gest. 1997). Einen Einblick in das Gedankengebäude der Kirche Satans vermag das folgende „Glaubensbekenntnis“ zu geben:

„1. Satan verkörpert Befriedigung von Begierden anstelle von Abstinenz. 2. Satan verkörpert vitale Existenz anstelle spiritueller Hirngespinste. 3. Satan verkörpert reine Weisheit anstelle scheinheiliger Selbsttäuschung. 4. Satan verkörpert Gefälligkeit gegenüber denen, die sie verdienen, anstelle von Liebe, die an Undankbare verschwendet wird. 5. Satan verkörpert Rache anstelle des ,auch die andere Wange Hinhaltens‘. 6. Satan verkörpert Verantwortung gegenüber den Zurechnungsfähigen statt Besorgnis um seelische Erpresser. 7. Satan verkörpert alle sogenannten Sünden, weil sie alle zu körperlicher, geistiger oder gefühlsmäßiger Befriedigung führen …“

Es wird deutlich, dass es um radikalen Protest gegen das Christentum geht, um völlige Ablehnung der christlich geprägten Erziehung und Kultur. Das absolut Böse, das Satan eigentlich verkörpert, wird vernachlässigt bzw. zum Guten pervertiert, da das, was sich selbst als Gutes darstellt und seinen Gott als absolut gut propagiert, abgelehnt wird – eine Umwertung der Werte findet statt. Satanistische Gruppierungen sehen sich so in der Fundamentalopposition zu einer Gesellschaft, in der sie aber zwangsläufig leben und – wollen sie überleben – sich relativ anpassen müssen; der destruktive Charakter ist in diesem Paradoxon begründet.

In seiner extremen und zur Schau gestellten Antikirchlichkeit und Antichristlichkeit bleibt der Satanismus – nicht nur in seinem Vokabular – auf das Christentum verwiesen, denn ohne dessen Existenz wäre ein satanistischer Tabubruch gar nicht möglich. Satanismus in fast all seinen Variationen ist also (in Parallele zu jeder anderen Religion!) für die Praktizierenden ein weltanschauliches System, das eine eigene Anthropologie wie auch Kosmologie und mit der Satanologie eine pervertierte Theologie bereithält. Seriöse Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen sind sich einig, dass das Phänomen des Satanismus weder dramatisiert noch bagatellisiert werden dürfe. Die magische Faszination, die von der Quasi-Selbstvergottung und absoluten Autonomie ausgeht, die der Satanismus verspricht, die satanistischen Rituale und die entsprechende Musik sind zumeist exzessiv und destruktiv – unkontrollierbare teuflische Bedrohungen sind sie hingegen in den meisten Fällen nicht.

II. Lichtträger und Satanssturz – Der Teufel in der Bibel
1. Jahwe und das Böse im Alten Testament

Das Alte Testament bietet die Basis für die Teufelsvorstellungen des Christentums – doch wäre nichts fataler, als die alttestamentlichen Texte als Vorlage für eine einfache Erklärung zu verwenden. Die alttestamentlichen Texte präsentieren verschiedene Figuren, die für das Böse stehen. Ein Beispiel ist das Buch der Weisheit; hier wird die Schlange der Paradieseserzählung mit dem Teufel identifiziert:

„… durch den Neid des Teufels [Schlange] kam der Tod in die Welt“ (Weisheit 2,24).

Die Schlange bzw. der Teufel wird charakterisiert als das todbringende Böse; mit Merkmalen, die spätere Traditionen auch anderen Bildern vom Bösen verliehen haben: Das Böse existiert außerhalb des Menschen, es ist dem Menschen vorgegeben und es ist von Gott geschaffen.

Das Volk Israel erfuhr sich im Laufe seiner politischen und sozialen Geschichte immer wieder als massiv bedroht, und so entstand in der Prophetie die Vorstellung einer widergöttlichen Figur. Diese war ursprünglich Gottes gutes Geschöpf, wandte sich aber irgendwann gegen ihn. Die Folgen dieses Aufstands gegen Gott drückte man aus in einem mythischen Bild, das übrigens auch in anderen Zusammenhängen gebraucht wurde: ein Sturz aus der Höhe. Eine Stelle im Prophetenbuch Jesaja schildert, wie der Sohn der Morgenröte, Helal, wegen Hochmuts in den Abgrund gestürzt wird:

„Ach, du bist vom Himmel gefallen, du strahlender Sohn der Morgenröte … In die Unterwelt wirst du hinabgeworfen, in die unterste Tiefe“ (Jesaja 14,12 – 15).

Der gefallene Helal wird mit dem Morgenstern identifiziert. Der Morgenstern aber hieß in der Antike auch Luzifer. Nun assoziieren der heutige Leser und die heutige Leserin mit Luzifer sofort den Teufel. Doch dauerte es einige Jahrhunderte, bis Luzifer-Helal, der gestürzte Sohn der Morgenröte, mit dem gestürzten Engel der christlichen Teufelsüberlieferung gleichgesetzt wurde. Bemerkenswert ist, dass in frühchristlicher Zeit – also noch vor dieser Gleichsetzung – Christus mit Luzifer, dem Morgenstern, verglichen wurde; Luzifer war sogar ein beliebter Taufname. Erst im Laufe der ersten nachchristlichen Zeit wurde Jesaja 14,12 – 15 mit einer Stelle aus dem Lukasevangelium (10,18) verknüpft, wo Jesus sagt, er sah Satan wie einen Blitz vom Himmel fallen (ausführlich dazu im Abschnitt über das Neue Testament). Dieser Satan galt bald als gestürzter Engel – und Luzifer wurde zur Bezeichnung des Teufels.

Doch was steht hinter der Vorstellung, Luzifer/Satan sei ein gestürzter Engel? Der sogenannte Engelssturz war in der damaligen Vorstellungswelt allgemein bekannt. Als einstiger Lichtträger (= lat. Lucifer) begnügte sich der erste der Engel nicht mit der Gottähnlichkeit, sondern strebte nach der Gleichheit mit Gott. Er stellte die Eigenliebe über die Liebe zu Gott. Die Folge war der gewaltsame Sturz aus dem Himmel in die Hölle, die Umpolung zum Herrn der Finsternis. Er wurde zum Anführer der hässlichen, böswilligen Teufel und Dämonen, also der Gegenwelt zu den guten und schönen Engeln.

Dieser Mythos wurde jedoch in außerkanonischen jüdischen Schriften niedergeschrieben (zum Beispiel Henochbuch 6,1 – 7; 10,4 – 6), d. h. in Texten, die nicht in den Kanon der Bibel Eingang gefunden haben. Diese Schriften waren häufig dennoch von großem Einfluss auf das Denken ihrer Zeit. Auch wenn der Engelssturz nicht direkt Eingang in die Bibel gefunden hat, so spielen Texte sowohl des Alten als auch des Neuen Testaments darauf an.

 

Eine andere Stelle im Alten Testament, wo der Satan eine wichtige Rolle spielt, ist das Buch Ijob. Dort erscheint der Satan unter den „Söhnen Gottes“, er ist der „Widersacher“ (so auch die Bedeutung des hebräischen Wortes Satan), der mit Gott beinahe auf Augenhöhe kommuniziert. Es gelingt ihm sogar, Gott zu einer Wette zu überreden – dazu gleich noch mehr. In anderen Fällen im ersten Teil der Bibel ist nicht so klar wie bei Ijob, ob etwas von Gott oder von Satan ausgeht. So wird zum Beispiel die Anstachelung Davids zu einer Volkszählung das eine Mal dem Gott Jahwe zugeschrieben (2 Samuel 24,1), das andere Mal aber dem Satan (1 Chronik 21,1).

Wer ist also dieser Satan und wie sind die verschiedenen Überlieferungen vom „Bösen“ im Alten Testament zu verstehen?

Die Vorstellung vom „Bösen“ wurde nicht unverändert durch die Zeiten hinweg tradiert. So wie sich das Gottesbild gewandelt und entfaltet hat, veränderte sich auch die Interpretation der Welt und des Kosmos. Das Alte Testament entstand über einen langen Zeitraum, von ca. 1000 v. Chr. bis fast 100 v. Chr.; die meisten Bücher stammen aus der Zeit des sogenannten Babylonischen Exils (586 – 538 v. Chr.). Der alttestamentliche Gott steht in engem Zusammenhang mit dem Ergehen seines Volkes, das im Verlauf der Geschichte gute und schlechte Erfahrungen mit seinem Gottesglauben zu vereinbaren hatte. Der Kern des alttestamentlichen Jahweglaubens ist die Aussage über Gottes Einmaligkeit, Einzigkeit und Heiligkeit:

„Jahwe, unser Gott, Jahwe ist einzig“ (Deuteronomium 6,4).

Gott hatte die Welt erschaffen und er hatte gesehen, „dass es gut war“ (Genesis 1). Und genau dies unterscheidet die jüdische Genesis von den anderen Kosmologien ihrer Zeit: Sie vereint Ordnung und Chaos, sie harmonisiert Licht und Finsternis. Und so stößt man auch wiederholt auf die Aussage, Gott selbst veranlasse das Böse. In zahllosen Textstellen versetzt Jahwe den Menschen durch Katastrophen, Hungersnöte oder Krankheiten in Furcht und Schrecken. Für Israel galt der Glaube, Gott verhänge Prüfungen oder Gericht über sein Volk:

„Ich erschaffe das Licht und mache das Dunkel,

ich bewirke das Heil und erschaffe das Unheil.

Ich bin der Herr, der das alles vollbringt“ (Jesaja 45,7).

Der alttestamentliche Gott ist alleine zuständig für die Geschicke auf der Erde; genau darin bleibt er ambivalent: Er ist machtvoll gütig, er hat aber auch eine Schattenseite – und diese Schattenseite ist die Hintergrundfolie für den hebräischen Satan. Denn der Glauben an einen ambivalenten Gott machte im Laufe der Zeit dem Bekenntnis Platz, dass Gott vollkommen gut sei. Nun stand man aber vor dem Dilemma des Bösen in seiner schärfsten Form: Die Existenz des Bösen musste mit der Existenz eines allmächtigen, erhabenen und ausschließlich guten Gottes in Einklang gebracht werden. Jahwe war heilig und transzendent – wie sollte er da Urheber des Bösen sein? An dieser Stelle trat eine neue Figur auf: Satan. Er ist nun der Urheber feindselig empfundenen Verhaltens, er ist der Widersacher Israels. Satan handelt als Anstifter zur Sünde – allerdings ohne eigene Machtbefugnis, sondern in Abhängigkeit von Gott. Wenn nun also christlich geprägte Leserinnen und Leser beim alttestamentlichen Satan gleich an den volkstümlichen Teufel denken, so hält dies einer kritischen Lektüre nicht wirklich stand. Der Satan ist der Widersacher – und als solcher erfüllt er lediglich seine Aufgabe. Im Hofstaat Gottes übt er die Funktion eines Anklägers aus, der diejenigen, die die Ordnung Gottes stören, vor dessen Gericht zerrt.

Am deutlichsten wird dies in der Ijobgeschichte: Hier ist er als eine Art Staatsanwalt unterwegs. Er behauptet, es sei ja klar, dass Ijob Gott unentwegt lobe, schließlich sei dieser vom Herrn mit wunderbaren Kindern, einer großen Menge Vieh und mit Reichtum gesegnet worden. Erst im Unglück werde sich Ijobs Gottesliebe erweisen, der Herr solle den Ijob doch auf die Probe stellen. Und Gott lässt sich darauf ein, indem er dem Ijob alles nimmt: seinen Reichtum und alle seine Kinder. Als das nicht fruchtet und Ijob noch immer ein Loblied singt, geht es an Ijobs Gesundheit. Gott überzieht ihn mit einem fürchterlichen Ausschlag – und die Freunde Ijobs schütteln unverständig den Kopf über seinen gottesfürchtigen Starrsinn, denn noch immer singt er das Lob Gottes. Erst da gibt sich der Satan geschlagen – und Gott gibt dem Ijob seine Kinder, seine Gesundheit und seinen Reichtum zurück. Dem Satan ist es sichtlich unangenehm, Ijob nicht überführen zu können und die Wette zu verlieren.

Wichtig im Blick auf die Entwicklung des Teufelsglaubens ist, dass Satan nicht aus eigener Machtfülle handelt, sondern weil Gott sich seiner bedient. Satan ist quasi das ausführende Organ. Das wahrhaft Unerklärliche, Schicksalhafte, das den Menschen trifft, fällt auf Gott zurück. Und doch ist Satan schon eine eigenständige Person – schließlich ist er es, der den Herrn zu dieser unheilvollen und grausamen Wette überredet –, er tut zwar nichts ohne Gottes Zustimmung, aber es kündigt sich bereits eine Gegnerschaft zwischen dem Satan und dem Herrn an.

2. Die Apokalyptik der Zeitenwende

Im Laufe der Zeit bekam Satan und mit ihm das Böse einen immer größeren Raum und immer mehr Eigenständigkeit zugestanden, sodass er irgendwann zum Inbegriff des Bösen wurde. Spätestens zur Zeit des Neuen Testaments sah die Überlieferung Satan als Prinzip des Bösen, als Verführer zum Bösen. Doch wie kam es dazu? Hierzu bedarf es eines Einblicks in jüdische apokalyptische Traditionen der Zeitenwende.

Seit Palästina in das Reich Alexanders d. Gr. eingegliedert worden war (331 v. Chr.), sah man sich direkt mit der hellenistischen Weltanschauung konfrontiert, mit griechischer Sprache, mit griechischer Religion, mit griechischer Kunst usw. Zunächst führte man die Auseinandersetzung mit der fremden Kultur mit geistigen Waffen, doch unter dem Seleukidenkönig Antiochos IV. Epiphanes (175 – 164 v. Chr.) kam es zu einer blutigen Religionsverfolgung. Nicht wenige Juden fielen vom Glauben ab und unterwarfen sich dem Befehl des Epiphanes. Gegen diese Verfallserscheinungen des jüdischen Glaubens formierte sich eine Bewegung, die sich „Gemeinde der Frommen“ (hebräisch Chassidim) nannte (1 Makkabäer 2,42). Die Treue zum mosaischen Gesetz war der einzige wirklich wichtige Gesichtspunkt der neuen Bewegung. Man teilte die Welt auf in „Gerechte“ und „Frevler“, in Gesetzestreue und Gesetzesverächter. Und im Laufe der Zeit steigerte sich diese Polarisierung.

In die zeitgenössische Theologie kam so ein stark dualistischer Zug, der sich vor allem in neuartigen Vorstellungen vom Jenseits ausprägte. Spekulationen über Gottes Eingreifen und die göttliche Wende der Not griffen um sich. Es war die Zeit der Apokalypsen. Zahlreiche konkrete Daten waren im Umlauf, wann die irdische Welt zerfallen würde und die Gerechten ihren verdienten Lohn, die Bösen aber ihre gerechte Strafe erhalten würden.

In diesen politisch unruhigen Zeiten, während des sogenannten Makkabäeraufstands (um 163 v. Chr.), wurde das Buch Daniel, der jüngste Text der hebräischen Bibel, geschrieben. Auch hier wird eine Apokalypse verkündet – und die wiederum ist nicht denkbar ohne Mächte der Finsternis, die in einem Endkampf von den Mächten des Lichts niedergerungen werden.

Die Mächte der Finsternis waren in der apokalyptischen Vorstellung dieser wirren und aufrührerischen Zeiten, auch beeinflusst durch zahlreiche Sekten, in größere Unabhängigkeit von Gott getreten. Der böse Engel, der Satan, der zerstörerische Geist wurde von Gottes Untergebenem zu einem Widersacher des Guten, zum Gegenspieler Gottes.7

In einem der nichtbiblischen Bücher, dem Jubiläenbuch, das dennoch großen Einfluss auf die jüdischen und auch frühchristlichen Denkrichtungen hatte, taucht Mastema auf: ein böser Geist, der praktisch von Gott unabhängig ist. Er führt in Versuchung, er klagt an, er zerstört und bestraft die Menschen, kurz: Er übernimmt all die bösen Merkmale, die einmal Gott zugeschrieben wurden. Das Böse wurde also von Gott getrennt, indem man es einer Figur zugeschrieben hat, doch ist bei all dem unbestritten, dass diese Figur von Gott geschaffen wurde. Die apokalyptische Literatur der Zeitenwende ist sich darin einig, dass Gott das Böse gewähren lässt, es aber nach dem Endkampf zerstören würde. Am Ende würde der Messias kommen, über die Bösen ein letztes Gericht abhalten und sie endgültig vernichten.

Gott wird bei dieser Vorstellung erst einmal von der Verantwortung für das Böse entlastet. Er hat zwar den bösen Engel geschaffen, doch dieser ist aus einer freien Entscheidung heraus böse geworden. Allerdings ist bei einem solchen Denken Gott noch immer dafür verantwortlich, überhaupt einen Kosmos geschaffen zu haben, in dem eine böse Macht wirken darf. Nicht wenige apokalyptische Gruppen hatten damit ein Problem. Sie vergrößerten deshalb die Distanz zwischen Gott und dem Bösen, sodass das Böse nicht selten zu einem eigenständigen Prinzip wurde. Das Problem dabei ist, dass dieses dualistische Denken eigentlich der monotheistischen jüdischen Tradition widerspricht. Gottes Allmacht darf nicht von einem anderen – womöglich ähnlich mächtigen – Prinzip begrenzt werden.

Die Essener von Qumran, eine der apokalyptisch geprägten jüdischen Gruppen der Zeitenwende, versuchten, den jüdischen Monotheismus mit der dualistischen Lösung des Problems des Bösen zu vereinen. Ihre Gedankenwelt wurde vor allem dadurch einer größeren Öffentlichkeit bekannt, weil im Jahr 1947 zahlreiche Schriftrollen in Qumran am Toten Meer entdeckt wurden. Der Fürst der Finsternis und seine Anhänger kämpften gegen den Fürsten des Lichts und seine Anhänger; in letzter Konsequenz aber sei der Fürst der Finsternis dem Gott Israels untertan. Dieser apokalyptische Kontext erst machte also aus dem Satan des Buches Ijob eine ganz andere Figur mit weit größeren Machtbefugnissen.

Im apokalyptischen Judentum (wie zum Beispiel auch im iranischen Mazdaismus) ist der Kosmos zweigeteilt: Es gibt Mächte der Finsternis und Mächte des Lichts. Beide Mächte führen gegeneinander einen tödlichen Kampf. Dieser Kampf, so glaubte man, sei in seine Endphase eingetreten. Man lebte in gespannter Naherwartung der apokalyptischen Entscheidungsschlacht und der Trennung von Gut und Böse im Letzten Gericht.

Jeffrey Burton Russell schreibt zur Frage des Bösen, wie sie zur Zeitenwende vertreten wurde und wie sie auch Jesus kennenlernte, Folgendes:

„Die Juden … fühlten sich versucht, das Böse als dunklen Fürsten, als Gottes Widersacher zu personifizieren. Als Monotheisten lehnten sie es jedoch gleichzeitig ab, die beiden voneinander zu trennen, und hielten vielmehr daran fest, dass nur ein einziges Prinzip existieren könne, ein Gott allein. Die hebräische Position ist zweideutig, weder reiner Dualismus noch reiner Monismus. Diese Doppeldeutigkeit ist alles andere als ein Mangel, sie erweist sich vielmehr als große Tugend: Sie … lässt keine Umgehung der Frage des Bösen zu. Gott ist gut, das Böse existiert. Es gibt keine einfache Lösung des Dilemmas.“8

Das apokalyptische Gedankengut des Judentums der Zeitenwende setzte sich in Teilen des Neuen Testaments fort, vor allem in der Johannes-Offenbarung. Markiert man mit dem Buch Daniel den Beginn der jüdisch-apokalyptischen Bewegung, so stellt die Offenbarung des Johannes den anderen Pol dieser Tradition dar – dazwischen liegt eine lebendige und beinahe ununterbrochene apokalyptische Überlieferung. Die Offenbarung des Johannes ist klar von dem österlichen Christus-Ereignis geprägt, ihre mythologischen Bilder sind Vorlage für zahllose Abbildungen in der christlichen Kunst – und in ihrer Deutung schwierig und umstritten. Im 12. Kapitel wird geschildert, wie eine sternenbekränzte Frau hochschwanger im Himmel steht, den Mond zu ihren Füßen, und im Begriff ist, ein Kind zu gebären, wie sich aber auch schon der feuerrote Drache, mit sieben Köpfen und zehn Hörnern, vor ihr aufrichtet und das Kind verschlingen will. Das Kind wird sofort in den Himmel entrückt und so dem Drachen entzogen. Doch auch dort ist es vor dem Drachen nicht sicher, bis „Michael und seine Engel“ den „Drachen und seine Engel“ besiegen und aus dem Himmel werfen:

„Er wurde gestürzt, der große Drache, die alte Schlange, die Teufel oder Satan heißt und die ganze Welt verführt; der Drache wurde auf die Erde gestürzt, und mit ihm wurden seine Engel hinabgeworfen“ (Offenbarung 12,9).

 

Doch der Drache gibt nicht auf, er setzt sein todbringendes Treiben auf der Erde fort – mit schwerwiegenden Konsequenzen für die Nachkommen der Frau.

Die geballte Häufung von Namen für die widergöttliche Macht zeigt neben seiner Gefährlichkeit und Stärke insbesondere, dass diese Macht nicht mit einem Namen zu fassen ist: So vielgestaltig ist das Böse, dass es viele Bezeichnungen braucht, um es auch nur ansatzweise erfassen zu können. Satan ist der Verführer der Welt (Offenbarung 20,10), der mit ganz unterschiedlichen Strategien vor allem ein Ziel verfolgt, nämlich zum Kampf gegen Gott zu mobilisieren.

Von hier ist es nur noch ein kleiner Schritt hin zu einer Konzeption, die in Satan das widergöttliche Prinzip schlechthin verkörpert sieht. Ein solches dualistisches Denken setzt die Machtsphäre Satans allzu bald mit der Welt überhaupt in eins. Diese in den späten Schriften des Neuen Testaments niedergeschriebene Vorstellung, die die spätere Lehre vom Teufel wie keine andere beeinflusst hat, ist zwar von apokalyptischen Denkweisen geprägt, jedoch eindeutig in eine christliche, nachösterliche Vorstellungswelt einzureihen. Denn auch wenn Satan schließlich als der „Antichrist“, der Repräsentant des Bösen schlechthin erscheint, der alles Weltliche beherrscht, ist man sich trotzdem sicher: Selbst wenn der Satan mit noch so viel Gewalt zum Kampf gegen Christus aufruft, gewinnen kann er diesen letzten Kampf nicht: Sieger ist Christus.

Nach diesem Blick in die Apokalypse des Neuen Testaments stehen nun unausweichliche Fragen im Raum: Wie steht Jesus selbst zu der Macht des Bösen? Was sagen die Evangelien?