Iron Man

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12: The Polka Tulk Blues Band

„Was meinst du?“, fragte Bill Ward.

„Ich kenne ihn aus der Schule. So weit ich weiß, kann er nicht singen.“

Ich nehme an, dass Ozzy ähnlich geschockt war. Ich hatte ihn seit der Schulzeit nicht mehr gesehen. Wahrscheinlich kannte er mich nur als den üblen Schläger vom Schulhof. Ozzy war ein Jahr jünger und in eine Klasse unter mir gegangen. Er war immer mit seinem Freund Jimmy Phillips zusammen gewesen. Albert und ich hatten damals keinen Kontakt zu den beiden gehabt.

Bill und ich unterhielten uns ein bisschen mit Ozzy, und verzogen uns dann so schnell wie möglich: „Okay, dann alles Gute.“

Wir rauschten ab und vergaßen ihn. Einige Tage später kam Bill zu Besuch. Mum schmierte ihm natürlich ein Sandwich. Plötzlich tauchten Ozzy und Geezer auf, die einen Drummer suchten. Ich sagte: „Bill spielt Schlagzeug, und wir wollen zusammenbleiben. Aber wenn Bill unbedingt bei euch einsteigen will, ist das in Ordnung.“

Bill beteuerte schnell: „Nein, nein, ich will weiter mit Tony Musik machen.“

Ich antwortete: „Warum versuchen wir es nicht zusammen? Lasst uns erst proben und es dann entscheiden.“

Kurz darauf trafen wir uns im Proberaum. Ozzys Freund Jimmy Phillips kam auch und spielte Slide-Gitarre, und irgend so ein Typ quäkte auf seinem Saxophon. Geezer spielte eigentlich Gitarre, wollte aber unbedingt auf einen Bass umsteigen. Ärgerlicherweise besaß er kein Instrument und auch kein Geld, um sich einen Bass anzuschaffen. Für die Probe stimmte er die Fender Telecaster einfach tiefer, um die Bass-Parts halbwegs zu simulieren. Ich fand das völlig durchgeknallt. Zu meiner Erleichterung lieh er sich später von seiner alten Band einen Höfner-Bass. Er hatte nur drei Saiten, was aber nicht weiter störte, da Geezer sowieso nur auf einer rumhantierte.

Wir spielten hauptsächlich Blues-Nummern sowie ein paar eigene Songs und nannten uns The Polka Tulk Blues Band. Jimmy und ich versuchten, einige Gigs an Land zu ziehen. Wir saßen in unserem Wohnzimmer, und das Telefon stand wie immer auf den Vorratskisten. Ich bat ihn: „Jimmy, ruf doch mal diese Agentur an. Spotlight Entertainment – das hört sich interessant an.“

Jimmy schnappte sich den Hörer, wählte die Nummer und kicherte sich einen ab: „Könnte ich bitte mit Mister Spotlight sprechen?“

Wir bogen uns vor Lachen, und das war’s erst mal – ein komplettes Desaster. Ich erinnerte mich an Monica Lynton, die Bookerin von Mythology: „Hey, wir haben eine neue Band, gib uns doch eine Chance.“

„Okay, aber wenn ihr unbedingt Blues spielen wollt, müsst ihr auch einige Songs aus den Top 20 im Programm haben, sonst kann ich das nicht an den Mann bringen.“

„Okay, okay.“

So ging’s also nach Egremont, einem kleinen Kaff in der Nähe von Carlisle. Dort traten wir in der Toe Bar auf. In der Pause kam ein bulliger Schotte auf mich zu und meckerte: „Euer Sänger ist total scheiße.“

„Oh, okay. Danke für die Kritik.“

Wir müssen wie ein ziemlich verrückter Haufen ausgesehen haben. Ich trug meinen langen Ledermantel, Bill seine Stinkeklamotten und Ozzy hatte sich den Kopf kahl rasiert. Geezer hüllte sich in ein Hippie-Outfit. Es war so ein langes Indianerkleid – Peace und Love, Mann, und so weiter. Ich fand das ganz schön schräg: ein Typ in einem Kleid. Worauf hatte ich mich hier nur eingelassen?

Geezer traf sich mit einem Mädchen aus unserer Straße, und ich sah ihn manchmal an unserem Haus vorbeigehen. Ich begegnete ihm noch häufiger mit seiner Gruppe Rare Breed, die in verschiedenen Clubs auftrat. Da er oft auf einem LSD-Trip war, machte er den Eindruck, als würde er permanent die Wände hoch kriechen. Ich dachte, er wäre ein Vollidiot. Nach einem Gig im Globe Hotel in Carlisle drang dort ein durchgeknallter Schläger ein, der schon einige Polizisten umgehauen und einen ihrer Hunde getötet hatte. Wir luden gerade unser Equipment ein. Geezer schlenderte die Treppe in seinem Hippie-Dress runter, mit einigen Gitarren unter den Armen. Dieser Typ ging voll auf ihn los und stieß dabei animalische Laute aus: „Du – ooh, aah, rrrar.“

Geezer brachte nur ein „Hä?“ über die Lippen, ließ die Gitarren fallen und schrie: „Schlag mich nicht, Mann. Ich bin ein friedlicher Typ.“

Und dann rannte er. Es war unglaublich. Dieser ausgerastete, grobschlächtige Riese, der Geezer verfolgte, und Geezer, der in seinem Kaftan verzweifelt versuchte, sich so schnell wie möglich aus dem Staub zu machen – was für ein Bild! Die Polizei benötigte mehrere Beamte, um den Typen zu packen und in den Knast zu verfrachten. Meine Güte – was für ein aufsehenerregender Start für eine neue Band!

Schon bald wurde uns klar, dass Jimmy Phillips und dieser Saxophon-Typ gehen mussten. Bei einem Solo wollte jeder den Part spielen. Streitigkeiten waren unvermeidbar. Außerdem fehlte den beiden der nötige Ernst, was besonders mich ärgerte. Ich traf mich insgeheim mit Bill, Geezer und Ozzy und beklagte mich: „Weder der Sax-Mann noch Jimmy Phillips bringen es.“

„Und was sollen wir machen?“

Wir wollten die beiden nicht direkt feuern und damit ihre Gefühle verletzen, und erzählten ihnen, dass die Band sich auflöst. Nach einer kurzen Pause machten wir vier uns wieder ans Werk.

Die ersten Gigs liefen mies. Die Band war noch nicht mal so gut wie Mythology, aber ich sagte mir: „Das wird schon mit der Zeit.“

Ich konnte das Potenzial erkennen, denn die Kombination der Charaktere hatte was: Da war ein Typ, den ich noch aus der Schulzeit kannte und mit dem ich damals nichts anfangen konnte; Geezer kam wahrscheinlich von einem völlig anderen Planeten; Bill und ich schienen auch nicht von dieser Welt zu sein.

Aber irgendetwas verband uns. Wir probten uns den Arsch ab und spielten einige Gigs. Langsam begann sich eine gute Gruppe herauszukristallisieren.

Wir verabschiedeten uns von dem Bandnamen The Polka Tulk Blues Band und nannten uns erst Earth Blues Band und dann einfach Earth. Größtenteils stand bei uns Zwölf-Takt-Blues im Stil von Ten Years After im Vordergrund. Ich mochte jedes Genre, allerdings musste eine Gitarre zu hören sein. Meine Mitmusiker besaßen Blues-Alben von Interpreten, deren Namen ich noch nie gehört hatte, aber wenn die ein Gitarrensolo spielten, wollten wir den Song covern: „Hey, lasst uns die Nummer ins Programm nehmen. Sie ist gut, wieder ein klasse Zwölf-Takter!“

Ich gestaltete die Gitarrenparts mittlerweile jazziger, was auch Geezer gefiel, dem die Musik der Big Bands lag. Auch Ozzy kam damit gut klar. Ich nahm ihn damals unter die Fittiche, denn er wusste nicht so recht, wie man sich als Frontmann verhält. Ich bedrängte ihn ständig: „Na los, rede mit dem Publikum. Erzähl ihnen irgendwas.“

Geezer lernte sehr schnell, Bass zu spielen. Bevor man sich versah, hatte er die Läufe drauf. Da die Band fast nur Blues spielte, sah es mit Auftritten nicht rosig aus. Soul war damals in Birmingham ungeheuer populär, und somit gab es nur einige Läden, in denen wir ankamen. Dazu gehörte der Mothers Club. Wir spielten dort häufig, und ich sah in dem Club auch Chicken Shack, Jon Hisemans Colosseum und Free. Die Town Hall hatte zwar einen merkwürdigen Sound, das hielt uns jedoch nicht davon ab, auch dort ein paar Konzerte zu geben. Auf dem Innencover des Albums Volume 4 ist ein Foto von einem dieser Konzerte. Meist beschränkten sich die Auftrittsmöglichkeiten aber auf Pubs mit einem großen Saal, der an jeden vermietet wurde, der einen Gig auf die Beine stellen wollte. Jim Simpson hatte einen Raum über einem Pub im Zentrum von Birmingham gepachtet und nannte ihn Henry’s Blues House. Er öffnete nur an wenigen Wochentagen, wurde aber trotzdem schnell bekannt.

Da die Bühnen klein waren, mussten wir dicht aneinander gedrängt spielen. Ozzy stand immer vor meiner Nase, aber später, als alles größer wurde, nahm er den Platz links von mir ein, direkt vor dem Verstärkerturm. Ich bewegte mich meist mitten auf der Bühne. Das wirkte ein wenig merkwürdig, aber ich mochte den Platz, da man von dort aus alles am besten hören konnte. So blieb es auch, bis wir uns trennten. Erst bei der Reunion Mitte der Neunziger beanspruchte Ozzy die zentrale Position für sich.

Als erstes legten wir uns einen großen, uralten Commer-Transporter mit abgeklebten Seitenfenstern zu. Es war ein Wrack, eine ehemalige Polizeischüssel, mit einem Riesenloch im Boden auf der Beifahrerseite, das mit einem Teppich getarnt wurde. Ich holte mal ein Mädchen mit dem Van ab. Sie hatte sich ziemlich aufgebrezelt und trug verdammt heiße Strümpfe. Sie stieg ein und rutschte mit einem Bein durch das Loch. Das scharfe Metall zeriss die Stümpfe und schnitt in ihr Bein. Ende der Romanze.

Mum bürgte für uns, was ich ihr hoch anrechnete. Wir kleideten den Van aus und stellten sogar eine Couch in den Laderaum. In diesem Schrottding sind wir sogar nach Carlisle getuckert, was ich mir heute gar nicht mehr vorstellen kann. Ständig wurde die Fahrt durch Pannen unterbrochen. Es war beschissen, aber die Straßen waren es auch. Nach Carlisle oder London zu fahren, erschien allen wie eine niemals endende Reise.

Wir konnten uns keinen Fahrer leisten, und da ich als einziger einen Führerschein besaß, musste ich mich hinters Steuer klemmen. Ich holte die Musiker immer zu den Proben oder Gigs ab. Da alles an mir hängen blieb, fühlte ich mich nach jedem Auftritt wie gerädert. Wir können von Glück reden, dass alle überlebt haben. Während die anderen im Laderaum pennten, musste ich mich dauernd ohrfeigen, um wach zu bleiben. Eins brachte mich aber richtig auf die Palme: Wenn ich das Fenster öffnete, um Frischluft zu tanken, meckerten die hinten: „Hey, hier wird es zu kalt.“

Eines Abends kamen wir von einem Gig, und ich fuhr aus Versehen in eine Straße, die der von Ozzy aufs i-Tüpelchen glich. Ihn hier rauszulassen, war ein guter Witz. Es war vier oder fünf Uhr morgens. Ozzy hatte schon einige Zeit geschlafen. „Hey, Ozzy, wir sind da.“

 

„Yo …“

Er stieg aus dem Wagen, und ich rief zum Abschied: „Bis morgen.“

Ich fuhr aus der Parklücke, schaute in den Rückspiegel und sah Ozzy, der versuchte, mit seinem Schlüssel eine falsche Tür zu öffnen. Als er es merkte, hatte ich mich schon aus dem Staub gemacht. Er musste eine Meile latschen, um ins warme Bettchen zu kommen. Einen Tag später holte ich ihn ab und er beschwerte sich: „Du hast mich gestern in der falschen Straße abgesetzt!“

Ich tat so, als wäre ich unschuldig: „Oh, tatsächlich? Du meine Güte, ich dachte, es wäre bei dir gewesen.“

„Nein, nein, es war die falsche Straße.“

Auf dem Heimweg vom Gig pennte er wieder ein, und ich stoppte natürlich in derselben falschen Straße.

„Okay, wir sind da.“

„Yo …“

Ozzy stieg aus, ich fuhr weg – und er musste wieder latschen. Ich weiß nicht, wie oft er darauf reingefallen ist.

Dass meine Mum uns beim Kauf des Vans half, war nur eine Seite der Medaille. Die andere bestand aus dem ständigen Klagen: „Ihr geht mir vielleicht auf die Nerven. Warum besorgt ihr euch nicht endlich eine anständige Arbeit?“

Doch sie unterstützte uns, wo sie nur konnte, und kümmerte sich um jeden Musiker. Mum machte uns immer Sandwiches oder etwas anderes zu essen. Sie wurde von der Band regelrecht geliebt. Meine Eltern mochten auch die Gruppe, speziell Ozzy. Dad fand ihn unglaublich witzig, und er hatte Recht: Ozzy war ein urkomischer Typ.

Sein Vater half ihm beim Kauf einer neuen Gesangsanlage, weil Ozzys nicht für die größeren Läden ausreichte. Er bürgte für die gesamte Summe. So konnte sich Ozzy das Geld problemlos von der Bank leihen. Er legte sich einen Triumph-Verstärker und zwei Türme zu, und dann besaßen wir noch die Vox PA. Damals gab es noch keinen Mixer, der mitten in der Halle am Mischpult saß und mit den Reglern spielte. Der komplette Sound wurde von der Bühne aus gefahren, obwohl es schwierig war, die Lautstärke von dort aus zu regeln. Wenn man die Frontlautsprecher zu stark ansteuerte, riefen alle: „Macht das schnell leiser!“

Wir handelten uns wegen der Lautstärke eine Menge Beschwerden ein. Ständig. Doch wenn man vor dem eigenen Verstärkerturm steht, ist es unmöglich, den Gesamtsound einzuschätzen. Ich musste in die Mitte gehen, um zu hören, wo wir gerade im jeweiligen Stück waren. Obwohl Ozzy seine Anlage bis kurz vor einer Rückkopplung aufriss, hatte ich Schwierigkeiten, ihn zu verstehen.

Die Gruppe trat oft in Henry’s Blues House auf, wo wir uns schnell eine Gefolgschaft erspielten. Jim Simpson, der Besitzer, begann sich für die Band zu interessieren. Er war ein Trompeter und Jazz-Fan. Ihm gefiel unser jazziger Blues-Sound, und so schlug er vor, unser Manager zu werden. Wir hatten niemand anderen, und er besaß das Blues House, in dem man auftreten konnte. Also unterzeichneten wir den Vertrag.

Er begann seinen Job ungefähr Ende 1968, Anfang 1969. Wir besaßen also zwei PAs, ein Riesenwrack von einem Commer-Van und konnten mit einer Set-Liste von angejazzten Zwölf-Takt-Blues-Nummern und einem Manager aufwarten. Hätte die Zukunft rosiger aussehen können? Es gab nur noch einen Weg – und der führte nach oben.

Als erstes besorgte uns Jim Simpson einen Platz in der Big Bear Folly, einer UK-Tour mit vier Bands. Die anderen Bands waren Bakerloo Blues Line, Locomotive und Tea And Symphony [die heute nur noch Alan Tepper kennt – Anm. d. Lektors]. An jedem Abend trafen sich die Musiker zum großen Finale auf der Bühne und jammten zusammen. Im Januar 1969 traten wir im Marquee auf, verstanden uns aber nicht so gut mit dem Manager John Gee. Dieser Typ stand auf Big Bands. Als Bill ihm verriet, dass auch er die Musik mochte, spielte Gee ihm einige Platten vor, um sein Wissen zu testen: „Welche Bands sind das?“

Bill lag mit den Namen total daneben, und Gee wurde verdammt sauer.

Ozzy trug ein Pyjama-Oberteil und eine dicke Kette, was dem Marquee-Manager auch nicht schmeckte. Für ihn sahen wir wohl wie Gammler aus. Tja, das ließ sich schwerlich abstreiten. Ozzy latschte immer barfuß durch die Gegend. Und Geezer? Er war unser Modeguru, der sich immer die modernsten Klamotten zulegte. Damals waren limonengrüne Hosen total in. Er besaß eine davon und zog sie nur zum Waschen aus. Eines Tages trocknete er das Ding in der Nähe eines Ofens. Ein Bein fing Feuer. Da er die Hose so sehr liebte, nähte ihm seine Mum einen anderen Stoff an. Von da an sah man ihn immer mit einem limonengrünen und einem schwarzen Bein! Wahnsinn!

Bill hingegen gewann sogar einen Preis in der Kategorie „Gammeligster Rockstar“ und war darauf auch noch stolz. Und ich zog immer noch den Wildledermantel an. In den Klamotten und mit den langen Haaren wirkten wir auf die Spießer tatsächlich wie Gammler. Wir ließen uns alle Schnauzbärte wachsen, bis auf Bill, der kurzfristig einen Vollbart bevorzugte. Allerdings machten wir das nicht absichtlich. Wenn du in einer Band spielst, entwickelt sich schnell ein gemeinsamer Look.

„Hey, deine Haare sind länger geworden. Sieht gut aus. Lass es doch so.“

Es gab aber einen eindeutigen Nachteil – zu unseren Gigs kamen keine Mädchen mehr. Zauselige Typen, nur Kerle im Publikum…

Und wenn man doch einige Frauen erspähte, sahen die eher wie Typen aus.

13: Lockruf der magischen Flöte

Earth waren schon ein paar Wochen lang aufgetreten, als wir im Vorprogramm von Jethro Tull spielten, die kurz vor ihrem ersten Karriereschub standen. Ich fand sie sehr gut, doch offensichtlich gab es einige Reibereien, denn ihr Gitarrist Mick Abrahams ließ Ian Anderson während des Konzerts einen Zettel zukommen. Da stand so was wie „Ich steige aus“ oder „Das ist der letzte Gig“ drauf. Nach dem Auftritt fragten sie mich, ob ich Lust auf die Band hätte.

Ich antwortete: „Oh, Mist, das weiß ich nicht.“

Ich konnte keinen klaren Gedanken fassen und war total verblüfft.

Auf dem Heimweg erzählte ich das den anderen: „Ich muss euch was sagen. Jethro Tull haben mich gefragt, ob ich bei ihnen einsteigen will. Jetzt weiß ich nicht, was ich ihnen antworten soll.“

Die ganze Band unterstützte mich: „Du solltest das auf jeden Fall machen.“

Jethro Tull kontaktierten mich ein wenig später: „Ja, ich werde einsteigen.“

Doch so leicht war das nicht: „Moment mal, du musst zuerst vorspielen.“

Ich protestierte, doch sie beharrten darauf: „Komm nach London. Das wird schon klappen.“

Ich fuhr also in die Metropole, ging in diesen Raum – und sah eine wahre Heerschar von Gitarristen bekannter Bands. Mich überwältigte eine Panikattacke … und ich verdrückte mich. Ich kannte John, ein Crew-Mitglied, von seinen Tagen bei Ten Years After. Er rannte hinter mir her und versuchte mich zu beruhigen: „Mach dir keine Sorgen. Komm, setz dich dort drüben ins Café. Ich werde dich abholen, wenn du an der Reihe bist.“

„Aber ich fühle mich überhaupt nicht gut.“

John blieb beharrlich: „Du musst es versuchen. Die wollen dich gerne in der Band haben.“

Als er mich abholte, waren die anderen Gitarristen längst verschwunden. Wir spielten einen zwölftaktigen Blues mit einem Gitarrensolo, gefolgt von einigen Jams. Ich erhielt die Zusage noch an dem Abend: „Du hast den Job.“

Bevor ich mich versah, stand ich mit Jethro Tull im Proberaum, und wir bereiteten uns auf die Aufnahmen von Stand Up vor. Die Auskopplung „Living In The Past“ sollte später ein Nummer-1-Hit in Großbritannien werden. Mein Beitrag bestand aus ein paar Riffs zu „Nothing Is Easy“.

In London fühlte ich mich wie ein Gestrandeter und hatte Gewissensbisse, weil ich bei Earth ausgestiegen war. Ich rief Geezer an, der mich moralisch unterstützen sollte. Als wir uns auf die Aufnahmen vorbereiteten, verkrümelte er sich in eine Ecke, was die Band nicht störte. Wir durften bei John wohnen, der uns immer zu den Proben fuhr, die um Punkt neun Uhr morgens begannen. So eine Uhrzeit war mir natürlich völlig fremd. Bei Earth starteten die Proben zu unterschiedlichen Zeiten, aber immer erst am Nachmittag. Bei Jethro Tull lief das generalstabsmäßig ab: „Du musst immer pünktlich erscheinen.“

Am ersten Tag trudelten wir vielleicht zehn Minuten später ein. Ich hörte, wie Ian Anderson John anschrie: „Ich sagte neun Uhr!“

Ich fand das reichlich überzogen. Noch bevor ich das Gitarrenkabel in den Verstärker gesteckt hatte, spürte ich die unangenehme Spannung. Um Punkt zwölf gab es dann Mittagessen. Ich setzte mich zu Ian an den Tisch. Die anderen saßen abseits und flüsterten: „Nein!“

Was war denn mit denen los?

„Man setzt sich nicht zu Ian an den Tisch. Komm zu uns.“

„Was meint ihr?“

„Er isst gerne ungestört. Die anderen Musiker sitzen aber immer zusammen.“

Meine Güte, war das ein merkwürdiges Schauspiel! Und das soll eine Band sein?

An dem Abend nahm mich Ian mit ins Marquee, wo Free auftraten. Er stellte mich als seinen neuen Gitarristen vor. Ich fühlte mich wie ein Rockstar – großartig! Von einem Nobody aus Birmingham ins Marquee, wo sich angesehene Musiker für mich interessierten – das war einfach wunderbar. Wir schauten uns den Anfang des Konzerts an und gingen recht früh, denn am nächsten Morgen begannen die Proben wieder um neun Uhr und wir durften auf keinen Fall zu spät kommen.

Doch die Hochstimmung hielt nicht lange an. Ein Treffen mit dem Bandmanager besiegelte mein Schicksal. Er sagte protzig: „Du bekommst 25 Pfund die Woche und kannst dich verdammt glücklich schätzen.“

Das kotzte mich an: „Was meinst du damit – ich kann mich glücklich schätzen? Die haben mich wegen meines Spiel in die Band geholt, nicht wegen eines Glückfalls!“

Ich machte mir in Ruhe meine Gedanken: Ich wollte Teil einer Gruppe sein, die es zusammen schafft, nicht in einer Band spielen, die schon auf einem hohen Podest steht, und in der ich mich ständig für das ungeheure Glück bedanken musste, das ich gehabt hatte. Im Proberaum bat ich Ian um ein vertrauliches Gespräch.

Wir gingen nach draußen: „Ich fühle mich hier unwohl.“

„Was stimmt nicht?“

„Ich bin mit der ganzen Situation nicht zufrieden. Ich mag diese Sprüche mit dem ,Glück‘ und ähnliches Gerede nicht.“

Ian verhielt sich nett und anständig. Ich kann ihm nicht den geringsten Vorwurf machen. „Ja, wenn du dir absolut sicher bist, dass du aussteigen willst, dann …“

„Ja, ich bin mir sicher.“

„Allerdings gibt es da ein Problem, denn wir wurden für den Film The Rolling Stones Rock And Roll Circus engagiert. Ohne Gitarrist ist das nicht zu machen. Könntest du da noch mitspielen?“

Ich hatte ohnehin ein schlechtes Gewissen und wollte sie nicht hängen lassen, also sagte ich zu.

Und das war’s. Nach der letzten Probe sagte ich zu Geezer: „Lass uns die Band wieder zusammentrommeln.“

„Bist du dir sicher, dass du Tull verlassen willst? Vielleicht solltest du noch mal darüber nachdenken?“ Er versuchte mich zu überreden, meinte dann aber: „Ich bin froh, dass du aussteigst.“

„Diesmal müssen wir professioneller arbeiten. Nimm dir mal ein Beispiel an Jethro Tull: Morgens proben und sich richtig ins Zeug legen.“

Geezer stimmte zu. Von London aus riefen wir die anderen an und schmiedeten Pläne für einen Neubeginn.

Doch ich musste noch den Rolling Stones Rock And Roll Circus spielen. Die ganze Show begann im Dorchester Hotel. Ich stand da und trug natürlich meinen Wildledermantel, den ich auch im Film anbehielt. Die Stones hatten ihr Equipment in einem großen Ballsaal aufgebaut. Die Who waren auch da, natürlich Taj Mahal und all die anderen Künstler, die in dem Streifen auftraten. Ich kannte keine Menschenseele und fühlte mich unbehaglich und verlassen. Marianne Faithfull muss das gespürt haben, denn sie kam zu mir rüber und sagte: „Dir wird es gleich besser gehen. Wir können ja ein wenig reden.“

Ich führte mit ihr ein erfrischendes Gespräch. Marianne war einfach großartig.

Die Stones fingen an zu spielen, brachen aber schon nach einer Minute ab. Sie stritten sich und krakeelten wie die Wilden. Im ganzen Raum breitete sich eine Todesstille aus. Keith Richards und Brian Jones schoben sich gegenseitig die Schuld in die Schuhe, dass die Gitarren verstimmt waren: „Deine Klampfe ist verstimmt, du blödes …“

Mick war damals mit Marianne zusammen und flüchtete sich zu uns. „Diese Trottel können noch nicht mal ihre verdammten Gitarren anständig stimmen.“

 

Ein erstes Anzeichen für den kommenden Stress.

Am nächsten Tag filmten wir in einem großen Kaufhaus. Dort standen eine Bühne und eine Zirkusmanege. Sie wollten, dass sich alle alberne Hüte aufsetzten und Zirkuskostüme trugen, was ich ziemlich peinlich fand. Eric Clapton meckerte: „Ich fühle mich total dämlich mit diesem komischen Ding.“

Für eine Showeinlage drückten sie mir eine blöde Klarinette in die Hand. Nachdem wir durch den Vorhang stolziert waren, sollten wir die Manege durchqueren und so tun, als würden wir spielen. Clapton, The Who und John Lennon – jeder musste im Kreis gehen. Nachdem das abgehakt war – ich weiß nicht mehr, wie oft wir das wiederholten –, begannen sich die Leute zu unterhalten und ich taute auf.

Gespannt warteten wir auf die vorgesehene Jam Session mit Clapton, Lennon, Mitch Mitchell und Keith Richards, der Bass spielen sollte. Ich meinte zu Ian Anderson: „Ich freue mich auf Clapton.“

Sie begannen mit einem Instrumental-Song, während die verdammte Yoko zu Johns Füßen saß, und waren noch nicht mal gut. Ian flüsterte mit einem ironischen Unterton: „Na, und wie gefällt dir dein Held jetzt!?“

Wir teilten uns die Garderobe mit den Who, wo ich ihnen zum ersten Mal begegnete. Es waren nette Typen, und sie liefen musikalisch zur Höchstform auf. Mich erstaunte ein Gitarrensolo von Pete Townshend, da er sich sonst eigentlich nur auf den Rhythmus beschränkte. Er spielte verdammt gut.

Das lässt sich nicht von allen behaupten. Jethro Tull hatten sich den „Song For Jeffrey“ ausgesucht. Ian Anderson reichte mir einen Hut, den ich aufsetzen sollte.

Ich sagte ihm, dass er okay sei, fand das ganze Gehabe aber peinlich. Während des Auftritts hielt ich das Gesicht so weit wie möglich unten, damit mich ja niemand erkennen würde.

Es sollten Jahrzehnte vergehen, bis man den Streifen endlich veröffentlichte. Ich traf Bill Wyman ein paar Mal, und er versprach mir jedes Mal eine Kopie, die ich aber nie erhielt.

Ich habe ihn also erst viel, viel später gesehen und fand ihn schrecklich – so was von altmodisch und angestaubt! Allerdings lässt er sich jetzt als Klassiker bezeichnen, denn viele der Musiker sind schon verstorben: John Lennon, Keith Moon, Brian Jones, John Entwistle …