Staat und Staatlichkeit in der europäischen Moderne

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2.3 Krieg, Staatsbildung und europäische Expansion

Die (kriegerische) Konkurrenz spielte sich auch außerhalb des europäischen Territoriums ab; mehr noch: Man kann die Herausbildung des modernen Staates nicht ohne die gleichzeitig vor sich gehende Kolonisierung der außereuropäischen Räume verstehen.17 Sie war nicht nur ein Ort, an dem die Konkurrenten aufeinandertrafen, die Eroberung außereuropäischer Räume war nicht nur Zweck der Konkurrenz. Sondern sie war auch Mittel, insofern sie Ressourcen abzuschöpfen ermöglichte, die sich wiederum trefflich zum Zweck der europäischen Machterweiterung einsetzen ließen.18 Die globale Expansion lieferte neue Finanzmittel – nicht zuletzt Edelmetalle –, neue Waren und Märkte, sie führte aber dazu, dass Außereuropa selbst zum Schauplatz für die neue staatliche Konkurrenz wurde. Im Siebenjährigen Krieg wurde auch in Amerika und Asien im Zeichen einer europäischen staatlichen Konkurrenz gekämpft. Der Niedergang der iberischen Kolonialmächte der ersten Stunde zugunsten Großbritanniens und der Niederlande zeigte sich in überseeischen Niederlagen gegen die europäischen Konkurrenten. Mehr noch: Es war gerade die politische Fragmentierung, die Konkurrenz, die den europäischen Staaten gegenüber den teils (noch) weiter entwickelten asiatischen Großreichen die Durchsetzung ermöglichten. Denn die Konkurrenz brachte es mit sich, dass eine andere Macht übernahm, wenn die eine sich als überfordert erwies oder ihre Schwerpunkte änderte. Ein Herrscherwechsel, der sonst die Dinge oft völlig neu aufstellte, war in den europäischen Staaten weniger wichtig, weil hier die Struktur schon meist über die Person dominierte. Umgekehrt erforderte die Organisation der Herrschaft in den eroberten Gebieten einen Ausbau der staatlichen Kapazitäten auch „zuhause“. Ein regelmäßiges Berichtswesen, eine Entwicklung von (häufig staatlich-privatem) Personal, die Etablierung von Verkehrsverbindungen und die Ausrichtung der heimischen Wirtschaft auf die außereuropäischen Rohstoffe: Auch hier musste der Staat seinen Handlungs- und Beobachtungsraum erweitern. Natürlich besaß der spanische König nicht, wie er behauptete, vollständige Kenntnis von allem, was in seinem Reich vor sich ging.19 Aber diese Behauptung formulierte den Anspruch, dass er als oberster Regent dort präsent blieb.

Die Konkurrenz der jungen Staaten in the making war also ein maßgeblicher Anschub für die Expansion, mehr noch: Der frühmoderne europäische Staat war am Ende auch der eigentliche Sieger der kolonialen Expansion. Die Staatsbildungsprozesse wurden bedeutend beschleunigt, ebenso die finanziellen Spielräume erweitert, und auch gegenüber außereuropäischer Konkurrenz wie etwa dem ebenfalls expansionistischen Japan gerieten die europäischen Staaten in die Vorhand.

2.4 Zonen verdichteter Bellizität

Aus der überbordenden Masse an Kriegsgeschehen im Europa der Frühen Neuzeit werden hier nur drei verdichtete Zonen ausgewählt, die einerseits die Zeitgenossen tief verstört und im kollektiven Gedächtnis lang gewirkt haben; die andererseits auch starke Impulse in Richtung Staatsbildung gaben, in je unterschiedliche Richtungen. Kennzeichnend an diesen Kriegsepochen (die man sich nicht als kontinuierliche Kriegsgeschehen vorstellen darf) war die Breite an einbezogenen Akteuren: Nicht nur Monarchen, sondern auch große und kleine private Kriegsunternehmer wie auch die adligen Herrschaftsschichten (die sich in England im Parlament fanden, im Reich in den Reichsständen) waren beteiligt und suchten zu profitieren. Wir haben es fast immer mit einer Überkreuzung von inneren und äußeren Auseinandersetzungen zu tun. Muster des religiösen Konflikts, regionale Bestrebungen um Unabhängigkeit und die Kämpfe zwischen Monarchen und anderen Mächtigen vermischten sich und sind in der Fülle der Ereignisse, der Diskussionen darum, auch der Mythen, die darum gesponnen wurden, schwer auseinanderzuhalten. Ein Teil unserer Schwierigkeiten, diese Zeit zu verstehen, liegt auch darin, dass wir die eminente Bedeutung der Religion für das Staatswesen nicht mehr nachvollziehen können. Die Gewaltsamkeit war enorm, die Zerstörung von Gesellschaft, Ökonomie und Kultur zwangsläufig auch. Diese Kriege dauerten sehr lang und in unterschiedlicher Weise führten sie alle zu einer Zunahme an staatlichen Kapazitäten. Zum Beispiel bedingte die periodische Aushebung von Soldaten, dass der Staat besser Buch führte über seine Untertanen, dass Einwohnerschaft, Steuerzahlung und Religionszugehörigkeit genauer registriert wurden. Der katastrophische Eindruck, den man aus der Schilderung dieser langen Kriegsepochen gewinnt, täuscht insofern: Der Staat ging meist gestärkt daraus hervor.

a. Der Dreißigjährige Krieg (1618–1648) 20

Dieser Krieg – eigentlich eine Abfolge von kleineren und größeren Auseinandersetzungen, die aber einen großen Teil Europas betrafen, von Frankreich bis Schweden, sich indes vor allem auf dem Gebiet des Reichs abspielten – war nur auf den ersten Blick (und vielleicht in der ersten Phase) ein Religionskrieg: eine Auseinandersetzung zwischen dem katholischen Kaiser und seinen Verbündeten (der „Katholischen Liga“) einerseits und protestantischen Reichsfürsten andererseits, die bis 1621 in der „Protestantischen Union“ verbündet waren. Der Versuch, Böhmen zu rekatholisieren, war Auslöser des Kriegs; es handelte sich hier aber eben auch um einen Aufstand der böhmischen Stände (also des Adels), die sich dem Kaiser in Wien nicht mehr unterordnen wollten und auf staatliche Eigenständigkeit drängten. In dieser Weise war der Dreißigjährige Krieg vor allem eine Auseinandersetzung über die Verfasstheit des Reiches: Sollte das Reich zu einer zentralisierten Monarchie werden wie die anderen europäischen Monarchien oder sollte es eine Föderation mehr oder weniger selbständiger Staaten sein, mit dem Kaiser als primus inter pares? Gerade die Politik des Kaisers Ferdinand II. atmete den Geist des Absolutismus, indem sie wiederholt gegen selbstverständliche Verfassungstraditionen verstieß und sich über die Interessen der Reichsstände hinwegsetzte. Die Konfessionsfrage war in diesem Zusammenhang instrumentell, denn die protestantischen Fürsten beanspruchten ihre religiöse Landeshoheit als Teil ihrer staatlichen Autonomie – und der Kaiser bestritt diese. Da es eine kaiserliche Militärorganisation nicht gab und er keine Rücksicht auf die Reichsstände nehmen wollte, stützte sich der Kaiser auf Militärunternehmer wie Wallenstein.

Verkompliziert wurde die Lage dadurch, dass das Reich ein heterogenes Konstrukt verschiedener sich überlagernder Hoheiten war, in dem z. B. auch fremde Fürsten Mitglied des Reiches sein konnten, wenn sie hier Herrschaftsrechte hatten. Der dänische König Christian IV., Herrscher eines anderen Staates, war so gleichzeitig Herzog von Holstein und damit selbst Reichsstand; unter Berufung darauf trat er 1625 auf Seiten der protestantischen Fürsten in den Krieg ein. Insofern hatte der Krieg eine europäische Ausweitungsdynamik. Nach anfänglichen Siegen der Katholischen Liga schalteten sich andere europäische Mächte ein, die von dem Konflikt profitieren wollten, wie Frankreich und Schweden. Obwohl der Kaiser und die Reichsstände sich 1635 auf den Prager Frieden einigten, der den eigentlichen Konflikt hätte beenden können, ging deshalb der Krieg noch lange weiter. Wie wenig insgesamt der Begriff vom Religionskrieg trifft, lässt sich daran ersehen, dass das lutherische Schweden und das katholische Frankreich seit den 1630er Jahren miteinander verbündet waren.

Überall im Reich und an seinen Rändern flackerten die Konfliktherde auf: In der Pfalz, den Niederlanden, in Süddeutschland oder in Nordostdeutschland. Seit den 1630er Jahren führte die Ubiquität des Kriegs zusehends zu staatlicher Anomie, zu ungehemmter Gewalttätigkeit und zu wellenförmigen Kriegsaktivitäten – man darf sich den Dreißigjährigen Krieg nicht als ein permanentes Kriegshandeln vorstellen. Ebenso war aber auch ein Friedensschluss nicht möglich. Nach jahrelangen Versuchen und einem fünf Jahre dauernden Friedenskongress gelang es 1648, in Osnabrück und Münster den „Westfälischen Frieden“ abzuschließen, der territorial nicht sehr viel, staats- und völkerrechtlich aber sehr viel änderte – allein schon deshalb, weil hier erstmals alle europäischen Machthaber durch ihre Gesandten aufeinandertrafen: Der Westfälische Friede war historisch der erste multilaterale interstaatliche Friedensvertrag. Er war sowohl eine völkerrechtliche Vereinbarung zwischen verschiedenen Staaten wie eine Festlegung der verfassungspolitischen Verhältnisse im Reich. Vor allem beinhaltete er die Anerkennung von Gegebenheiten, wie sie waren, und also den Abschied von der oben skizzierten Vorstellung von der Universalmonarchie ebenso wie eine Absage an eine zentralisierte Monarchie in Deutschland. Stattdessen führt er eine Vorstellung ein, die in der Politikwissenschaft (weniger in der Geschichtswissenschaft) als „Westphalian System“ bekannt wurde: das Konzept von einander gleichberechtigten, souveränen Staaten, die als einzige rechtlich zur Kriegsführung berechtigt sind, Staaten, die durch klare territoriale Grenzen bezeichnet sind. All das war neu und, wie sich herausstellen sollte, zukunftsträchtig – wie sehr damals schon den Zeitgenossen und Beteiligten präsent, ist umstritten.21 Nach innen führte er zu einer neuen Machtbalance zwischen Kaiser und Reichsständen, einer Verrechtlichung der Beziehungen und der Verfahren. Insofern handelte es sich dabei nicht nur um einen Staatsbildungskrieg, sondern auch um den Krieg, in dem sich das moderne Staatensystem herausbildete.

 

b. Die Bürgerkriege in Großbritannien (1642–1689)

Wenngleich in Großbritannien eine zentrale Monarchie seit dem 13. Jahrhundert durchgesetzt war, bedeutete das keineswegs ein Ende der Konkurrenz um die Autorität; im Gegenteil: Sie war ständig umkämpft. Bis zum Ende des 17. Jahrhunderts war der Königsthron der Gegenstand permanenter gewalttätiger Konflikte zwischen den hohen Adelshäusern. Besonders während der „Rosenkriege“ (1455–1485) rivalisierten die beiden Kronprätendentenfamilien der York und der Lancaster mit Krieg und Meuchelmord um die Krone; so lange, bis die gesamte männliche Linie beider Familien ausgelöscht war.22 Shakespeare hat dieser Epoche Tragödiendenkmale gesetzt.

Ging es in dieser Epoche um die Konkurrenz von Adelsdynastien, so schob sich mit der Reformation und dem Aufkommen der absolutistischen Idee eine programmatische Dimension in die Familienstreitigkeiten. Der Kampf um die Macht wurde ein Kampf um Ideen – zumindest wurde er als ein solcher inszeniert. Die Auseinandersetzungen, die seit Anfang der 1640er Jahre in England kriegerische Gestalt annahmen und mit Unterbrechungen bis zum Ende der 1680er Jahre dauerten, sind nicht nur für die Erinnerung und Selbstmythisierung des Landes wichtig, sondern auch für die gesamte europäische Staatsbildung vorbildhaft geworden.23 Das gilt in besonderem Maß für die Staats- und Gesellschaftstheorie, nicht zuletzt durch die beiden wichtigsten Staatstheoretiker dieser Zeit, Thomas Hobbes und John Locke. Karl Marx und Friedrich Engels haben in der „Englischen Revolution“ der 1640er Jahre und in der „Glorious Revolution“ 1688/89 ein frühbürgerliches revolutionäres Fanal gesehen, das den Feudalismus abschaffte. Vieles davon ist historische Fortschrittsromantik. Vor allem ging es in diesen Jahrzehnten des Bürgerkriegs um eine Auseinandersetzung zwischen Monarch und dem Adel, der im Parlament versammelt war, um die Herrschaftsgewalt, genauer: einen Kampf gegen den immer wieder von neuem unternommenen Versuch der Könige, eine absolutistische Herrschaft einzuführen. Dieses Konfliktmotiv verband sich mit dem konfessionellen Konflikt, der auf dem Kontinent im Dreißigjährigen Krieg seinen Ausdruck fand; ähnliche Auseinandersetzungen waren auch im englischen 17. Jahrhundert bestimmend. Seit Heinrich VIII. 1534 England aus der katholischen Kirche gelöst und den freilich dem Katholizismus nicht eben entfernten Anglikanismus eingeführt hatte, spielte die konfessionelle Frage permanent mit hinein, denn der anglikanische Zweig der Tudors (wozu Elisabeth I. gehörte) und der überwiegend katholische Zweig der Stuarts waren eng miteinander verwandt und erhoben Ansprüche auf den Thron, hatten aber sehr unterschiedliche Vorstellungen von der religiösen Gestalt des Reichs. Die dritte, radikal protestantische Fraktion der Puritaner, Calvinisten, Presbyterianer oder Kongregationalisten war im niederen Adel stark vertreten; sie lehnte generell eine staatskirchliche Disziplinierung der Religion ab, war aber aggressiv antikatholisch.

Diese Typisierung bezeichnet die Unterschiede indes überscharf: Jakob I. (1603– 1625), der Sohn der von Elisabeth I. hingerichteten katholischen Maria Stuart, ihrer Cousine, war calvinistisch erzogen, bekannte sich aber nach der Thronbesteigung zum Anglikanismus und betrieb eine intolerante Politik gegenüber den Calvinisten; wegen dieser Politik stachen 1620 die „Pilgrim Fathers“ mit der Mayflower in See, um in Amerika ein Gottesreich zu errichten. Jedoch war er ein Verfechter des Gottesgnadentums und sah sich nur Gott und keinem Parlament gegenüber verantwortlich. Und das war wichtiger. Sein Sohn Karl I. (1625–1649) gerierte sich noch absolutistischer. Er löste das Parlament auf, weil es ihm Steuern verweigerte, und er hielt sich nicht an Abreden, die seine finanziellen Forderungen von der Zustimmung durch das Parlament abhängig machten. Viele in England hatten den Eindruck, dass er den „Papismus“ (ein Schimpfwort für den Katholizismus) wieder einführen wolle. Ein königlicher Putschversuch gegen das Parlament 1642 war Auslöser für den Bürgerkrieg, in dem das presbyterianisch dominierte Parlament auf Betreiben seines Abgeordneten, des Reitergenerals Oliver Cromwell, eine eigene Armee (die New Model Army) gegen den König aufstellte. 1647 geriet Karl I. in die Gewalt des Parlaments und 1649 wurde er nach einem umstrittenen parlamentarischen Prozess hingerichtet. Ein Schaudern lief durch Europa: Ein Land richtet seinen eigenen König hin! Dass man Könige ermordete, war an der Tagesordnung, gerade in England. Dass aber die Institutionen ihrem gottgesandten König den Prozess machen und ihn wie einen gewöhnlichen Dieb öffentlich hinrichten: Das war ein Sakrileg. Die Tat wurde als Revolution wahrgenommen (und deshalb heißt diese Zeit auch bis heute die „Englische Revolution“, auch wenn Historiker diesen Begriff zurückhaltend gebrauchen) und hatte Auswirkungen bis in die Französische und die Russische Revolution, wo man auch den Monarchen glaubte töten zu müssen, um eine neue Zeit anbrechen zu lassen.

1653 löste die religiös-utopische Militärdiktatur unter Cromwell eine kurzlebige, von ihm selbst ins Leben gerufene Republik ab: „the rule of the saints“. Das Staatswesen hieß jetzt „Commonwealth of England“. Cromwell, der sich eigentlich als Republikaner verstand und die Königswürde für sich ablehnte, sich nur „Lord Protector“ (der Titel für den Vormund unmündiger Könige) nennen ließ, befriedete nicht nur das Land, sondern er führte auch einen brutalen Kolonialkrieg gegen das katholische Irland. Nach seinem Tod wurde 1660 unter Karl II., dem Sohn Karls I., die Monarchie wiederhergestellt. Diese Restoration ging so weit, dass Cromwell exhumiert und posthum enthauptet wurde. Karl II. hatte wie sein Vater absolutistische Ambitionen und stieß auf Widerstände in einem Parlament, das man sich aber keineswegs als einheitlich vorstellen darf, sondern das auch Schauplatz des Machtkampfs verschiedener Fraktionen war. Ein Mordkomplott gegen den König wurde 1683 aufgedeckt, oppositionelle Politiker hingerichtet.

Konfessionelle Argumente wurden in diesen Auseinandersetzungen immer wieder vorgebracht; aber die Konfession war eher Ausdruck der Zugehörigkeit zu einzelnen Adelscliquen und dem Bekenntnis zu einer gewissen Staatspolitik. Es ging hauptsächlich darum, wie viel Macht man dem König gegenüber dem Adel, den Städten und den Kircheneliten zugestehen wollte. „Katholisch“ bedeutete im Verständnis der englischen Zeitgenossen das Bekenntnis zu Absolutismus und gegen protestantische Glaubensfreiheit. Karl II. selbst war Anglikaner und betrieb eher eine Politik der konfessionellen Toleranz, was aber eben auch eine Aufwertung des Katholizismus bedeutete. Als er 1685 plötzlich starb (auf dem Totenbett trat er dann doch zum Katholizismus über) und keine Nachkommen hinterließ, wurde sein jüngerer Bruder Jakob II., der wiederum Katholik war, König; auch er versuchte eine absolute monarchische Herrschaft einzuführen und wollte sich dabei auf die katholische Kirche stützen, suchte aber einen Modus Vivendi mit der puritanischen Fraktion, was den anglikanischen Eliten ein Dorn im Auge war. Als Jakob dann aber sieben anglikanische Bischöfe in den Tower sperren ließ, weil sie sich seiner Politik verweigerten, unternahm im Benehmen mit einflussreichen Gruppen des Parlaments Jakobs Neffe und Schwiegersohn Wilhelm von Oranien, der calvinistische politische Führer („Statthalter“) der Republik der Vereinigten Niederlande, 1688 eine Invasion und übernahm in kurzer Zeit die Macht. Das wurde zeitgenössisch und von der englischen Vergangenheitspolitik die Glorious Revolution genannt. Wilhelms Preis dafür war, die Macht mit dem Parlament zu teilen: Er gestand ihm zu, es mindestens alle drei Jahre einzuberufen; das Parlament erhielt das Recht der Steuerbewilligung. Das war neu. Von da an gab es keinen „von Gottes Gnaden“ herrschenden König mehr in Großbritannien, sondern der König regierte als der „King in Parliament“: nicht mehr als absolutistischer Herrscher, sondern im Benehmen mit den wichtigen Machtgruppen, die sich in den beiden Häusern des Parlaments versammelten. Wilhelm gestand die Unabhängigkeit der Gerichte zu, schuf die Zensur ab, verfügte in der Bill of Rights das erste, weltweit vorbildhafte Gesetz zum Schutz der Parlamentsrechte, und: Er legte eine Erbfolge fest, die nur Protestanten zuließ. Ein Katholik kann seither nicht mehr englischer König werden. Der langfristige Effekt der englischen Bürgerkriege war also die Entstehung einer konstitutionellen Monarchie mit festgelegten bürgerlichen und Parlamentsrechten. Damit war ein Alternativmodell zu dem geschaffen, was auf dem Kontinent „Absolutismus“ heißen sollte: Die politische Herrschaft musste sich auf Kooperation einlassen, der Staat wurde eher als ein Konglomerat von Interessen und Beteiligten gesehen – und der König war im Grunde nur mehr ein Angestellter seines Staates; allerdings unkündbar.

c. Die „Türkenkriege“

Die Geschichte kriegerischer Auseinandersetzungen zwischen dem Osmanischen Reich und europäischen Mächten reicht bis ins 14. Jahrhundert zurück. Das 16. und 17. Jahrhundert bezeichnet die intensivste Phase. Seit der Eroberung der Hauptstadt des Byzantinischen Reichs, Konstantinopel (und ihrer alltagssprachlichen Umbenennung in „Istanbul“ – noch bis 1930 war der offizielle Name „Konstantinopel“!) (1453), expandierte das Osmanische Reich auf den Balkan Richtung Mitteleuropa. Zunächst stand es vor allem im Konflikt mit der Seemacht Venedig, bald aber auch mit Österreich, dessen Herrscher gleichzeitig Kaiser des Reichs war, später mit Russland, aber auch mit dem Königreich Polen, das im 17. Jahrhundert fast bis an das Schwarze Meer reichte. Diese Kriege zogen sich bis zum Ende des 18. Jahrhunderts hin; gezählt werden bis zur Französischen Revolution allein sechs venezianische, acht österreichische und neun russische Türkenkriege. Zweimal belagerten die Osmanen Wien und bedrohten Mitteleuropa, was zu Endzeitpaniken führte.24

Das war Teil der europäischen Kriegsgeschichte und nicht, wie die Legende sagt, eines Abwehrkampfs des christlichen Europas gegen die von außen kommende islamische Invasion. Häufig war z. B. Frankreich mit dem Osmanischen Reich verbündet, um den Gegner, das Reich und Habsburg, zu schwächen. Auch viele Soldaten in den osmanischen Heeren waren keine Muslime. Aber die „Türkengefahr“ wurde zeitgenössisch als eine existenzielle Bedrohung des christlichen Europa begriffen, und Erinnerungen an die arabische Eroberung der Iberischen Halbinsel wurden konstant neu aufgerufen. Über lange Zeit konnte das Osmanische Reich weite Teile Südosteuropas zum Teil seines Imperiums machen (Griechenland blieb bis 1829 Teil des Osmanischen Reichs). Die ständige Kriegsgefahr nötigte den Kaiser, bei seinen Reichsständen um Unterstützung zu bitten, was ihn im Reich schwächte und zu Zugeständnissen nötigte. Gleichzeitig aber fungierte das gemeinsame Feind- und Schreckbild des „Türken“ als ein negatives Integrationsmoment, das die (christliche) Reichs- und die Kaiseridee im gespaltenen Reich (und vielleicht auch darüber hinaus) stärkte. In Südosteuropa konnte sich keine stabile Staatlichkeit herausbilden, weil die Region immer Teil eines Imperiums und Spielball der beteiligten Mächte war, sei es des Osmanischen, des Russischen oder des Habsburgerreichs. Eine weitere Folge, bezogen auf (Mittel-)Europa und das Reich war, dass die Vormacht Österreich sich weniger auf Nationalstaatlichkeit, sondern auf die Entwicklung eines Imperiums konzentrierte, dafür enorme militärische Kapazitäten aufbaute und zur europäischen Großmacht aufstieg. Als im 19. Jahrhundert ein deutscher Nationalstaat auf der Agenda stand, war das Reich der Habsburger zum größeren Teil außerhalb des deutschen Sprachraums gelegen. Gleichzeitig war aber diese Konfliktzone auch eine Kontaktzone: Wenn nicht Krieg war, musste man anderweitig zurecht kommen, so dass zwischen Habsburg und dem Osmanischen Reich Formen interkultureller Diplomatie mit den jeweils „anderen“ entstanden – auch das ein Kennzeichen moderner Staatlichkeit.25

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