BACH ohne Numen

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Thomas Häring

BACH ohne Numen

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Buch ohne Namen

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Impressum neobooks

Buch ohne Namen

„Was machen Sie hier?“ Jene Frage der Fleischwarenfachverkäuferin überraschte den Dealer wenig, denn darauf hatte er sich eingestellt. „Ich verkaufe hier meine Drogen“, lautete deshalb seine lapidare Antwort. „Aber das können Sie doch nicht machen! Das hier ist eine Metzgerei.“ „Das weiß ich selber, lesen kann ich auch. Natürlich kann ich das, sonst wäre ich jetzt nicht hier.“ Fassungslos starrte die Frau ihn an. Der Kerl war wirklich dreist, denn er hatte sich neben der Tiefkühltruhe, in der das Eis lag, richtig gemütlich eingerichtet und sein Sortiment, das er da auf seinem kleinen Tischlein aufgestellt hatte, war sehr beachtlich. „Wenn das so ist, dann muß ich den Chef holen“, entschied die resolute Dame und wollte gehen. „Einen Augenblick noch! Im Grunde sind wir doch Kollegen. Der einzige Unterschied zwischen uns besteht darin, daß Ihr legale Drogen vercheckt, während wir illegale Drogen anbieten. Schauen Sie sich doch mal die ganzen Fettleibigen und Übergewichtigen an! Das ist Euer Verdienst.“ Sie starrte ihn fassungslos an und wußte einen Moment lang nicht, was sie darauf erwidern sollte. Dann verschwand sie und gut 20 Sekunden später stürzte ein wild gewordener Metzgermeister auf den Dealer zu und schlachtete ihn vor den Augen der entsetzten Fleischwarenfachverkäuferin förmlich ab. Jene schrie und keifte, doch das schien ihn nur anzustacheln und als alle Drei nach getaner Arbeit erschöpft, der Dealer natürlich tot, am Boden lagen, da schaute der Metzger seine Bedienstete mit glasigem Blick an und erklärte: „Der Typ hat meinen Jungen auf dem Gewissen. Er hat ihm immer das Teufelszeug gebracht und verkauft und jetzt stellt sich der auch noch ganz frech in meinen Laden.“

Der Metzger wischte sich seine blutverschmierten Hände an der Schürze der Frau ab, schaute sich sein Schlachtfest genauer an und meinte dann: „Na ja, so schlecht sieht den sein Fleisch gar nicht aus. Vielleicht können wir das noch verkaufen.“ Sie blickte ihn entsetzt an, verdrehte ihre Augen und entgegnete: „Aber das ist Menschenfleisch. Unsere Kunden sind doch keine Kannibalen.“ „Dafür Ignoranten. Die fressen alles, das weiß ich aus Erfahrung. Ich habe ihnen spaßeshalber früher mal Esel- und Känguruhfleisch angedreht, das haben die gar nicht mitgekriegt. Außerdem habe ich auch schon mal Menschenfleisch in unser Sortiment gemischt und es gab keine Beschwerden. Das Tolle an den Dealern ist ja, daß sie sehr großen Wert darauf legen, nicht selber süchtig zu werden und deshalb kann man ihr Fleisch noch verkaufen. Auf die Art und Weise wird der Gerechtigkeit doch noch Genüge getan.“ „Na ja, ich weiß nicht so recht. Ihr Sohn war ja auch nicht unbedingt ein Engel. Der hat mir immer Schweinsohren angeklebt und wollte, daß ich mein Bein amputieren lasse und durch eine Rinderhaxe ersetze.“ „Ein Schelm wie sein Vater. Wissen Sie, ich wollte ja eigentlich keinen Jungen, sondern einen Zwitter. Ich habe mir gedacht, daß so ein Zwitter viel mehr Chancen im Leben hat, weil er viel flexibler ist. Außerdem kann er und sie in allen Berufen arbeiten, das ist doch phantastisch.“ „Und auf welche Toilette geht ein Zwitter?“ „Auf die, die gerade frei ist.“ „Also aufs Männerklo. Es ist ja inzwischen weltweit bekannt, daß es vor Frauenklos höchst giftige Schlangen gibt.“ „Das liegt aber nur daran, daß Ihr Frauen auf dem Scheißhaus quasselt und Euch schminkt, während sich die Männer höchstens eine Nase Koks reinziehen.“ „So wie Ihr toter Sohn.“ „Genau.“

Die Sozialversicherungsangestellte war nicht gerade eine äußerst spannende Frau, aber sie hatte einen anständigen Beruf und einen unanständigen Freund, der ihr immer gerne Schweinereien wie „Putz die Küche!“ oder „Trag den Müll runter!“ ins Ohr flüsterte. Das machte sie jedesmal richtig geil, doch seit sie ihn einmal dabei überrascht hatte, wie er das benutzte Wasser aus der Badewanne getrunken hatte, war ihre Beziehung etwas angeknackst. „Wir sollten über eine vorzeitige Trennung nachdenken“, hatte sie ihm mitgeteilt, doch er hatte mal wieder nicht zugehört und kam deshalb nach wie vor regelmäßig bei ihr vorbei, um sich von ihr seinen Papierkram erledigen zu lassen, denn sie liebte ihre Arbeit so, daß sie auch zu Hause weiterarbeiten wollte. Wer zu ihr in ihre Wohnung wollte, mußte erst einmal draußen eine Nummer ziehen und wenn man dann endlich an der Reihe war, wurde man kühl, sachlich und professionell empfangen. Ihr Freund dagegen gehörte zu den Berufsschwindlern, er gab sich mal als Professor, ein anderes Mal wieder als Doktor aus, verteilte großzügig ungedeckte Schecks in Massen und war ein begnadeter Sprechblasenhersteller. Er liebte seinen Beruf über alles, denn er hatte keinen und wenn er mal wieder enttarnt und angezeigt worden war, dann spielte er vor Gericht den mittellosen, hilfsbedürftigen Unbegreifbaren, den alle immer nur mißverstehen, obwohl er es doch nur gut meint. Seine Mutter vergötterte ihren Sohn, denn der erzählte ihr immer so viele aufregende Geschichten und war damit viel interessanter als das langweilige Fernsehprogramm. Aber der Mann wußte auch, daß das nicht ewig so weitergehen konnte. Er mußte sich so bald wie möglich eine reiche, dumme Frau suchen, die seinen ausschweifenden Lebensstil finanzierte.

In der Klapsmühle war mal wieder der Teufel los, die Insassen streikten, weil die Krankenkassen weniger bezahlten und es deswegen nur noch die Hälfte der Tabletten gab. „Wir brauchen unsere Drogen - sonst sind wir ungezogen!“ skandierten sie lautstark, doch das Pflegepersonal hatte sich längst in Sicherheit gebracht und nur ein mutiger Mann von der größten aller kranken Kassen hatte sich in die Höhle der tablettensüchtigen Löwen begeben, um mit den Unvernünftigen vernünftig zu reden. „Schaut Euch doch mal an! Das ist doch kein Leben! Ihr seid wie gemästete Tiere, die zur Schlachtbank geführt werden. Wir sind jetzt eine Gesundheitskasse und wollen die Wurzel beim Übel packen. Von nun an gibt es für Euch Verhaltenstherapie statt Ruhigsteller, es ist an der Zeit, daß Ihr damit beginnt, an Euch zu arbeiten und Euch nicht länger auf die Wirkung Eurer Drogen verlaßt. Verändert Euch, dann werdet Ihr unabhängig und es wird Euch viel besser gehen“, versprach der tapfere Held, der gegen die Windmühlen namens Pharmaindustrie anredete. Obwohl, die Farmerindustrie war auch nicht viel besser. Allerdings waren seine Worte die richtigen Sätze zur falschen Zeit und so stürzte sich die sich auf halbem Entzug befindliche Masse auf den armen Mann und begrub ihn unter sich. „Zu schade, daß Beamen immer noch nicht möglich ist“, war sein letzter Gedanke, bevor er in die Bewußtlosigkeit entfloh. Dort fühlte er sich richtig wohl, doch als er viel später wieder erwachte, spürte er sich selbst vor lauter Schmerzen fast nicht mehr und als er sich sowohl zufällig als auch versehentlich in einem Spiegel wieder sah, da erkannte er sich fast nicht wieder. Die wilden Junkies hatten ihn übel zugerichtet, aber er lebte noch und wußte nicht so recht warum.

„Wußten Sie eigentlich schon, daß ich mal eine Gastprofessur an einer Fachhochschule innehatte?“ erkundigte sich der Metzger bei seiner schmatzenden Mitarbeiterin, während sie sich den vorzüglich mundenden Dealer schmecken ließen. „Nein, aber ich habe bei der ganzen Sache hier“, sie deutete auf das Festmahl, „kein ganz so gutes Gefühl.“ „Da brauchen Sie sich überhaupt keine Sorgen machen. Die Geschichte des Kannibalismus ist nämlich, wie nicht anders zu erwarten, eine Geschichte voller Mißverständnisse. Hätte Kain Abel nicht getötet, danach aufgegessen und die ungenießbaren Reste seinem verhaßten Gott geopfert, dann hätte der Verzehr von Menschenfleisch ein wesentlich besseres Image. Mal wieder ist die Bibel an allem schuld, dementsprechend sprach man anfangs auch noch vom Kainnibalismus. Darwin hat uns bewiesen und gezeigt, daß nur die Stärksten überleben, während die Schwächeren den Löffel abgeben, von daher hat das alles schon seine Richtigkeit“, erläuterte der Metzger und langte noch einmal kräftig zu. „Und wie war das so als Professor?“ fragte sie, um ihn von jenem unangenehmen Thema wegzubringen. „Ach, ich tanzte nur einen Sommer. Die Studenten kamen mit meiner hemdsärmligen Art nicht zurecht, warfen mir vor ich würde Tiere töten, was natürlich absoluter Blödsinn ist und ein paar von diesen Hardliner-Veganern sorgten schließlich dafür, daß ich abgesetzt wurde, nur weil ich behauptet hatte, daß BSE weder für die Rinder, noch für die Menschen, sondern lediglich für die Rindviecher unter den Leuten gefährlich wäre. Na ja, dieses Studentenpack war eh nicht meine Welt, aber meine angeblichen Tofu-Würste, in denen ganz normales Tierfleisch drin ist, haben sie trotzdem gefressen, die Spackos.“

Der Hochstapler war mal wieder voll in seinem Element und erzählte seinen gebannten Zuhörern folgende Geschichte: „Es war einmal ein König, der wollte alle Schätze auf der ganzen Welt besitzen. Allerdings hinderte ihn eine Geisteskrankheit, die er sich auf einem Kurzabstecher in die Mongolei geholt hatte, an der Umsetzung seiner Pläne. Statt dessen belegte er die Welt mit einem Fluch und so kam es zum 11.September, an dem zwei Fluchzeuge die Protztürme des Kapitalismus dem Erdboden gleichmachten. Man traut dem Feind immer das Schlimmste zu, deshalb machten die Juden die Araber und die Nazis die Juden für das Attentat verantwortlich. Ich aber sage Euch: Saddam Hussein war nur ein Bauernopfer und der Iran ist auch nur ein Fleck auf der Weltkarte. Die Atombombe ist der Schlüssel zum Erfolg, denn wer sie besitzt, wird um so weniger besetzt.“ Im Hintergrund sah der Dummschwätzer bereits Uniformierte aufmarschieren, weshalb er blitzschnell seinen Abgang vorbereitete. „Die beste Nachricht zum Schluß: Gott hat weder eine Hautfarbe noch ein Geschlecht und gehört keiner Religion an. Alles Gute, Ihr Trottel!“ Nach jenen Worten sprang der Gauner von der Bühne, auf der er gestanden hatte und verschwand in der Menschenmenge. Eine halbe Stunde später tauchte er bei seiner Freundin auf, nachdem er versehentlich drei Nummern gezogen hatte und gleich zweimal aufgerufen worden war und flüsterte ihr ein versautes Wort ins Ohr: „Wohnzimmer.“ Sie stöhnte lustvoll auf und wollte von ihm Folgendes wissen: „Na, Du alter Lügenbold, hast Du wieder ein paar Leuten einen Bären aufgebunden?“ Er nickte grinsend und sie lächelte. Was für ein gerissener Kerl. Und so durchtrieben! Phänomenal!

 

„Wir haben ein Problem mit unseren Psychopathen“, gestand der Chefarzt der Psychiatrie und die anwesenden Ärzte, Pfleger und Schwestern machten ein ernstes Gesicht, bevor er fortfuhr: „Wir bilden viel zu wenige Nachwuchspsychopathen aus, was natürlich unter Anderem auch daran liegt, daß unsere richtig guten Psychopathen viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt sind und deswegen den jungen Leuten keine fundierte, solide Ausbildung anbieten können. Was sollen wir nur tun?“ „Na ja, jetzt, nachdem der Streik der Psychos beendet ist und wir wieder Ruhe im Puff haben, könnten wir doch versuchen, ein bißchen Werbung für das Psychopathentum zu machen. Was ist eigentlich aus diesem Krankenkassenvertreter geworden?“ forschte eine Schwester. „Der wurde ordentlich vermöbelt, was ihm ganz recht geschieht, denn die Meisten von uns konnten diesen Typen ohnehin nicht leiden. Aber genau diese Aktion hat uns doch ganz deutlich gezeigt, wie viel Potential in unseren Psychos schlummert und wenn es uns gelingt, das zu mobilisieren, dann haben wir bald ein paar ausgezeichnete Psychopathen“, verkündete der Oberarzt stolz. „Warum um alles in der Welt wollen alle immer nur Psychopathen?“ wunderte sich eine Putzfrau, die gerade den Raum pflegte. „Psychopathen sind das Salz in der Suppe der Menschheit. Wir hier, die Boulevardblätter, das Fernsehen, der Rundfunk, die Filmindustrie, die Printmedien an sich, sowie die Gesellschaft, die bekanntlich nach Feindbildern lechzt, brauchen Psychopathen, denn ohne die ist es stinklangweilig“, behauptete der Chefarzt. Plötzlich kam ein Irrer herein und ballerte mit seinem Maschinengewehr um sich. Nur die Putzfrau ließ er am Leben. Zufrieden wischte sich der Mann den Geifer vom Mund und zog fröhlich pfeifend von dannen.

„Erinnern Sie sich noch an meine dritte Frau?“ fragte der Metzger seine Verkäuferin. „War das die, die Sie ertränkt haben oder die, die Sie in den Selbstmord getrieben haben?“ „Weder noch. Das war die, die versehentlich mit dem Kopf in die Kreissäge gekommen ist.“ „Ach so, die! Ja genau! Das war damals vielleicht eine Sauerei. Das Sägeblatt ist nie wieder richtig sauber geworden.“ „Das hätte mich weniger gestört, aber die Säge als solche hat danach nie wieder einwandfrei funktioniert. Jedenfalls habe ich diese Frau am Anfang auf Händen getragen, aber schon nach ein paar Wochen war sie mir zu schwer. Das ist ja das eigentliche Hauptproblem: Ich lerne eine schlanke Frau kennen, werbe um sie, heirate sie und schon nach kurzer Zeit verwandelt sie sich in ein fettes, dauerfressendes Monster.“ „Vielleicht sollten Sie Ihren Beruf wechseln.“ „Leichter gesagt als getan. Soll ich etwa Holzfäller werden? Meine Güte, war das gerade ein zäher Brocken. Übrigens, wie hat Ihnen denn das Gehirn unseres Drogenverkäufers geschmeckt?“ Sie schluckte. Hatte sie das eben richtig verstanden? Hatte er ihr tatsächlich ...? Das konnte doch einfach nicht wahr sein! Plötzlich verschwand sie auf die Toilette und übergab sich dort mit voller Inbrunst. Sein dreckiges Lachen klang noch in ihren Ohren, als sie wenig später mit dem Schlachtermesser zurückkehrte und Jagd auf die Sau machte, die ihr das angetan hatte. Er dachte zuerst an ein schweinisches Spielchen, doch als er gemerkt hatte, was da im Gange war, versuchte er zu fliehen. Sie aber warf mit dem Messer nach ihm und noch bevor er seinen Laden durch die Tür verlassen konnte, sank er theatralisch zu Boden, hob die Hände zum Himmel und schrie: „Herr, vergib ihr, denn sie wußte was sie tat. Lernen am Modell ist straffrei!“

„Was für eine langweilige Geschichte! Gut, die paar Splatterelemente waren ganz nett, aber ansonsten doch recht dürftig“, urteilte der Literaturkritiker und gähnte. Ich war geknickt. Dabei hatte ich mir so viel Mühe gegeben, Stunden meiner wertlosen Zeit in jenes Meisterwerk gesteckt und dann das. „Ich wette, Sie haben sogar an Ihrer eigenen Scheiße etwas auszusetzen“, ließ ich verlauten und war sichtlich erleichtert darüber, daß er das Messer hinter meinem Rücken, das bald in seinem stecken sollte, immer noch nicht entdeckt hatte. „Da haben Sie allerdings Recht. Heute morgen zum Beispiel war mein Stuhlgang so weich, daß ich ihn nicht einmal meiner Tochter zum Frühstück vorsetzen konnte“, bekannte er. Ich hoffte, er würde gleich zu lachen anfangen und das alles zu einem Witz erklären, doch das tat er nicht. Langsam bekam ich Angst. „Also ich finde meine Geschichte gut“, bemerkte ich tapfer. „Das habe ich von Ihnen auch nicht anders erwartet. Aber es fehlt, wie so oft bei Ihnen, die Tiefe, die gedankliche Auseinandersetzung mit der menschlichen Natur. Sie schreiben wie ein Alien“, hielt er mir vor. „Vielleicht liegt das ja darin begründet, daß ich einer bin“, machte ich deutlich, stieg in mein Raumschiff und verließ darin sein Büro. Für einen kurzen Augenblick war er erstaunt, doch Sekunden später hatte er sich bereits wieder gefangen und raunzte seine Sekretärin an: „So etwas nennen Sie Kaffee? Ich nenne so etwas Kacke!“ „Das ist es ja auch. Ich wußte schließlich nicht wohin mit Ihrer Morgenscheiße“, klärte sie ihn auf und trippelte davon. „Na wenn das so ist“, murmelte er verdrießlich und nahm einen kräftigen Schluck von der braunen Brühe. „Nicht schlecht und auch noch direkt vom Erzeuger“, dachte er sich zufrieden und rülpste.

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