Frauen brennen besser

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Für Jessica und Jannik -

ich brenne für euch!


Thomas Fuhlbrügge

Frauen

brennen

besser
Ein Altheim-Krimi

2


Bibliografische Information der Deutschen National-Bibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

© 2021 -Verlag, Altheim Buchcover: Germencreative

Lektorin: Silke Walz

Druck: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin


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NACHTSCHICHT

ch habe nie behauptet, dass ich nett bin. Ich beseitige Leichen.

I Tagsüber legal. In einem Altheimer Krematorium.

Nachts für die Mafia. In denselben Brennkammern.

Meistens ist es die Mafia. Selten zahlen andere die 20.000 €, die ich für meine Dienste in Rechnung stelle.

Standardtarif. Für Sonderleistungen verlange ich deutlich mehr.

Diese Nacht sah aus wie ein Routinejob – bis ich den Toten sah. Einen solchen Dickwanst hatte ich noch nicht im Betrieb. Netterweise im Sarg. Gelegentlich bekam man die durchlöcherte Leiche in eine Decke gewickelt. Ich musste sie dann erst in mehrere Teile zerlegen. Mit der elektrischen Astsäge.

Ein einzelnes Bein oder den Rumpf konnte ich bei den normalen Einäscherungen dazulegen, die in meiner Nachtschicht ohnehin an der Reihe waren. Der zusätzliche Kopf fiel später in der Asche von Frau Hagedorn 5


nicht auf. Spätestens nach der Bearbeitung der Überreste in der Knochenmühle.

Ofen zwei war auf 900 Grad angeheizt. Der gewaltige Sarg mit Überbreite stand auf dem Gestell. Tibor hatte ihn vorhin gebracht. Wir wendeten unsere ganze Kraft auf, um ihn aus dem alten, bleigrauen Mercedes zu schaffen. Der Kerl wog bestimmt über 200 Kilo! Warum er auf der Todesliste von Salvatore stand? Keine Ahnung. Es interessierte mich nicht.

Schnell. Per Handy. Darknet. Das Honorar war bei der Bank of Nauru eingegangen. Meine bevorzugte Brief-kastenfirma für Geldwäsche.

Tibor war ein schweigsamer Zweimeterhüne. Wie immer trug er den schlecht sitzenden, schwarzen Anzug.

Etwas zu eng, etwas zu teuer und trotzdem etwas zu abgewetzt. In jedem James-Bond könnte er als Bösewicht durchgehen. Das Endprodukt wollte er dieses Mal nicht abwarten. Ein zappelndes Bündel auf der Ladefläche verriet, dass er noch Arbeit vor sich hatte.

Vielleicht machte er Homeoffice und brachte ihn da-heim um. Wahrscheinlich konnte ich morgen einen weiteren Auftrag ausführen. Wenn es ein zäher Bur-sche war – übermorgen. Der Killer trank noch einen Cappuccino in der Mitarbeiterteeküche. Verabschiedete sich winkend. Mühsam faltete sich der Killer hinter das Steuer seines Leichenwagens und verschwand.

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An die Arbeit. Für ihr Honorar erhielten meine Klienten einen sehr speziellen Service: Das spurlose Verschwin-denlassen von Personen. Ab dem Zeitpunkt, an dem ich den Körper in Empfang nahm.

Nach Wunsch erhielten die Auftraggeber die Asche in einer Urne. Alternativ Fotos. Manchmal das Projektil einer 38er oder den Inhalt des Magens. In einem skur-rilen Fall bestand die Auftraggeberin auf den linken Fuß und den rechten Hoden ihres untreuen Gatten.

Der XXL-Körper befand sich in der Zwischenzeit auf dem Förderband vor der Ofenklappe. Ich programmierte die Anlage. Übergewichtige Menschen brauchten mehr Zeit beim Kremieren. Mit dem Zeigefinger drückte ich einen grünen Knopf. Die massive Stahltür öffnete sich. Der Sarg fuhr maschinengesteuert in das Höllen-loch ein. Einen Augenblick später schloss sich die Luke.

Sekunden darauf stand das Holz in Flammen. Die ho-hen Temperaturen und das Zuführen von Luft führten zur Selbstentzündung. Wenige Minuten später war der Körper dem Inferno ausgesetzt.

Wir bestehen zu über 80 Prozent aus Wasser, das bei der Hitze schlagartig verdampft. Ein kurzer Blick durch das Guckloch. Schnell fraßen sich die Flammen ins Gewebe. Ließen alles verkohlen. Doch bis dies der Fall war, konnte es sein, dass sich der Torso durch die phy-sikalischen Kräfte beim Verbrennen noch einmal auf-richtete.

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Auch bei dem Dicken zogen sich durch die Hitze die Muskelstränge zusammen. Der Verstorbene hob die Arme und winkelte die Beine an. Der Kopf blieb liegen.

Die Nackenmuskulatur war unter der Körperoberfläche bereits verschwunden. Dabei brannte das Fleisch lichterloh. Es züngelte aus den Augenhöhlen. Insgesamt kein schöner Anblick. Es sei denn, man stand auf Hea-vy-Metal-Art, die Höllenvisionen von Hieronymus Bosch oder wenn bei Indiana Jones diesem Nazi das Gesicht wegschmolz.

In der Regel kam unser Ofen mit allem klar. Beispielsweise der Kleidung. Auch Schläuchen aus dem Krankenhaus, die in irgendwelchen Körperöffnungen steckten. Wir konnten es in einem Sarg verbrennen. Es sei denn, der Verstorbene wollte in seiner schweren Mo-torradkluft oder einem Taucheranzug eingeäschert werden.

Zusammen mit dem Körperfett besitzt eine Leiche einen beachtlichen Brennwert. Das reduziert die not-wendige Gasmenge der Anlage. Spart Kosten. Unser Krematorium ist ein Wirtschaftsunternehmen. Wir heizen mit der Abwärme unser Gebäude, sowie eine kleine Neubausiedlung am Ortsrand. Natürlich ohne dass die Anwohner wissen, woher die behaglichen Temperaturen kommen, und das warme Wasser in der Dusche.

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Während der Kremierung hatte ich wenig zu tun. Meist ging es darum, die Temperaturanzeige im Auge zu behalten. Ab und zu schaute ich durch das kleine Loch in die Kammer. Zwischendurch konnte ich die Überreste einer zuvor eingeäscherten Person für die Urne weiter-verarbeiten. Ich hatte neben meiner lukrativen Zusatzarbeit mein offizielles Pensum zu erfüllen.

Mit Handschuhen zog ich die Überreste von Frau Zieg-ler aus Ofen eins und wühlte mit dem Magneten darin.

Bis die künstlichen Hüftgelenke, das Zahngold und Sargnägel in einem Metallkasten lagen. Den Behälter mit den Überbleibseln hob ich zur Knochenmühle.

Doch was war das für ein Gestank? Offensichtlich Ofen zwei.

Fetter, pechschwarzer Qualm. Kein gutes Zeichen. Zeitgleich der Rauchmelder. Ohrenbetäubend. Scheiße!

Ich zur Schalttafel. Gleichzeitig auf Abzug und Not-Aus.

Der automatische Alarm der Brandmeldeanlage zur Feuerwehr war das Letzte, was ich brauchte. In wenigen Minuten hätten Dutzende Männer in Atemschutz-anzügen mein Geschäftsmodell ruiniert.

Während ich die Altheimer Wehr um einen ihrer selte-nen Einsätze brachte, zischte aus der Klappe des Ofens heiße Flüssigkeit. Eine eklige Brühe aus menschlichem Fett. Wie eine Flutwelle. Mitten auf den Betonboden.

Und ich mitten drin. Es stank erbärmlich.

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Immer mehr blubbernder Schmodder floss herunter.

Glänzende Lachen auf dem Boden. Sollten die nicht farblos sein? War es die Asche im Ofen, die sie grau färbte? So musste ich mir den Fluss Styx vorstellen.

Rund um den Hades. Der in der Unterwelt die Lebenden von den Toten trennt. Ob meine alte Lateinlehrerin das damals geglaubt hat? Immerhin wusste sie alles besser. Warum dachte ich jetzt an sie? Domnus ami-cum expectat.

In der Bestatterschule lernte ich, das Fett eines nor-malgewichtigen Körpers reiche aus, um sieben Stück Toilettenseife herzustellen. Wie viel würde aus der schwabbeligen Leiche rinnen? Bei einem Spanferkel brauchte man diesen Effekt. Damit die Kruste schön resch wurde. Aber bei einem Menschen? Jede Sekunde konnte es sich entzünden. Das ganze Gebäude in Brand setzen. Ich musste wenigstens einen Teil auffangen.

Die Putzutensilien befanden sich im angrenzenden Abstellraum. Scheiße! Ausgerutscht. Auf dem Bauch lag ich in dem Schmodder, der bis vor Kurzem die Ret-tungsringe eines adipösen Menschen waren. Fetttrie-fend rappelte ich mich auf. In den Kabuff. Hinter mir eine deutliche Spur aus klebrigem Sabber. Schnell: Eimer, Wischer, so viele Küchenrollen, wie meine schmierigen Finger greifen konnten.

 

Weiterhin Kaskaden von Fett aus dem Ofen. Ein Eimer.

Darunter. Das heiße Glibberzeug musste aufgewischt 10


werden. Wer einmal Pommesfett im Betrieb wechseln wollte, kennt die Problematik: Nach Sekunden brennend heiße Spritzer auf der Haut. Meine Klamotten waren durchweicht. In den Schuhen abgekühltes Fett.

Es schmatzte bei jedem Schritt.

Liter um Liter in den Ausguss unseres Waschbeckens.

Das Wasser ließ ich dauerlaufen. Viel zu langsam spülte das unappetitliche Innere des Maffiaopfers in die Altheimer Kanalisation. Der Rauchmelder. Er kreischte immer noch.

Endlich. Die Brühe versiegte. Ich sank auf die Knie.

Atmete schwer. Doch der größte Teil der Arbeit stand mir noch bevor: Die Frühschicht begann in vier Stunden. Ich musste das erkaltende Menschenfett bis dahin aufwischen. Verräterische Spuren beseitigen. Gelänge es mir nicht, konnte ich gleich auswandern. Ich wrang alles in Eimer. Bei jedem Ausgießen hätte ich allein durch den süßlichen Geruch erbrechen können.

Rasch umziehen. Reservekleidung gehörte zum Berufs-alltag. Es konnte immer etwas schmutzig werden.

Hemd und Hose verkleistert mit warmem Menschenfett. In den nächstbesten Sarg damit. Zum Verbrennen.

Die schmierigsten Putzutensilien mussten gereinigt werden. Ich auch. Die Halle und den Ofen schrubbte ich mit Unmengen Seifenlauge.

Dem kreischenden Feuermelder drehte ich den Hahn ab. Kurz vor fünf. Ich fuhr die Anlage hoch. Die Ofen-11


klappe. Sie musste abgedichtet werden. Ein Schamott-gemisch gab es in dicken Tuben. Zum Ausbessern von Rissen. Das würde mir noch fehlen, dass erneut die schaurige Suppe herausfloss. Alles wieder abkratzen.

Keine Spuren zurücklassen. Zum Glück war die Anlage nicht abgekühlt. Bald brannte die Leiche wieder. Die Ventilatoren arbeiteten auf Hochtouren.

Hoffentlich hatte niemand in Altheim den Qualm bemerkt. Minutenlang wurde er in den Himmel gepustet.

Im Regelbetrieb kamen keine Partikel der Verstorbenen aus dem Schornstein. Dafür sorgte eine ausgeklügelte und sündhaft teure Filtertechnik. Nichts sollte ein heutiges Krematorium an die Schreckensbilder von schwarzem Rauch aus einem KZ der Nazis erinnern.

Wenn es jedoch heute Nacht regnete, würde sich ein grauer Schleier auf den Autoscheiben in Altheim bilden. Aus dem Staub eines Menschen.

Kurz vor sechs war die Einäscherung vollbracht. Inzwischen glänzte der Boden nicht mehr speckig. Ich hatte es geschafft.

Ein Moped näherte sich knatternd. »Alles o.k.?«, fragte mein Kollege Kasimir, als er seinen Helm abnahm. Er hielt eine Tüte mit frischen Brötchen aus dem Altheimer Lädchen in der Rechten. Anscheinend sah er meine Augenringe.

»War eine ruhige Nacht. Bin nur todmüde. Konnte gestern keinen Schlaf vorholen.« Vor fünfzehn Minuten 12


hatte ich noch die Asche des Dicken in die Urne umge-füllt.

Tibor würde in der Folgenacht vorbeikommen. Sie für Salvatore abholen.

»Es riecht nach Seife. War die Putzfrau schon da?«

»Nein, die kommt um neun. Ich habe was verschüttet.«

Das war nicht gelogen. Damit ließ ich ihn stehen und ging nach Hause.

Noch fünf Mal duschte ich am frühen Morgen. Bis ich mich einigermaßen sauber fühlte.

20.000 € für meine Arbeit waren wahrlich nicht zu viel verlangt.

Ich überlegte mir, fette Leichen zukünftig vor dem Verbrennen in zwei Portionen zu zerlegen. Manchmal lernt man auf die harte Tour.

Man könnte denken, ein Cleaner hat mit dem eigentli-chen Verbrechen nichts zu tun. Leicht verdientes Geld.

Aber das stimmt nicht. Manchmal ist es ein Knochen-job. Wie an jenem Morgen Anfang Juni. Eine Woche nach meinen Erfahrungen mit der fetten Leiche.

Ich arbeitete in der Tagschicht. Das musste hin und wieder sein. Soeben hatte ich Herrn Luther geholt und 13


ein letztes Mal die Papiere überprüft, als mein Handy vibrierte. Das spezielle Signal. Über das Darknet kam ein Auftrag.

Während sich die Eisenklappe schloss und der Kremie-rungsvorgang begann, loggte ich mich auf meiner Homepage ein. Dies dauerte eine Weile, da die Daten-sicherheit an oberster Stelle stand. Das Verschlüsseln verlangsamte die Prozedur. Da musste ich noch Zeit und Technik investieren.

Diesmal keine Anfrage von Salvatore. Es schien sich um eine Privatperson zu handeln. Wollte heute eine Leiche verschwinden lassen.

Man fand mich nicht über eine Suchmaschine. Die Person verfügte entweder über eine Empfehlung oder gute EDV-Kenntnisse. Da immer die Gefahr bestand, dass ein Ermittler am anderen Ende der Leitung war, musste ich bei Telefonaten mit Hinweisen auf meine Person vorsichtig sein. Aber ich besaß verschiedene Möglichkeiten zum elektronischen Verstellen meiner Stimme.

In der Mittagspause machte ich einen kleinen Spazier-gang. Ich ging am Treibhaus entlang in die Felder um Altheim.

Der berühmte FKK-Sauna-Klub war das Nachbargebäude. Manchmal parkten die Besucher bei uns. Das gab Ärger, wenn die Nummernschilder ausgerufen werden mussten.

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Ich dachte an einen besonders unangenehmen Gast, der sich weigerte sein Auto wegzufahren und rief die angegebene Handynummer an.

»Merkatz«, meldete sich eine Stimme undefinierbaren Alters.

»Sie hatten sich bei mir wegen eines vertraulichen Auftrags gemeldet.«

»Geht es um den tropfenden Toilettenanschluss?«

»Nein, laut ihrer Nachricht soll ich eine Leiche für Sie entsorgen.«

Schnappatmung am anderen Ende der Leitung. »Doch nicht so am Telefon. Rufen Sie mich in fünf Minuten wieder an. Dann kann ich sprechen.«

Ich schlenderte über einen besseren Feldweg an Mais-stauden vorbei. Nach genau fünf Minuten drückte ich die Wahlwiederholung.

»Jetzt bin ich allein. Sie haben mitten im Geschäft ge-klingelt.«

»Sie haben keine Zeiten genannt, wann ich mich melden sollte.«

»Ja, ja. Und Sie schaffen mir wirklich heute noch die Leiche vom Hals, ohne dass jemals die Polizei auf meine Fährte stößt?«

»Wie sollte ich ihnen so was garantieren können? Ob Sie Ärger mit der Polizei bekommen, hängt von den Spuren ab, die Sie bisher hinterlassen haben. Aber ich 15


kann den toten Körper verschwinden lassen, dass er niemals gefunden wird. Das versichere ich ihnen.«

»Für 20.000 Euro? Das ist sehr viel Geld. Wie wäre es mit…«

»Mein Standardtarif. Wenn Sie es billiger möchten: Kaufen Sie sich eine Schaufel beim Dehner und legen selbst los. Viel Erfolg.«

»Ich meine ja nur. Es kann doch nicht so schwer sein.

Und dafür sind 20.000…«

»Herr Merkatz. Sie verschwenden meine Zeit. Ich feil-sche nicht.«

»Woher kennen Sie meinen Namen?«

»Den haben Sie selbst vorhin am Telefon genannt.«

»Ja richtig. Es ist nur, ich habe meine Mutter nicht einmal umgebracht.«

Die Wohnung lag in der Waldstraße in Groß-Zimmern.

Fünfter Stock. Kein Aufzug. Ich erschien pünktlich um 19.00 Uhr. Klingelte. Dann stapfte ich los und erreichte eine kleine Wohnung ganz oben unter dem Dach.

Ein dicklicher Mann in einem karierten Hemd öffnete vorsichtig. Spähte in alle Richtungen. Schließlich ließ er mich eintreten.

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Herr Merkatz war Mitte vierzig und besaß nur noch wenige Haare. Diese hatte er sich über die Halbglatze gekämmt. Natürlich sah selbst ein Blinder die schwin-dende Haarpracht bei dieser Art Seitenscheitel. Wenn er im Münsterer Schwimmbad war, musste er aufpassen, dass ihn die eigene Frisur nicht beim Kraulen überholte.

Ansonsten hatte er hinter einer großen, eckigen Brille die ruhelosen Augen eines Frettchens. Solche Gestelle waren in den 70ern modern und auch heute wieder.

Ich vermutete, dass er sie im Zeitraum dazwischen erwarb.

Die Wohnung war aufgeräumt. Das Wohnzimmer mit edlen Mahagonimöbeln bestückt.

»Sind wir allein, Herr Merkatz?«, fragte ich ihn.

»Ja sind wir. Und sag Hans zu mir.«

»Angenehm«, log ich. »Aber ich bleibe lieber beim Sie.

Dann wird das Verhältnis zwischen Klienten und Dienstleister deutlicher.« Außerdem wollte ich diesen Unsympathen ums Verrecken nicht duzen.

»Schön, dass es geklappt hat. War ein heißer Tag heute.«

»Ich bin nicht hier, um über das Wetter zu reden. Wo befindet sich der tote Körper?«

»Du kommst gleich zur Sache. Das mag ich. Sie ist dort drüben in der Gefriertruhe.« Er schien meine Worte 17


über sprachliche Vertraulichkeiten nicht verstanden zu haben.

Ich begab mich in die Küche. Dort stand eine große Privileg-Truhe neben dem Kühlschrank. Mit einem Ruck öffnete ich sie. Tiefkühlpizzas und Bofrost-

Gemüse.

»Habe was darüber gelegt. Zur Tarnung.«

Ich griff hinein und beförderte Packung um Packung auf den Küchentisch. Von unten reckte sich mir ein steifgefrorener Arm entgegen. »Das ist Ihre Frau Mutter?«

»Ist eines Morges unerwartet nicht mehr aufgewacht.

Ich brauche doch ihre Rente.«

»Und, da haben Sie die Leiche in die Truhe gelegt?«

Herr Merkatz nickte.

»Wann war das?«

»So vor sieben Jahren.«

»Sie leben hier seit sieben Jahren mit der tiefgefrore-nen Leiche ihrer Mutter?«

»In der Tat. Die Gespräche mit ihr sind seither viel angenehmer. Jetzt muss sie weg.«

»Ist die Truhe zu klein geworden?« Ich deutete auf die Lebensmittel.

»Nein. Ich habe im Internet jemanden kennengelernt.«

»Und die Bekanntschaft möchte Sie jetzt besuchen?«

»Nein, die war schon mehrfach da.«

»Mit der Leiche ihrer Mutter im Gefrierschrank?«

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»Wir waren hauptsächlich im Wohnzimmer.«

Ob die Dame zu denen gehörte, die sich alle elf Minuten verlieben? So eine Internetbekanntschaft wie den Zimmner Nerd mit der Glatze, suchte doch niemand.

Selbst wenn man auf den Film Psycho stand. »Warum muss die Leiche ihrer Frau Mutter dann heute weg?«

»Weil Annemarie etwas für mich kochen möchte. Ich befürchte, dass sie vielleicht in der Truhe wühlen wird.«

»Da könnte ihre Mutter in der Tat stören.«

»Sie müsste gleich da sein.«

»Ihre Freundin kommt jetzt?«

»Kannst du meine Mutter sofort mitnehmen?«

Ich starrte ihn eine Weile fassungslos an. »Ich sollte meinen Tarif erhöhen.«

»Nein, 20.000 Euro. Die kann ich mir gerade so leisten.

Habe sie in bar. Vom Konto meiner Mutter.« Er ging ins Wohnzimmer und kam mit einem dicken Umschlag wieder. Ich nahm ihn entgegen und sah kurz hinein.

»Wenn ich den Auftrag übernehme, gilt eine Abma-chung zu unserer beiden Sicherheit. Wir kennen uns nicht. Auch wenn die Polizei kommen sollte. Falls Sie sich nicht daran halten, bezahle ich mit einem Teil des Geldes einen Killer, der Sie überall finden und allema-chen wird. Ist das klar?«

»Ja natürlich. Nimm die Kohle, meine Mutter und geh.«

 

19


»Ganz so einfach ist das nicht. Unten in meinem Wagen befinden sich ein Leichensack und ein großer Karton. Der stammt von einem alten Röhrenfernseher. Die muss ich erst einmal holen. Gibt es keinen Aufzug?«

»Leider nein.«

Also lief ich wieder nach unten. Ich holte die auseinan-dergefaltete Schachtel und den Beutel für die Leiche.

Die Eingangstür hatte ich mit einem Keil verklemmt.

Wieder nach oben. Auf der Treppe zum zweiten Stock überholte ich eine Frau, die anscheinend den gleichen Weg hatte. Nach den Tüten zu urteilen war es Annemarie, die Internetbekanntschaft. Ein flüchtiger Blick, während ich mich an ihr vorbei kämpfte. Sie hatte die sechzig schon überschritten, war klein und energisch.

Zum Lachen ging sie sicherlich in den Keller. Dazu trug sie braungefärbte Haare und hatte sich in ein Kleid gepellt, in das sie vielleicht vor dreißig Jahren einmal gepasst hatte. Irgendwie kam sie mir bekannt vor.

Ich beeilte mich und schleppte meine Utensilien in die Wohnung.

»Ihre Holde ist im Anmarsch. Verschaffen Sie mir Zeit in der Küche.«

»Hallo Schnäutzelchen!« Er lief seiner Freundin entgegen und nahm ihr beide Tüten ab.

»Hast du Besuch? Eben hat mich so ein unverschämter junger Kerl überholt und fast über den Haufen gerannt.«

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»Ach, das ist der Typ von Ebay-Kleinanzeigen. Ich habe noch so viel Plunder. Den nimmt er mit. Ist gleich verschwunden.«

»Hoffentlich gibst du nichts Wertvolles her.«

Ich hatte inzwischen meine Kiste aufgeklappt und sie mit Gaffa-Tape fixiert.

»Was macht der denn in der Küche?«

»Ich muss nur noch schnell was einladen und bin schon auf dem Rückweg.« Ich grinste ihr entgegen.

»Den kenne ich. Der arbeitet im Krematorium in Altheim. Hat im Januar meinen Winfried eingeäschert.«

Richtig, es war die Furie, der man auch gar nichts rechtmachen konnte. Ich hatte Tagdienst und musste mir von ihr eine Stunde lang anhören, dass wir zu teuer waren, zu pietätlos, es keine bequemen Stühle gab und sie ein viel besseres Angebot im Internet gefunden hatte. Langsam fand ich, dass die beiden ausgezeichnet zueinander passten.

»Was hat er denn gekauft?« Argwöhnisch trat sie in die Küche und schaute in meinen leeren Karton.

»Äh, meine Sammlung Geo-Hefte. Für hundert Euro.«

»Ich habe dir doch gleich gesagt, dass die zu schade für den Altpapiercontainer sind. Es findet sich für alles ein Dummer – ich meine natürlich ein Interessent. Na los.

Die Zeitungen sind da hinten.« Sie wies mir den Weg zu einem Einbauschrank unter der Dachschräge. Darin 21


befanden sich tatsächlich Hunderte uralter Hefte. Mit Paketschnur zu schweren Päckchen gebunden.

»Ich helfe ihm noch rasch«, sagte mein Auftraggeber.

Inzwischen verfluchte ich meinen Beruf.

»Das kann der doch allein. Los, ich zeige dir die Fotos von meinem letzten Urlaub mit Winfried im Bayeri-schen Wald. Habe achthundert Bilder auf meinem Tablet. Vierhundert allein von Bodenmais.« Sie führte den Hausherren zur Sofagarnitur und ich schleppte miss-mutig Stapel um Stapel der Zeitungen zu meinem Karton. Die Schnüre schnitten mir dabei in meine Finger.

Das Turtelpärchen hatte sich einen billigen Sekt aufge-schraubt und Annemarie wischte sich durch die Ur-laubsbilder. Bei jedem hatte sie einen gehässigen Kommentar.

Jetzt war die Gelegenheit günstig. Sie war außer Sicht.

Ich öffnete die Gefriertruhe und entfernte die restlichen Lebensmittel.

Da kauerte die Leiche in Embryostellung. Ihr Sohn hatte sie noch nicht einmal in eine Decke gewickelt, sondern in ihrem Nachthemd auf den Boden geklemmt.

Klein war sie. Sonst hätte sie niemals in den Eisschrank gepasst. Steife Pupillen sahen zur Seitenwand. Frost glänzte an den Brauen.

Einsprenkelungen im Auge.

Die zweite Leichenschau. Im Krematorium. Sie war Pflicht. Ich hatte dort gelernt, auf solche Details zu 22


achten. Herr Merkatz war ein Mörder. Von wegen, sie sei eines Morgens nicht mehr aufgewacht.

Auch wenn ich täglich mit skrupellosen Killern zu tun hatte – meine Abscheu gegen diesen Mann wuchs.

Ohne dass ich es genau begründen konnte. Aber es änderte nichts am Deal. Auch wenn ich ihm Durchfall ohne Klopapier im Haus wünschte.

Ich zog an ihr. Nichts rührte sich. Sie war im Laufe der Jahre am Grund festgefroren. Ich rüttelte. Nichts. Neben der Kaffeemaschine stand der Wasserkocher. Ich betätigte den Schalter und wartete eine Weile. Dann goss ich heißes Wasser hinein. Wieder zerrte ich an der Leiche. Mit einem Ruck riss ich sie los. Ich taumelte mit der toten Mutter im Arm und wäre beinahe mit ihr ins Wohnzimmer gestolpert.

»Was macht der so lange in der Küche?« Wieder die Furie. »Ich will dir doch noch Königsberger Klopse kochen.«

»Erzähl doch lieber weiter: Wie war die Cellulitebe-handlung bei dieser unfähigen Wellnesstante?«

»Die war wirklich furchtbar. Kannst du dir das vorstellen? Die hat doch glatt…«

Ich bugsierte die unbewegliche Tote in den Leichensack. Diesen wuchtete ich in den Karton und legte ein paar Geo-Hefte darauf. Dann umwickelte ich alles mit mehreren Schichten des schwarzen Klebebands. Das inzwischen angetaute Tiefkühlessen landete indes 23


wieder in der Kühltruhe. »Habe alles. Die Restlichen nehme ich morgen mit.« Ich versuchte, die Kiste anzuheben. Sie rührte sich keinen Zentimeter.

»Der ist ja immer noch da. Hat er dir schon die hundert Euro gegeben?«

»Das wollte er morgen machen, wenn er die anderen Zeitungen holt.«

»Das könnte ihm so passen. Vielleicht reicht ihm, was er hat, und er meldet sich nie wieder. Ich kenne solche Typen.«

Manchmal beneidete ich Tibor um seinen Job. Heute war einer dieser Tage. Die Frau stand auf und ging zu mir in die Küche. Auffordernd hielt sie mir die Hand entgegen. Ich griff resignierend in meine Jacke und fischte zwei Fünfziger aus dem Umschlag.

»Kannst du mir wenigstens mit der Treppe helfen?«

Meine Geduld war am Ende.

»Aber nur bis zur Tür. Dann kommst du in die Küche und hackst die Sardellen für die Klopse klein. Bei mir stinken sonst die Finger, als ob ich mich in der Unter-hose kratze.«

Zu zweit zerrten wir den Karton aus der Wohnung bis zum Treppenabgang. »Es tut mir schrecklich leid«, kam es gepresst aus dem Mund des Hausherrn. »Du hast ja das Geld. Also, wir sehen uns nie wieder.«

»Wenn Sie die mal loswerden wollen – Sie haben ja meine Kontaktdaten.« Ich deutete zur Wohnung.

24


»Annemarie? Machst du Witze? Sie hat ein Herz aus Gold.«

»HANS!«

»Ich muss rein… Ich komme mein Schnäuzelchen!«

Schon stand ich allein im Treppenhaus. Das Licht ging aus.

Stufe für Stufe zerrte ich den Karton nach unten. Beim dritten Stock begann er sich aufzulösen. Geo-Hefte rutschten die Treppe herunter. Im Ersten ging die Tür auf und der Hausverwalter schnauzte mich an, was mir einfiele, hier einen solchen Krach zu machen.

Schweißgebadet hob ich die Überreste des Kartons in mein Auto, die Zeitungen landeten im Papiercontainer.

Am morgigen Tag begannen wieder meine Nachtschichten und ich konnte die aufgetaute Mutter zusammen mit Herrn Ehmke einäschern.

Zwei Wochen später verhaftete man Herrn Merkatz in seiner Wohnung in Groß-Zimmern. Ich las im Echo, der Täter hatte seine Bekannte mit 93 Messerstichen zerstückelt. Er schien glücklich, als er der Polizei davon berichtete. Auch gestand er, seine Mutter vor Jahren erstickt und versenkt zu haben. Taucher fanden jedoch im Langener Waldsee keine Überreste mehr. Er wurde nach nur zwei Prozesstagen in der forensischen Psychi-atrie in Haina untergebracht.

25


2

KREMATORIUM

as sieht alles sehr ordentlich aus, Herr Joël.«

Der 43-jährige Andreas Bredt knipste mit sei-Dn em Kuli herum. Während er in meiner Be-werbungsmappe blätterte. Allein dafür kreisten meine Gedanken um Mord aus niederen Beweggründen.

»Ausbildung zur Bestattungsfachkraft bei der Firma Nero in Katzenhirn. Lustiger Name. Wo liegt das denn?«

»Im Unterallgäu.« Ich sah mich in dem zweckdienlich eingerichteten Raum um: Aluregale mit Aktenordnern.

Eine verkümmerte Topfpflanze. Die Server für die EDV.

Endlich etwas, das mich interessierte.

»Weshalb sind sie nicht in ihrem Ausbildungsbetrieb geblieben?«

»Ich möchte lieber näher bei meiner Familie leben.«

Das war nicht geschwindelt. Nur bestand meine Familie lediglich aus dem Grab meines Großvaters auf dem Dieburger Friedhof. In Wirklichkeit verhielt es sich so: 26


Altheim lag viel zentraler in der Republik. Beziehungs-weise an der Wirkungsstätte verschiedener krimineller Clans. Das war für meine Pläne vorteilhaft.

»Warum haben sie sich ausgerechnet bei unserem Unternehmen beworben?« Standardmäßige Bewer-bungsfragen.

»Ein privates Krematorium entspricht gegenüber einem kommunalen meinem Wunsch, betriebswirt-schaftlich denkend zu arbeiten.« Ich antwortete ebenso routiniert. Zurechtgelegte Sätze. Dazu kam, dass ich das Nachbargebäude bereits von früheren Besuchen her kannte. Und schätzte. Das Treibhaus hatte im ganzen Rhein-Main-Gebiet einen guten Ruf. Nicht nur wegen des Nudelsalats.

»Wir bräuchten vor allem jemanden für die Nacht. 24-stündige Betriebserlaubnis. Die Spätschicht geht wenigstens bis 22.00 Uhr. Oft länger. Manchmal bis zum kommenden Morgen. Momentan brummt der Laden.

Auch wegen Corona. Das ist kaum familienfreundlich.«

»Das stört mich nicht. Ich bin Single aus Überzeugung und arbeite gerne nachts. Dann kann ich am Tag länger schlafen.«

»Hm, in Ordnung. Sie wären dann aber meist allein.

Manche würden das gruselig finden.«

»Ich bin als ausgebildete Bestattungskraft an Leichna-me jeglichen Stadiums gewöhnt. Was sollte daran gruselig sein?«

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»Sie haben recht. Aber den letzten Bewerber hat das abgeschreckt.«

Vermutlich, weil ich ihm sagte, dass ich ihn nachts hier besuchen und in Ofen drei schieben würde. Wenn ich die Stelle seinetwegen nicht bekäme. Ich saß besagtem Würstchen vorhin gegenüber. Als uns der Chef eine halbe Stunde vor dem Büro warten ließ.

»Wir sind hier eine kleine Mannschaft und vertreten uns gegenseitig.«

»Ich liebe Teamarbeit«, log ich.

Scheinbar beiläufig schielte ich auf die bekritzelte Schreibtischunterlage, die den Großteil der Arbeitsflä-che bedeckte. Dort, wo sich normalerweise die Tasta-tur befand, standen untereinander durchgestrichene Begriffe. Wahrscheinlich die Passwörter für die Rech-neranlage. Sie setzten sich aus den Namen der Kinder und wahrscheinlich von Katzen zusammen. Denn dass er seine Nachkommen Schnurri oder Mister Miau nannte, war unwahrscheinlich.

»Ja, ich glaube, dann darf ich sie bei uns herzlich willkommen heißen, Herr Joël. Ich hoffe, dass sie sich bei uns wohlfühlen. Ich würde ihnen ja gleich den Arbeits-vertrag ausdrucken, aber die EDV spinnt mal wieder.«