Faktor Mensch

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Faktor Mensch
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Tanja Kewes

Faktor Mensch

Lassen Sie uns mal (nicht) über das Geschäft reden.

Eine Auswahl der Handelsblatt-Kolumne

aus den Jahren 2009 bis 2012

Impressum

© 2012 Tanja Kewes

published by: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

ISBN 978-3-8442-4092-4

Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis. 3

Erstes Vorwort. 5

Zweites Vorwort. 9

1. Arbeit ist unser Leben.. 13

2. Kommunikation über alles. 37

3. Hochpolitisches. 57

4. Zwischenmenschliches. 79

5. Auf (Geschäfts-)Reisen.. 101

6. Was vom Alltag übrig bleibt. 111

7. Typisches & Absurdes. 121

8. Alle Jahre wieder. 141

Dank.. 149

Erstes Vorwort
Über Eigensinn und Vertrauen

Von Franz Fehrenbach


E

s ist ein Gerücht, dass die Ökonomie bloß eine kalt geflieste, eine rationale Welt für sich wäre – kein Ort für Gefühle, bloß für Zahlen. Wer es zur Führungskraft bringen will, egal ob er Volks- oder Betriebswirtschaftslehre studiert, hat es bald mit Grenzkosten und Grenznutzen, mit Cash-flow und Konsolidierungsmethoden zu tun. Um eine Bilanz verstehen zu können, braucht es in der Tat eine gehörige Portion ökonomisches und mathematisches Verständnis – schon daran scheitern viele. Und so befördert bereits das Studium das Gerücht, die Wirtschaft sei nur für glatt funktionierende Superhirne da. Tatsächlich aber können sich Menschen auch in der scheinbar so funktionalen Welt der Wirtschaft höchst eigenwillig verhalten. Die emotionale, zuweilen auch kuriose Seite des „homo oeconomicus“ nimmt Tanja Kewes liebevoll unter die Lupe, mal heiter, mal ernst, aber immer unterhaltsam.

Schon ihre Kolumnen im Handelsblatt zu lesen war mir eine schöne Abwechslung im Manageralltag – mit dieser Auszeit „oute“ ich mich gerne. Ich freue mich, die Einzelstücke jetzt in einem Buch versammelt zu sehen. Tanja Kewes beherrscht die nur scheinbar leichte Kunst, ihre Leser gleichzeitig zum Lachen und zum durchaus selbstkritischen Nachdenken zu bringen.

Das vorliegende Buch trägt den Titel der Kolumnen: Faktor Mensch. Das ist absichtsvoll doppelbödig. Auf den ersten Blick erscheint der Mensch wiederum als Produktionsfaktor unter anderen – und geradezu reflexartig reflektiert der studierte Ökonom die Grenzrate der Substitution zwischen den Faktoren Kapital und Arbeit. Auf den zweiten und tieferen Blick aber, und das ist der Blick von Tanja Kewes, sind Menschen weitaus weniger berechenbar. Ihre Launen gehen leider in keiner Differenzialgleichung auf. In Tanja Kewes‘ Perspektive erscheinen die Menschen als „Kollegenkonkurrenten“, oft als „Willi Wichtig“, und so folgt manche Besprechung keiner Tagesordnung, sondern dem Prinzip Selbstdarstellung.

Sicher hat das jeder schon so oder ähnlich erlebt. Vielleicht, so ließe sich vermuten, ist wenigstens ein Chef darüber erhaben. Einer, der sich ganz dem Mikromanagement hingibt – und jeden Tag als kleiner Sonnenkönig verbringt, wie Tanja Kewes voller Ironie schreibt. So aber bleibt selbst der Chef eines Unternehmens nicht lange Chef. Wie will er in schwierigen Zeiten seine Mitarbeiter hinter sich bringen? Wie seinen Forschern angesichts von Rückschlägen das nötige Stehvermögen vermitteln? Dazu braucht es Mannschaftsgeist – Bosch-Geist, wie wir in jenem Unternehmen sagen, dessen Geschäfte ich neun Jahre führen durfte.

Ohne Vertrauen kann auch eine noch so große ökonomische Einheit nicht funktionieren – Vertrauen zwischen Chef und Mitarbeitern, Vertrauen zwischen Kunden und Lieferanten, Vertrauen zwischen Unternehmen und Öffentlichkeit. Ein kostbares Gut, das bekanntlich nur schwer wiederherzustellen ist. Das erlebt gerade manches Unternehmen der Finanzwirtschaft unter dem Eindruck der Finanzkrise. Lieber Geld verlieren als Vertrauen, hat Robert Bosch einmal gesagt. Und ich selbst habe mich als „CEO“ vor allem als Vertrauensarbeiter verstanden. Soviel Positives ist nicht das Thema von Tanja Kewes. Aber wenigstens im Vorwort soll gesagt sein, was die auch in der Wirtschaft so eigensinnigen Menschen zusammenhält.

Franz Fehrenbach ist Vorsitzender des Aufsichtsrats der Robert Bosch GmbH.

Zweites Vorwort
In erster Linie Mensch

Von Friedrich von Metzler


N

arziss, der schöne Jüngling aus der griechischen Mythologie, verliebte sich in sein eigenes Spiegelbild. Ich finde das verständlich, denn sehen wir uns nicht alle gern gespiegelt, selbst wenn wir nur mäßig mit Schönheit punkten können? Tanja Kewes hält uns mit ihren allwöchentlichen Freitags-Kolumnen im Handelsblatt einen Spiegel vor. Das ist zwar nicht immer schmeichelhaft, im Gegenteil: Sind es doch unsere kleinen und großen Schwächen, die da aufs Korn genommen werden. Dennoch erkennen wir uns gerne wieder. Denn flankiert von so viel Augenzwinkern und Humor können wir diese Schwächen sogar belachen – und gerade deshalb ernst nehmen. Es ist befreiend, wenn hinter unserem täglichen Funktionieren als Firmenlenker, Fondsmanager, Marketingspezialist das Allzumenschliche zum Vorschein kommt, und unsere Alltagssorgen einmal gemessen werden an ihrem tatsächlichen Gewicht. Wenn wir die kleinen Absurditäten des Alltags schon nicht ändern können, sollten wir wenigstens über sie schmunzeln! Und zwischen den Zeilen klingen oft ein paar gute Fragen an: Nehmen wir uns selbst nicht zu wichtig? Messen wir manch Nebensächlichem nicht eine zu große Bedeutung bei? Und setzen damit uns selbst unter Druck? Äußerst sympathisch in allen Texten: Von den anmaßenden Imperativen mancher Ratgeberliteratur findet sich keine Spur, dafür ist Tanja Kewes‘ Sprache viel zu frisch!

Erfrischend meinungsstark sind auch ihre Stellungnahmen zu Politik und Wirtschaft. Tanja Kewes kann Tacheles reden, und verpackt dabei selbst brisante Themen so amüsant, dass jede Leseminute zum Vergnügen wird – auch ohne ihre Meinung zu teilen. Aber warum sollte man das auch? Meinungsschärfe darf auch mal schneidend sein, und polarisieren ist erlaubt. Der gute Kolumnist zeichnet sich ja gerade dadurch aus, dass er die Dinge zuspitzt und auf den Punkt bringt. Schließlich sind Ironie und Sarkasmus das Salz und Pfeffer jeder Glosse.

Das sind gute Werkzeuge, um auch heikle Themen anzusprechen. Was die Autorin zur Sprache bringt, liest sich nicht immer nur freundlich – ob das hierarchische Strukturen sind, die kritisch hinterfragt werden, überholtes Machtdenken in vielen Chefetagen oder die Pirouetten mancher Familienunternehmer bei der Frage der Nachfolgeregelung. Doch ist ihre Kritik stets vom Grundtenor des Wohlwollens begleitet. Gepaart mit Witz und Verstand, regen die Texte stets an zum genauen Hinschauen und Überdenken. Aus der langen Tradition unseres Bankhauses weiß ich, wie wichtig es ist, alte Denkmuster immer wieder infrage zu stellen und so zu neuen Wegen in der Geschäftsausrichtung wie im persönlichen Verhalten zu gelangen, wobei letzteres ohne Frage das Schwerere ist.

Die Kolumnen von Tanja Kewes sind nicht nur gescheit, sondern klug – lebensklug. Das macht ihren Reiz aus. Der Sprachwitz, unterstützt von elegant eingestreuten Zitaten, begleitet durchaus ernsthafte Anliegen: Dass auch im Arbeitsalltag jeder in erster Linie Mensch ist, mit individuellen Stärken und Schwächen, und nicht nur funktioniert. Dass Unternehmer, Geschäftsführer, Banker oft gefangen sind in ihrer eigenen Welt, was den Blick nach draußen verengt. Dass es sich lohnt, über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen und aus alten Denkstrukturen auszubrechen. Mehr kann eine Kolumne nicht leisten.

Friedrich von Metzler ist persönlich haftender Gesellschafter der Privatbank B. Metzler seel. Sohn & Co. KGaA.

1. Arbeit ist unser Leben
Ich arbeite, also bin ich

Unser Beruf steht nicht mehr nur auf unserer Visitenkarte.


C

hristian Wulff hat es geschafft. Als Bundespräsident a.D. erhält er nun bis ans Ende seiner Tage 199.000 Euro Ehrensold im Jahr, braucht dafür aber, bitte schön, nicht (mehr) zu arbeiten. Wer von uns hat davon noch nicht geträumt?

Geträumt, nicht mehr arbeiten zu müssen, in den Tag hineinzuleben und den lieben Gott einen guten Mann sein zu lassen?! Und jeden Monat schickt uns ein „big spender", in Wulffs Fall Vater Staat, einen schönen, dicken Scheck. Gegenleistung? Bitte keine, außer vielleicht die Erwartung, dass wir uns nicht völlig danebenbenehmen.

 

Aber ich sage Ihnen: Sie und ich, die meisten von uns, wären nach spätestens einem halben Jahr total unglücklich. Denn: Ohne Arbeit kann der moderne Mensch nicht leben. Kurzum: Arbeit ist geil.

In der Aufklärung hieß es einst: Ich denke, also bin ich. Anders als damals reicht uns das stille Selbstgespräch nicht mehr. Wir wollen schaffen und schöpfen, tätig sein. Leerlauf, Zeit, um in der Nase zu bohren, wie wir gerne abfällig bemerken, ist uns ein Graus. Arbeit ist unser Leben.

Die in der Industrialisierung von Karl Marx einst kritisierte Entfremdung von der Arbeit haben wir nicht nur überwunden, wir haben sie umgekehrt: Heute identifizieren wir uns mit unserer Arbeit. Wir gehen wie freischaffende Künstler und Genies vollkommen in ihr auf, sie ist ein Teil von uns, und wir sind ein Teil von ihr. Und dabei ist es ganz egal, ob wir angestellt oder selbstständig sind.

Heute heißt es: Ich arbeite, also bin ich. Schauen Sie sich mal um, und seien Sie ehrlich zu sich selbst.

Unserem Arbeits- und Schaffenstrieb ordnen wir vieles, wenn nicht gar alles unter. Wir verbringen nicht nur viele, viele Stunden im Büro, auf Geschäftsreisen und in Meetings, nein, selbst in unserer Freizeit, wenn wir privat sein wollen und sollen, checken wir E-Mails, lesen Fachzeitschriften, kaufen wir uns einen neuen Nadelstreifenanzug, polieren die Lacklederschuhe für den Neujahrsempfang. Zu guter Letzt stählen, straffen, optimieren wir unseren Körper auf dem Laufband, an der Hantelbank, im Schwimmbecken. Denn, und das weiß jedes Karrierekind: Wer gut, im Sinne von gepflegt und selbstbewusst aussieht, ist erfolgreicher. Erfolg macht sexy – und andersherum.

Wir lassen auch keine Chance aus, um aufzusteigen. Schnell und teuer wird ein MBA gemacht, eine neue Sprache gelernt, eine Zweitwohnung genommen – und die (eigentlich) große Liebe und Familie im Stich gelassen. Es zählt nur eines: Top-Performance im Job. Alles andere wird gut und gerne ausgeblendet - und zwar längst nicht mehr nur Montag bis Freitag und von neun bis 17 Uhr.

Unsere Arbeit ist unser ein und alles, unser Ich. Unser Beruf steht längst nicht nur auf unserer Visitenkarte. Selbst im Privatleben, auf der Gartenparty des Nachbarn, Schwiegermutters Geburtstag, der Elternpflegschaftssitzung steht er schnell im Mittelpunkt. Die Frage nach Name und Herkunft ist abgelöst worden durch die Erkundigung: „Was machen Sie eigentlich beruflich?" Das geht so weit, dass, wenn wir auf neue Bekanntschaften angesprochen werden, wir weder Gesicht noch Name vor Augen haben, wohl aber wissen, ob derjenige Jurist, Arzt oder Pilot ist.

Diese Absolutsetzung von Arbeit und Arbeitseuphorie ist gefährlich. Es ist ja nicht nur so, dass Arbeit krank machen kann, wie die vielen Fälle von Burn-out in jüngster Zeit zeigen. Die größte Angst in modernen Leistungsgesellschaften wie der unseren ist ja: arbeits- und damit wertlos zu sein. Ja, es ist für viele schlimmer, den Job zu verlieren als Frau oder Mann und Haus. Überlegen Sie sich das mal. Ist das nicht Wahnsinn?

Tja, was ist nun also Herrn Wulff zu wünschen? Dass er es schafft, unser aller Traum zu leben und guten Gewissens nichts mehr zu tun? Oder dass er bald eine neue Betätigung findet?

Aber vielleicht brauchen wir uns darüber unseren Kopf nicht zu zerbrechen. Unser Bundespräsident a. D. hat genug gute Freunde, die ihm sicher auch jetzt beistehen werden. Mit Rat und Job.

Erschienen am 02.03.2012 im Handelsblatt

Geweint? Explodiert? Verliebt?

Auch im Büro wollen und sollen wir Menschen sein.


E

ine Weihnachtsfeier brauchen wir nicht, um aus unserer Professionalität zu fallen. Auch im Alltag schaffen wir es immer mal wieder, uns danebenzubenehmen. Oder sind Sie noch nie vor Wut explodiert, haben Sie nie geweint, sind einem Lachkrampf erlegen oder haben sich in einen Kollegen oder Geschäftspartner verguckt?

Bei der vielen Zeit, die wir im Job verbringen, dem Druck, der Geschwindigkeit kann das man und frau schon mal passieren. Mir ist das auf jeden Fall schon fast alles einmal passiert. Nur, was dann? Aus Scham kündigen? Wohl kaum ...

Fangen wir mal mit dem Gängigsten an. Das Vor-Wut-Explodieren ist zwar auf dem Rückmarsch. Schließlich sind die meisten von uns ja nur zeitlich befristet angestellt und haben eine gute Manager-Haftpflicht. Warum also aufregen? Und als Choleriker oder Furie zu gelten ist zudem ziemlich uncool. Dennoch passiert es dem einen oder anderen, hin oder wieder mal ... – und wie! Die Halsschlagader schwillt an, der Blick wird starr, die Lippen sind erst aufeinander gepresst, und dann weit aufgerissen. Laute böse oder leise gemeine Worte fallen, die Hand haut auf den Tisch, vor den Kopf oder die Tür zu.

Dann der Lachanfall: Irgendjemand macht einen Witz oder auch nur eine komische Bemerkung, und wir prusten los und kriegen uns – meist ist noch ein Gegenüber mit im Spiel – nicht mehr ein. Unsere Mundwinkel zucken, alles Zähne-Zusammenbeißen hilft nichts. Wir schauen weg, an die Decke, auf den Boden, fangen an, uns Flusen von der Hose zu zupfen, Weihnachtsgeschenke zu überlegen. Es überkommt uns immer wieder. Wie ein Teenie kichern wir weiter vor uns hin. Legendär ist der Lachanfall der früheren Tagesschau-Sprecherin Dagmar Berghoff. Nachdem sie aus dem WCT-Turnier das WC-Tennisturnier gemacht hatte, vergluckste sie die Lottozahlen.

Das Gegenteil: das Losheulen wie ein kleines Kind, dem ein anderes im Sandkasten die Schaufel weggenommen hat. Es wird einem kalt, dann heiß, die Mundwinkel fangen wie beim Lachen an zu zucken - nur blöderweise nach unten – und das Schluchzen bahnt sich durch den Hals seinen Weg, unaufhaltsam, leider unaufhaltsam.

Schließlich das Verliebtsein. Eigentlich das schönste Gefühl der Welt - selbst zwischen Akten, in Werkshallen oder auf dem Bau. Und dann nimmt man, frau allen Mut zusammen und gesteht dem geliebten Kollegen, Mitarbeiter, Geschäftspartner irgendwie noch verklausuliert, aber doch ziemlich eindeutig seine Gefühle. Und dann? Wenn es keine Gegenliebe gibt? Peinlich, peinlich, peinlich.

Dieses Entprofessionalisieren muss uns jedoch nicht vor Peinlichkeit im Boden versinken lassen. Das ist schon ganz anderen passiert. Beispiele für Ausraster gibt es viele. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble etwa kanzelte in aller Öffentlichkeit seinen Sprecher ab, Telekom-Personalvorstand Thomas Sattelberger soll mal vor Wut ein Handy an die Wand geschmissen haben, und die Wut-Rede von FC-Bayern-Boss Uli Hoeneß („Das ist eine populistische Scheiße") ist vielzitiert.

Losgeheult - und noch dazu in aller Öffentlichkeit – hat zuletzt Jürgen Großmann, der große, starke Stahlunternehmer während einer Podiumsdiskussion, sowie Maria-Elisabeth Schaeffler, die Grande Dame der deutschen Wirtschaft vor ihrer Belegschaft. Und dass der Beruf der größte und erfolgreichste Balzplatz ist, wissen wir nicht erst seit Paarungen wie Telekom-Chef René Obermann und Moderatorin Maybrit Illner oder den beiden Oberlinken Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht.

Auch im Job wollen und sollen wir Menschen sein.

Erschienen am 02.12.2011 im Handelsblatt

Wenn die Kekse fehlen
und der Hausbote nicht mehr klopft

Liebe Controller, den Abschwung schaffen wir so garantiert. Den Aufschwung aber garantiert nicht!


D

ie Krise ist die Zeit der Krämer. In jede Ecke kriechen die Controller, um noch versteckte Kosten zu finden und zu kappen, zu kürzen, zu köpfen. Kennen Sie das auch?

Am Anfang stehen die Kleinigkeiten, die zwar ärgerlich, aber doch noch mit Humor zu ertragen sind. In Besprechungen gibt es keine Kekse mehr, und die Granini-Fläschchen sind dem Kraneberger aus der Karaffe gewichen. Fragen Sie sich nicht, was das soll! Das bringt finanziell gar nichts. Es ist reiner Aktionismus, Symbolik: Jeder soll merken und sich immer wieder daran erinnern, dass Krise ist. Haken Sie das ab – oder sehen Sie es positiv! Das Zuckerwerk rutscht eh nur auf den Bauch (bei den Herren) oder auf Hüfte und Hinterteil (bei den Damen).

Als Nächstes wird der interne Postdienst aufgelöst. Gut, die Kollegen, die immer mit dem Wägelchen durch die Gänge fuhren, wirkten wie aus einer anderen Zeit. Sie waren aber sehr nützlich und grüßten auch immer so freundlich. Nun sind sie weg, ihre Wägelchen stehen träge und traurig zum Abtransport bereit in einer Ecke der Poststelle. Die Folgen dieser Sparmaßnahme tragen im besten Sinne des Wortes Sie selbst: Ab jetzt dürfen Sie Ihre Umschläge und Zeitungen selbst aus dem Postfach holen. Jeder rennt jetzt morgens als Erstes in den Keller – vom Abteilungsleiter bis zur Azubine: Das ist unter basisdemokratischen und kommunikativen Gesichtspunkten natürlich ganz toll. Es kostet aber jede Menge gut bezahlte Arbeitszeit und bringt immer wieder ein kleines Chaos.

Auch am Eingang ändern sich die Zeiten. Ein elektronisches System ersetzt den Portier. Die Schließanlage kostet zwar fünf Jahresgehälter des guten Herrn Schulz, und die laufenden Kosten für die Wartung der Anlage, der Chipkarten, Codes ... sind auch nicht gering. Aber es ist ein weiteres Krisenzeichen gesetzt. Kein fröhliches „Guten Morgen!" mehr, jeder Tag beginnt anonym mit einem „Piiiep". Ihre Gäste können Sie von der Straße einsammeln, nachdem sie mit dem Handy angerufen haben. Auch die Freund-Feind-Erkennung funktioniert nicht mehr, und plötzlich – oh Wunder – verschwinden wieder Portemonnaies aus den Büros.

Schließlich wird auch noch an der Sauberkeit gespart. Die Putz-Rhythmen werden reduziert. Der Schreibtisch klebt, der Mülleimer quillt über, die Fensterscheiben sind blind. Asthmatiker röcheln. Einspareffekte? Vergessen Sie es! Reine Schikane. Irgendwann erwischen Sie sich mit dem Feudel in der Hand und machen in der Firma das, was eigentlich nicht zu Ihren Kernkompetenzen zählt und Sie zu Hause seit langem outgesourct haben: putzen.

Wenn die Stimmung durch solchen Aktionismus und solche Krisen-Symbolik auf dem Tiefpunkt ist, sparen auch noch die Führungskräfte am allerwichtigsten: Lob und Zuspruch. Und nicht nur wir Frauen wissen: Ein Kompliment kostet nichts. Das ist dann wirklich traurig. Denn die letzten Bürohikaner, die die jüngste Kündigungsrunde überlebt haben – sei es, weil sie die Leistungsstärksten oder die mit den meisten Sozialpunkten sind, bräuchten besonders viele Streicheleinheiten. Schließlich ma-chen jetzt drei Menschen die Arbeit von sieben.

Kurz und schmerzlich: Liebe Controller und Geschäftsführer, den Abschwung schaffen wir so, garantiert. Den Aufschwung aber garantiert nicht!

Erschienen am 13.11.2009 im Handelsblatt

Der hysterische Business-Lunch
– oder: Saure-Gurken-Zeit

Die Mittagspause ist zur anstrengendsten Stunde des Tages verkommen.


D

er Business-Lunch, jener werktägliche Mittagstisch mit den lieben Kollegen oder dem Chef, ist ja schon lange kein Vergnügen, keine MittagsPAUSE im eigentlichen Sinne mehr. Es ist bisweilen die anstrengendste Stunde des Tages.

Zwischen Rindercarpaccio, Steinbutt im Kräuterbett und Espresso Macchiato wird genetzwerkt, konzipiert, geheuert, gefeuert, gemobbt, befördert, abgemeiert, Tacheles geredet, rumschwadroniert, geflirtet. Das „Wer mit wem, wo und wie lange" ist häufig entscheidender als bei echten Büroterminen. Und das „Was essen wir?" hat inzwischen auch noch eine hysterische Komponente bekommen. Aber der Reihe nach, oder besser: ein Gang nach dem anderen …

Wer mit wem? Mit den lieben Kollegen ist natürlich der Klassiker und das wöchentliche Pflichtprogramm. Da wird gelästert, über den Neuen oder den, der gerade auf Geschäftsreise ist, und es wird viel Benchmarking betrieben – „mein (neuer, dicker) Dienstwagen", „meine (hochintelligente) Jüngste“… Manchmal, und ich glaube gar nicht so selten, wird weniger gebenchmarkt, mehr geflirtet. Dann gibt es als Vor- und Nachspeise die großen Erfolgsgeschichten von ihm und die tiefen Blicke von ihr – oder andersherum. Der Lunch mit dem Chef ist immer ein Highlight und die Kür, aber auch Schwerstarbeit und glattes Parkett. Wer da zwischen Vor- und Nachspeise nicht aufpasst, hat drei neue Projekte am Hals, viel über sich preisgegeben und ist immer noch nicht befördert.

 

Wohin zum Business-Lunch? Die Damen gehen gerne ins super gesunde und kalorien- und kohlenhydratarme „Sattgrün", die Herren ins fleischig-fettige „Delfi". Um einen Kompromiss zu finden, landet man und frau häufig beim eigentlich viel zu teuren Italiener um die Ecke und hat am Nebentisch – näher als in jedem Meeting – den Chef und den Chefchef sitzen. Na, guten Appetit die Herren und Damen! Jetzt heißt es reden, ohne was auszusagen, und gleichzeitig noch zu lauschen. Da kann die Pasta noch so gut sein, es schmeckt nicht.

Wie lange? Heute ist meist spätestens nach einer Stunde Schluss mit „hmmm, lecker!“. Früher, ja früher, da fuhr man(n) mittags nach Hause zu „Muttern" (gemeint war die Ehefrau) oder verschwand bis mindestens halb drei Uhr im örtlichen, mit Türspion und „Members only"-Schild exklusiv gehaltenen Industrieklub. Mit Aperitifaperitif, also Cognac und Zigarre, konnte es da auch schon mal halb vier werden. Und weil es dann ja eh schon so spät war, rief man(n) noch kurz die Sekretärin an, um sich versichern zu lassen, dass nichts mehr anstehe, und verabschiedete sich in den Feierabend, pardon, zu wichtigen Gesprächen in die Loungebar des Klubs.

Was essen wir? Wir wollen ja was essen – und müssen das eigentlich auch, weil wir schon das Frühstück vor Geschäftig- und Wichtigkeit geschlabbert haben – und wollen es doch eigentlich nicht. Die Figur, die Figur, die Figur – ja, liebe Männer, auch von Ihnen höre ich diese Klage immer öfter. Und wir, diese Lass-es-mir-schmecken-aber-mach-mich-nicht-dick-Experten, haben inzwischen ein echtes Problem: Grünzeug wie Gurken und Sprossen ist auf einem Iiiih-Niveau wie Gammelfleisch. Der Ehec-Seuche sei Dank. Den BSE-Skandal hatten wir ja gerade erfolgreich verdrängt.

Haben Sie zuletzt auch auf Frisches und rohes Fleisch verzichtet? Und sich ordentlich durchgekochte Pasta reingezwängt? Am Mittagstisch herrscht inzwischen eine gewisse Hysterie. Oder gehören Sie zu den Verwegenen, die den Salat jetzt erst recht knacken lassen und das Steak dazu schön blutig nehmen? Egal wie, Ehec und BSE sind dieser Tage dabei – wenn nicht auf dem Tisch, so doch in unseren Köpfen und rauben uns so auch noch die letzte innere Ruhe beim sowieso schon kapriziösen Business-Lunch.

Wohl also dem, der zwischen zwölf und ein Uhr schon immer leise Herbert Grönemeyer summte und am liebsten voller Genuss in das Ruhrpott-Carpaccio biss: „Kommse vonne Schicht, wat schönret gibt et nich, als wie Currywurst." Gesagt und gemampft.

Der Currywurst-Fan weiß wenigstens, was er hat – Phosphate, viel Fett, Stammtischniveau – und was er nicht hat: Arbeitszeit, Willi-Wichtig-Getue, Hysterie.

Na, dann: Mahlzeit!

Erschienen am 10.06.2011 im Handelsblatt