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Die Äbtissin von Castro

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Die Psalmgesänge begannen und die Prozession bewegte sich langsam über die Piazza Navona nach dem Gefängnis Savella. An der Türe des Gefängnisses angelangt, hält man an. Die beiden Frauen traten heraus, verrichteten ihr Gebet zu Füßen des Heiligen Kruzifixes, und folgten dann zu Fuß, eine hinter der andern, Sie waren so gekleidet, wie schon erzählt worden ist, und hatten das Haupt mit einem großen Schleier bedeckt, der fast bis zum Gürtel hing.

Signora Lucrezia trug, wie es für eine Witwe üblich war, einen schwarzen Schleier und Pantoffeln aus schwarzem Samt, ohne Absätze.

Der Schleier des jungen Mädchens war aus blauem Taft wie ihr Kleid, sie trug ein silbriges Gewebe um die Schultern, ein Unterkleid aus violettem Tuch und Pantoffeln aus weißem Samt, die mit karmesinroten Schnüren zierlich verschnürt waren. Sie hatte eine eigenartige Anmut, als sie in diesem Kostüm dahinschritt, und in aller Augen traten Tränen, als man sie bemerkte, die langsam in den letzten Reihen der Prozession dahinschritt.

Beide Frauen hatten die Hände frei, aber die Arme am Körper festgebunden, und zwar so, daß jede von ihnen ein Kruzifix tragen konnte; sie hielten es dicht an die Augen. Die Ärmel ihrer Kleider waren sehr weit, so daß man ihre Arme sehen konnte, nach der Sitte des Landes mit einem an den Handgelenken geschlossenen Hemd bedeckt.

Signora Lucrezia, die weniger starken Herzens war, weinte fast ohne aufzuhören; dagegen zeigte die junge Beatrice großen Mut; sie richtete den Blick auf jede der Kirchen, an denen die Prozession vorüberkam, kniete einen Augenblick nieder und sagte mit fester Stimme: Adoramus te, Christe!

Während dieser Zeit wurde der arme Giacomo Cenci auf seinem Karren mit Zangen gezwickt und zeigte großen Mut.

Die Prozession konnte kaum den unteren Teil des Platzes an der Engelsbrücke überschreiten, so zahlreich waren die Wagen und die Volksmassen. Man führte sogleich die Frauen in die Kapelle, welche man errichtet hatte, und brachte auch Giacomo dahin.

Der junge Bernardo wurde in seinem reichverzierten Mantel geradenwegs aufs Schafott geführt; da glaubten alle, daß er sterben solle und daß er nicht begnadigt worden sei.

Das arme Kind hatte solche Angst, daß es beim zweiten Schritt auf dem Schafott ohnmächtig hinfiel. Man brachte ihn mit frischem Wasser wieder zu sich, und setzte ihn gegenüber dem Fallbeil nieder.

Der Henker ging, um Signora Lucrezia zu holen; ihre Hände waren auf dem Rücken gebunden und sie hatte nicht mehr den Schleier um die Schultern. Sie erschien mit dem Banner geleitet auf dem Richtplatz, den Kopf in den Taftschleier gehüllt; dort befahl sie ihre Seele Gott und küßte die heiligen Wundmale. Man sagte ihr, daß sie ihre Pantoffeln auf dem Pflaster zurücklassen müsse; da sie sehr stark war, machte es ihr Mühe, aufs Schaffot zu steigen. Als sie oben war und man ihr den schwarzen Taftschleier fortnahm, war es ihr sehr schmerzlich, daß man sie mit entblößter Brust und Schultern sehen sollte; sie blickte an sich herunter, sah dann das Beil an und hob langsam zum Zeichen der Ergebung die Schultern; Tränen traten in ihre Augen, sie sagte: „O mein Gott! … Und Ihr, meine Brüder, betet für meine Seele.“

Da sie nicht wußte, wie sie sich zu verhalten habe, fragte sie Alexander, den ersten Henker danach. Er sagte, sie solle sich rittlings auf den Balken des Schafotts setzen. Aber diese Stellung beleidigte ihr Schamgefühl und sie brauchte viel Zeit dazu. Die Einzelheiten, die jetzt folgen, sind für ein italienisches Publikum, das alles mit peinlichster Genauigkeit wissen will, erträglich; aber dem nicht-italienischen Leser möge genügen, daß die arme Frau durch ihr Schamgefühl eine Verletzung an der Brust davontrug; der Henker zeigte das Haupt dem Volke und umhüllte es dann mit dem schwarzen Taftschleier.

Während man das Schafott für das junge Mädchen herrichtete, stürzte ein Gerüst, das von Neugierigen überfüllt war, ein, und viele Menschen wurden dabei getötet. So erschienen sie noch früher als Beatrice vor Gott.

Als Beatrice das Banner zur Kapelle zurückkehren sah, um sie zu holen, fragte sie lebhaft:

„Ist meine Frau Mutter schon tot?“

Man bejahte und sie warf sich vor dem Kruzifix auf die Knie und betete mit Inbrunst für ihre Seele. Dann sprach sie lange mit lauter Stimme zum Kruzifix:

„Herr, du bist für mich zurückgekehrt, und ich will Dir aus freiem Willen folgen, denn ich verzweifle nicht an Deinem Erbarmen für meine unermeßliche Sünde.“

Sie wiederholte dann noch mehrere Psalmen und Gebete zum Lobe Gottes. Als endlich der Henker mit einem Strick vor ihr erschien, sagte sie:

„Binde diesen Körper, der gestraft werden muß und erlöse diese Seele, damit sie zur Unsterblichkeit und zur ewigen Herrlichkeit gelange.“

Dann erhob sie sich, sprach das Gebet und ließ ihre Pantoffeln am Fuß der Treppe stehen; auf dem Schafott schwang sie schnell das Bein über den Balken, legte den Hals unter das Fallbeil und ordnete alles ganz allein, um sich nicht von dem Henker berühren zu lassen. Durch die Schnelligkeit ihrer Bewegungen vermied sie, dem Publikum Hals und Schultern zu zeigen, als ihr der Taftschleier abgenommen wurde. Es brauchte lange, bis der Streich gefällt wurde, weil ein Hindernis eingetreten war. Während dieser Zeit rief sie mit lauter Stimme Jesus Christus und die Heilige Jungfrau an. Ein zeitgenössischer Autor erzählt, daß Clemens VIII. sehr besorgt um das Seelenheil Beatrices war; da er wußte, daß sie sich unschuldig verurteilt fühlte, fürchtete er eine Regung des Aufruhrs. Im Augenblick, als sie ihren Kopf unter das Beil gelegt hatte, gab man von der Engelsburg, von wo man das Schafott gut sehen konnte, einen Kanonenschuß ab. Der Papst, der im Gebet auf Monte Cavallo war, gab, sobald er dies Signal hörte, dem jungen Mädchen die päpstliche Absolution major in articulo mortis. Daher der Aufenthalt in diesem schrecklichen Augenblick, von dem der Chronist spricht. Der Körper machte im verhängnisvollen Augenblick eine heftige Bewegung. Der arme Bernardo Cenci, der immer noch auf dem Schafott saß, fiel von neuem in Ohnmacht und seine Tröster brauchten eine gute halbe Stunde, um ihn wiederzubeleben. Dann erschien Giacomo Cenci auf dem Schafott; aber auch hier muß man über zu schreckliche Einzelheiten hinweggehen. Giacomo Cenci wurde mit der Keule zu Tode geschlagen.

Sofort führte man Bernardo in das Gefängnis zurück, er hatte starkes Fieber und man ließ ihn zur Ader.

Was die armen Frauen betrifft, wurde jede in ihren Sarg gebettet und einige Schritte vom Schafott entfernt bei der Statue des Heiligen Paulus aufgestellt, welche die erste auf der rechten Seite der Engelsbrücke ist. Sie blieben dort bis viereinviertel Uhr nach Mittag. Um jeden Sarg standen vier brennende Kerzen aus weißem Wachs.

Dann wurden sie mit dem, was von Giacomo Cenci noch geblieben war, zum Palast des Konsuls von Florenz gebracht. Um neuneinviertel Uhr abends wurde der Leichnam des jungen Mädchens, wieder mit Kleidern angetan und verschwenderisch mit Blumen bekränzt, nach San Pietro in Montorio gebracht. Sie war von hinreißender Schönheit, man konnte glauben, sie schliefe. Sie wurde vor dem großen Altar mit der Verklärung Christi des Raffael von Urbino beigesetzt. Sie wurde von fünfzig großen brennenden Wachskerzen geleitet und von allen Franziskanermönchen Roms.

Lucrezia Petroni wurde um zehn Uhr abends nach der Kirche von San Giorgio überführt. Während dieser Tragödie war die Volksmenge unzählig; so weit der Blick schweifen konnte, sah man die Straßen von Wagen und Menschen, ebenso die Gerüste, die Fenster und die Dächer von Neugierigen bedeckt. Die Sonne hatte an diesem Tag eine solche Kraft, daß viele Leute die Besinnung verloren. Unzählige bekamen Fieber; und als alles um die neunzehnte Stunde (3/4 2 Uhr) beendet war und die Massen sich zerstreuten, wurden viele Leute erdrückt, andere durch Pferde zermalmt. Die Zahl der Toten war sehr beträchlich.

Signora Lucrezia Petroni war eher klein als groß und, obschon fünfzig Jahre alt, sah sie noch sehr gut aus. Sie hatte sehr schöne Züge, eine kleine Nase, schwarze Augen, eine sehr weiße Gesichtshaut mit schönen Farben; sie hatte wenig und kastanienbraunes Haar.

Beatrice Cenci, die in Ewigkeit Mitleid erwecken wird, war gerade sechzehn Jahre alt; sie war klein, hatte eine leibliche Fülle und Grübchen auf den Wangen, so daß man, als sie tot, von Blumen bekränzt, dalag, hätte glauben können, daß sie schlafe, ja sogar, daß sie im Schlafe lache, wie es ihr oft im Leben geschah. Sie hatte einen kleinen Mund und blondes von selbst gelocktes Haar. Auf dem Weg zum Tode fiel ihr dies blonde lockige Haar über die Augen, was ihr einen besonderen Reiz verlieh und Mitleid erweckte.

Giacomo Cenci war klein, dick, mit weißer Haut und schwarzem Bart, er war fast sechsundzwanzig Jahre alt, als er starb.

Bernardo Cenci ähnelte völlig seiner Schwester, und da er die Haare lang wie sie trug, hielten ihn viele Leute, als er das Schafott bestieg, für Beatrice.

Die Sonne war so glühend gewesen, daß mehrere Zuschauer dieser Tragödie noch in der Nacht starben, unter ihnen Ubaldo Ubaldini, ein selten schöner Jüngling, der sich bisher immer vollkommener Gesundheit erfreut hatte. Er war der Bruder des in Rom sehr bekannten Signor Renzi. So stiegen die Schatten der Cenci wohlgeleitet hinunter.

Gestern, am Dienstag, dem 14. September 1599, machten die Büßer von San Marcello gelegentlich des Festes des heiligen Kreuzes von ihrem Vorrecht Gebrauch, um Bernardo Cenci aus seinem Gefängnis zu befreien, der sich dafür verpflichtete, binnen eines Jahres 400 000 Francs für die allerheiligste Dreifaltigkeit von Pontus Sixtus zu stiften.

Von anderer Hand ist hier hinzugefügt:

Von ihm stammen Francesco und Bernardo Cenci ab, die heute noch leben.

Der berühmte Farinacci, der durch seine Hartnäckigkeit das Leben des jungen Cenci rettete, hat sein Plaidoyer veröffentlicht. Er gibt nur einen Auszug aus dem Plaidoyer Nr. 66, das er Clemens VIII. zu Gunsten der Cenci vortrug. Dies Plaidoyer, in lateinischer Sprache verfaßt, würde sechs große Seiten ausfüllen, und leider kann ich es hier nicht unterbringen; es zeichnet die Art des Denkens von 1599; und es scheint mir sehr vernünftig. Viele Jahre nach 1599 fügte Farinacci, als er sein Plaidoyer herausgab, folgende Bemerkung dem hinzu, was er zu Gunsten der Cenci gesagt hatte: Omnes fuerunt ultimo supplicio effecti, excepto Bernardo qui ad triremes cum bonorum confiscatione condemnatus fuit, ac etiam ad interessendum aliorum morti prout interfuit.

 

Das weitere dieser lateinischen Anmerkung ist rührend, aber ich vermute, daß der Leser einer so langen Erzählung schon müde ist.

ZU VIEL GUNST SCHADET
ÜBERTRAGEN VON M. VON MUSIL

In einer Stadt Toskanas, die ich nicht nennen werde, gab es im Jahre 1589 und gibt es noch heute ein düsteres und weitläufiges Kloster. Seine schwarzen wohl fünfzig Fuß hohen Mauern verfinstern ein ganzes Straßenviertel. Drei Straßen werden von diesen Mauern begrenzt; an der vierten Seite breitet sich der Garten des Klosters aus, der bis zum Stadtwall reicht. Diesen Garten umgibt eine weniger hohe Mauer. Die Abtei, der wir den Namen Santa Riparata geben wollen, nimmt nur die Töchter des höchsten Adels auf. Am 20. Oktober 1587 waren alle Glocken des Klosters in Bewegung; die Kirche war für die Gläubigen offen und mit prachtvollen Wandteppichen aus rotem mit reichen Goldfransen verziertem Damast ausgeschlagen. Die fromme Schwester Virgilia, die Geliebte des neuen Großherzogs von Toskana, Ferdinand I., war am Abend vorher zur Äbtissin von Santa Riparata erhoben worden, und der Bischof der Stadt, von seinem ganzen Klerus gefolgt, war zur feierlichen Einsetzung gekommen. Die ganze Stadt war in Aufregung und das Gedränge in den Gassen um Santa Riparata so groß, daß es unmöglich war, dort durchzukommen.

Der Kardinal Fernando Medici, der auf seinen Bruder Francesco gefolgt war, jedoch ohne deshalb auf den Kardinalshut Verzicht zu leisten, war sechsunddreißig Jahre alt und seit fünfundzwanzig Jahren Kardinal; er war im Alter von elf Jahren zu dieser hohen Würde erwählt worden. Die Regierung Francescos, der heute noch durch seine Liebe zu Bianca Capello berühmt ist, war durch alle Torheiten, zu welchen die Vergnügungssucht einen wenig charakterstarken Fürsten hinreißen kann, gekennzeichnet. Auch Ferdinand hatte sich einige Schwächen dieser Art vorzuwerfen. Seine Liebe zu der Laien-Schwester Virgilia war in ganz Toskana berühmt; doch besonders durch die Unschuld dieser ihrer Beziehungen wie man beifügen muß; ebenso wie man sagen muß, daß der düstere, heftige und leidenschaftliche Großherzog Francesco das Aufsehen, das seine Liebschaften erregten, wenig genug beachtete. Im ganzen Land sprach man nur von der großen Tugend der Schwester Virgilia. Die Ordensregeln, die sie als Laienschwester zu erfüllen hatte, erlaubten es ihr, etwa drei Viertel des Jahres bei der Familie zu verbringen; sie sah dann täglich den Kardinal Medici, wenn er in Florenz war. Zwei Dinge setzten diese der Wollust hingegebene Stadt an dieser Liebschaft eines reichen jungen Fürsten in Erstaunen, dem durch das Beispiel seines Bruders alles gestattet war: die junge schüchterne, nichts weniger als geistvolle Schwester Virgilia war durchaus nicht hübsch und der junge Kardinal hatte sie nie anders als in Gegenwart von zwei oder drei alten Damen aus der edlen Familie Respuccio gesehen, der diese sonderbare Geliebte eines jungen Prinzen von Geblüt angehörte.

Großherzog Francesco starb am 19. Oktober 1587 gegen Abend. Am 20. Oktober noch vor dem Mittag begaben sich die Adeligen des Hofs und die reichsten Kaufleute – denn man muß sich erinnern, daß die Medici ursprünglich Kaufleute gewesen waren; ihre Verwandten und die einflußreichsten Persönlichkeiten des Hofs trieben noch immer Handel, wodurch diese Höflinge verhindert wurden, ganz so albern zu sein, wie ihresgleichen an den anderen zeitgenössischen Höfen – die ersten Hofherren und die reichsten Kaufleute begaben sich also am Morgen des 20. Oktober in das bescheidene Haus der Laienschwester Virgilia, die über diesen Andrang sehr erstaunt war.

Der neue Großherzog wollte weise und verständig dem Glück seiner Untertanen nützlich sein; er wollte vor allem jede Intrige von seinem Hof verbannen. Zur Macht gelangt fand er, daß die Leitung des reichsten Frauen-Klosters seines Staates, das allen vornehmen Töchtern, die von ihren Eltern dem Glanz der Familie geopfert wurden, als Zuflucht diente, unbesetzt war; er zögerte nicht, der Frau, die er liebte, die Äbtissinwürde zu verleihen.

Das Kloster von Santa Riparata gehörte zum Orden des heiligen Benedikt, dessen Regeln den Nonnen nicht gestatten, die Klausur zu verlassen. Zum großen Erstaunen des guten Volks von Florenz sah der Fürst-Kardinal die neue Äbtissin nicht mehr, aber in seiner Herzenszartheit, die von allen Frauen seines Hofs bemerkt und, wie man wohl sagen kann, allgemein getadelt wurde, gestattete er sich überhaupt niemals, eine Frau unter vier Augen zu sehn. Als diese Lebensführung offenbar war, verfolgte die Dienstbeflissenheit der Höflinge die Schwester Virgilia bis in ihr Kloster, und sie glaubten zu bemerken, daß sie trotz ihrer ungewöhnlichen Bescheidenheit gar nicht unempfindlich gegen diese Aufmerksamkeit war, der einzigen, die seine außerordentliche Tugend dem neuen Herrscher gestattete.

Das Konvent von Santa Riparata mußte oft Angelegenheiten behandeln, die sehr zarter Natur waren: diese jungen Mädchen aus den reichsten Familien von Florenz ließen sich nicht aus der so glänzenden Welt verbannen, aus dieser so reichen Stadt, die damals der Hauptsitz des europäischen Handels war, ohne einen Teil ihres Herzens bei dem zurückzulassen, was man sie zu verlassen zwang; oft erhoben sie laut Einspruch gegen die Ungerechtigkeit ihrer Eltern; manchmal suchten sie Tröstungen in der Liebe, und der Haß wie die Rivalität, die im Kloster herrschten, setzten die vornehme Gesellschaft von Florenz in Aufregung. Dieser Stand der Dinge war der Grund, daß die Äbtissin von Santa Riparata häufig genug Audienzen beim regierenden Großherzog erhielt. Um die Vorschriften des Heiligen Benedikt so wenig wie möglich zu übertreten, schickte der Großherzog der Äbtissin einen seiner Gala-Wagen, in dem zwei ihrer Hofdamen Platz nahmen, welche die Äbtissin bis in den Audienzsaal des weitläufigen großherzoglichen Schlosses in der Via larga, begleiteten. Diese beiden Damen, die Beweise der Klausur, wie man sie nannte, nahmen auf Lehnsesseln dicht an der Türe Platz, während die Äbtissin allein vorschritt, um mit dem Fürsten zu sprechen, der sie am äußersten Ende des Saales erwartete, so daß die ‚Beweise der Klausur‘ nichts von dem, was während dieser Audienz gesagt wurde, hören konnten.

Wieder andre Male begab sich der Fürst in die Kirche von Santa Riparata, wo man ihm das Chorgitter öffnete, damit die Äbtissin Seine Hoheit sprechen könne.

Diese beiden Arten der Audienz paßten dem Großherzog keineswegs; sie hätten vielleicht einem Gefühl neue Kraft verleihen können, welches er vermindern wollte. Indessen ließ eine der Klosterangelegenheiten delikatester Natur nicht lange auf sich warten: Die Liebesverhältnisse der Schwester Felizia degli Almieri störten den Frieden. Die Familie degli Almieri war eine der reichsten und mächtigsten in Florenz. Da zwei von den drei Brüdern, für deren Eitelkeit man die junge Felizia geopfert hatte, schon gestorben waren und der dritte keine Kinder hatte, bildete sich diese Familie ein, einer Strafe des Himmels ausgesetzt zu sein. Die Mutter und der überlebende Bruder gaben Felizia, trotz ihres Gelübdes der Armut, die Güter, deren man sie beraubt hatte, um der Eitelkeit der Brüder zu frönen, in Form von Geschenken zurück.

Das Kloster von Santa Riparata zählte damals dreiundvierzig Nonnen und jede von ihnen hatte ihre Kammerfrau. Das waren junge, dem armen Adel entnommene Mädchen, die an einer zweiten Tafel speisten und jeden Monat vom Schatzmeister des Klosters einen Scudo für ihre Auslagen erhielten. Aber nach einem sonderbaren und für den Frieden des Klosters nicht sehr günstigen Brauch, konnte man nur bis zum Alter von dreißig Jahren Kammerfrau bleiben; an diesem Lebensabschnitt angelangt, verheirateten sich diese Mädchen oder wurden in Klöster niederen Ranges untergebracht.

Die sehr vornehmen Damen von Santa Riparata durften bis zu fünf Kammerfrauen haben und die Schwester Felizia degli Almieri verlangte deren acht. Alle jene Damen des Klosters, welche man für galant hielt, und das waren fünfzehn oder sechzehn, unterstützten die Forderungen Felizias, während die sechsundzwanzig andren sich höchst entrüstet darüber zeigten und davon sprachen, einen Appell an den Fürsten zu richten.

Die neue Äbtissin, die gute Schwester Virgilia, hatte lange nicht genug Geist, um diese ernste Angelegenheit zu entscheiden; es schien, daß beide Parteien von ihr verlangten, die Sache zur Entscheidung dem Fürsten zu unterbreiten.

Schon begannen bei Hof alle Freunde der Familie degli Almieri zu sagen, wie befremdlich es sei, daß man ein Mädchen von so hoher Geburt, noch dazu es ehemals so barbarisch von seiner Familie geopfert, nun wieder verhindern wolle, von seinem Reichtum Gebrauch zu machen wie es wünsche, besonders wo dieser Gebrauch so unschuldig wäre. Von der anderen Seite verfehlten die Familien der älteren oder weniger begüterten Nonnen nicht, zu antworten, es sei zum mindesten sonderbar, daß eine Nonne, die das Gelübde der Armut abgelegt habe, sich nicht mit fünf Kammerfrauen zufrieden geben könne.

Der Großherzog wollte einen Klatsch, der die ganze Stadt in Aufregung versetzen konnte, kurz beendigen. Seine Minister drängten ihn, der Äbtissin von Santa Riparata eine Audienz zu gewähren, und da dieses Mädchen in seiner himmlischen Tugend und seinem bewundernswürdigem Charakter seinen ganz in die Dinge des Himmels vertieften Geist wahrscheinlich nicht zu der Kleinlichkeit eines so elenden Klatsches herablassen würde, müßte der Großherzog ihr eine Entschließung eröffnen, die sie nur auszuführen hätte. ‚Aber wie könnte ich diese Entschließung fassen,‘ sagte sich der verständige Fürst, ‚wenn ich doch durchaus nichts von den Gründen weiß, welche die beiden Parteien geltend machen können?‘ Übrigens wollte er sich auch nicht die mächtige Familie degli Almieri ohne hinreichende Gründe zum Feinde machen.

Der intime Freund des Fürsten war Graf Buondelmonte, der ein Jahr jünger als er war. Sie kannten sich schon von der Wiege her, da sie die gleiche Amme gehabt hatten, eine reiche schöne Bäuerin von Casentino. Graf Buondelmonte, reich, vornehm und einer der schönsten Männer der Stadt, war durch die außerordentliche Gleichgültigkeit und Kälte seines Charakters bekannt. Er hatte unverzüglich abgelehnt, Premierminister zu werden, was ihm Großherzog Ferdinand schon am Tage seiner Ankunft in Florenz angetragen hatte.

‚Ich an Eurer Stelle, Fürst,‘ hatte ihm der Graf gesagt, ‚würde sogleich abdanken; urteilt also selbst, ob ich der Minister des Fürsten sein und den Haß der halben Bevölkerung einer Stadt gegen mich entfesseln möchte, in der ich mein Leben verbringen will!‘

Mitten in den Unannehmlichkeiten am Hofe, welche dem Herzog durch die Mißhelligkeiten im Kloster von Santa Riparata erwachsen waren, fiel ihm ein, daß er die Freundschaft des Grafen anrufen könnte. Dieser brachte sein Leben auf seinen Gütern zu, deren Pflege er mit viel Aufmerksamkeit leitete. Täglich widmete er der Jagd oder dem Fischen zwei Stunden, je nach der Jahreszeit. Niemals hatte man eine Geliebte bei ihm gesehn. Er wurde durch den Brief des Fürsten, der ihn nach Florenz rief, sehr verstimmt; er wurde es noch viel mehr, nachdem der Fürst ihm gesagt hatte, daß er ihn zum Vorsteher des Damenstifts von Santa Riparata ernennen wolle.

„Wißt,“ sagte ihm der Graf, „daß ich beinahe vorzöge, Premierminister Eurer Hoheit zu sein. Der Frieden des Gemüts ist meine Leidenschaft, und was glaubt Ihr wohl soll aus mir inmitten all dieser wütenden Schäflein werden?“

„Was meinen Blick auf Euch gelenkt hat, mein Freund, ist, daß man weiß, eine Frau hat niemals auch nur die Gänze eines Tags hindurch Eure Seele zu beherrschen vermocht; ich bin weit entfernt davon, ebenso glücklich zu sein; es fehlte nicht viel, daß ich die gleichen Torheiten fortgesetzt hätte, die mein Bruder für Bianca Capello begangen hat.“

Jetzt begann der Fürst ihm vertrauliche Mitteilungen zu machen, mit deren Hilfe er seinen Freund zu verführen gedachte. „Glaubt mir,“ sagte er ihm, „wenn ich dieses so sanfte Mädchen wiedersehe, das ich zur Äbtissin von Santa Riparata gemacht habe, kann ich nicht mehr für mich einstehn.“

„Und was wäre dabei?“ sagte der Graf, „Wenn es Euch als ein Glück erscheint, eine Geliebte zu haben, warum solltet Ihr dann keine nehmen? Wenn ich keine habe, ist es, weil mich jede Frau durch ihre Klatscherei und durch die Kleinlichkeit ihres Charakters langweilt, schon nach dreitägiger Bekanntschaft.“

 

„Ich,“ sagte der Großherzog, „ich bin Kardinal. Es ist wahr, daß der Papst mir die Erlaubnis erteilt hat, auf den Hut zu verzichten und mich in Anbetracht der Krone, welche mir unvermutet zukam, zu verheiraten; aber ich verlange gar nicht danach, in der Hölle zu brennen, und wenn ich mich verheirate, werde ich eine Frau nehmen, welche ich nicht liebe und von der ich Nachfolger für meine Krone verlangen werde, und nicht die üblichen Süßigkeiten der Ehe.“

„Darauf habe ich nichts zu sagen,“ entgegnete der Graf, „ich kann nicht glauben, daß der Allmächtige Gott seinen Blick auf solche Kleinigkeiten herabsenkt. Macht aus Euren Untertanen glückliche und ehrliche Leute, wenn Ihr es könnt und habt im übrigen sechsunddreißig Geliebte.“

„Ich will nicht einmal eine haben,“ entgegnete der Fürst lachend; „doch ich wäre dem sehr ausgesetzt, wenn ich die Äbtissin von Santa Riparata wiedersähe. Das ist das vortrefflichste Mädchen der Welt und das unfähigste, nicht nur ein Kloster voll junger widerwillig der Welt entrissener Mädchen zu leiten, sondern selbst die verständigste Vereinigung alter und frommer Frauen.“

Der Fürst hatte eine so tiefe Furcht, Schwester Virgilia wiederzusehn, daß der Graf davon gerührt wurde. ‚Wenn er diesen vertrackten Eid bricht, den er geleistet hat, als der Papst ihm gestattete zu heiraten,“ sagte er sich, „ist er auch fähig, für den Rest seines Lebens ein verstörtes Herz davonzutragen.‘ Am nächsten Morgen begab er sich ins Kloster von Santa Riparata, wo er mit der ganzen Neugier und allen Ehren, die dem Abgesandten des Fürsten gebühren, empfangen wurde. Ferdinand hatte einen seiner Minister ins Kloster gesandt, um der Äbtissin und den Nonnen die Erklärung zu überbringen, daß Staatsgeschäfte ihn verhinderten, sich mit ihrem Kloster zu beschäftigen und daß er seine Machtvollkommenheit für immer dem Grafen Buondelmonte übertragen habe, dessen Entschließungen unwiderruflich seien.

Nachdem er mit der guten Äbtissin gesprochen hatte, war der Graf von dem schlechten Geschmack des Fürsten skandalisiert: sie hatte nicht einmal gesunden Menschenverstand und war nichts weniger als hübsch. Der Graf fand die Nonnen, welche Felizia degli Almieri verhindern wollten, zwei neue Kammerfrauen zu nehmen, sehr garstig. Er hatte Felizia ins Sprechzimmer rufen lassen. Sie ließ mit Dreistigkeit antworten, daß sie keine Zeit hätte, zu kommen, was den Grafen amüsierte, den bis dahin seine Mission recht gelangweilt hatte und der seine Gefälligkeit gegen den Fürsten bereute.

Er sagte, daß er es ebenso liebe, mit den Kammerfrauen zu sprechen wie mit Felizia selber und ließ die fünf Kammerfrauen ins Sprechzimmer rufen. Nur drei stellten sich ein und erklärten im Namen ihrer Herrin, daß sie sich der Gesellschaft der zwei andren nicht berauben könnte, worauf der Graf von seinen Rechten als Vertreter des Fürsten Gebrauch machte und zwei seiner Leute ins Kloster eindringen hieß, die ihm die beiden widerstrebenden Kammerfrauen herbeibrachten; und er amüsierte sich eine Stunde hindurch über das Geschwätz dieser fünf hübschen jungen Mädchen. Die den größten Teil der Zeit über alle auf einmal sprachen. Erst hierbei, durch das was sie, ihnen selbst unbewußt, ihm verrieten, wurde dem Stellvertreter des Fürsten ein wenig klar, was im Kloster vorging. Nur fünf oder sechs Nonnen waren bejahrt, zwanzig etwa waren fromm, obgleich sie jung waren, aber die andern, jung und hübsch, hatten Liebhaber in der Stadt. In Wahrheit, sie konnten sie nur sehr selten sehen; aber wie machten sie es überhaupt möglich? Das wollte der Graf nicht die Kammerfrauen Felizias fragen, aber er versprach sich, es bald zu wissen, indem er Beobachter rings um das Kloster aufstellte.

Er erfuhr zu seinem großen Erstaunen, daß es intime Freundschaften unter den Nonnen gab und vor allem dies die Ursache des Hasses und der inneren Zwistigkeiten war. So hatte zum Beispiel Felizia als intime Freundin Rodelinde di P**; Celia, nach Felizia die Schönste des Klosters, hatte die junge Fabiana zur Freundin. Jede dieser Damen hatte ihre adlige Kammerfrau, welche mehr oder weniger in Gunst stand. Zum Beispiel hatte Martona, die adlige Kammerfrau der Äbtissin, deren Gunst dadurch erworben, daß sie sich noch frömmer als sie zeigte. Sie betete auf den Knien täglich fünf bis sechs Stunden zu Seiten der Äbtissin, aber diese Zeit wurde ihr sehr lang, wie die Kammerfrauen sagten.

Der Graf erfuhr außerdem, daß Roderigo und Lancelotto die Namen zweier Liebhaber dieser Damen waren, anscheinend von Felizia und Rodelinde; aber er wollte keine direkte Frage stellen.

Die Stunde, die er mit den Frauen verbrachte, erschien ihm nicht im geringsten lang, aber Felizia erschien sie endlos; sie fühlte sich durch diesen Stellvertreter des Fürsten in ihrer Würde beleidigt, der sie zu gleicher Zeit des Dienstes ihrer fünf Kammerfrauen beraubte. Sie konnte nicht an sich halten, und da sie von weitem den Lärm aus dem Sprechzimmer hörte, drang sie dort ein, obwohl ihre Würde ihr sagte, daß diese Art, aus einer ungeduldigen Laune heraus nun doch zu erscheinen, lächerlich aussehen konnte, nachdem sie die offizielle Einladung des Abgesandten des Fürsten ausgeschlagen habe. ‚Aber ich werde das Gackern dieses kleinen Herrn wohl parieren‘, sagte sich die herrische Felizia.

Sie brach also in das Sprechzimmer ein, grüßte den Abgesandten des Fürsten sehr nachlässig und befahl einer ihrer Frauen ihr zu folgen.

„Signora, wenn dies Mädchen Euch gehorcht, werde ich meine Leute ins Kloster eintreten lassen und sie werden es sofort wieder zurückführen.“

„Ich werde sie bei der Hand nehmen; werden Eure Leute wagen, Gewalt anzuwenden?“

„Meine Leute werden in dieses Sprechzimmer sie und Euch führen, Signora.“

„Und mich?“

„Und Euch selbst; und wenn es mir beliebt, werde ich Euch aus diesem Kloster fortführen lassen und Ihr werdet in irgendeinem armen kleinen, auf dem Gipfel irgendeines Berges des Apennin gelegenen Klosters fortfahren an Eurem Heil zu arbeiten. Ich vermag dies und noch ganz andere Dinge zu tun.“

Der Graf bemerkte, daß die fünf Kammerfrauen erbleichten; auch die Wangen Felizias färbten sich in einer leichten Blässe, die sie noch schöner machte.

‚Dies ist sicherlich,‘ sagte sich der Graf, ‚die schönste Person, der ich in meinem Leben begegnet bin, man muß die Szene länger dauern lassen.‘ Sie dauerte in der Tat gegen dreiviertel Stunden. Felizia zeigte dabei einen Geist und vor allem ein so stolzes Wesen, daß der Stellvertreter des Fürsten sich sehr damit unterhielt. Gegen Ende der Unterredung hatte sich der Ton sehr gemildert und Felizia erschien dem Grafen minder schön. ‚Man muß ihr ihren Zorn wiedergeben‘, dachte er. Er erinnerte sie daran, daß sie das Gelübde des Gehorsams abgelegt habe und daß, wenn sie in Zukunft auch nur einen Schatten von Widerstand gegen die fürstlichen Befehle zeige, die er dem Kloster übermittle, er es für ihr Seelenheil nützlich halten werde, sie auf sechs Monate in das langweiligste Kloster des Apennin zu schicken.

Daraufhin wurde Felizia prächtig vor Zorn. Sie sagte ihm, daß die heiligen Märtyrer mehr als dies durch die Barbarei der römischen Imperatoren gelitten hätten.

„Ich bin nicht Imperator, Signora, und ebensowenig brachten die Märtyrer die ganze Gesellschaft in Aufruhr, um zwei Kammerfrauen mehr zu bekommen, wenn sie ohnedies fünf so liebenswürdige wie diese Fräuleins hatten.“ Er größte sie sehr kalt und ging fort, ohne ihr Zeit zu einer Antwort zu lassen, und sie blieb wütend zurück.