Sternstunden der Menschheit

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Selten gewähren die Götter ...

Sehnsüchtigen Blickes starrt Nuñez de Balboa noch immer in die Ferne. Wie eine goldene Glocke schwingt das Wort »Birù«, »Peru«, ihm durch die Seele. Aber – schmerzlicher Verzicht! – er darf diesmal weitere Erkundung nicht wagen. Mit zwei oder drei Dutzend abgemüdeter Männer kann man kein Reich erobern. Also zurück erst nach Darien und später einmal mit gesammelten Kräften auf dem nun gefundenen Wege nach dem neuen Ophir. Aber dieser Rückmarsch wird nicht minder beschwerlich. Abermals müssen die Spanier sich durch den Dschungel kämpfen, abermals die Überfälle der Eingeborenen bestehen. Und es ist keine Kriegstruppe mehr, sondern ein kleiner Trupp fieberkranker und mit letzter Kraft hinwankender Männer – Balboa selbst ist dem Tode nahe und wird von den Indios in einer Hängematte getragen –, der nach vier Monaten fürchterlichster Strapazen am 19. Januar 1514 wieder in Darien anlangt. Aber eine der größten Taten der Geschichte ist getan. Balboa hat sein Versprechen erfüllt, reich geworden ist jeder Teilnehmer, der sich mit ihm ins Unbekannte wagte; seine Soldaten haben Schätze heimgebracht von der Küste des Südmeeres wie niemals Kolumbus und die andern Konquistadoren, und auch alle andern Kolonisten bekommen ihr Teil. Ein Fünftel wird der Krone bereitgestellt, und niemand verargt es dem Triumphator, daß er bei der Beurteilung auch seinen Hund Leoncico zum Lohn dafür, daß er so wacker den unglücklichen Eingeborenen das Fleisch aus dem Leibe gefetzt, wie irgendeinen andern Krieger an der Belohnung teilnehmen und mit fünfhundert Goldpesos bedecken läßt. Kein einziger in der Kolonie bestreitet nach solcher Leistung mehr seine Autorität als Gouverneur. Wie ein Gott wird der Abenteurer und Rebell gefeiert, und mit Stolz kann er nach Spanien die Nachricht abfertigen, er habe seit Kolumbus die größte Tat für die kastilische Krone vollbracht. In steilem Aufstieg hat die Sonne seines Glücks alle Wolken durchbrochen, die bislang auf seinem Leben lasteten. Nun steht sie im Zenith.

Aber Balboas Glück hat nur kurze Dauer. Staunend drängt wenige Monate später, an einem strahlenden Junitage, die Bevölkerung von Darien an den Strand. Ein Segel hat aufgeleuchtet am Horizont, und schon dies ist wie ein Wunder an diesem verlorenen Winkel der Welt. Aber siehe, ein zweites taucht daneben auf, ein drittes, ein viertes, ein fünftes, und bald sind es zehn, nein fünfzehn, nein zwanzig, eine ganze Flotte, die auf den Hafen zusteuert. Und bald erfahren sie: all dies hat Nuñez de Balboa Brief bewirkt, aber nicht die Botschaft seines Triumphes – die ist noch nicht in Spanien eingelangt –, sondern jene frühere Nachricht, in der er zum erstenmal den Bericht des Kaziken von dem nahen Südmeer und dem Goldland weitergegeben und um eine Armee von tausend Mann gebeten, um diese Länder zu erobern. Für diese Expedition hat die spanische Krone nicht gezögert, eine so gewaltige Flotte auszurüsten. Aber keineswegs hat man einen Augenblick in Sevilla und Barcelona daran gedacht, eine derart wichtige Aufgabe einem so übel beleumdeten Abenteurer und Rebellen wie Vasco Nuñez de Balboa anzuvertrauen. Ein eigener Gouverneur, ein reicher, adliger, hochangesehener sechzigjähriger Mann, Pedro Arias Davilla, meist Pedrarias genannt, wird mitgesandt, um als Gouverneur des Königs endlich Ordnung in der Kolonie zu schaffen, Justiz für alle bisher begangenen Vergehen zu üben, jenes Südmeer zu finden und das verheißene Goldland zu erobern.

Nun ergibt sich eine ärgerliche Situation für Pedrarias. Er hat einerseits Auftrag, den Rebellen Nuñez de Balboa zur Verantwortung zu ziehen für die frühere Verjagung des Gouverneurs und ihn, falls seine Schuld erwiesen ist, in Ketten zu legen oder zu justifizieren; er hat anderseits den Auftrag, das Südmeer zu entdecken. Aber kaum, daß sein Boot an Land stößt, erfährt er, daß eben dieser Nuñez de Balboa, den er vor Gericht ziehen soll, die großartige Tat auf eigne Faust vollbracht, daß dieser Rebell den ihm zugedachten Triumph schon gefeiert und der spanischen Krone den größten Dienst seit der Entdeckung Amerikas geleistet hat. Selbstverständlich kann er einem solchen Mann jetzt nicht wie einem gemeinen Verbrecher das Haupt auf den Block legen, er muß ihn höflich begrüßen, ihn aufrichtig beglückwünschen. Aber von diesem Augenblick an ist Nuñez de Balboa verloren. Nie wird Pedrarias dem Rivalen verzeihen, selbständig die Tat vollbracht zu haben, die er zu vollführen entsendet war und die ihm ewigen Ruhm durch die Zeiten gesichert hätte. Zwar muß er, um die Kolonisten nicht vorzeitig zu erbittern, den Haß gegen ihren Helden verbergen, die Untersuchung wird vertagt und sogar ein falscher Friede hergestellt, indem Pedrarias seine eigene Tochter, die noch in Spanien zurückgeblieben ist, Nuñez de Balboa verlobt. Aber sein Haß und seine Eifersucht gegen Balboa werden keineswegs gemildert, sondern nur noch gesteigert, wie nun von Spanien, wo man endlich Balboas Tat erfahren, ein Dekret eintrifft, das dem ehemaligen Rebellen den angemaßten Titel nachträglich verleiht, Balboa gleichfalls zum Adelantado ernennt und Pedrarias den Auftrag gibt, sich in jeder wichtigen Angelegenheit mit ihm zu beraten. Für zwei Gouverneure ist dieses Land zu klein, einer wird weichen müssen, einer von den beiden untergehen. Vasco Nuñez de Balboa spürt, daß das Schwert über ihm hängt, denn in Pedrarias' Händen liegt die militärische Macht und die Justiz. So versucht er zum zweitenmal die Flucht, die ihm zum erstenmal so herrlich gelungen, die Flucht in die Unsterblichkeit. Er ersucht Pedrarias, eine Expedition ausrüsten zu dürfen, um die Küste am Südmeer zu erkunden und in weiterem Umkreis zu erobern. Die geheime Absicht des alten Rebellen aber ist, sich an dem andern Ufer des Meeres unabhängig zu machen von jeder Kontrolle, selbst eine Flotte zu bauen, Herr seiner eigenen Provinz zu werden und womöglich auch das sagenhafte Birù, dieses Ophir der neuen Welt, zu erobern. Pedrarias stimmt hinterhältig zu. Geht Balboa bei dem Unternehmen zugrunde, um so besser. Gelingt ihm seine Tat, so wird noch immer Zeit sein, sich des allzu Ehrgeizigen zu entledigen.

Damit tritt Nuñez de Balboa seine neue Flucht in die Unsterblichkeit an; seine zweite Unternehmung ist vielleicht noch grandioser als die erste, wenn ihr auch nicht der gleiche Ruhm geschenkt ward in der Geschichte, die immer nur den Erfolgreichen rühmt. Diesmal überquert Balboa den Isthmus nicht nur mit seiner Mannschaft, sondern läßt das Holz, die Bretter, das Tauwerk, die Segel, die Anker, die Winden für vier Brigantinen von Tausenden Eingeborenen über die Berge schleppen. Denn, hat er einmal drüben eine Flotte, dann kann er aller Küsten sich bemächtigen, die Perleninseln erobern und Peru, das sagenhafte Peru. Aber diesmal ist das Schicksal gegen den Wagemutigen, und er findet unablässig neue Widerstände. Auf dem Marsch durch den feuchten Dschungel zerfressen Würmer das Holz, verfault langen die Bretter an und sind nicht zu brauchen. Ohne sich entmutigen zu lassen, läßt Balboa am Golf von Panama neue Stämme niederschlagen und frische Bretter anfertigen. Seine Energie vollbringt wahre Wunder – schon scheint alles gelungen, schon sind die Brigantinen gebaut, die ersten des Pazifischen Ozeans. Da schwemmt ein Tornadosturm die Flüsse, in denen sie fertiggestellt liegen, plötzlich riesenhaft an. Die fertigen Boote werden weggerissen und zerschellen im Meer. Noch ein drittes Mal muß begonnen werden; und jetzt endlich gelingt es, zwei Brigantinen fertigzustellen. Nur noch zwei, nur noch drei braucht Balboa mehr, und er kann sich aufmachen und das Land erobern, von dem er träumt bei Tag und Nacht, seit jener Kazike damals mit ausgebreiteter Hand nach Süden gedeutet und er zum erstenmal das verführerische Wort »Birù« vernommen. Ein paar tapfere Offiziere noch nachkommen lassen, einen guten Nachschub an Mannschaften anfordern, und er kann sein Reich gründen! Nur ein paar Monate noch, nur ein wenig Glück zu der innern Verwegenheit, und nicht Pizarro müßte die Weltgeschichte den Besieger der Inkas, den Eroberer Perus nennen, sondern Nuñez de Balboa.

Aber selbst gegen seine Lieblinge zeigt sich das Schicksal nie allzu großmütig. Selten gewähren die Götter dem Sterblichen mehr als eine einzige unsterbliche Tat.

Der Untergang

Mit eiserner Energie hat Nuñez de Balboa sein großes Unternehmen vorbereitet. Aber gerade das kühne Gelingen schafft ihm Gefahr, denn das argwöhnische Auge Pedrarias' beobachtet beunruhigt die Absichten seines Untergebenen. Vielleicht ist ihm durch Verrat Nachricht gekommen von Balboas ehrgeizigen Herrschaftsträumen, vielleicht fürchtet er bloß eifersüchtig einen zweiten Erfolg des alten Rebellen. Jedenfalls sendet er plötzlich einen sehr herzlichen Brief an Balboa, er möchte doch, ehe er endgültig seinen Eroberungszug beginne, noch zu einer Besprechung nach Acla, einer Stadt nahe von Darien, zurückkehren. Balboa, der hofft, weitere Unterstützung an Mannschaft von Pedrarias zu empfangen, leistet der Einladung Folge und kehrt sofort zurück. Vor den Toren der Stadt marschiert ihm ein kleiner Trupp Soldaten entgegen, scheinbar um ihn zu begrüßen; freudig eilt er auf sie zu, um ihren Führer, seinen Waffenbruder aus vielen Jahren, seinen Begleiter bei der Entdeckung der Südsee, seinen vertrauten Freund Francisco Pizarro, zu umarmen.

Aber schwer legt ihm Francisco Pizarro die Hand auf die Schulter und erklärt ihn für gefangen. Auch Pizarro lüstet es nach Unsterblichkeit, auch ihn lüstet es, das Goldland zu erobern, und nicht unlieb ist es ihm vielleicht, einen so verwegenen Vordermann aus dem Wege zu wissen. Der Gouverneur Pedrarias eröffnet den Prozeß wegen angeblicher Rebellion, schnell und ungerecht wird Gericht gehalten. Wenige Tage später schreitet Vasco Nuñez de Balboa mit den Treuesten seiner Gefährten zum Block; auf blitzt das Schwert des Henkers, und in einer Sekunde erlischt in dem niederrollenden Haupte für immer das Auge, das als erstes der Menschheit gleichzeitig beide Ozeane geschaut, die unsere Erde umfassen.

 

Die Eroberung von Byzanz

29. Mai 1453

Erkenntnis der Gefahr

Am 5. Februar 1451 bringt ein geheimer Bote dem ältesten Sohn des Sultans Murad, dem einundzwanzigjährigen Mahomet, nach Kleinasien die Nachricht, daß sein Vater gestorben sei. Ohne seine Minister, seine Berater auch nur mit einem Wort zu verständigen, wirft sich der ebenso verschlagene wie energische Fürst auf das beste seiner Pferde, in einem Zug peitscht er das herrliche Vollblut die hundertzwanzig Meilen bis zum Bosporus und setzt sofort nach Gallipoli auf das europäische Ufer über. Dort erst entschleiert er den Getreusten den Tod seines Vaters, er rafft, um jeden anderen Thronanspruch von vorneweg niederschlagen zu können, eine auserlesene Truppe zusammen und führt sie nach Adrianopel, wo er auch tatsächlich ohne Widerspruch als Gebieter des ottomanischen Reiches anerkannt wird. Gleich seine erste Regierungshandlung zeigt Mahomets furchtbar rücksichtslose Entschlossenheit. Um im voraus jeden Rivalen gleichen Blutes zu beseitigen, läßt er seinen unmündigen Bruder im Bade ertränken, und sofort darauf – auch dies beweist seine vorbedenkende Schlauheit und Wildheit – schickt er dem Ermordeten den Mörder, den er zu dieser Tat gedungen, in den Tod nach.

Die Nachricht, daß statt des bedächtigeren Murad dieser junge, leidenschaftliche und ruhmgierige Mahomet Sultan der Türken geworden sei, erfüllt Byzanz mit Entsetzen. Denn durch hundert Späher weiß man, daß dieser Ehrgeizige geschworen hat, die einstige Hauptstadt der Welt in seinen Besitz zu bringen, daß er trotz seiner Jugend Tage wie Nächte mit strategischen Erwägungen für diesen seinen Lebensplan verbringt; zugleich aber melden auch alle Berichte einmütig die außerordentlichen militärischen und diplomatischen Fähigkeiten des neuen Padischahs. Mahomet ist beides – zugleich fromm und grausam, leidenschaftlich und heimtückisch, ein gelehrter, ein kunstliebender Mann, der seinen Cäsar und die Biographien der Römer lateinisch liest, und gleichzeitig ein Barbar, der Blut verschüttet wie Wasser. Dieser Mann mit den feinen, melancholischen Augen und der scharfen, bissigen Papageiennase erweist sich in einem als unermüdlicher Arbeiter, verwegener Soldat und skrupelloser Diplomat, und alle diese gefährlichen Kräfte wirken konzentrisch in die gleiche Idee: seinen Großvater Bajazet und seinen Vater Murad, die zum erstenmal Europa die militärische Überlegenheit der neuen türkischen Nation gelehrt, in ihren Taten noch weit zu übertreffen. Sein erster Griff aber, dies weiß man, dies fühlt man, wird Byzanz sein, dieser letztverbliebene herrliche Edelstein der Kaiserkrone Konstantins und Justinians.

Dieser Edelstein liegt für eine entschlossene Faust tatsächlich unbeschirmt und zum Greifen nahe. Das Imperium Byzantinum, das oströmische Kaiserreich, das einstens die Welt umspannte, von Persien bis zu den Alpen und wieder bis zu den Wüsten Asiens sich erstreckend, ein Weltreich, in Monaten und Monaten kaum zu durchmessen, kann man nun in drei Stunden zu Fuß bequem durchschreiten: kläglicherweise ist von jenem byzantinischen Reich nichts übriggeblieben als ein Haupt ohne Leib, eine Hauptstadt ohne Land; Konstantinopel, die Konstantinstadt, das alte Byzantium, und selbst von diesem Byzanz gehört dem Kaiser, dem Basileus, nur mehr ein Teil, das heutige Stambul, während Galata schon an die Genueser und alles Land hinter der Stadtmauer an die Türken gefallen ist; handtellergroß ist dieses Kaiserreich des letzten Kaisers, gerade nur eine riesige Ringmauer um Kirchen, Paläste und das Häusergewirr, das man Byzanz nennt. Geplündert schon einmal bis auf das Mark von den Kreuzfahrern, entvölkert von der Pest, ermattet von der ewigen Abwehr nomadischer Völker, zerrissen von nationalen und religiösen Streitigkeiten, kann diese Stadt weder Mannschaft noch Mannesmut aufbringen, um sich aus eigner Kraft eines Feindes zu erwehren, der sie mit Polypenarmen von allen Seiten längst umklammert hält; der Purpur des letzten Kaisers von Byzanz, Konstantin Dragases, ist ein Mantel aus Wind, seine Krone ein Spiel des Geschicks. Aber eben weil von den Türken schon umstellt und weil geheiligt der ganzen abendländischen Welt durch gemeinsame jahrtausendalte Kultur, bedeutet dieses Byzanz für Europa ein Symbol seiner Ehre; nur wenn die geeinte Christenheit dieses letzte und schon zerfallende Bollwerk im Osten beschirmt, kann die Hagia Sophia weiterhin eine Basilika des Glaubens bleiben, der letzte und zugleich schönste Dom des oströmischen Christentums.

Konstantin begreift sofort die Gefahr. Trotz aller Friedensreden Mahomets in begreiflicher Angst, sendet er Boten auf Boten nach Italien hinüber, Boten an den Papst, Boten nach Venedig, nach Genua, sie mögen Galeeren schicken und Soldaten. Aber Rom zögert und Venedig auch. Denn zwischen dem Glauben des Ostens und dem Glauben des Westens gähnt noch immer die alte theologische Kluft. Die griechische Kirche haßt die römische, und ihr Patriarch weigert sich, in dem Papst den obersten Hirten anzuerkennen. Zwar ist längst im Hinblick auf die Türkengefahr in Ferrara und Florenz auf zwei Konzilien die Wiedervereinigung der beiden Kirchen beschlossen und dafür Byzanz Hilfe gegen die Türken zugesichert. Aber kaum daß die Gefahr für Byzanz nicht mehr so brennend gewesen, hatten sich die griechischen Synoden geweigert, den Vertrag in Kraft treten zu lassen; jetzt erst, da Mahomet Sultan geworden ist, siegt die Not über die orthodoxe Hartnäckigkeit: gleichzeitig mit der Bitte um rasche Hilfe sendet Byzanz die Kunde seiner Nachgiebigkeit nach Rom. Nun werden Galeeren ausgerüstet mit Soldaten und Munition, auf einem Schiffe aber segelt der Legat des Papstes mit, um die Versöhnung der beiden Kirchen des Abendlandes feierlich zu vollziehen und vor der Welt zu bekunden, daß, wer Byzanz angreift, das geeinte Christentum herausfordere.

Die Messe der Versöhnung

Großartiges Schauspiel jenes Dezembertages: die herrliche Basilika, deren einstige Pracht von Marmor und Mosaik und schimmernden Köstlichkeiten wir in der Moschee von heute kaum mehr zu ahnen vermögen, feiert das große Fest der Versöhnung. Umringt von all den Würdenträgern seines Reichs ist Konstantin, der Basileus, erschienen, um mit seiner kaiserlichen Krone höchster Zeuge und Bürge der ewigen Eintracht zu sein. Überfüllt ist der riesige Raum, den zahllose Kerzen erhellen; vor dem Altar zelebrieren brüderlich der Legat des römischen Stuhles Isidorus und der orthodoxe Patriarch Gregorius die Messe; zum erstenmal wird in dieser Kirche wieder der Name des Papstes ins Gebet eingeschlossen, zum erstenmal schwingt sich gleichzeitig in lateinischer und in griechischer Sprache der fromme Gesang hinauf in die Wölbungen der unvergänglichen Kathedrale, während der Leichnam des heiligen Spiridion in feierlichem Zuge von beiden befriedeten Kleriseien einhergetragen wird. Osten und Westen, der eine und andere Glaube scheinen für ewig verbunden, und endlich ist wieder einmal nach Jahren und Jahren verbrecherischen Haders die Idee Europas, der Sinn des Abendlandes erfüllt.

Aber kurz und vergänglich sind die Augenblicke der Vernunft und der Versöhnung in der Geschichte. Noch während sich in der Kirche fromm die Stimmen im gemeinsamen Gebet vermählen, eifert bereits draußen in einer Klosterzelle der gelehrte Mönch Genadios gegen die Lateiner und den Verrat des wahren Glaubens; kaum von der Vernunft geflochten, ist das Friedensband vom Fanatismus schon wieder zerrissen, und ebensowenig wie der griechische Klerus an wirkliche Unterwerfung denkt, entsinnen sich die Freunde vom andern Ende des Mittelmeeres ihrer verheißenen Hilfe. Ein paar Galeeren, ein paar hundert Soldaten werden zwar hinübergesandt, aber dann wird die Stadt ihrem Schicksal überlassen.

Der Krieg beginnt

Gewaltherrscher, wenn sie einen Krieg vorbereiten, sprechen, solange sie nicht völlig gerüstet sind, ausgiebigst vom Frieden. So empfängt auch Mahomet bei seiner Thronbesteigung gerade die Gesandten Kaiser Konstantins mit den allerfreundlichsten und beruhigendsten Worten; er beschwört öffentlich und feierlich bei Gott und seinem Propheten, bei den Engeln und dem Koran, daß er die Verträge mit dem Basileus treulichst einhalten wolle. Gleichzeitig aber schließt der Hinterhältige eine Vereinbarung auf beiderseitige Neutralität mit den Ungarn und den Serben für drei Jahre – für eben jene drei Jahre, innerhalb welcher er ungestört die Stadt in seinen Besitz bringen will. Dann erst, nachdem Mahomet genügend den Frieden versprochen und beschworen, provoziert er mit einem Rechtsbruch den Krieg.

Bisher hatte den Türken nur das asiatische Ufer des Bosporus gehört, und somit konnten die Schiffe ungehindert von Byzanz durch die Enge ins Schwarze Meer, zu ihrem Getreidespeicher. Diesen Zugang drosselt Mahomet nun ab, indem er, ohne sich auch nur um eine Rechtfertigung zu bemühen, auf dem europäischen Ufer, bei Rumili Hissar, eine Festung zu bauen befiehlt, und zwar an jener schmälsten Stelle, wo einst in den Persertagen der kühne Xerxes die Meerenge überschritten. Über Nacht setzen Tausende, Zehntausende Erdarbeiter auf das europäische Ufer, das vertragsmäßig nicht befestigt werden darf (aber was gelten Gewalttätigen Verträge?), und sie plündern zu ihrem Unterhalt die umliegenden Felder, sie reißen nicht nur die Häuser, sondern auch die altberühmte Sankt-Michaels-Kirche nieder, um Steine für ihre Zwingburg zu gewinnen; persönlich leitet der Sultan, rastlos bei Tag und Nacht, den Festungsbau, und ohnmächtig muß Byzanz zusehen, wie man ihm den freien Zugang zum Schwarzen Meer wider Recht und Vertrag abwürgt. Schon werden die ersten Schiffe, welche das bisher freie Meer passieren wollen, mitten im Frieden beschossen, und nach dieser ersten geglückten Machtprobe ist bald jede weitere Verstellung überflüssig. Im August 1452 ruft Mahomet alle seine Agas und Paschas zusammen und erklärt ihnen offen seine Absicht, Byzanz anzugreifen und einzunehmen. Bald folgt der Ankündigung die brutale Tat; durch das ganze türkische Reich werden Herolde ausgesandt, die Waffenfähigen zusammenzurufen, und am 5. April 1453 überschwillt; wie eine plötzlich vorgebrochene Sturmflut eine unübersehbare ottomanische Armee die Ebene von Byzanz bis knapp an dessen Mauern.

An der Spitze seiner Truppen, prächtigst gewandet, reitet der Sultan, um sein Zelt gegenüber der Lykaspforte aufzuschlagen. Aber ehe er die Standarte vor seinem Hauptquartier sich im Winde bauschen läßt, befiehlt er, den Gebetteppich auf der Erde zu entrollen. Barfüßig tritt er hin, dreimal beugt er, das Antlitz gegen Mekka gewandt, die Stirne bis zum Boden, und hinter ihm – großartiges Schauspiel – sprechen die Zehntausende und aber Tausende seines Heeres mit gleicher Verneigung in gleicher Richtung, im gleichen Rhythmus das gleiche Gebet zu Allah mit, er möge ihnen Stärke und den Sieg verleihen. Dann erst erhebt sich der Sultan. Aus dem Demütigen ist wieder der Herausfordernde geworden, aus dem Diener Gottes der Herr und Soldat, und durch das ganze Lager eilen jetzt seine »tellals«, seine öffentlichen Ausrufer, um bei Trommelschlag und Fanfarenstoß weithin zu verkünden: »Die Belagerung der Stadt hat begonnen.«