Informationsorganisation und makrostrukturelle Planung in Erzählungen

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Informationsorganisation und makrostrukturelle Planung in Erzählungen
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Silvia Natale

Informationsorganisation und makrostrukturelle Planung in Erzählungen

Italienisch und Französisch im Vergleich unter Berücksichtigung bilingualer SprecherInnen

Narr Francke Attempto Verlag Tübingen

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© 2017 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG

Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen

www.francke.de • info@francke.de

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

E-Book-Produktion: pagina GmbH, Tübingen

ePub-ISBN 978-3-8233-0083-0

Inhalt

  Ich war in der ...

  Tabellenverzeichnis

  Abbildungsverzeichnis

  1. Einleitung

 2. Erzählungen2.1. Einleitung in das Kapitel2.2. Definition der Textsorte »Erzählung«2.3. Zur Struktur von Erzählungen2.4. Zur Funktion von Erzählungen2.5. Die kognitive Komponente beim Erzählen

 3. Der Quaestio-Ansatz3.1. Vorgaben der Quaestio für die Textplanung3.1.1. Der referentielle Rahmen3.1.2. Die Wissensbasis3.1.3. Die Perspektive3.2. Strukturelle Vorgaben: Haupt- und Nebenstruktur3.3. Quaestio und Informationsstruktur3.3.1. Exkurs: Informationsstruktur und der Topikbegriff3.3.2. Die Quaestio und die Topik- Fokusgliederung

 4. Die Rolle der Grammatik für die Informationsorganisation4.1. Die Grammatik als steuernder Faktor für die Informationsorganisation4.2. Konkrete Beispiele für die Korrelation von Grammatik und Informationsorganisation4.2.1. Die Grammatikalisierung von aspektuellen Kategorien und die Sequenzierung von Ereignissen4.2.2. Informationsselektion4.3. Relevante grammatikalische Eigenschaften4.3.1. Das Merkmal SVO und Wortstellungsregeln4.3.2. Das Merkmal Nullsubjekt

  5. Zweisprachigkeit 5.1. Typen von bilingualen Sprechern 5.2. Den Spracherwerb beeinflussende Variablen 5.3. Der Zusammenhang von Zweisprachigkeit und Kognition

  6. Methode 6.1. Das Stimulusmaterial: Der Animationsfilm Quest 6.2. Ablauf der Datenerhebung 6.3. Transkription und Aufbereitung der Daten 6.4. Die Probandenschaft

  7. Der temporale Referenzrahmen 7.1. Der temporalen Referenzrahmen im Sprachvergleich: Englisch vs. Deutsch 7.2. Das italienische und das französische Tempus-Aspektsystem im Vergleich

 8. Der temporale Referenzrahmen in der Nacherzählung des Kurzfilms Quest: Italienisch und Französisch im Vergleich8.1. Analyseverfahren und Kodierung8.2. Ergebnisse zum Italienischen und Französischen mit Ausblick auf frühe und späte Bilinguale8.3. Zusammenfassung

 9. Referenz auf Protagonisten und Entitäten9.1. Die referentiellen Mittel im Allgemeinen9.2. Wiedereinführung in einem neuen Erzählabschnitt9.2.1. Italienisch, Französisch sowie frühe und späte Bilinguale im Vergleich9.2.2. Die Einwirkung einer weiteren Entität (Erzähler) auf die Mittel der Wiedereinführung9.3. Referenz auf den Protagonisten innerhalb des Erzählabschnittes9.3.1. Italienisch9.3.2. Französisch9.3.3. Frühe Bilinguale9.3.4. Späte Bilinguale9.4. Zusammenfassung

 10. Das Zusammenspiel von Protagonist und unbelebten Entitäten10.1. Häufigkeit der Nennung von unbelebten Entitäten10.1.1. Italienisch und Französisch im Vergleich10.1.2. Frühe und späte Bilinguale im Vergleich zum Italienischen10.2. Die Kodierung der unbelebten Entitäten10.2.1. Italienisch und Französisch im Vergleich10.2.2. Frühe und späte Bilinguale im Vergleich zum Italienischen10.3. Bedingungen für die Erwähnung der unbelebten Entitäten als Subjekt eines Hauptsatzes10.3.1. Die Rolle der Konkurrenzsituation und ihre Auswirkung auf die Kodierung einer unbelebten Entität als Subjekt eines Hauptsatzes10.3.2. Die Art der Einführung10.3.3. Die Vorbereitung der Konkurrenzsituation im Italienischen und Französischen10.4. Zusammenfassung

 11. Linkage11.1. Einleitung11.2. Ergebnisse zur Subordination11.2.1. Italienisch und Französisch im Vergleich11.2.2. Frühe und späte Bilinguale11.3. Ergebnisse Koordination11.4. Zusammenfassung und Schlussfolgerungen

  12. Zusammenfassung und Schlusswort 12.1. Ergebnisse zum Italienischen und Französischen 12.2. Frühe und späte Bilinguale

  Bibliographie

Ich war in der Zeit, in der diese Arbeit entstanden ist, umgeben von vielen Menschen, die mich mit ihren wertvollen Ratschlägen, mit ihren kritischen Anstössen, mit ihren Aufmunterungen und ihrer praktischen Hilfe in vielfältiger Weise unterstützt haben. Ihnen möchte ich von Herzen danken.

Beginnen möchte ich mit Mary Carroll, die mich zu dieser Arbeit motiviert und mich in Form unzähliger Telefonate zwischen Bern und Heidelberg nicht nur fachlich begleitet und unterstützt hat. Wie schon einst bei meiner Dissertation, haben die Gespräche mit ihr wichtige Denkprozesse angeregt und mich zu kritischem Denken ermuntert. Die Arbeiten von ihr und Christiane von Stutterheim haben dabei den Rahmen geschaffen, um meine Analysen in einer für mich überzeugenden Form einzubetten. Ich danke Mary Carroll und Christiane von Stutterheim, dass ich Bestandteil ihres Projekts sein darf, das mich nicht nur fachlich, sondern auch menschlich nach wie vor begeistert.

Bruno Moretti möchte ich dafür danken, dass er mich zunächst als Gastwissenschaftlerin, später als Lehrbeauftragte und Oberassistentin und letztendlich als Dozentin am Institut für italienische Sprache und Literatur der Universität Bern willkommen geheissen hat. Gemeinsam mit meinen Kolleginnen Aline Kunz und Etna Krakenberger bilden wir ein Team, in dem Lehren und Forschen auf so motivierende, inspirierende, kollegiale und auch heitere Art geschieht, dass es einfach nur schön ist, dazuzugehören. Auf diesem Wege danke ich auch allen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen des Instituts, die ebenfalls zu dieser sehr angenehmen Atmosphäre beitragen.

Meine Freunde und Freundinnen in der Schweiz, in Deutschland und Italien haben mich immer wieder motiviert, zwischendurch aufgemuntert und gemeinsam mit mir die Abgabe der Habilitationsschrift, den Habilitationsvortrag, meine Antrittsvorlesung gefeiert und haben sich mit mir gefreut. Euch allen, die Ihr ganz genau wisst, wer gemeint ist, danke ich, dass ich Euch meine Freunde nennen darf.

Mein grösster Dank gilt meiner Familie. Meinem Mann und bestem Freund Armin, der nicht nur geduldig formatiert und Korrektur gelesen hat, den Habilitationsvortrag am Ende sogar auswendig konnte, sondern mich auch immer angefeuert hat, wenn ich den Spagat zwischen Arbeit, Familie und Forschung als mühsam empfunden habe. Meinen Kindern Lea und Luca, die in der Zeit der Habilitation zu wunderbaren Schulkindern herangewachsen sind, danke ich ebenfalls. Ich möchte keine einzige Unterbrechung dieser Arbeit durch meine zauberhaften Nervensägen missen, in der ich Transkripte, Excel-Tabellen und Notizen beiseitegelegt habe, um mich ihnen zu widmen. Meiner Mama und meinen Brüdern, meinen Webers und meiner grossen Familie zwischen Neapel und Hessen danke ich, dass sie immer für mich da sind.

 

Tabellenverzeichnis

 Tab. 1: Kombinationsmöglichkeiten der Konstituenten Subjekt, Verb und Objekt

 Tab. 2: Vergleich der Singularformen der Verben parlare und parler

 Tab. 3: Anzahl ausgewerteter Transkriptionen nach L1- und Bilingualen-Gruppen

 Tab. 4: Kategorien zur Selbsteinschätzung der Sprachkompetenz

 Tab. 5: Einfache Tempora des Indikativs im Italienischen und Französischen

 Tab. 6: Zusammengesetzte Tempora des Indikativs im Italienischen und Französischen

 Tab. 7: Sprachliche Mittel und Zugänglichkeit zum Topik

 Tab. 8: Referenzbereiche nach Chini (2003)

 Tab. 9: Wiedereinführung in einem neuen Erzählabschnitt: L1 Italienisch

 Tab. 10: Wiedereinführung in einem neuen Erzählabschnitt: L1 Französisch

 Tab. 11: Die Perspektivenzugehörigkeit

 Tab. 12: Transkriptionsbeispiel für die Perspektivenzugehörigkeit

 Tab. 13: Italienische Formen für die Wiedereinführung innerhalb des Erzählabschnittes

 Tab. 14: L1 Italienisch: Transkriptionsbeispiel 1 zur Wiederaufnahme des Protagonisten

 Tab. 15: L1 Italienisch: Transkriptionsbeispiel 2 zur Wiederaufnahme des Protagonisten

 Tab. 16: L1 Italienisch: Transkriptionsbeispiel 3 zur Wiederaufnahme des Protagonisten

 Tab. 17: Französische Formen für die Wiedereinführung innerhalb des Erzählabschnittes

 Tab. 18: L1 Französisch: Transkriptionsbeispiel zur Wiederaufnahme des Protagonisten

 Tab. 19: Beispiel für Nullanapher im Französischen

 Tab. 20: Beispiel für die Wiederaufnahme des Protagonisten durch NP im Französischen

 Tab. 21: Frühe Bilinguale: Wiedereinführung durch Nullsubjekte

 Tab. 22: Formen des Referenzerhalts und der Wiedereinführung bei frühen Bilingualen

 Tab. 23: Formen des Referenzerhalts und der Wiedereinführung bei späten Bilingualen

 Tab. 24: L1 Italienisch: Kodierungsoptionen für die Erwähnung der unbelebten Entität

 Tab. 25: L1 Französisch: Kodierungsoptionen für die Erwähnung der unbelebten Entität

 Tab. 26: L1 Italienisch vs. L1 Französisch: Kodierungsoptionen der unbelebten Entität

 Tab. 27: Frühe Bilinguale: Kodierung der unbelebten Entität im Vergleich zum Italienischen und Französischen

 Tab. 28: Späte Bilinguale: Kodierung der unbelebten Entität im Vergleich zum Italienischen, Französischen und frühen Bilingualen

 Tab. 29: Überblick über den Status von unbelebten Entitäten im Italienischen und Französischen

 Tab. 30: Sprachliche Mittel zur Vorbereitung der Erwähnung von unbelebten Entitäten

 Tab. 31: Subordinationsbeispiele aus dem Italienischen

Abbildungsverzeichnis

 Abb. 1: Der temporale Referenzrahmen im Italienischen und Französischen

 Abb. 2: Der temporale Referenzrahmen bei frühen und späten Bilingualen

 Abb. 3: Kausale Verknüpfungen im Italienischen und Französischen

 Abb. 4: Genuin kausale Verknüpfungen im Italienischen und Französischen

 Abb. 5: Kausale Verknüpfungen im Italienischen und Französischen verglichen mit späten Bilingualen

 Abb. 6: Progressivität im Italienischen und Französischen

 Abb. 7: Progressivität im Italienischen und Französischen verglichen mit frühen und späten Bilingualen

 Abb. 8: Akzeptabilitätsskala nach Lambrecht (1994)

 Abb. 9: Wiedereinführung in einem neuen Erzählabschnitt: Italienisch und Französisch im Vergleich

 Abb. 10: Wiedereinführung in einem neuen Erzählabschnitt: L1 und Bilinguale im Vergleich

 Abb. 11: Die Perspektivenzugehörigkeit

 Abb. 12: L1 Italienisch: Die Wiedereinführung des Protagonisten nach Perspektivenzugehörigkeit

 Abb. 13: L1 Französisch: Die Wiedereinführung des Protagonisten nach Perspektivenzugehörigkeit

 Abb. 14: Frühe Bilinguale: Die Wiedereinführung des Protagonisten nach Perspektivenzugehörigkeit

 Abb. 15: Späte Bilinguale: Die Wiedereinführung des Protagonisten nach Perspektivenzugehörigkeit

 Abb. 16: Wiederaufnahme des Protagonisten: Italienisch und Französisch im Vergleich

 Abb. 17: Der Referenzerhalt im Italienischen, Französischen und bei frühen Bilingualen

 Abb. 18: Häufigkeit der Erwähnung der unbelebten Entitäten im Italienischen und Französischen

 Abb. 19: Häufigkeit der Erwähnung von unbelebten Entitäten: Späte und frühe Bilinguale im Vergleich zum Italienische

 Abb. 20: Hierarchie der syntaktischen Kodierung

 Abb. 21: Mapping der unbelebten Entitäten im Italienischen und Französischen

 Abb. 22: Unbelebte Entitäten als Subjekt von Haupt- und Nebensätzen

 Abb. 23: Kodierung der unbelebten Entitäten: Italienisch, Französisch und frühe Bilinguale

 Abb. 24: Kodierung der unbelebten Entitäten: Italienisch, Französisch sowie frühe und späte Bilinguale im Vergleich

 Abb. 25: Erwähnung des Blatts Papier in Abhängigkeit der Konkurrenzsituation

 Abb. 26: Die Art der Einführung

 Abb. 27: Überblick über die Vorbereitung der Erwähnung von unbelebten Entitäte

 Abb. 28: Subordination im Italienischen

 Abb. 29: Subordination: Italienisch und Französisch im Vergleich

 Abb. 30: Subordination: Französisch, Italienisch und späte Bilinguale im Vergleich

 Abb. 31: Subordination: Italienisch, Französisch sowie späte und frühe Bilinguale im Vergleich

 Abb. 32: Koordination: Italienisch, Französisch sowie späte und frühe Bilinguale im Vergleich

1. Einleitung

Die vorliegende Arbeit widmet sich einem linguistischen Arbeitsgebiet, das den Zusammenhang zwischen sprachlicher Form und Informationsgliederung in der Sprachproduktion zum Gegenstand hat.1 Unter Einbezug von psycholinguistischen Forschungsmethoden und aufbauend auf typologischen Eigenschaften, steht der Zusammenhang zwischen sprachspezifischen grammatikalisierten Kategorien und spezifischen Mustern der Informationsorganisation bei der Versprachlichung von Ereignissen im Vordergrund der Analyse. Untersucht wird dieser Zusammenhang auf der Grundlage von mündlichen Nacherzählungen eines Kurzfilms, die von italienischen und französischen Muttersprachlern sowie von späten und frühen Bilingualen mit den Sprachen Italienisch und Französisch produziert wurden. Grammatikalisierte Kategorien stehen im Vordergrund des Sprachvergleichs, da sie für den Sprecher obligatorisch sind.

Wenn Sprecher einen komplexen Text, wie beispielsweise eine Erzählung produzieren möchten, müssen sie zum einen aus ihrer Wissensbasis Informationen auswählen und diese zum anderen ordnen, damit ein kohärenter Text entstehen kann. Die Ausgangsbasis für diese Untersuchung beruht auf der Grundannahme, dass Sprecher über ein konzeptionelles Wissen verfügen, das sprachspezifisch ist, da es von grammatisch-kodierten Kategorien abhängig ist.

Der Informationsaufbau im Text wird dabei vom grammatikalischen Regelwerk einer Sprache samt seiner spezifischen Ausprägungen bestimmt (Talmy 1988, Berman und Slobin 1994, von Stutterheim, Carroll, Klein 2003; Carroll und Lambert 2003). Es konnte gezeigt werden, dass grammatisch-kodierte Kategorien bereits auf der Makroplanungsebene Steuerungsgrössen liefern (vgl. Levelt 1999), die als global geltende Leitlinien bei der Informationsorganisation fungieren (Carroll, Rossdeutscher, Lambert und von Stutterheim 2008). Grammatikalisierte Kategorien einer Sprache wirken demnach nicht nur lokal beim Erzählen, sondern sind bestimmend bei der Etablierung des gesamten Erzähltexts, indem sie beispielsweise die Informationsselektion (z.B. welche Informationen werden in die Erzählung integriert?) sowie das information packaging (z.B. wie werden die Informationen sprachlich kodiert?) steuern.

Die vorliegende Arbeit bettet sich in diesen Forschungsbereich ein und untersucht, wie einzelsprachliche grammatikalische Kategorien im Italienischen und Französischen auf makrostrukturelle Planungsprinzipien im Bereich der Informationsorganisation wirken. Der Vergleich zwischen den beiden romanischen Sprachen Italienisch und Französisch soll Aufschluss darüber geben, nach welchem Muster diese typologisch eng beieinander liegenden Sprachen den Informationsaufbau handhaben und welche grammatisch kodierten Kategorien als Steuerungsfaktoren bei der Makroplanung bestimmend sind. Trotz der typologischen Nähe zwischen dem Italienischen und Französischen unterscheiden sich die beiden Sprachen in Bezug auf wesentliche strukturelle Eigenschaften, die für den Informationsaufbau und die Informationsgewichtung bestimmend sind, wie beispielsweise syntaktische Unterschiede oder Mittel für die Personenreferenz.

Im syntaktischen Bereich unterscheiden sich Italienisch und Französisch hinsichtlich der Wortstellungsvarianten, die für die Kennzeichnung des Informationsstatus eines Referenten dienen. Während im Französischen die Wortstellung durch feste Regeln gekennzeichnet ist, weist das Italienische hingegen eine relativ freie Wortstellung auf. Der Parameter der Wortstellungsregeln stellt somit ein typologisch-relevantes Kriterium dar, das für die Beschreibung des Informationsaufbaus und der Informationsgewichtung relevant ist. Ferner unterscheiden sich Italienisch und Französisch unter anderem in der Anwendung von referentiellen Mitteln, die den informationsstrukturellen Status eines Referenten kennzeichnen. Während im Französischen die Verwendung von Pronomina zumeist bei Referenzerhalt obligatorisch ist, gehört das Italienische zu den Nullsubjektsprachen, in denen die Kategorie »Person« morphologisch am Verb markiert wird. Dadurch kann der Erhalt eines Referenten in der Subjektrolle durch eine »leere« Subjektposition markiert werden.

In der vorliegenden Arbeit wird untersucht, wie sich diese strukturellen Unterschiede auf den Informationsaufbau in mündlichen Erzähltexten auswirken. Die Kernfrage lautet dabei:

Korrelieren Unterschiede und Übereinstimmungen beim Informationsaufbau mit grammatisch-typologischen Eigenschaften der untersuchten Sprachen?

Zusätzlich zu den sprachvergleichenden Untersuchungen von monolingualen Sprechern, die Einblicke in makrostrukturelle Planungsprinzipien eröffnen, wird im Hinblick auf die Erlernbarkeit globaler Planungsprinzipien auch die Analyse bilingualer Sprecher in die Untersuchung integriert. Dabei geht es um die Frage, inwieweit frühe und späte Bilinguale jene Prinzipien erwerben, die für die Bewerkstelligung einer komplexen Aufgabe, wie sie die Produktion einer Erzählung darstellt, erforderlich sind, um einen kohärenten Text zu produzieren. Dabei geht es jedoch nicht um die Produktion von vermeintlich grammatikalisch korrekten Äusserungen, sondern um die Beschreibung jener Prinzipien, die wesentliche Prozesse der Informationsorganisation steuern. Es ist bereits gezeigt worden für weit fortgeschrittene Lerner, dass bestimmte einzelsprachliche makrostrukturellen Planungsprinzipien nur schwer zu erlernen sind (vgl. Carroll et al. 2008). Trotz Korrektheit im lexikalischen bzw. grammatischen Bereich treten bei der Informationsorganisation Muster der L1 im Sinne eines Transfers zutage oder es werden lernerspezifische Muster beobachtet, die ebenfalls von den Textaufbauprinzipien der Zielsprache abweichen (vgl. hierzu Carroll und von Stutterheim 2003; von Stutterheim und Carroll 2007). Prinzipien der Informationsgliederung werden somit nicht auf der Ebene einzelner Äusserungen sondern kontextgebunden im Rahmen des Textaufbaus analysiert.

 

Die Untersuchung von frühen und späten Bilingualen des Italienischen und Französischen ist insofern von Bedeutung, da so eine weitere Perspektive auf die Ausführung von komplexen Aufgaben und die Steuerungsgrössen bei Makroplanungsprinzipien durch diese beiden Sprechergruppen eröffnet wird. Es finden sich hier Strategien, die als bilingual-spezifisch zu definieren sind (s. zum Beispiel Flecken 2010). Abweichungen von den Mustern monolingualer Sprecher beim Informationsaufbau erlauben weitere Einblicke in die Steuerungsfaktoren, die beim Informationsaufbau wirksam werden.

Die vorliegende Arbeit gliedert sich in einen theoretischen und einen empirischen Teil. Der theoretische Teil gliedert sich in vier Kapitel, die die Vielfältigkeit der mit der Untersuchungsfrage verbundenen Themengebiete widerspiegeln. Der theoretische Teil umfasst zum einen die Behandlung der Textsorte »Erzählung«, zum anderen eine Beschreibung des für die Auswertung der erhobenen mündlichen Filmnacherzählungen ausgewählten Analyseinstruments. Ferner werden die Rolle, die die Grammatik bei der Makroplanung spielt, sowie das Phänomen der Zweisprachigkeit behandelt.


Kapitel 2 ist der Textsorte Erzählung gewidmet, da mündliche Erzählungen die Analysegrundlage für den empirischen Teil der Arbeit liefern. Die Textsorte »Erzählung« wird in diesem Kapitel definiert (Kapitel 2.2), wobei ihre Struktur (Kapitel 2.3) und ihre Funktion (Kapitel 2.4.) im Vordergrund stehen. Eine Behandlung der kognitiven Komponente beim Erzählen (Kapitel 2.5.) schliesst Kapitel 2 ab.

Kapitel 3 enthält die Beschreibung des Quaestio-Ansatzes, der als Analysewerkzeug für die empirische Auswertung der Arbeit gewählt wurde. (Kapitel 3.1.). Dazu gehören auf inhaltlicher Ebene der referentielle Rahmen der Erzählung (Kapitel 3.1.1.), die Wissensbasis für die Erzeugung einer konzeptuellen Struktur (Kapitel 3.1.2.) sowie die Wahl der Perspektive für die Produktion eines Textes (Kapitel 3.1.3.). Unter den strukturellen Vorgaben wird die Gliederung des Textes in Haupt- und Nebenstruktur erläutert (Kapitel 3.2.). Das Quaestio-Kapitel enthält ferner Ausführungen zum Zusammenhang zwischen dem Quaestio-Ansatz und der Informationsstruktur. Das terminologisch umfangreiche Feld der Informationsstruktur wird in einem Exkurs umrissen (Kapitel 3.3.1.) und schliesst mit der Topik-Fokusgliederung ab, wie sie mit dem Quaestio-Ansatz gehandhabt wird (Kapitel 3.3.2.).

Kapitel 4 erläutert die Rolle der Grammatik für die Informationsorganisation. Behandelt werden einleitend Forschungsergebnisse, die konkrete Beispiele für die Korrelation von grammatikalisierten Kategorien und Informationsorganisation liefern (Kapitel 4.2.), die von der Grammatikalisierung z.B. von aspektuellen Kategorien über die Sequenzierung von Ereignissen (Kapitel 4.2.1.) bis zur Informationsselektion reichen (Kapitel 4.2.2.). Des Weiteren enthält Kapitel 4 Ausführungen zu den relevanten grammatikalischen Eigenschaften, die für den Vergleich Italienisch und Französisch unabdingbar sind (Kapitel 4.3.). Dazu gehören Unterscheide wie Wortstellungsmerkmale (relativ feste SVO-Stellung im Französischen gegenüber einer eher relativ freien Regelung im Italienischen (Kapitel 4.3.1.) sowie das Vorhandensein des Merkmals »Nullsubjekt« im Italienischen aber nicht im Französischen (Kapitel 4.3.2.).

Das letzte Kapitel des theoretischen Teils (Kapitel 5) ist der Zweisprachigkeit gewidmet. Darin werden zunächst Typen von bilingualen Sprechern unterschieden (Kapitel 5.1.) sowie Variablen besprochen, die den Spracherwerb beeinflussen (Kapitel 5.2.). Der Zusammenhang zwischen Zweisprachigkeit und Kognition schliesst den theoretischen Teil der vorliegenden Arbeit ab.

Der empirische Teil gliedert sich in sieben Kapitel. Kapitel 6 illustriert die angewandte Methodik und erläutert das Stimulusmaterial sowie den Ablauf der Datenerhebung. Ebenso enthalten sind Details zur Transkription und zur Aufbereitung der Daten. Das Kapitel wird mit einem Überblick über die Probandenschaft abgeschlossen.

Kapitel 7 beschäftigt sich mit der Anwendung von Tempus und Aspekt bei der Verknüpfung von Ereignissen. Einleitend werden Forschungsergebnisse zum Deutschen und Englischen in Bezug auf die Etablierung eines temporalen Referenzrahmens dargestellt (Kapitel 7.1.). Ausführungen zum Vergleich des italienischen und französischen Tempus- und Aspektsystems (Kapitel 7.2.) bereiten auf das Kapitel 8 vor, in welchem der temporale Referenzrahmen in den Nacherzählungen des Kurzfilms Quest beschrieben wird. Das Kapitel startet mit Hinweisen auf das Analyseverfahren und die Kodierung (Kapitel 8.1.) und stellt die Ergebnisse zum Italienischen und Französischen mit einem Ausblick auf frühe und späte Bilinguale dar (Kapitel 8.2.). Kapitel 8.3. fasst die Ergebnisse zusammen.

Kapitel 9 ist der Personenreferenz gewidmet. Nach einer Einführung werden referentielle Mittel im Allgemeinen (Kapitel 9.1.) dargestellt. In Kapitel 9.2. wird analysiert, welche referentiellen Mittel für die Referenz auf den Protagonisten gewählt werden, wenn dieser in der Erzählung in einem neuen Erzählabschnitt wieder eingeführt wird (die Filmnacherzählungen sind in vier verschiedene Abschnitte gegliedert, in welchen der Protagonist der Erzählung jeweils neu eingeführt werden muss). Dabei wird untersucht, wie sich die Rolle des Erzählers auf die Wahl der referentiellen Mittel auswirkt. Kapitel 9.3. beschäftigt sich mit der Personenreferenz innerhalb eines Erzählabschnittes und ist auf die Rolle der Kontinuität (Referenzerhalt/Wiederaufnahme) ausgerichtet. Kapitel 9.4. fasst die Ergebnisse zusammen.

In Kapitel 10 wird das Zusammenspiel zwischen dem Protagonisten, der einzigen belebten Entität der Erzählung, und anderen unbelebten Entitäten geschildert, die als Agens von einzelnen Handlungen als Konkurrenten des Protagonisten für die Subjektbesetzung in Erscheinung treten. Dabei wird herausgearbeitet, wie häufig diese unbelebten Entitäten erwähnt werden (vgl. 10.1.), wie diese kodiert werden (vgl. 10.2.) und unter welchen Bedingungen sie als Subjekt eines Hauptsatzes erscheinen (vgl. 10.3.). Dabei stehen die systematischen »Vorbereitungen«, die die Sprecher treffen, im Vordergrund (Art der Einführung der Entitäten in die Diskurswelt sowie die Darstellung einer Konkurrenzsituation (Topikstatus (Protagonist) oder Agens (unbelebte Entität) als Kriterium bei der Versprachlichung als Subjekt). Kapitel 10.4. fasst die Ergebnisse zusammen.

Kapitel 11 beschäftigt sich mit der Verknüpfung von Ereignissen innerhalb der Erzählung. Nach einer allgemeinen Einleitung (11.1) wird im Besonderen auf die Subordination (11.2.). und die Koordination (11.3.) als Mittel der Ereignisverknüpfung eingegangen.

Kapitel 12 beinhaltet die Zusammenfassung aller erzielten Ergebnisse und endet mit einem Ausblick, der sich mit der Relevanz und Anwendbarkeit der Ergebnisse befasst.