Gipsy - Mein erstes Jahr als Hund

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Gipsy

Mein erstes Jahr als Hund

Die Aufzeichnungen der Gipsy du Moulin à Vent

Für Max und Marie in Dankbarkeit für ihre Liebe

"Jedes Tier ist ein Individuum mit einer Persönlichkeit.

Es ist manchmal verstörend, wie nahe wir den Tieren stehen..."

Jean-Jacques Annaud, Regisseur ('Zwei Brüder')

Beschreibung

Der Griffon d'arrêt à poil dur Korthals

Der Griffon ist ein rauhaariger Vorstehhund, der unter verschiedenen Na-men überall in Europa anzutreffen ist. Der griechische Schriftsteller und Politiker Xenophon hat diesen Hund bereits im 4. Jahrhundert v.Chr. als 'Vogelhund' erwähnt. Aufgrund seiner länderübergreifenden Ursprungs-geschichte könnte man den Griffon d'arrêt à poil dur als 'Europäisches Kind' bezeichnen. Der Beiname Korthals geht auf den Niederländer Eduard Korthals zurück, der 1886 in Frankfurt zum ersten Mal einen Standard für diese Rasse festgelegt hat. Obwohl die Zucht in Deutschland stattfand, wird der Griffon d'arrêt à poil dur Korthals als französische Rasse geführt.

Äußere Erscheinung

Der Griffon d'arrêt à poil dur ist ein mittelgroßer, kräftiger Hund und dank seiner Nase und der Vorliebe für Wasser ideal für die Jagd.

Charakteristisch sind Bart und Schnurbart, die Kraft und Entschlossenheit ausdrücken.

Die vorherrschende Gangart bei der Jagd ist der Galopp, unterbrochen

vom Trab. Der Trab ist weitgreifend und das Anpirschen katzenartig.

Rüden werden bis zu 60 Zentimeter groß (Schulterhöhe), Hündinnen bis zu 55 Zentimetern. Das Gewicht liegt zwischen 20 und 26 Kilo.

Sein Haar ist hart und derb und fühlt sich wie Wildschweinborsten an.

Das Fell ist meist dunkel; stahlgrau mit kastanienbraunen Flecken oder einfarbig kastanienbraun.

Charakter

Der Griffon d'arrêt à poil dur gilt als angenehmer und treuer Familien-hund mit einem ausgeprägten Schutztrieb.

Er ist freundlich, gehorsam, intelligent, unerschrocken und ausgesprochen kinderlieb.

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Quellen:

FCI-Rassestandard Nr. 107

Hunderassen-Lexikon

Wikipedia

dogSpot.de

Mein Stammbaum


Von Hunden und Menschen. Das ist eine lange Geschichte. Meine fängt gerade erst an. Und geht hoffentlich gut aus. Ich stamme aus Donceel, einem kleinen belgischen Ort in der Nähe der französischen Grenze. Heute ist mein letzter Tag hier. Ich werde verkauft.

21.9.

Zum Abschiednehmen bleibt nicht viel Zeit. Die Leute, die mich abholen, sind schon da. Ich weiß nicht, wohin die Reise geht. Aber ich bin sehr traurig. Georges und Madame Bertrand, meinen Züchtern, scheint das

nichts auszumachen. Sie lachen. Sie sind es gewohnt, ihre Zöglinge

nach wenigen Wochen abzuschieben und auf Nimmerwiedersehen in fremde Hände zu geben.

Wir sind zu sechst auf die Welt gekommen; Gerald, Geoffrey, Gustave, Ginger, Ginette und ich. Mehr hätten es auch nicht sein dürfen, weil es sonst bei der täglichen Milchausgabe unter dem Bauch unserer Mutter zu eng geworden wäre. Warum unsere Namen alle mit dem Buchstaben G anfangen? Wir sind der siebte Wurf, und G ist der siebte Buchstabe im Alphabet. Gustave und Ginger waren die ersten, die ein neues Herrchen gefunden haben. Jetzt bin ich also an der Reihe: Gipsy, 10 Wochen und

5 Tage alt, französischer Jagdhund, weiblich und noch etwas schüchtern. Heute ganz besonders.

Sie stehen vor meinem Zwinger, Georges und diese Herrschaften, die mich mitnehmen wollen, und sprechen über mich. Georges sagt, sie ist zwar nicht die Schönste, aber die Intelligenteste. Manch einer, der sich auf seine Schönheit etwas einbildet, könnte an einer einfach so dahin gewor-fenen Bemerkung zerbrechen. Intelligente Hunde schlucken einmal kurz und stecken das weg. Schönheit ist Geschmacksache, sagt der fremde Mann. Dabei hat er mich angesehen und mir mit einem Auge zugezwin-kert. Und in diesem 'Augenblick' ist etwas sehr Schönes passiert. Ich konnte plötzlich seine Gedanken lesen. Ich wusste, was er dachte, ohne dass er es aussprechen musste. Er hat mich hoch gehoben, seine Nase an meiner Nase gerieben und mich gestreichelt. Und auf einmal war der Ab-

schiedsschmerz nur noch halb so schlimm.

Die Frau streichelt mich auch. Lächelt mich an. Dann nimmt sie mich, et-

was unbeholfen, auf den Arm und setzt mich auf die Rückbank des Autos, auf eine weiche Decke, die sie für mich ausgebreitet hat. Mir geht's gar nicht so schlecht.

Von meinem Kuschelplatz aus kann ich sehen, wie Georges dem Mann ein blaues Büchlein in die Hand drückt. Das ist mein Pass. Darin steht mein vollständiger Name Gipsy du Moulin à Vent, übersetzt Gipsy von der Wind-mühle, und dass ich ein grau-brauner Griffon d'Arret à Poil Dur bin. Außer-dem mein Geburtsdatum, was die Buchstaben bedeuten, die sie mir ins

rechte Ohr tätowiert haben und wann ich geimpft worden bin. Und dann geht's los. Ein letzter Blick zurück. Gerald, Geoffrey und Ginette lassen die Köpfe hängen. Adieu les copains. Indianer und Hunde weinen nicht.

22.9.

Mein erster Eindruck hat sich bestätigt. Die beiden –Max und Marie – ha-ben keine Ahnung, wie man mit Hunden umgeht. Nicht weit von meinem Zwinger entfernt haben sie an einem Geschäft angehalten und verschie-dene Sachen für mich eingekauft. Meine Erstausstattung. Ein braunes Le-derhalsband mit Stickmuster, eine Leine, ein Hundekissen, eine Fellbürste und jede Menge Spielzeug. Am besten gefällt mir die Gummischildkröte, die quietscht, wenn man darauf beißt. Um meine Ernährung muss ich mir vorläufig keine Gedanken machen. Georges hat ihnen eine Tüte von dem Futter mitgegeben, an das ich gewöhnt bin.

Die Nacht haben wir in einem Schlosshotel am Stadtrand von Brüssel

verbracht. Das war krass. Einen größeren Kontrast zu meiner Hütte kann man sich nicht vorstellen. Überall Marmorfußböden, Teppiche auf den Flu-ren, ein Fahrstuhl, eine Suite im 2. Stock, Lampen über Lampen und

Vorhänge, die bis zur Erde reichen – eine unbekannte Welt. Und nirgend-wo darf man hinpieseln.

Machen wir unser Geschäft eben draußen, hat Max vorgeschlagen. Zwei Stunden ist er mit mir durch den finsteren Park gelaufen. Mitten in der Nacht. In strömendem Regen. Der Mann hat sie nicht alle. Ich habe vor Kälte und Angst gebibbert wie ein nackter Pudel. Und alles umsonst. Ich kann nicht, wenn ich soll. Erst als wir oben im Zimmer waren, hab' ich in die Ecke gemacht. Schwamm drüber, hat Max gesagt, und Marie hat die

Überschwemmung aufgewischt. An die neue Sprache muss ich mich noch

gewöhnen. Die alten Kommandos 'Tais-toi', Séjour', 'Viens ici' sind passé.

Ab sofort wird Deutsch gesprochen. Das Wort, das ich am schnellsten ge-

lernt habe, heißt 'Leckerli'.

Die Nacht im Hotel ist schnell vergessen. Mit Leon und Robin, den Enkeln

von Marie, die in Brüssel leben und sich hier gut auskennen, waren wir im Park von La Hulpe. Wir haben Pferde gesehen, und Schwäne, und einen Baum, der ein Gesicht hatte wie ein Mensch. Max hat gesagt, dass es auch Menschen gibt, die wie Bäume aussehen. Leon und Robin haben ihm nicht

geglaubt. Ich auch nicht. Nach dem schönen Tag bin ich todmüde in mein Hundebett gefallen.

24.9.

Gestern Abend sind wir nach einer langen Fahrt in München angekommen. Autofahren ist ein Vergnügen. Eine fahrbare Hundehütte. Man steigt ins Auto oder wird hinein gehoben, wenn man noch zu klein ist, um allein ein-zusteigen, schläft, träumt vor sich hin, stellt sich zwischendurch auf die Hinterpfoten, wenn's einem zu langweilig wird, sieht draußen Autos, Häu-ser und Bäume vorbei fliegen, manchmal schaukelt es ein bisschen, das

Auto hält, man wird wieder heraus gehoben, vertritt sich die Beine, macht sein Geschäft und weiter geht's.

Einmal wär' mir fast das Herz stehen geblieben. Auf einem Rastplatz an der Autobahn ist ein Mann auf uns zugekommen und hat Max angespro-

chen. Das ist doch ein Griffon. Max hat genickt. Der Mann hat sich zu mir runter gebeugt und wollte meinen Schwanz anfassen. Sie wissen, dass man Griffons den Schwanz kupiert. Abschneidet. Ich denk', ich höre nicht richtig. Wie soll ich zeigen, dass ich mich freue, wenn ich keinen Schwanz zum Wedeln habe. Oder dass mir jemand unsympathisch ist, wie in die-sem Moment; dass ich Angst habe oder mir sonst was nicht passt, wenn ich meinen Schwanz nicht einklemmen kann. Max hat ihm einen Vogel gezeigt und ihn angeraunzt: Was für einen Blödsinn reden Sie denn da. Stellen Sie sich vor, man würde Ihnen den... Den Rest hab' ich nicht verstanden, weil gerade ein großer Laster vorbei gefahren ist. Der Mann hat seinen Mittelfinger ausgestreckt und ist pikiert abgezogen. So ein Idi-ot, hat Max gesagt und mich in den Wagen gehoben.

In München regnet es Bindfäden. Max denkt, weil ich ein Jagdhund bin,

brauche ich viel Bewegung. Stimmt. Aber nicht bei dem Wetter. Können wir nicht einfach im Haus bleiben, aus dem Fenster sehen und warten, bis

der Regen aufgehört hat. Aber nein; ich muss raus in dieses Sch...Wetter.

Ich hab' ihm jeden Baum, jeden Hauseingang, jedes Vordach gezeigt, wo

wir uns hätten unterstellen können. Sogar eine kleine Kapelle, an der wir

vorbei gekommen sind. Er hat immer nur den Kopf geschüttelt und alle

 

meine Vorschläge ignoriert. Nass wie die Bisamratten waren wir nach zwei Stunden wieder zuhause. Marie hat mich trocken gerieben und mit Max geschimpft. Mit Recht. Ich muss ihm diese Bewässerungstouren unbe-dingt abgewöhnen. Sonst laufe ich noch ein.

25.9.

Ein Anflug von Heimweh. In der Nacht habe ich von Donceel geträumt und von meinen Geschwistern. Ich habe ihnen von dem Hotel erzählt, in dem

wir übernachtet haben, was ein Fahrstuhl ist, eine Autobahn, ein Hunde-

kissen – das kennen sie ja alles nicht. Und ich hab' ihnen gesagt, sie sol-len um Gottes Willen auf ihren Schwanz aufpassen.

Das Wetter ist besser geworden. Es regnet nicht mehr. Gleich vor dem

Haus ist die Hochleite, ein lang gezogenes Waldstück mit einem Laufweg für Hunde und ihre Begleiter. Es wimmelt hier von Zwei- und Vierbeinern. Max und ich werden freundlich begrüßt. Man kommt schnell ins Gespräch. Einige von den Hunden, die mich beschnüffeln und wissen wollen, wer ich bin und woher ich komme, dürfen frei herumlaufen. Das sind Verführer. Sie wollen mich überreden, mit ihnen abzuhauen. Tut mir Leid, Freunde. Keine Chance. Max lässt mich nicht von der Leine.

Eine ältere Dame ist bei Max stehen geblieben und unterhält sich mit ihm. Der kleine Kerl, den sie auf dem Arm hat, hat sich die Pfote vertreten und muss getragen werden. Wir Harlachinger lieben unsere Hunde, verrät sie und erzählt, dass in der Nähe ein berühmter Schauspieler gewohnt hat,

der für seine Hundeliebe bekannt war. Und der soll gesagt haben, dass man zwar ohne Hunde leben kann, dass sich das aber nicht lohnt. Das hört man gern. Und noch was ist mir aufgefallen. Jeder Hund scheint hier einen eigenen Lieblingsbaum zu haben.

26.9.

Wieder auf der Hochleite. Heute sind die Jogger in der Überzahl. Das sind Menschen, die in aller Herrgottsfrühe, freiwillig und ohne Leine, schnau-fend durch den Wald rennen. Ab und zu bleibt einer stehen, um mich zu

streicheln. Max steht immer ganz beglückt daneben und fühlt sich selber

gebauchpinselt. Ein junges Mädchen fragt, was denn so ein schöner Hund

kostet. Der schöne Hund ist unbezahlbar, hat Max gesagt und mir zuge-zwinkert.

Weiter geht's eine Treppe hinunter zur Isar, den Schotterweg bis zur

Großhesseloher Brücke und wieder hinauf zur Hochleite. Nach einer Stun-de sind wir auf Betriebstemperatur und fit für den Tag.

Marie war in der Stadt und hat neues Spielzeug gekauft; einen Ball, einen Kauknochen und einen Beißring. Wär' nicht nötig gewesen. Ich mag lieber alte Tücher, Schuhspanner, Klobürsten, Zeitungen, getragene Socken, die schon leicht müffeln, und alles, was aus Holz ist. Und wenn ich zwischen-durch mal an einem Teppich knabbern kann, braucht sich niemand über das passende Spielzeug für mich den Kopf zu zerbrechen. Zwischen Tür und Angel habe ich erfahren, dass München nur eine Zwischenstation ist.

27.9.

Am Vormittag verlassen wir München. Wir fahren Richtung Süden über die

Berge nach Südtirol. Marie chauffiert, und in dem Fall, sagt Max, ist es gut, wenn man angeschnallt ist. Sie fährt wie der Teufel. In einer

scharfen Kurve hätte es mich fast vom Sitz gerissen. Max hat drei Kreuze

gemacht, als wir unversehrt angekommen sind.

Mein neuer Wohnort ist Meran. Die Sonne lacht. Eine himmlische Begrü-ßung. Es ist warm. Ein Wetter, das junge Hunde, die mit Regen und Wind

aufgewachsen sind, zum Träumen bringt. Nach unserer Ankunft haben wir erst mal einen Rundgang gemacht. Max hat mir alles gezeigt, das Haus, den Hof, den Garten mit den Bäumen und Sträuchern. In der Wohnung wäre noch Platz für meine Geschwister. Nur so ein Gedanke. Max kann auch Gedanken lesen und hat abgewinkt. Ein Hund reicht uns. Mein Bett haben sie auf der Diele neben der Tür zur Küche aufgestellt. Nach der Besichtigung und dem Essen ist der tägliche Mittagsschlaf fällig.

28.9.

Die erste Woche mit Max und Marie war ganz schön aufregend. Eine weite Reise liegt hinter mir. Von Meran nach Hause sind es über 1000 Kilometer. Was wäre, wenn... Max: Klar kannst du den Weg zu Fuß zurückgehen. Da-für brauchst du mindestens zwei Monate. Aber da liegt er falsch. Er geht

von seinen zwei Beinen aus. Ich habe vier; also brauche ich nur die halbe

Zeit. Ehrlich gesagt will ich auch gar nicht wieder zurück. Es gefällt mir hier; und es gibt viel zu entdecken.

Der große Garten ist ein Hundeparadies. Die Sache hat nur einen Haken. Das Paradies ist eingezäunt. Haus und Garten sind von einem Zaun um-

geben, über den nicht mal ein ausgewachsener Schäferhund springen

könnte. Ich kann nicht raus, und wenn, dann nur in Begleitung meiner Erwachsenen. An der Leine, versteht sich.

Und da ist noch ein Problem. In dem Haus lebt eine Katze. Sie heißt Flitz und wohnt zwei Etagen über uns. Die hat mir schon am ersten Tag zu verstehen gegeben, dass sie die älteren Rechte hier hat und dass das Treppenhaus ihr gehört. Und da sitzt dieses Katzenvieh auf der untersten Stufe – ich meine das nicht abwertend - und versperrt allen den Weg. Max hat mich gewarnt, mich mit ihr einzulassen. Du würdest den Kürzeren zie-hen. Also mache ich lieber einen Bogen um die Wichtigtuerin. Andererseits fühle ich mich magisch von ihr angezogen. Das wird eine komplizierte Be-ziehung.

29.9.

Neue Gegend, neue Nachbarn, neue Gerüche. In den nächsten Tagen wer-de ich damit beschäftigt sein, alles auszukundschaften. Marie ist entzückt.

Nach Anlaufschwierigkeiten habe ich es geschafft, meine Geschäfte von drinnen nach draußen zu verlegen. Mit anderen Worten: Ich bin stuben-rein.

Mein erster Freund in Meran heißt Peppi, ein schwarzer Wuschelhund von undurchschaubarer Abstammung, etwa gleich groß wie ich und sehr ver-spielt. Er wohnt ein paar Häuser weiter und hat auch einen Garten, in dem

wir herumtoben können. Die Hunde nebenan, zwei Spitze, Vater und Sohn, interessieren mich nicht. Das sind Angeber, die sich mit ihrem ständigen Gebell wichtig tun.

Max hat mir zu verstehen gegeben, dass meine berufliche Zukunft wohl nicht in der Jagd liegt. Er ist kein Jäger, also werde ich auch kein Jagd-hund. Jedenfalls nicht so professionell wie meine Vorfahren. Wirklich traurig bin ich deshalb nicht. Es gibt auch in der Stadt viel zu tun.

30.9.

Jeden Morgen auf die Waage. Das ist zu einem richtigen Ritual geworden.

Max nimmt mich auf den Arm und wiegt uns zusammen. Dann setzt er

mich ab und wiegt sich allein. Die Differenz ist mein Gewicht. Ich wiege 8,2 Kilo. Das passt, sagt Max und schmatzt mir einen dicken Kuss auf die

Stirn. Marie hat den toten Vogel, der im Garten unter der Buche lag, in die Mülltonne geworfen. Als Ersatz hat sie mir Schweineohren geschenkt.

Auch nicht schlecht. Ich hab' versucht, meinen Schatz in einem Bücher-

regal zu 'vergraben'; aber das ging nicht. Marie hat mir erklärt, warum ein Bücherregal kein Versteck für Schweineohren ist. Bücher sind für Eselsoh-ren reserviert und nicht für Schweineohren. Kapiert.

1.10.

Mein Stammbaum ist heute mit der Post aus Belgien gekommen. Jetzt haben sie es schwarz auf weiß, dass ich nicht irgendein Niemand bin, son-dern von vornehmer Abstammung. Und dass mein Vater dreimal Europa-meister war. Gib' mal nicht so an, hat Max gesagt. Den Vornehmen ziert die Bescheidenheit. Blabla. Wahrscheinlich ist er neidisch.

Besuch beim Tierarzt. Im Wartezimmer ist eine ganze Menagerie kranker

Vierbeiner versammelt; ein verletztes Kaninchen, das apathisch in einem Käfig sitzt, ein schlafender Hund, noch ein anderer Hund, der dauernd auf den Boden kotzt, eine Katze, die ängstlich aus dem Loch ihres Tragekorbs blinzelt, den ihr Frauchen auf dem Schoß hält. Jemand wollte sie vergif-ten, sagt die Frau und verdrückt dabei eine Träne. Aus dem Behandlungs-zimmer kommt ein Mädchen mit einem Irokesen-Haarschnitt. An ihrem Gürtel hängt - man glaubt es nicht - eine Ratte. Fehlt nur noch, dass hier gleich 'ne hinkende Eidechse oder eine verschnupfte Fledermaus auftau-chen. Der Tierarzt hat mich auf den Behandlungstisch gehoben, abgeta-

stet, in mich reingehorcht, meine Zähne untersucht, meine Ohren, meinen

Po und am Ende an der linken Schulter einen Chip eingepflanzt, eine Art Nummernschild für Hunde. In drei Wochen muss ich noch mal hin. In der Hundekrankenkasse bin ich übrigens nicht. Max muss bar bezahlen.

2.10.

Den Vormittag hab' ich auf einem Hundespielplatz in Lana verbracht. Max

hat ihn ausfindig gemacht. Einen Kindergarten für Welpen, wo sich einmal

in der Woche der einheimische Hundenachwuchs zum Kennenlernen trifft.

Noch nie so viele Hunde an einem Ort gesehen. Schäferhunde, Pudel, Möpse, Pinscher, Beagles, Schnauzer, Golden Retriever; alle in meinem

Alter. Modehunde und Modenamen. Asta, Kira, Bianca, Rudi, Benny, Seppi. Mit einigen kann man spielen, andere sitzen nur doof herum. Ich glaube, bei Hunden ist es wie bei den Menschen. Von zehn Exemplaren

sind mindestens die Hälfte teilweise bis erheblich unterbelichtet. Max da-gegen behauptet, dass die Dummheitsquote bei den Zweibeinern niedriger

ist. Und dass das auch im Sinne der Natur ist, weil sonst die Gefahr be-

steht, dass der Hund gescheiter ist als sein Herrchen und dadurch die gottgewollte Rangordnung über den Haufen geworfen wird.

Einspruch. Hunde haben von Natur aus die besseren Anlagen. Sie können besser riechen als die Menschen. Und hören. Sie können im Dunkeln die Treppe runtergehen und verlorene Sachen wieder finden. Max schüttelt den Kopf. Du verwechselst Instinkt mit Intelligenz. Ich: Außerdem können wir viel schneller rennen. Max: Das ist eine andere Geschichte. Das hat weder mit Instinkt noch mit Intelligenz zu tun. Sondern? Dass ihr zwei Beine mehr habt. So ging das eine Weile hin und her. Max hat schließlich eingelenkt. Im Idealfall ergänzen sich Mensch und Hund. Damit bin ich einverstanden. Rudi, einer von den Golden Retrievern, ist gekommen und hat mich mit einem Stupser auf den Spielplatz zurück beordert.

3.10.

Ich bin 35 Zentimeter groß. 55 Zentimeter sind geplant. Vorausgesetzt ich werde anständig ernährt. Was das betrifft, sind Max und Marie fast vor-bildlich. Die Mahlzeiten könnten allerdings ein bisschen üppiger ausfallen. Eine regelmäßige Nahrungsaufnahme ist wichtig. Andererseits ist ein vol-ler Fressnapf nicht alles. Lob und Anerkennung bedeuten mir genauso viel.

Renate, eine freundliche Hundetrainerin, ist zu uns gekommen und hat mir im Garten Nachhilfeunterricht in 'Kommandos' gegeben. Warum mir?

Wer uns kennt, weiß, dass es in Wirklichkeit Max ist, der die Nachhilfe-

stunden braucht. Peppi hat mit seiner Oma am Zaun gestanden und neu-

gierig geguckt, was wir da machen.

Nachmittags in die Stadt. Vor uns geht ein Mann mit Turnschuhen. Ein Schleicher. Herrlich. Max dagegen hat wieder die Schuhe mit den lauten Absätzen an. Die knallen auf das Pflaster, dass einem die Ohren abfliegen.

5.10.

Es regnet. Marie ist mit dem Auto weggefahren. Ich habe gebettelt, dass sie mich mitnimmt. Aber sie hat sich taub gestellt. Bleibt die Morgenrunde

mit Max. Immerhin hat er sich einen größeren Schirm besorgt, unter dem ich auch Platz habe. Auf der Straße sind wir einigen Schulkindern begeg-net. Die müssen auch bei jedem Wetter raus und sind trotzdem fröhlich.

Zum ersten Mal Weintrauben probiert. Die schmecken mir. Max hat Be-

denken. Er glaubt, dass man davon Flitzkacke kriegt.

In der Hagengasse sitzt eine Katze unter einem Vordach und putzt sich. Es

hat so ausgesehen, als würde sie mir zuwinken. Ich wär' auch gern hin gerannt, um ihr bei der Morgenwäsche zu helfen. Aber plötzlich sind zwei große Hunde aufgetaucht, ihre Bodyguards, und haben mich böse ange-knurrt. Es war gut, dass ich meinen eigenen Bodyguard dabei hatte, hinter dem ich mich verstecken konnte.

Nach dem Ausflug haben wir uns schlafen gelegt. Der Mittagsschlaf ist uns heilig. Und zieht sich manchmal in die Länge. Als Marie uns geweckt hat, war es schon dunkel. So kann man auch aus einem verregneten Tag das Beste machen. Danach gab es noch ein kurzes Geplänkel zwischen den Herrschaften. Max hat gesagt, schlafende Hunde soll man nicht wecken. Und Marie, wie Frauen so sind, wollte wissen, ob er sich oder mich damit meint. Zu komisch.

7.10.

 

Meine Fröhlichkeit hält sich in Grenzen, wenn Max und Marie in einem Re-staurant Pizza essen. Ich liege wie ein abgestelltes Gepäckstück unter dem Tisch und kriege lange Zähne. Heute haben sie sich was Neues ein-fallen lassen. Sie haben eine Pizza zum Mitnehmen bestellt, und Max hat das gute Stück unauffällig und weit weg von meiner Nase in einer geruch-sicheren Verpackung nach Hause getragen. Ich hab' zwar gerochen, was da läuft, aber ich habe auch zuhause nichts von der Pizza abgekriegt. Das sind Egoisten. Immerhin durfte ich einen Joghurt-Becher ausschlecken. Und mit Joghurt kann man mich auch leicht rumkriegen. Die Traubenkur von vorgestern ist zum Glück glimpflich verlaufen.

8.10.

Auf dem Welpenspielplatz. Rudi, der Freund vom vorigen Samstag, hat mich freudestrahlend begrüßt und mit seiner Golden-Retriever-Bande be-kannt gemacht. Die haben alle ein helles Fell. Völlig falsch angezogen,

sag' ich. Wir sind auf der nassen Wiese herumgerast, haben Ringkämpfe ausgetragen und Fangen und Verstecken gespielt. Nach einer halben

Stunde haben sie ausgesehen wie die Schlammtaucher. Da bin ich mit meinen Tarnfarben besser dran. Bevor wir ins Auto gestiegen sind, hat Max mir ein Kompliment gemacht. Er hat gesagt, dass ich die schnellste

von allen bin. Es sieht aus, als würdest du fliegen. Am liebsten wäre ich ihm dafür an den Hals geflogen. Als wir im Auto saßen, er vorn, ich hin-

ten, hab' ich mich vorgebeugt und ihm vor lauter Freude den Nacken ab-geschleckt.

10.10.

Mit Marie beim Friseur. Während sie unter der Haube sitzt, soll ich mit ei-nem hässlichen grünen Stoffmännchen spielen, das die Friseur-Frau aus einer Kinder-Spieltruhe geholt hat. "Sieh' mal, was ich hier für dich habe."

Das Ding ist schnell kaputt. Die Reste kann sie behalten. Ich bin nervös. Ich fürchte, dass mir die Frau ans Fell geht, sobald sie mit Marie fertig ist. Waschen, legen, föhnen. Nicht mit mir. Naturschönheiten soll man so las-sen wie sie sind. Meine Erleichterung ist groß, als wir nach einer Stunde den Friseursalon verlassen und ich ungeschoren davongekommen bin.

Eine Freundin von Marie hat uns besucht, und der hab' ich gleich mal ge-zeigt, wie Hausschuhe aussehen, die ich zwei Tage lang 'bearbeitet' habe. Aufgerissener Filz, abgenagte Gummisohlen und ein Lochmuster, wie es die Welt noch nicht gesehen hat. Die Freundin fand das sehr kreativ. Marie, glaube ich, nicht.

Draußen wartet ein neues Projekt. Ich habe, rund um das Haus, mit Aus-grabungsarbeiten begonnen. Der Komposthaufen war als erstes dran. Das ist fabelhaft, wenn einem der Dreck um die Ohren fliegt und die Löcher immer tiefer werden. Wenn sie mir genug Zeit lassen, werde ich bis zum Mittelpunkt der Erde vorstoßen. Flitz, die Hauskatze, hat zugeschaut; hat sich aber nicht getraut, mitzumachen. Entweder sie ist zu feige oder sie wartet darauf, dass ihr der Gärtner einen Spaten bringt. Hinterher gab's Krach mit Marie, weil ich mit meinen dreckigen Pfoten ihr weißes Sofa ver-saut habe. Zwischen den Sofakissen habe ich den Briefkastenschlüssel ge-funden, den sie seit mehreren Tagen vermisst hat. Das hat sie schnell wieder versöhnt.

11.10.

Es ist wieder passiert. In der Diele. Auf dem Teppich. Marie wäre fast rein getreten. Peinlich. Sie hat nichts gesagt, nur mit der Nase gerümpft. Ich

habe ihr versprochen, dass das nicht wieder vorkommt.

Schnell das Thema wechseln. Wenn Max 'Auto Auto' sagt, weiß ich, dass

unsere fahrbare Hundehütte vor der Tür steht. Wir machen einen Ausflug

in die Schweiz. Hinter der Grenze bin ich zum ersten Mal auf einer Kuh-

weide gewesen. Überall getrocknete Kuhfladen. Verdauungsreste, so weit

das Auge reicht. Mein lieber Mann. Was die da alles hinten rauslassen.

Was ist dagegen mein kleiner Haufen auf dem Teppich.

12.10.

Ausgebüxt. Keine große Geschichte. Nur ein kleiner Streifzug durch die

Gemeinde. Ohne Max und Marie. Der Briefträger, der jeden Morgen die Post einwirft, hatte vergessen, die Pforte zuzusperren. Ich habe gewartet,

bis er weg war. Und dann bin ich los, die Straße runter bis zur nächsten Ecke, noch eine Straße und noch eine. Aufregend war das nicht. Eine um-gefallene Mülltonne, ein Mann, der ein kaputtes Fahrrad auf sein Auto ge-laden hat, eine schwarze Katze, die vor mir weggerannt ist. Das war's. Peppi, den ich besuchen wollte, war nicht daheim. Und die anderen Hunde auch nicht. Ich habe meine Ohren noch tiefer hängen lassen als sonst und bin langsam wieder nach Hause getrottet. Marie hat am Tor gestanden und mich erwartet. Ich war ziemlich zerknirscht. Sie hat gelächelt. Im schlimmsten Fall hätten wir dich nach drei Tagen aus dem Tierheim ge-holt. He! Warum erst nach drei Tagen? Weil wir vorher gar nicht gemerkt hätten, dass du nicht mehr da bist. Sag, dass das nicht wahr ist. Nein, sagt sie, natürlich nicht. Aber wir werden daraus lernen. Wir werden dir unsere Telefonnummer an den Hals hängen, damit du nicht eines Tages doch noch als herrenloser Hund im Tierheim landest.

Da gehören die beiden Bastarde rein, denen Max und ich auf unserem Abendspaziergang begegnet sind. Zwei hinterhältige Wegelagerer. Unter einer Laterne am Winkelweg sind sie schwanzwedelnd auf uns zugekom-men, als würden sie nichts Böses im Schilde führen. Ein Pudelmischling und ein halbstarker Schnauzer. Ihre Freundlichkeit war nur gespielt. Selbst Max, der Schlaumeier und Hundekenner, ist darauf reingefallen. Sie haben plötzlich angefangen zu bellen und wild nach mir geschnappt. Ich war außer mir. Viel hat nicht gefehlt und ich hätte zurück geschnappt. Max hat mich festgehalten und die beiden vor mir gerettet. Wenn die mir noch mal über den Weg laufen – Gnade ihnen das Tierschutzgesetz.

13.10.

Meine Leidenschaft für Holz ist ungebrochen. Eine alte Fußbank hab' ich bereits zerlegt. Und den Korb für das Brennholz gibt's auch nur noch in

halber Größe. Als nächstes ist der geschnitzte Türstopper unten neben der Haustür dran.

Hab' ich Momo mit den langen Fransen schon erwähnt? Er wohnt in der Sybillastraße. Wir treffen uns manchmal an seinem Tor. Das Auffälligste

an Momo, dessen Vorfahren vom anderen Ende der Welt kommen – Max sagt, aus Tibet -, sind seine Augen. Das linke, das er meistens unter sei-

ner Haartolle versteckt, ist dunkel; das andere hellblau. Links sieht er aus wie eine Schlafmütze und rechts wie ein Husky. Ein Eskimohund ohne Schlitten. Seltene Hunde sind meistens eingebildet. Momo nicht. Er ist

neben Peppi mein liebster Spielkamerad. Seit ich andere Hunde kennen gelernt habe, kann ich an ihrem Bellen erkennen, ob sie sich freuen, ärgern oder Angst haben. Die meisten Menschen verstehen nicht, was sich

Hunde zu sagen haben. Ich brauche nicht zu bellen, weil Max ja meine Gedanken lesen kann.

14.10.

Meine erste Bergtour. Mit der Seilbahn hinauf in schwindelnde Höhen. Und tief unter uns ein gähnender Abgrund. Ein Vergnügen war das nicht. Eher das Gegenteil. Es war der Horror. In einer Gondel, eingepfercht zwischen 50 Menschen. Max hat mich auf den Arm genommen, damit keiner auf mich tritt. Aber es war nicht nur die Platzangst, sondern auch der Geruch. Max mit seinem unterentwickelten Riechorgan ahnt ja nicht, welche Aus-dünstungen manche Leute von sich geben. Am liebsten hätte ich mir die Nasenlöcher zugehalten. Aber selbst dazu war es zu eng. Ich hab' dauernd Marie angeschaut. Die sah auch nicht sehr glücklich aus. Später hat sie zugegeben, dass sie während der Fahrt in der Gondel ein ganz flaues Ge-fühl im Magen hatte.

Oben an der Bergstation konnte ich endlich wieder durchatmen. Die Berg-luft, hat Max gesagt, ist gut für die Lungen und hat selber tief Luft geholt.

Manche Menschen stoßen auch Freudenschreie aus, wenn sie auf dem Berg angekommen sind. Weiter ging's zu einer Hütte, auf einem Weg, den ich nicht zweimal gehen möchte. Über Stock und Stein, durch hohe, stachelige Pflanzen, über Baumwurzeln und tiefe Gräben. Ich bin mehr gestolpert als gelaufen. Die Pfoten haben mir wehgetan. Warum trägt mich keiner? Ich hab's nur so vor mich hin gedacht. Max ist augenblicklich stehen geblieben und hat mich hoch gehoben. Das Gedankenlesen klappt auf dem Berg noch besser als im Tal. Zusammen haben wir die Hütte

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