Selbst der beste Plan

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IV

Sally O’Donnell war bekannt als der Stern der Rosses, und alle, die sie in ihren jungen Jahren gekannt haben, würden zugeben, dass sie diesen Beinamen verdient hatte. Sie war eine von drei Schwestern, die zusammen mit ihren Eltern auf einem Hof in den Bergen von Bunnawack lebten.

Sally begegnete Manus MacAward auf einem Jahrmarkt in Cloghanlea. Es wurde gemunkelt, dass vonseiten der jungen Frau diese Begegnung eher geplant als zufällig stattgefunden hatte. Wir können für die Wahrheit dieses Gerüchts nicht garantieren. Sicher wissen wir nur, dass Manus sich auf den ersten Blick bis über beide Ohren in sie verliebte. Wie redete sie? Wie erzählte sie eine Geschichte? Das wissen wir nicht. Wir wissen nur, dass sie an diesem besonderen Tag eine Maid von blendender Schönheit war. Am Abend dieses Tages kam Manus mit einem engelhaften Bild vor Augen nach Hause. Und natürlich musste er darüber reden.

»Er steckt fest«, sagte Shoogey Brennan. »Und ich habe ja gesagt, dass er eines Tages feststecken wird. Diesmal waren keine Waagschalen im Einsatz. Der Stern der Rosses hat ihn mit ihren Feenaugen angeschaut. Sie hat ihre goldenen Locken geschüttelt und ist in ein perlendes, melodisches Lachen ausgebrochen, das einen alten Mann wieder jung machen könnte. Er hängt in ihrem Netz fest. Falls sie ihn haben will, natürlich nur.«

»Du kannst ganz sicher sein, dass sie ihn haben will«, sagte Nora Villy.

Wann würde Manus seine Angebetete wiedersehen? Wie würde er eine Begegnung in die Wege leiten können? Die Gelegenheit bot sich früher, als er erwartet hatte. Schon bald kam Mickey John Chondy – ein junger Mann aus dem Nachbardorf – mit einer Bitte zu Manus.

»Ich heirate übernächsten Montag«, sagte er, »und hätte dich gern als Trauzeugen.«

»Ich war in meinem ganzen Leben noch kein Trauzeuge«, wehrte Manus ab. »Ich kenne nicht viele von den jungen Leuten, wo ich doch zehn Jahre in Amerika war. Wen heiratest du übrigens?«

»Ein Mädchen aus Bunnawack – sie heißt Ketty McCole. Vielleicht erinnerst du dich an sie. Du bist ihr auf dem Jahrmarkt in Cloghanlea begegnet, da war sie zusammen mit Sally O’Donnell. Sally ist Brautjungfer.«

»Ach«, sagte Manus und versuchte zu verbergen, dass er Mickeys Wunsch nun unbedingt erfüllen wollte. »Ich kenne da oben nicht viele Leute. Aber ich werde dir deine Bitte nicht abschlagen, wo du mir die Ehre erwiesen hast, mich zu fragen.«

»Er tappt voll in die Falle«, kommentierte Shoogey Brennan danach. »Und der arme Narr sieht nicht einmal, dass sie für ihn aufgestellt worden ist. Er bildet sich ein, dass Mickey John Chondy ihm eine Ehre erweisen will.«

Der Stern der Rosses hatte Vorlieben und Abneigungen. Sally O’Donnell verabscheute den Anblick und den Geruch von Tabakrauch. Einige Wochen vor den oben geschilderten Ereignissen war ihre Familie in ein neues Haus gezogen. Vorher aber hatte Sally ihrem Vater klargemacht, dass sie Rauchen nicht dulden würde. Es würde die Vorhänge ruinieren. Es würde die neue Zimmerdecke schwarz färben. Als der Vater protestierte, weil er ohne seine Pfeife nicht leben könnte, deutete seine Tochter an, dass sie nach Amerika gehen wollte.

»Was soll ich denn bloß machen?«, sagte der alte Mann zu seiner Frau. »Ich könnte doch auch gleich tot sein, wenn ich nicht rauchen darf. Aber ich will auch nicht, dass sie nach Amerika geht. Da könnte ich sie ja auch gleich verbannen.«

»Mach dir keine Sorgen«, sagte die alte Frau. »Ich besorge dir wie immer jede Woche deinen Tabak. Du kannst drüben im alten Haus und in den Nachbarhäusern rauchen, wenn du eine Runde an airneál gehst. Und Sally bleibt ja nicht mehr lange bei uns.«

»Will sie heiraten?«

»Ich glaube schon. Sie kann jederzeit heiraten, wenn sie Lust hat. Ich kenne drei hier in den Hügeln, die ein Auge auf sie geworfen haben. Aber auf dem Jahrmarkt in Cloghanlea hat sie einen Mann aus der unteren Pfarre kennengelernt, und ich habe gehört, dass die beiden schon große Zuneigung zueinander gefasst haben. Der Mann ist gerade aus Amerika zurückgekehrt und hat eine Menge Geld (das weiß ich aus zuverlässiger Quelle) … Sally wird bei Ketty McColes Hochzeit Brautjungfer sein, und der Yankee ist Trauzeuge. Am Abend der Hochzeit werden sie dann zu einer Entscheidung kommen.«

V

Es war ein prachtvolles Hochzeitsfest. Es gab jede Menge Speis und jede Menge Trank. Die Fiedler aus Meenmore waren nie so gut gewesen. Die Tanzenden waren lebhaft und fröhlich. An den Stühlen vor der Wand saßen die älteren Männer und rauchten ihre Pfeifen. Eine Rauchwolke hing unter den Dachbalken wie Morgendunst im Sommer, wenn er aus dem Tal aufsteigt und dann oben am Bergsaum ruht.

Sally O’Donnell schien sich nicht gut zu unterhalten. Immer wieder ging sie nach draußen und rieb sich die Augen, wenn sie wieder hereinkam. Endlich trat Manus zu ihr, als sie bei der Tür stand.

»Ist bei dir irgendetwas nicht in Ordnung?«, fragte er besorgt.

»Der Rauch bringt mich um«, erwiderte sie.

»Sollen wir einen Spaziergang an der frischen Luft machen?«, schlug er vor.

»Dann hol ich nur schnell meinen Mantel. In diesem dünnen Kleid könnte ich mir leicht eine Erkältung holen, nach diesem Backofen da drinnen.«

»Wohin wollen wir gehen?«, fragte er, als sie aufbruchbereit waren.

»Ins Tal, bis zum Ende des Sees«, schlug sie vor.

Also gingen sie ins Tal, bis zum Ende des Sees. Es war Vollmond. Das Wasser im See war so ruhig wie eine Glasscheibe. Ein normaler Mensch hätte nur das gesehen. Aber Manus MacAward sah den Mond auf sie herunterlächeln. Er sah die Feen im Gras am Ufer tanzen. Seine Stunde war gekommen. Er nahm seine Liebste in die Arme und küsste sie. Er sagte ihr, dass ihm die Worte fehlten, um seine Liebe zu ihr zu beschreiben. Wäre sie wohl bereit, die Seine zu werden? Ihre Antwort würde ihm lebenslanges Glück oder lebenslanges Elend bringen!

Sally blieb stumm.

»Um Himmels willen, Liebste, sprich!«, flehte Manus. »Mach dieser entsetzlichen Spannung ein Ende, so oder so.«

»Manchmal ist das Sprechen schwer«, sagte Sally mit trauriger Stimme. »Sehr schwer … Das Leben ist manchmal schwer … Die Menschen können nicht immer die heiraten, die sie lieben … Ich weiß nicht, wie ich sagen soll, was ich sagen möchte … Darf ich dir eine Frage stellen?«

»Natürlich darfst du das. Hundert Fragen. Was willst du denn wissen, Liebste?«

»Rauchst du?«, stammelte sie.

»Ja, das tue ich.«

»Das hab ich mir gedacht … Na, damit ist alles zu Ende. Ich kann Rauchgeruch nicht ertragen, er würde mich umbringen. Es tut mir leid, dass wir uns jemals begegnet sind, Manus, denn ich liebe dich. Aber da hilft alles nichts. So schwer es uns beiden fällt, wir müssen uns für immer trennen«, erklärte sie.

Und als sie ihn anschaute, sah er die Trauer in ihrem Gesicht.

Wenn diese Szene sich bei helllichtem Tage abgespielt hätte, hätte Manus vielleicht Weitsicht genug besessen, um zu erkennen, dass es für ihn die grausamste aller grausamen Strafen sein würde, seine Pfeifen aufzugeben … Aber zu diesem Zeitpunkt musterte ihn der Mond stirnrunzelnd. Das fröhliche Trällern der Feen wurde zu einem klagenden Geheul. Manus konnte deutlich hören, wie sie die traurigsten aller traurigen Abschiedsworte der Welt sangen:

Ein zärtlicher Kuss und dann die Trennung,

ein Lebwohl, ach, auf immer!

Er konnte es nicht. Er konnte nicht für immer Abschied von ihr nehmen. Er presste sie an seine Brust.

»Es ist ein leichtes Opfer, wenn ich es für dich bringe, Liebste«, sagte er. »An dem Tag, an dem du kommst, um unter meinem Dach zu leben, werde ich meine Pfeifen weglegen und nie mehr eine davon anrühren.«

»Bist du sicher, dass du dieses Versprechen nicht bereuen wirst?«, fragte sie nach einer Pause.

»Bereuen? Für dich würde ich noch viel mehr aufgeben, Liebste.«

Es war schon heller Tag, als sich die nunmehr Verlobten trennten. Manus begleitete seine Geliebte zum Haus ihres Vaters. Sie fragte ihn noch einmal, ob er sein Versprechen, das Rauchen aufzugeben, nicht bereuen würde. Der Mond hatte den Himmel verlassen. Die Feen hatten sich in ihre unterirdischen Wohnstätten zurückgezogen. Der Morgen war feucht und kalt. Aber Sally war noch immer eine Schönheit. Manus wiederholte sein Versprechen und machte sich auf den Heimweg.

VI

Bald darauf heirateten die beiden, und der Stern der Rosses zog zu dem frischgebackenen Ehemann nach Rosbeg am Meer. Sie fand ein schönes, ordentliches Zuhause in wunderschöner Lage vor.

Manus gab das Rauchen auf. Er legte seine sieben feinen Pfeifen ins Regalfach über der Kommode. Sally schlug vor, sie in einem Schrank zu verstecken. Aber Manus erbat sich von ihr, die Pfeifen dort zu lassen, wo er sie jeden Tag und jede Stunde des Tages sehen konnte, wenn er im Haus war. Es war eine bescheidene Bitte, und Sally willigte ein. Schließlich hatte Manus ihr in dieser wichtigen Sache nachgegeben. Und Sally hatte doch einen winzigen Funken von der Güte in sich, die den meisten Frauen angeboren ist.

Manus wünschte sich, dass seine Liebste sich für die Geschichten interessierte, die er las. Sie war bereit dazu. Doch als er ihr vorlas, stellte er fest, dass sie dazu neigte, ein Wort oder einen Satz aus seiner Erzählung aufzugreifen und dann über etwas zu reden, das vom Thema der Geschichte meilenweit entfernt war. Das stürzte ihn in Verzweiflung. Er versuchte, sie von dieser Gewohnheit abzubringen, indem er verstummte und erst weiterlas, wenn sie ihn darum bat. Manchmal stellte er das Buch weg und las an diesem Tag nichts mehr vor.

 

»Das hier ist ein Juwel von Geschichte, geschrieben von O. Henry«, sagte er eines Tages. »Sie heißt Das letzte Blatt.« Und er fing an, die Geschichte über das Mädchen vorzulesen, das glaubte, an Lungenentzündung sterben zu müssen, wenn das letzte Blatt der alten Rebenranke fiele.

»Ich habe gehört, die Ärzte in Dublin haben jetzt eine Tablette, die Lungenentzündung in zwei Tagen heilen kann. Das habe ich neulich erst in der Zeitung gelesen.«

Manus verstummte.

»Aber mach weiter mit deiner Geschichte.«

»Bist du sicher, dass du die hören willst?«

»Natürlich will ich sie hören.«

»Ich habe hier noch eine schöne Geschichte, die ich dir vorlesen möchte. Die Gabe der Weisen

Er fing an zu lesen. »Die junge Frau hatte wunderschönes Haar. Es war Stolz und Freude ihres Gatten, und er wollte ihr eine Kammgarnitur kaufen …«

»Wusstest du schon, dass meine Mutter eine Frau aus Clochnarone kannte, die mit drei Kämmen in den Haaren aus Amerika zurückkam – auf jeder Seite einer und einer hinten … Riecht das übrigens, als ob mein Brot anbrennt? Aber mach nur weiter.«

Manus legte das Buch weg. Er stand auf und ging nach draußen. Und als er an der Kommode vorbeikam, warf er einen sehnsüchtigen Blick auf die Pfeifen.

»Ich habe hier eine Perle von Geschichte, die ich dir gern vorlesen würde – eine Übersetzung aus dem Französischen. Die Franzosen sind die wahren Meister der Kurzgeschichte. Diese hier handelt von einer Ziege, die vom Bauernhof weglief und in die Berge floh. Wenn du sie gehört hast, wirst du zugeben, dass der Mann, der sie geschrieben hat, aus nichts eine Geschichte machen konnte. Hör zu: Monsieur Seguin hatte mit seinen Ziegen nie Glück gehabt. Er verlor alle auf dieselbe Weise; eines schönes Morgens rissen sie sich los und liefen in die Berge …«

»Einer von unseren Nachbarn, Doney John Hughdie, hatte auch solche Ziegen. Er hat mehr als ein Dutzend verloren und dann die Ziegenhaltung aufgegeben. Eine nach der anderen riss sich los und lief in die Berge von Glendowan … Aber lies weiter.«

»Es tut mir leid, dir das abschlagen zu müssen, Liebste, aber ich kann nicht weiterlesen. Es war falsch von mir, zu erwarten, du würdest zu einer Kopie meiner selbst werden, deshalb werde ich dich mit meinen Büchern nicht mehr belästigen. Vielleicht bin ich ein komischer Vogel. Aber du hast eine Angewohnheit, die mich in den Wahnsinn treibt. Meine Mutter, Gott hab sie selig, redete sich nach Osten und nach Westen fort von dem, was sie eigentlich erzählen wollte. Das hat mich geärgert. Aber deine Angewohnheit verletzt mich. Ich werde nicht mehr versuchen, dir etwas vorzulesen. Aber bei einem normalen Gespräch – da kannst du mich ignorieren, mir widersprechen, mich einen Narren nennen. Egal was. Aber schweife nicht so furchtbar ab. Wie gesagt, es verletzt mich. Es verletzt mich ganz schrecklich.«

»Ich würde dich doch um nichts in der Welt verletzen, Liebster«, sagte Sally, kam zu ihm und legte ihm einen Arm um den Hals.

»Das weiß ich, Liebste«, sagte er. »Denk einfach an meine kleine Schwäche, und ich bin sicher, dass du deine Angewohnheit dann bald abgelegt haben wirst.«

»Ich werde mein Bestes tun.«

»Das weiß ich. Und mehr noch, es wird dir gelingen.«

Es wurde Ostern. Ganz plötzlich kamen keine Zeitungen mehr in die Rosses. In der Gegend brodelten die wildesten Gerüchte. Eine deutsche Armee sei in Kerry an Land gegangen. Jeden Tag würden Tausende von Männern getötet. Die Stadt Dublin sei ein tosendes Feuer!

Eine Woche verging. »Ich glaube, in Gottes Namen, ich werde morgen zum Markt nach Cloghanlea gehen«, sagte Manus zu seiner Frau. »Wir haben Gras genug für einen weiteren Jährling, und da dachte ich, ich kaufe einen.«

Er ging zum Markt. Abends kam er ohne Jährling zurück und sah sehr traurig und niedergeschlagen aus.

»Du hast nichts gekauft«, sagte seine Frau, als er hereinkam.

»Nein, hab ich nicht«, antwortete er. »Ich habe nicht die Sorte Tier gesehen, die ich haben will.«

Er ließ sich auf einen Stuhl sinken und seufzte.

»Was ist denn los mit dir?«, fragte Sally besorgt.

»Heute sind die Zeitungen gekommen. Alles ist zu Ende.«

»Was ist zu Ende?«

»Der Aufstand in Dublin. Der hat nur eine knappe Woche gedauert. Jetzt werden die Anführer hingerichtet. Und was über die hier in Cloghanlea geredet wird! Da heißt es, die hätten es allesamt verdient, erschossen zu werden. Weil sie daran schuld seien, dass Home Rule gescheitert ist, und das sagt der Mann, der damals die Polizei nach Gweedore gejagt hat, um Pfarrer McFadden festzunehmen!«

»Ist dabei nicht vor der Kapelle in Gweedore ein Polizist ums Leben gekommen?«

Schweigen.

»Erzähl doch weiter.«

»Und der Sohn von Gerichtsvollzieher Narwal …«

»Wie hieß Narwal eigentlich richtig? Aber erzähl doch weiter.«

»Ich hätte mich fast nicht beherrschen können, als ich mir anhören musste, wie die Helden von Dublin von Tagedieben und Eckenstehern so gemein beleidigt wurden, während ich bei Brennans einen trinken wollte.«

»Ob es wohl stimmt, dass Brennan die Kneipe verkaufen will?«

Langes Schweigen.

»Aber erzähl doch weiter.«

»Und als ich hörte, wie Larry Walsh, dieser verdammte Polizistensohn, sich über die Hinrichtung von Tom Clarke gefreut hat, wäre ich fast wahnsinnig geworden. Tom Clarke, der seine besten Jahre in englischen Gefängnissen verbracht hat, in Gesellschaft von Englands gemeinsten Verbrechern! Ich konnte nicht vergessen, welchen Eindruck dieser hagere, verhärmte, weißhaarige alte Mann auf mich gemacht hat, als ich damals auf einer Kundgebung auf dem Madison Square, New York, seine Rede gehört habe. Und die Vorstellung, dass …«

»Wollt ihr schon wieder gehen, und dabei habe ich euch doch gerade erst gefüttert!«

Diese Bemerkung richtete Sally an zwei Hühner, die auf der Türschwelle aufgetaucht waren.

»Aber erzähl doch weiter.«

Manus erzählte nicht weiter. Er stand auf und ging hinaus.

»Hast du keinen Hunger?«, rief Sally ihm von der Tür aus hinterher.

»Nein, hab ich nicht«, antwortete er. »Ich könnte jetzt keinen Bissen hinunterbringen.«

Er ging hinab zum Strand, setzte sich auf einen Felsbrocken und blickte aufs Wasser hinaus. Wenn er doch nur eine Pfeife hätte, um seine Nerven zu beruhigen. Sollte er wieder anfangen? Nein, das werde ich nicht, beschloss er. Ich habe es ihr versprochen, weil ich sie liebte. Und ich liebe sie noch immer, egal, wie sehr sie mir auf die Nerven geht. Also halte ich mein Versprechen.

Als er einige Zeit später zum Haus zurückkehrte, wollte Sally gerade ausgehen. Sie hatte sich ein Tuch um die Schultern gelegt und trug einen Korb über dem Arm.

»Wenn du weggehst, ehe ich zurück bin«, sagte sie, »dann schließ die Tür ab und leg den Schlüssel an die übliche Stelle. Ich hab nicht genug Tee für morgen früh und muss schnell noch mal zum Laden. Und ich bringe dann ein Pfund Linsenmehl für das schwarze Kalb mit. Ich bleibe nicht lange weg.«

Manus ging ins Haus und setzte sich. Weg ist sie, dachte er, ohne ein Wort der Entschuldigung oder ein Anzeichen von schlechtem Gewissen im Gesicht … Er sah die Pfeifen im Regalfach über der Kommode an. Aber mehr tat er nicht. Er war fest entschlossen, sein Verlobungsversprechen zu halten, egal, was passierte.

Nach einer Weile hörte er, wie Sally singend den Pfad zur Tür hochkam. Bei ihrem fröhlichen Trällern dachte er oft, sie müsse das glücklichste Wesen auf der Erde sein.

Sie kam herein und stellte ihren Korb auf den Küchentisch. Sie legte ihr Tuch ab und hängte es an einen Haken unten an der Wand. Dann nahm sie das Pfeifengestell von der Kommode und stellte es neben den Korb auf den Tisch. Was war denn nur in sie gefahren? Warum wollte sie ihn damit quälen?

Sie drehte sich um und sah ihn an.

»Welche Pfeife möchtest du als erste rauchen?«, fragte sie.

»Wie meinst du das?«, fragte er verdutzt.

»Wie ich das meine? Wie kann ich das wohl meinen? Jetzt kannst du mir doch wirklich nicht vorwerfen, dass ich abschweife oder umständlich rede? Ich will wissen, welche Pfeife du als erste rauchen willst«, sagte sie noch einmal, schob die Hand in den Korb und zog ein großes Stück Plug-Tabak heraus.

Er sprang auf und umarmte sie. »Sally, Liebste, du bist ein Engel«, sagte er mit einer Stimme, die vor Bewegung fast brach.

»Stopf deine Pfeife und steck sie an, ehe du noch mehr sagst«, sagte sie. »Ich will dich rauchen sehen. Stopf sie wieder und wieder. – Manus«, sagte sie später, und dabei redete sie ihn durch eine Rauchwolke an. »Diese Pfeife macht dich glücklich. Und sie macht auch mich glücklich – zum ersten Mal seit unserer Hochzeit bin ich durch und durch glücklich … Manus, wir zwei waren ein Paar Trottel. Ich zuerst und du danach. Wir wollten beide, auf unsere Weise, aus unserer Ehe eine Angelegenheit von Tyrann und Sklave machen, statt sie auf Toleranz und Verständnis zu gründen. Ich zuerst mit meinem absurden Rauchverbot, als ob ein Mann, der ans Rauchen gewöhnt ist, ohne leben könnte. Und dann du, weil du wolltest, dass ich so denke und rede wie du – als ob eine Frau glücklich sein könnte, wenn sie nicht so drauflosreden darf, wie sie möchte … Zwei armselige Trottel waren wir und beide gleich töricht … Dieser Aufstand in Dublin wird vielleicht eines Tages Irland retten, oder auch nicht. Aber jedenfalls hat er unsere Ehe gerettet.«

Home Rule
I

Zu der Zeit, zu der meine Geschichte einsetzt, interessierten sich in den Rosses nur die Leute für Politik, die einige Zeit in Amerika verbracht hatten – vor allem die Auswanderer, die in den Städten mit einem größeren Bevölkerungsanteil von irischer Geburt oder irischer Abstammung gelebt hatten. Die, die zu Hause geblieben waren, hatten keine Ahnung von Politik. Sie sprachen kein Englisch. Sie konnten keine Zeitungen lesen. Sie wussten nichts über Geschichte – genauer gesagt, über moderne oder vergleichsweise moderne Geschichte.

In antiker Geschichte, vermischt mit Mythologie, kannten sie sich überraschend gut aus – was natürlich an der Sprache lag, die sie im Alltag benutzten, und an den damit verbundenen mündlichen Überlieferungen. Sie konnten über die Heldentaten der Ritter vom Roten Zweig und die der Fianna diskutieren. Sie wussten, dass Balor mit den Gewaltigen Schlägen und dem Bösen Blick vor langer Zeit einmal König von Tory gewesen war. Aber sie wussten nicht, dass ein rothaariger Junge aus Donegal auf dem Loch Súilí festgenommen und nach Dublin geschafft worden war, wo er drei Jahre streng bewacht in Dublin Castle saß, um dann endlich entkommen und in den Hügeln von Donegal die Heide in Brand setzen zu können. Sie wussten nicht, dass sich zu einem späteren Zeitpunkt und eher in ihrer Nähe das französische Flaggschiff La Hoche mit einem jungen Iren an Bord fast einen ganzen Tag lang ein Gefecht mit mehreren Einheiten der britischen Flotte lieferte, bis es endlich vor der Küste der Rosses in Flammen aufging.

Zwei Männer in der Gegend jedoch teilten nicht diese allgemeine Gleichgültigkeit moderner Geschichte und aktueller Politik gegenüber. Und zwar Ned Sweeney und Denis Boyle. Jeder der beiden hatte als junger Mann sieben Jahre in Amerika verbracht. Während dieses Exils waren sie mit aufgeklärteren Menschen in Kontakt gekommen, die entweder in Irland geboren oder von irischer Herkunft waren, und sie lernten etwas über die Geschichte Irlands und über Irlands jahrhundertelangen Kampf um Freiheit.

Beide waren dann irgendwann in die Rosses zurückgekehrt und hatten geheiratet. Denis Boyle hatte eine große Familie, das älteste Kind war der Sohn Felim. Ned Sweeney hatte es nur auf ein Kind gebracht – eine Tochter namens Bella.

Als sie älter wurden, verliebten Felim und Bella sich Hals über Kopf ineinander. Es wäre einfach gewesen, zwischen den beiden eine Ehe zu arrangieren. Felim hatte weder Land noch Strand, wie die irische Redensart lautete. Aber er könnte bei Sweeneys einheiraten, das kam damals in den Rosses immer wieder vor. Auch für Felim und Bella hätte sich bestimmt ein solches Arrangement ergeben, wenn die beiden Väter sich nicht die Angewohnheit zugelegt hätten, jeden Samstagabend beim Schulmeister vorbeizuschauen, um die im Derry Journal geschilderten Nachrichten der Woche zu hören.

 

Damals stand an der Spitze der Bewegung, die es sich zum Ziel gesetzt hatte, für Irland Home Rule zu erlangen, ein Mann von außergewöhnlichen Kräften und Fähigkeiten. Seine Führung und seine zahlreichen Erfolge verhießen Großes. Unsere beiden Männer aus den Rosses verfolgten seine Karriere zwei oder drei Jahre lang voller Interesse und waren ihm zutiefst ergeben. Dann passierte etwas. Ob man es nun Ignoranz nennt, ob man es Verrat nennt, egal, wie man es nennt, es passierte. Das Land spaltete sich in zwei wilde, wahnsinnige, bitter verfeindete Lager. Die eine Seite forderte, den Anführer abzusetzen, die andere wollte durch dick und dünn zu ihm halten. Die Spaltung erreichte die Rosses. Denis Boyle stand auf der Seite des Häuptlings, wie er genannt wurde, und war ihm so ergeben wie eh und je. Ned Sweeney war sein erbitterter Gegner geworden.

Nach einiger Zeit wurde der Häuptling als Vorsitzender seiner Partei abgesetzt. Denis Boyle war untröstlich. Ned Sweeney war glücklich.

»Dieser Na-ihr-wisst-schon hatte es nicht anders verdient!«, sagte Ned Sweeney eines Tages, als etliche Nachbarn vom Markt im Dorf nach Hause gingen. »Hat er die Iren denn für Idioten gehalten? Hat er geglaubt, sie würden zulassen, zu Hause und in anderen Ländern von einem Schurken vertreten zu werden, der nicht mehr Moral besitzt als ein Hund? Gott sei Dank hat in Irland das wahre Christentum gesiegt. Wir wollen Home Rule, aber wir wollen dafür nicht unsere Seelen verkaufen.«

»Es ist noch nicht aller Tage Abend«, erwiderte Denis Boyle und versuchte, seinen aufwallenden Zorn zu beherrschen. »Er wird zurückkehren. Irland wird sich von diesem Schlag erholen. Und wenn nicht, wird es den Tag bereuen, an dem er seine Partei angefleht hat, ihn nicht den englischen Wölfen zum Fraß vorzuwerfen, und als sie sich geweigert haben. Und wo hier schon von Moral die Rede ist, in dieses Horn stoßen doch jetzt einige der elendesten Betrüger in England und in Irland!«

Ein Wort gab das andere, bis es am Ende zwischen den beiden Männern zu Schlägen kam. Der Kampf hätte lang und heftig sein können, aber die Nachbarn trennten die beiden … Sie kamen nach Hause. Boyle hatte ein blaues Auge. Sweeney blutete aus einer geplatzten Oberlippe.

»Was ist dir denn passiert?«, fragte Bella Sweeney, als ihr Vater zur Tür hereingekommen war.

»Nicht viel, meine Tochter«, erwiderte er. »Nicht viel, soweit es mich betrifft – ein Stück Pflaster bringt bei mir alles in Ordnung. Aber was ich jetzt zu sagen habe, betrifft dich ganz gewaltig.«

Er erzählte die Geschichte, und zwar auf seine eigene Weise. »Bei der nächsten Gelegenheit, die sich dir bietet«, fügte er hinzu, »erklärst du dem Sohn dieses Schurken, dass er nie wieder einen Fuß in mein Haus setzen wird. Ich könnte mich im Himmel doch niemals sehen lassen, wenn ich meine Tochter mit einem von dieser verfluchten Sippe verheiratete. Lieber würde ich dich Barney dem Kesselflicker geben, der durch das Land streunt und Hühner stiehlt, als einem Sohn von Denis Boyle. Einem Mann, der einen gewissenlosen, von allen Bischöfen des Landes verurteilten Schurken unterstützt. Sag das dem jungen Burschen, wenn du ihm das nächste Mal begegnest. Und sorg dafür, dass diese Begegnung bald stattfindet und dass es eure letzte ist.«

Die Nachbarn im airnéal-Haus hatten keinen anderen Gesprächsstoff. Hier einige Bemerkungen, die fielen:

»Was geht das denn diese beiden an, verdammt noch mal?«

»Die haben es nicht besser verdient, als dass es so weit gekommen ist. Sie konnten abends ja nicht einfach irgendwo vorbeischauen wie wir anderen und über Cú Chulainn oder Conall Cearnach oder Oisín, den Sohn Oscars, reden. Nein, die müssen zum Lehrer gehen und sich von ihm die Zeitung vorlesen lassen. Gebildete Männer, ihr wisst schon. Bilden sich ein, eine Stufe höher zu stehen als wir anderen. Politik nennen sie das.«

»Uns kann es doch egal sein, wer das Land anführt und wer nicht oder ob überhaupt irgendwer es anführt. Uns kann es egal sein, ob das, was sie Home Rule nennen, kommt oder nicht kommt. Wir sitzen hier zwischen den Felsen und den Mooren der Rosses. Und da werden wir bleiben, solange irgendwer von unseren Sippen übrig ist.«

»Das junge Paar tut mir aber leid. Die wollten doch nächstes Jahr heiraten. Vor allem der junge Mann ist zu bedauern. Sein Vater kann ihm schließlich nichts mitgeben. Und bei Ned hätte er sich in ein nettes gemachtes Nestchen setzen können. Aber dann muss sein Idiot von Vater ihm alles ruinieren.«

Einige Abende später begab sich Romeo Boyle an einen Ort, den ihm ein Bote mitgeteilt hatte. Er setzte sich auf einen Felsen und schaute hinaus auf das graue Meer. Nach kurzer Zeit kam Julia Sweeney ebenfalls dorthin. Sie kam zu dem Felsen, auf dem er saß, und schaute ihn mit Tränen in den Augen an. Was würde sie sagen? Würde sie beiden Sippen einen Fluch auferlegen und sich bereit erklären, ihrem Romeo bis ans Ende der Welt zu folgen, komme, was wolle? Nein, das hatte sie nicht vor. Sie erklärte ihm schluchzend, dass sie sich für immer trennen müssten. Ihr Herz sei gebrochen, sagte sie. Aber daran ließe sich nichts ändern. »Wenn wir irgendwohin gehen könnten«, fügte sie endlich hinzu. Dagegen konnte Romeo natürlich nichts sagen. Er musste Abschied von ihr nehmen … Einige Monate darauf ging er nach Amerika.

Im folgenden Oktober kam an einem kalten, windigen Tag ein Schiff in Dún Laoghaire an (das damals Kingstown genannt wurde). Es dampfte langsam durch den Hafen und wurde schließlich am Kai vertäut. Bald darauf wurde ein schwarz verhüllter Sarg an Land getragen. Dort wurde er in einen Leichenwagen geladen und weggefahren. Zwei Tage darauf wurde dieser Sarg auf den Schultern von Männern nach Glasnevin getragen, während Tausende am Straßenrand standen. Harte Männer vergossen bittere Tränen, Frauen schluchzten. Und endlich zerriss ein Schrei aus von Herzen kommender Trauer die Luft, als der ungekrönte König Irlands zu seiner letzten Ruhestätte gesenkt wurde.

Er war dahingegangen und hatte das Land, das er so sehr geliebt und dem er so gedient hatte, führerlos zurückgelassen. Romeo Boyle und Julia Sweeney blieb nur die Erinnerung an einen verflogenen Traum. (Romeo, wie gesagt, war nach Amerika gegangen. Julia blieb zu Hause.)

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