Selbst der beste Plan

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V

Abermals sorgte Denis der Träumer in seinem Heimatort Rinamona für Gesprächsstoff. Eines Abends wurde bei Susie Fadawan über ihn geredet.

»Er war erst kürzlich hier«, sagte Susie, »und zwei geschlagene Stunden hat er über nichts anderes geredet als über Frauen. Ich wette, der heiratet noch vor der Fastenzeit.«

»Es ist aber ein bisschen spät für ihn, noch ans Heiraten zu denken«, sagte Barney Kilday. »Er ist einundfünfzig. Das ist sein genaues Alter. Er und ich wurden mit demselben Wasser getauft.«

»Ich hätte nicht gedacht, dass er jemals heiraten würde«, sagte Neil McGilligan. »Ich hätte gedacht, dass er bis ans Ende seiner Tage diesem Mädel aus Ballochmile nachtrauern würde – so hat er Rosie McCann aus Drumnacarta immer genannt.«

»Er hat ihr lange genug nachgetrauert«, sagte Andy Neddy. »Fünfundzwanzig Jahre. Als Rosie ihn abgewiesen hat, dachten wir, er würde an gebrochenem Herzen sterben.«

»Das tut niemand«, sagte Susie Fadawan. »Wie der arme Feldy McGulsachan, Gott hab ihn selig, immer gesagt hat, Menschen sterben und werden von Würmern gefressen, aber daran ist nicht die Liebe schuld … Der arme Denis! Er steckt jetzt in der Klemme. Wie einer, der den ganzen Tag schläft und bei Sonnenuntergang aufsteht, um Heu zu machen oder eine Wiese zu mähen. Warum um Himmels willen hat er nicht schon vor Jahren geheiratet? Seine Mutter, Gott hab sie selig, hat ihm den richtigen Rat gegeben. Sie hat ihm geraten, sofort zu heiraten, als dieses Flittchen aus Drumnacarta ihn nicht mehr wollte. Aber er hat nicht auf sie gehört. Ihm war die dichte schwarze Finsternis lieber als das, was er die billige Kerze seiner Mutter nannte. Und jetzt wird es ihm schwer genug fallen, auch nur einen Kienspan zu finden, von einer Kerze ganz zu schweigen.«

Maggie McGinty war eine alte Jungfer, die jegliche Hoffnung auf eine Heirat aufgegeben hatte. Böse Zungen behaupteten, dass kein Mann sie je gefragt habe. Das stimmte aber nicht. Einen Antrag hatte sie erhalten, von Billy McNellis aus Srathnabratogy. Sie hatte ihn abgewiesen, weil er ein Holzbein hatte.

Maggie wurde älter, und sie wurde übellaunig. Vielleicht bedauerte sie, Billy McNellis nicht genommen zu haben, Holzbein hin oder her. Sie lebte in ihrem alten Elternhaus, zusammen mit ihrem Bruder Hughie und dessen Familie. Vor seinem Tod hatte ihr Vater sein kleines Stück Land in zwei gleich große Stücke aufgeteilt. Falls Maggie doch noch heiratete, sollte alles an Hughie gehen, aber dann müsste er seiner Schwester als Mitgift einen angemessenen Preis für ihren Teil des Landes geben.

Aber zurück zu Denis dem Träumer. Mit einundfünfzig beschloss er, zu heiraten. Er dachte dabei an keine besondere Frau. Aber in einem Punkt stand sein Entschluss fest, und zwar wollte er eine junge.

Donal Vickey und Johnny Andy begleiteten ihn eines Abends, als er auf Brautschau ging. Sie brachen um kurz vor Mitternacht auf. Die Männer aus den Rosses zogen immer um diese Zeit zu ihrem Einsatz los, damit niemand ihnen begegnete oder sie sah. Es war eine weise Vorsichtsmaßnahme, denn immer bestand die Gefahr, sich eine Abfuhr zu holen.

Im ersten Haus, das sie aufsuchten, wurden sie abgewiesen. Im zweiten Haus wurden sie abgewiesen. Und im dritten.

»Wir haben kein Glück«, sagte Donal Vickey nach dem dritten Fehlschlag. »Wohin jetzt?«, fragte er Denis. »Fällt dir noch irgendein Mädchen ein?«

»Nein, mir nicht«, erwiderte Denis.

»Was ist mit Maggie McGinty?«, meinte Johnny Andy.

»Zu alt«, sagte Denis. »Viel zu alt.«

Sie versuchten es in drei weiteren Häusern und wurden in jedem davon abgewiesen.

»Es wird bald Morgen«, sagte Donal Vickey. »Die Hähne von Carrickfin krähen zum dritten Mal. Ich finde, in Gottes Namen, wir sollten den Heimweg antreten. Vielleicht haben wir morgen Abend mehr Glück. Denn es gibt etwas, das Glück heißt.«

»Nein«, sagte Denis. »Das würde jegliche Chance ruinieren, die ich vielleicht habe. Wir waren in zu vielen Häusern, um die Sache geheim halten zu können. Morgen wird sich die Nachricht, dass von sechs Mädchen keine mich heiraten wollte, wie ein Lauffeuer in den Rosses verbreiten. Und dann nimmt mich überhaupt keine mehr. In Gottes Namen, wir versuchen es weiter, bis das Tageslicht uns zwingt, die Jagd aufzugeben.«

»Es kann nicht mehr lange dauern bis zum Tageslicht«, sagte Donal Vickey.

»Was ist mit Maggie McGinty?«, fragte Johnny Andy ein zweites Mal.

Denis der Träumer schaute nach Osten. War das da über dem Errigal das erste schwache Schimmern der Morgenröte?

»Na gut«, sagte er.

Sie gingen zum Haus der McGintys und klopften an die Tür. Nach kurzem Zögern wurden sie eingelassen. Donal Vickey brachte ihr Begehr vor … Natürlich musste Maggie angehört werden. Sie stand auf und zog sich an und kletterte die Leiter herunter in die Küche.

Würde sie Denis Doherty heiraten? Sie sagte, das würde sie, und damit war der Fall erledigt. Als Nächstes musste über die Mitgift verhandelt werden.

»Dieser elende kleine Hof ist höchstens sechzig Pfund wert«, sagte Hughie McGinty. »Das heißt, ich gebe ihr dreißig Pfund.«

»Das reicht nicht«, sagte Donal Vickey. »Das reicht bei Weitem nicht. Du musst fair sein, Hughie. Du kannst, wen immer du willst, um eine Einschätzung bitten, und ich wette mit dir, sie werden das Land auf achtzig Pfund ansetzen, vom Haus gar nicht zu reden.«

»Den Teufel werd’ ich tun und mehr als dreißig Pfund blechen«, sagte Hughie McGinty.

»Na gut«, sagte Donal Vickey. »Ganz wie du willst. Dieser großartige Mann findet doch jederzeit eine Frau mit einer Mitgift von vierzig Pfund. Also gehen wir, Jungs.«

Maggie McGinty flüsterte ihrem Bruder etwas zu.

»Moment noch«, sagte Hughie. »Ich gebe ihr fünfunddreißig Pfund.«

»Das reicht nicht«, sagte Donal und machte einen Schritt auf die Tür zu.

»Ich gebe ihr fünfunddreißig Pfund und dazu ein feines fettes Schaf«, sagte Hughie.

»Komm schon«, sagte Donal. »Sei ein Mann. Gib ihr die vierzig.«

»Bei meiner Seele, das könnte ich nicht.«

»Na, damit wäre das geklärt. Darunter können wir es nicht tun. Dann gehen wir jetzt lieber, und ihr könnt euch wieder ins Bett legen.«

Die Verhandlungen schienen also gescheitert zu sein. Aber nun schaltete sich Johnny Andy ein (wie sie es geplant hatten).

»Hört mal zu, ihr zwei«, sagte er zu Donal Vickey und Hughie McGinty. »Was ist denn eigentlich los mit euch? Wollt ihr wirklich eine gute Partie für ein paar jämmerliche Pfund ruinieren? Nehmt euch zusammen und kommt euch auf halbem Weg entgegen. Teilt die Differenz. Das macht dann siebenunddreißig Pfund zehn.«

»Na gut«, sagte Donal Vickey. »Einverstanden. Als Mitgift ist das gar nicht schlecht – siebenunddreißig Pfund, zehn Shilling.«

»Aber das Schaf kriege ich doch hoffentlich trotzdem?«, fragte Denis der Träumer.

Manus MacAward, Raucher und Geschichtenerzähler
I

Es hieß oft, Manus MacAward sei der geborene Raucher. Ich weiß nicht, wie wahr das ist. Ich weiß nur, dass er mit sieben Jahren dabei erwischt wurde, wie er Torfmull rauchte. Seine Mutter glaubte, diese schlechte Angewohnheit aus ihm herausprügeln zu können. Sein Vater dagegen glaubte nicht, dass brutale Gewalt ihn heilen würde. Deshalb kaufte er dem Jungen eine Pfeife und gab ihm jede Woche eine angemessene Menge Tabak. Wir werden sehen, dass das Kraut den Jungen schon früh im Leben fest im Griff hatte und dass es, wenn er älter wäre und zu Verstand käme, ihm sehr schwerfallen würde, mit dieser Gewohnheit zu brechen.

Ob Manus die Lust zum Rauchen nun angeboren war oder nicht, können wir nicht mit Sicherheit wissen. Aber wir können fast sicher sein, dass er ein geborener Geschichtenerzähler war. Das hatte er von seinem Vater geerbt, denn Shamey MacAward erzählte seine Geschichten auf eine Weise, die eigentlich bereits ausgestorben war. Es gab Leute in den Rosses, die alte Geschichten aus der mündlichen Überlieferung wiederholen konnten – Geschichten über die Fianna oder den Roten Zweig –, aber Shamey MacAward hatte keine hohe Meinung von diesen literarischen Talenten.

»Das ist doch nur etwas, das sie auswendig gelernt haben«, sagte er oft. »Sie haben ein gutes Gedächtnis, das ist alles. Aber das nenne ich nicht Geschichtenerzählen. Hört euch doch mal die Besten von ihnen bei einem normalen Gespräch an. Wie sie von einem Thema zum anderen springen. Eine gute Geschichte darf kein einziges überflüssiges Wort enthalten. Sie muss von Anfang an auf das Ende hinweisen. Sie muss so aufhören, dass du dich daran erinnerst, und sie darf keine losen Enden haben. Nehmt zum Beispiel die Geschichten, die Michael Roe über Columcille erzählt hat. Die Geschichte über die Truhe, die Connla Ceard bei seinem Tod noch nicht vollendet hatte. Die Geschichte vom Versuch der Heiligen Irlands, Fergus von den Toten zu erwecken, damit er ihnen den Táin erzählen könnte. Die Geschichte des Druiden, dem in einer Vision die Hölle gezeigt wurde. Und vor allem … Oh, Meilen vor allem anderen – die Geschichte, wie Columcille beim Jüngsten Gericht um Gnade für die Menschen Irlands flehen wird. Schon als kleiner Junge war ich begeistert von Michael Roes Geschichten und davon, wie er sie erzählte.«

»Und dein Sohn kommt auf dich«, sagte dann seine Frau. »Mir ist schon aufgefallen, dass ihm meine ausschweifende Art nicht gefällt. Aber ist es denn nicht recht und billig, dass alle auf ihre eigene Weise sagen dürfen, was sie sagen wollen?«

 

»Natürlich.«

»Trotzdem warst du in den ersten Jahren unserer Ehe oft ungeduldig.«

»Es hat mir vielleicht leidgetan – den Kindern zuliebe –, dass du nicht gleich zur Sache kommen konntest. Aber ich habe niemals versucht, dich zu ändern. Das wäre unvernünftig gewesen. So unvernünftig, als wenn du mich bätest, mir eine Singstimme zuzulegen und so wie du Mal Dubh an Ghleanna zu singen.«

Aber der junge Manus war nicht so vernünftig wie sein Vater. Er war erst sechzehn, als er die Zeit für gekommen hielt, die Redegewohnheiten seiner Mutter zu reformieren. Ein Mädchen aus dem Nachbardorf wollte heiraten, und bei den MacAwards wurde über sie gesprochen.

»Sie ist sehr jung«, sagte der Hausherr. »Neunzehn Jahre alt, habe ich gehört.«

»Sie ist älter«, sagte seine Frau. »Ich weiß noch gut, wie sie geboren wurde. Ich war unterwegs zu Máire Wuiris, um zwei Wollkratzer zu holen, die ich ihr geliehen hatte. So war Máire nämlich. Wenn man ihr etwas lieh, brachte sie es nie zurück, man musste es sich holen. Na ja, ich brauchte die Kratzer jedenfalls. Ich wollte Wolle kratzen, um für dich oder einen der Jungen einen Pullover zu stricken, ich weiß nicht mehr, für wen. Auf dem Weg zu ihr begegnete mir Sorcha Roe, und sie erzählte mir, dass Nelly Hughdie am Vortag eine Tochter bekommen hatte. Das war zum Sommerjahrmarkt. Unsere Annie war damals fünf Wochen alt. Und damit sind die beiden jetzt genau einundzwanzig.«

»Mutter«, sagte der Junge, »hättest du uns nicht einfach erzählen können, dass sie fünf Wochen jünger ist als unsere Annie und damit einundzwanzig, und uns die ganze Geschichte über Máire Wuiris und die Kratzer und den Pullover ersparen?«

»Rede nicht so mit deiner Mutter«, sagte der Vater. »Und wenn du nicht aufhörst, bekommst du es mit mir zu tun. Deine Mutter kann die Geschichte genau so erzählen, wie sie will.«

»Lass ihn in Ruhe, Shamey«, sagte die Mutter. »Lass ihn in Ruhe. Es kommt der Tag, da wird er dafür bezahlen. Solche wie ihn kennen wir doch schon, noch und nöcher. Wenn es so weit ist, wird er eine Frau bekommen, die ihn zum Fußabtreter macht, und er wird nicht wagen, sie zu korrigieren. So bestraft nämlich das Leben. Also überlass ihn seinem Schicksal.«

II

Einige Wochen darauf wurde in Gartan ein sogenanntes Feis abgehalten, und der junge Manus MacAward beschloss, sich für den Wettstreit im Geschichtenerzählen zu bewerben. Er wurde abermals zum Liebling seiner Mutter. Sie vergaß alles, was er über ihre ausschweifende Erzählweise gesagt hatte. Sie betete für seinen Erfolg und erteilte ihm das, was sie für gute Ratschläge hielt.

»Du solltest zu Neddy More hinübergehen und dir von ihm erzählen lassen, wie Oisín von der Dame mit den goldenen Haaren ins Land der Ewigen Jugend gelockt wurde. Wenn du diese Geschichte lernst, bekommst du den Preis bestimmt. Sie war wie Musik in meinen Ohren.«

»Du kannst einige Male zu Neddy More hinübergehen, weil deine Mutter es dir geraten hat«, sagte Shamey MacAward am nächsten Tag, als er und sein Sohn im Moor Torf schichteten. »Aber achte nicht weiter auf ihn. Er taugt nichts. Ich habe ihn einige Male gehört. Er leiert nur Wortfolgen herunter, die er auswendig gelernt hat. Aber von einer Geschichte hat er keine Ahnung. Das wirst du selbst merken, wenn du ihm fünf Minuten zuhörst, wie er über etwas redet, das mit der Geschichte nichts zu tun hat. Erzähl deine Geschichte auf deine Weise. Wenn die Preisrichter irgendeine Ahnung haben, wirst du fast sicher gewinnen.«

»Aber Vater, wenn die Preisrichter nun finden, dass Neddy Mores Wortfolgen die beste Art von Geschichte sind?«

»Das könnte passieren, mein Sohn, die Gefahr ist sogar groß, dass es passieren wird. Die Kunst des Geschichtenerzählens ist tot oder fast tot. Die Preisrichter sind vermutlich zwei oder drei unwissende Schullehrer. Ein Gastwirt aus Kilmacrenan könnte auch dabei sein. Er wird den Preis unbedingt in seiner eigenen Gegend halten wollen. Er wird Angst haben, Kundschaft zu verlieren, wenn er einen Außenseiter die Lorbeeren davontragen lässt.«

»Aber wenn das so ist, wozu dann überhaupt ein Wettbewerb?«

»Deshalb, mein Sohn: Es ist besser, zu verlieren, als einer Bande von Gaunern nachzugeben, die Irisch hassen und die nur mitmachen, weil sie hoffen, etwas dabei herauszuholen – und sei es nur ihr Name in der Zeitung. Sag deiner Mutter kein Wort über das, was ich dir jetzt erzähle. Es könnte sie verletzen. Deine Mutter ist eine wunderbare Frau, eine hervorragende Frau. Sie hat ihre Begabungen, ihre großen Begabungen. Und wenn Geschichtenerzählen nicht dazu gehört, macht sie das nicht schlechter. Vergiss das nicht.«

Das Feis begann, einen Tag ehe Manus MacAward die Rosses mit dem Mittagszug verließ. Er hatte beschlossen, die Geschichte von Columcille und dem Jüngsten Gericht zu erzählen, da er sie immer wieder von seinem Vater gehört hatte. Nachdem er am frühen Nachmittag in Kilmacrenan eingetroffen war, hatte er noch Zeit, die historischen Stätten der Umgebung zu besuchen. Er bestieg den Rock of Doon, wo in den alten Zeiten Könige gekrönt worden waren und wo seine Vorfahren, die MacAwards, diese Geschehnisse in Versen festgehalten hatten. Er suchte die Steinplatte auf, auf der Columcille geboren worden war. Er besichtigte die Ruinen der alten Abtei, wo die Kinder den Heiligen als Erste die »Taube der Kirche« genannt hatten. Er bekam alle Inspiration, die er überhaupt bekommen konnte.

Am folgenden Tag trat er mit den anderen Bewerbern zum Wettbewerb an. Es gab nur einen Preisrichter – einen weißhaarigen alten Mann aus Templedouglas, der in seiner Jugend einige Jahre in einem Priesterseminar auf dem Kontinent verbracht hatte und der aus irgendeinem Grunde dann doch kein Geistlicher geworden war. Er lauschte den vielen Geschichten mit sichtlichem Interesse. Am Ende fällte er sein Urteil. Alle seien gut gewesen, sagte er. Bei sechs von ihnen wäre es ihm schwergefallen, sich für die beste zu entscheiden. Aber der siebte Bewerber – Manus MacAward aus den Rosses – besitze ein angeborenes Talent, das den anderen fehle. Er könne sich auf die Grundzüge einer Geschichte konzentrieren, bringe keine überflüssigen Abschweifungen hinein, benutze kein einziges überflüssiges Wort und ende mit einem Höhepunkt, der die Zuhörer verzaubere. Und da zögere er nicht, Manus den Preis zuzusprechen.

An diesem Abend kehrte Manus mit frohem Herzen nach Hause zurück. Seine Mutter umarmte ihn und küsste ihn zärtlich. Sein Vater sagte zwar nicht viel, freute sich aber ebenfalls. Er war froh darüber, dass sein Sohn einen Preis für das bekommen hatte, was seiner Ansicht nach echtes Geschichtenerzählen war.

III

Mit zwanzig verließ Manus MacAward seine Heimat und ging nach Amerika. Er nahm seine früheren Gewohnheiten und Interessen mit. Er war ein überzeugter Raucher, und seine Liebe zu Geschichten war unvermindert.

In Amerika entwickelte er beide Vorlieben weiter. Er probierte die besten Tabaksorten aus. Nachdem er festgestellt hatte, dass eine Pfeife bald bitter schmeckt, wenn man sie über einen längeren Zeitraum hinweg ununterbrochen benutzt, kaufte er sich eine zweite und dann eine dritte. Er vergrößerte seinen Fundus an Pfeifen, bis er sieben hatte – eine für jeden Tag der Woche. Und er wurde ein Fachmann in der Kunst, eine Pfeife langsam warm zu rauchen.

Dann kam ein neues Interesse am Geschichtenerzählen. Er wollte lesen. Aber er hatte noch nicht viel gelesen, als er feststellte, dass seine magere Volksschulbildung ihm keine Grundlage lieferte, auf der er sich den besten Geschichten in der englischen Sprache widmen könnte. Also besuchte er Abendkurse. Nach einer Weile erwachte sein Interesse an der amerikanischen Short Story, vor allem an den Werken von O. Henry. Später entdeckte er, dass er die besten Kurzgeschichten aus aller Welt in der Übersetzung lesen konnte – und die meisten sprachen ihn an, vor allem die französischen.

Wenn er nicht gerade Geschichten las und Rauchen zu einer schönen Kunst entwickelte, lernte Manus in Amerika noch etwas. Er fing an, sich für die Freiheit Irlands zu interessieren. Er las nun die Irish World und beschäftigte sich intensiv mit den Aktivitäten der verschiedenen irischen Organisationen in Amerika. Er besuchte Kundgebungen, bei denen Parnell, Devoy und O’Donovan Rossa sprachen. Einmal reiste er mehrere Hundert Meilen, um Tom Clarke zu sehen und zu hören.

Nach zehn Jahren in der Ferne kehrte er in die Rosses zurück, mit einer schönen Summe Geldes, einem Koffer voller Bücher und sieben Pfeifen.

Heimgekehrt, musste er sich dann eingestehen, dass er seiner Zeit voraus war und ihr zugleich hinterherhinkte. Im größeren Teil der Rosses war die Schönheit der irischen Sprache verschwunden, und die Menschen machten grauenhafte Versuche, sich auf Englisch auszudrücken. Sie irrten zwischen zwei Kulturen umher, da sie (durchaus aus stichhaltigen Gründen) die alte aufgegeben und noch keine Zeit gehabt hatten, sich die neue anzueignen. Was die Freiheit Irlands anging – die war den Menschen in den Rosses egal. Die war etwas, das sie nicht verstehen konnten.

Manus baute sich ein hübsches kleines Haus an einer der schönsten Stellen der Rosses. Er hatte seine Bücher und seine Pfeifen. Aber er war nicht glücklich. Er spürte, in den Worten der Genesis, dass es nicht gut für den Menschen sei, allein zu sein. Er würde sich also eine Frau suchen müssen.

Das hätte eigentlich nicht weiter schwierig sein dürfen, denn mehrere Mütter aus der Nachbarschaft hatten schon für eine ihrer Töchter ein Auge auf ihn geworfen. Aber Manus konnte nicht überredet oder beeinflusst werden. Er wollte seine eigene Wahl treffen, und zwar nach seinem eigenen Plan. Er war in keine verliebt, und das bedeutete für ihn einen großen Vorteil. Er würde ein Mädchen in die Waagschale legen, und wenn es seinen Ansprüchen nicht genügte, würde er zum nächsten weitergehen.

Die Erste, die er ins Auge fasste, war eine gewisse Mary McGee. Mary sah auch nicht schlecht aus, aber sie musste noch auf andere erforderliche Qualifikationen hin unter die Lupe genommen werden. Manus hörte ihr aufmerksam zu, als eines Abends etliche junge Leute in einem Haus in der Nachbarschaft zusammensaßen. Mary, der nicht klar war, was sie anrichtete, zeigte ihre fatale Schwäche. Sie redete sehr viel, und Manus dachte, sie sei in dieser Hinsicht womöglich noch schlimmer als seine Mutter.

Er ging zur Nächsten weiter – einem Mädchen namens Biddy McHugh. Biddy schmückte keine Geschichte mit vielen Abschweifungen aus. Aber sie hatte eine noch schlimmere Angewohnheit – eine ungeheuer irritierende Angewohnheit. Egal, wie spannend die Geschichte war, die gerade erzählt wurde, Biddy sprang auf ein Wort an und eröffnete dann mit einer Bemerkung dazu einen ganz neuen Strang. Der Hausherr erzählte, wie vor der Küste vor kurzer Zeit jemand um ein Haar ertrunken wäre und welche Rolle er selbst bei der Rettung gespielt hatte.

»Wir kamen gerade von Inishbeg und segelten so kurz vor dem Wind, wie überhaupt nur möglich, denn wir wollten schon mit der nächsten Kursänderung die Landzunge von Inishfree hinter uns bringen …«

»Ich frag mich ja, wie es Carry Villy auf Inishfree gefällt«, fiel Biddy ihm ins Wort. Und ihr Schicksal war besiegelt.

Bald sprach sich herum, dass Manus bei seiner zukünftigen Frau nach gewissen Eigenschaften Ausschau hielt. Und natürlich wurde über ihn geredet.

»Wie wäre es denn, wenn ein Mädchen einfach ganz stumm bliebe?«, schlug jemand vor.

»Das würde gar nichts helfen«, sagte Shoney Forker. »Sie muss reden und reden, so wie er damals vor langer Zeit an dem Tag geredet hat, an dem er beim Feis in Gartan den Preis bekommen hat.«

»Da wird er ganz schön lange suchen müssen«, sagte Billy Jack.

»Da wird er überhaupt nicht lange suchen müssen«, sagte eine alte Frau namens Shoogey Brennan. »Er legt sie jetzt in die Waagschale und wägt sie ab. Eines schönen Tages wird er einer begegnen, die ihn einfach umwirft, mitsamt seiner schönen Waage. Er wird festsitzen, ehe er begreift, wo er ist. So geht das nämlich. Gott hat uns Frauen diese Gabe geschenkt. Denn ohne sie wäre uns ein hartes Schicksal beschieden.«