Selbst der beste Plan

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II

Und endlich war es so weit. Die weiße Hand hielt ein Streichholz an das Pulver, und das Herz eines jungen Mannes brannte lichterloh.

Auf einer Hochzeit in Bunnamann begegnete Denis Rosie McCann aus Drumnacarta zum ersten Mal. Es war ein Fall von Liebe auf den ersten Blick. Sie tanzten mehrmals miteinander. Zwischen den Tänzen saßen sie nebeneinander und plauderten. Schließlich gingen sie frische Luft schnappen und spazierten zum See hinunter. Und was war das für eine Nacht! Der Mond in seiner ganzen Pracht und Majestät zog über einen wolkenlosen Himmel. Die Luft schien von Musik erfüllt zu sein. Die Feen waren offenbar aus den dunklen Schatten der Felsen hervorgekommen, um auf den Wiesen am Ufer des Loch Awillin zu tanzen … Denis schaute zu dem zaubrischen Mond empor. Er lauschte der Feenmusik. Er befand sich in einer verzauberten Welt. Das Drama, das er sich so oft vorgestellt hatte, wurde vor seinen Augen Wirklichkeit. Er fühlte sich versetzt ans Ufer des Sweet Afton oder auf die Braes of Ballochmile. Mit anderen Worten, er war vollkommen verschossen in Rosie McCann.

Nach diesem Abend trafen sie sich oft. Der Winter ging dahin und nach ihm der Frühling. An einem Sonntagabend im Frühsommer hielt Denis die Zeit für gekommen, um sich zu erklären … Rosie sagte, sie könne ihre Mutter in den nächsten beiden Jahren nicht verlassen. Aber sie deutete an, dass sie nach dieser Zeit durchaus bereit sein würde, ihn zu heiraten.

Zwei Jahre waren eine lange Zeit. Aber sie waren beide jung. Und Denis hatte das, was er für eine verbindliche Zusage hielt. Er konnte warten.

»Ich wünschte, es wäre morgen«, sagte er. »Aber ich werde diese beiden Jahre durchhalten. Ich würde zwanzig Jahre lang warten. Ich würde den Rest meines Lebens allein verbringen, wenn du nicht bereit wärst, mich zu heiraten.«

»Das wäre töricht.«

»Ach, Rosie! Du hast ja keine Ahnung, wie sehr ich dich liebe, sonst würdest du nicht so reden. Du glaubst doch wohl nicht, ich würde es so machen wie Condy Nanny.«

»Wer ist Condy Nanny? Und was hat er gemacht?«

»Ein Mann aus unserer Gegend. Er hat einem Mädchen einen Antrag gemacht. Sie lehnte ab. Da fragte er eine andere. Sie lehnte ebenfalls ab. Er hat sich sechs Körbe geholt, alle in der einen Nacht. Die Siebte hat Ja gesagt, und die hat er geheiratet.«

»Sechs Körbe«, sagte Rosie. »Das ist wirklich ein Rekord.«

»Ich glaube nicht, dass es vorher schon mal passiert ist«, sagte Denis, »oder dass es jemals wieder passieren wird. Den jungen Leuten von heute geht langsam ein Licht auf. Langsam, aber sicher.«

Rosie verstummte. Ein paar Minuten später sagte sie dann: »Aber, wenn ein Mann nicht das Mädchen haben kann, das er sich wünscht, dann weiß ich nicht, was er sonst tun soll, außer eine andere zu fragen – das heißt, wenn er überhaupt heiraten will. Zum Beispiel, was würdest du tun, wenn ich dich nicht heiraten wollte?«

»Ich habe dir doch schon gesagt, was ich tun würde«, erwiderte Denis. »Ich würde den Rest meines Lebens allein verbringen. Da bin ich mir absolut sicher. Etwas anderes könnte ich gar nicht. Wahre Liebe hat keine andere Bestimmung – kann keine andere Bestimmung haben. Keine andere Frau, Rosie, könnte deinen Platz in meinem Herzen einnehmen. Und eine Frau, die keinen Platz in meinem Herzen hat, kann auch keinen Platz an meinem Kamin haben.«

III

Denis schwebte auf Wolken. Immer wieder sprach er über das schöne Mädchen aus Drumnacarta, das er heiraten würde, und wie sehr sie einander liebten. Neben der Freude, die es ihm machte, über seine Romanze zu reden, wollte er möglichst viele der jungen Männer von Rinamona zum Evangelium von der Ehe bekehren, die auf Liebe beruht und nur auf Liebe. Seine Theorien waren beträchtlich verstärkt worden. Sein Traum war nun Wirklichkeit.

Er beschloss, mit Charles McGladdery anzufangen. Der war nicht gerade etwas fürs Auge, aber im Vergleich zu den anderen jungen Männern der Gegend war er wohlhabend. Ein Onkel aus Amerika hatte ihm eine Erbschaft hinterlassen. Mit einem Teil des Geldes ließ er sein altes Haus mit Schiefer decken, und er baute ein Zimmer an. Er hatte ein Pferd und zwei Kühe und einen Bullen. Der Pfarrbulle galt damals in den Rosses als Zeichen gesellschaftlicher Überlegenheit.

Obwohl er also nicht gerade ein schöner Mann war, wäre es Charles leichtgefallen, eine Frau zu finden. Jede Mutter in Rinamona, die eine heiratsfähige Tochter hatte, warf ihre Angel nach ihm aus.

Denis hätte aus Charles sehr gern einen ersten bekehrten Jünger gemacht. Charles war durch seinen Wohlstand mehr oder weniger ein König. Wenn er anführte, würden die restlichen jungen Männer folgen.

»Die Mädchen aus Drumnacarta sehen sehr gut aus«, sagte Denis eines Abends zu Charles. »Und sie sehen nicht nur gut aus, sie sind auch kultiviert. Sie sind ganz anders als die Mädchen hier unten.«

»Ich hab beim letzten Sommerjahrmarkt in Dungloe deine Freundin gesehen«, sagte Charles. »Die ist wirklich eine Schönheit.«

»Die sehen alle gut aus«, sagte Denis. »Und sie haben alle so feine Manieren.«

»Ich glaube, deine Freundin wird dir eine ziemlich gute Mitgift bringen«, sagte Charles.

»Das weiß ich nicht«, erwiderte Denis. »Ich habe nicht gefragt. Ich heirate sie aus Liebe. Sie heiratet mich aus Liebe. Geld hat damit überhaupt nichts zu tun.«

»Ich weiß«, sagte Charles. »Aber trotzdem, Geld ist nicht zu verachten. Und ich weiß genau, dass der Lange Shamey McCann einen Haufen Geld hat. Und Rosie ist die einzige Tochter … Aber du sagst, alle Mädchen da oben sehen gut aus?«

»Das tun sie, und das wissen sie«, antwortete Denis. »Jede Einzelne von ihnen weiß, dass ihr Gesicht ihr Vermögen ist, wie das alte Sprichwort behauptet. Jede von ihnen weiß, dass sie auch ohne einen Penny an Mitgift heiraten kann. Und wie schon gesagt, sie sind sanft und kultiviert. Am nächsten Samstagabend ist ein Tanz bei Conall More. Wenn du mitkommst, kann ich dir mindestens ein halbes Dutzend feine Mädchen vorstellen.«

Am folgenden Samstagabend gingen die beiden jungen Männer zu diesem Tanz in Drumnacarta. Sie wurden herzlich willkommen geheißen und unterhielten sich prächtig.

Sie wiederholten diesen Besuch noch oft.

»Na«, fragte Denis eines Nachts auf dem Heimweg, »hast du dich schon entschieden?«

»Nein, hab ich nicht«, erwiderte Charles. »Das sind alles nette Mädchen. Doch ich kann unter ihnen nicht die eine finden, die ich gern heiraten würde.«

»Du bist eben in keine von ihnen verliebt«, sagte Denis. »Aber das kommt schon noch. Und es könnte kommen, wenn du am wenigsten damit rechnest. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel. So war das bei mir an dem Abend auf der Hochzeit in Bunnamann. Aber du musst dein Herz darauf vorbereiten, so wie ich es gemacht hatte. Du musst jeglichen Gedanken an Geld aus deinen Überlegungen verbannen. Du musst an die Liebe glauben. Dann wird sie kommen. Da kannst du ganz sicher sein, sie wird kommen. Denn sie ist ein Geschenk des Himmels.«

Eines Abends im folgenden Winter saßen einige junge Männer – auch Denis Doherty war dabei – in der Kneipe von Shewan Aleck. Irgendwer erwähnte Charles McGladdery. »Ich habe schon mehrmals gehört, dass er noch vor der Fastenzeit heiraten wird«, sagte ein anderer.

»Nicht vor der nächsten Fastenzeit, so wie ich ihn kenne«, sagte Denis. »Und ich glaube schon, dass ich das tue. Unser Charles hat es durchaus nicht eilig. Er will ganz sicher sein, dass es ihm und dem Mädchen wirklich ernst ist, ehe er sich erklärt.«

»Es gibt gar keinen Grund, warum er warten oder auch nur ein bisschen zögern sollte«, sagte Shewan Aleck, die Wirtin. »Er hat alle Trümpfe in der Hand. Die eingeschworenen Tricks, wie die alten Spieler immer gesagt haben. Es kann gar nicht schiefgehen. Er hat ein schönes Stück Land und ein gutes Haus. Er hat ein Pferd und zwei Kühe und einen Bullen. Er hat bei den Mädchen hier in der Pfarre die freie Auswahl.«

»Nicht in der ganzen Pfarre«, sagte Denis. »Höchstens in der Gegend von Rinamona. Es gibt hier in der Pfarre Mädchen, die ihn nicht wegen Haus und Land und Vieh heiraten würden.«

»Oder erst, wenn sie gefragt werden«, sagte Shewan.

»Also wirklich«, sagte Denis. »Ich bin der Letzte auf der Welt, der etwas gegen Charles McGladdery sagen oder ihn in irgendeiner Hinsicht heruntermachen würde, er ist mein bester Freund. Was ich sagen wollte, ist Folgendes: Es gibt Mädchen in der Pfarre, die ihn nicht um allen Reichtum auf der Welt heiraten würden, wenn sie ihn nicht lieben.«

»Das ist doch Unsinn«, sagte Shewan.

»Wenn du gestattest, meine Gute, das ist kein Unsinn«, widersprach Denis. »Es hat Zeiten gegeben, als eine Ehe zwischen einem Stück Land und ein paar Pfund abgemacht wurde. Wir haben hier Generationen hindurch in Finsternis gelebt, weil wir keine Bildung besaßen. Aber den Menschen geht nun langsam ein Licht auf. Der Tag ist nicht mehr fern, wenn Liebe, und nur Liebe, Männer und Frauen bei der Wahl ihrer Lebensgefährten leiten wird.«

»Das sind große Worte«, sagte Shewan Aleck. »Aber ich möchte mal die junge Frau sehen, die einem Haus wie dem, das Charles McGladdery ihr anbieten kann, den Rücken kehren und sich für die Landstraße und die Büsche am Straßenrand als Nachtlager entscheiden würde.«

»Ich kenne eine Frau, die das tun würde«, sagte Denis. »Ein Mädchen, das den reichsten Mann des Landes abweisen und den Mann heiraten würde, den sie liebt, und wenn er nicht einen Penny hätte. Wann werdet ihr ansonsten guten Christenmenschen endlich begreifen, dass Ehen von der richtigen Sorte im Himmel geschlossen werden und dass solche Ehen auf Liebe aufgebaut sind?«

 

IV

Es war ein schöner, frostkalter Morgen mitten im Winter. Denis der Träumer war soeben aufgestanden und schnürte sich beim Kamin die Stiefel, als Condy Nanny hereinkam.

»Stehst du jetzt erst auf?«, fragte Condy. »Du bist mir ja einer – liegst den halben Morgen im Bett. Du bist nicht halb so gut wie Charles McGladdery.«

»Wieso, was hat Charles denn Großes getan?«, fragte Denis.

»Das Größte, was ein Mann tun kann«, antwortete Condy. »Hat sich fürs Leben festgelegt. Er wird morgen oder übermorgen heiraten. Gestern Abend hatten sie den Dáil. Jede Menge zu trinken gab’s auch.«

»Glaub doch dieses Ammenmärchen nicht«, sagte Denis. »Kein Wort davon ist wahr. Charles McGladdery und ich sind Kumpels. Wir haben keine Geheimnisse voreinander. Wenn er heiraten wollte, wäre ich der Erste, dem er das erzählen würde. Da hat dir irgendwer einen Bären aufgebunden.«

»In dem Fall«, sagte Condy, »war Charles selbst der Binder. Und ich hoffe nur, dass er das noch oft tut. Als ich auf dem Weg hierher bei ihm vorbeikomme, tritt er doch einfach so aus der Tür und schenkt mir zwei schöne Glas Whiskey ein. Und dabei kann man wirklich von Whiskey reden. Die Sorte, bei der du das Gefühl hast, auf Wolken zu gehen. Und zwei große Glas voll! Aber der kann sich das ja auch leisten, Geld hat er schließlich genug.«

Denis ärgerte sich ein bisschen über diese Nachricht. Charles McGladdery und er waren dicke Freunde gewesen. Wieso hatte Charles seinem besten Kumpel seine Heiratspläne verschwiegen? … Es konnte nur eine Erklärung geben: Charles würde ein Mädchen aus seinem eigenen Dorf heiraten. Er heiratete auf die alte Weise. Ein anrüchiger Handel zwischen einem Stück Land und ein paar Pfund. Und dann wäre Denis mit seinem ersten Versuch, Romantik in die Rosses zu bringen, kläglich gescheitert. Aber er würde die Hoffnung nicht aufgeben.

»Wen heiratet er denn?«, fragte er endlich.

»Ein Mädchen aus Drumnacarta«, erwiderte Condy Nanny. »Rosie McCann heißt sie. Eine Tochter des Langen Shamey McCann. Du kennst doch das Haus. Das letzte rechts vor der Brücke. Ehe du auf die Straße nach Meenbannad abbiegst. Ich kenne Shamey McCann: Ich hab ihm vor ein paar Jahren auf Jacks Markt eine Kuh verkauft, und er ist ein verdammt harter Geschäftsmann. Die Tochter kenne ich nicht, aber sie soll eine Schönheit sein. Der Lange Shamey schwimmt im Geld. Da wird er seiner Tochter ja wohl eine nette Mitgift geben.«

Denis sprang auf und taumelte aus dem Haus. Er musste sich an die Mauer lehnen, um sich auf den Beinen halten zu können. Was war ihm da für eine schreckliche Geschichte erzählt worden? Konnte das überhaupt wahr sein? Nein, das konnte es nicht. Condy Nanny hatte alles falsch verstanden. Es konnte nicht Rosie McCann sein. Hatte Rosie nicht versprochen, ihn zu heiraten? Hatte sie nicht immer wieder erklärt, sie liebe ihn von ganzem Herzen, bis an ihr Lebensende? … Nein, es konnte nicht wahr sein!

Und doch machte es ihm zu schaffen.

Condy Nanny kam hinter ihm her aus dem Haus.

»Weshalb ich gekommen bin«, sagte er zu Denis, »ist, dass ich dich fragen wollte, ob du mit rauskommen und mir kurz beim Dachdecken helfen kannst. Eine Stelle im Dach ist undicht. Es tropft mitten über dem Kamin. Sonst würde ich ja bis zum Frühling warten. Und Gott weiß, wann wir den nächsten trockenen Tag haben werden. Der Tag heute ist einfach wunderbar. Der weiße Frost ist aber nie von Dauer. Außerdem habe ich heute Morgen am Horizont eine Windhose gesehen. Die kündigt mit Sicherheit einen Sturm an. Deshalb möchte ich das Dach lieber heute flicken.«

»Mill kann dir beim Dachdecken helfen«, brachte Denis mit Mühe heraus. »Ich muss nach Dungloe.«

Denis machte sich auf den Weg zu Rosie McCanns Haus in Drumnacarta. Er wollte zu Rosie gehen und aus ihrem eigenen Mund hören, dass es sich bei dieser entsetzlichen Nachricht um eine Lüge handelte. Nur das würde sein armes, zitterndes Herz zur Ruhe bringen. Immer wieder stellte er sich vor, dass Condy Nanny es ungeheuer komisch fand, ihm diese grauenhafte Geschichte zu erzählen. Condy Nanny, dieser elende Kerl, der erst heiraten konnte, nachdem er sich sechs Körbe geholt hatte! Der hatte bestimmt kein Mitleid mit jemandem, der sich wegen einer unglücklichen Liebe herumquälte!

Denis setzte seinen Weg fort … Was würde Rosie zu ihm sagen, wenn er aus einem solchen Grund zu ihr kam? Würde sie sagen, er sei doch verrückt, eine dermaßen offensichtliche Lüge zu glauben? Würde sie es ihm übel nehmen, so dumm zu sein, dass ein Trottel wie Condy Nanny ihn an der Nase herumführen konnte? Würde sie ihn als Idioten bezeichnen? … Dennoch musste er sie sehen. Er konnte die Unsicherheit nicht ertragen. Diese furchtbare Vorstellung brannte sich in sein Gehirn ein … Er ging den schmalen Weg zu Shamey McCanns Haus hoch und trat ein.

Shamey und seine Frau hießen ihn herzlich willkommen, doch Rosie war nicht zu sehen. Shamey war ziemlich angetrunken. Er füllte ein Glas mit Whiskey und reichte es Denis.

»Trink das«, sagte Shamey McCann. »Und trink schnell, damit ich es dir immer wieder füllen kann. Ja, und zehn Mal, wenn du so viel verträgst. Denn du hast es verdient, das hast du wirklich. Wir müssen dir in alle Ewigkeit dankbar sein, weil du Glück in unsere Familie gebracht hast. Unsere Tochter heiratet einen Mann aus deiner Gegend. Charles McGladdery, die beste Partie vom Ford of Gweedore bis zum Ford of Gweebarra. Er schwimmt im Geld. Das ist kein Gerücht, ich habe sein Sparbuch gesehen. Den Rest weißt du selbst. Haus und Land, ein Pferd, zwei Kühe und einen Bullen. Unsere Rosie wird keinen Tag der Not erleben. Und dafür kann sie sich bei dir bedanken. Denn du hast sie und Charles McGladdery zusammengeführt.«

Denis brachte mit Mühe heraus, dass er keinen Alkohol trank. Dann saß er eine Weile da und versuchte, etwas zu sagen. Zwischendurch sah er einen vagen Hoffnungsschimmer: Rosie war noch nicht verheiratet. Wenn er sie nur sehen und mit ihr sprechen könnte! Konnte sie es denn wirklich übers Herz bringen, ihr Versprechen, das sie ihm gegeben hatte, zu brechen?

Er erhob sich, um zu gehen. Er machte einige Schritte zur Tür hin. Dann blieb er stehen.

»Ist Rosie zu Hause?«, fragte er.

»Nein«, erwiderte die Mutter. »Sie ist heute Morgen nach Dungloe gegangen. Die beiden heiraten morgen. Und wir haben alle Hände voll zu tun. Sie hat uns keine Zeit für die Hochzeitsvorbereitungen gelassen. Die jungen Leute heute sind nicht mehr so wie wir damals, als wir geheiratet haben. Sie behalten alles für sich. Und dann überraschen sie dich damit. Aber jedenfalls, sie bekommt einen guten Mann, und das ist die Hauptsache. Und, wie Shamey gesagt hat, dafür kann sie sich bei dir bedanken.«

»Ich nehme dir das übel«, sagte der Lange Shamey, als Denis gehen wollte. »Ich nehme es dir absolut übel, dass du nicht auf die Gesundheit des jungen Paares trinken willst. Ich weiß, du hast ein Gelübde getan. Aber egal, wie viele Gelübde jemand getan hat, in einem solchen Augenblick dürfte er ein Gläschen nicht ablehnen. Das haben die Leute früher doch immer gesagt: Zwei heilige Anlässe – eine Hochzeit und eine Taufe.«

Denis zog los. Er würde nach Dungloe gehen. Er würde Rosie treffen … Sie nur ein Mal sehen! Nur ein Wort zu ihr sagen! Sie an ihr Versprechen erinnern! … Er ging die Straße entlang, dann durch das Moor von Croghyweal. Das war der Weg, auf dem Rosie nach Hause kommen würde. Dann fiel ihm ein, dass er sie am sichersten treffen würde, wenn er an einer bestimmten Stelle wartete – und dass er sie verpassen könnte, wenn er ins Dorf ging. Er blieb stundenlang auf seinem Posten. Es wurde ein kalter Abend. Ein Regenschauer zog sich oben über dem Errigal zusammen … Frauen kamen die Straße entlang, auf dem Heimweg aus den Läden im Dorf. Aber nicht die Frau, auf die Denis wartete. Endlich, als die Dämmerung einsetzte, lief er ins Dorf. Er ging von einem Laden zum anderen. Aber Rosie McCann war nirgends zu finden.

Er ging wieder nach Hause. In dieser Nacht lag er stundenlang wach. Als er endlich einschlief, hatte er entsetzliche Träume. In einem fiel Rosie von einer Klippe ins Meer. Sie ertrank vor seinen Augen, während er mit Stahlreifen an einen Felsbrocken gefesselt war und weder Hand noch Fuß bewegen konnte, um sie zu retten. Später sah er, wie sie von einer Piratenbande auf ein schwarzes Schiff verschleppt wurde. Er stand hilflos an der düsteren, einsamen Küste, bis das Schiff vom Nebel am Horizont verschlungen wurde.

Am folgenden Tag war Denis erschüttert, bestürzt und sprachlos. Nur nach und nach begriff er wirklich, dass seine Liebste ihn für alle Ewigkeit verlassen hatte … Er musste mit jemandem darüber sprechen, wenn er nicht den Verstand verlieren wollte. Und er suchte das Mitgefühl einer anderen Frau – der Frau, die, seit er ein kleines Kind gewesen war, versucht hatte, noch seinen kleinsten Kummer und Schmerz zu lindern.

»Nimm dir das nicht zu sehr zu Herzen, mein Kind«, sagte seine Mutter. »Ohne Rosie McCann bist du besser dran. Ihr Herz ist falsch, und das hat sie jetzt bewiesen. Das Beste – das Einzige –, was du tun kannst, ist, sofort zu heiraten. Such dir ein nettes, liebes Mädchen aus deinem eigenen Dorf. Ein Mädchen, das wir kennen und dessen Familie seit Generationen hier im Dorf bekannt ist. Es war sehr unklug von dir, mein Junge, überhaupt davon zu träumen, dass du eine Fremde heiraten könntest. Die Leute früher haben das doch schon immer gesagt: die Person, die du heiratest, von deiner Türschwelle, die Taufpaten weit weg von zu Hause. Drüben in Pullanleen wüsste ich ein nettes Mädchen – Sally McHugh. Sie ist wirklich in jeder Beziehung ein gutes Kind. Viel besser als alle Mädchen aus Drumnacarta zusammen. Wirklich.«

»Nein, Mutter«, sagte Denis. »Nie im Leben könnte ich eine andere heiraten.«

Das Mitgefühl seiner Mutter war ihm Trost. Es brachte einem verwundeten Herzen ein wenig Erleichterung. Aber Denis dachte nicht im Traum daran, eine andere zu heiraten. Seine Mutter meinte es gut, das wusste er. Aber sie gehörte einer Generation an, die die Liebe nicht so verstand, wie sie nun in einem aufgeklärteren Zeitalter verstanden wurde. »Nein, Mutter«, sagte er noch einmal. »Nie im Leben könnte ich eine andere heiraten. Nie, nie, nie.« Mehr sagte er seiner Mutter nicht. Es war alles, was er sagen konnte, ihr und allen anderen. Sein Herz war so von Trauer überladen, dass seine Zunge sie nicht zum Ausdruck bringen konnte. Doch nach einigen Monaten, als er sich von dem ersten Schock ein wenig erholt und etwas von seiner früheren Beredsamkeit zurückgewonnen hatte, erklärte er einem jungen Mann aus der Nachbarschaft seine Prinzipien von Liebe und Ehe. »Für Männer wie mich«, sagte er, »geht ein Stern auf, nur ein einziger Stern. Mein Stern ging auf und beleuchtete die ganze Welt für mich, für eine kurze Zeit und dann nicht mehr. Er ging unter, und ich wurde in Finsternis gestürzt. Meine arme Mutter dachte, ich könnte den Weg durchs Leben mit einer billigen Kerze finden. Aber diese Kerze wäre mein Tod gewesen. Die Finsternis ist mir tausendmal lieber. Die schwarze Finsternis, die vollständige Finsternis.«