Selbst der beste Plan

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III

Ungefähr eine Woche nach der Beerdigung besuchte Conall Ferry die Witwe. »Ich dachte, du fühlst dich vielleicht einsam«, sagte er. »Deshalb bin ich gekommen.«

Sawa brach in Tränen aus. »Ach, Conall, Conall«, schluchzte sie. »Wenn Mickey am Leben wäre, würde er sich so freuen, dich zu sehen. Denn er hat oft über dich gesprochen.«

»Das weiß ich«, sagte Conall. »Er wird mir sehr fehlen. Aber in diesem Jammertal müssen wir die Dinge so nehmen, wie sie kommen.«

»Du hast gut reden, Conall«, sagte Sawa. »Aber wenn du nur die schmerzliche Trauer fühlen könntest, die mein Herz zerreißt.« Und sie sah aus wie das Inbild des Elends.

»Weißt du«, sagte Conall, »was Pfarrer O’Donnell nach dem Tod meines armen Vaters zu meiner Mutter gesagt hat – der Herr erbarme sich der Toten! Er sagte, sie sollte aufhören zu weinen. Er sagte, das sei eine Beleidigung des Himmels und könnte sogar die dahingegangene Seele länger ins Fegefeuer bannen.«

»Das wusste ich nicht«, sagte Sawa. »Um nichts in der Welt würde ich etwas tun, das meinen über alles Geliebten auch nur eine Minute von seiner ewigen Glückseligkeit zurückhalten kann«, sagte Sawa. Und sie hörte auf zu weinen.

»Bete für ihn«, sagte Conall. »Das ist das Beste, was du tun kannst. Das Beste für ihn und für dich.«

»Wenn ich Geld hätte, würde ich einen Stein auf sein Grab setzen«, sagte Sawa.

»Er ist an einer hübschen Stelle beerdigt«, sagte Conall.

»Wenn das Grab ein bisschen hergerichtet würde. Weißt du, was ich im Sommer gern tun würde, wo ich mir schon keinen Grabstein leisten kann? Muschelsand und Strandsteine aus Dunmore holen und sie auf dem Grab verteilen.«

»Das würde ich jederzeit für dich erledigen«, sagte Conall. »Das ist das Mindeste, was man für einen Freund tun kann. Wir werden den Sand aus Dunmore holen, aber für die Steine müssen wir nach Illanala.«

Es war ein schöner Sommermorgen. Die Boote aus Kindoorin fuhren zum Fischen aus. Eine feine Segelbrise wehte von Südost her, und gerade hatten die Gezeiten gewechselt. Ein Boot segelte aus der Flussmündung, und zwei Menschen saßen darin – Conall und Sawa, unterwegs zu den Inseln, um Schmuck für Mickeys Grab zu holen. Jimmy Wards Boot folgte ihnen. Jimmys Boot hatte zwei Segel und einen Klüver und würde Conalls bald überholen.

»Ich wüsste ja gern, welches Boot das da vor uns ist«, sagte der Lange Jimmy.

»Das sieht aus wie das von Conall Ferry«, sagte Frank Harley. »Ja, das ist es. Und da sitzt Conall am Ruder.«

»Aber wer ist die Frau?«

»Die Witwe Sawa.«

Als sie sich Conalls Boot näherten, hörten sie auf zu reden. Als sie gleichauf kamen, sagte Jimmy: »Schöner Tag heute.«

»Stimmt«, sagte Conall, ohne sich umzusehen.

»Ein wunderschöner Morgen«, sagte Sawa. »Dem Ewigen Vater sei Dank für Seine vielen Gaben und Seine Gnade.«

Jimmys Boot fegte vorüber. Die Männer fingen wieder an zu reden: »Sawa sieht ja nicht mehr so richtig aus wie eine trauernde Witwe«, sagte einer.

»Ja, bei Gott, das tut sie wirklich nicht«, sagte ein anderer.

»Jetzt fahren sie zu den Inseln«, sagte der Große Donagh McGrenna, »um Muschelsand und kleine runde Steine für Mickeys Grab zu holen.«

»Meiner Seel, vielleicht erlebt ihr noch ein witziges Ende für das Schmücken von Mickeys Grab«, sagte der Schwarze Hughdie O’Donnell. »Die Welt ist schon komisch. Da sollte niemand sterben, solange er am Leben bleiben kann.«

»Sei nicht so grausam, Hughdie«, sagte der Lange Jimmy Ward.

»Ist doch so«, beharrte Hughdie.

»Könnte das denn möglich sein, so endlos, wie sie Mickey betrauert hat?«

»Das kam nicht aus dem Herzen. Gott möge mir verzeihen.«

»Aber bei der Totenwache hat sie deinen Augen wahre Tränenströme entlockt. Ich habe gesehen, wie sie dir über die Wangen gelaufen sind. Wie war das möglich, wenn du ihre Trauer nicht für echt gehalten hast?«

»Das kann ich dir sagen«, erwiderte Hughdie. »Vielleicht bin ich nicht ganz normal. Das wird mir ja oft gesagt. Aber wer mich zu Tränen gerührt hat, das war die alte Mutter. Sie hat geschluchzt und ochón gejammert. Mehr konnte sie nicht. Aber als Sawa dann anfing, dachte ich, dass sie der Trauer, die das Herz der alten Frau zerriss, Worte und eine Melodie gab.«

Conall und Sawa fuhren zu den Inseln und holten eine Ladung Muschelsand und Kieselsteine. Als sie auf der Rückfahrt Illanbo erreichten, vertäute Conall das Boot, und die beiden gingen an Land. Sie hatten Hunger und wollten etwas essen. Außerdem mussten sie auf die Flut warten, um ihre Heimfahrt fortsetzen zu können.

Conall machte ein Feuer. Er holte einen Topf voll Wasser aus einem Bach. Sawa bereitete den Tee zu. Und sie setzten sich zum Essen hin. Es war ein wunderschöner Abend. Das Meer war eine Flut aus geschmolzenem Gold, vom Weißen Strand bis zu den drei Felsen von Rossowen. Die fernen Berge auf dem Festland leuchteten in allerlei Farben, immer abwechselnd blassblau, bernsteingelb, lila und rosa.

»Ist es nicht ein schöner Abend«, sagte Conall.

»Dem Allmächtigen Vater sei Dank«, sagte Sawa. »Weißt du, was ich gerade denken musste? – Dass es schön wäre, auf dieser kleinen Insel zu leben.«

»Das allerdings, wenn das ganze Jahr lang Sommer wäre«, sagte Conall.

Bei Sonnenuntergang erreichten sie mit der Flut Kindoorin. »Wir werden das Boot über Nacht hier im Bach vertäuen«, sagte Conall. »Und so Gott will, wird uns die Flut morgen früh nach Moorloch bringen.«

Am nächsten Tag suchten sie den Friedhof auf. Conall verteilte den Sand auf Mickeys Grab. Er legte die kleinen weißen Steine an den Rand. Und in der Mitte machte er ein Kreuz aus kleinen Muscheln.

»Möge Gott dich belohnen und dir Gesundheit und Kraft geben«, sagte Sawa. »Da hast du wirklich großartige Arbeit geleistet. Es gefällt mir so gut. Ich habe noch nie gern ein vernachlässigtes Grab gesehen. Das sieht aus wie vergessene Erinnerung. Und es wird lange dauern, bis ich den armen Mickey vergesse. Wie meine Großmutter im Lied immer gesagt hat, die Meereswellen werden rot werden, und die Berge werden sich im Wind wiegen, ehe ich vergessen kann.«

Conall schwieg. Er stand da wie ein Künstler, der sein Meisterwerk betrachtet.

»Du hast sehr geschickte Hände und einen klugen Kopf«, sagte Sawa. »Das hättest nur du tun können. Und das Kreuz in der Mitte ist das Tüpfelchen auf dem i.«

»Das ist das schönste Grab auf dem Friedhof«, sagte der Künstler mit einem gewissen Stolz. »Aber ich muss ab und zu danach sehen. Der Winterwind wird den Sand wegwehen, trotzdem werde ich die Sache im Auge behalten.«

»Komm rein, dann mach ich dir einen Tee«, sagte Sawa, als sie auf dem Rückweg ihr Haus erreichten.

»Das ist doch nicht nötig«, sagte Conall.

»Nun komm schon rein, Mann«, sagte Sawa. »Nach all der Arbeit musst du ja völlig erschöpft sein. Ein Schluck Tee wird dich wieder zu Kräften bringen.«

Sie gingen hinein. Als sie mit dem Tee fertig waren, schob Conall die Hand in die Hosentasche, um seine Pfeife herauszuholen. Die war in zwei Stücke gebrochen.

»Ich muss nach Hause«, sagte er.

»Wieso hast du es so eilig?«

»Ich muss rauchen«, sagte er. »Das ist eine schlechte Gewohnheit, ich weiß. Aber so ist es eben. Wenn ich gegessen habe, muss ich sofort rauchen. Aber meine Pfeife ist zerbrochen. Schau her! Abgebrochen, gleich hinter dem Kopf. Das muss passiert sein, als ich die Schulter gegen das Boot gestemmt habe, um es ins Wasser zu schieben.«

Sawa griff in ein kleines Loch in der Wand neben dem Kamin und zog eine Pfeife heraus. »Diese Pfeife hat dem armen Mickey gehört, Gott hab ihn selig«, sagte sie. »Er würde sich darüber freuen, dass du sie rauchst … Ist doch nur eine Tonpfeife. Das alte Sprichwort hat ja so recht, der kleinste Gegenstand, der uns gehört, wird uns oft überleben.«

Der Winter kam, und mit dem Winter kam die Heringsfischerei. »Wenn ich ein Netz hätte, würde ich fischen gehen«, sagte Conall eines Abends zu der Witwe. »Mir ist ein Platz im Boot von Jimmy Ward zugesagt worden. Aber mein Netz taugt nichts mehr. Ich hatte es im vergangenen Winter in der Scheune zusammengelegt. Das Dach war undicht, und es ist vom Regen nass geworden und verfault.«

»Du könntest Mickeys Netz nehmen, Gott hab ihn selig«, sagte Sawa. »Wirklich, einmal habe ich gedacht, dass ich es niemals erlauben würde, dass ein anderer dieses Netz ins Wasser lässt. Aber die Zeiten werden härter. Und was soll eine arme Witwe machen? Ach, der grausame Tod!«

»Es hätte keinen Sinn, ein gutes Netz verkommen zu lassen«, sagte Conall. »Ich werde es morgen ausbreiten, und wenn irgendwelche Maschen gerissen sind, werde ich sie flicken.«

Am nächsten Tag breitete Conall das Netz aus. Er flickte die gerissenen Maschen und nähte es mit einigen Stichen am Zugseil fest, wo es sich gelockert hatte. Später fuhr er als einer von Jimmy Wards Mannschaft zum Heringsfang nach Inishfree.

Nach einer Woche Heringsfischerei hatte er zwei Pfund verdient. Ein Pfund stand Sawa zu – für das Netz. Am Samstagabend ging Conall zu ihr. Er setzte sich in die Ecke neben dem Kamin.

»Du hast bestimmt Hunger«, sagte Sawa und hängte den Kessel über das Feuer.

Nach dem Tee zog Conall die Tonpfeife aus der Tasche und zündete sie an. Er rauchte eine Weile schweigend. Dann zog er seinen Geldbeutel aus der Tasche und öffnete ihn. »Das ist dein Anteil«, sagte er und reichte Sawa eine Pfundnote.

»Möge dich der Allmächtige Vater vor allen Gefahren des Meeres beschützen«, sagte Sawa. »Das ist ein schöner Wochenlohn.«

 

»Nein, das ist es nicht«, sagte Conall. »Sie sind diesmal nicht in Küstennähe gekommen. Die Hauptschwärme blieben zu weit draußen. Die großen Boote von den Inseln haben den eigentlichen Fang gelandet. Kleine Boote wie unsere müssen in Ufernähe bleiben.«

»Vielleicht kommen sie nächste Woche dichter an die Küste heran«, sagte Sawa.

»Ich fürchte, nicht«, sagte Conall. »Bob Delap hat mir gesagt – und Bob kennt sich da schließlich aus –, er hat mir gesagt, wenn der erste Schwarm auf dem offenen Meer vorüberzieht, werden die anderen denselben Kurs einschlagen.«

»Gottes Wille geschehe«, sagte Sawa. »Jedenfalls ist es gut, immerhin so viel zu haben.«

Conall schaute in den geöffneten Geldbeutel, den er in der Hand hielt. »Armselig genug für eine ganze Woche Arbeit«, sagte er. »Nur zwei Pfund. Es lohnt sich kaum, das zu teilen. Vielleicht sollte ich dir diese Woche alles geben. Ich kann warten.«

»Das wirst du nicht tun«, sagte Sawa. »Du musst deinen Anteil behalten, den hast du dir durch schwere Arbeit verdient. In dieser Woche habe ich viele Male an dich gedacht. Oft, nachts im Bett, wenn ich vor dem Fenster den Wind heulen hörte, habe ich an dich gedacht. Ich habe mir dann vorgestellt, wie du auf den Wellen hin und her geworfen wirst, von der Nadel an der Landzunge bis zu den Felsen von Aran. Und ich habe oft für dich gebetet … Behalte dein Geld. Wenn ich in Schwierigkeiten gerate, kann ich dich immer noch bitten, mir einen Shilling oder zwei zu leihen. Und verlier nicht den Mut. Die dunkelste Stunde ist die gleich vor der Morgendämmerung. Vielleicht drängen sich die Heringe nächste Woche in den Bachmündungen – egal, was Bob Delap dir erzählt.«

IV

Wieder kam die Heiratszeit. Eines Abends saß Conall im Haus der Witwe neben dem Kamin. Niemand war dort, außer den beiden und Sawas kleinem Sohn.

»Conall, gib mir ’nen Penny«, sagte der Junge. »Ich will mir Bonbons kaufen.«

»Setz dich und benimm dich, Seánin«, sagte seine Mutter. »Setz dich, hab ich gesagt. Wo hab ich noch die Rute hingelegt? … Conall, gib ihm ja kein Geld für Bonbons. Mit Bonbons hat er sich schon die Zähne ruiniert. Erst neulich hat er mich stundenlang wach gehalten, weil er vor Zahnschmerzen geweint hat.«

»Conall, gib mir ’n Streichholz. Ich will im Dunkeln hinter der Kommode ein blaues Licht machen.«

»Seánin, was hab ich eben gesagt? Wenn du so weitermachst, hau ich dir den Hintern voll, das kannst du mir glauben. Und dann steck ich dich ins Bett. Du musst lernen, dich zu benehmen.«

»Conall, bist du mit Mama verwandt?«

»Seánin, komm her zu mir. Zieh dich aus und dann ins Bett mit dir. Ich werd’ dir schon Manieren beibringen. Zieh dich sofort aus.«

Bald schlief der Junge tief und fest. »Der Arme ist so müde wie ein Mann, der den ganzen Tag im Torfstich war«, sagte Sawa und schaute zum Bett hinüber. »Ist ja auch kein Wunder. Der ist den ganzen Tag auf den Beinen.«

»Er ist ein netter kleiner Bursche, Gott segne ihn«, sagte Conall.

»Aber er hat nur Unsinn im Sinn«, sagte die Mutter.

»Na, wenn er keinen Unsinn im Sinn hätte, wäre er ja gar kein richtiger Junge«, sagte Conall. »Er ist wirklich ein großartiger kleiner Bursche. Ich hab ihn sehr gern.«

»Und er hat dich sehr gern«, sagte Sawa. »Du solltest mal sein glückliches Gesicht sehen, wenn er deine Schritte vor der Tür hört. Und wenn du manchmal einen Abend nicht kommst, fragt er immer wieder: ›Mama, was ist denn heute mit Conall los?‹«

»Wird es hier dieses Jahr wohl überhaupt eine Hochzeit geben?«, fragte Sawa. »Nirgendwo auch nur ein Anzeichen zu sehen.«

»Sie haben Zeit genug«, sagte Conall und meinte damit, die Heiratssaison habe ja gerade erst begonnen.

»Das stimmt allerdings«, sagte Sawa. »Zeit genug in jeder Hinsicht. Die Ehe bringt ihren Kummer und ihre Sorgen – manchen Menschen wenigstens.«

»Trotzdem«, sagte Conall, »muss man sich wohl früher oder später ein Herz fassen. Es ist doch armselig, ganz allein zu sein, wenn das Alter kommt.«

»In diesem Winter müssten doch eine Menge Leute bereit sein, diesen Weg zu gehen«, sagte Sawa und nannte die Namen von fünf oder sechs jungen Männern.

»Sawa«, sagte Conall, »ich habe selbst auch schon daran gedacht, in diesem Winter zu heiraten.«

»Was du nicht sagst«, sagte Sawa. »Viele hier haben geglaubt, dass du niemals heiraten würdest. Ich selbst habe das auch gedacht. Ich weiß gar nicht, warum. So eine blöde Idee, die mir da in den Kopf gekommen ist. Eine blöde Idee, mehr nicht. Warum solltest du nicht heiraten, wenn du möchtest? Darf ich denn fragen, wer die Glückliche ist?«

»Ich finde es schwer, mich zu entscheiden«, sagte Conall. »Es ist so: Die Frau, die mich heiraten wollte, würde ich vielleicht nicht mögen. Und die Frau, die ich heiraten möchte, würde mich vielleicht nicht wollen.«

»Du musst es darauf ankommen lassen«, sagte Sawa. »So einfach ist das.«

»Du würdest nicht …«, sagte Conall, und dann unterbrach er sich. »Ach, nein, es wäre nicht fair, dich zu fragen.«

»Was wäre nicht fair?«, rief Sawa. »Jetzt mach schon. Raus damit. Was wolltest du sagen?«

»Ich weiß, es ist nicht fair, dich zu fragen, bei allem Kummer und allen Sorgen, die du hattest«, sagte Conall. »Aber ich habe überlegt, ob du mir einen guten Rat geben könntest. Ob du vielleicht ein Mädchen kennst, das mich nehmen würde.«

Sawa brauchte nicht lange zu überlegen. Ihre Antwort kam wie aus der Pistole geschossen. »Wie wäre es mit Hannah Mc-Gee?«, fragte sie. »Die ist nicht mehr die Jüngste, das weiß ich – zwei Jahre älter als ich. Aber du bist schließlich auch kein junger Spund mehr. Sie ist ein braves, sparsames Mädchen, und sie hat ein bisschen Geld. Da bin ich mir sicher. Wenn du willst, frage ich sie für dich, wann immer du möchtest.«

Conall lief rot an. Sein Mund war plötzlich wie ausgedörrt. Hannah McGee! Gerade die hatte er vor zwei Jahren schon gefragt, und sie hatte abgelehnt. »Nein«, sagte er mit zitternder Stimme. »Die mag ich nicht.«

»Na, dann eben eine andere«, sagte Sawa. »Davon gibt’s ja jede Menge auf der Welt, Gott sei Dank für Seine Großzügigkeit. Aber du darfst den Mut nicht verlieren. Und ich gebe dir einen guten Rat: Egal, welche Frau du fragst, lass sie ja nicht spüren, dass du dich vor einem Korb fürchtest. Tu so, als wärst du deiner Sache sicher. Die meisten Frauen schreiben dem Mann den Wert zu, den er sich selbst gibt … Aber vielleicht möchtest du den Antrag ja nicht selbst machen. In dem Fall würde ich deine Freiwerberin sein, wenn du willst. Und ich kann den Mund halten, vorher und nachher.«

»Das ist sehr lieb von dir«, sagte Conall, aber in seiner Stimme schwang eine gewisse Traurigkeit mit.

Sawa sah ihn an. »Conall«, sagte sie, »ich finde, es ist einfach meine Pflicht und Schuldigkeit, dir zu helfen, so gut ich kann.«

»Sawa«, sagte Conall, »erinnerst du dich an die alten Zeiten?«

»Das allerdings, Conall. Die guten alten Zeiten. Aber die sind für immer vorbei.«

»Sawa, ich habe dich einmal gebeten, mich zu heiraten.«

»Das ist lange her und vorbei, Conall.«

»Es ist noch nicht zu spät«, stammelte Conall. »Wenn du mich jetzt heiraten wolltest, Sawa. Du weißt doch, dass ich dich noch immer gernhabe.«

»Hat irgendwer gehört, was er da sagt?«, fragte Sawa, als ob sie mit einem Dritten spräche. Sie griff zur Zange und fing an, das Feuer aufzuschichten. »Geh mir aus dem Weg«, sagte sie zum Hund. »In meinem ganzen Leben hab ich noch nicht so einen Hund gesehen. Liegst hier nachts, mittags und morgens mit den Pfoten in der Asche. Aufstehen, du Faulpelz!«

Sie trat vor den Kamin und ließ sich auf ein Knie sinken, um Torf auf das Feuer zu legen. Conall berührte ihre Schulter mit einer Hand … Er zog ihren Kopf dichter an sich heran. »Sawa«, fragte er, »willst du mich jetzt heiraten?«

»Ach, großer Gott, lieber Conall, es wäre zu früh«, sagte Sawa. »Die Leute würden über mich reden. Ich würde lieber noch ein Jahr warten.«

Conall wusste, dass er gewonnen hatte. Die wichtige Angelegenheit war entschieden. Natürlich würde es kleinere Probleme geben (denn Manus Roe O’Donnell war inzwischen gestorben), aber mit denen würde er auch irgendwie fertigwerden.

»Niemand wird über dich reden«, sagte Conall. »Das könnten sie nicht, selbst wenn sie wollten. Du bist jetzt seit mehr als anderthalb Jahren Witwe. Ich hätte dich schon längst gebeten, mich zu heiraten – denn du hast mir so schrecklich leidgetan, so, wie du dich abrackern musst, um Männerarbeit zu tun und um Frauenarbeit zu tun. Ich hätte dich schon früher gefragt, aber ich wusste doch, dass du den armen Verstorbenen betrauertest. Denn er war wirklich ein wunderbarer Mann.«

»Ein wunderbarer Mann«, sagte Sawa. »Der wunderbarste Mann überhaupt in den Rosses, vom Ford of Gweedore bis zum Ford of Gweebarra.«

»Das war er«, sagte Conall. »Aber jetzt musst du dein eigenes Leben leben.«

»Ich muss mein eigenes Leben leben, bis ich in die Ewigkeit gerufen werde«, sagte Sawa. »Und ich muss mich Gottes heiligem Willen ergeben. Das müssen wir alle.«

»Welchen Tag sollen wir nehmen?«, fragte Conall.

»Ich weiß nicht«, sagte Sawa.

»Dann sagen wir doch, den nächsten Samstag«, sagte Conall. »Früher wäre es kaum möglich. Ich muss mir eine Hose besorgen, woher auch immer. Wenn ich sie jetzt schon hätte, würde ich morgen früh als Erstes zum Pfarrer gehen.«

»Ich frage mich«, sagte Sawa, »ob dir wohl Mickeys Hose passen würde – Gott hab ihn selig.«

Denis der Träumer
I

Es war nur ein Spitzname. Sein eigentlicher Name war Denis Doherty, aber ein boshafter Nachbar hatte ihn Denis den Träumer genannt. Und diesen Namen wurde er nicht wieder los.

In seiner Kindheit hatte es in seinem Geburtsort Rinamona keine Schule gegeben. Aber seine ehrgeizige Mutter hatte eine Möglichkeit gefunden, ihrem Sohn Bildung zu ermöglichen. Sie schickte ihn zur Schule von Pulcanny, obwohl das einen Fußweg von drei Meilen hin und drei Meilen zurück bedeutete. Er besuchte die Schule regelmäßig, bis er vierzehn war. Und am Ende dieser Zeit konnte er nicht nur lesen und schreiben, sondern begann auch, ein klares Interesse an Literatur zu zeigen.

»Ich bin Ihnen sehr dankbar, Meister«, sagte seine Mutter eines Tages zum Lehrer. »Sie haben gute Arbeit bei Denis geleistet. Was wird das für ein Vorteil für ihn sein, wenn er älter wird und auswandern muss, im Gegensatz zu den armen Jungen, die kein Wort Englisch sprechen und nicht einmal ihren Namen schreiben können.«

»Er ist ein aufgeweckter Junge, Mrs Doherty«, sagte der Lehrer. »Es war ein Vergnügen, ihn zu unterrichten. Und er lernt wirklich gern. Sie werden noch froh darüber sein, dass Sie ihn in die Schule geschickt haben. Die Schule hat ihm seinen Weg vorgezeichnet, wenn ich mich nicht irre.«

Mit achtzehn ging Denis nach Schottland. Er fand Arbeit in Glasgow. Er wollte lieber in der Stadt arbeiten, um in die Bücherei gehen zu können. Es kam auch vor, dass er sich ein Buch kaufte. Nach vier Jahren kehrte er mit einer stattlichen Literatursammlung nach Hause zurück, inklusive der Gedichte von Robert Burns. Er fing an, zu Hause zu lesen. Die Nachbarn sagten, die Bücher würden ihm noch den Kopf verdrehen. Denis achtete nicht auf diese Unkenrufe. Er las weiter. Und je mehr er las, umso weiter entfernte sich seine Weltsicht von den Traditionen und Überzeugungen seiner heimatlichen Rosses. Die Menschen hier hatten keine Ahnung von Liebe. Bei ihnen beruhte die Ehe auf finanziellen Erwägungen anstatt – wie es sein sollte – auf Liebe und nur auf Liebe.

Denis unternahm mehrere Versuche, die jungen Männer von Rinamona zu seinem Glauben zu bekehren. »Das ist einfach nicht richtig«, sagte er dann, »so, wie die Leute in den Rosses das Leben sehen. Sie haben keine Ahnung von Liebe. Ein Mann kommt ins heiratsfähige Alter. Er hat ein Stück Land. Er hält Ausschau nach einer passenden Frau. Er bezieht allerlei Dinge in seine Überlegungen ein. Kann das Mädchen stricken und Wolle kratzen und spinnen? Wird aus ihr eine sparsame Hausfrau? Welche Mitgift hat sie wohl zu erwarten? … Aber so kann man doch nicht heiraten!«

 

»Es scheint aber gut genug zu funktionieren«, sagte dann irgendjemand.

»Es ist wider die Natur«, entgegnete Denis. »Zwei Menschen sollten ineinander verliebt sein, ehe sie heiraten. Alles andere spielt keine Rolle.«

»Aber vielleicht haben die meisten ja doch ein paar kleine Gefühle füreinander.«

»Wie um Himmels willen sollte das möglich sein? Es kommt schließlich oft genug vor, dass sich ein Mann bei dem ersten Mädchen, das er fragt, einen Korb holt. Was macht er dann? Er geht sofort zur Nächsten und macht auch ihr einen Antrag. Ja, und dann einer Dritten und einer Vierten. Denkt doch mal an Condy Nanny von drüben. Er hat sechs Mädchen gefragt, und alle sechs haben abgelehnt. Erst beim siebten Versuch hat eine angebissen. Eine ganze lange Winternacht hat er mit diesem Versuch zugebracht. Im Morgengrauen hat er die gefragt, mit der er jetzt verheiratet ist, und sie hat ihn genommen. Wo waren da wohl die kleinen Gefühle? Kann einer von euch mir das sagen?«

Aber Denis konnte niemanden bekehren. Tradition stirbt in den Rosses nur langsam. Die jungen Leute hatten kein Zutrauen zu Denis’ Philosophie über Liebe und Ehe. Wenn Denis glaubte, was er da sagte, warum ging er nicht mit gutem Beispiel voran? Warum verliebte er sich nicht in ein Mädchen und heiratete sie, ohne zu fragen, ob sie einen Schuh am Fuß und ein Hemd am Leib hatte?

Sie schienen nicht zu begreifen, dass das hier etwas war, das ein Mann nicht vorher planen konnte. Es müsste durch einen Zufall geschehen oder durch das Schicksal oder wie immer man das nennen wollte. Denis war bereit, sich zu verlieben. Sein Herz glich einem Pulverfass. Es fehlte nur noch die weiße Hand einer holden Maid, um es zu entzünden.