Gantenbein und die Tote in der Dusche

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Gantenbein und die Tote in der Dusche
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Gantenbein

und die Tote in der Dusche

Dirk-Laker-Verlag

Dirk-Laker-Verlag

www.dilav.de

eBook-Ausgabe

Veröffentlicht im Dirk-Laker-Verlag

© Sanela Egli

Für alle. Und für niemanden.

Was auch immer Sie möchten.

1. Teil

1

Der Aufzug stoppt, und mit gesenktem Blick tritt Tina in das Foyer. Sie eilt hinaus, schnellen Schrittes lässt sie den beleuchteten Pool hinter sich, steigt die Stufen hinab und passiert die Unterführung, die direkt zum Meer führt. Sie legt das Badetuch auf den Boden und begibt sich in das Wasser.

Die Erfrischung in der Nacht tut gut. Sie legt den Kopf in den Nacken und blickt zum Firmament. Eine Sternschnuppe fliegt über ihr in die dunkle Weite des Himmels, und sie wünscht sich, endlich die Kraft zu haben, sich von Ben zu trennen.

Sie beginnt zu schwimmen. Rudert ihre Sorgen für einen Augenblick weg, während ihr Mann im Hotelzimmer seinen Rausch ausschläft. Wieder einmal. Mittlerweile ist es schon so was wie Tradition geworden.

Grazil bewegt sie sich im salzigen Nass. Jeden Muskel ihres Körpers angespannt, die Haare straff zu einem Dutt gebunden.

Nach wenigen Minuten stützt sie sich am Rand ab und hievt sich aus dem Wasser. Sie greift nach dem Badetuch, wickelt es um ihre Taille und schlüpft in die bereitgelegten Badelatschen. Dann schlurft sie in eine der Duschkabinen, die vor der Unterführung stehen; Duschcontainer trifft es wohl eher.

Sie sperrt die Tür zu und schält sich aus ihrem roten Bikini

Schritte.

Ist sie nicht die Einzige, die spätabends noch das Meer aufsuchte?

Ein Schlappen. Räuspern. Eine Dusche wird aufgedreht. Abgestellt.

Erneutes Schlappen.

Schaben an der Tür.

Maja will das Wasser laufen lassen, wartet aber ab.

Stille.

Ihre Hand fährt an den kalkverkrusteten Duschkopf, als sie wieder ein Schlappen vernimmt. Sie hält die Luft an.

„Hallo? Ist hier … je…“, Beklemmung erstickt ihre Stimme.

Klopfen an der Kabinentür.

Lautes Schnaufen.

„Hallo …? Wer ist denn da?“

Stille.

Stillschweigend zählt Maja auf zwanzig. Nichts tut sich mehr. Hat sie sich das nur eingebildet?

Entblößt macht sie vorsichtig die Tür einen Spalt auf. Ihre Hände zittern. Blick nach links, Blick nach rechts. Niemand zu sehen. Sie will die Tür wieder schließen, um endlich zu duschen, als eine Gestalt sich in ihr Sichtfeld schiebt. Noch bevor sie schreien kann, hat sie eine Hand auf dem Mund, die sich verdammt fest auf ihre Lippen presst. Dann zückt die Gestalt ein Messer.

Die ersten Stiche tun noch weh, doch die weiteren spürt Maja nicht mehr. Sie spürt nichts und sieht nichts mehr. Das Blut, das aus ihr sickert, bekommt sie nicht mehr mit. Der letzte Stich hat ihre Haut durchbohrt und steckt nun tief in ihrem Herzen.

Die Gestalt lässt das Messer in ihrer Brust stecken und bewegt sich entspannt vom Tatort weg.

2

Die braunhaarige Schönheit bewegte sich im Dreivierteltakt. Ihr weißes, prachtvolles Kleid mit Steinchen entlang des Dekolletés schimmerte im Sonnenlicht. Sie war wahrlich eine Schönheit. Das frisch vermählte Brautpaar tanzte verliebt, die Gäste lachten und klatschten. Die Musik verklang, und das Paar kam sich näher. Ein intimer Augenblick. Knisternde Stille durchflutete den Saal. Ihre Augenlider sanken, ihre Lippen näherten sich an.

Krächzend schreckte Frank Gantenbein jäh auf. Er räusperte sich, trank das Wasserglas, das vor ihm auf dem Tisch stand, leer und kippte anschließend das restliche Bier die Kehle herunter. Verdammt! Abgestanden. Aus dem Kühlschrank nahm er eine neue Dose, öffnete sie und stellte sie auf den Tisch.

Er rieb sich die Augen, blickte sich um und musste enttäuscht feststellen, dass es einmal mehr nur ein Traum gewesen war. Nichts weiter. Nur ein verdammter Traum. Er grämte sich und brauchte einen Moment, um sich zu fangen. Dann schaltete er den Fernseher aus, der die ganze Nacht gelaufen war, schälte sich aus der unbequemen Couch und reckte die Wirbelsäule durch. Ein Stöhnen entfloh seinem Mund. Schon wieder war er im Wohnzimmer eingeschlafen. Als er vor sechs Monaten der Schweiz den Rücken zugekehrt hatte, um in der Kvarner Bucht einen neuen Lebensabschnitt zu beginnen, hatte er nicht geahnt, wie schwer es würde, abzuschalten. Zu vergessen. Sein Sohn Daniel hatte ihn dazu ermutigt. Und nun war er hier. Im Land der tausend Inseln, im Land seiner Mutter. Als zweites Kind eines schweizerischen Vaters und einer kroatischen Mutter hatte er sein ganzes Leben in der Schweiz verbracht. Er war in die Fußstapfen seines Großvaters väterlicherseits getreten und hatte eine beachtliche Karriere bei der Kriminalpolizei Thurgau hingelegt. Über Monate hinweg hatte ihm Daniel geraten, einfach mal nichts zu tun. „Genieß doch endlich mal dein Leben“, hatte er gesagt. Aber nichts tun war so gar nicht Gantenbeins Ding. Er war kaum in Kroatien angekommen, hatte er sich bei verschiedenen Reiseführerunternehmen beworben. Ein deutsches hatte ihn sofort unter Vertrag genommen. So kam es, dass der achtundsechzigjährige Frank Gantenbein, Kriminalpolizist außer Dienst, graumeliertes, voluminöses Haar, für die Plattform Erlebnisreisen Restaurants, Hotels und Kulturelles testete und darüber Artikel verfasste. Er besuchte die entlegensten Flecken Kroatiens, wo die Natur noch unberührt war, fernab vom Touristenstrom, und verfasste darüber ein paar Zeilen. Er liebte diese Arbeit. Wenn ihn die Trauer wieder wie eine Welle erfasste, flüchtete er an unberührte Orte und tauchte so in eine andere Welt ein. In eine Welt, in der alles schön war. Sein Leben hatte wieder einen Sinn bekommen. Endlich. Er fuhr herum und tapste in die Küche. Setzte Wasser für den morgendlichen Kaffee auf und blickte zum Fenster hinaus. Es war offenbar noch sehr früh, draußen fing gerade erst der Morgen an, zu dämmern. Er blickte hinaus auf das Meer. Einzelne Lichter waren zu sehen, Fischer tuckerten auf ihren Booten langsam wieder zurück zum Festland. Er griff nach der Tasse, die noch von gestern im Waschtrog lag, spülte sie kurz aus, gab drei kleine Löffel Pulverkaffee hinein, goss heißes Wasser darüber und begab sich mit Kaffee und Bier auf die Terrasse. Er setzte sich auf seinen Platz, von dem aus er auf die Adria schauen konnte. Mittlerweile gab es keinen Morgen mehr, an dem er seinen Kaffee (und sein morgendliches Bier) nicht draußen zu sich nahm. Plötzlich fuhr ihm in den Sinn, dass er noch einen Artikel fertigstellen musste. Aus seinem Büro, eine Ecke im Wohnzimmer, das aus einem Tisch bestand, den man vor lauter Zettel und Staub kaum mehr sehen konnte, holte er den Laptop und fuhr ihn hoch, während er auf die Terrasse zurückkehrte. Er stellte ihn auf den Tisch und wartete. Heute brauchte das Ding ungewöhnlich lange. Von der Schnellstraße etwas weiter unten war die Sirene eines Krankenwagens zu hören. Er fuhr Richtung Rijeka, die nächstgelegene Stadt. Opatija selbst besaß nur ein kleines Dom zdravlja, ein Haus der Gesundheit. Eine Art Zwischenstation. In das Dom zdravlja kamen Patienten, die zu gesund für das überfüllte, städtische Krankenhaus waren und doch war die Institution mehr als nur das Sprechstundenzimmer beim Hausarzt. Ein Haus der Gesundheit gab es überall im Land, was einen noch größeren Ansturm auf die Hospitäler verhinderte.

Gantenbein schlürfte den Kaffee und wartete ungeduldig darauf, dass der Laptop endlich hochfuhr. Ein Schluck Bier nach dem anderen rutschte seine Kehle entlang, gleich hinterher der Kaffee. Nachdem er die Tasse leergetrunken hatte und sich auf dem Bildschirm immer noch nichts tat, drückte er willkürlich auf den Tasten herum, wohl wissend, dass es nichts brächte. Gnatzig eierte er in das Haus und holte sein Handy, kehrte auf die Terrasse zurück und sank seufzend in den Stuhl. Er tippte auf dem Display herum.

„Gantenbein“, meldete sich eine verschlafene Stimme.

„Daniel, ich bin's.“

„Papa? Was … ist etwas passiert?“

„Ja, das kannst du aber laut sagen. Du, ich glaube, mein Rechner ist abgestürzt. Da tut sich überhaupt nichts, ich kann ihn nicht einmal mehr hochfahren.“

Daniel schwieg einen Moment, Gantenbein vernahm nur ein verstimmtes Brummen.

„Das ist jetzt nicht wahr, oder? Weißt du eigentlich, wie viel Uhr wir haben? Gott, Papa! Es ist gerade mal zehn nach fünf. Der Kleine hat die ganze Nacht geschrien. Ich bin gerade erst ins Bett gekommen.“

Gantenbeins Sohn hatte einen Säugling zu Hause. Jahrelang hatten er und seine Frau Lea versucht, ein Baby zu bekommen. Und dann, als sie schon aufgegeben hatten, wurde sie schwanger.

„Entschuldige. Ich entschuldige mich. Aber kannst du mir jetzt bitte sagen, was ich machen kann? Das Ding arbeitet. Es gibt Geräusche von sich, aber fährt nicht vollends hoch.“

„Dann zieh den Stecker“, seufzte Daniel.

„Was für einen Stecker?“

„Was, was für einen Stecker? Papa, ich bin müde. Ich will schlafen. Den Stecker deines Computers, zieh ihn raus.“

„Junge, denkst du wirklich, dein alter Herr sitzt langweilig im Büro und arbeitet mit einem altmodischen Computer?“

Abermals ein verstimmtes Brummen. „Fass dich kurz, Papa.“

„Ich habe mir letzte Woche bei Damir einen Laptop gekauft. Zwar nicht mehr ganz neu, dafür schreibe ich jetzt wo ich will.“

„Okay, das freut mich für dich. Dann nimm jetzt den Akku raus.“

Der alte Gantenbein musterte das Ding eingehend. „Und wo finde ich diesen?“

„Auf der Unterseite. So. Und jetzt gute Nacht“, schalt Daniel.

Noch bevor Gantenbein seinem Sohn einen erholsamen Schlaf wünschen konnte, hatte dieser aufgelegt. Nur widerwillig klappte der Rentner den Deckel herunter und folgte der Anweisung seines Sohnes. Er drehte den Laptop und war erstaunt, auf der Unterseite tatsächlich einen Akku vorzufinden. Mit einem Klick löste er diesen aus der Halterung, und der Laptop stellte mit einem Surren ab. Er erwog, es noch einmal zu versuchen, warf aber die Idee über Bord. Jetzt brauchte er Milans Kaffee.

 

Er nahm den Laptop unter den Arm, das Handy schob er in die Jeanshose, die er noch von gestern anhatte, griff die Dose und die Tasse und kehrte ins Haus zurück. Den Laptop legte er auf den Bürotisch, Dose und Tasse in den Waschtrog. Vergangene Nacht war nicht die erste, die er in seinen Klamotten verbracht hatte. Mittlerweile war das fast schon so was wie Tradition.

Er ging ins Schlafzimmer, streifte sich ein weißes Shirt über und schlüpfte in die blauweißen Badelatschen, deren Nähte auf den Seiten bereits ausfransten. Seit er in Kroatien wohnte, zwängte er sich nur noch selten in geschlossene Schuhe.

Er schnappte den Autoschlüssel, der auf der Kommode lag, zog den Hausschlüssel aus dem Schloss und sperrte hinter sich zu. Auf dem Weg zu seinem Wagen kam ihm in den Sinn, dass heute Samstag war. Und Samstag war der erdenklich schlechteste Tag der Woche, um mit dem Auto in Opatija herumzufahren, denn von Mai bis September herrschte samstags das unbändige Chaos auf den Straßen. Schichtwechsel, nannten es die hiesigen Bewohner. Während auf der einen Straßenseite die Touristen den Heimweg antraten und aus Opatija herausfuhren, rollten auf der anderen Seite neue an, unter denen sich einige tummelten, die nicht wussten, wohin sie fahren sollten und mitten in der Straße umzudrehen versuchten, was nicht selten zu lauten Hupgeräuschen und wild gestikulierenden Autofahrern führte. Opatija war einer der ältesten Fremdenverkehrsorte Kroatiens und hatte sich bereits zu Kaisers Zeiten großer Beliebtheit erfreut. Nur hatte damals nicht das blanke Chaos die Straßen beherrscht. So entschied Gantenbein sich, den fahrbaren Untersatz stehen zu lassen und zum Kvarner Hotel zu spazieren. Es war ein gutes Stück zu Fuß, vorbei am Rathaus, an dem die kroatische Fahne stellvertretend für den Patriotismus und Stolz des Landes wehte. Ein Stück weiter nahm er die Treppe, die zum Lungomare führte. Er genoss es, morgens, wenn die Touristen noch in ihren Hotelzimmern schliefen, dem mit großen Steinen gepflasterten Weg entlang des Meeres zu folgen. Der Lungomare erstreckte sich über mehrere Kilometer. Früh am Morgen duftete die Luft frisch und ein bisschen salzig. Wenn der Sonnenball hoch am Horizont hing und die Luft über dem Meer waberte, roch es nach Touristenschweiß und Menschenmenge, was ihm immer wieder aufs Neue die Galle hochjagte.

Er passierte die Fischerboote, die mittlerweile zurückgekehrt waren und blieb für einen Augenblick stehen. Er stützte die Arme an der Brüstung ab und schaute zur Insel Cres, die vor ihm aus der Adria ragte. Die lang gezogene Insel lag vom Festland aus gesehen rechts von der Insel Krk, die über eine Brücke mit Rijeka verbunden war. Eines Tages würde er auf Cres gehen, das wollte er schon immer mal. Nur war er bislang nicht dazu gekommen. Für Erlebnisreisen konnte er sich das gut vorstellen. Eine bezahlte Reise, warum auch nicht. Vielleicht kommendes Jahr, mal schauen. Zunächst musste er endlich einmal den Artikel über Hum, die kleinste Stadt der Welt, schreiben. Vielleicht führe er heute Nachmittag mal hin. Oder Morgen. Er schlenderte weiter, zückte sein Handy und schrieb seinem Freund eine Nachricht. Kaffee. Das Restaurant des Kvarner Hotels hatte zwar noch geschlossen, aber Milan, Gantenbeins enger Freund, der als Kellner im Hotel arbeitete, ließ ihn immer hinein. So auch heute. Als Gantenbein an der Hintertür zweimal klopfte, sperrte Milan sie auf. Er hatte bereits den gewünschten Kaffee in der Hand.

„Hier“, sagte er, „extra stark. Wir müssen leise sein, Balić hat heute besonders schlechte Laune. Komm.“

Balić war Milans miesepetriger Chef.

Gantenbein nickte stumm, tat wie geheißen und folgte seinem Freund über die Außenanlage durch die Unterführung.

„Hör mal, Frank“, begann Milan leise, „ich kann das nicht mehr. Ich riskiere meinen Job, und das nur, damit du in Ruhe Kaffee trinken kannst. Das war jetzt das letzte Mal, dass ich dich reingelassen habe.“ Er machte kehrt und eilte zurück.

Unbeirrt setzte Gantenbein seinen Weg fort und kam auf der anderen Seite hinaus. Er setzte sich auf einen Liegestuhl, nahm einen Schluck Kaffee und stellte die Tasse auf den Boden. Er legte die Füße hoch und ließ sich in die Lehne sinken. Beseelt schaute er auf das Meer hinaus. Nicht mehr lange, dann würde es mit der Ruhe vorbei sein. Bereits in einer halben Stunde kämen die ersten Touristen mit ihren Badetüchern, die sie auf den Liegestühlen ausbreiteten, nur um anschließend zu frühstücken und erst drei Stunden später wiederzukommen. Einmal war Gantenbein über dieses Verhalten so sauer geworden, dass er, als die Touristen ins Hotel zurückgekehrt waren, deren Badetücher ins Meer gepfeffert hatte.

Hinter sich hörte er Schritte. Verdammt. Heute waren die Touris früher dran als sonst. Doch neben ihm erschienen keine rot gebrannten Urlauber, die ihre Farbe noch ein bisschen intensivieren wollten. Eine sportliche junge Frau mit kurzen, rot gefärbten Haaren hatte sich neben ihn geschoben. Piercing an der Unterlippe und am rechten Nasenflügel. Tunnel im Ohr. Mit einem Lächeln und einer nickenden Bewegung begrüßten sie sich. Die Frau legte ihr Tuch auf die Liege nebenan, zog ihr Kleid mit Totenkopfmotiven aus und tauchte mit einem Sprung ins Wasser. Gantenbein beobachtete sie, wie er seit dem Tod seiner geliebten Céline keine Frau mehr betrachtet hatte. Jäh brach ein beklemmendes Gefühl über ihn herein. Es war, als betröge er seine Frau, obschon sie seit zwei Jahren tot war. Es war der schlimmste Tag seines Lebens gewesen. Nur ein paar Tage vor seiner Pensionierung. Schlechtes Gewissen überkam ihn. Er senkte die Augenlider und fokussierte seine Gedanken auf Céline. Er und seine Frau waren im Bett gelegen und hatten Pläne für die Zeit nach seiner Pensionierung geschmiedet. Eine Bodenseerundfahrt hatten sie zuerst machen wollen. Er grämte sich über ihren Verlust.

Erst als er hörte, dass die junge Unbekannte sich aus dem Wasser hievte, öffnete er seine Augen wieder. Die Frau stand neben ihm und wickelte ihr Badetuch um ihren Körper, der fast schon ein Kunstwerk war, so viele Tattoos zierten ihn. Sie lächelte ihm zu, er erwiderte. Dann lauschte er ihren Schritten, die hinter ihm stetig leiser wurden. Die Frau schien angehalten zu haben, denn er hörte ihr Tapsen nicht mehr. Sie musste auf der Höhe der Duschkabinen sein. Ein angsterfüllter Schrei hallte jäh durch ihn hindurch. Ohrenbetäubend. Erschütternd.

Gantenbein schnellte hoch, fuhr herum und sah die Frau rückwärtsgehen, weg von der ersten Kabine.

3

Wurstig schälte Ivan Horvat sich aus dem Bett. Morgens aufzustehen zerrte tagtäglich an seinem Gemüt. Er war durch und durch eine Eule und konnte mit frühaufstehenden Lerchen nichts anfangen.

Lautes Mahlgeräusch ertönte aus der Küche. Seine Frau Vera war im Gegensatz zu ihm Frühaufsteherin. Geschirr klapperte. Offenbar war sie gerade dabei, den Tisch zu decken. Wie immer mit liebevoll gefalteten Servietten.

Beim Gedanken an seine Frau huschte ihm ein Lächeln über das Gesicht. Auch nach so vielen Ehejahren gab sie sich Mühe, ihn mit Kleinigkeiten zu beglücken, wie zum Beispiel einem Frühstück.

In T-Shirt und Unterhose schlappte er in die spartanisch eingerichtete Küche. Ein Kühlschrank, ein Gasherd, eine Spüle und die Rückseite des Kachelofens, deren großzügiges Fach häufig als Backofen diente. Sie küssten sich.

Der Inspektor bei der Kriminalpolizei in Rijeka setzte sich an seinen Platz. Der Stuhl am Fenster, das war seiner. Vera schenkte ihm Kaffee ein, und er griff nach einem Slanac, ein salziges Gebäck, auf das er im Leben nicht verzichten würde. Der Slanac war noch warm. Er ließ sich den warmen Teig auf der Zunge zergehen.

„Kannst du deine Haare nicht einmal vor dem Frühstück zusammenbinden?“, fuhr sie ihn an. „Ein einziges Mal. Mehr verlange ich nicht.“

Er wusste, dass sie es hasste, wenn er sich mit seinen offenen langen Haaren an den Tisch setzte. Überhaupt gab sie ihm immer wieder zu verstehen, dass sie seine Frisur nicht mochte. In den vergangenen Jahren hatte sie ihn immer wieder darauf angesprochen, was er allerdings geflissentlich überhörte.

Wortlos schob er seinen Stuhl zurück, erhob sich und tappte in das Badezimmer. Er öffnete den Spiegelschrank und griff in das kleine Körbchen, in das er gestern Abend sein Haargummi gelegt hatte, band seine Haare locker zu einem Zopf und kehrte an den Frühstückstisch zurück.

„Besser so?“

„Danke.“

Ihr durchbohrender Blick entging ihm nicht. „Du brauchst gar nicht so zu gucken, ich werde sie nicht abschneiden.“

„Aber Dragi, Liebster, du hast zwar lange Haare, ja, aber nicht mehr viele. Das ist das Problem. Du bist nicht Renegade.“

„Aber Draga, die wenigen, die noch übrig sind, möchte ich behalten und pflegen“, flötete es juxig zurück, und er schlürfte seinen Kaffee.

Während des Essens las Vera in einem Magazin den neusten Tratsch über das Privatleben der Promis. Er blätterte im Jutarnji List, der landesweiten Morgenzeitung, in der etwa so viel Sinnvolles geschrieben stand wie im Klatschmagazin seiner Frau. Horvat überflog die fettgedruckten Headlines und schaute sich die dazugehörigen Bilder an. Zwischendurch biss er vom Slanac ab, ohne seinen Blick von der Zeitung zu nehmen.

Nach der morgendlichen Pflichtlektüre trank er den indes kalt gewordenen schwarzen Kaffee fertig, stand auf und hauchte seiner Gattin einen Kuss auf den Kopf. Dann begab er sich ins Schlafzimmer zurück.

Als Inspektor hätte er sich gewiss eine schönere, modernere und größere Wohnung leisten können, wenn nicht sogar ein Haus. Aber er hing an der Altbauwohnung mit unebener Decke, orangefarbenen Kacheln im Bad und einer Küche ohne Spülmaschine. Er lebte schon seit vierunddreißig Jahren darin und hatte nicht vor, dem ein Ende zu setzen. Als er zwanzig war zog er mit seiner Vera in das Hochhaus. Dass er vom kleinen Balkon aus, auf dem knapp zwei Personen Platz hatten, auf den städtischen Friedhof auf der gegenüberliegenden Straßenseite schaute, hatte ihn damals genauso wenig gestört wie heute.

Er schälte sich aus dem Shirt und schlüpfte unter die Dusche, seifte seinen drahtigen Körper ein und stellte sich unter den Duschkopf, aus dem nur kaltes Wasser plätscherte. Nur mit kaltem Wasser konnte man richtig wach werden, war er der Überzeugung. Er zog den Vorhang zur Seite und sah seine Kleider auf dem Wäschekorb. Vera legte ihm jeden Morgen die Kleider bereit, während er unter der Dusche stand, und er liebte sie dafür. Danach putzte er die Zähne, glitt in die bereitgelegten Schuhe und streifte sich ein Sakko über; gab seiner Frau einen sanften Kuss auf den Mund und trat ins Treppenhaus.

***

Es war schon ziemlich spät, er musste sich ins Büro sputen. Mit einem Satz gelangte er in den überfüllten Stadtbus, der ein paar Haltestellen später wenige Meter vor dem Kommissariat stoppte. Er stieg aus, und die gleißende Hitze des Sommermorgens traf ihn wie eine Faust. Aus der Hosentasche zog er ein Stofftuch hervor und tupfte sich die dicken, klebrigen Schweißtropfen von der Stirn.

Aus dem Polizeigebäude stürmten Beamte heraus.

„Hey, was ist denn los?“

„Inspektor Horvat, gut, dass ich Sie antreffe. In Opatija ist eine Frau tot aufgefunden worden.“

„Und was hat die Mordkommission damit am Hut?“

„Nun, Inspektor, es wurde gesagt, der Fundort gleiche einem Schlachtfeld.“

Horvat brummte gnatzig. „In Ordnung. Ich komme gleich nach.“ Er passierte seinen Dienstwagen, der gleich neben dem Eingang geparkt war und trat ins Präsidium. Gestern hatte er seinen Ausweis auf dem Schreibtisch liegenlassen, den musste er im Dienst immer bei sich haben. Er suchte noch die Toilette auf, dann begab er sich nach Opatija.