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Handeln mit Dichtung

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Sandra Schneeberger



Handeln mit Dichtung



Literarische Performativität in der altisländischen

Prosa-Edda



Narr Francke Attempto Verlag Tübingen









Umschlagabbildung: Symphonia-Diagramm (DG 11 4to, 47r), Uppsala-Eddan, DG 11, Digitalisat. Uppsala universitetsbibliotek (http://urn.kb.se/resolve?urn=urn:nbn:se:alvin:portal:record-54179).





Sandra Schneeberger



Universität Zürich



Deutsches Seminar



Abteilung für Nordische Philologie



Schönberggasse 9



CH-8001 Zürich





 https://orcid.org/0000-0002-6986-5761





Gedruckt mit Unterstützung der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften.



Die vorliegende Arbeit wurde von der Philosophischen Fakultät der Universität Zürich im Herbstsemester 2017 auf Antrag der Promotionskommission, Prof. Dr. Jürg Glauser (hauptverantwortliche Betreuungsperson) und Prof. Dr. Karl G. Jo-hansson, als Dissertation angenommen.



ISBN 978-3-7720-8672-4 (Print)



ISBN 978-3-7720-0119-2 (ePub)




Inhalt







Vorwort






1 Einleitung

1.1 Vorbemerkungen

1.2 Fragestellung

1.2.1 Bisherige Forschung zur Prosa-Edda1.2.2 Neuer Zugang

1.3 Korpus: Was ist die Prosa-Edda?

1.3.1 Lektüreschwerpunkt Codex Upsaliensis1.3.2 Weitere handschriftliche Überlieferung

1.4 Aufbau der Arbeit




2 Literarische Performativität

2.1 „Performative – an ugly word“

2.2 Forschungsüberblick

2.2.1 Entwicklungslinien des Performativen2.2.3 Neuere und ältere Literaturwissenschaft2.2.4 Skandinavistik2.2.5 Performativität und Rhetorik – eine Abgrenzung

2.3 Literarische Performativität in der skandinavischen Mediävistik

2.3.1 Die Prosa-Edda als schriftlich konzipiertes Werk2.3.2 Vergleichbarkeit und Eingrenzung

2.4 Drei Aspekte literarischer Performativität

2.4.1 Sagen als Tun2.4.2 Wiederholung/Wiederholbarkeit2.4.3 Rahmung2.4.4 Literarische Performativität: Ein Beispiel

2.5 Erstes Fazit und Ausblick auf die Lektüren




3 Welt erfassen – Welt verfassen: Performatives Erzählen

3.1 Lektüre der erzählenden Teile der Prosa-Edda

3.2 Prolog – Ein vermeintlich eindeutiger Rahmen

3.2.1 Das paradoxe Verfahren der Rahmung3.2.2 Das Thema der Sprache im Prolog3.2.3 Multimediale Anfänge3.2.4 Zwischenfazit

3.3 Gylfaginning – Die Welt erzählen

3.3.1 Theoretische Vorbemerkungen I: Sagen als Tun3.3.2 Zwei Arten von Wissensdialog: Die Anhäufung von Bedeutung3.3.3 Theoretische Vorbemerkungen II: Wiederholung/Wiederholbarkeit3.3.4 Zwischenfazit

3.4 Literarische Performativität in medialer Variation

3.4.1 Genealogie und Enzyklopädie: Drei Arten von Listen3.4.2 Gylfi multimedial: Ein rahmendes Ende

3.5 Fazit Liber primus




4 Welt verfassen – Welt erfassen: Performative Gelehrsamkeit

4.1 Lektüre der gelehrten Teile der Prosa-Edda

4.2 Skáldskaparmál – Wie skaldische Dichtung relevant bleibt

4.2.1 Schreibdenken: Skáldskaparmál als Momentaufnahme eines Denkprozesses

4.3 Zwischen Bild und Text – Der 2. Grammatische Traktat

4.3.1 Bildhafter Text4.3.2 Texthafte Bilder4.3.3 Zwischenfazit

4.4 Háttatal: Eine neue Form für das skaldische Gedicht

4.4.1 Das Versverzeichnis: Erinnerungshilfe und Schreibakt4.4.2 Háttatal: Ein didaktisches Lobgedicht4.4.3 Zwischenfazit

4.5 Fazit Liber secundus





5 Abschluss und Ausblick







Abstract & Keywords







Abbildungsverzeichnis







Literaturverzeichnis









Vorwort



Die vorliegende Arbeit wurde im Herbstsemester 2017 von der Philosophischen Fakultät der Universität Zürich auf Antrag der Promotionskommission, bestehend aus Prof. Dr. Jürg Glauser als hauptverantwortlicher Betreuungsperson und Prof. Dr. Karl G. Johansson, als Dissertation angenommen. Für den Druck wurde die Arbeit leicht überarbeitet. Ich danke den Herausgebern der

Beiträge zur Nordischen Philologie

 herzlich für die Aufnahme in ihre Reihe. Entstanden ist die Arbeit im Rahmen meiner Anstellungen an der Universität Zürich, zuerst als Doktorandin im Nationalen Forschungsschwerpunkt „Medienwandel – Medienwechsel – Medienwissen. Historische Perspektiven“ und später als Assistentin am Lehrstuhl für Nordische Philologie am Deutschen Seminar.



Mein Dank gilt allen, die mich während meiner Doktoratsphase unterstützt und begleitet haben. Besonders Prof. Dr. Jürg Glauser bin ich zu grossem Dank verpflichtet. Bereits im Studium hat er mein Interesse für die altnordische Literatur geweckt und mich so überhaupt erst auf die Idee gebracht, eine Dissertation anzugehen. Ich bedanke mich für die stets konstruktiven und kritischen Gespräche zum Projekt und die langjährige Betreuung und Förderung. Seine Offenheit und sein Interesse haben mich immer wieder bestärkt, in neue Richtungen zu denken.



Mein Dank gilt auch Prof. Dr. Karl G. Johansson, der die Arbeit als Zweitbetreuer mit Interesse mitverfolgt und betreut hat. Seine Einladung an das Institutt for lingvistiske og nordiske studier an der Universität Oslo ermöglichte mir eine konzentrierte Schreibphase und anregende Diskussionen mit ihm und den dortigen Kolleginnen und Kollegen.



Dem Doktoratsprogramm

Medialität – Historische Perspektiven

 der Universität Zürich danke ich für die finanzielle Unterstützung bei meinem Auslandsaufenthalt. Ein grosses Dankeschön gebührt den Kolleginnen und Kollegen an der Abteilung für Nordische Philologie am Deutschen Seminar. Die positive Arbeitsatmosphäre im Altnordisch-Büro schätzte ich sehr, herzlichen Dank, Ranka Hafstað und Kevin Müller. Die täglichen Diskussionen über Fachliches und Ausserfachliches waren mir Inspiration und Motivation. Dr. Lukas Rösli danke ich besonders für den regen Austausch über „

die Edda

“.



Ohne die Unterstützung meiner Familie wäre diese Dissertation nie entstanden. Ich danke meinen Eltern dafür, dass sie mich immer gefördert und begleitet haben. Meiner Mutter danke ich ganz besonders für die sorgfältige Lektüre dieser Arbeit. Schliesslich richtet sich mein herzlichster Dank an Oliver Baumann, der meinen Ideen immer interessiert zuhörte und mich unterstützte – und das auch ganz ohne Verbindungen zur altnordischen Literatur.





Meilen, Juni 2020 Sandra Schneeberger





1 Einleitung

1.1 Vorbemerkungen



Die mittelalterliche altisländische Literatur zeichnet sich durch eine aussergewöhnliche Vielfalt an volkssprachlichen Formen aus. Im Vergleich zu kontinentaler volkssprachlicher Literatur reflektiert sie bereits sehr früh und in vielschichtiger Weise in Dichtung (Skaldik und eddische Helden- und Götterlieder) und Prosa (Sagas und Sachtexte wie z.B. grammatische Traktate) die eigene Sprache und die damit verbundenen Möglichkeiten des Erzählens in der Volkssprache.



Dabei werden traditionell mündliche Literaturformen neuen schriftlichen Modellen von Erzählen und Sprachverständnis angepasst. Das Medium Schrift wird von Beginn seines Aufkommens im 11. Jahrhundert mit aktivem und selbstreflexivem Interesse verwendet. Ganz grundsätzliche Fragen werden angesprochen: Wie schreibt man in der Volkssprache? Was kann Erzählen leisten? Wie legitimiert man schriftliche Dichtung und Erzählung? Man könnte annehmen, derartige Fragen würden vor allem in gelehrter Literatur diskutiert. Doch die Möglichkeiten und Grenzen von Sprache sind implizit und explizit immer auch Thema in der eddischen und skaldischen Dichtung sowie in der Sagaliteratur.



Besonders deutlich zeigt sich das altisländische Sprachinteresse in der sogenannten

Prosa-Edda

, dem wichtigsten sprach- und dichtungstheoretischen Text des skandinavischen Mittelalters. Auf sehr komplexe Weise werden in diesem vielschichtigen Werk eine traditionelle Beschreibung der heidnischen Götterwelt und eine christliche Stil- und Verslehre mit weiteren Inhalten zu einem umfassenden Sprach-Experiment verflochten.1



Die

Prosa-Edda

(von nun an

P-E

) wird in Einführungen und allgemeinen Überblickswerken meist als aus vier Teilen bestehend beschrieben, wobei diskutiert wird, welcher Teil zu welchem Zeitpunkt entstanden ist. Das Werk wird dem Isländer Snorri Sturluson (1178/9­­–1241) zugeschrieben, allerdings ist keine der erhaltenen Handschriften der

P-E

auf ihn zurückzuführen.2 Der Überblick von John Lindow in

Old Norse-Icelandic Literatur. A Critical Guide

fasst die allgemein anerkannten Annahmen in Bezug auf den Gehalt und die Entstehungsgeschichte der

P-E

zusammen

:

 



Snorri apparently began the

Edda

,

his first literary work, within a few years of his return to Iceland. It is well known that he intended it as a handbook of poetics, primarily of the meter and diction of skaldic verse. it began with a creative act, Snorri’s composition of his

Háttatal

 (enumeration of meters), an elaborate skaldic poem honoring King Hákon Hákonarson and Jarl Skúli. The next stage of composition, resulting in the section entitled

Skáldskaparmál

 (poetic diction), concentrates on the metaphoric and metonymic explanation and clarification of skaldic verse, the kennings and

heiti

.

It is largely a series of lists of kennings and

heiti

 for various concepts, but in explanation of some of the kennings Snorri recounts the mythical or heroic narrative behind them. In

Gylfaginning

 (Deluding of Gylfi), the section now thought to have been composed next, the emphasis is shifted: here is only narrative, and indeed only mythic narrative, without reference to skaldic verse. In the extant manuscripts these three sections occur in reverse order from that just given and are preceded by a prologue which provides a euhemeristic view of the Norse gods, deriving them from men of Asia.3



Es gibt einige vergleichbare mittelalterliche Poetiken, die

P-E

unterscheidet sich von ihnen in einem wichtigen Punkt: Sie ist in der Volkssprache, d.h. in Altisländisch, verfasst und nicht in Latein.



Das aussergewöhnliche Werk steht seit mehreren Jahrhunderten als wichtiges Zeugnis im Zentrum der Beschäftigung mit der altnordischen Literatur. Forschungsgeschichtlich ist der

P-E

 seit dem 19. Jahrhundert meist ein philologisch ausgerichtetes Interesse an altertumskundlichen Fragen beschieden. Es geht hauptsächlich um die Frage nach den Quellen des Werks und damit zusammenhängend um die nordische Mythologie. Daneben entwickelte sich ab den 1980er Jahren ein sprach- und dichtungstheoretisches Forschungsinteresse, das sich auf die Skaldik, eine besondere Gattung der nordischen Dichtung, richtet. Diese beiden Forschungsbereiche wurden und werden zumeist getrennt betrachtet, weil sie als nur lose miteinander verbunden gedacht werden. Der Ansatz der vorliegenden Arbeit ist ein anderer: Der Ausgangspunkt ist ein Versuch, das Werk als Form kultureller Sinnstiftung in seiner Vielfältigkeit – und damit auch in seiner Uneindeutigkeit – ernst zu nehmen und so die verschiedenen Inhalte und Formen zusammen zu lesen. Momente der Sinnstiftung finden sich in der

P-E

 da, wo das Verhältnis zu ihrem „Untersuchungsobjekt“, der skaldischen Dichtung oder allgemeiner zur Sprache und Erzählen in Volkssprache, ausgelotet wird.





Die

P-E

ist für die Überlieferung und das Verständnis der Skaldik von zentraler Bedeutung. Ein kurzer Exkurs zu dieser aussergewöhnlichen nordischen Dichtung hilft zu sehen, weshalb. Bergsveinn Birgisson beschreibt das skaldische Gedicht als wichtiges Medium einer (vormittelalterlichen) Elite. Die Fähigkeit, skaldische Verse dichten zu können, ermöglicht den Produzenten, den Skalden, einen hohen gesellschaftlichen Rang:



The genre of skaldic poetry seems to have been developed in some courtly milieux of Norway in the ninth century, but it is mostly promoted by Icelandic poets, the so-called skalds, after the conversion in Scandinavia around 1000 AD. The Old Norse skald was highly valued in society, primarily because of his skills in making poems on the heroic deeds of kings and royalty, thereby rendering them persistent in the memory of the Scandinavian oral society. The skald is frequently shown as the king’s closest adviser, both in personal and political affairs.4



Skalden übernehmen mit ihrer Dichtung eine Erinnerungsfunktion in der mündlichen Gesellschaft. Diese Funktion beschränkt sich jedoch nicht nur auf Preisdichtung, denn es kann in den verschiedensten Situationen gedichtet bzw. vorgetragen werden: Es gibt skaldische Gedichte, die einen Feind durch spöttische Behauptungen angreifen, solche, die als Gegengeschenk für materielle Geschenke dienen oder Gedichte, die Trauerarbeit um verlorene Söhne leisten. Heiko Uecker fügt weitere Möglichkeiten an:



schildbeschreibende und genealogische Gedichte sind ebenso überliefert, heidnisch-mythologischer Stoff wird ebenso gestaltet wie christliche Lehre. Könige und Helden der Vorzeit konnten besungen werden, mit einem gut gemachten Gedicht konnte man sein Leben retten, man drückte seine Träume aus, man gab politischen Rat.5



Skaldische Gedichte (und damit die Skalden) haben eine Wirkmacht in der Welt. Das lässt bereits der Begriff „Skalde“, der etymologisch wohl mit dem deutschen „schelten“ verwandt ist, vermuten.6 Deutlicher wird es, wenn man sog.

nið-

Dichtung, d.h. Schmähdichtung betrachtet. Schmähdichtung gibt dem Skalden die Möglichkeit, durch bestimmte Arten von Versen Feinde öffentlich zu verspotten und zu diffamieren. Die damit zusammenhängenden gesetzlichen Verbote solcher Verse zeigen, was für eine starke pragmatische Funktion der Dichtung zugesprochen worden ist.7



Glauser fasst die formalen Besonderheiten dieser wirkmächtigen Dichtung wie folgt zusammen:



Es handelt sich bei der Skaldik um eine Dichtung, deren wichtigste formale Charakteristika die Strophenform (in der Regel acht Zeilen, die in zwei Hälften aufgeteilt werden), der in aller germanischen Dichtung verbreitete Stabreim und die ebenso raffinierte Verwendung rhetorischer Mittel wie Synonyme, Metaphern, Metonymien (

kenningar, heiti

) sind.8



Die Skaldik-Forschung beschäftigt sich eingehend mit den komplexen und herausfordernden poetischen Umschreibungen, den

kenningar

 und

heiti

.

Erstere sind zwei- oder mehrgliedrige Umschreibungen, die meist auf mythologischem Wissen aufbauen und damit spielen:



Die skaldische Variationskunst besteht darin, dass in den Texten ein Spiel mit bekannten Erzählungen stattfindet, auf welche in ausgeklügelten Verfahren verwiesen wird. Diese Allusionen sind zum einen rein inhaltlicher Art . Häufiger kommt jedoch vor, dass die Anspielungen Teile der Kenningar sind und in diesen Fällen beruht das skaldische Erzählen auf dem komprimierten Abrufen von Stoffen und Texten, so dass in den Kenningar eigentlich Kürzestnarrationen entstehen. Indem die Kenning immer auf Texte ausserhalb der konkret vorliegenden Strophe hindeutet, erhält das Dichten der Skalden etwas grundlegend Grenzüberschreitendes.9



Die Entschlüsselung der Anspielungen und Wortspiele in den Versen haben für den Rezipienten wohl ebenso ihren Reiz, wie der Akt der Verschlüsselung derselben für den Skalden.



Doch solche poetischen Verfahren machen die Lektüre von skaldischer Dichtung noch anspruchsvoller als sie bereits ist: Die Überlieferungssituation ist komplex, anders als z.B. in eddischer Dichtung wird zwar bei zahlreichen skaldischen Gedichten der Namen des Dichters genannt, doch die zeitliche Einordnung ist sehr schwierig. Es existieren keine Originalhandschriften der bis in vorschriftliche Zeit zurückreichenden Dichtung. So können zwischen der Entstehung eines Gedichts und seiner schriftlichen Fixierung mehrere Jahrhunderte liegen.10 Skaldische Verse sind häufig in Sagatexten als Zitate bestimmter Figuren überliefert. Gedichte werden dazu auseinandergenommen und nur die passenden Verse in den Prosatext eingefügt, was die Rekonstruktion eines Gesamtgedichts erschwert. Diese kleinteilige Überlieferungssituation macht die

Prosa-Edda

zu einem so wichtigen Werk für die Erforschung der Skaldik. In der

P-E

sind auf engstem Raum ein grosser Teil der überlieferten skaldischen Dichtung und der zugehörigen Namen von Skalden zusammengetragen. Diese Sammlung sowie die dichtungstheoretischen Aspekte machen die

P-E

zu einer der zentralen Quelle für das heutige Wissen über die Skaldik.



Doch die

P-E

erweist sich auch als ein Werk, das zeigt, welchen Wandel die skaldische Dichtung von ihren (angenommenen) Ursprüngen im 9. Jahrhundert bis ins späte Mittelalter unterliegt. Die

P-E

wird häufig als ein Hinweis auf das schwindende Interesse an der komplexen Dichtung verstanden: Das Wirkungspotenzial der Skaldik scheint im 13. Jahrhundert nicht mehr in der gleichen Stärke vorhanden wie in vorliterarischer Zeit. Neue Medien kommen auf und übernehmen gewisse Funktionen, die bislang der Skaldik zugesprochen worden sind, wie u.a. Faulkes schreibt:



But as means of preserving the memory of historical events, as well as an organ of royal propaganda, skaldic poetry was being superseded by the written prose saga – had indeed been since the time of King Sverrir – and as a part of the ritual and entertainment of the court was being superseded by various kinds of prose narrative, including translated romances; taste in poetry was moving to favour the ballad and its derivatives; in Iceland a new genre, the rímur, was to replace skaldic verse as a medium of entertainment both written and oral.11



Die

P-E

wolle die Skaldik erhalten und an die neuen medialen Möglichkeiten anpassen, so die gängige Erklärung dafür, dass so spät in der Entwicklungsgeschichte der skaldischen Dichtung noch ein Lehrbuch dazu verfasst worden sei.12





Aber die

P-E

ist nicht nur an poetischer Sprache und deren Machtpotenzial interessiert, sondern viel allgemeiner an den Möglichkeiten, die sich aus dem verständigen Umgang mit Sprache ergeben. Im wahrscheinlich bekanntesten Abschnitt der

P-E

, in

Gylfaginning

 , geht es um die tiefgreifende Frage, ob der gesamte nordische Kosmos in einer Erzählung erfasst werden kann, bzw. ob diese Welt gar erst durch eine Erzählung erschaffen wird.



Liest man die

P-E

 unter einer gesamtheitlichen und sprachzentrierten Perspektive, so zeigt sich, wie durchwoben das Werk von solchen poetologischen Momenten ist. Mit einer derartig ausgerichteten Lektüre wird auf verschiedenen Werkebenen sichtbar, in welch komplexer Weise hier über Sprache, Dichtung und das Erzählen als Möglichkeit der Sinnstiftung nachgedacht wird

.

Wie spielerisch und produktiv dieses Nachdenken ist, zeigen die zahlreichen verschiedenen Um- und Neusetzungen der Inhalte der

P-E

. Das Werk wird bis in die frühe Neuzeit (und in gewisser Weise durch wissenschaftliche und populäre Bearbeitung bis heute) als Autorität für Sprach- und Dichtungsfragen wahrgenommen und dabei immer wieder an aktuelle Voraussetzungen angepasst.



Eine dieser Umsetzungen, die man auch als Momentaufnahme einer Sprachreflexion bezeichnen könnte, steht in dieser Arbeit im Vordergrund: Es ist die Version der

Prosa-Edda

im Codex Upsaliensis DG 11 4to

.

Diese Handschrift von ca. 1300 bietet einen besonders interessanten Einblick in das Selbstverständnis mittelalterlicher Literatur. Sie ist deshalb ausserordentlich spannend, weil sie die Vielfältigkeit der Sinnstiftung mit und in Sprache medial variantenreich reflektiert: Das Potenzial von Schrift und Bild wird explizit und implizit demjenigen der mündlichen Vermittlung gegenübergestellt, was ein differenziertes Medienbewusstsein sichtbar macht.



Eine systematische und gesamtheitliche Lektüre der

P-E

soll dieses Medienbewusstsein besser fassen und so eine neue Perspektive auf das Sprachdenken des mittelalterlichen Islands ermöglichen. Das bedeutet auch, die

P-E

 nicht nur fragmentarisiert zu lesen: Wie oben zitiert, werden „kanonisch“ bloss vier Teile zur

P-E

gezählt

 –

diese Arbeit schlägt vor, den Begriff

Prosa-Edda

zu öffnen und auf zusätzliche Inhalte auszuweiten.






1.2 Fragestellung

1.2.1 Bisherige Forschung zur

Prosa-Edda



Wie oben angesprochen, lässt sich die

Edda-

Forschung grob in verschiedene – grundsätzlich philologische – Bereiche teilen. Auf der einen Seite steht am Anfang der wissenschaftlichen Beschäftigung mit der

P-E

 im 19. Jahrhundert der thematisch-stoffliche Bereich und damit die nordische Mythologie im Zentrum. Hier interessieren vor allem der Prolog,

Gylfaginning

 und einzelne Teile von

Skáldskaparmál

.

 Die Forschungslandschaft hierfür ist enorm weit gefächert, häufig handelt es jedoch um quellenkritische, religionswissenschaftliche oder aber auch narratologische Fragen.1 Häufig mit solchen Fragen verbunden, steht auf einer anderen Seite ein materialgerichteter Zugang mit dem Schwerpunkt auf die handschriftliche Überlieferungssituation. Besonders in der frühen Phase der

Edda-

Forschung, die geprägt von editorischen Fragen ist, liegt der Schwerpunkt auf der Erschliessung des „besten“

Edda-

Textes. Das Ziel ist, so nahe wie möglich an die Urfassung, bzw. möglichst nahe an den Text des angenommenen Verfassers, Snorri Sturluson, heranzukommen. Mit den Entwicklungen der

new philology

 kommen auch in der skandinavistischen Mediävistik neue Fragen auf und man beginnt sich von der reinen Stemma-Forschung zu entfernen sowie einzelne Textzeugnisse für sich stehend zu betrachten. Trotz der häufigen Beteuerung skandinavistischer Mediävisten, man folge den Prämissen der

new philology

und suche nicht mehr nach einer „Urfassung“ eines Textes, findet man bis heute solche Ansätze. Beispielhaft für viele andere steht hier Annette Lassens Rezension von Heimir Pálssons Edition des Codex Upsaliensis:

 



Snorri’s

Edda

has been transmitted in four almost complete manuscripts and in a number of fragments. Generally, the

Codex Regius

of Snorri’s

Edda

(GKS 2367 4to)

is believed to come closest to Snorri’s original.

 This manuscript is thought to have been written in the first quarter of the fourteenth century. The

Codex Trajectinus

(Utrecht 1374), which is a copy from ca. 1595 of a now lost medieval manuscript, is closely related to the

Codex Regius

. From ca. 1350, we have the

Codex Wormianus

(AM 242 fol.), which preserves a text of Snorri’s

Edda

with a number of

learned interpolations

. Finally, there is the

Codex Upsaliensis

(DG 11 4to), believed to be slightly older than the

Codex Regius

and written ca. 1300, which preserves a third redaction of the text that is generally considered

to be abridged

 in comparison to the other redactions.2



Obwohl Lassen hier die allgemeine Meinung zitiert und später bestätigt, dass alle Versionen der

Edda

 von Interesse sind, lassen die hervorgehobenen Aussagen eine Wertung der verschiedenen Manuskripte vermuten. Auch Heimir Pálssons Edition selbst verfolgt sehr traditionell die Suche nach der dem „Original“ ähnlichsten Version der

Edda,

wie Daniel Sävborg in seiner Rezension dazu zeigt

:



Heimir Pálsson claims, in conflict with the standard view, that U represents an earlier version than RTW, but that also the RTW version is, to a large extent, a work by Snorri, who made a new version of his own work; Heimir Pálsson even claims he can place the two versions in distinct parts of Snorri’s biography. Where previous scholars have seen shortening in the U text Heimir Pálsson often sees expansion in RTW. Where the versions diverge more, he instead argues that RTW and U are based on different oral versions and thus not have a common at all original.3



Es sind Zuschreibungen dieser Art sowie die bloss vermeintlich eindeutige Bestimmung der

Edda

als „Snorri’s Edda“, die diese Arbeit bestärken, bestimmter den Überlegungen der

new philology

zu folgen und jede überlieferte Handschrift als eigenständiges Werk, das eine genaue Untersuchung lohnt, anzusehen. Thomas Krömmelbein ist ein früher Vertreter eines solchen erweiterten Verständnisses der

P-E.

Er hebt die Leistung jedes einzelnen Verfassers einer Version der

P-E

 hervor mit dem Ziel „ to sharpen our perception of the macroform

Snorra Edda

 and thus of its preserved final states.“4





Erst ab den 1980er Jahren eröffnet sich durch dichtungstheoretische Fragen ein weiterer Bereich in der Erforschung der

Prosa-Edda

: Nun interessieren neben den mythographischen Texten auch die nicht-erzählenden Teile von

Skáldskaparmál

 oder das Versmassverzeichnis

Háttatal

.

Deren Analyse zielen darauf ab, die Skaldik als Dichtungsgattung besser zu verstehen.5



Die verschiedenen Forschungsbereiche nähern sich der Suche nach einer übergreifenden Funktionsbestimmung für die

P-E

an. Es ist allgemein anerkannt, die

Edda

als eine

ars poetica

für die skaldische Dichtung zu bestimmen. Angelegt als Handbuch für angehende Dichter bzw. Skalden, unterrichten die mythographischen Teile über die Inhalte der Dichtung (die nordische Mythologie), während die anderen Teile über die formalen Bedingungen (z.B. die Arten der dichterischen Umschreibung) Auskunft geben. Trotz diesem gemeinsamen Verständnis bleibt meist eine Trennung der Forschungsbereiche bestehen: Entweder man interess