Das Kreuz im Apfel

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6

Juni 1841

Auf den ersten Blick war die Schwangerschaft nicht sichtbar, aber Katharina verstand die verräterische Wölbung des Bauches, wenn sich Maria das Nachtgewand überstreifte. Sie sagte nichts dazu. Anders Margarethe, die sie ohne Umschweife danach fragte, wie lange ihr das Geblüt schon ausgeblieben sei. Zuerst leugnete Maria heftig, meinte, alles sei wie immer. Erst als ihr Margarethe eine Ohrfeige versetzte, schien sie sich ihrer Lage bewusst zu werden.

»Vielleicht geht es noch weg«, hoffte Maria. »Ich habe gehört, es gibt bestimmte Sude, die Krämpfe verursachen. Weißt du darüber Bescheid?«

»Gehört habe ich davon. Was du genau einnehmen musst, weiß ich nicht. Könntest die Büttin fragen, die kennt sich damit sicher aus«, beratschlagte Margarethe sie.

»Das lässt sie mich sicher etwas kosten.« Über Gespartes verfügte sie nicht. Wovon sollte man bei dem geringen Lohn etwas sparen? Keiner von ihnen besaß mehr als eine Garnitur Unterwäsche. Im Sommer ging man eben ohne, wenn man keine Lust hatte, sie zu waschen. In der kalten Jahreszeit mussten sie die Leibwäsche abends waschen, damit sie morgens etwas zum Anziehen hatten.

»Geh zum Wengler und bitte ihn darum. Auf dich draufhüpfen wollte er auch.«

Maria schwieg.

»Überlege nicht blöd hin und her. Wenn du das Kind erst spürst, hast du dich vor dem Herrn nicht nur der Unzucht schuldig gemacht, sondern des Kindsmordes.«

»Kindsmord? Aber …«

»Das Kind lebt, wenn du es spürst, oder etwa nicht?« Margarethe verlor langsam die Geduld mit der dummen Gans. Sie löschte das Licht und schlüpfte unter die Decke. Erst gestern hatten sie die Strohsäcke in die Scheune getragen und das alte Stroh gegen frisches getauscht. Dies war die insgeheime Belohnung für die mühselige Getreideernte.

»Er hat gesagt, ich solle mit meinem Balg zu einem anderen gehen. Immerhin wüsste er, ich ließe mich von jedem besteigen«, flennte Maria.

»Sssch, sei leise, sonst hört dich noch das ganze Haus. Hast wirklich was anderes erwartet?«

»Ich habe mich nur mit ihm vereinigt! Mit keinem anderen.«

»Ich weiß, du dumme Gans. Er weiß das auch. Aber was kümmert ihn das? Das Kind kriegst du und an dir bleibt es hängen, nicht an ihm.«

»Kannst du nicht morgen mit ihm reden?«, bettelte Maria.

Margarethe streckte sich auf der frischen Schlafunterlage aus und gähnte: »Wenn du meinst, dass es was bringt.«

Dazu kam es nicht mehr. Der Wengler hatte seine wenigen Habseligkeiten gepackt und war über alle Berge. Maria heulte sich zum Leidwesen ihrer Zimmergenossinnen in den Schlaf.

»Was ist sie?«, schrie Karl Sperl.

»Schwanger«, wiederholte seine Frau.

»Von wem?«

»Vom Wengler. Sie will es ihrer Mutter bringen.«

»Die jagt sie mit einem nassen Fetzen davon! Maria ist selbst unehelich. Da braucht sie sich keine Hoffnung zu machen, dass die sich das von vorne antut. Mir ist egal, wo sie ihr Balg unterbringt. Hauptsache sie bringt es irgendwo unter. Hier bleibt sie mir jedenfalls nicht damit.« Sein Gesichtsausdruck duldete keine Widerworte.

Katharina erhitzte Wasser in einem großen Topf und schielte zu den beiden Bauersleuten hinüber. Die Zwillinge saßen auf dem Boden und kauten an einem Stück zähen Brot. Die beiden größeren Buben ärgerten die Katze und die kleine Johanna, die mit ihren vier Jahren noch immer nicht richtig gehen konnte. Rachitische Beine, meinte der Wundarzt im Winter. Katharina steckte viel Mühe rein, das Mädchen zum Gehen zu ermutigen. Die Kleine hatte sich Abhilfe verschafft, indem sie sich mit zur Hilfenahme ihrer krummen Beinchen auf dem Hintern über den Boden schob.

»Franz, lass das! Das Vieh wird sie noch kratzen«, ermahnte Katharina den fast Fünfjährigen. Franz hatte sich die Katze geschnappt und hielt sie seiner Schwester vor das Gesicht.

Karl, mittlerweile sieben, stachelte den Jüngeren gerne zu Ungehorsam an.

»Aus lass«, bettelte Johanna, um das Wohl ihrer liebsten Katze besorgt.

»Lass sie aus, heißt das«, berichtigte Katharina. Die Kinder und überhaupt allesamt sprachen schlampig. Auch dadurch kam sich Katharina wie eine Außenseiterin in der Gemeinschaft vor. Sie liebte Worte und geschmückte Sätze, wie sie in Büchern zu finden waren. Franz schüttelte das bereits murrende Tier mit spitzbübischem Lächeln. Das ließ sie sich natürlich nicht mehr gefallen und schlug mit den Pfoten um sich. Die ausgefahrenen Krallen trafen nicht ihren Peiniger, sondern Johanna, die vor Schreck und Schmerz aufschrie.

»Franz! Was habe ich dir gesagt!«, schimpfte Katharina mit erhobenem Finger. Sie nahm das weinende Mädchen in die Arme und tröstete es.

»Die Niederkunft fällt auf den November. Da können wir einige Tage ohne sie auskommen«, überlegte die Bäuerin laut.

»Wehe du kommst mir damit, ihr die Ausfalltage zu bezahlen. Das mannsgeile Weibsstück soll froh sein, dass sie ihre Stellung behalten kann.« Er griff nach seinem Hut, den er gewohnheitsmäßig auf der Kredenz abgelegt hatte. »Schick sie mir nachher rüber in den Stall.«

»Das übernehme ich«, stellte sich die Sperlbäuerin gegen ihren Mann. »Die Mägde sind mir unterstellt. Du prügelst sie sonst noch tot.« Der Bauer murrte nur und verschwand mit der Pfeife im Mund durch die Tür.

»Kann das Kind von Maria nicht auf dem Hof leben?«

Johanna lehnte an ihrer Schulter.

»Katharina, manchmal weiß ich wirklich nicht, was in deinem Kopf vorgeht. Die Maria hat sich versündigt. Selbst wenn sich der Kindsvater nicht aus dem Staub gemacht hätte, der Wengler ist arm wie ein Hund. Wie soll der heiraten? Wir haben genug Mäuler zu stopfen«, erklärte die Bäuerin.

»Eines mehr oder weniger macht doch keinen Unterschied«, beharrte Katharina und deutete mit einer Armbewegung auf die fünf Kinder.

Beim Abendbrot herrschte Schweigen, so wie der Bauer es wünschte. Durchbrochen wurde die Stille nur durch das Scheppern der Löffel und das Hochziehen von Rotz. Mit zusammengebissenen Zähnen versuchte Maria eine Sitzposition zu finden, die ihr keine Schmerzen verursachte. Die Bäuerin hatte bei der Bestrafung ganze Arbeit geleistet. Zu ihrer Schmach war es vor den Augen aller vollzogen worden. Die Zwillingsbuben weinten, Johanna flüchtete auf dem Hosenboden unter die Eckbank, Franz und Karl kicherten und waren froh, dass nicht sie es waren, die die Prügel bezogen. Margarethe stand neben der Sperlbäuerin. Der Heiligenschein hätte ihr noch gefehlt. Katharina zuckte bei jedem Schlag zusammen und kniff nach dem dritten Hieb fest die Augenlider zu.

7

November 1841

»Die gehen zum Kartenspielen und wir sitzen beim Wäschestopfen. Da kann der Herr Pfarrer noch so oft den Mann über das Weib stellen, gerecht ist das jedenfalls nicht«, beschwerte sich die dreizehnjährige Katharina.

Die Sperlbäuerin tadelte das Mädchen, das sie in den drei Jahren fast schon liebgewonnen hatte.

»Ich bleibe dabei. Es ist nicht gerecht. Der Josef mit seinen sechzehn Jahren darf ins Wirtshaus. Margarethe, die viel älter ist als er, darf das nicht.«

»Das hat nichts mit dem Alter zu tun, du Wichtigtuerin«, mischte sich Margarethe ein.

»Ich weiß, dass das nichts mit dem Alter zu tun hat! Wir sind Frauen und die zu ihrem Glück nicht!«, verteidigte sich Katharina.

»Schau an, schau an! Katharina wäre lieber ein Mann und würde gern ins Wirtshaus gehen.« Die Schwangerschaft machte Maria nicht umgänglicher.

»Ich wäre gerne frei, das zu tun, was ich will!«, berichtigte sie. Die beiden Mägde blickten sich an. Irgendwie hatte sie recht. Den Knechten war es ohne Fragen erlaubt, wochentags nach getaner Arbeit ihren Vergnügungen nachzugehen. Sie hingegen mussten sogar an einem Sonntag erst darum bitten und man konnte es ihnen jederzeit verwehren. So stand es in der Gesindeordnung und keine von beiden hatte diese unumstößliche Tatsache jemals infrage gestellt.

»Da musst in deinem nächsten Leben als Mann und zudem als reicher Mann auf die Welt kommen. Als Frau wirst nie mehr Freiheit haben, als dass du wählen kannst, mit welcher Naht du die Wäsche flickst«, stellte Johanna Sperl in den Raum und setzte hinzu, »auch dabei bleiben dir nicht viele Möglichkeiten.«

Ein Stöhnen unterbrach die von Katharina entfachte Diskussion.

»Die Geburt steht bevor«, prophezeite die Bäuerin. »Wer weiß, wie lange es noch Vorbereitungswehen sind. Das Findelhaus nimmt nur ungern Kinder auf, die nicht im Gebärhaus entbunden wurden. Mach dich morgen auf den Weg, sonst kommst noch auf der Straße nieder.« Indem sie das Wort an Katharina richtete, fuhr sie fort: »Das Ergebnis, wenn sich weibliches Gesinde mehr Freiheiten rausnimmt, kannst hier sehen«, und deutete dabei auf den Bauch Marias.

»Lassen Sie mich Maria begleiten«, bat Katharina. Sie wusste, wie beängstigend es war, unter fremde Leute zu kommen. Einsam und ohne jeden Halt, den anderen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.

»Den Weg schaffe ich allein«, maulte Maria.

»Ganz alleine kann sie nicht gehen, noch dazu bei dem Schnee.«

»Katharina, was kannst du für ein Quälgeist sein! Na gut, geh von mir aus mit. Wenn du sie abgeliefert hast, kommst gleich zurück. Beide Wege an einem Tag wird dich bereuen lassen.«

»Ich werde auf Maria warten und mich vergewissern, dass es ihr gut geht.«

»Wie stellst dir das vor? Willst vor dem Gebärhaus auf der Straße schlafen?«

»Eine alte Freundin wohnt am Spittelberg, das ist nicht so weit vom Gebärhaus entfernt. Ich habe ihre Adresse.«

 

»Wer soll das sein?«, wollte die Bäuerin wissen.

Katharina war darauf bedacht, den Ort ihres Kennenlernens nicht zu erwähnen. Eine Gefängnisbekanntschaft wurde nach ihrer Erfahrung nicht besonders hoch geschätzt.

Die Sperlbäuerin erklärte sich widerwillig bereit. Das Kind würde in einem halben Jahr das vierzehnte Lebensjahr erreichen. Schon des Öfteren hatte sie über die Zukunft des Mädchens mit dem Bauern gesprochen. Johanna hatte ihrem Mann vorgeschlagen, Katharina als Magd bei ihnen zu behalten. Sie war eine fleißige Hand und kam gut mit den Kindern zurecht. Der Bauer lehnte ihren Vorschlag mit der Begründung ab, er habe keine Verwendung für eine weitere Magd. Dass sie selbst vielleicht eine helfende Hand bei der wachsenden Kinderschar benötigte, daran dachte er nicht. Johanna war sich nicht sicher, ob sie den Bauern noch überreden konnte, Katharina in Stellung zu nehmen. Ihr wäre jedenfalls leid.

Sie konnten einen Teil des Weges auf einem Wagen mitfahren, was es nicht weniger beschwerlich machte. Häufig mussten sie von dem Gespann absteigen. Katharina zog am Zügel, während der Fuhrmann von hinten anschob. Immer wieder blickte er auf die stöhnende Maria. Man sah ihm an, dass er inständig betete, sie möge sich mit der Niederkunft Zeit lassen. Durchgefroren erreichten sie das Allgemeine Krankenhaus.

Nachdem der Pförtner die ärmliche Erscheinung der Frau und des Mädchens erfasst hatte, erklärte er ihnen den Weg durch die zahlreichen Höfe zum Haupteingang der Gebärklinik im östlichsten Trakt des Areals. Es war augenscheinlich, dass sich diese Schwangere den Zutritt durch das Schwangerentor nicht leisten konnte, welches von außen in das Gebärhaus führte und in einem versteckten Winkel der Rotenhaus Gasse lag. Den tausenden Frauen, die jährlich die Gratisabteilung des Allgemeinen Krankenhauses in Anspruch nahmen, standen nur etwa hundert Frauen in der Zahlklasse gegenüber.

»Welcher Hof war es?«, stöhnte Maria.

»Einfach den roten Laternen nach. Es ist bestimmt nicht mehr weit«, ermunterte Katharina die keuchende Schwangere neben sich.

Unter einiger Mühsal zog sie Maria die letzten Stufen zum Eingang der Gebärabteilung hinauf. Unschlüssig blieben sie für einen Moment stehen. Klopfen oder einfach hineingehen? Ihre Frage erübrigte sich in dem Augenblick, als sich das Tor öffnete und ihnen die Aufseherin entgegenblickte.

»Bist du über die Aufnahmebedingungen unterrichtet?«

Maria öffnete den Mund, blieb aber stumm. In gebotener Eile eröffnete die Aufseherin ihren Redeschwall.

»Grundsätzlich sind Schwangere dazu angehalten, verschiedene Arbeiten im Haus zu verrichten. Außerdem wird erwartet, dass sie sich für den geburtshilflichen Unterricht für die Ausbildung von Hebammen und Geburtshelfern zu Verfügung stellen. Für die unentgeltliche Aufnahme des Kindes verpflichten sie sich außerdem, bei Bedarf einen viermonatigen Ammendienst im Findelhaus zu leisten. Verstanden? Dann wollen wir mal.« Mit diesen Worten schickte sich die Frau an, den Weg in den Saal der Gratisklasse anzutreten. Katharina wollte den beiden Frauen folgen, wurde aber schnell von ihrem Vorhaben abgehalten. Katharina merkte, dass Widerspruch sinnlos war. Sie drückte Maria die Hand und versprach ihr, sie zu besuchen. Zu einer Pflegerin gewandt sagte die Aufseherin: »Die zweite Abteilung ist voll. Bring sie in die erste.«

Es war mittlerweile Nachmittag geworden und Katharina war hungrig. Das Brot, das ihr die Bäuerin mitgegeben hatte, musste sie wohl oder übel im Gehen essen. In drei Stunden wäre es stockdunkel und sie hatte noch keinen Schlafplatz.

8

Spittelberg

Misstrauisch wurde Katharina von der Frau beäugt, die sich mit ihrer rußigen Hand am Türrahmen abstützte.

»Was willst du?«

»Guten Abend, mein Name ist Katharina. Ich möchte bitte zu Mila, ähm, Milleta.«

»Ach, möchtest du das? Wie nett«, sagte sie mit gesüßter Stimme und keifte gleich darauf: »Verschwinde!«

Bevor die unfreundliche Gestalt ihr die Tür vor der Nase zuschlagen konnte, schob Katharina ihren Fuß zwischen Tür und Rahmen. Erstaunt über die Frechheit der Kleinen, baute sie sich erneut im Eingang auf.

»Mila ist eine Freundin und …«

»Willst mich verarschen?« unterbrach sie die Frau.

»Ich muss sie dringend sprechen«, vervollständigte Katharina unsicher ihren Satz.

»Sie ist nicht hier. Ist bei der Arbeit.«

»Ich habe sie vor drei Jahren im Gefängnis kennengelernt und sie hat mir diesen Zettel mit ihrer Adresse gegeben und gemeint, ich kann mich an sie wenden, wenn ich Hilfe brauche.«

»Ist ja interessant.« Nun war sie wirklich interessiert, was das Gör mit Mila zu schaffen hatte. »Hätte ich dir nicht zugetraut, so pippifein wie du daherredest«, spöttelte die Frau. »Ich hoffe, du sitzt nicht schon wieder mit halbem Arsch im Gefängnis und willst dich verstecken. Probleme haben wir hier genug, das kannst mir glauben.«

»Ich habe nichts angestellt, weder heute noch damals. Ich habe jemanden ins Gebärhaus begleitet und suche einen Schlafplatz. Ich dachte …«

Die Frau, die bis dahin unbeweglich im Türrahmen ausgeharrt hatte, trat einen Schritt zurück.

»Mila würde mir meinen knochigen Arsch aufreißen, wenn ich ihre Gefängniskameradin in der Gosse liegen lassen würde.« Erleichtert betrat Katharina das heruntergekommene Gebäude. «Wir müssen rauf ins Dachgeschoss. Du kannst heute Nacht auf Milas Plätzchen schlafen. Sie arbeitet sowieso bis zum Morgen«, erklärte sie um einiges mitteilsamer.

»Danke, recht freundlich. Ich werde Ihnen nicht zur Last fallen«, beeilte sich Katharina zu sagen.

»Um sicherzugehen, kannst du dich nützlich machen.« Die Frau hielt inne. »Aber davor: Ich bin die Josephine, Sepherl tut’s. Den Namen, unter dem ich bei den Kunden bekannt bin, lassen wir lieber mal«, dabei grinste sie und entblößte zu Katharinas Überraschung makellos gerade Zähne. »Eigentlich hast du richtig Glück. Hätte ich nicht meine G’schicht, wär’ ich auch am Schuften.« Sepherl reichte Katharina Streichhölzer und trug ihr auf, den kleinen provisorischen Ofen in der Ecke zu beheizen. In wenigen Sekunden brachte Katharina eine stete Flamme zum Züngeln. Mit gebührendem Respekt nickte Sepherl ihr zu. Wirklich Wärme spendete der Ofen zwar nicht, aber immerhin konnten sie damit Wasser für einen wässrigen Malzkaffee erwärmen. Katharina holte das restliche Brot aus ihrem Umhängebeutel und teilte es mit Sepherl, die versonnen an ihrem schmutzbraunen Gebräu schlürfte.

»Erzähl mir was von dir. Ich kann nicht neben dir schlafen und so wenig über dich wissen. Da weiß ich ja mehr über meine Kunden.«

»Es geht dir auf dem Sperlhof nicht schlecht«, schloss Sepherl Katharinas Bericht ihrer dreizehnjährigen Lebenserfahrung. »Stell ich mir schön vor, auf einem Hof. Zumindest immer was zu beißen.«

»Der Bauer hat keine Verwendung für mich«, warf Katharina ein. »Bei einem anderen Bauern will ich nicht in Stellung gehen. Eigentlich will ich überhaupt nicht als Magd in Stellung gehen.«

»Kannst in eine Fabrik. Rate ich dir aber nicht. Hab ich versucht, du weißt schon, sozusagen um einer ehrenhaften Arbeit nachzugehen. Die saugen dich dort mehr aus als ein Freier.«

»Ich will frei und nicht mehr der Gnade oder Ungnade anderer ausgeliefert sein!«, rief Katharina.

»Frei?«

»So wie ihr! Ich brauche nicht viel. Eine kleine Dachkammer wie diese würde mir reichen. Ihr könnt gehen, wann ihr wollt und …«

»… und jeder kann uns vögeln, wenn er genug Geld hat.«

Katharina blickte die Frau fragend an.

»Du hast keine Ahnung, welchem Gewerbe Mila und ich nachgehen, richtig? Wir sind alles andere als frei«, dabei spie sie das letzte Wort förmlich aus. »Wir sind die niedrigsten Mägde der Männer. Wir sind die Untersten der Gesellschaft, wir sind frei zu sterben, und kein Hahn würde danach krähen.«

»Aber«, setzte Katharina kleinlaut an.

»Nichts aber! Es ist ein Leichtes, an dem ganzen Jammer zu zerbrechen.« Für Sepherl war die Unterhaltung beendet und sie gab dies zu verstehen, als sie ihr Milas Bettstatt zuwies.

»Sie hofft, du könntest ihr helfen.« Katharina erkannte die Stimme Sepherls. »Wie kommst auf die hirnrissige Idee, der Kleinen deine Hilfe anzubieten?« Katharina lugte durch die halb geöffneten Augenlider.

»Bis sie aus der Vormundschaft dieses Betvaters entlassen wird, bleibt sie an Ort und Stelle. Danach schauen wir weiter.«

Mit einem Satz sprang Katharina auf. »Ich muss heute die Maria besuchen!«

»Vor dem Mittagessen gibt’s sowieso keine Besuche dort. Erst wenn die Ärzte den Wöchnerinnen bis nach Jerusalem gefingert haben, lassen sie dich vielleicht rein.« Mila übersah geflissentlich die dargereichte Hand und umarmte ihre Gefängnisbekanntschaft fest und ehrlich.

»Vielleicht?«, fragte Katharina.

»Oder hat diese Maria für die Zahlklasse geblecht? Im Gebärhaus hat man überhaupt keine Rechte, nur Pflichten. Rechne lieber damit, deine Freundin heute nicht mehr zu sehen.«

»Ich muss wissen, wie es ihr geht und was es geworden ist. Es ist so traurig, dass wir es nicht mitnehmen können. Ich weiß, wo sie sie hingebracht haben. Abteilung eins«, verkündete Katharina.

»Dann lebt sie hoffentlich noch«, murmelte Sepherl.

»Warum soll sie nicht mehr leben?«, fragte Katharina entsetzt.

»Hör nicht auf das Geschwätz von der da«, beschwichtigte Mila.

»Von wegen Geschwätz! Ich sag nur, was wahr ist.«

»Wahr hin oder her, man kann zur Abwechslung seine verdammte Goschen halten.«

»Die ist in der Metzgerabteilung gelandet! Wenn diese Maria den Löffel abgibt, dann muss die Kleine das verkraften. Man sollte sie darauf vorbereiten. Da setzt bei dir der Beschützertrieb ein, was? Deshalb willst du der Kleinen unbedingt helfen, weil du es bei deinem eigenen Kind nicht konntest.« Sepherl fasste Milas Schweigen als Zustimmung auf weiterzureden. »Schau, Mädel. Wahrscheinlich geht’s ihr gut. Du musst aber wissen, dass diese Abteilung im Gebärhaus nicht unbedingt die sicherste ist. Die erste Abteilung untersteht den Ärzten, die zweite den Hebammen. Die zweite genießt einfach einen besseren Ruf. Viel weniger Tote, verstehst? Das würden die hochverehrten Studierten niemals zugeben.«

Katharina wandte sich nach einem bitteren Schluck aus dem Becher an Mila. »Du hast ein Kind?«

»Hatte«, antwortete diese. »Gönn mir noch zwei, drei Stunden Schlaf. Dann begleite ich dich zum Gebärhaus.« Damit erhob sich Mila von der Kiste und legte sich auf ihre Matratze.