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Das neue Dschungelbuch

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Er betastete den Arm am Ellenbogen und nickte. »Das habe ich mir gleich gedacht. Nun die Knie.« Gisborne sah, wie er die Kniescheibe betastete, und lächelte. Ein paar Narben dicht über dem Fußgelenk fielen ihm auf.

»Die kamen, als du noch ganz jung warst?« fragte Müller.

»Ja, Liebesbeweise der Kleinen«, antwortete Mogli lächelnd. Dann zu Gisborne gewandt: »Dieser Sahib weiß alles; wer ist er?«

»Das kommt später, mein Freund. Wo sind denn nun die Kleinen?« fragte Müller.

Mogli schwenkte seinen Arm im Kreis über dem Kopf.

»So! Also Nilghais kannst du treiben? Paß auf. Dort drüben steht angepflockt meine Stute. Kannst du sie hierher zu mir bringen, ohne sie zu erschrecken?«

»Kann ich die Stute zu dem Sahib bringen, ohne sie zu erschrecken?« wiederholte Mogli und erhob dabei ein wenig seine Stimme. »Was ist leichter, wenn die Fußfesseln gelockert sind?«

»Lockere die Kopf- und Fußriemen«, rief Müller dem Pferdewärter zu. Kaum war das geschehen, als das Pferd, ein riesiger schwarzer Australier, den Kopf aufwarf und die Ohren spitzte.

»Vorsicht! Ich möchte nicht, daß sie ins Rukh getrieben wird«, sagte Müller.

Mogli stand unbeweglich und starrte in das Licht des Feuers – in Gestalt und Haltung dem vielgepriesenen griechischen Gott gleichend. Die Stute wieherte, hob ein Hinterbein, fühlte sich von den Fesseln frei, kam rasch zu ihrem Herrn getrabt und legte ihm den Kopf auf die Schulter.

»Sie kam von selbst, meine Pferde tun das auch«, wandte Gisborne ein.

»Fühle, ob sie heiß ist«, sagte Mogli.

Gisborne legte die Hand auf die feuchte Flanke des Pferdes.

»Das genügt«, erklärte Müller.

»Das genügt«, wiederholte Mogli, und ein Fels hinter ihm warf die Worte hallend zurück.

»Unheimlich, nicht wahr?« fragte Gisborne. »Nein, aber wunderbar, höchst wunderbar. Sie begreifen noch immer nicht, Gisborne?«

»Ich muß gestehen, nein.«

»Na, dann erzähle ich Ihnen auch nichts. Er sagt, daß er Ihnen später alles zeigen wird. Es wäre doch grausam, ihm die Freude zu nehmen. Aber höchst seltsam ist es, daß er noch lebt. Nun höre, du.«

Müller blickte Mogli scharf an und redete wieder in der Landessprache: »Ich bin der Herr aller Wälder im Lande Indien und anderer jenseits des schwarzen Wassers. Wie viele Leute ich unter mir habe, weiß ich nicht – vielleicht fünf-, vielleicht zehntausend. Das aber sei deine Aufgabe – nicht mehr umherzustreifen im Rukh und Tiere zur Kurzweil oder zur Schau zu treiben, sondern in den Dienst zu treten unter mir, der für Wälder und Forsten die Regierung ist. Von nun ab sollst du im Rukh als Waldhüter leben, sollst die Ziegen der Dörfler verjagen, wenn nicht Weisung gegeben ist, sie im Rukh grasen zu lassen, dafür sorgen, daß Schwarzwild und Nilghais nicht allzusehr überhandnehmen, sollst Gisborne Sahib melden, wo Tiger wechseln und was für jagdbares Wild im Walde ist und ihm sichere Warnung zukommen lassen vor Waldbränden, denn du kannst schneller Meldung bringen als jeder andere. Für diese Arbeit bekommst du jeden Monat dein Gehalt in Silber und später, wenn du dir ein Weib genommen hast, Kinder und Vieh besitzt, eine Rente vom Staat. Was sagst du dazu?«

»Genau das habe ich ihm … «, begann Gisborne.

»Mein Sahib sprach diesen Morgen von solch einem Dienst. Den ganzen Tag wanderte ich umher und sann darüber nach. Dies meine Antwort: Ich diene, aber nur in diesem Rukh und unter keinem anderen als Gisborne Sahib.«

»So sei es. In einer Woche bekommst du deine schriftliche Anstellung und die Verpflichtung der Regierung auf eine Rente für dich nach Ablauf der Dienstzeit. Dann wirst du dir eine Hütte aufbauen, wo Gisborne Sahib es bestimmt.«

»Ich wollte schon darüber mit Ihnen reden«, sagte Gisborne.

»Besser war es, daß ich den Mann selbst sah. Einen besseren Waldhüter wird es niemals geben. Ein Wunder ist er. Ich kann Ihnen sagen, Gisborne, das werden Sie eines Tages auch herausfinden. Hören Sie, er ist Blutsbruder mit jedem Tier im Rukh.«

»Es würde mir angenehmer sein, wenn ich ihn durchschauen könnte.«

»Das kommt schon noch. Ich will Ihnen sagen, daß ich nur einmal in meiner Dienstzeit, und das sind dreißig Jahre, einen Jungen getroffen habe, der so anfing wie dieser Mann hier. Aber er starb. Manchmal ist in den Regierungsberichten von solchen Wesen die Rede, aber alle sterben sie früh. Der hier ist am Leben geblieben und ist ein richtiger Anachronismus, denn sein Ursprung liegt noch vor der Eisen- und Steinzeit. Er steht gewissermaßen noch am Anfang der Geschichte der Menschheit – Adam im Garten Eden, und nur die Eva fehlt noch. Ach wo, älter ist er noch als diese Kindermärchen. So wie das Rukh noch älter ist als die Götter. Gisborne, von nun an bin ich Heide, ein für allemal.«

Den ganzen langen Abend noch saß Müller, rauchte und rauchte und starrte in die dunkle Nacht; seine Lippen formten mannigfache Zitate, und ein großes Staunen lag auf seinem Gesicht. Dann ging er in sein Zelt, trat aber dann bald in seinem majestätisch-prachtvollen Schlafanzug wieder heraus, und als letztes hörte Gisborne ihn das Rukh anreden, und durch die Totenstille der schwarzen Mitternacht klang es mit dröhnender Stimme:

 
»Wir bedecken, verhängen, verhüll'n uns,
Du aber bist edel, nackt und antik;
Libidina deine Mutter, Priapus
Dein Vater, Grieche und Gott.«
 

»Ob Heide oder Christ, in die Seele des Rukhs werde ich nie ganz eindringen können.«

Es war Mitternacht im Bungalow eine Woche später, als Abdul Gafur, aschgrau vor Wut, an Gisbornes Bett stand und ihn mit Geflüster weckte.

»Auf, Sahib«, stammelte er. »Auf und nimm dein Gewehr. Meine Ehre ist dahin. Auf, und töte, ehe die Schande ans Tageslicht kommt.« Das Gesicht des alten Mannes war derart verändert, daß Gisborne ihn verständnislos anstarrte.

»Darum also half mir dieser Dschungelauswurf den Tisch des Sahibs säubern, Wasser tragen und Hühner rupfen. Auf und davon sind alle beide, trotz aller meiner Prügel, und jetzt sitzt er unter seinen Teufeln und schleift ihre Seele hinab zur Hölle. Steh auf, Sahib, und folge mir.«

Er drückte dem noch halb schlafenden Gisborne die Flinte in die Hand und zerrte ihn fast aus dem Zimmer auf die Veranda.

»Dort im Rukh sind sie, kaum auf Flintenschußweite vom Haus entfernt. Komm mit, aber leise!«

»Was ist denn los? Was hast du denn, Abdul?«

»Mogli und seine Teufel und meine Tochter dazu.«

Gisborne pfiff durch die Zähne und folgte seinem Führer. Nicht ohne Grund also hatte Abdul Gafur in den Nächten seine Tochter geschlagen, und nicht ohne Grund hatte Mogli einem Manne bei der Hausarbeit geholfen, den er vor kurzem noch, kraft seiner unbegreiflichen Macht, des Diebstahls überführt hatte. Ja, schnell freit man in der Dschungel.

Die Töne einer Flöte kamen aus dem Rukh, es klang fast wie der Gesang eines schweifenden Waldgottes; und beim Nähertreten hörten sie Stimmengemurmel. Der Pfad endete in einer kleinen halbkreisförmigen Lichtung, die zum Teil von Bäumen, zum Teil von hohem Gras umhegt war. In der Mitte der Lichtung, mit dem Rücken zu den Beobachtern, saß Mogli auf einem Baumstamm, festlich bekränzt mit frischen Blumen, hatte einen Arm um den Nacken von Abdul Gafurs Tochter gelegt und spielte auf einer Bambusflöte, zu deren Klängen vier riesige Wölfe das Paar mit feierlichen Bewegungen umtanzten.

»Seine Teufel sind das«, flüsterte Abdul Gafur. In der Hand hielt er ein Bündel Patronen. Auf einen langgezogenen zitternden Ton hin legten sich die Wölfe still nieder und blickten mit grünlich schillernden Augen auf das Mädchen.

»Schau doch«, sagte Mogli und legte die Flöte beiseite. »Ist hier irgend etwas zu fürchten? Ich sagte es dir gleich, und du, kleines tapferes Herz, du glaubst mir. Dein Vater – o hättest du ihn laufen sehen, als er getrieben wurde wie ein Nilghai –, dein Vater sagte, daß es Teufel wären, und bei Allah, deinem Gott, ich wundere mich nicht, daß er sie dafür hielt.«

Das Mädchen lachte mit einem kleinen girrenden Lachen, und Gisborne hörte Abdul Gafur mit seinen paar noch übriggebliebenen Zähnen knirschen. Das war nicht mehr das kindliche Mädchen, das Gisborne kannte, schweigsam und mit scheuem Blick hinter dem dichten Schleier, sondern – ein Weib, voll erblüht über Nacht, wie die Orchidee, die sich in wenigen Augenblicken entfaltet in der feuchten Hitze.

»Spielgefährten sind sie mir und Brüder, Kinder der Mutter, die mich säugte«, fuhr Mogli fort. »Kinder des Vaters, der mich mit seinem Leibe schützte vor der eindringenden Kälte am Rande der Höhle, als ich ein kleines nacktes Kind war. Schau!« – Ein Wolf erhob seinen grauen Kopf und beleckte Moglis Knie. – »Mein Bruder weiß, daß ich von ihm spreche. Ja, als ich ein Kind war, war er ein Wolfsjunges und wälzte sich mit mir auf dem lehmigen Boden der Höhle.«

»Aber du sagtest doch, daß du von Menschen geboren bist?« gurrte das Mädchen und nestelte sich dichter an seine Schulter. »Bist du von Menschen geboren?«

»Ich sagte es. Nun fühle ich es auch, daß ein Menschenweib mich gebar, denn du hältst mein Herz, Geliebte.« Ihr Kopf schmiegte sich an Moglis Brust. Gisborne hob abwehrend eine Hand, um Abdul Gafur zurückzuhalten, der nicht im geringsten von dem Wunder dieses Anblicks berührt war.

»Aber dennoch war ich ein Wolf unter Wölfen, bis eine Zeit kam, da mich die von der Dschungel baten, heimzukehren zu meiner Art, da ich ein Mensch war.«

»Wer bat dich, zu gehen? Du sprichst nicht wie ein ehrlicher Mann.«

»Die Tiere selbst taten es. Du wirst es mir nie glauben, aber es war so. Die Tiere der Dschungel baten mich, sie zu verlassen; diese vier aber folgten mir, weil ich ihr Bruder war. Dann war ich Hüter der Viehherden der Menschen und lernte ihre Sprache. Hoho! Zoll zahlten die Herden an meine Brüder, bis eine Frau, eine alte geliebte Frau, mich spielen sah bei Nacht mit meinen Brüdern in den Saaten. Teufelsbesessen wäre ich, sagten die Menschen, mit Stöcken und Steinen vertrieben sie mich aus dem Dorf, und die vier folgten mir heimlich, von niemandem gesehen. Damals lernte ich gekochtes Fleisch essen und dreist reden. Von Dorf zu Dorf ging ich, Herz meines Herzens, Kühehüter, Wärter der Büffel, Fährtensucher des Wildes, aber niemanden gab es, der es wagte, zum zweitenmal gegen mich die Hand zu erheben.« Mogli beugte sich nieder und streichelte einen der grauen Köpfe. »Tue das auch. Nichts Böses ist an ihnen und keinerlei Zauber. Sieh, sie kennen dich.«

 

»Alle Arten Teufel hausen in den Wäldern«, sagte das Mädchen mit einem Schaudern.

»Lügen, Kindermärchen«, erwiderte Mogli fest. »Oft lag ich im Tau unter den Sternen oder der schwarzen Nacht, und ich weiß, die Dschungel ist meine Wohnstatt. Soll der Mann die Balken seines eigenen Daches fürchten oder die Frau ihres Mannes Herd? Beuge dich nieder und streichele sie.«

»Hunde sind sie und unrein«, murmelte das Mädchen, indes sie sich mit abgewandtem Gesicht vorbeugte.

»Die verbotene Frucht ist verzehrt. Gedenken wir nun des Gesetzes«, erklärte Abdul Gafur düster. »Was zögerst du noch, Sahib? Töte!«

»Still, du! Laß uns hören, was geschah«, gab Gisborne ihm zurück.

»Das hast du gut gemacht«, lobte Mogli und legte wieder seinen Arm um das Mädchen. »Hunde oder nicht Hunde, durch tausend Dörfer sind sie mir gefolgt.«

»So, und wem gehörte damals dein Herz? Durch tausend Dörfer! Tausend Mädchen hast du gesehen. Ich – ich – die ich – die ich aber kein Mädchen mehr bin – besitze ich ganz dein Herz?«

»Bei wem soll ich schwören, bei Allah, deinem Gott?«

»Nein, schwöre bei dem Leben, das in dir ist, und das sei mir genug. Wo war dein Herz in jenen Tagen?«

Mogli lachte leise. »In meinem Wanst, denn ich war jung und immer hungrig. So lernte ich jagen und der Fährte folgen und sandte meine Brüder aus in alle Winde, wie ein König seine Heere. Auf diese Weise trieb ich den Nilghaibullen für den jungen törichten Sahib und die große fette Stute für den großen fetten Sahib, damals, als sie zweifelten an meiner Macht. Ebenso leicht hätte ich die Männer selbst treiben können. Jetzt sogar« – er hob ein wenig die Stimme – »jetzt sogar weiß ich, daß dein Vater und Gisborne Sahib hinter mir stehen. Nein, flüchte nicht davon, denn nicht zehn Mann würden wagen, sich auch nur einen Schritt vorzubewegen. Denke daran, wie oft dich dein Vater schlug. Soll ich das Wort sprechen und ihn abermals im Kreise durch die Dschungel jagen?« Einer der Wölfe richtete sich auf mit gefletschten Zähnen.

Gisborne merkte, wie Abdul Gafur neben ihm am ganzen Leibe zitterte. Gleich darauf war der Platz neben ihm leer, und der fette Mann stolperte eiligst davon.

»Bleibt nur noch Gisborne Sahib«, stellte Mogli fest, ohne sich umzudrehen. »Aber ich aß sein Brot, und bald stehe ich in seinem Dienst; auch meine Brüder werden seine Diener sein, Wild für ihn treiben und Meldungen bringen. Verbirg dich im Grase.«

Das Mädchen entwich, und das hohe Gras schloß sich hinter ihr, während ein Wächterwolf ihr folgte. Mogli, umgeben von den drei anderen Wölfen, wandte sich Gisborne zu, als dieser auf die Lichtung hinaustrat.

»Das ist der ganze Zauber«, Mogli deutete auf seine drei Begleiter. »Der dicke Sahib wußte, daß wir, die wir unter Wölfen aufwachsen, auf Ellbogen und Knien laufen eine Zeitlang. Er befühlte meine Arme und Beine und begriff die Wahrheit, die du nicht kanntest. Ist das so wunderbar?«

»Wahrhaftig, noch wunderbarer ist es als Zauberei. Diese also trieben die Nilghais?«

»Ja, sogar Eblis, den Engel der Finsternis, würden sie treiben, wenn ich es sie hieße. Augen und Füße sind sie mir.«

»Dann nimm dich nur in acht, daß Eblis keine Doppelflinte führt. Sie haben noch einiges zu lernen, deine Teufel, denn einer hinter dem anderen stehen sie jetzt, und zwei Schüsse würden genügen, um sie alle drei umzulegen.«

»Recht, aber sie wissen, daß sie deine Diener sein werden, wenn ich erst Waldhüter bin.« »Hüter oder nicht, Mogli, du hast Scham und Schande über Abdul Gafur gebracht. Sein Haus hast du entehrt und sein Antlitz geschwärzt.«

»Schwarz war es ohnehin, als er dein Geld nahm. Und wurde noch schwärzer, als er vor kurzem dir ins Ohr flüsterte, einen nackten Mann zu töten. Ich selbst werde mit Abdul Gafur reden, denn ich stehe im Dienst der Regierung mit einer Altersrente. Er soll die Heirat vollziehen, in einer Form, die ihm beliebt, oder er wird wiederum gehetzt werden. Wenn der Morgen kommt, gehe ich zu ihm. Im übrigen, dort ist das Haus des Sahibs, und hier ist das meinige. Es ist Zeit, sich wieder schlafen zu legen.«

Mogli wandte sich um und verschwand im Grase – allein blieb Gisborne zurück.

Der Wink des Waldgottes war nicht mißzuverstehen, und Gisborne ging nach seinem Bungalow zurück, wo Abdul Gafur ihn rasend vor Wut und Angst empfing.

»Friedlich, friedlich«, beruhigte Gisborne und schüttelte den Mann, denn er sah aus, als könnte er jeden Augenblick einen Schlaganfall bekommen. »Müller Sahib hat ihn zum Waldhüter ernannt, und nun steht er im Dienst der Regierung und hat, wie du weißt, Anspruch auf eine Altersrente.«

»Paria ist er – ein Mletsch –, Hund unter Hunden, Aasfresser! Welche Rente wäre dafür hoch genug!«

»Allah weiß es; und du hast's gehört, daß das Unglück geschehen ist. Willst du es allen Leuten in die Ohren blasen? Richte schnell die Hochzeit, und das Mädchen wird ihn zum Muselman machen. Er ist sehr schön. Ist es ein Wunder, daß sie zu ihm lief, nachdem du sie verprügelt hast?«

»Drohte er, mich wieder hetzen zu lassen durch seine Tiere?«

»So schien es. Wenn er ein Zauberer ist, so ist er immerhin ein sehr mächtiger.«

Abdul Gafur sann einen Augenblick nach, dann brach er heulend zusammen, vergessend, daß er ein Muselman war.

»Brahmane bist du. Ich bin deine Kuh. Bringe die Sache in Ordnung und rette meine Ehre, wenn es noch möglich ist!«

Zum zweitenmal in dieser Nacht ging Gisborne in den schweigenden Wald und rief nach Mogli. Die Antwort kam hoch obenaus den Wipfeln der Bäume und in durchaus nicht unterwürfigem Ton.

»Rede anständig«, rief Gisborne und blickte auf. »Es gibt noch Mittel genug, dich zu zähmen und dich samt deinen Wölfen zu jagen. Das Mädchen kehrt sofort in das Haus ihres Vaters zurück. Morgen wird Schadi – Hochzeit – sein nach moslemischem Brauch. Dann kannst du sie mit dir nehmen. Bringe sie jetzt zu Abdul Gafur.«

»Ich höre.« Oben in den Zweigen war das Gemurmel zweier sich beratender Stimmen. »Also, wir wollen gehorchen, zum letztenmal.«

Ein Jahr später ritten Müller und Gisborne zusammen durch das Rukh und unterhielten sich über den Dienst. Bei den Felsen, nahe des Kanjeflusses, kamen sie aus dem Wald heraus; Müller ritt um eine Pferdelänge vor Gisborne. Im Schatten eines Dornbusches kroch ein nacktes braunes Kind herum, und aus dem Dickicht, unmittelbar dahinter, äugte der graue Kopf eines Wolfes. Gisborne hatte gerade noch Zeit, Müllers Büchse hochzuschlagen, und die Kugel schlug prasselnd in das Geäst darüber.

»Sind Sie von Sinnen?« donnerte Müller. »Sehen Sie gefälligst hin.«

»Ich sehe«, erwiderte Gisborne gelassen. »Die Mutter ist irgendwo in der Nähe. Sie werden das ganze Pack in Aufruhr bringen.«

Das Gebüsch teilte sich, eine unverschleierte Frau stürzte hervor und riß das Kind an sich.

»Wer hat geschossen, Sahib?« rief sie Gisborne zu.

»Dieser Sahib. Er dachte nicht an die Diener deines Mannes.«

»Dachte nicht. Aber das mag wohl sein, denn wir, die wir mit ihnen leben, vergessen ganz, daß sie fremde Geschöpfe sind. Mogli ist unten am Fluß und fängt Fische. Will der Sahib ihn sehen? Kommt heraus, ihr, aus dem Gebüsch und macht eure Reverenz vor den Sahibs.«

Größer und größer wurden Müllers Augen. Er schwang sich von der bäumenden Stute, indes die Dschungel drei riesige Wölfe auswarf, die Gisborne umschmeichelten. Die Mutter wiegte das Kind in den Armen und drängte die Tiere beiseite, wenn sie ihr die nackten Füße beleckten.

»Sie hatten ganz recht mit Mogli«, wandte sich Gisborne an Müller. »Ich wollte Ihnen schon immer davon erzählen, aber ich habe mich so an den Burschen gewöhnt in den letzten zwölf Monaten, daß ich es ganz vergaß.«

»Ach, nur keine Entschuldigungen«, erwiderte Müller. »Hat nichts zu sagen. Gott im Himmel! ›Und mit Geistesstärke wirk' ich Wunder auch‹ – und sie werden dann wahr.«