Königreich der Pferde

Text
Read preview
Mark as finished
How to read the book after purchase
Königreich der Pferde
Font:Smaller АаLarger Aa

Königreich der Pferde

1  Titel Seite

2  Tedesco

3  Die Gnade des Königs

4  Anachronismus

5  Wildfeuer

Rudolf Jedele
Königreich der Pferde
Band 2 - Tedesco
Königreich der Pferde
Tedesco
Rudolf Jedele


Impressum

Texte: © Copyright by Rudolf Jedele

Umschlag:© Copyright by Rudolf Jedele

Verlag:HCC Projektgesellschaft UG

Parkstraße 35

Kempten

Druck:epubli ein Service der

neopubli GmbH, Berlin

ISBN 978-3-****-***-*

Printed in Germany

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar

.

Tedesco

Ein wenig besiedeltes Land, das war deutlich erkennbar. Seit undenklichen Zeiten hatte keines Menschen Hand mehr in die Entwicklung der Natur eingegriffen. Ungehindertes Wachstum, Ausbreitung nach den ureigensten Gesetzen der Natur hatten den Anblick geformt, der sich den Reisenden nun bot.

Gewaltig hohe, uralte Bäume breiteten ihr Astwerk aus, denn sie konnten in großem Abstand zueinander wachsen, ohne sich gegenseitig das Licht zu rauben. Gewaltige Eichen und mächtige Buchen, aber auch Ahorn und Pappeln standen im Dunst der vom Fluss aufsteigenden Nebelbänke. Der Sommer war vorüber, der Herbst war gekommen und es begann bereits am Nachmittag kühler zu werden. In den Nächten wurde es gar schon kalt und so war bis zum Morgen aus dem Dunst dichter Nebel geworden. Dieser Nebel dämpfte das Sonnenlicht und bewirkte, dass alles um sie herum irgendwie konturlos und schwammig wirkte, nur sie selbst, die Pferde und Reiter schienen real zu sein. Sie standen am Ufer und sahen in die mit Wirbeln und kleinen Strudeln unruhig dahin fließenden Wellen der Nysa, als aus den Büschen neben ihnen der Tiger auftauchte und ohne das geringste Zögern in den Fluss sprang, wo er mit kräftigen Zügen zu schwimmen begann. Der gelbe Schädel hatte schon beinahe die Mitte des Flusses erreicht, als Ceollach seinem schwarzen Hengst die Hacken gegen die Flanken drückte und ihn so aufforderte, dem Tiger zu folgen. Da er an diesem Tag das Handpferd führte, war er zwar doppelt belastet, doch der Barde war längst wieder in bester Form und es störte ihn nicht, mit zwei Pferden den Fluss zu durchschwimmen. Noch ehe Moira ein Wort hätte sagen können, war der Barde schon ein gutes Stück im Fluss und wie an einer Schnur gezogen trieben auch Samara und, zu ihrem nicht geringen Erstaunen, auch der Gnom unaufgefordert ihre Pferde ins Wasser und schwammen in die Strömung hinaus. Es war, als würden sie alle wie von einem magischen Punkt am anderen Ufer angezogen, einem großen inneren Zwang folgend.

Was blieb Moira anderes übrig, als ihren Reisegefährten zu folgen. Es genügte, den Hengst, welchen sie an diesem Tag ritt, leicht mit den Waden anzutippen, damit er vorwärts ging. Moira lenkte ihr Pferd ebenfalls in den Fluss und tauchte in die kalte Flut ein.

Während der Überquerung war sie mit ihren Gedanken ununterbrochen weit voraus. Dort drüben, am jenseitigen Ufer erwartete sie das Ziel einer sehr langen Reise. Einer Wanderung ins Ungewisse, die sie angetreten hatte, weil sie ihr vom Meister so sehr ans Herzen gelegt worden war. Der Fluss war die Grenze und auf der anderen Seite begann das mysteriöse und unbekannte Königreich der Pferde. Krieger auf ganz besonderen Pferden lebten dort und erwarteten diejenigen, welche den Fluss überquerten, so hieß es, um sie erbarmungslos abzuschlachten.

Was, wenn sie am anderen Ufer tatsächlich bereits von den gefürchteten Kriegern der Evokati erwartet und ohne Warnung einfach niedergemetzelt würden?

Was, wenn diese Krieger jenseits des Flusses nicht das geringste Interesse an der Frage hatten, weshalb zwei junge Frauen, zwei Männer und ein Tiger den Fluss überquerten, der die Grenze zu ihrem Reich bildete?

Über allem aber schwebte die Frage, wie es möglich war, dass diese Evokati gegen fremde Menschen kämpften, ohne zuvor einen anderen Anlass für einen Kampf bekommen zu haben, als dass diese Fremden die Grenzen des Königreiches der Pferde überschritten hatten?

Was, wenn es stimmte, was der Alte gesagt hatte?

Wenn die Evokati also auf die Art kämpften, die ihnen vor tausend Jahren von ihrem heimgekehrten König Athelstane und dessen in Shandras Kriegen und Schlachten geschulten Männern vermittelt worden war?

Was, wenn sie, wie Moira, über die Jahre hinweg ihr Können immer weiter geübt, verbessert, verfeinert hatten?

Moira wurde sich der Tatsache bewusst, dass sie und die Freunde in diesem Fall vor einer weitaus schwierigeren Aufgabe standen, als alles, was sie bisher hatten bewältigen müssen. Dann trafen sie vielleicht zum ersten Mal auf gleichwertige Gegner und dann spielte das Verhältnis der Anzahl wieder eine Rolle. Sie waren zu viert. Aber Luzsat war unbewaffnet und würde auch niemals auf ihrer Seite kämpfen. Samara hatte im Grunde gerade erst angefangen zu üben und zählte noch längst nicht als echte Kampfgefährtin.

Blieben sie selbst und Ceollach.

Der Barde war mittlerweile durch sein unermüdliches Üben auf einem Niveau angelangt, auf welchem er Moiras Respekt und Achtung erlangt hatte. An einem Tag mit ganz besonderen Vorzeichen mochte er auch für Moira ein nahezu gleichwertiger Gegner sein. Auf ihn konnte sie also getrost zählen. Sie und er würden also möglicherweise einen ungleichen Kampf bestreiten und bestehen müssen.

Was aber, wenn sie von einem Dutzend Evokati in Empfang genommen würden, die ebenfalls auf diesem Niveau zu kämpfen verstanden?

Fragen über Fragen und keine Antworten…...

Als Moira das westliche Ufer der Nysa erreichte und mit ihrem Hengst aus dem Wasser kletterte, sah sie, dass ihre schlimmsten Befürchtungen wahr geworden waren. Ceollach stand hinter seinem Rappen und hatte den Bogen gespannt. Er zielte über den Sattel hinweg auf einen Feind, den Moira auf den ersten Blick noch nirgendwo entdecken konnte. Samara hatte sich ebenfalls hinter ihrem Pferd in Deckung gebracht, auch sie hielt den Bogen in den Händen, hatte einen Pfeil aufgelegt und einen zweiten hielt sie zwischen den Zähnen bereit. Nur Luzsat schien nichts von dem zu interessieren, was um ihn herum geschah. Er saß regungslos auf seinem Braunen und starrte mit stumpfem Gesichtsausdruck in die Gegend.

Moira traf ihre Entscheidung aus einem Bauchgefühl heraus und ohne darüber nachzudenken. Sie stieß einen gellenden Schrei aus, ließ ihren Hengst aus dem Stand heraus in einem gewaltigen Satz nach vorne anspringen, galoppierte auf eine kleine Lichtung ungefähr hundert Schritte vom Ufer entfernt zu und dort begann sie ein Spiel, bei dem es um nicht mehr und nicht weniger ging, als um ihrer aller Leben.

Die Überquerung der Nysa war anstrengend gewesen und sowohl der Hengst als auch Moira hätten eine Pause gut vertragen. Doch dafür war keine Zeit. Moira war bis knapp unterhalb der Schultern nass bis auf die Haut, doch ihre Waffen waren unbeschadet über den Fluss gekommen. Nun flogen ihr die beiden Schwerter aus den Rückenscheiden wie von selbst in die Fäuste und als das grüne Flirren dieser vor tausend Jahren in einem fernen Land geschmiedeter Klingen die Farbe der Luft um sie herum veränderte, lenkte sie ihren Hengst mit Gewicht und Schenkeln links herum in rasendem Galopp auf einen großen Kreis.

Wer sie so reiten sah, musste unwillkürlich an die Sagen von den Lebewesen denken, die zur Hälfte Mensch, zur Hälfte Pferd waren, denn der Hengst reagierte auf ihre Anweisungen genauso präzise und schnell, als kämen die Befehle aus seinem eigenen Hirn. Moira wurde ganz klein auf dem Rücken des Pferdes und als der erste Pfeil geflogen kam, verschwand sie ganz. Sie hing auf der Innenseite des Kreises an der Flanke des Hengstes, unsichtbar für ihre Gegner und wer sie mit einem Pfeilschuss oder dergleichen treffen wollte, musste erst das Pferd töten. Ein halbes Dutzend Pfeile zischten knapp über den Pferderücken hinweg und Moira demonstrierte, wozu sie mit ihren Schwertern trotz ihrer seltsamen Position immer noch fähig war. Wieder und wieder zischte eine grüne Klinge durch die Luft und jedes Mal fiel einer der Pfeile in zwei Teilen zerspalten und wirkungslos zu Boden. Dann tauchte Moira plötzlich wieder im Sattel auf, griff mit der Linken nach den Zügeln. Dann ein schriller Schrei, ein kurzes Aufrichten im Sattel, ein winziges Signal am Zügel, der Hengst setzte sich in vollem Galopp auf die Hinterbacken, schlidderte ein Dutzend Schritte weit durch das Gras, ehe er für einen Lidschlag lang zum Stehen kam. Dann aber wirbelte er wie an einer Schnur gezogen herum. Die starken Muskeln seiner Hinterbeine katapultierten ihn förmlich hinaus, sofort war er wieder in höchstes Tempo unterwegs und seine rasante Wendung erfolgte genau im richtigen Moment. Vier weitere Pfeile blieben wirkungslos genau dort im Boden stecken, wo Moiras Hengst vermutlich drei oder vier Galoppsprünge später angekommen wären.

 

Moira umrundete die Lichtung am Fluss nun auf der anderen Hand. Als sie aber den äußersten Bogenpunkt des Kreises erreicht hatte, wo sie sich nahezu außer Pfeilschussweite zu befinden glaubte, parierte sie ihren Steppenhengst zum Stand. Jetzt richtete sich Moira im Sattel auf. Stolz und hoch aufgerichtet saß sie im Sattel, zeigte sich wie eine echte Kriegerin und schrie in den Uferwald hinein:

„Ich bin Moira na Perm und auf der Suche nach dem Königreich der Pferde. Ich habe gehört, die Wächter der Pferde wären echte Krieger! Weshalb schießt man dann aus dem Hinterhalt auf mich? Kommt heraus, zeigt euch, die ihr euch die Auserwählten der Pferde nennt und wir werden bald wissen, ob ihr euren Ruf als Reiter und Krieger zu Recht habt!“

Sie forderte damit die Grenzwächter heraus, sie suchte den Kampf. Sie wollte wissen, mit wem sie es zu tun hatte und sie verlangte einen offenen Kampf. Sie parierte den Hengst durch, hielt ihn auf der Stelle, ließ ihn tanzen und steigen und sich auf den Hinterbeinen um die eigene Achse drehen. Was immer sie tat, es wirkte, als handle das Pferd als ein Teil ihres eigenen Körpers und selbst ihre Freunde waren von dieser Zurschaustellung reiterlichen Könnens zutiefst beeindruckt.

Moira schien die wiedergeborene Göttin der freien Pferde darstellen zu wollen und zugleich zeigte sie sich als Inbegriff aller starken und selbstbewussten Kriegerinnen.

Ihr Plan ging auf.
Evokati

Im Unterholz unter den mächtigen Buchen und Eichen des Uferwaldes und damit genau gegenüber von Moira bewegte sich etwas, dann tauchten wie ausgespuckt acht Reiter aus den Büschen auf und jeder dieser Reiter war dazu geeignet, einem Fremden allein durch seine Erscheinung Respekt einzuflößen.

Sie alle waren groß gewachsen und sie alle waren auf eine Art und Weise in Leder gekleidet, die sehr viel Ähnlichkeit mit Moiras eigener Kleidung besaß. Moira hatte ihre Ausstattung zwar selbst, aber unter genauer Anweisung des Meisters gefertigt und es zeigte sich, dass seine Anweisungen auf denselben Ideen fußten, die auch die Herstellung der Ausrüstung ihrer Gegner beeinflusst hatte. Auch die Bewaffnung der Reiter war in fast allem identisch mit Moiras Waffen, allerdings fehlten zwei ganz entscheidende Waffenarten. Bei keinem der Reiter konnte sie die wuchtigen Wurfmesser und ebenso wenig die Shuriken entdecken. Sofort begriff sie diesen entscheidenden Vorteil, denn gerade auch mit diesen Waffen hatte sie es unter der Anleitung ihres Meisters zur höchsten Stufe des Könnens gebracht. Aber die beiden auf dem Rücken getragenen Schwerter waren eindeutig von der Art, wie sie auch in Ama no Mori gefertigt worden waren und die langen Jagdmesser glichen ihrem eigenen als wären sie alle aus ein und derselben Schmiede gekommen. Ohne jeden Zweifel war das die Ausstattung, die vor tausend Jahren aus dem iberischen Heer des Meisters ins Königreich der Pferde gekommen war. Zusätzlich trug jeder der Reiter eine Lanze unter dem rechten Arm, die lang genug war, um als Stichwaffe im Reiterkampf zu taugen aber auch gerade noch kurz genug, um in bestimmten Situationen geworfen werden zu können. Das Stichblatt dieser Lanze war gut eine Handspanne lang, schmal und von der Form eines Weidenblattes. Es war außerdem beidseitig scharf geschliffen. Diese Lanze trugen die Reiter mit besonderem Stolz, also handelte es sich um ihre Hauptwaffe.

König Athelstane hatte gut gelernt….

Keiner der Reiter trug eine Kopfbedeckung, ihr langes und rostrotes bis braunrotes Haar genügte ihnen als Schutz vor Wind und Wetter. Einen anderen Schutz schienen sie nicht zu brauchen. Auch das entsprach der Schule des Meisters.

„Wenn du nicht in der Lage bist, deinen Kopf vor Angriffen deiner Feinde wirksam durch Schnelligkeit und Beweglichkeit zu schützen, kann dir auch ein stählerner Hut nicht wirksam helfen. Er begrenzt deine Sicht und schränkt deine Reaktionsfähigkeiten ein. Er suggeriert dir scheinbare Sicherheit und macht dicht dadurch leichtsinnig und angreifbar. Also lerne dich durch andere Methoden zu schützen. Nimm deinen Kopf rechtzeitig zur Seite, dann wird dir auch nichts geschehen.

Im Übrigen:
Willst du ewig leben?“

Die langen Haare der Reiter waren zu vielen langen Zöpfen geflochten und die Zöpfe im Bereich der Stirn waren nach hinten gebunden und gaben der ganzen Haartracht ausreichenden Sitz und Halt.

Sechs der Reiter waren Männer. Durchweg junge Männer, in etwa im Alter Ceollachs. Die beiden übrigen Reiter aber waren Frauen, ebenfalls noch jung, aber wohl etwas älter als Moira selbst.

All das nahm Moira in winzigen Augenblicken wahr, dann aber wurde ihre Aufmerksamkeit von den Pferden in Anspruch genommen, in deren Sättel die Grenzwächter saßen und je länger sie diese Tiere betrachtete, desto dringender wurde der Wunsch in ihr, ein solches Pferd möglichst rasch und für immer zu reiten.

Die Pferde der beiden Frauen waren fuchsfarben, während die Rösser der Männer braun bis hin zu einem fast schwarzen Farbton waren. Das Fell der Tiere glänzte wie frisch poliert und spannte sich seidig glatt und straff über wunderbar bemuskelte Körper. Die Hälse der Pferde waren kräftig, lang und schön geschwungen, die Nackenmuskeln stark, die Mähnen dicht, lang und seidig. Die Stirn war breit, die Augen leicht schräg stehend und die Nasenrücken so gerade wie an einem Holz ausgerichtet. Die Haut war bei allen Pferden dunkel pigmentiert, die Nüstern waren weit geschnitten und bestens dafür geeignet, auch bei höchster Anstrengung genügend Luft in die Lungen strömen zu lassen. Die Ohren waren nicht übermäßig klein, aber auch nicht auffallend groß und pfeilgerade nach vorne ausgerichtet, dorthin wo sich Moira befand, wo es also etwas zu erkunden gab. Die Brust der Pferde war breit und stark und bei allen zeigten schwellende Muskeln, in welch blendender Verfassung diese Tiere sein mussten. Lange Unterarme, kurze Röhrbeine und schlanke aber sichtlich kräftige Fesseln, die genau die richtige Winkelung zeigten, die ein Pferd braucht, um sich weich und geschmeidig bewegen zu können. Alle Pferde standen über deutlich mehr Boden, als Moira es von den Pferden gewohnt war, die sie bislang gesehen hatte. Zudem waren sie am Widerrist mindestens zwei, wenn nicht sogar zweieinhalb Hände höher als die Pferde, die Moira und ihre Begleiter ritten. Die Schultern der Pferde waren lang und ließen gut erkennen, wie weit das Vorderbein hinaus greifen konnte, wenn die Bewegungen raumgreifend werden mussten. Die Kruppen waren rund und kräftig, auch hier war allenthalben zu beobachten, wie gut diese Pferde ausgebildet waren, denn eine solch kräftig entwickelte Kruppe bekommt ein Pferd nicht ohne intensives und sachkundiges Üben. Aus solchen Kruppen kommt der Schub, den das Pferd eines Kriegers braucht, will er seinem Reiter ein echter Helfer und Partner im Kampf und im Streit sein.

Diese Pferde waren nicht für die schnelle Flucht ausgebildet worden, das waren Pferde, die mit ihren Reitern in die Schlacht zogen und zu einem einzigen Lebewesen mit ihren Reitern verschmolzen, wenn es im Kampf galt, alles zu geben.

Im Gesamtbild zeigten diese Rösser eine Aura von Stolz und Selbstbewusstsein und dennoch waren sie offenbar von großer Gelassenheit und freundlichem Wesen, auch untereinander. Es handelte sich ausschließlich um Hengste und dennoch standen sie so ruhig und gelassen neben einander, als gäbe es keine Konkurrenz unter ihnen.

So groß diese Pferde auch waren, Moira erkannte sehr wohl, wie geschmeidig und leichtfüßig sich jedes einzelne von ihnen bewegte, als sie aus dem Waldrand heraus auf die Lichtung traten. Der Wunsch ein solches Pferd zu besitzen wurde bereits schon fast übermächtig in ihr.

Doch zunächst gab es anderes, das mehr im Vordergrund stand und gelöst werden musste. Zuerst galt es ihr eigenes und auch das Leben ihrer Begleiter zu erhalten, denn die acht Reiter erweckten nicht den Eindruck, als hätten sie großes Interesse daran, die Eindringlinge in das Königreich der Pferde am Leben zu lassen. Es war eine der beiden Frauen, die ihren Fuchs durch ein winziges Signal der Waden ein paar Schritte nach vorne tanzen ließ, ehe sie Moira ansprach.

„Normalerweise wärt ihr alle jetzt schon tot, doch deine Reitkunst und dein Umgang mit den Waffen interessieren uns. Für gewöhnlich kommen keine Reiter über den Fluss, nur Pferdeknechte und Pferdeschinder. Deshalb haben wir beschlossen, mit dir zu sprechen, ehe wir euch alle töten.

Was suchst du auf dieser Seite des Flusses, die du dich Moira na Perm nennst?“

„Ich bin von meinem Meister am Ende des vergangenen Winters losgeschickt worden, um das Königreich der Pferde zu suchen. Er hat mir prophezeit, dass ich dort wahrscheinlich meine Bestimmung finden werde. Ich bin seit nunmehr sieben Monden auf dieser Reise und eigentlich froh, in der Nähe meines Ziels zu sein.“

„Dein Meister hat dir nichts Gutes prophezeit. Es sei denn, deine Bestimmung sollte es sein, möglichst bald tot zu sein. Natürlich müssen wir alle irgendwann sterben, aber du bist noch sehr jung, du würdest noch eine Weile leben können, wenn du nicht auf deinen Meister gehört hättest. Es war dumm von dir, zum Sterben eine derart lange Reise zu unternehmen.“

„Nun, bislang bin ich ja noch nicht tot. Ich bin mir auch nicht sicher, ob meine Zeit zu sterben bereits gekommen ist, denn ich denke, wenn ihr wie echte Krieger mit mir kämpft, werde ich noch lange leben können. Wenn ihr allerdings wie Wegelagerer alle zugleich auf mich losgeht, kann es schon sein, dass meine Reise hier zu Ende ist. Doch allein werde ich diese Welt selbst dann nicht verlassen. Ein paar von euch werden mit mir kommen und nachdem du dich so vorgedrängt hast, wirst du zu meinen bevorzugten Begleitern gehören.

Willst du es versuchen?
So oder so, ich bin bereit!“

„Du scheinst dir deiner selbst ziemlich sicher zu sein, Moira na Perm. Nun, wir haben ein Sprichwort, welches besagt, dass der Hochmut vor dem Fall kommt. Bereite dich auf deinen Abschied von dieser Welt vor!“

Die Sprecherin legte ihrem Fuchshengst die Waden an, fasste die Zügel ein klein wenig kürzer und ließ das Pferd in einem starken Galopp vorwärts und auf Moira zu springen. Dabei wurde die Lanze eingelegt und die funkelnde Spitze fuhr wie an einer Schnur gezogen auf Moiras Brustbein zu.

Moiras Chancen diesem Angriff zu entgehen lagen in der Schnelligkeit und dem Gehorsam ihres Pferdes und in ihrer eigenen Bereitschaft, riskante Manöver zu reiten. Der Steppenhengst gehorchte Moiras Hilfen nicht minder perfekt als der Fuchshengst seiner Reiterin gehorcht hatte. Allerdings beherrschte Moiras Hengst ein paar Lektionen, die der Angreiferin offenbar neu waren. Anstatt vor der Lanze zu flüchten, donnerte Moira der Evokati entgegen, dabei sprang ihr Hengst im Stile eines Schwertkämpfers in schnellen Sprüngen mal links, mal rechts zur Seite, ohne dabei die Hauptrichtung nach vorne zu verlieren. Ein faszinierender Anblick, denn die Evokati hatte plötzlich kein festes Ziel mehr für ihre Lanzenspitze, während ihr ein wildgewordener Dämon auf vier Beinen entgegen kam, der von einer Aura grünen Lichtes umhüllt zu sein schien. Moiras Schwerter pfiffen durch die Luft und dann flog plötzlich eine blitzende Lanzenspitze in hohem Bogen davon, gefolgt von eins, zwei, drei ellenlangen Stücken des Lanzenschaftes. Im nächsten Augenblick war Moira neben der Evokati und das Dai Katana fuhr wie ein grüner Blitz quer über die ungeschützte Kehle der Widersacherin, dann war Moira auch schon vorbei. Zwei Galoppsprünge ließ sie ihren Hengst noch tun, dann kreiselte sie herum und erschrak. Zum ersten Mal in ihrem Reiterleben, hatte sie mit einem Gegner zu tun, der sein Pferd noch schneller, noch enger hatte wenden können als sie.

Der Schnitt des Schwertes war nicht tief gewesen. Moira hatte nicht vorgehabt, die Gegnerin schon beim ersten Aufeinandertreffen zu töten. So war nur die Haut verletzt, doch die Wunde blutete stark und der Blutverlust würde die Gegnerin sicherlich schwächen oder zumindest ihre Konzentration stören.

Allerdings, in diesem Augenblick war davon noch nichts zu entdecken. Im Gegenteil, die Kampfeslust der Evokati schien jetzt erst auf das Höchste angestachelt zu sein. Ihre Augen funkelten, ihre Muskeln waren gespannt, sie war bereit, den Fehler wieder auszumerzen, denn sie begangen hatte und sie kämpfte nicht allein. Der mächtige Fuchshengst legte nun ein eigenes Kampfverhalten an den Tag, seine Reiterin brauchte ihn nunmehr weder zu lenken noch im Tempo zu korrigieren, das Pferd wurde selbst zu einer grandiosen Waffe. Je näher ihr die Gegner kamen, desto mehr begriff Moira, dass sie mit ihrem Steppenhengst diesem gewaltigen Streitross und seinen wilden Attacken nicht standhalten konnte und so blieb ihr keine Wahl, sie mussten ein Rückzugsgefecht führen. Auch das hatte sie mit dem Meister unendlich oft und ausgiebig geübt. Ihre Lehrjahre waren auch in dieser Hinsicht hart gewesen und sie hatte gelernt, sich einer Übermacht durch eine taktische Flucht zu entziehen. Doch dieses Fliehen bildete stets die Basis für eigene Angriffe. Moira reagierte also instinktiv und schnell. Anstatt sich den wilden Angriffen des großen, starken und unglaublich schnellen Fuchshengstes zu stellen, ließ sie dessen Attacken immer wieder verpuffen, weil sie ihrem eigenen Ross im letzten Moment die entscheidenden Hilfen gab und es mit oft aberwitzigen Sprüngen zur Seite ausweichen ließ. Aus diesen Meidbewegungen heraus entwickelte sie stets und unmittelbar einen eigenen Angriff und so blieb der ja nur oberflächlich geführte Schnitt über die Kehle ihrer Gegnerin nicht deren einzige Verletzung. Was die Evokati ihr in Sachen Pferd voraus hatte, machte Moira durch ihre überragende Reitkunst und durch ihr geradezu atemberaubendes Können mit den Schwertern wieder wett. Sie brachte es sogar mühelos fertig, weiterhin darauf zu achten, dass keine der Verletzungen, die sie ihrer Gegnerin zufügte so schwer war, dass diese kampfunfähig geworden wäre. Moiras Plan war ein gänzlich anderer. Sie wollte mit jeder Wunde, die sie der Evokati beibrachte den Nachweis erbringen, dass sie diese ohne zusätzliche Mühe genauso gut hätte töten können. Sie hatte vor, die Gegnerin so sehr zu schwächen, dass die Evokati ihr Können akzeptierten. Nur dann bekam sie vielleicht die Gelegenheit zu einem weiteren Gespräch und zu einer anders gearteten Einigung.

 

Schon bald blutete die Evokati aus mehr als einem halben Dutzend Wunden und man konnte ihr den Frust und die durch den Blutverlust entstehende Erschöpfung nun doch ansehen. Doch auch Moira bekam langsam aber sicher Sorgen.

Nein, nicht sie selbst, ihr Hengst war es, der müde wurde.

Nun machte sich die anstrengende Überquerung der Nysa doch bemerkbar und Moira wäre froh gewesen, schnell auf den zweiten Hengst wechseln zu können, doch diese Gelegenheit gab ihr die Gegnerin trotz ihrer Wunden nicht. Sie kämpfte mit einer unglaublichen Verbissenheit und wuchs immer wieder über sich selbst hinaus. Sie fand neue Kräfte tief in ihrem Inneren und mit diesen neuen Kräften wäre es ihr beinahe gelungen, Moira sogar mit dem Schwert zu treffen und ihr ebenfalls eine Wunde beizubringen. Das stellte sich im nächsten Augenblick allerdings als fataler Fehler heraus, denn Moira begriff rasch, woher diese unerwartete Kraftreserve gekommen war.