Seewölfe - Piraten der Weltmeere 100

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 100
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Impressum

© 1976/2015 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-424-1

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

1.

„Tötet den Seewolf!“

Chumash, der Serrano-Indianer, raunte es seinen beiden Verbündeten mit haßverzerrtem Gesicht zu. Er war durch den düsteren Vordecksraum zu ihnen gekrochen und kauerte zwischen den Lagern, die sie sich auf den rohen Eichenholzplanken eingerichtet hatten. Mit entschlossener Geste drückte er ihnen die beiden Hartholzmesser in die Hände und wiederholte es.

„Bringt diesen verfluchten Hund um. Tötet ihn! Wir reißen das Schiff an uns.“

Die Hartholzmesser wurden in den Händen der Rothäute zu Waffen, die mit den Eisenklingen der Weißen auf gleicher Ebene einzustufen waren. An Schneidefähigkeit standen die ebenso scharf wie spitz zugefeilten, unglaublich widerstandsfähigen Instrumente in nichts den Palometa-Messern nach, die die Indianerstämme der Karibik in der tropischen Dschungelhölle aus Knochen und Zähnen der Piranhas fertigten.

Chumash und seine Freunde hatten auch die Waffen des weißen Mannes besessen, weil ihr Häuptling Hidduk sich mit dem Spanier Sabreras verbündet hatte. Aber diese Flinten, Pistolen, Säbel, Degen und Messer waren ihnen auf San Cristóbal vom Seewolf abgenommen worden, nachdem er sie besiegt hatte.

Chumash aber hatte die Hartholzmesser vom Schamanen des Stammes zugespielt erhalten, und er hatte sie unter seinem Lendenschurz verbergen können, als sie an Bord der Galeone mit den langen Masten und den erstaunlich flachen Aufbauten gegangen waren.

Hidduk hatte ihn, Chumash, als seinen Stellvertreter und engsten Vertrauten zusammen mit fünf anderen Männern ausgewählt, diesen Philip Hasard Killigrew zu begleiten. Die Reise der „Isabella VIII.“ und des unheimlichen schwarzen Schiffes mit den dunklen Segeln an den vier Masten führte nach Neu-Granada. Dort wollte der Seewolf Sabreras stellen.

Aber Chumash hatte sich schon auf San Cristóbal innerlich von Hidduk abgewandt und völlig andere Pläne, als mit diesem Lobo del Mar zu paktieren. Chumash fühlte sich noch immer als echter indianischer Seeräuber. Er wollte beide Schiffe, die „Isabella“ und den schwarzen Segler – und der Handstreich sollte schon jetzt, in der ersten Nacht nach dem Aufbruch von den Galapagos, geführt werden.

Yalic, der eine Mitverschwörer von Chumash, fuhr prüfend mit dem Finger über die Schneide seines Messers. „Ja. Wir überlisten den Seewolf, stechen ihn nieder und treten ihn wie einen räudigen Hund. Danach schlägt auch Hidduks Stunde. Er ist die längste Zeit Häuptling der Serranos gewesen. Sein Platz gebührt dir, Chumash.“

Tezoura, der dritte Mann im Bund, blickte zu den drei Stammesbrüdern, die hinter ihm im Dunkel des Vordecksraumes ruhten. Er konnte sie mehr ahnen, als wirklich sehen, denn das schale Mondlicht stahl sich nur durch ein paar Ritzen in der Beplankung der „Isabella“ herein und reichte nicht aus, die Gestalten der drei zu beleuchten.

„Still“, zischte Tezoura. „Mir war so, als hätte sich einer von ihnen bewegt.“

„Warum bringen wir sie nicht gleich um?“ fragte Yalic mühsam beherrscht. „Sie stehen auf Hidduks Seite. Wir haben uns fast verraten, als wir versuchten, sie für uns zu gewinnen. Warum besorgen wir es ihnen also nicht?“

Chumash schüttelte den Kopf, aber auch das war nur als schemenhafte Bewegung zu erkennen. „Wenn das Blut von Lobo del Mar und Hidduk, diesem Verräter, erst die Planken des Schiffes tränkt, werden sich die drei Hunde dort sehr wohl überlegen, auf wessen Seite sie sich zu schlagen haben. Sie werden sich zum Stärkeren bekennen – zu mir. Darauf kommt es mir an. Noch brauche ich sie. Später rechne ich auch mit ihnen ab.“

Tezoura war inzwischen zu den drei Stammesgenossen gekrochen, um sich zu vergewissern, ob sie auch wirklich schliefen. Hatten sie etwa mitgehört, was die Verschwörer in ihrer hart akzentuierten, kehligen Muttersprache beredeten?

Tezoura beugte sich über den ersten, tastete nach seinem Gesicht und schob prüfend das eine Augenlid hoch. Trotz der Finsternis konnte er das Weiße der Pupille schimmern sehen. Er nahm die gleiche Probe auch bei den beiden anderen vor – mit demselben Ergebnis. Erst jetzt gab er einen beruhigten Laut von sich.

Er kehrte zu Chumash und Yalic zurück. Sie stimmten tuschelnd weitere Einzelheiten ihres Vorhabens miteinander ab.

Am Ende flüsterte Chumash: „Schwört, daß ihr bis zum letzten geht, wenn es nötig ist.“

„Bis in den Tod“, erwiderte Yalic.

„Wir schwören es“, raunte Tezoura.

Sie verließen den Vordecksraum. Auf dem Gang, der ihre Unterkunft vom Mannschaftslogis trennte, wandte sich Chumash nach achtern, also zur Kuhl, während seine beiden Helfer den entgegengesetzten Weg einschlugen.

Yalic und Tezoura pirschten zum vorderen Schott des Vorkastells. Die Tür zum Logis stand offen, sie konnten das Schnarchen mehrerer Männer und die gemurmelten Flüche eines weiteren vernehmen, der sich im Traum über „verdammte Spottdrosseln“ beschwerte.

Sie wußten nicht, daß es der Kutscher war, der auf Espanola seine liebe Not mit den freundlichen und manchmal etwas zu aufdringlichen Tieren des Galápagos-Paradieses gehabt hatte. Sie verstanden nicht einmal seine Worte, denn sie waren der englischen Sprache nicht mächtig.

Yalic und Tezoura ließen sich auf alle viere nieder und krochen lautlos auf den Finger- und Zehenspitzen. Es war eine Technik, die die Indianer in Vollkommenheit beherrschten. Raubkatzen gleich schoben sie sich auf das Schott zu, richteten sich wieder auf und öffneten den Auslaß, ohne dabei auch nur das geringste Geräusch zu verursachen.

Im selben Augenblick drückte Chumash das Schott zur Kuhl auf und schlüpfte durch den Spalt ins Freie. Im Gegensatz zu den beiden Komplicen gab er sich keine Mühe, leise vorzugehen. Im Gegenteil, er wollte ja auffallen.

Lauer Nachtwind umfächelte sein Gesicht. Er fiel von schräg achtern ein, also raumschots, und die „Isabella VIII.“ lag bei rascher Fahrt nach Backbord über. Chumash balancierte auf dem leicht abschüssigen Hauptdeck entlang. Er wandte sich nach achtern. Seine nackten Fußsohlen tappten dumpf auf den Planken.

Wie kristallene Punkte schimmerten seine Augen in dem harten, maskenhaften Gesicht. Er blickte zum schwarzen Schiff, das schräg versetzt Backbord querab von der Dreimastgaleone segelte. Von dort drohte keine Gefahr. Niemand würde von dort drüben aus Yalic und Tezoura sichten, auch nicht der beste Ausguck der Welt.

Durch Beobachtungen hatte der schlaue Chumash herausgefunden, wer um diese Stunde die Deckswache innehatte. Da war der Mann, der statt der rechten Hand einen eisernen Haken hatte. Wie riefen die Seewölfe ihn doch gleich? Richtig – Matt Davies. Davies hatte die Ruderwache übernommen. Er stand im Ruderhaus und hatte Chumash natürlich bereits entdeckt.

Weiter waren da: der drahtige Blonde, der Bob Grey hieß, ein großer Mann namens Stenmark, ein kleiner, blauäugiger Bursche, den alle Luke Morgan nannten, ein hagerer Blondschopf namens Gary Andrews und schließlich dieser schwarzhäutige Herkules. Wenn Chumash sich recht entsann, hieß er Batuti.

Der Rest der Mannschaft war wachfrei. Nur sechs Männer dirigierten das Schiff durch die Nacht, sechs, die Chumash zu übertölpeln gedachte.

Grey und Stenmark hatten sich auf der Back postiert, drehten sich aber sofort um und traten an die Balustrade zur Kuhl, als sie den Indianer zum Achterdeck gehen sahen. Morgan und der große Schwarze befanden sich auf dem Achterdeck. Sie erblickten Chumash ebenfalls und schritten sofort zum Backbordniedergang, der auf das Quarterdeck hinunterführte.

Das größte Risiko im Hinblick auf Yalics und Tezouras Unternehmen wurde folglich durch Gary Andrews verkörpert. Er hatte Dan O’Flynn im Großmars abgelöst, und von seiner Position aus konnte er auch den größten Teil der Galionsplattform einsehen.

Yalic und Tezoura hatten sich vom Vordecksschott aus auf die Galionsplattform gepirscht und glitten jetzt im Schutz der Back auf das Steuerbordschanzkleid zu. Sie mußten darüber hinweg, um ihren Weg fortsetzen zu können, und genau das war der kritischste Punkt.

Chumash geriet absichtlich aus dem Gleichgewicht. Er rutschte gekonnt aus, schlug hin und schlidderte nach Backbord. Er rollte gegen das Schanzkleid, fluchte leise in seiner Muttersprach, rappelte sich wieder auf und wankte weiter in Richtung Ruderhaus.

Er war sicher, in diesem Augenblick auch die Aufmerksamkeit von Gary Andrews auf sich gelenkt zu haben.

Das stimmte. Gary hatte die rasche Bewegung auf Deck registriert und durch das Knarren der Blöcke und Rahen auch den dumpfen Laut vernommen, mit dem der Indianer tief unter ihm innige Bekanntschaft mit den Kuhlplanken geschlossen hatte.

 

Gary blickte über die Umrandung des Großmarses nach unten und murmelte: „Hölle und Teufel, was will denn der? Hat Hasard nicht ausdrücklich angeordnet, daß sich in der Nacht nur die Wache auf Oberdeck aufzuhalten hat? Na, Matt, Stenmark und die anderen werden ihm schon die Leviten lesen.“

Chumash hatte das Ruderhaus erreicht.

Yalic und Tezoura haben es geschafft, sagte er sich. Bestimmt hangeln sie außenbords auf den Berghölzern der Steuerbordseite entlang, wie ich es ihnen befohlen habe.

Gewiß, es gab auch einen Weg, der durch das Innere der „Isabella“ bis zu den Kammern des Achterkastells führte. Aber Chumash hatte im Laufe des Tages heimlich überprüfen können, ob ihnen dieser Weg auch wirklich offenstand. Das Ergebnis lautete, daß der Zugang zu den Frachträumen verriegelt war und niemand außer dem Seewolf diese Barriere zu überwinden vermochte.

In den Frachträumen lagerten die Smaragde des Kommandanten Sabreras und die anderen Schätze von El Lobo del Mar. Unermeßlicher Reichtum, den Chumash mit der Macht über Schiff und Mannschaft an sich zu reißen gedachte.

Er schaute zu Batuti und Luke Morgan. Sie schritten die Stufen des Niederganges hinunter auf ihn zu, und über ihnen wurden die Umrisse der Piragua erkennbar. Der Seewolf hatte darauf bestanden, einen der Einmaster der Serranos mitzunehmen, damit Hidduk und seine sechs Begleiter später unabhängig von den weißen Männern die Reise fortsetzen und zu den Galápagos zurückkehren konnten.

Für Sekunden dachte Chumash fast wehmütig an die Heimat, die er vor vielen Monden hinter sich gelassen hatte. Santa Barbara, die Inseln, Neu-Albion im nördlichen Neu-Spanien – waren die Serranos verflucht, würden sie ihr Land nie wiedersehen?

Hidduk, der in einer Kammer des Achterkastells schlief, trug nach Chumashs Überzeugung am meisten dazu bei, daß sie geradewegs ins Verderben steuerten.

Matt Davies musterte den Indianer aus schmalen, mißtrauischen Augen.

„Kein Stehvermögen, was?“ sprach er ihn auf spanisch an. „Im Stockdunkeln auf Deck hinschlagen und womöglich noch außenbords gehen, das haben wir gern. Bist du nicht ganz richtig im Kopf, Hombre?“

Chumash verstand Spanisch. Er konnte sich auch gebrochen in dieser Sprache ausdrücken. Sabreras hatte Hidduk, ihm und anderen Männern des Stammes genügend Vokabeln beigebracht, um sich mit ihnen verständigen zu können.

Aber Chumash antwortete nicht auf Matts Frage.

Luke Morgan trat vor den Stellvertreter des Häuptlings hin und taxierte ihn mit einem nicht minder argwöhnischen Blick als Matt.

„Was soll denn das?“ sagte er, ebenfalls auf spanisch. Hasard hatte seiner kompletten Crew die Sprache der Weltbeherrscher gelehrt. Es hatte viel Zeit gekostet, aber auch viel gefruchtet. „Du bist Chumasch“, fuhr Luke fort. „Und ich habe dich im Verdacht, Koka gekaut zu haben. Wo hast du das verflixte Teufelszeug versteckt, he? Unser Kapitän hat es verboten, zumindest für die Zeit, in der ihr mit uns zusammen seid. Wir wissen aus eigener Erfahrung, was ihr verzapft, wenn ihr den Dreck in euch reingefressen habt.“

„Koka“, murmelte Chumash. „Gift für den weißen Mann.“

Bob Grey und Stenmark waren inzwischen auch heran. „Für den roten Mann etwa nicht?“ sagte Stenmark. „Du wärest eben doch fast in den Teich gefallen – und wir hätten dich wieder ’rausfischen müssen. Was hast du in dem Zustand denn bloß vor? An die Gurgel willst du uns doch wohl nicht springen.“

„Versuche es“, forderte Batuti den Indianer auf. „Batuti rammt dich unangespitzt ins Deck.“

Chumash wies mit bebender Hand zum schwarzen Segler.

„Großer Geist“, stieß er hervor. „Spricht zu Chumash. Sagt, das Schiff mit den vier Masten ist verschwunden, verzaubert. Böser Dämon haust in seinem Bauch.“

Bob Grey lachte auf. „Also, du hast Nerven. Das wissen wir doch längst. Der Dämon, von dem du sprichst, ist wahrscheinlich die Mumie des chinesischen Mandarins, die in dem Geheimversteck liegt. Aber der Knabe ist harmlos, ich schwör’s dir.“

„Quatsch“, meinte Matt Davies. „Chumash kann unmöglich wissen, welches Geheimnis Siri-Tongs Schiff birgt.“

Stenmark grinste. „Klar, aber in seiner blumigen Phantasie malt er sich so einiges aus. Uns ist doch bekannt, wie abergläubisch die Indianer sind. Bloß daß sie so schlechte Seeleute sind und sich nachts auf Oberdeck die Nase eindellen, hab ich noch nicht gewußt.“

„Bringen wir ihn zurück ins Vordeck“, sagte Bob Grey. „Hasard will nicht, daß während der Nacht außer uns jemand an Oberdeck herumläuft. Er hat seine triftigen Gründe dafür.“

Ja: Der Seewolf hatte die sieben Santa-Barbara-Indianer zwar als vollwertige Bundesgenossen mitgenommen, aber er hatte auch seine Vorsichtsmaßnahmen getroffen. Nach wie vor war er auf der Hut, ließ sie tagsüber nicht aus den Augen und sorgte bei Dunkelheit dafür, daß sie in ihren Räumen unter Deck blieben. Nachts waren bekanntlich alle Katzen grau, und entsprechend lauteten die Anweisungen, die Hasard seiner Crew gegeben hatte.

„Dämon der Finsternis“, murmelte Chumash mit unverwandt starrem Blick auf den schwarzen Segler. „Fluch über die ‚Isabella‘. Der Untergang – steht bevor.“

„Jetzt reicht’s mir aber“, sagte Luke Morgan. Er griff nach Chumashs Arm. Batuti packte ebenfalls mit zu, und so bugsierten sie ihn auf die Kuhl hinunter und dann in Richtung auf das Vorkastell.

Chumash ließ es widerstandslos geschehen. Er schien völlig apathisch zu sein.

„Wie der sich vollgepumpt hat“, sagte Luke. „So dicke bin ich ja noch nicht mal, wenn ich mir eine Gallone Rum und Whisky zusammen hinter den Kragen kippe.“

Sie schafften ihn in den Vordecksraum gegenüber dem Mannschaftslogis. Als sie ihn losließen, tat er zwei, drei torkelnde Schritte und sank dann zusammen.

Luke trat zu Chumash und beugte sich über ihn.

„Bewußtlos“, stellte er fest. „Ich sag’s ja, so besoffen ist auch der vollste Seebär nicht. Schnaps ist eben doch was anderes als diese verdammten Koka-Blätter.“ Er rümpfte die Nase, weil es in dem Raum strenge roch. Nach einigem Herumtasten hatte er dann unter Chumashs Lager die Blätter der berauschenden Pflanze gefunden. Er steckte sie sich in die Tasche.

„Die schmeißen wir über Bord, Batuti.“

„Gute Idee. Koka macht Indianer wild.“

„Unzurechnungsfähig, wolltest du wohl sagen.“

Luke versuchte, etwas von seiner Umgebung zu erkennen. So sehr er aber auch die Augen anstrengte, er konnte kaum die Konturen der anderen schlafenden Indianer erkennen.

„Zünde mal ein Licht an“, sagte er zu Batuti. „Ich hab irgendwie das dumpfe Gefühl, hier läuft was. Was Oberfaules.“

Der Gambia-Neger wandte den Kopf und antwortete: „Da kommt Licht. Öllampe.“

Jemand schritt durch den Gang. Luke legte instinktiv die Hand auf den Pistolenkolben, atmete aber auf, als er im Schein der Lampe das Narbengesicht von Edwin Carberry erkannte. Im zuckenden Licht sah der Profos der „Isabella“ kein bißchen netter aus als gewöhnlich, im Gegenteil. Und da er außerdem noch eine so grimmige Miene aufgesetzt hatte, als wollte er Batuti mit Haut und Haaren verschlingen, konnte man bei seinem Anblick glatt das Fürchten lernen.

„Was geht hier vor?“ zischte er. „Juckt euch das Fell, ihr Kakerlaken? Ich …“

„Warte mal, Ed“, sagte Luke Morgan leise. „Leuchte bitte mit der Lampe hier herein – ja, so. Danke. Teufel auch …“

Der Lichtkreis erfaßte die Gestalten von Chumash und drei anderen Serranos. Sie lagen reglos auf ihren einfachen Lagern und schienen durch nichts auf der Welt aus ihrem Schlummer geweckt werden zu können.

„Was ist denn jetzt los?“ brummte Carberry. „Eigentlich müßten es sechs sein. He, Luke, he, Batuti, du rabenschwarzer Strolch, wollt ihr endlich erklären, was hier gespielt wird, oder muß ich euch die Würmer einzeln aus der Nase ziehen, was, wie?“

Luke schilderte mit gedämpfter Stimme, was auf Oberdeck geschehen war, dann schüttelte er Chumash. „Wo sind die beiden anderen? Rück bloß damit heraus, sonst gibt’s Ärger. Wo stecken sie?“

Chumash rührte sich nicht.

„Laß mich mal“, stieß der Profos grollend aus. „Ich krieg ihn schon wach.“

Batuti schüttelte den Kopf. „Koka. Ist ohnmächtig, der Bursche.“

„Ihr Rübenschweine“, sagte Carberry. „Wenn die zwei Indianer auf Oberdeck herumkrauchen, hättet ihr sie doch sehen müssen – es sei denn, ihr habt gepennt.“

„Wir pennen nicht auf Wache“, erwiderte Luke ziemlich angriffslustig. „Meiner Meinung nach gibt es nur zwei Möglichkeiten. Entweder sind die Kerle irgendwo im Schiffsinneren und versuchen, an die Smaragde heranzukommen. Oder an unsere Waffen. Die Versuchung ist ja groß. Die andere Möglichkeit: Sie sind mal kurz auf die Galion ’raus, wo man sie leicht übersehen kann. Vielleicht müssen sie mal aus der Hose.“

„Serranos haben keine Hosen“, sagte Batuti.

„Mann, halt die Luft an, mir ist nicht zum Scherzen zumute“, entgegnete der Profos. „Los, Kerl, ihr durchsucht die ‚Isabella‘. Ich gehe auf die Galionsplattform und schaue nach, ob die Knaben dort sind. Wenn nicht, sage ich auch Bob, Stenmark, Matt und Gary Bescheid. Und wenn wir die Indianer dann immer noch nicht finden, schlage ich Alarm, daß der ganze Kahn wackelt.“

Chumash, der immer noch erfolgreich den Bewußtlosen spielte, hatte von dem Gespräch nichts verstehen können, weil es auf englisch geführt worden war. Aber natürlich war ihm klar, daß die Männer der „Isabella“ kurz vor der Aufdeckung des Komplotts standen.

Er hoffte inständig, daß Yalic und Tezoura es geschafft hatten. Sie mußten die Heckgalerie der Galeone erreicht haben.

Carberry, Luke Morgan und Batuti verließen den Vordecksraum.

Chumash schlug die Augen auf.

2.

Der grüne Stein war rundum in Gold gefaßt und an einer langen goldenen Kette befestigt. In dem Juwel, den die Spanier Esmeraldo getauft hatten, brach sich das rotgoldene Licht der beiden Öllampen in der Kapitänskammer, und alles Glück, alle Verheißung der Welt schienen als stumme Botschaft in diesem einzigartigen Glanz zu liegen.

Hasard drehte den Zweikaräter zwischen Daumen und Zeigefinger. Dabei dachte er an das, was hinter ihm und seinen Freunden lag – und an das, was ihnen bevorstehen mochte. Er saß auf einem geschnitzten Holzgestühl hinter seinem Pult, vor ihm ruhte mit aufgeklapptem Deckel eine Schatulle auf der Tischplatte.

Sie war bis zum Überquellen mit Esmeraldos gefüllt – mit den Smaragden, die der Kommandant Sabreras heimlich versteckt hatte. Er hatte die Santa-Barbara-Indianer, die mit ihren Piraguas bis zum Galápagos Archipel gelangt waren, zu einem zweifelhaften Pakt überreden können. Sie bewachten seinen Privatschatz, und er konnte absolut sicher sein, daß niemand anders Hand daran legte.

Das war so gewesen, bis der Seewolf vom Sturm zu den Galápagos-Inseln getrieben worden war. Er hatte auf Espanola sein Lager aufgeschlagen, die „Isabella“ und „Eiliger Drache über den Wassern“ reparieren lassen und Bekanntschaft mit den zutraulichen Tieren der Insel geschlossen – und dann, nachts, waren die Serranos mit ihren Piraguas erschienen.

Hasard, Siri-Tong und beide Crews hatten die von Koka berauschten Krieger überwältigen können. Und so hatte Hidduk, der Häuptling der Serranos, den Seewolf nach San Cristóbal hinüberbegleiten müssen. Wie gebannt hatten sie schließlich vor den Bergen von Smaragden in der Höhle gestanden, und erst später, nach der Freilassung des Iguanas, hatte Hasard unter dieser Anhäufung von Reichtum auch die Schatullen entdeckt.

Es waren drei. Zwei befanden sich jetzt drüben auf dem schwarzen Segler von Siri-Tong, nur eine hatte Hasard sich angeeignet. Die rohen, nicht zu Schmuck verarbeiteten Diamanten hatte er zu gleichen Teilen in den Frachträumen der beiden Schiffe verstauen lassen.

Hasard war von dem samtgrünen Glanz des Smaragdes überwältigt. Diese Faszination – sie wurde zu einem Fieber, wenn ein Mann nicht außerordentlich besonnen war. Ein Fluch schien über den grünen Steinen und ihrer Mine in Neu-Granada zu schweben. Sie waren wertvoller als Gold, und es schien ein unabwendbares Schicksal zu sein, daß sich immer wieder Männer gegenseitig die Köpfe einschlugen, um sie an sich zu reißen.

War es daher nicht Wahnwitz, nach Sabreras und seiner Mine zu suchen?

Hasard legte den Stein weg und nahm einen anderen zur Hand. Nein, er änderte seine Pläne nicht. Er unternahm diese Reise ja nicht nur, um sich in den Besitz der Smaragde zu bringen. Er wollte auch einem Verbrecher das Handwerk legen und die armen Chibcha-Indianer befreien, die zur Zwangsarbeit in der Mine verdammt waren.

 

Auch dieses letztere Vorhaben hatte überzeugend auf Hidduk, den Serrano-Häuptling, gewirkt. Er hatte sich mit dem Seewolf verbündet. Natürlich hatte er, der Verlierer, im Grunde keine andere Wahl gehabt, aber es gehörte zu einem solchen Pakt wie diesem eben doch mehr als nur der reine Zwang. Hidduk hätte im Extremfall lieber den Freitod gewählt, statt gegen seinen Willen ein Übereinkommen mit seinem Bezwinger zu treffen.

Aber es hatte ihn vor allem ungeheuer beeindruckt, daß Hasard ihm das Leben geschenkt hatte. Mehrmals hätte der Seewolf ihm kaltblütig den Garaus bereiten können, und doch hatte er davon abgesehen. Und wie sicher dieser Mann, den die Spanier Lobo del Mar nannten, auftrat! Auf San Cristóbal hätten die Serranos ihm in den Rücken schießen können, so unbekümmert hatte er sich bewegt. Aber keiner hatte es gewagt, sie alle hatten wie gelähmt dagestanden.

Hasard hatte nicht nur Hidduk, sondern auch die anderen Überlebenden des Kampfes auf dem schwarzen Schiff sowie die Männer, Frauen und Kinder von San Christóbal verschont. Hidduk hatte nach der Übergabe der Smaragde begonnen, seinen Worten Glauben zu schenken. Wirklich, dem Seewolf war es nicht daran gelegen, ein Massaker anzurichten. Vielmehr ging es ihm darum, daß sich die Santa-Barbara-Indianer unbehelligt aus der Affäre ziehen konnten.

In Hasards Augen waren Ehrlichkeit und Gerechtigkeit zu lesen, wie Hidduk sagte. Hidduk war ein indianischer Pirat, dem es an Durchtriebenheit und Kaltblütigkeit nicht mangelte, aber er hatte auch Tugenden. Sein Ehrenkodex stützte sich auf echte Prinzipien. Wenn er sein Wort gab, hielt er auch daran fest.

So war er mittlerweile überzeugt, daß Sabreras ihn hintergehen und nicht die Smaragdbeute mit ihm teilen wollte. Hasard kannte Männer wie diesen spanischen Kommandanten. Zwar hatte er ihn noch nicht gesehen, aber er konnte sich gut ausmalen, wie verschlagen und hinterhältig dieser Bursche war.

Hidduk – der einzige, der Hasard zu der Mine der Esmeraldos führen konnte – hatte sich daher bereit erklärt, als „Lotse“ zu fungieren. Sechs seiner besten Männer hatte er als Begleiter ausgewählt, er würde sie vor allem dann brauchen, wenn sich die Krieger wieder von den Seewölfen und Siri-Tong-Piraten trennten. Er allein konnte die Piragua nicht zu den Galápagos zurücknavigieren.

Hasard griff mit beiden Händen in die Schatulle und ließ den Diamantschmuck durch seine Finger gleiten. Er zweifelte nicht daran, daß die Anhänger und Diademe, die Broschen, Reifen und Ringe von den Chibcha-Indianern hergestellt worden waren. Die Chibchas galten als geschickte Goldschmiede und Handwerker, sie sollten sogar eine große Krone verfertigt haben, über und über mit Smaragden besetzt – zur Ehrung ihrer Götter.

Sie hatten eine ziemlich hohe Kulturstufe erreicht, diese Ureinwohner von Neu-Granada. Bevor die Konquistadoren erschienen waren, hatten sie friedlich Mais und Kartoffeln gezogen, Gold geschmiedet, baumwollene Gewänder gewebt und gute Straßen gebaut. Wie die Azteken und Inkas beteten auch sie zur Sonne, und bei ihrem großen Götterfest sollte ein ganz mit Goldstaub bedeckter Kazike in einem See gebadet haben.

El Dorado und Berge von grünfunkelnden Diamanten, so viele, wie Fische im Meer waren – Legenden, die Wirklichkeit waren. Wo immer die Conquista auf solche Schätze in der Hand von friedfertigen Völkern gestoßen war, hatte sie ihre abstoßendsten Triumphe gefeiert. Francisco Pizarro und seinesgleichen waren dereinst Schweinehirten und Hidalgos, Verbannte und Geächtete gewesen, aber das änderte nichts an ihren Erfolgen.

Völker wie die Chibchas waren heute nur noch Schatten ihrer selbst. Die Unterdrückung, die Dezimierung, die Maßlosigkeiten der Spanier hatten sie zu willenlosen Sklaven herabgewürdigt. Sie lebten nicht, sie vegetierten nur dahin.

Hasard war weder Fanatiker noch Idealist, verband jedoch seinen Auftrag, Englands Einfluß zur See und in der Neuen Welt zu stärken, mit diesem zweiten Ziel: den zu Unrecht Gequälten zu helfen.

Hasard hätte Sabreras an dessen Befehlshaber verraten können, denn der Kommandant scheffelte fleißig in die eigene Tasche, während er doch eigentlich die gesamte Ausbeute der Smaragdmine über Panama heim nach Spanien zu bringen hatte. Er betrog somit die Casa de Contratación und Seine Allerkatholischste Majestät, König Philipp II. – doch das schien ihn wenig zu stören.

Aber es war nicht Hasards Stil, ein solches Schlitzohr zu verpfeifen. Hinten herum handeln wie die Intriganten und Hofschranzen, das lag ihm ganz und gar nicht. Ganz abgesehen davon, daß die Spanier als ersten ihn festnehmen würden, sobald er sich ihnen zeigte. Ihr Eifer, ihn zu packen, würde noch durch die Belohnung geschürt, die die spanische Krone auf ihn ausgesetzt hatte.

Eine weitere Möglichkeit wäre es gewesen, Sabreras auf San Cristóbal aufzulauern. Aber nach Hidduks Angaben würde Sabreras erst in „ein, zwei Monden“ mit einer neuen Ladung Esmeraldos die Insel anlaufen, und das dauerte dem Seewolf zu lange.

Statt auf Sabreras zu warten, suchte er ihn auf. Es brachte ihn noch mehr von seinem ursprünglichen Kurs ab – von dem Weg nach China. Aber das nahm Hasard in Kauf. Er verschob die Überquerung des Großen Ozeans um ein paar Wochen. Was spielte das jetzt noch für eine Rolle! Er hatte so viele Aufenthalte gehabt, auf einen Monat mehr oder weniger kam es auch nicht mehr an.

Dabei nahm er sich natürlich vor, die Dinge in Neu-Granada so rasch wie möglich zu forcieren und abzuwickeln.

Er war so tief in seine Gedanken verstrickt, daß er das Geräusch hinter sich kaum zur Kenntnis nahm.

Dann aber, urplötzlich, sagte er sich, daß der Laut nur von der Tür herrühren konnte, die auf die Heckgalerie führte. Er hatte die Galerie vorher für kurze Zeit betreten, um nach dem schwarzen Segler, Wind, See und Stand der Sterne zu schauen. Danach hatte er sich in seine Kammer begeben und die Tür zugezogen, jedoch nicht verriegelt.

Seine Gedanken rissen ab. Er konzentrierte sich nur noch auf das, was hinter seinem Rücken war. Seine Muskeln spannten sich, sein Gesicht war starr und hart. Er saß noch genauso da wie vorher.

Wer ihn von hinten am Pult hokken sah, ahnte nicht, daß er bereits etwas bemerkt hatte.

Yalic und Tezoura hatten es riskiert, in die See zu stürzen, als sie auf den Berghölzern der „Isabella“ entlanggeturnt waren. Aber jetzt hatten sie es vollbracht, jetzt standen sie auf der Heckgalerie, und Tezoura hatte bereits durch die Butzenscheiben eines Bleiglasfensters gespäht und den Seewolf grübelnd dasitzen sehen.

Yalic kauerte vor der Tür. Auf Tezouras Zeichen hin drückte er langsam die Klinke nach unten. Es gab einen schwachen Laut. Yalic verharrte wie gelähmt. Tezoura lugte wieder in die Kapitänskammer, huschte zu seinem Kumpan und nickte ihm zu.

Yalic schob die Klinke bis zum Anschlag. Er hielt das Hartholzmesser in der rechten Hand – zum Todesstoß bereit.

Ein Ruck, und die Tür stand offen. Der Wind blies in die Kammer, und mit dem ersten Hauch flog Yalic auf den Seewolf zu. Tezoura war dicht hinter ihm. Sie warfen sich stumm auf ihren Feind und verzichteten auf ihren schrillen Kampfruf, um ja nicht die Crew auf den Plan zu lokken.

Bevor Yalic Hasard erreichte, geschah es.

Hasard schnellte hoch. Seine Kniekehlen beförderten das mit Schnitzwerk versehene Holzgestühl rückwärts – auf den Indianer zu. Hasard schwang vor, drehte sich und lag plötzlich auf der Platte des Pultes. Er rollte über sie weg und räumte dabei die Schatulle mit dem Chibcha-Schmuck, ein paar Karten, einen Astrolab und noch einiges mehr ab. Als er vor dem Möbel auf dem Boden landete, regneten die Utensilien neben ihm nieder, und die Smaragde verteilten sich in alle Himmelsrichtungen.

Es kümmerte ihn nicht.

Hier ging es um mehr als materiellen Besitz.

Um sein Leben.

Yalic prallte gegen den Holzstuhl. In einer wilden Reflexbewegung hieb er mit dem Hartholzmesser zu. Die Klinge schlug auf die Fläche, auf der Hasard eben noch gesessen hatte.

Tezoura war etwas nach rechts getänzelt und schleuderte seine Waffe hinter dem Seewolf her. Das Messer surrte über Hasard weg, als er gerade vor dem Pult gelandet war. Klappernd stieß es hinter ihm gegen die Wand, die zum Gang des Achterkastells wies. Es fiel auf die Planken, und Tezoura mußte an dem Gegner vorbei, wenn er es wiederhaben wollte.

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