Sprachwitze

Text
Read preview
Mark as finished
How to read the book after purchase
Font:Smaller АаLarger Aa

Eine Neureiche blamiert sich – Frau-Pollak-von-Parnegg-Witze

Eine österreichische Herkunft weisen auch die Frau-Pollak-von-Parnegg-Witze auf. Salcia Landmann negiert sie in ihrer ersten Sammlung aus dem Jahr 1960, erst in der Taschenbuchausgabe 1962 tauchen diese Witze auf – in einem eigenen Kapitel, das sie mit folgender Einleitung versieht: „Frau Pollak von Parnegg, die Gattin eines getauften und geadelten Wiener Industriellen, hat wirklich gelebt. Sie war eine populäre Figur. Man behauptet, ihre Söhne hätten alle Aussprüche, die man ihr jeweils unterschob, gesammelt und ihr unter dem Titel ‚Ausflüsse aus dem Muttermund‘ dargebracht.“ (Landmann, 1962, S. 202) In der erweiterten Ausgabe 1988 fügt sie einen Satz hinzu: „Beim Einmarsch Hitlers in Wien stürzte sie sich aus dem Fenster.“ (Landmann, 1988, S. 439)

Während die Tante Jolesch eine von Friedrich Torberg erfundene literarische Figur ist, hat die Frau Pollak wirklich gelebt. Jene biografischen Angaben, die über sie kursieren, sind allerdings zum größten Teil falsch, wie der Genealoge Georg Gaugusch herausfand. Im zweiten Band seines epochalen Werkes Wer einmal war. Das jüdische Großbürgertum Wiens 1800–1938 stellt der Eigentümer und Geschäftsführer eines noblen Tuchgeschäfts am Michaelerplatz klar: Gemeint ist Mathilde von Pollack Parnegg, geboren am 25. Oktober 1845 in Prag. Am 7. April 1867 heiratete sie als Einundzwanzigjährige den aus Nikolsburg (Mähren) stammenden und um sechs Jahre älteren Leopold Pollack, ebenfalls aus einer jüdischen Familie. (Gaugusch, Bd. 2, S. 2593–2597) Dieser übernahm von seinem Vater ein kleines Kurrentwarengeschäft – als Kurrentwaren bezeichnete das damalige Handelsrecht Baumwolltextilien. Aus dem kleinen Geschäft entwickelte er gemeinsam mit seinem Bruder Bernhard ein europaweit agierendes Textilimperium mit rund fünftausend Beschäftigten. Er war einer der erfolgreichsten Großindustriellen seiner Zeit und galt als Wortführer der damaligen Textilindustrie. (Gaugusch, Bd. 2, S. 2594) Im Jahr 1894 wurde ihm der Adelsstand verliehen – unter Hinweis auf seine langjährige Tätigkeit als Präsident der Wiener Kaufmannschaft. Fortan ist er „Freiherr von Parnegg“, in den Witzen wird er meist zum Baron erhoben. Die Schreibung des Familiennamens wird in den Witzen von „Pollack“ auf „Pollak“ geändert, damit die erste Silbe betont wird. Ohne -c- schrieben sich übrigens die Vorfahren des Industriellen – ein -ck gibt es im Tschechischen nicht. Leopold Pollack wechselte nicht vom Judentum zum Christentum. Dass sich seine Frau Mathilde, eine Jüdin, taufen ließ, ist ebenfalls eine Legende. Auch sie blieb ihrer Religion treu. Und sie sprang nicht im Jahr 1938 beim Einmarsch der Nazitruppen aus dem Fenster, wie in einigen Witzesammlungen zu lesen ist, sondern starb am 26. November 1923 an einem Herzschlag, nachdem sie vorher entmündigt worden war. Sie überlebte ihren Mann nur um eineinhalb Jahre. Die Gefühlskälte, die ihr im folgenden Witz angedichtet wird, ist wohl frei erfunden. Oder ist es vielleicht ein surrealistischer Witz?

Man sucht überall nach Herrn Pollak von Parnegg, ruft im Büro, im Klub bei Freunden an – er ist nirgends zu finden. Frau Pollak geht ins Schlafzimmer, da liegt er tot unter dem Bett. Sie läutet dem Stubenmädchen und sagt streng: „Sehen Sie, so räumen Sie auf!“ (Landmann, 1962, S. 202–203)

Die Tageszeitung Die Stunde schrieb am 13. März 1923 unter dem Titel „‚Frau von Pollack‘ – entmündigt“: „Das ist leider kein ‚Frau von Pollack-Witz‘. Wie wir erfahren, ist die bejahrte Dame – Frau Mathilde Pollack-Parnegg steht im 78. Lebensjahre – wegen Geistesschwäche voll entmündigt und zu ihrem Kurator ihr Sohn, Herr Felix Pollack-Parnegg, der leitende Chef der großen Textilfirma Hermann Pollacks Söhne, bestellt worden. Neben der Metternich war ‚Frau von Pollack‘ wohl die populärste Frau in Wien. Nicht so sehr wegen ihrer gesellschaftlichen Stellung, denn sie führte ein zurückgezogenes, ja, für ihre materiellen Verhältnisse recht bescheidenes Leben, sondern wegen ihrer auf wenig Kenntnissen, einem entzückenden Missverstehen aller Fremdworte und einer beispiellosen Misshandlung der deutschen und französischen Sprache beruhenden Aussprüche, die man ihr in den Mund legte. Natürlich hat sie die Ungereimtheiten, über die man sich so köstlich unterhielt, nie gesagt, und es spricht nur für ihr gütiges, unbefangenes Wesen, dass sie selbst über all die vielen Witze herzlich lachen konnte und auch ihrem Sohn, dem Herrn Dr. Otto Pollack-Parnegg nicht gram war, von dem angeblich die meisten und besten ‚Frau von Pollack-Witze‘ stammen sollen.“

Freundin von Frau Pollak auf dem Hausball. „Ein eleganter Mann, der Legationsrat. Er tanzt mit einer gewissen Nonchalance.“ Frau Pollak: „Was fällt ihnen ein! Das ist doch die Siddi Braun!“ (Landmann, 1988, S. 447)

Frau Pollak besucht mit ihrem Mann eine Galerie. Sie stehen vor einem Bild, auf dem ein ruhendes Mädchen zu sehen ist. „Was stellt dieses Bild dar?“, will sie wissen. „Siesta.“ – „Was heißt sie esst da? Sie schloft da!“ (Landmann, 1962, S. 203)

Frau Pollak hat einen Teppich annonciert. „Gnädige Frau, der Herr Rappaport ist unten, er reflektiert auf ihren Teppich.“ – „Wischen Sie’s weg und machen Sie kein Aufsehen!“ (Weigel, S. 16; vgl. Landmann, 1988, S. 440)

Bei einer Ballveranstaltung trifft Frau Pollak den General von François und sagt zu ihm: „Herr Frankoa, tanzen Sie denn gar nicht?“ – „Von François bitte!“ In dem Augenblick kommt etwas dazwischen. Später sieht Frau Pollak wieder den General und wiederholt ihre Frage: „Aber Herr Frankoa, tanzen Sie überhaupt nicht?“ „Von François bitte! Ich habe eine Cédille unterm c!“ Darauf Frau Pollak: „Ach so, wenn Sie etwas am Fuß haben, können Sie natürlich nicht tanzen.“ (vgl. Koch, S. 87–88, vgl. Landmann, 1972, S. 165)

Frau Pollack von Parnegg war nicht eine Jüdin aus ärmlichen Verhältnissen, die in eine reiche Industriellenfamilie eingeheiratet hat. Sie erlebte den Aufstieg Leopold Pollacks zum Großindustriellen von Beginn an als Ehefrau mit. Aber natürlich war sie ein Emporkömmling, allerdings – wenn man dem Zeitungsbericht Glauben schenkt – nicht mit einem protzenden Lebensstil. In den Salons der Stadt, wo man die über sie gemachten Witze erzählte, waren diese Fakten sicherlich bekannt.

Die Witze hatten damals auch einen bitteren Beigeschmack. In einer Phase des aggressiven Antisemitismus unter Bürgermeister Karl Lueger entsprachen Witze über eine reiche Jüdin, die sich fortwährend blamiert, dem Zeitgeist. Die Witze hatten also eine antisemitische Wirkung, wenngleich sie von Juden erzählt, wenn nicht sogar erfunden wurden. Offensichtlich hat man deshalb irgendwann nach ihrem Tod zwei fiktive Elemente in die biografischen Angaben eingefügt: Sie sei zum Christentum konvertiert und sie habe sich im März 1938 nach dem Einmarsch der Nazitruppen aus dem Fenster gestürzt.

Herr und Frau Pollak kommen nach Paris, steigen in einem noblen Hotel ab, und Frau Pollak trägt sich ins Gästebuch ein: Le Baron et la Baronne Pollak de Parnegg, parvenus de Vienne. (franz. venu = gekommen, parvenu = aufgekommen) (Landmann, 1988, S. 443)

Die Frau Pollack stammte offenbar aus einem bildungsfernen Prager Elternhaus, die Geschichten, die über sie erzählt wurden, waren Übertreibungen, aber man kann davon ausgehen, dass sie einen wahren Kern hatten. Gewitzelt wurde über sie, weil sie nicht ein Bildungsniveau anstrebte, das dem sozialen Status ihres zum Großindustriellen aufgestiegenen und geadelten Mannes entsprach.

Frau Pollak besucht eine Ausstellung: „Ich wusste gar nicht, dass der Prinz Eugen ermordet wurde!“ – „Wie kommen Sie drauf?“ – „Lesen Sie selber. Hier steht: Prinz Eugen nach einem Stich von Bernard Picart.“ (Landmann, 2010, S. 578–579 und Ott, S. 175, beide mit „Friedrich der Große“ und „Adolf Menzel“)

Für ihre nächste Soirée möchte Frau Pollak etwas Besonderes haben. Eine Freundin rät ihr zum Roséquartett. Nach der Soirée fragt sie, wie der Erfolg war. Darauf Frau Pollak: „Komischer Mensch, der Roséquartett. Ich habe ihn engagiert – und er hat sich gleich noch drei andere mitgebracht.“ (Landmann, 2010, S. 582; 2007, S. 281)

Frau Pollak hat ihre Freunde eingeladen und erzählt ihnen: „Wie wir jetzt in Venedig waren, habe ich einen fabelhaften Tizian gekauft. Aber weil die Behörden die Ausfuhr verboten haben, habe ich mir von einem Maler einen Mussolini drübermalen lassen. Wie ich das Bild hab’ abwaschen lassen, hat mir der Trottel auch den Tizian weggewaschen.“ – „Großer Gott“, sagt einer der Gäste, da haben Sie doch einen großen Schaden erlitten!“ Darauf sagt Frau Pollak: „Zum Glück war der Schaden nicht groß, denn stellen Sie sich vor: Unter dem Tizian war noch ein Bild von unserem seligen Kaiser Franz Joseph.“ (vgl. Landmann, 1988, S. 448–449) ◊

Frau Pollak ruft ihren alten, schwerhörigen Buchhändler an: „Ich möchte ‚Die Fackel‘ abonnieren.“ Der Buchhändler: „Ich höre schlecht, wollen Frau Baronin bitte buchstabieren!“ – „Also passen S’ auf: F wie Ferd. A wie Ampire. C wie zem Beispiel. K wie Krist. E wie ebberhaupt. L wie Lektrische.“ (Landmann, 1988, S. 440)

Frau Pollak besucht mit ihrem Mann eine Bildergalerie. „Du Moritzleben, was stellt dieses Bild dar?“ – „Stillleben.“ – „Warum? Man wird doch noch fragen dürfen.“ (Landmann, 1988, S. 440)

In diesem Witz heißt Frau Pollaks Ehemann nicht Leopold, sondern Moritz. Aber „Moritzleben“ und „Stillleben“ in einen Zusammenhang zu bringen, ist jedenfalls eine raffinierte Witzetechnik.

Das angehängte „-leben“ in „Moritzleben“, „Tateleben“ etc. geht auf jiddisch leb zurück, mit der Bedeutung „mein Lieber“. So bedeutet tate leb, auch tate leben, so viel wie „lieber Vater“; „Stillleben“ wird von Frau Pollak als sei still, mein leben (= sei still mein Lieber) interpretiert. Das Herkunftswort ist mittelhochdeutsch liep, liup (= lieb). Vielleicht ist die Bedeutung auch durch hebräisch lew (= Herz) beeinflusst. (Wolf, S. 138). Dass Salcia Landmann auch das Wort „Lebkuchen“ mit hebräisch lew in Verbindung bringt, ist nicht durch Forschungsergebnisse der Sprachwissenschaft gedeckt.

 

Seit wann gibt es die Frau-Pollak-von-Parnegg-Witze? Sie dürften kurz nach der Jahrhundertwende entstanden sein, wie Gaugusch aus verschiedenen Presseberichten abgeleitet hat. (Gaugusch, Bd. 2, S. 2596) In den kleinen Witzebüchern von Heinrich Eisenbach, erschienen ab 1905, heißt die neureiche und ungebildete Jüdin meist noch Baronin von Barches, Baronin Parcheweg oder Baronin Parchenek.

„Barches“ ist die westjiddische Variante des ostjiddischen Wortes „Challa“. Es bezeichnet im 4. Buch Mose 15,17–21, wo die Erstlingsopfer beschrieben sind, den Teil des Brotteiges, der als Opfergabe abgesondert und den Priestern des Tempels gegeben wurde. Nach der Zerstörung des Tempels wurde von den Rabbinern festgelegt, dass ein kleiner Teil des Teiges auch weiterhin abzusondern ist. Da er jedoch nicht mehr den Priestern gegeben werden kann, wird er stattdessen verbrannt.

Wenn Eisenbach im Witz „eine Baronin von Challa“ auftreten lässt, so ist damit diese Person im Publikum unverrückbar als Jüdin identifiziert.

Bei „Baronin Parcheweg“ oder „Baronin Parchenek“ ist wiederum eine Klangähnlichkeit mit „Freiherr von Parnegg“ erkennbar. Zumindest ein Teil der Theaterbesucher wird auch diesen Hinweis verstanden haben.

Die Baronin von Barches spricht mit einem Herrn über Reisen und der Herr sagt, er war jetzt in Italien und hat den Vesuv gesehen. Darauf sagt die Frau Baronin: „Nu, wie sieht er aus?“ Drauf sagt der Herr: „Er raucht ununterbrochen Tag und Nacht.“ Da sagt die Baronin: „Hat der gar nix anderes zu tun?“ (Eisenbach, XV, S. 8)

Die Baronin Parcheweg hat eine Jause gegeben und der Zucker wurde ohne Zuckerzange serviert, worauf ihr eine Dame gesagt hat: „Frau Baronin, schau’n Sie, es ist ja nichts dabei, aber man muss eine Zuckerzange haben, wenn man bedenkt, dass einige der Herren herausgeh’n, dann kommen sie herein und nehmen den Zucker mit den Fingern und das ist höchst unappetitlich.“ Bei der nächsten Jause war wieder keine Zuckerzange am Tisch und dieselbe Dame sagt: „Frau Baronin, Sie haben wieder die Zuckerzange vergessen.“ Drauf sagt die Baronin: „Ich hab’ nicht darauf vergessen. Überzeugen Sie sich selbst, am Klosett hängt e silberne Zuckerzange.“ (Eisenbach, XIX, S. 13, Landmann, 1962, S. 203, Ott, S. 26, Habres, S. 55)

In einer Gesellschaft bei der Baronin Parchenek wirft ein Herr die Frage auf: „Was ist der schönste Teil des Weibes? Der eine sagt: Der Mund, der andere, das Auge, ein dritter, der Fuß, wieder ein anderer, die Büste.“ Drauf sagt die Hausfrau: „Herts scho auf, sonst sagt ana wirklich das Richtige!“ (Eisenbach, XIV, S. 8–9)

Vor allem die Witze mit sexuellen Themen werden in einer durch bürgerliche Doppelmoral gekennzeichneten Gesellschaft ein Riesengelächter ausgelöst haben – wenn sie der großartige Schauspieler Eisenbach auf der Bühne darbrachte. Nicht weniger groß wird die Lachkraft gewesen sein, wenn sie ein Leser in dem Büchlein Heinrich Eisenbach’s Anekdoten, gesammelt und vorgetragen in der Budapester Orpheumgesellschaft in Wien vorfand. Außerdem schlug sich Eisenbach mit diesen Witzen auf die Seite der ärmeren Juden – es waren also Schadenfreudewitze und Witze eines Juden „für ünsere Leut‘“.

Aber Eisenbach wurde noch deutlicher. In zwei Witzen, die er auf der Bühne erzählte und in Buchform publizierte, kommt Frau Pollack sogar mit ihrem richtigen Namen vor – es sind die ältesten Belege eines Frau-Pollak-von-Parnegg-Witzes, die ich finden konnte. Dass es sich um eher harmlose Witze handelt, ist nachvollziehbar. Vermutlich dienten sie hauptsächlich dazu, die Verbindung zwischen der realen Frau Pollack und den Witzefiguren Baronin Parcheweg und Baronin Parchenek herzustellen. 1905 gab es ja noch eine strenge Theaterzensur, und angesichts der Deftigkeit mancher Witze über die real existierende Frau Pollack schwebte über dem Kopf des Witzeerfinders auch eine Verleumdungsklage.

Pollack ist geadelt worden und seine Frau stellt ihre Buben vor: „Der Älteste, Max von Pollack, das ist mein Sohn Bernhard von Pollack, hier meine Tochter Malvine von Pollack, hier meine Tochter Ernestine von Polack.“ Darauf sagt die kleine Ernestine: „Nu, ich bin nix von Pollack.“ (Eisenbach, V, S. 7)

Frau Pollak kommt am Markt und fragt: „Was kosten die Eier?“ Drauf sagt das Marktweib: „3 Stück 10 Kreuzer.“ Drauf die Frau Pollak: „Früher hab’ ich 4 gekriegt. Warum sind die Eier so teier?“ Darauf sagt das Marktweib: „Weil die Hendeln jetzt kane Eier legen, um die Zeit.“ So sagt Frau Pollak: „Und für 10 Kreuzer legen Sie jo Eier?“ (Eisenbach, VIII, S. 7)

Im Jahr 1905, als Heinrich Eisenbach diese Witze in Umlauf brachte, war Frau Pollack von Parnegg eine rüstige Sechzigjährige. Drei Jahre später diente sie dann einem „geistvollen Humoristen“ sogar als Hauptfigur für eine Burleske, die in ihrer Heimatstadt Prag vom Deutschen Männergesangsverein aufgeführt wurde, wie Georg Gaugusch herausfand. Das Stück Soirée bei Frau von Pollak war die Modernisierung einer Offenbach’schen Operette. (Gaugusch, Bd. 2, S. 2596, Anm. 7)

In einem am 25. Februar 1927 in der Kleinen Volkszeitung erschienenen Nachruf auf Anton Dennemayer, einen langjährigen Darsteller des Kellners Moritz in dem Jargonstück Die Klabriaspartie, ist die Meinung einer Leserbriefschreiberin zu finden, wonach die Frau-Pollak-von-Parnegg-Witze bereits in den 1890er Jahren aufkamen und „nur die Epigonen“ der Dialoge in der Klabriaspartie waren. Die zeitliche Datierung kann in etwa stimmen, ist aber wahrscheinlich etwas zu früh angesetzt. Leopold Pollack wurde 1894 zum „Freiherr von Parnegg“, was in den Wiener Salons sicher Gesprächsthema war. Aber eine Neureiche passte nicht in das Milieu der Klabriaspartie. Die Pollacks zählten bekanntermaßen zu den angesehensten und reichsten Leuten Wiens. Allenfalls die falsche Interpretation von Lehnwörtern – Spiritus/Spiritist, Klabrias/Klarinett’ etc. – könnte Vorbild für einige Frau-Pollak-von-Parnegg-Witze gewesen sein.

Ein Beitrag in der humoristischen Zeitschrift Die Muskete vom 11. Jänner 1906 ist im Grenzbereich zwischen Witz und Anekdote angesiedelt – wenn man die heutigen Definitionen dieser zwei Begriffe hernimmt:

(…) Als sich nach dem Ministerrat endlich die Tür öffnete, blieb der Handelsminister auf der breiten, teppichbelegten Treppe stehen, zündete sich eine Zigarette an und sagte zu seinem Kollegen: „Die Eisenbach-Scherze, die der Justizminister erzählte, waren wirklich gelungen.“ Der Ackerbauminister antwortete: „Die neuen Witze von der Frau Pollack, die der Minister des Inneren zum Besten gab, waren auch famos. Wenn nur der Finanzminister nicht gar so fad wäre! Der verdirbt uns mit seinem Leichenbittergesicht jede Sitzung.

In dieser Geschichte werden also die „Eisenbach-Scherze“ in einem Atemzug mit den „Frau-Pollack-Witzen“ genannt. Der Autor des Zeitungsbeitrages wird wohl gewusst haben, dass Eisenbach der Erfinder dieser Witze war, er wollte offensichtlich implizit darauf hinweisen.

In Wien hieß eine koschere Würstelei „Piowati“, und eine koschere Konditorei gehörte einem Herrn „Tonello“. Kommerzienrat Braun zu Herrn Pollak: „Sagen Sie mal, Ihre Gattin erzählt überall, Sie seien eifersüchtig wie Piowati. Was bedeutet das?“ Herr Pollak: „Das ist ganz einfach. Meine Frau meint, eifersüchtig wie Othello. Und um sich ‚Othello‘ zu merken, denkt sie an Tonello. Und Tonello verwechselt sie mit Piowati.“ (Landmann, 1962, S. 202)

Dass sie sich „Othello“ mithilfe der Mnemotechnik merken will, ist allein schon lachhaft. Hinzu kommt die falsche Anwendung dieses Assoziationsverfahrens, das für Witzeerzähler und Kabarettisten ein beliebtes Thema war. Hugo Wiener lässt sie von einer seiner Figuren, dem Herrn Reis, so erklären: „Ich denke an etwas anderes, und dabei fällt mir das Richtige ein.“ Wir werden später in dem Sketch „Etwas über Botanik“ darauf zurückkommen (siehe S. 163 ff.).

Dass die Frau-Pollak-von-Parnegg-Witze so erfolgreich waren, hatte auch einen gesellschaftspolitischen Hintergrund. Es ist kein Zufall, dass sie um die Jahrhundertwende aufkamen. Damals waren unter den Juden „die Unterschiede zwischen den Gebildeten und den Neureichen so groß, dass die Spannung sich in Witzen entlud, die teilweise etwas gehässig waren“, schreibt Eike Christian Hirsch in seinem Witzableiter (Hirsch, S. 73–74).

Genauso gewaltig war auch der Gegensatz zwischen armen und reichen Juden. Über Jahrhunderte war den Juden die Ausübung vieler Berufe sowie der Zutritt zu den Handwerkerzünften untersagt, genauso das Studium an den Universitäten und die Ausübung akademischer Berufe. Deshalb verlegten sie sich auf Geldgeschäfte und auf den Handel. Da sich die meisten Christen bis zum späten Mittelalter an das grundsätzliche Verbot von Zinsgeschäften hielten, wurde das Bankwesen zwangsläufig zu einer jüdischen Domäne. Nicht weniger erfolgreich waren Juden in den letzten Jahrzehnten der Habsburgermonarchie im Bereich der Baumwollspinnerei und Weberei. Einige von ihnen schafften es, innerhalb kurzer Zeit ein Firmenimperium aus dem Boden zu stampfen, begünstigt durch überaus firmenfreundliche Steuergesetze. So war der Onkel von Franz Jolesch – bekannt durch Torbergs Anekdotensammlung – nicht „eine Art Prinzengemahl“, der „ohne die Tante (in dem Buch) gar nicht vorgekommen wäre“. (Tante Jolesch, S. 17) Julius Jolesch war ein zielstrebiger Industrieller, der in Iglau einen erfolgreichen Familienbetrieb aufbaute und später bei dem Großindustriellen Isidor Mautner als Geschäftsführer anheuerte – genau genommen sogar zu dessen rechter Hand wurde.

Bei einem Gedicht von Armin Berg, das dieser in seinen Auftritten vortrug und auch in einem Heftchen publizierte, konnte man an Julius Jolesch, Isidor Mautner oder Leopold Pollak denken.

Mit einer Hose kam Herr Kohn / Nach Wien – jetzt hat er ä Million. / Oft hab’ ich drüber nachgedacht / Was der mit so viel Hosen macht. (Berg, Trommel-Verse, Vers Nr. 21)

Neben dem Doppelsinn von „Million“ – zunächst auf den Geldreichtum Kohns bezogen, dann als Hinweis auf den gigantischen Umsatz des Unternehmens – soll die Schlusszeile wohl implizieren: Was macht dieser Industrielle mit so viel Geld?

In einer älteren Version, einem Kindermundwitz, geht es nicht um Hosen, sondern um Hemden.

„Siehst du, mein Kindleben, was Fleiß tut! Gottlieb Berger ist mit einem Hemd hierhergekommen und jetzt hat er eine Million.“ – „Mame, mei’ Neschome (= Seele), was soll er mit e Million Hemden.“ (Reitzer, Rebbach, S. 8)

Am anderen Ende der sozialen Leiter gab es viele arme Juden, die ums Überleben kämpften. Manche waren mit hohen Erwartungen aus dem Osten des Habsburgerreiches nach Wien gezogen, fanden sich jedoch in der Reichshaupt- und Residenzstadt nicht zurecht. Sie schlugen sich als Hausierer, Gelegenheitsarbeiter, Schnorrer und Zechpreller durchs Leben – oder spielten als Theaterfiguren im Café Spitzer Klabrias.

Zum Verständnis des folgenden Witzes muss man wissen, dass nü so viel wie „na und“ bedeutet.

Frau Pollak: Baron, Sie machen sich keine Vorstellung, was wir haben gegeben gestern für ein Menu (gesprochen mit u) …

Baron Schönfeld (höflich korrigierend): …nü!

Frau Pollak: Wie haißt „nü“? Zuerst gab es Kaviar und Austern, dann Spargel und Hummer, dann Ente mit Orange, zuletzt Fürst-Pückler-Eis … Also ich sage Ihnen, ein Menu (wieder gesprochen mit u)!

Der Baron: …nü!

Frau Pollak: „Nü“?! Ist Ihnen das noch nicht genug? (Landmann, 1972, S. 171)

Frau von Pollak verbringt Weihnachten auf dem Semmering. Als sie eines Abends mit einem Bekannten eine Partie Schnapsen spielt, gesellt sich ein Kiebitz hinzu, der sie fragt: „Haben Sie Schi (gesprochen Schi) mitgenommen, Gnädigste?“ Frau von Pollak: „No na! Barfuß werd’ ich im Schnee herumrennen!“ (sie versteht Schuh) Hierauf er wieder: „Ich meine, ob Sie Skis (gesprochen Sk…) haben?“ Frau von Pollak: „Wieso, Sie sehn doch, dass mer schnapsen!“ (sie versteht Skis oder Sküs, die höchste Karte im Tarockspiel) Der Kiebitz gibt noch nicht auf. „Verzeihung, Gnädigste, ich wollte nur wissen, ob Sie Schis haben.“ Darauf Frau Pollak mit indigniertem Blick: „Schiss? Wovor?“ (Landmann, 1972, S. 173)

Wer diesen Dreizahlwitz heute erzählt, muss beim Zuhörer altes Wissen über Kartenspiele voraussetzen oder den Witz erklären.

 

In den Landmann’schen Sammlungen finden sich auch einige wenige Witze, in denen die Unbildung eines Mannes angeprangert wird.

Korngelb, reich geworden, lässt seinem Sohn Klavierunterricht geben. Vom Nebenzimmer aus hört er zu. Plötzlich kommt er außer sich vor Zorn ins Musikzimmer hineingestürzt und schreit den Klavierlehrer an: Ich hab’ Sie engagiert, damit Sie mei’ Sohn das Klavierspielen beibringen – und Sie wagen es mit ihm stattdessen Karten zu spielen?“ – „Aber wie kommen Sie darauf“, fragt der Klavierlehrer erstaunt. „Ich habe ganz deutlich gehört, wie Sie zu meinem Sohn gesagt haben: Jetzt spielst du das As!“ (Landmann 1972, S. 161)

Herr und Frau Blau kommen nach Wien und gehen ins Theater. Gespielt wird die Operette „Madame Pompadour“. Das Stück hat schon angefangen, als Frau Blau ihren Mann fragt: „Wer war Madame Pompadour?“ Herr Blau weiß es auch nicht. Er fragt den Herrn, der neben ihm sitzt. Der gibt zur Antwort: „Eine Rokokokokotte.“ – „Ich hatte Pech“, flüstert Blau seiner Frau zu, „der Herr neben mir stottert.“ (Landmann, 1988, S. 430–431)

Silberstein, reich geworden, geht zum bekanntesten Modemaler der Stadt, um sich Bilder für seine neue Villa auszusuchen. Vor einem der Gemälde bleibt er stehen. „Was stellt das dar?“ – „Die zwölf Söhne Jakobs.“ – „Hat nicht auch Reichstein von Ihnen ein Bild mit den zwölf Söhnen Jakobs?“ – „Ja.“ – „Für mich malen Sie vierzehn Söhne!“ (Landmann, 1972, S. 165–166)

Version 2

Herr Neureich geht zum bekanntesten Modemaler der Stadt. (…)

„Die zwölf Apostel.“ (…) „Für mich malen sie vierzehn Apostel!“

Welche Version die ältere ist, lässt sich nicht feststellen. Aus Jakobs Söhnen gehen die Zwölf Stämme Israels hervor, die zwölf Apostel sind von Jesus Christus mit der Verkündigung des Glaubens beauftragt worden.

Während die Graf-Bobby-Witze so gut wie ausgestorben sind, leben Witze über Neureiche weiter – Emporkömmlinge gibt es in jeder Gesellschaft.

Lutz Röhrich weist darauf hin, dass derartige Witze häufig in einer Großstadt angesiedelt sind, wo Neureiche eher anzutreffen sind als auf dem Lande. In Berlin werden die dummen Aussagen einem Herrn und einer Frau Raffke in den Mund gelegt, weshalb sie Röhrich mit berlinerischer Dialektfärbung erzählt (Röhrich, S. 229–230).

Raffke wird gefragt: „Kann Ihre Tochter Esperanto?“ – „Na klar, wie ne Einjeborene.“

Frau Raffke erzählt stolz: „Unsere Wohnung ist voller Tizians.“ Fragt Frau Neureich: „Könn’ Se nich mal ’n Kammerjäger komm’n lassen?“ (vgl. Landmann, 2010, S. 588, mit „Frau Pollak“ und „Kokoschka“)

Frau Neureich ist ein sogenannter sprechender Name, er gibt Auskunft über den Namensträger – wie Nestroys Zwirn, Knieriem und Leim – und tritt im Witz an die Stelle eines konkreten Familiennamens.

Bei einem Aufenthalt in Florenz sagt Herr Neureich zu seiner Gattin: „Heute beim Mittagessen hast du dich wieder schön blamiert. Botticelli ist doch kein Wein, sondern ein Käse!“

Familie Neureich besucht eine Ausstellung und lässt sich von einem Führer durch die Räume begleiten. Gleich beim ersten Bild platzt Frau Neureich voll Freude heraus: „Ah, ein Michelangelo!“ – „Nein, meine Dame, das ist ein da Vinci, Leonardo da Vinci!“ – „Ach so? Aber hier, dies hier ein Schiele!“ – Der Ausstellungsführer geduldig: „Nein, tut mir leid, aber das ist ein Klimt, Gustav Klimt!“ – „Ach so? Aber das da ist ein Van Gogh!“ Die Antwort kommt mit einem Seufzer: „Nein, leider, das ist ein Rubens, meine Dame, Peter Paul Rubens!“ Frau Neureich gibt nicht auf: „Wirklich? Aber das, das muss ein Picasso sein!“ – „Nein, meine Dame, das ist, mit Verlaub, ein Spiegel …“

Frau Neureich hat eine Schiffsreise bei Neckermann gebucht, und dazu gehört natürlich auch das Kapitänsdinner. Frau Neureich steht dabei an der Salatbar und füllt ihren Teller. Da kommt ein Offizier, um ebenfalls Salat zu nehmen. Frau Neureich sieht ihn ganz verzückt an und fragt, wer er sei. Da antwortet der Mann: „Ich bin der 1. Deckoffizier.“ Darauf Frau Neureich: „Mein Gott, Neckermann denkt wirklich an alles!“

Der recht junge Neureich-Witz – Neckermann bot 1963 erstmals Reisen an – entwickelt eine beachtliche Lachkraft, weil es nicht nur um eine Missinterpretation der Bezeichnung „Deckoffizier“ geht. Bekannte Firmenslogans waren „Besser dran mit Neckermann“ und „Neckermann macht’s möglich“. Im Witz erweckt der Firmenname den Eindruck, als würde „ein Mann“ eine Touristin „necken“. Es ist also auch ein Namenwitz. Wer in diesem Witz „Neckermann“ durch „Ruefa“ oder „Kuoni“ ersetzt, wird nur wenige Lacher ernten.

Die Frau-Pollak-von-Parnegg-Witze werden auch heute noch adaptiert und modernisiert: Hier zunächst ein Witz in einer ursprünglichen Fassung, aufgezeichnet von Salcia Landmann. Es ist ein Witz mit aneinandergereihten Paronymen, das sind ähnlich klingende Wörter innerhalb einer Sprache oder eines Dialekts, die oft verwechselt werden. In diesem Witz wird immer das falsche Wort verwendet, das richtige muss vom Zuhörer assoziiert werden (siehe S. 125 f., 195 f.).

Frau von Pollak: Unsere Älteste heiratet den jungen von Salomon. Wir haben ihr eine Wohnung eingerichtet – das glauben Sie nicht! In einem todschickeren (schicker = betrunken) Haus mit lauter Marmor und Fahrstuhl mit echtem Liftgoj. Überall echte Perverser, auf dem Tisch achtarmige Kadaver, die Wände makkaronigetäfelt, die Tischtücher reines Damaszenerlinnen, das Schlafzimmer im Stil Louis Quatorze, dem Fünfzehnten, das Spielzimmer im Vampyrstil, das Speisezimmer à la Gebrider-Meyer, und auf der Steppdecke haben wir die verschlungenen Genitalien des Paares einsticken lassen. (Landmann, 1988, S. 441–442)

Die modernisierte Variante habe ich im Internet gefunden. Aus dem Frau-Pollak-von-Parnegg-Witz wird ein Blondinenwitz. Die Hauptfigur ist eine Neureiche mit Bildungsmanko – wie die Witzefigur in den Valley-Girl-Witzen (siehe S. 47 f.).

Eine Blondine geht an einem Juweliergeschäft vorbei und sieht in der Vitrine ein Diadem mit Smaragden und Amethysten. Sie geht in das Geschäft und sagt: „Guten Tag, sind Sie der Jubilar?“ Der Inhaber stutzt und antwortet: „Ja, gnädige Frau, ich bin der Juwelier, was kann ich für Sie tun?“ – „Sie haben da draußen in der Latrine so ein wunderbares Diadom liegen, mit Schmarotzern und Atheisten besetzt. Was soll das bitte kosten?“ Der Juwelier schluckt und sagt: „Liebe, gnädige Frau, das kostet fünfundzwanzigtausend Euro.“ Sie: „Mein Mann hat mir zwar plein pissoir gegeben, aber das übersteigt im Moment mein Bidet. Kann ich bitte telefonieren?“ – „Aber natürlich, gnädige Frau. Links herum, die Treppe hinauf, dort sehen Sie es schon.“ „Oh, sind Sie explosiv eingerichtet, diese Makkaronidecke und die Lavendeltreppe, so etwas habe ich in einem Geschäft noch nicht gesehen.“ Sie telefoniert mit ihrem Mann und kommt zurück: „Das geht dann in Ordnung, mein Mann holt das Diadom morgen für mich ab.“ – „Entschuldigen Sie, aber woran erkenne ich Ihren Mann, gnädige Frau?“ – „Gut, dass Sie mich fragen, er kommt in einem bordellfarbenen Mustang vorgefahren und hat vorne seine Genitalien eingraviert.“

In der Schlusspointe mit Selbstentlarvung wird angedeutet, dass jener Mann, der das Diadem mit den Smaragden und Amethysten bezahlen wird, ein Bordellbesitzer ist. Ausschlaggebend ist die Assoziationstechnik, der ich später ein eigenes Kapitel widme (siehe S. 192 ff.).

Ein Student bei der Prüfung in Geschichte. „Wie heißt der Franzose, der General war, dann Erster Konsul und später Kaiser?“ Der Kandidat denkt angestrengt nach, schüttelt den Kopf und sagt: „Weiß nicht.“ – „Napoleon Bonaparte!“, brüllt der Professor. Der Kandidat steht auf und geht zur Tür. „Halt, wo wollen Sie hin?“, ruft der Professor. „Ach so, Verzeihung“, murmelt der Kandidat, „ich habe geglaubt, sie wollen schon den nächsten aufrufen.“ (Hirsch, S. 144)