Traum-Heiler

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EINE SCHAMANISCHE TRÄUMERIN TRÄUMT SICH IN GÖTTLICHE GNADEN

Sandra Ingerman ist eine der authentischsten und wichtigsten schamanischen Lehrmeister und Heiler, die ich kenne. Auch gehört sie zu denen, die am meisten zu unserem Wissen beigetragen haben, warum die Seele den Körper verlässt und was wir tun müssen, um sie zurückzuholen und bei uns zu halten. Im Jahr 1991 fuhr ich in die Gegend von Boston, um an einem ihrer Workshops teilzunehmen, kurz nachdem ihr so schöpferisches Werk Auf der Suche nach der verlorenen Seele. Der schamanische Weg zur inneren Ganzheit erschienen war. Ich fasste auf Anhieb Vertrauen zu ihr. Hier war ein Mensch ohne Maske, eine integere Person, die für ihre Berufung lebte. Außerdem freute es mich sehr, einer Träumerin zu begegnen. Sandra sprach darüber, wie Träume ihr eigenes Leben gelenkt hatten. Sie schlug vor, dass die Workshop-Teilnehmer in der ersten Nacht um Träume bitten sollten, um sich auf die Durchführung der Seelenheilung am nächsten Tag vorzubereiten.

Als ich Sandra nach dem Workshop in Santa Fe besuchte, erzählte sie mir von einem Traum, in dem sie Tiefenheilung erhalten hatte. Aufgrund eines Symptoms, das kein Medikament bisher geheilt hatte, hatte sie chronische Schmerzen und betete um einen Heiltraum. Er kam nicht über Nacht. Sie betete über einen Monat lang Nacht für Nacht darum. Schließlich träumte sie, dass ein Indianer hinter dem Sofa in ihrem Wohnzimmer hervorkam. Er hatte eine durchsichtige blaue Rassel in der Hand. Er deutete mit der Rassel auf den Körperteil, der ihr wehtat. Er schüttelte die Rassel über der Stelle, bis der Schmerz in ihrem Traumkörper verschwunden war. Als sie aus dem Traum aufwachte, war auch der Schmerz in ihrem physikalischen Körper verschwunden. Als ich Sandra zwanzig Jahre später an dieses Ereignis erinnerte, sagte sie mir, dass sie seitdem schmerzfrei geblieben sei. Eine Lektion dieser Erfahrung ist die Notwendigkeit, beharrlich zu bleiben, wie wir beide feststellten.

Wenn Sie das, worum Sie bitten, nicht über Nacht bekommen, dann versuchen Sie es immer wieder. Ein Traum gab Sandra den Anstoß für ihr zweites Buch Die Heimkehr der verlorenen Seele, in dem es darum geht, was man tun muss, um nach tiefschürfender Arbeit an sich selbst die Seele im Körper zu halten. Mehrere Jahre lang tauchte in ihren Träumen wiederholt eine Botschaft auf, die auf einer Grundbedingung für Heilung bestand: »Der Erfolg jeder Heilung beruht auf der Fähigkeit des Klienten, die Heilung anzunehmen.«27 Sie hat es »kapiert«, als sie im Traumzustand vollständig fühlen konnte, wie es ist, auf der Zellebene Heilenergie zu erhalten.

Nach ihrem ersten Aufenthalt in Ägypten folgte ihr ein Wesen aus dem kollektiven Geist des altertümlichen Ägyptens nach Hause. Es war Anubis, den jedes Kind, das jemals eine ägyptische Museumsausstellung besucht hat, als Gestalt mit dem Kopf eines Hundes oder Schakals kennt. Für die alten Ägypter (und Menschen, die sich dieser Tradition verbunden fühlen) ist Anubis ein wichtiger Torwächter, Öffner der Wege zwischen den Welten und Schutzherr des Träumens und Astralreisens. In einem Traum stellte sich Anubis Sandra als »der Gott, der die Ebenen zwischen den Welten bewacht«, vor. Er wies Sandra darauf hin, dass in ihrer Arbeit etwas fehle: der fehlende Schlüssel war die »Transfiguration«.28 Auch wenn Schüler des Neuen Testaments (und Harry-Potter-Fans) das Wort kennen dürften, konnte sich Sandra nicht daran erinnern, es vor dem Traum jemals gehört zu haben. Der Hinweis aus ihrem Traum von Anubis führte zu der Entdeckung, dass Transfiguration »Shapeshifting« (eine andere Gestalt annehmen) bedeutet - und zwar auf Ebenen, die über ihre bisherige Praxis als Schamanin hinausgingen. Der Begriff bedeutet die Anhebung und Projektion von Licht, wie Jesus es tat, als er seinen Jüngern Licht einflößte.

Sandra Ingermans Roman Ein Fall mit Grace aus dem Jahr 1997 entfaltet sich als eine Verschachtlung von Träumen in Träumen. Die Protagonistin verlässt ihren Körper bei Vollnarkose auf dem Operationstisch und reist durch verschiedene Portale an viele Orte der nicht-alltäglichen Realität. Dabei begegnet sie einer Reihe von Geistführern und unterzieht sich Prüfungen und Initiationen. Die Szene, mit der der Roman beginnt, wurde Sandra in einem luziden Traum geschickt. Sie erinnert sich: »Ich hatte eine schwere Grippe. Daher beschloss ich, mich für ein paar Tage zu Hause in Santa Fe ins Bett zu legen, bis ich mich mit dem Auto nach Boulder aufmachen musste, wo ich am Ende der Woche einen Workshop leiten sollte. Ich hatte hohes Fieber. Ein Mann erschien mir und sagte mir, ich solle das Buch mit der Hauptperson im Operationsraum kurz vor der Krebsoperation beginnen - einer Krankheit, die ich nie hatte. Dann fällt durch ein Erdbeben im Krankenhaus der Strom aus, während die Protagonistin in andere Welten katapultiert wird. Der Mann sagte: Und jetzt stehe auf und schreibe es nieder. Ich wollte aber nicht aufstehen. Ich fühlte mich elend, doch er drängte mich so lange, bis ich aufstand und die Szene aufschrieb. Danach hatte ich die ersten drei Seiten.«29

Während Sandra ihren Weg als schamanische Heilerin, Hüterin der Erde und Träumerin fortsetzt, vertieft und erweitert sich ihre Arbeit. Sie unterstützt aktiv die Umwandlung der giftigen Energien in unserem Leben und unserer Welt. Sie hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, den Menschen in ihrer Umgebung Licht zu bringen. In ihrem persönlichen Schöpfungsmythos »hat das Licht Menschen erschaffen, damit sie spielen« und ihnen eine große Gabe mitgegeben: »Die Möglichkeit des Geistes, in einem Körper zu leben.« Wenn wir uns daran erinnern und es verkörpern, werden wir aufhören, uns und anderen Schaden zuzufügen.

Vor zwanzig Jahren schrieb Sandra in Auf der Suche nach der verlorenen Seele, dass die Seelenheilung keine »Selbsthilfetechnik« ist, doch wie sie festgestellt hat, helfen sich immer mehr Leute auf diesem Gebiet selbst durch ihre Träume, und zwar durch Träume, um die sie gebeten haben und die von alleine kommen. Sie sagte 2011 in einem Interview für meine Radiosendung: »Die Leute holen sich in ihren Träumen lebensnotwendige Essenz, und die Energie verbleibt ihnen hinterher. Auf diese Weise ist es ein vollständiger Prozess.«

Sie hat festgestellt: »Die Schleier zwischen den Welten werden immer dünner, während wir uns bewusst weiterentwickeln. Wenn deine Psyche sich erhebt, wird deine Traumwelt darauf reagieren. Wenn du den Willen hast, geheilt zu werden, entwickelt sich dein Träumen, und das, was zurückgeholt werden muss, wird durch das Träumen erreicht.«

2. Träumer als Schamanen

Seit der Ankunft der Seele auf der Welt heißt sie das, was am Schönsten und Göttlichsten ist, freudig willkommen und betrachtet es durch Träume. - Plutarch, »Amatorius«

Eine träumende Frau findet sich in einem anderen Körper wieder, in dem sie sich mit ihrem Volksstamm neben einem Fluss in einer wilden, unberührten Landschaft weiterbewegt. Sie ist mit dem Leben und den Beziehungen der Stammesangehörigen wohl vertraut und spürt, dass ein harter Winter naht.

Sie sieht einen Adler nahe am Flussufer fliegen, und jemand sagt zu ihr: »Du kannst mit ihm fliegen.« Sie hat Angst, sich zu weit vom Fluss zu entfernen, und so wartet sie, bis der Adler über ihrem Kopf schwebt. Später erzählte sie mir, dass dann Folgendes geschah:

Ich fliege einen Augenblick, der eine Ewigkeit währt, mit diesem herrlichen Vogel mit, der wunderschöne glänzende braune Federn mit goldenen Tupfern hat. Der Adler fliegt über mir, neben mir, landet dann im Fluss. Ich lande flussabwärts und lasse mich auf dem warmen weißen Schaum treiben, mit dem die Wasseroberfläche bedeckt ist.

Als ich wieder trocken bin, fliege ich erneut über den Fluss. Ich sehe an der Stelle, an der der Adler geflogen und gelandet ist, Schildkröten. Die Schildkröten sind dunkelgrün. Sie sind feste Punkte auf dem Schaum. Sie bewegen sich nicht, sondern sonnen sich nur friedlich.

Die Träumerin fragte mich, wie sie sich an die Bedeutung des Traums herantasten sollte. Für mich bedarf eine solche Erfahrung keiner Deutung, sondern nur der Annahme. Ihr Traum war eine Reise in die Lebensumstände eines Naturvolks, der Zugang zu einem »vergangenen« Leben, einem früheren Erlebnis ihres eigenen multidimensionalen Selbst (des Multiselbst) oder das eines Ahnen des Landes, auf dem sie lebt, oder auch das ihrer größeren spirituellen Familie. Bei dieser Lebenserfahrung lernte sie, was Träumer unter den Naturvölkern wissen: Man kann zu einem Adler werden.

Als der begabte Analytiker und Jungianer Robert Bosnak in der Zentralwüste meines Heimatlands Australien umherreiste, wollte er die Handhabung des Träumens der Pitjantjara verstehen lernen. Er sprach durch einen Dolmetscher mit einem »Spirit-Mann«, von dem gesagt wurde, er wüsste alles über das Träumen und die Traumzeit. Um das Eis zu brechen, versuchte Bosnak, seine eigene Traummethode zu erklären. Ich weiß nicht, wie das in der Sprache des Aborigines herüberkam. Der Spirit-Mann saß ungerührt da und wischte nur von Zeit zu Zeit die Fliegen weg. Als Bosnak ihn bat, ihm zu erklären, wie er mit Träumen arbeitete, lautete die Antwort durch den Dolmetscher: »Er wird zu einem Adler.« Als der Jungianer die Bedeutung dieser Aussage klären wollte, wurde der Satz nur wörtlich wiederholt: »Er wird zu einem Adler.«1

Es war eine nüchterne Aussage, die nur wenig mit archetypischen Symbolen zu tun hat. Als der Schamane der Aborigines sagte, er würde zu einem Adler, meinte er genau das: Er bewegte sich in seinem Traumkörper als Adler umher, sah mit scharfen Adleraugen und flog zu den Orten, die er aufsuchen musste.

 

Die amerikanische Träumerin, die mit dem Adler flog und in den Fluss tauchte, tat durch den spontanen Schamanismus des Träumens etwas Ähnliches. Träumen ist Reisen im Sinne der uralten Naturvölker, und solche Reisen beschränken sich nicht auf eine Form. Wenn man mit einem Adler fliegt, will man nicht zu viel Zeit darauf vergeuden, den Adler als Symbol zu erörtern. Man will die Verbundenheit feiern, etwas erschaffen oder finden, das man bei seinen Alltagsproblemen als Traum-Talisman behalten oder bei sich führen kann und das einen an die eigene Fähigkeit erinnert, sich auf eine höhere Perspektive zu schwingen und »viele Blicke weiter« zu schauen. Diese Formulierung stammt von den Irokesen, den Leuten des Longhouse, die den Adler auf ihren hohen Friedensbaum gesetzt haben, damit er wachen und vor Dingen warnen kann, die sich in der Ferne andeuten.

Der Vogel, der mir in meiner Kindheit am Vertrautesten war, war der Seeadler. Er ist in Nordaustralien und auch an der Nordküste von Schottland, der Heimat meiner Ahnen väterlicherseits, heimisch. Auf den Orkneys wurden Schamanen früher mit einem Seeadler begraben. Für die Inselbewohner der Torres Straits ist der Seeadler der bevorzugte Verbündete des zogo le, des Schamanen. Zwar habe ich den Großteil meines Erwachsenenlebens außerhalb von Australien verlebt, doch in den wichtigen Träumen kommt der Seeadler manchmal und verleiht mir Flügel, um in meine Heimat zurückzufliegen und etwas zu sehen, was ich sehen muss.

IN JEDEM, DER TRÄUMT,
STECKT EIN KLEINER SCHAMANE

Die Essenz der Fähigkeit des Schamanen zu reisen und zu heilen ist seine Fähigkeit, kraftvoll zu träumen. Im modernen Alltag stehen wir am Rand dieser Fähigkeit, wenn wir träumen und uns daran erinnern, etwas mit unseren Träumen zu machen.

Wir alle träumen, und wie die Kagwahiv aus Brasilien sagen: «Jeder, der träumt, ist ein kleiner Schamane.« Unsere Träume zeigen uns, wie weit wir gehen können und wann die Zeit für uns gekommen ist, uns auf tiefere Reisen zu begeben. »Die Arbeit wird dir zeigen, wie es geht«, lautet ein estländisches Sprichwort. In Bezug auf die Seele können wir sagen: Der Traum wird dir zeigen, wie du deine Seele heilen und nähren kannst.

Wenn Sie mehr darüber wissen möchten, was Träume sein können, dann sehen Sie sich näher an, was »Traum« in verschiedenen Sprachen bedeutet. Sie werden Hinweise darauf finden, was Träumen für unsere Ahnen bedeutete, bevor wir die Achtung vor Träumern und den Kontakt mit dem Träumen verloren haben.

 Für ein träumendes Volk aus Venezuela, die Makiritare, ist der Traum eine »Reise der Seele« (adekato).

 Laut dem alten Stamm der Assyrer ist ein Traum ein Zephyr, eine sanfte Brise, die durch das Schlüsselloch oder die Türritze weht und in Ihr Ohr flüstert.

 Für die alten Ägypter war ein Traum ein »Erwachen« (rswt).

 Nach griechischen Schriften des Altertums ist ein Traum ein »spiritueller Bote« (oneiros), der aus der Republik der Träume (Demos Oneiron) kommt

Im Altenglischen war ein Traum »Fröhlichkeit« und »Träumerei« der Art, die man erleben kann, wenn man zu viele Kelche Wein gebechert hatte. Doch zu Chaucers Zeiten bedeutete dasselbe Wort mit einer anderen, nördlichen Ableitung auch eine Begegnung mit den Toten. Und wie in Nordeuropa (dem deutschen Traum, dem holländischen droom und so weiter) leitet sich das englische Wort dream, das uns überliefert wurde, vom Altgermanischen Draugr ab, was einen Besuch der Toten bedeutet.

Wie der bedeutende Ethnograf des Indianervolks der Tuscarora, J. N. B. Hewitt, ausführt, bedeutet das alte irokesische Wort katera’swas zwar »ich träume«, doch es deutet noch viel mehr an als nur das, was wir normalerweise damit meinen. Katera’swas drückt das Träumen als Gewohnheit aus, als täglichen Teil des Auf-der-Welt-Seins. Der Ausdruck birgt auch die Nebenbedeutung von aktiver Glücksbringung - also: Ich bringe mir Glück, weil ich durch meine Träume Glück und Wohlstand manifestieren kann. Der verwandte Begriff watera’swo bedeutet nicht nur »Traum«, sondern lässt sich auch übersetzen mit: »Ich beschaffe mir Glück.«2 Wie frühe jesuitische Missionare berichteten, glaubten die Irokesen daran, dass das Vernachlässigen von Träumen Unglück bringen würde. Jean de Quens notierte während eines Besuchs bei den Onondaga: »Den Leuten wird gesagt, wenn sie ihre Träume missachten, werden sie Unglück haben.« Wenn Sie also Glück haben wollen, dann sollten Sie viel träumen.3

Unter den Stämmen der Dene werden dieselben linguistischen Begriffe verwendet, um Träume, Visionen und spontane Erscheinungen sowie Trancezustände auszudrücken.4 Das deutet darauf hin, dass sie alle den Träumer an denselben Ort - den Ort, an dem Schamanen tätig sind - bringen können. Unter den Wind River Shoshone bedeutet das Wort navujieip »Seele« und »Traum«. »Navujieip« wird lebendig, »wenn Ihr Körper ruht und in irgendeiner Form erscheint.«5

Im schottischen Gälisch findet sich ein reichhaltiger und spezieller Wortschatz für viele verschiedene Formen des Träumens und Sehens und der übersinnlichen Phänomene. Die beste Literaturquelle hierfür ist das Werk des Pastors John Gregorson Campbell, der Ende des neunzehnten Jahrhunderts auf der schottischen Insel Tiree gelebt hat. Er sammelte die mündlichen Überlieferungen gälischer Sprecher und verewigte sie in zwei Büchern, Superstitions of the Highlands and Islands of Scotland (1900) und Witchcraft and Second Sight in the Highlands and Islands of Scotland (1902).

Der Begriff da-shealladh (wird ungefähr »Dej-hejlouw« ausgesprochen) lässt sich häufig als »zweite Sicht« übersetzen, was buchstäblich »zwei Sichten« bedeutet. Er bezieht sich auf die Fähigkeit, Erscheinungen von Lebenden und Toten zu sehen. Der taibshear (»Teischer« ausgesprochen) ist der Seher, der sich darauf spezialisiert, das Energiedoppel (taibhs) zu beobachten. Ein Traum oder eine Vision ist ein bruadar (»Bru-itar«). Der bruadaraiche (ungefähre Aussprache: »Bru-i-teretscher«) ist mehr als nur ein Träumer im gewöhnlichen Sinne. Er ist die Art von Träumer, der in die Vergangenheit oder Zukunft sehen kann. Das ist ein Kleinod, das der näheren Untersuchung wert ist. Die Tiefe des Praktizierens von Träumen in einer Kultur spiegelt sich in ihrem aktiven Vokabular für solche Dinge. Ich bin mir zwar nicht sicher, ob die heutige deutsche Sprache ein einziges Wort zur Verfügung stellt, das so reichhaltig wäre wie bruadaraiche, aber ich bezweifle, ob wir den schottischen Begriff importieren können, da er (zumindest so, wie er von meiner Zunge rollt) nach etwas klingt, das in einem Schafsmagen gekocht worden ist.

Die hawaiische Sprache bietet ein reichhaltiges Traumvokabular, das sich wunderbar für eine Studie eignet. Ein generelles Wort der Hawaiianer für Träume ist moe’ukane, das sich allgemein mit »Seelenschlaf« übersetzen lässt, jedoch eher als »Nacherlebnisse der Seele« verstanden wird, da es für die ursprünglichen Hawaiianer beim Träumen stark um das Reisen geht. Die Seele macht im Schlaf Ausflüge. Sie schlüpft aus ihrem normalen Körper - häufig durch den Tränenkanal, der auch als »Seelengrube« bezeichnet wird - und ist dann in einem »Körper aus Wind« unterwegs. Während dem Schlaf wird der Träumer auch von Göttern (akua) und Schutzgeistern der Ahnen (aumakua) aufgesucht, die die Gestalt eines Vogels, eines Fischs oder einer Pflanze annehmen können.

Wie alle praktischen Träumer erkennen die Hawaiianer, dass es große und kleine Träume gibt. Einem »Traum über einen wilden Meerbarben« (moe weke pahulu), der verursacht wird, wenn man etwas Falsches gegessen oder sein Essen zu schnell heruntergeschlungen hat, sollte man keine große Bedeutung beimessen. Der Ausdruck leitet sich von der weit verbreiteten Überzeugung ab, dass man krank wird und schlechte, wenn auch bedeutungslose Träume hat, wenn man Meerbarbenköpfe in der falschen Jahreszeit verspeist. Andererseits sollte man erkennen, dass ein Traum die Erinnerung an eine Reise in die Zukunft und damit äußerst wichtige praktische Informationen enthalten kann. Vor allem der »eindeutige« Traum (moe pi’i pololei), der klar ist und keiner Deutungen bedarf, ist besonders hilfreich.

Es gibt auch »Wunschträume« (moemoea), die einem etwas aufzeigen, wonach man sich sehnt. Dies kann in der normalen Realität erreichbar oder auch unerreichbar sein. Es gibt »Enthüllungen der Nacht« (ho’ike na ka po), die die Macht der Prophezeiung in sich bergen. Eine hochinteressante Kategorie hawaiischer Träume besteht aus Prophezeiungen, die als Geschenke der Schutzgeister unter den Ahnen angesehen werden und die Heilung der Beziehungen innerhalb einer Familie oder Gemeinschaft bewirken sollen. Träume werden außerdem von den aumakua zur Förderung der persönlichen Heilung geschickt.

Die Geister der Vorfahren vermitteln auch »Nachtnamen« (inoa po) für ungeborene Säuglinge, und es kursieren Warngeschichten über drohendes Unglück, das eintrifft, wenn die Eltern den Namen des Babys ignorieren, der ihnen in einem Traum mitgeteilt wurde. Die Hawaiianer achten ganz besonders auf Visionen, die in der Phase zwischen Schlaf und Erwachen auftauchen (hihi´o). Sie halten es für äußerst wahrscheinlich, dass solche Visionen klare Kommunikationen der Geister und »eindeutige« Einblicke in kommende Ereignisse enthalten.

In unseren Traumreisen können wir mit einem »Traummann« (kane o ka po) oder einer »Traumfrau« (wahine o ka po) zusammentreffen. Das mag zwar angenehm und sogar verlockend sein, doch die hawaiische Folklore lehrt, Vorsicht walten zu lassen. Wenn man zu viel Zeit außerhalb seines irdischen Körpers in seinem »Körper aus Wind« verbringt, könnte der physikalische Organismus geschwächt und schlapp werden. Außerdem sollte man sich vor Täuschern hüten, die die Gestalt verführerischer Sexpartner annehmen können, doch in Wahrheit etwas ganz anderes sind - nämlich trickreiche mo’o, eine Art Wasserkobold.

Wir sollten aus unseren saftigsten Träumen Energie für unser verkörpertes Leben schöpfen, statt sie dort zu lassen. Eine beliebte hawaiische Legende berichtet, wie eine Göttin das geschafft hat. Pele wurde auf ihrer Vulkaninsel durch rhythmisches Trommeln in der Ferne aufgeschreckt. Sie befahl ihren Dienern, sie drei Tage lang auf keinen Fall zu wecken, und ließ ihren Körper auf ihrem Bett aus Lava zurück. Dann reiste sie in ihrem »Körper aus Wind« so weit, bis sie schließlich die Quelle des magischen Trommelns fand: es war ein Luau-Fest, das ein stattlicher Prinz abhielt. Die Göttin und der Prinz verliebten sich und machten drei Tage lang stürmische Liebe. Anschließend kehrte Pele in den Körper zurück, den sie auf ihrem Lavabett zurückgelassen hatte. Da sie eine Göttin war, konnte sie arrangieren, dass ihr Prinz nach Big Island gebracht wurde, wo er fortan als ihr Begleiter mit ihr lebte. Für uns Menschen mag sich diese Art des Transfers zwar schwieriger gestalten, aber einen Versuch ist es immer wert!6