Hannah von Bredow

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Femina Politica

„Ich bin in diesen Tagen doch zu der Überzeugung gelangt, dass es ein Fehler ist, als Frau geboren zu sein, wenn man geistige Interessen hat.“

(Hannah von Bredow an Sydney Jessen, Nr. 670 – Potsdam, Sonntag, den 6. Februar 1938)

Hannah von Bredow verstand sich selbst nicht als eine politische Frau. Mitte des Jahres 1931 erklärt sie Sydney Jessen: „Sie wissen, dass ich weder Interesse, noch Verständnis, noch Flair für Politik in irgendeinem Sinn habe, und dass ich sowieso ein lebhaftes Grauen vor politisch tätigen Frauen empfinde. Politics are essentially mens’work – dass die Sache bei uns so häufig schiefgeht, ändert an der Wahrheit meiner Behauptung nichts.“ Auch bei ihr ging die Sache schief, denn, anders als behauptet, zeigte sie seit ihrer Jugend ein ausgesprochenes Interesse und Verständnis für Politik.

Politisch aktiv war Hannah von Bredow zweifellos auch zu Beginn der Hitlerdiktatur nicht, als sie sich ständig mit der Frage auseinandersetzte, was sie über das Regime denke und wer sie sei: „Ich weiß nur, was ich nicht bin, ich bin nicht Angehöriger irgendeiner Partei, ich bin sicher kein Sozialist, bestimmt kein Demokrat, auch nicht ein Legitimist, vielleicht kein Monarchist, gewiss kein Republikaner – jedenfalls nicht im Sinne der bisherigen deutschen Republik – ich bin kein Kommunist, also passe ich wohl nirgends hin. Aber im Grunde halte ich diese Ungebundenheit bei Frauen für das einzig Wahre, besonders bei solchen, die mit der Öffentlichkeit nichts zu tun haben. Man wirkt aber dadurch manchmal aufreizend, da jeder einen verachtet, weil man keine Hakenkreuzfahne am Haus hat und keine Abzeichen trägt.“

Ihr Verhältnis zu politischen Fragen beschreibt Hannah ihrem Briefpartner Jessen als irrational und sogar beängstigend: „Wenn mein Leben von Politik der Vergangenheit oder Zukunft in irgendeiner Weise gestreift wird, oder wenn ich mich sogar hinein vertiefen muss, dann wird plötzlich etwas ganz tief Vergrabenes und Zugesiegeltes in mir lebendig. Und dieses Etwas dehnt sich nach allen Richtungen, lässt mir keine Ruhe und gibt mir das geradezu groteske Gefühl, dass ich – bitte stellen Sie sich das nur vor! – derartigen Situationen vollkommen gewachsen wäre, mich in ihnen, je komplizierter sie werden würden, umso sicherer bewegen könnte, ja ich komme mir zu meinem Entsetzen wie eine Art Antenne vor, die spürt, was in der Luft liegt – oh es ist grässlich.“ In solchen Fällen wusste Hannah „genau, was kommt“, und versuchte, ihre innere Unruhe in den Briefen an Jessen loszuwerden.

Bester Informant Hannah von Bredows über das politische Geschehen im inneren Zirkel der Macht war in den beiden letzten Jahren der Weimarer Republik der gleichaltrige Erwin Planck, Sohn des Physikers und Nobelpreisträgers Max Planck. Nach dem Abitur hatte Erwin Planck die Militärlaufbahn eingeschlagen und wurde nach dem Krieg dem Generalstab zugeordnet. Dort lernte er Kurt von Schleicher kennen, der ab 1929 das Reichswehrministerium und ab Dezember 1932 bis zu Hitlers Machtantritt kurzfristig das Reichskanzleramt leitete.

Zwischen Schleicher und Planck entstand bald ein enges Vertrauensverhältnis. Schleicher war im Jahre 1923 Trauzeuge von Erwin und Nelly Planck. Ein Jahr später begann Plancks Karriere als Verbindungsmann des Reichswehrministeriums in der Reichskanzlei. Vom Referenten stieg er 1930 im „Kabinett der Frontsoldaten“ des Reichskanzlers Brüning zu dessen persönlichem Sekretär und ab Juli 1932 zum Staatssekretär unter dessen Nachfolger Franz von Papen auf. In den letzten Jahren der Weimarer Republik galt Erwin Planck als „graue Eminenz“ der Kanzler.

Prägend für Erwin Planck war die großbürgerliche Atmosphäre seines Elternhauses: Musizieren, Opernbesuche und intellektuelle Diskurse waren selbstverständlich. Er war ein guter Cellist und traf sich regelmäßig mit seinem Vater und Albert Einstein zum Triospiel. Erstmals im September 1930 erwähnt Hannah von Bredow eine Einladung im Hause Planck und beschreibt Sydney Jessen im Februar 1931 eine weitere Gesellschaft: „Es wurde viel politisiert und Planck Junior gab seine Ideen bereitwillig zum Besten: ‚Die Nationalsozialisten haben ausgespielt, die einzige Gefahr sind die Kommunisten, deren Macht wächst. Die Deutschnationalen sind untauglich, die Volkspartei ebenso, Treviranus1 hat vielleicht doch Chancen, das Zentrum ist noch immer mächtig, Braun in Preußen desgleichen. Brüning ist der einzige Kanzler von Format seit 1890, Schleicher arbeitet nur pro domo, wird aber einen Freund nie fallen lassen …‘“ Hannah ergänzt: „Das war der langen Rede kurzer Sinn. Planck Senior hörte interessiert zu und sagte mir: ‚Erwin ist so geschmeidig, der würde das alles schon schaffen; Brüning hält sehr viel von ihm.‘“

Hannah von Bredow hielt nicht ganz so viel von Erwin Plancks Fähigkeiten, wusste aber seine Verehrung für sie und seine Auskunftsfreudigkeit zu schätzen. Zeitweise telefonierten beide täglich miteinander, trafen sich regelmäßig in Cafés und luden sich häufig gegenseitig ein. Planck war bei wichtigen Gesprächen Brünings, Papens und Schleichers „steinerner Gast“. In ihren Briefen nennt Hannah ihren Kontaktmann Planck stets „Puck“ und spielt damit auf die Eigenschaften des kleinwüchsigen Hofnarren in Shakespeares Sommernachtstraum an, besonders auf dessen verwirrende Scherze, aber auch seine Hilfsbereitschaft denen gegenüber, die ihn richtig ansprechen und ihm zuhören konnten.

Letzteres vermochte Hannah von Bredow sehr gut, sodass sie Jessen laufend von ihren politischen Gesprächen mit Planck berichten konnte. Hannahs Vertrauter Planck erfuhr Details über historisch bedeutsame Treffen und gab diese, oft in Dialogform, an sie weiter. So berichtete er ihr auch von der zweiten Unterredung, welche Reichspräsident von Hindenburg mit Hitler am 13. August 1932 hatte, sowie von verschiedenen Gespräche der Reichskanzler von Papen und von Schleicher vor der Machtübernahme Hitlers am 30. Januar 1933. Die Nachwelt kann erstaunt feststellen, dass Hannah von Bredows Aufzeichnungen historischen Erkenntnissen weitgehend entsprechen.2

Erwin Plancks ständige Bereitschaft, Hannah von Bredow über aktuelle politische Entwicklungen zu unterrichten, erklärt sich daraus, dass er von ihr stets seine Bedeutung als „Strippenzieher“ an den Schalthebeln der Macht vermittelt bekam. Hannah ihrerseits schätzte Plancks Offenheit, bemerkte allerdings auch kritisch, dass ihm „im Grunde alles gleichgültig ist, so lang er selber weiterkommt.“

Der ambitionierte Erwin Planck setzte Ende 1932 und noch Anfang Januar 1933 alle Hoffnung und seine Zukunft in seinen Freund Kurt von Schleicher. Hannah von Bredow dagegen sah die Entwicklungen realistischer und befand nach einem Abendessen mit ihm am 23. August 1932: „Er erzählte interessant, aber der Mann ist entweder gewollt blind oder ahnungslos.“

Am 21. Januar 1933, also neun Tage vor Hitlers Machtübernahme, schreibt Hannah von Bredow im Tagebuch: „I warned Planck. He disbelieved me. I give him a week and then – Planck said: ‚Sie werden doch nicht glauben, dass die Deutschen alle irre sind!‘ I replied: ‚Irre? Ahnungslos, genau wie Sie.‘ – ‚Die ich rief, die Geister‘, werden bald viele singen. Ich riet Planck abzureisen.“ Mit Hitlers Machtantritt wurde der Vertraute Schleichers persona non grata im neuen Deutschland. Er entzog sich den wachsenden Bedrohungen aber erst Mitte März 1933 durch eine ausgedehnte Ostasienreise.

Für die politische Beobachterin Hannah von Bredow bestand nach Erwin Plancks Rückkehr von seiner langen Reise im Mai 1934 kein ausgesprochenes Interesse mehr an Treffen mit ihm. Auch hatte sich Erwins eifersüchtige Frau Nelly gegen weitere Begegnungen ihres Manns mit Hannah ausgesprochen. Im Oktober vermerkt Hannah im Tagebuch noch einen äußerst aufgeregten Anruf Erwin Plancks. Zu dieser Zeit bemühte dieser sich nach wie vor intensiv um die Aufklärung des Mordes an Kurt von Schleicher und seiner Frau in der „Nacht der langen Messer“ vom 30. Juni 1934.

Damit kam Planck wieder ins Fadenkreuz der Gestapo, der er sich bald durch Aktivitäten in der Privatwirtschaft, nämlich als Geschäftsführer der Handelsfirma Otto Wolff, entzog. Unpolitisch blieb er indessen nicht, denn sein Name wird ab Ende 1939 in Verbindung mit Widerständlern genannt. Anders als Hannah ihn charakterisiert, war dem nationalkonservativen Erwin Planck durchaus nicht alles gleichgültig, „so lang er selber weiterkommt.“ Ihm ging es um Deutschlands Zukunft, und kurz nach Kriegsbeginn findet sich sein Name bis zum 10. Juli 1944 regelmäßig unter den Vertrauten des konservativen Widerständlers Ulrich von Hassell in dessen Tagebüchern.

Häufiger findet sich in von Hassells Tagebüchern auch der Name Franz von Papen. Dieser war nach dem Krieg bemüht, den Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg von seiner Widerständigkeit zu überzeugen, ebenso wie später auch die Leser seiner Memoiren „Der Wahrheit eine Gasse“. Hannah von Bredow machte indessen Ende des Jahres 1937 Erfahrungen mit einer Denunziation Papens, die alles andere als dessen Widerständigkeit belegte.3

Hannah von Bredow lernte Franz von Papen bereits Anfang der 1930-Jahre kennen und unterhielt sich bei verschiedenen Gelegenheiten mit ihm. So erfuhr ihr Briefpartner Jessen im Frühjahr 1931, also vor Papens Kanzlerzeit, von einer Abendgesellschaft bei den Bredows mit Papen als Gast, auf der Hannah ihrem Bruder Gottfried beispringen musste: „Papen grauste Gottfried so mit seiner geradezu krankhaften Frankophilie, dass es fast zu Unannehmlichkeiten kam,“ schreibt sie. Daraufhin beruhigte Hannah ihren Bruder mit der wenig schmeichelhaften Bemerkung, dass sie „Papen für einen der dümmsten Männer unter der Sonne hielte.“

 

Gut ein Jahr später und dank ihres Informanten Erwin Planck vermerkt Hannah von Bredow in ihrem Tagebuch am 31. Mai 1932, noch vor der öffentlichen Bekanntgabe von Papens Ernennung zum Reichskanzler: „Papen (Franz) ist Kanzler. Das klingt wie ein Witz, ist aber Wahrheit.“ Am selben Tag lässt Hannah ihren Briefpartner an der aktuellen Regierungskrise sowie an Hindenburgs Misstrauensvotum gegenüber Kanzler Brüning teilhaben und beendet den Bericht mit: „Und so kam Fränzchen dran.“

Schon einen Tag nach dem Treffen Hindenburgs mit Hitler am 13. August 1932, bei dem dieser in Papens Gegenwart eine Beteiligung und Mitarbeit an der bestehenden Regierung Papen strikt ablehnte, berichtet Hannah ihrem Vertrauten detailliert über das Gespräch. Ihren Brief vom 14. August 1932 beginnt sie mit der Feststellung: „Und nun gab er mir eine absolut unvorsichtige Schilderung der gestrigen Ereignisse.“ Mit „er“ meinte sie Erwin Planck, der am Gespräch teilgenommen hatte und ihr Hitlers Haltung begründete: Dieser beabsichtige, die Auflösung des Reichstags zu erzwingen, um in Neuwahlen die absolute Mehrheit zu erreichen.

Wenige Wochen darauf berichtet Hannah von Bredow von einer Abendgesellschaft, bei der auch Franz von Papen zugegen war: „Nach Tisch gab Sulla eine sehr interessante und sprühend lebendige Schilderung des 13.8. die aber so genau der Puck’schen Darlegung entsprach, dass ich sie nicht wiederholen will.“ Nach „Puck“, für Erwin Planck, führt Hannah einen weiteren Decknamen ein: „Sulla“ für Franz von Papen. Sie spielt damit auf den führenden Vertreter der römischen Optimaten an, der konservativen Adelspartei, der im ersten vorchristlichen Jahrhundert in Rom entgegen bestehender Gesetze die Herrschaft an sich riss. Bei der Namensgebung dachte Hannah zweifellos an Papens Entmachtung der demokratisch legitimierten preußischen Regierung wenige Wochen zuvor, den „Preußenschlag“, der das Schicksal der Weimarer Republik besiegelte.

Festzuhalten bleibt Hannah von Bredows ausgeprägtes politisches Interesse und Verständnis sowie ihr Bemühen, sich dank ihrer Bekanntschaft mit hochrangigen Politikern Schilderungen von wichtigen Ereignissen wie dem 13. August 1932 von mehreren Zeugen, möglichst von Augenzeugen, geben zu lassen.

Aus einer dritten Quelle erfuhr Hannah von Bredow den Inhalt eines weiteren Gesprächs im Reichspräsidentenpalais an dem historischen 13. August 1932. Konstantin von Neurath, Reichsaußenminister unter Papen und bis Anfang Februar 1938 auch unter Hitler, berichtete ihr am 22. August bei einem Essen über ein Gespräch, „das Sulla am 13. zwischen 6 und 7 p.m. ohne Zeugen mit Father Xmas gehabt hat“. Das Gespräch schildert sie Jessen „mit dem Vorbehalt, dritte Instanz zu sein“, in Dialogform, wobei sie Minister von Neurath in Anlehnung an den Statthalter von Marcus Antonius auf Zypern, „Demetrius“ nennt, während Reichspräsident von Hindenburg für sie respektlos „Father Xmas“ ist.

„Demetrius“, so setzt sie ihren Brief fort, habe ihr einen Text „im Wortlaut“ gezeigt und Teile daraus sogar vorgelesen. Hannahs Schreiben nach zu urteilen hatte Papen seinen Reichswehrminister Kurt von Schleicher über das Vieraugengespräch mit Hindenburg unterrichtet, dessen Inhalt dieser festhielt und Neurath zugänglich machte.

Ihren Bericht an Jessen vom 22. August 1932 beschließt Hannah mit der Mitteilung: „Tragisch sind die Verhältnisse im A.A. [Auswärtigen Amt], wo Demetrius völlig irre läuft, und wo auch Puck, Fouché etc. die größten Dummheiten machen. Demetrius will absolut nach London, alles andere ist ihm einerlei. Dabei soll der Madrider dort hin, der meinem Gefühl nicht entspricht. In Paris wird der Schaden zusehends größer, aber man ruft ihn nicht ab, weil man ‚keinen besseren‘ hat!“

Den Namen des mächtigen und intriganten Joseph Fouché, der Robespierre stürzte und Napoleon zur Macht verhalf, verlieh Hannah von Bredow Kurt von Schleicher; der „Madrider“ war ihr guter Freund Johannes Graf von Welczek. In Paris stand Botschafter Leopold von Hoesch zur Versetzung an. Demnach machte sich von Neurath knapp drei Monate nach seinem Wechsel von der Botschaft in London ins Auswärtige Amt wieder für den alten Posten stark, den dann aber von Hoesch übernahm.

Auch wenn Zweifel z.B. an der Authentizität der von Hannah von Bredow in westpreußischem Dialekt wiedergegebenen Aussagen von „Father Xmas“ berechtigt sein mögen, so zeigen die Schilderungen der Interna im Auswärtigen Amt ihr großes Interesse am politischen und diplomatischen Geschehen der Zeit. Sie belegen darüber hinaus, dass sie maßgeblichen Politikern und Diplomaten wahrscheinlich eine ernsthafte Gesprächspartnerin war und diese bewegen konnte, ihr auch diskrete Informationen anzuvertrauen.

Der Kontakt zu Konstantin von Neurath, der von ihr auch „der Schwabe“ genannt wurde, blieb bis zum Ende von dessen Ministerzeit im Februar 1938 bestehen. Bereits im Frühjahr 1935 aber, als Joachim von Ribbentrop, der ehemalige Importeur von Spirituosen, in dem nach ihm benannten Büro unter Umgehung des Auswärtigen Amts Hitler in außenpolitischen Fragen direkt zuarbeitete, schreibt Hannah an Jessen bedauernd: „Der Schwabe hat den besten Moment zum Absprung verpasst, jetzt macht der Sektlieferant alle Geschäfte direkt und behauptet, dass sein ‚cru‘ der einzig Trinkbare sei.“

Später als in den übrigen Ministerien wurde die Leitung des Auswärtigen Amts im Februar 1938 mit Ribbentrop ganz auf nationalsozialistischen Kurs gebracht. Bereits früh lernte Hannah von Bredow dagegen maßgebliche Personen der „Bewegung“ dank ihrer Brüder Otto und Gottfried von Bismarck kennen und einzuschätzen.

Die Nationalsozialisten früh im Blick

„Heute ist Hitler 43 Jahre alt – ob er in einem Jahr schon Reichspräsident oder Kanzler ist? Eins von beiden sicher.“

(Tagebuch Hannah von Bredow, Mittwoch, 20. April 1932)

Hannah von Bredow war die älteste von fünf Geschwistern. Schwester Goedela war drei Jahre jünger als sie und unpolitisch; die Brüder Otto, Gottfried und Albrecht waren vier, acht und elf Jahre jünger. Alle Brüder hatten Jura studiert. Während Albrecht ohne Abschluss blieb und sich überwiegend in Italien im Handel von Antiquitäten und als Innenarchitekt betätigte, gingen die Brüder Gottfried und Otto den Weg in die Politik bzw. die Diplomatie.

Otto Fürst von Bismarck hatte sein Reichstagsmandat für die Deutschnationale Volkspartei (DNVP) im Jahre 1927 mit dem Eintritt in die Diplomatie und anschließenden Tätigkeiten an den deutschen Botschaften in Stockholm, London und Rom niedergelegt. Gottfried Graf von Bismarck-Schönhausen unternahm nach dem Juraexamen Studienreisen, arbeitete für Wirtschaftsverbände und bewirtschaftete bis zum Machtantritt Hitlers drei Jahre lang das von ihm geerbte Familiengut im pommerschen Reinfeld.

Die Brüder Otto und Gottfried von Bismarck hatten ebenso Vorbehalte gegen das parlamentarische System der Weimarer Republik wie die von ihnen favorisierte nationalkonservative DNVP, obwohl diese zeitweilig auch zu Regierungstätigkeit bereit war. Nach seinem Rückzug aus dem Reichstag erlebte Otto im Mai 1928 große Verluste seiner Partei in den Wahlen zum 4. Reichstag. Die NSDAP Hitlers blieb zwar noch Splitterpartei, wurde gut zwei Jahre darauf, nach den Septemberwahlen 1930 zum 5. Reichstag, aber bereits zweitstärkste Kraft hinter den Sozialdemokraten. Der Stimmenanteil der DNVP halbierte sich in diesen Wahlen, sodass sie ihrerseits Splitterpartei wurde, während die NSDAP zur Massenbewegung aufstieg.

In Aufmärschen, Reden und Schriften vermittelte die politisch unverbrauchte NS-Bewegung den Deutschen in der Zeit des Übergangs der Republik vom parlamentarischen zum autoritären Regime Durchsetzungskraft und Dynamik. Sie versprach den Kampf gegen den Bolschewismus sowie die Überwindung der außen- und innenpolitischen Niederlage von 1918. Nachdem der Parteiführer der DNVP, Alfred Hugenberg, im Oktober 1931 in Bad Harzburg mit Hitler bei einer Veranstaltung der „nationalen Opposition“ zusammengetroffen war, erschien es auch Otto und Gottfried von Bismarck an der Zeit, Hitlers Ansichten genauer kennenzulernen.

Am 11. Januar 1932 luden die Bismarck-Brüder den NS-Führer Adolf Hitler, den SA-Führer und späteren Polizeipräsidenten von Potsdam, Wilhelm von Wedel, sowie den damaligen deutschen Botschafter in London, Konstantin von Neurath, mit Begleitung zum Frühstück in ein Extrazimmer des Berliner Hotels Kaiserhof. Otto von Bismarcks Frau Ann-Mari begleitete ihren Mann und schwärmte nach dem Treffen von Hitler. Gottfried von Bismarck berichtete seiner Schwester Hannah von Bredow, dass Hitler „siegessicherer denn je gewesen sei“. Er habe ihm angekündigt, dass es zwar „nicht angenehm“ sei, „Brüning den Hals umzudrehen, aber das Land geht vor.“ Auch habe Hitler eine Rücknahme seiner Gegenkandidatur zu Hindenburg bei der im März anstehenden Wahl zum Reichspräsidenten strikt abgelehnt.

Nach Gottfrieds Aussage schätzte Hitler die Rolle des Militärs gering ein und stellte fest: „Sie haben keine Resonanz beim Volk und niemand will sie haben. Schleicher ist ein geriebener Gauner, weiter nichts.“ Gottfried zeigte sich enttäuscht, dass seine Schwester Hannah nicht an dem Gespräch teilgenommen hatte, „allein schon des Gedächtnisses wegen“. Der ältere Bruder Otto dagegen, der Hannahs offene Sprache fürchtete, hatte sie aus fadenscheinigen Gründen von der Teilnahme abgehalten.

In Unkenntnis der Hintergründe war nicht nur Bruder Gottfried, sondern auch Mutter Marguerite enttäuscht darüber, dass Hannah nicht an dem Hitler-Treffen teilgenommen hatte. Sie schrieb Hannah später wenig schmeichelhaft: „Ich kann absolut nicht begreifen, warum Du damals z.B. nicht mit Hitler im Kaiserhof gefrühstückt hast, das wäre doch eine Gelegenheit gewesen. Es macht doch gar nichts, dass Ann Mari z.B. so viel jünger und hübscher ist wie Du – ich habe mir nämlich überlegt, ob das der Grund für Deine Zurückhaltung ist.“

Diese abwegige Annahme ihrer Mutter bewertet Hannah von Bredow am 29. Januar 1932 gegenüber Jessen: „Der Brief meiner Mutter ist so charakteristisch. Ich hatte ihr geschrieben, dass ich von Göring-Goebbels nichts hielte, Hitler nicht beurteilen könnte. Das verursacht ihr eine schlaflose Nacht.“ Allein aus Neugier hätte Hannah ihre Brüder zum Treffen mit Hitler, über den sie sich sehr wohl ein Urteil gebildet hatte, gern begleitet. Bereits am 12. Dezember 1930 stellte sie im Tagebuch ernüchtert, aber auch besorgt fest: „Die Menschen reden immer: Hitler oder Kommunismus. Hitler, dieser miese, aufgeregte, hysterische, weibische Trommler, ist Prolet und Kommunist mit nationalem Einschlag. Wenn er nur nicht Diktator wird. Dann wird Deutschland ein Irrenhaus. O. + G. machen bestimmt mit.“ Otto und Gottfried von Bismarck machten in der Tat mit.

Im Brief vom 29. Januar 1932 berichtet Hannah von Bredow ihrem Vertrauten Jessen von einem bevorstehenden Fest, zu dem die preußische Kronprinzessin Cecilie eingeladen hatte: „Ich werde hingehen und mir die Sache ansehen; mich beunruhigt am meisten die absolute Intimität, die Ihre Kaiserliche Hoheit mit Marius’ Partei hat.“ Marius’ Partei war die NSDAP und deren Führer Adolf Hitler. Hannah hatte Hitler den Namen des römischen Diktators Gaius Marius verliehen, der im ersten vorchristlichen Jahrhundert mit Gewalt die Macht von Sulla übernommen hatte und dem im anschließenden Terror viele Aristokraten zum Opfer fielen.

Im Hause Hohenzollern hatte sich bislang nur Prinz August-Wilhelm, von Hannah „Auwi“ genannt, als glühender Verehrer der Nationalsozialisten gezeigt. Hannahs Bemerkung spielt zweifellos darauf an, dass Kronprinz Friedrich Wilhelm im Januar 1932 Adolf Hitler in seinem Potsdamer Schloss Cecilienhof empfing. Der Kronprinz schlug Hitler eine Lösung zur Stabilisierung der politischen Lage vor, welche ihn selbst als Reichspräsidenten und Hitler als „seinen“ Kanzler vorsah. Kurz darauf publizierte der Prinz zum zweiten Wahlgang um die Reichspräsidentschaft im April 1932, in dem Hitler gegen Hindenburg antrat, in der Schlesischen Zeitung einen weithin wahrgenommenen Wahlaufruf zugunsten Hitlers: Der Thronfolger stellte sich öffentlichkeitswirksam hinter den NSDAPFührer und gegen den früheren Feldmarschall.1

Die Lektüre von Hitlers „Mein Kampf“ hätte dem Kronprinzen eigentlich verdeutlichen können, dass das Führerprinzip mit der Institution der Erbmonarchie unvereinbar war.2 Friedrich Wilhelm ließ sich vermutlich von den Avancen, die Hitler den Hohenzollern machte, und dem Kapitel seiner Kampfschrift über „Die monarchistische Idee“ blenden. Darin stellt Hitler fest, dass „der Wert und die Bedeutung der monarchischen Idee nicht in der Person des Monarchen selber liegen, außer der Himmel entschließt sich, die Krone einem genialen Helden wie Friedrich dem Großen oder einem weisen Charakter wie Wilhelm I. auf die Schläfen zu drücken.“3

 

Dass sich selbst der preußische Hofadel, die Familie Hohenzollern, in Gestalt von „Auwis“ Sohn Prinz Alexander Ferdinand, von Hitler einwickeln ließ, schildert Hannah von Bredow ihrem Briefpartner Jessen im September 1932. Sie gibt ein Gespräch wieder, in dem der Prinz ihr erklärt hatte: „Das einzig störende Element ist die sogenannte alte wirkliche Aristokratie, nicht der Militär-, nein der Hoch- und der Landadel. Mit dem Volk wird unsereins immer gut fahren, auch mit dem Bürgertum; von mir aus kann Hitler gar nicht scharf genug gegen diesen verfluchten Adel vorgehen, dann haben wir endlich Luft. Es sind ja alles renitente Kerle, diese Adligen, kommen sich vor, als seien sie wunder was!“ Hannahs lakonischer Kommentar: „Sehr ermunternd wirkt das Beispiel ja nicht!“

Nicht zu klären ist, ob die Brüder Otto und Gottfried von Bismarck angesichts ihres ausgeprägten Interesses an Hitler dessen generelle Einstellung zum Adel in „Mein Kampf“ zur Kenntnis nahmen. Im Kapitel über die „Herrschaft des Geldes“ bedauert Hitler, dass der Kaiser und „leider selbst Bismarck“ die drohende Gefahr des Finanzkapitals verkennen würden. Die ideellen Tugenden des Adels sah Hitler hinter den „Wert des Geldes“, den „Schwertadel in kurzer Zeit schon hinter dem Finanzadel zurücktreten“ und den „nächstbesten Bankjuden“ ausgeliefert. Konsequenz dieser Entwicklung war für ihn: „Der Adel verlor immer mehr die rassische Voraussetzung zu seinem Dasein, und zu einem großen Teil wäre viel eher die Bezeichnung ‚Unadel‘ für ihn am Platze gewesen.“4

Aber auch in seinem regenerativen Verhalten schnitt der Adel bei Hitler durch „eine dauernde Missachtung der natürlichen Voraussetzungen für die Ehe“ schlecht ab: „Hier hat man die Ergebnisse einer Fortpflanzung vor sich, die zu einem Teil auf rein gesellschaftlichem Zwang, zum anderen auf finanziellen Gründen beruhte. Das eine führte zur Schwächung überhaupt, das andere zur Blutvergiftung, da jede Warenhausjüdin als geeignet gilt, die Nachkommenschaft Seiner Durchlaucht zu ergänzen. In beiden Fällen ist vollkommene Degeneration die Folge.“5

Den Diplomaten Otto von Bismarck schließlich hätte Hitlers Ansicht beunruhigen können, wonach die Nationalsozialisten kein Verständnis dafür haben dürfen, „dass irgendein altersschwach gewordener Adelsstamm seinem meist schon sehr dürr gewordenen Reis durch Bekleidung des Gesandtenpostens neuen Nährboden gibt. Unsere diplomatischen Vertretungen im Ausland waren schon zur Zeit des alten Reiches so jämmerlich, dass weitere Ergänzungen der damals gemachten Erfahrungen höchst überflüssig sind.“6

Während die Brüder Otto und Gottfried von Bismarck einen Tag nach ihrem Treffen mit Hitler im Kaiserhof am 12. Januar 1932 bei Hermann Göring frühstückten, verfolgte Hannah von Bredow zu Jahresbeginn 1932 die weiteren Entwicklungen zunächst distanzierter. Die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen am 19. Februar beschäftigten sie indessen, und sie sieht das Ergebnis voraus: „Hitler kandidiert; das Ganze ist so ungeschickt. Ich sagte heute beim Lunch dem Prinzen Philipp von Hessen, dass ich mir maximal für Hitler 12 Millionen, für Hindenburg glatt 16–18 vorstellen könne. Er glaubt umgekehrt. Das ist unmöglich.“ Hannah lag richtig, denn Hindenburg gewann, wenn auch erst im zweiten Wahlgang am 10. April. Auf ihn entfielen sogar 19 Millionen, auf Hitler 13 Millionen Stimmen.

Besorgt und rigide beurteilt Hannah von Bredow Mitte April 1932 die Folgen der von Reichskanzler Brüning verfügten Auflösung der S.A., der paramilitärischen Kampfgruppe der NSDAP: „Wenn je ein Tag als ‚böses Omen‘ aufgefasst werden könnte, so ist es dieser 13.! Denn nun wird die Situation, die ohnehin verfahren genug ist, ganz und gar auf die Spitze getrieben. Ich gebe diesem miesen Brüning nicht mehr als 4 Wochen. Aber leider wird der Alte sicher noch wursteln anstatt die Nazis hereinzunehmen. Schleicher glaubt natürlich, dass er Kanzler wird. Davor bewahre uns Gott.”

Brüning war zwar noch sechs Wochen im Amt und Hannahs Hoffnung zu Schleichers Zukunft bestätigte sich nicht, denn am 3. Dezember übernahm dieser die Kanzlerschaft, wenn auch nur für knapp zwei Monate. Am 20. April 1932 lag Hannah indessen mit ihrer Prognose richtig: „Heute ist Hitler 43 Jahre alt – ob er in einem Jahr schon Reichspräsident oder Kanzler ist? Eins von beiden sicher.“

Knapp einen Monat zuvor, am 24. März 1932, waren Hannah und Leopold von Bredow sowie ihr Bruder Otto und dessen Frau Ann Mari zu Gast bei Hermann Göring, Hitlers Vertrauter und „politischer Beauftragter in der Reichshauptstadt“. Dessen wesentlicher Auftrag in Berlin bestand darin, die Nationalsozialisten in der besseren Gesellschaft hoffähig zu machen. Den Industriellen Fritz Thyssen hatte Göring bereits ein Jahr zuvor gewonnen, und dieser verhalf ihm in der Folge finanziell zu einem adäquaten Lebens- und Wohnstil.

Minutiös, mit wörtlichen Dialogen und auf mehr als einem Dutzend Seiten, schildert Hannah ihrem Briefpartner Jessen das Ambiente und die Gespräche im Hause Göring, beim „Witwer nach einer schwedischen Gräfin“, wie sie dessen Status nach dem Tod seiner 1931 verstorbenen schwedischen Frau Carin bezeichnet.7 Schon die Einrichtung des ersten Zimmers ließ sie staunen: „Schwere altvenezianische, rote Samtbehänge an den Wänden, in der Mitte des Zimmers ein großer Kamin. Über diesem ein Riesenmosaik: auf königsblauem, glasierten Grunde das riesige goldene Hakenkreuz.“

Nach ein paar Minuten des Wartens „kam ein kleiner, fetter Mann herein: Blonde, leicht gewellte Haare, blaue, ausdruckslose, aber ‚herrische‘ Augen, ein enormes Kinn, das die Nase ganz in den Schatten stellte, ein breites, rötliches Gesicht, ein genießerischer ‚loose-lipped‘ Mund, erstaunlich kurze Arme, fette, weiße Hände. Am Ringfinger ein Lapislazuli von so ungewöhnlicher Größe, dass eine Biegung des Gelenkes unmöglich war. Auf dem Stein das Wappen. Im Knopfloch das Hakenkreuz.“

Beim Mittagessen saß Hannah von Bredow rechts vom Hausherrn und eröffnete die Konversation: „Wunderbar sind die Farben Ihrer blauen Teppiche und Ihrer blauen Samte.“ Er: „Ja, blau ist die Farbe der göttlichen Runen, Blau und Gold die Sonnenrunen, und darum beherrscht Blau mein Leben. Blau ist arisch, kein Jude kann Blau sehen, daher auch mein Ring!“ Ich: „Sehr interessant, ich habe auch eine große Vorliebe für blau, die aber angeboren ist.“ Nach weiteren Dialogen zur Farbenlehre und Berichten Görings über seine Herkunft gab es „Erbsensuppe mit kleinen Stücken Schweinefleisch“, die Göring schmunzelnd mit: „Schwedisches Donnerstagsessen, wir leben einfach“ kommentierte.

Nach dem Essen führte Göring seine Gäste in den „Braunen Salon“, an dessen einer Wand „auf Gobelinstoff gemalt eine enorme Landkarte“ hing, „den Wunschtraum Deutschland (ein bisschen kleiner nur als das Hl. Röm. Reich deutscher Nation) darstellend.“ Eine Goldbronzebüste von Mussolini stand in einer Ecke. Vor dem Weggehen drängte Göring seine Tischdame etwas von den anderen ab, und Hannah von Bredow schreibt in wörtlicher Wiedergabe: „G.: ‚Also, ich komme bald nach Potsdam, Sie müssen zu uns.‘ Ich: ‚Ich glaube nicht, dass eine vielbeschäftigte Hausfrau für Ihre Partei Zeit hat. 7 Kinder füllen den Tag aus.‘ G.: ‚Sieben Kinder! Das ist ja fast wie ein Märchen! Ich kann das nicht verstehen!‘ Er wandte sich hilfesuchend an meinen Mann, der ihn nicht trösten konnte. G.: ‚Nur eins! Bei uns gibt es keine Rangunterschiede, bei uns gibt es keine Snobs.‘ ‚Was Sie nicht sagen!‘ erwiderte ich.“