ZNT - Zeitschrift für Neues Testament 24. Jahrgang, Heft 48 (2021)

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ZNT - Zeitschrift für Neues Testament 24. Jahrgang, Heft 48 (2021)
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Susanne Luther / Manuel Vogel / Christian Strecker

ZNT - HEFT 48 (2021)

24. Jahrgang (2021), Heft 48, Thema: Kinder

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© 2021 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG

Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen

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Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de

ISBN 978-3-7720-8755-4 (Print)

ISBN 978-3-7720-0184-0 (ePub)

Inhalt

  Editorial

 NT aktuellKinder und Kindheit im Neuen Testament und seiner Welt1 Allgemeine Trends in der Forschung über Kinder und Kindheit in der Antike2 Eine wichtige Unterscheidung: „Kinder“ versus „Kindheit“3 Die Suche nach Kindern/Kindheit in der Antike und im Neuen Testament4 Die Forschungen zur griechisch-römischen Welt5 Arbeiten zum Alten Testament und zum Judentum des Zweiten Tempels6 Biblische Überblicksdarstellungen und Bibliographien7 Forschungen zum Neuen Testament8 Methodologisches9 Schlussbetrachtungen und Zukunftsperspektiven

 Zum ThemaKinder als handelnde Subjekte in neutestamentlichen und rabbinischen Gleichnissen1 Einführung2 Zum Stand der Forschung zu Kindern im antiken Judentum3 Agency4 Agency von Kindern im Rahmen der vom Vater eröffneten Möglichkeiten: Lukas 11,11–13 und Sifre Deuteronomium 405 Wechselseitige Abhängigkeit der agency von Kindern und der Ausübung von Autorität durch den Vater: Lukas 15,11–32 und Mekhilta Deuteronomium 1,116 Theologischer AusblickEinleitungDie kognitive Metapherntheorie als theoretisches Instrument für die neutestamentliche ForschungDie Metapher des „Hauses Gottes“ in den Pastoralbriefen„Gerettet durch das Gebären von Kindern“ als soziale RealitätGebären und Nähren der Erlösung als Realität und MetapherFazit: Spielt die Metapher eine Rolle?EinführungJesus und die KinderDie Briefe des PaulusEntwicklungen im zweiten JahrhundertDas Entstehen eines christlichen Bildungsideals

 KontroverseWer waren die Adressaten des „Kindheitsevangeliums des Thomas“?Das apokryphe Kindheitsevangelium des Thomas: Die erste Kindergeschichte des Christentums?Externe BelegeInterne BelegeFazitDas apokryphe „Kindheitsevangelium des Thomas“: Wirklich „nur“ eine Geschichte für Kinder?

 Hermeneutik und VermittlungWas ist neu am childist criticism?1 Einführung2 Childist Interpretation als Prozess in sechs Schritten (J. F. Parker)3 Childist Criticism als Methode mit vier Säulen (K. H. Garroway / J. W. Martens)4 Kindheit als hermeneutische Leitkategorie (L. W. Koepf Taylor)5 Zusammenfassung und Ausblick

  Buchreport

Editorial

Liebe Leserin, lieber Leser,

das aktuelle Heft der ZNT greift ein Thema auf, das eine neue Perspektive auf die Texte des frühen Christentums eröffnet. So geläufig frühchristliche Texte sind, die metaphorisch von „Kindern“ sprechen, etwa in der Rede von der Gotteskindschaft oder dem Annehmen des Gottesreiches „wie ein Kind“, so wenig standen „Kinder“ lange Zeit als kultur- und sozialgeschichtliches Thema auf der bibelwissenschaftlichen Agenda. Mittlerweile gibt es hierzu jedoch einen regen, intensiven und ertragreichen Forschungsdiskurs. In diese Forschung führt Reidar Aasgaard unter der Rubrik NT aktuell detailliert ein.

Der erste der drei Beiträge zum Thema von Albertina Oegema und Annette Merz zu neutestamentlichen und rabbinischen Gleichnissen nimmt exemplarisch die in der neutestamentlichen Forschung notorisch zu wenig beachtete rabbinische Literatur in den Blick und erschließt zugleich mit agency einen wichtigen sozialwissenschaftlichen Begriff. Anna Rebecca Solevåg befasst sich im zweiten Beitrag mit der Stellung von Müttern und Kindern in den Pastoralbriefen. Auch hier geht es um das Ausloten sprachlich-metaphorischer und sozialgeschichtlicher Bezüge. Bert Jan Lietaert Peerbolte ergänzt das Thema des Heftes um wichtige bildungsgeschichtliche Aspekte.

Die von Susanne Luther eingeleitete Kontroverse wird von Reidar Aasgaard und Ursula Ulrike Kaiser bestritten. Gegenstand ist das apokryphe Kindheitsevangelium des Thomas, und zwar hinsichtlich der spannenden Frage, ob es sich bei dieser Schrift des spätantiken Christentums regelrecht um ein Kinderbuch handelt.

Wolfgang Grünstäudl unterzieht in seinem Beitrag unter der Rubrik Hermeneutik und Vermittlung den in der Erforschung von Kindern und Kindheit interdisziplinär vielfach angewendeten childist criticism einer eingehenden und instruktiven Methodenreflexion.

Wie weit die Forschung inzwischen gediehen ist, zeigt abschließend der Buchreport: Das von Tanja Forderer vorgestellte T&T Clark Handbook of Children in the Bible an the Biblical World von 2019 repräsentiert einen thematisch, methodisch und quellenspezifisch ausdifferenzierten Diskurs und setzt diesen variantenreich fort.

Susanne Luther

Christian Strecker

Manuel Vogel

NT aktuell
Kinder und Kindheit im Neuen Testament und seiner Welt

Beiträge und Trends der modernen Forschung

Reidar Aasgaard


Prof. Dr. Reidar Aasgaard, geb. 1955, Studium der Philologie und Theologie an der Universität Oslo, zehn Jahre Pfarrdienst in der Norwegischen Lutherischen Kirche, Doktor er Theologie 1999 (Neues Testament), Postdoc und außerordentlicher Professor an der Theologischen Fakultät der Universität Oslo bis 2008, seit 2009 Professor für Ideengeschichte an der Fakultät für Geisteswissenschaften der Universität Oslo, Leiter des internationalen Projekts zur Geschichte der Kindheit in der antiken Welt 2013–2017. Forschungsschwerpunkte sind Kindheitsgeschichte, Paulus, Apokryphen des NT, Augustinus und Bob Dylan. Webseite: www.hf.uio.no/ifikk/english/people/aca/history-of-ideas/tenured/reidaraa/index.html

Warum sollten wir Kinder und Kindheit erforschen? Weil Kinder zu allen Zeiten in der Geschichte der Menschheit wichtig waren. Weil jeder Mensch einmal ein Kind war. Weil Kinder nicht in der Lage sind, über sich selbst zu forschen. Weil wir Erwachsenen unsere Kindheit unser ganzes Leben lang mit uns herumtragen. Und weil wir viel über unsere Werte und Wertvorstellungen lernen können, wenn wir die Haltung der Erwachsenen gegenüber Kindern untersuchen.

Warum sollten wir die Geschichte der Kinder und der Kindheit erforschen? Weil sie bisher wenig erforscht wurde. Weil Kinder die größte Gruppe von Menschen sind, die je existiert hat – viele von ihnen sterben, bevor sie das Erwachsenenalter erreicht haben. Weil Erwachsene Dinge über die Geschichte lernen können, die wir sonst nicht erfahren würden. Weil unser Bild der Geschichte damit präziser wird und ihr näher kommt. Schließlich einfach deshalb, weil es ungerecht ist, wenn Kinder nicht den ihnen zustehenden Anteil an der Geschichtsschreibung bekommen.

Warum sollten wir zu Kindern und Kindheit in der Bibel und ihrer Welt forschen? Weil diese Welt mit ihren altorientalischen und griechisch-römischen Kulturkreisen einschließlich Judentum und formativem Christentum die Grundlage für eine Vielzahl späterer Kulturen bildet, seien sie nun „westlich“, „orientalisch“, „arabisch“ oder anderes. Weil die Bibel im Laufe der Geschichte das Denken und Leben aller möglichen Menschen geprägt hat. Weil sie auch heute noch Wirkungen zeitigt, sogar weltweit. Weil die Bibel immer noch gelesen, interpretiert und benutzt wird, im Guten wie im Schlechten, und von Kindern und Erwachsenen gleichermaßen.

Das Thema Kinder und Kindheit in der Bibel ist seit den späten 1960er Jahren von Interesse, aber die Forschung hat sich seit den 1990er Jahren besonders entwickelt. In diesem Beitrag wird der Schwerpunkt auf dem NT liegen. Es ist jedoch auch notwendig, die Schriften des NT in zwei breiteren Kontexten zu verorten, dem der griechisch-römischen Welt und dem des Alten Testaments und des Judentums des Zweiten Tempels. Die Stellung der Kinder und die Wahrnehmung der Kindheit im Neuen Testament sind stark von diesen Kontexten geprägt und stehen in einer engen Wechselwirkung mit ihnen, und wie die moderne ntl. Forschung im Allgemeinen ist auch diejenige über Kinder und Kindheit durch ihre jeweiligen Forschungskontexte bestimmt.

 

Im Folgenden gebe ich einen Überblick über wichtige Studien zu diesem Thema, wobei ich sowohl auf bereits eingehender erforschte wie auch auf bisher eher vernachlässigte Bereiche eingehe. Darüber hinaus zeige ich einige Trends auf und zeichne nach, wie diese sich im Laufe der Jahre verändert haben. Mein Ziel ist es, sowohl ein Profil der bisherigen Forschung zu skizzieren als auch einige Möglichkeiten für weitere Studien aufzuzeigen.

1 Allgemeine Trends in der Forschung über Kinder und Kindheit in der Antike

Seit den 1960er Jahren hat die Forschung bestimmte Phasen durchlaufen, Phasen freilich, welche die anderen nicht sukzessive ersetzen, sondern ergänzen.1 Vereinfacht gesagt konzentrierte sich eine frühe Phase auf Aspekte der Bildung von Kindern wie etwa die religiöse Erziehung.2 Eine zweite Phase betonte die sozialen Beziehungen und Netzwerke von Kindern, zum Beispiel mit dem Augenmerk auf soziale Gruppenzugehörigkeit und Abhängigkeit. In neuerer Zeit folgte dann eine Phase, in der Kinder als aktive Subjekte gesehen wurden, als Akteure in ihrem eigenen Leben und im Leben der anderen. Diese Entwicklungen teilt das biblische Feld mit anderen Forschungen über Kinder und Kindheit in der antiken Welt, insbesondere im römischen Kontext; sie sind aber auch in der Forschung zu späteren historischen Perioden zu beobachten.3 Im Verein mit den römischen Studien hat sich die Forschung zum NT und zum frühen Christentum inhaltlich wie methodisch an die Spitze der historischen Erforschung von Kindern und Kindheit gesetzt.

In den letzten zwei bis drei Jahrzehnten wurden dabei eine Vielzahl von Aspekten wie Geschlecht, Lebensphasen, soziale Schicht, ethnische Vielfalt sowie Behinderung und Krankheit berücksichtigt. Die Forschung ist heute durch eine vitale Interdisziplinarität gekennzeichnet, insbesondere mit den Sozialwissenschaften, z. B. der Sozialgeschichte, der Kulturanthropologie und der Soziologie, sowie mit verschiedenen geisteswissenschaftlichen Bereichen wie Kunst, Altertumswissenschaft, Geschichte, Archäologie und Literatur. In jüngerer Zeit wurden auch die Rechtswissenschaften und die Medizin einbezogen, z. B. im Blick auf die zivilen und religiösen Rechtsvorschriften über Kinder und Krankheiten von Kindern. Aufgrund des interdisziplinären Charakters dieser Forschungen, aber auch aufgrund von Entwicklungen innerhalb des Feldes selbst, hat die Vielfalt der methodischen Ansätze zugenommen. Beispiele für diese breite Palette von Ansätzen sind etwa Intersektionalität und Kinder als Subjekte von Interpretation („childist interpretation“); hiervon später mehr.

2 Eine wichtige Unterscheidung: „Kinder“ versus „Kindheit“

Bei jeder Art von Forschung über Kinder und Kindheit ist es notwendig, zwischen diesen beiden Gegenständen zu unterscheiden. Während sich erstere auf Fragen wie die Lebensbedingungen, die sozialen Funktionen oder die Aktivitäten von Kindern bezieht, befasst sich letztere mit Vorstellungen von Kindern als Menschen und Ideen über Kindheit als Lebensphase. Und während sich erstere hauptsächlich auf die Kinder selbst konzentriert, spiegelt letztere in der Regel die Sichtweise von Erwachsenen wider. Beide Perspektiven sind für sich genommen wichtig, da sie auf unterschiedliche Weise spezifische Einsichten vermitteln. Die beiden Kategorien schließen sich natürlich nicht gegenseitig aus, sondern wirken auf einander, was die Beziehung zwischen ihnen, beispielsweise zwischen „Realität“ und „Ideen“ oder „Idealen“, zu einem interessanten Thema macht.

Eine ähnliche, aber umfassendere Unterscheidung, die man im Auge behalten sollte, ist die zwischen der Perspektive von Kindern und der Perspektive auf Kinder. Während es bei der letzteren darum geht, die Interessen der Kinder zu berücksichtigen, d. h. im Namen der Kinder zu sprechen, zielt die erstere darauf ab, die Dinge aus der Perspektive der Kinder selbst zu sehen und auf die Stimmen der Kinder zu hören.

3 Die Suche nach Kindern/Kindheit in der Antike und im Neuen Testament

Die Erforschung von Kindern und Kindheit ist in der Vergangenheit oft auf den Einwand gestoßen, dass es kein ausreichendes Quellenmaterial für solche Studien gibt. Problematisiert wurde auch, wie man Zugang zum Leben der Kinder bekommen kann, wenn denn zutrifft, dass sie nur wenige Spuren in den Quellen hinterlassen haben. Es hat sich jedoch gezeigt, dass das Material viel reicher ist, als traditionell angenommen wurde, und zwar selbst für eine so weit zurückliegende Zeit wie die des Neuen Testaments.

Zu dieser Erkenntnis hat die interdisziplinäre Forschung dadurch beigetragen, dass sie verschiedene Bereiche wie Linguistik, Kunstgeschichte und Archäologie zusammengeführt hat. Darüber hinaus wurden in dem Maße neue Entdeckungen gemacht, wie die Forschenden einfach eine „neue Brille“ aufsetzten und die bekannten und weniger bekannten Quellen gezielt daraufhin befragt haben, was sie über Kinder und Kindheit mitteilen. In gewisser Parallele zu den feministischen Studien ist es der historischen Forschung zu Kindern und Kindheit gelungen, eine marginalisierte Gruppe wie Kinder in den antiken Quellen ausfindig und sichtbar zu machen.1

Dies lässt sich leicht anhand des hier behandelten Materials zeigen, an den Schriften des NT. Am anschaulichsten begegnet uns Jesus als Kind in den Kindheitserzählungen bei Matthäus und Lukas, aber auch andere Kinder wie Johannes der Täufer, oder etwa die Kinder vom Kindermord in Bethlehem. In den Wundergeschichten der Evangelien und gelegentlich in der Apostelgeschichte tauchen häufig Kinder unterschiedlichen Alters auf. Sie sind auch unter den Menschen zu finden, die sich um Jesus versammeln und seinen Segen erbitten, und wir begegnen ihnen sogar im Tempel von Jerusalem. In den authentischen Paulusbriefen wie auch in den Deuteropaulinien und den Pastoralbriefen ist von ihnen die Rede (wenn auch nicht so oft), und sie werden auch angesprochen (viel häufiger), in den Pastoralbriefen vor allem in paränetischen Passagen wie den Haustafeln.

Darüber hinaus können Begriffe, die oft anders übersetzt werden, ein Kind „verbergen“, wie paidion, pais und paidiskē. Auch doulos und doulē können sich auf ein Kind beziehen, da viele Sklaven noch keineswegs das Erwachsenenalter erreicht hatten, jedenfalls nach unserem Verständnis. Auch einige der Jünger Jesu, die als Söhne, z. B. des Zebedäus, bezeichnet werden, können als Kinder angesehen werden, wenn man Jugendliche, „Teenager“, dazuzählt.

In zahlreichen Fällen tauchen Vorstellungen von Kindern und Kindheit in Form von Metaphern auf, ein Sprachgebrauch, der die weit verbreitete Haltung der Erwachsenen gegenüber Kindern deutlich widerspiegelt. Dies ist besonders häufig bei Paulus der Fall, wenn er die Beziehungen zwischen ihm und den Gläubigen darstellt. Sogar die zentrale und weit verbreitete Metapher von Gott als Vater für Israel oder die Christen kann einen Einfluss auf die Vorstellung davon haben, was es bedeutet, ein Kind zu sein.

Schließlich, und das ist wichtig, sollten wir die faktische Präsenz von Kindern in den Texten (oder zwischen den Zeilen) in Betracht ziehen, auch wenn sie nicht ausdrücklich erwähnt werden. Wie in vielen heutigen Kulturen dürften sie auch in der Welt des NT allgegenwärtig gewesen sein – demographische Schätzungen gehen davon aus, dass sie bis zur Hälfte der Bevölkerung ausmachten.

4 Die Forschungen zur griechisch-römischen Welt

Die Entwicklungen, die die neutestamentliche Forschung durchlaufen hat, decken sich weitgehend mit anderen Forschungen über Kinder und Kindheit in der Antike und sind eng an diese angelehnt.1 Die einschlägige Erforschung der antiken Quellen begann in den frühen 1980er Jahren und entwickelte sich schnell, vor allem im Blick auf die römischen Verhältnisse, zunächst mit einem Interesse an Familienleben und -strukturen und Geschlechterbeziehungen im Allgemeinen und dann mit einer wachsenden Aufmerksamkeit für die Kindheit als Lebensphase.2 Eine frühe, bahnbrechende Studie (1990) stammt von Mark Golden über Kinder im klassischen Athen. Eine weitere von Jenifer Neils und John H. Oakley (2003)3 konzentrierte sich auf das Erwachsenwerden. Die Forschung zu den klassischen und griechisch-hellenistischen Quellen machte ebenfalls Fortschritte, wenn auch in engeren Grenzen.

Das Interesse an Kindern und Kindheit in der römischen Welt nahm dagegen noch zu, insbesondere durch wichtige Beiträge von Beryl Rawson und anderen in den 1990er Jahren.4 Ihr letztes Buch über die Kindheit im römischen Italien (2003) war ein Meilenstein in dieser Phase der Forschung.5 Seitdem hat sich die Erforschung der römischen Verhältnisse kontinuierlich weiterentwickelt, zumal in den vergangenen zehn Jahren.6 Die Forschung ist vielfältiger geworden, hat sich weiter spezialisiert, und sie konzentriert sich u. a. auf die Lebensbedingungen von Kindern, ihre Ausbildung, ihre Rolle in Familie und Gesellschaft und ihre kulturelle Stellung. Rechnet man die Arbeiten zu NT und frühem Christentum hinzu, kann man sagen, dass die Studien zur römischen Zeit heute inhaltlich wie methodisch zur Spitze der historischen Forschung über Kinder und Kindheit gehören.

5 Arbeiten zum Alten Testament und zum Judentum des Zweiten Tempels

Als Schriftensammlung ist das AT mehr als dreimal so lang wie das NT und umfasst einen Zeitraum von mindestens sechs bis acht Jahrhunderten. Gemessen daran gibt es auf diesem Gebiet vergleichsweise wenig Forschungsliteratur. Erst ab etwa 2008 hat die Forschung auch hier an Fahrt aufgenommen und wichtige, methodologisch innovative Studien zu unserem Thema beigesteuert.1 Es bleiben aber noch viele weiße Flecken auf der Landkarte. Eine aktuelle Übersicht über die bisherigen Forschungen hat Julie Faith Parker (2019) vorgelegt.2

Die Tora wurde häufiger untersucht als andere Teile, aber es erschienen auch wichtige Arbeiten zu den früheren Propheten und teilweise zur Weisheitsliteratur. Methodologisch wichtig ist Parkers Studie von 2013 über den Elisa-Zyklus in 2Kön 2–8, in der sie die zentrale und aktive Rolle von Kindern in diesen Geschichten aufzeigt.3

Bisher wurde einigen Bereichen besondere Aufmerksamkeit gewidmet, insbesondere dem Kontext der Familie, oft mit Schwerpunkt auf Geschlechterrollen. Studien über das tägliche Leben und die sozialen Rollen von Kindern, die aus der archäologischen Forschung hervorgegangen sind, sind in jüngster Zeit ebenfalls in den Fokus gerückt, mit wichtigen Arbeiten von Laurel W. Koepf Taylor (2013), Kristine Henriksen Garroway (2018) und anderen.4 Immer wiederkehrende Themen sind bis heute Kinder als Opfer von Gewalt und die Diskussion, ob Kinderopfer im alten Israel eine historische Realität darstellten.5 Auch systematisch-theologische Themen wurden behandelt, wie z. B. die Frage Gottebenbildlichkeit von Kindern.6

Das Judentum des Zweiten Tempels steht bis heute weit weniger im Fokus als das frühe Christentum. Ein aktueller und wichtiger Beitrag auf diesem Gebiet ist jedoch die Monographie von Hagith Sivan über jüdische Kindheit in der römischen Welt (2018), die sich dem Material bewusst mit einer Perspektive „von unten“ nähert.7 Insgesamt ist die Forschung zu AT und Judentum aber noch immer bruchstückhaft und fragmentarisch.