Stilwechsel und ihre Funktionen in Textsorten der Fach- und Wissenschaftskommunikation

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4.3 Ironisieren

Stilwechsel können dann zum Einsatz kommen, wenn wie im folgenden Thread-Auszug das stilistische Handlungsmuster Ironisieren verwendet und ebenfalls die Interaktionsmodalität gewechselt wird. Ausgangspunkt ist eine Frage zur Groß- und Kleinschreibung, die dann im grammatischen Kontext der Wortbildung beantwortet wird:1

 (42) Jan: Werden die Verben „schwimmen“, „radfahren“ und „laufen“ im folgenden Satz groß oder klein geschrieben? Das bedeutet: 20 Tage lang täglich 3,8 km schwimmen, 180 km radfahren und 42,2 km laufen.

Die Frage wird von User „Qwerty“ beantwortet und es kommt zu zwei zusätzlichen Beiträgen von „Jan“ und „Qwerty“. Bei der Beispielsanalyse verkürzt „Qwerty“ dann den ursprünglichen Beispielsatz, was folgende Reaktion eines weiteren Users verursacht:

 (43) Vollprofi: „20 Tage lang Schwimmen/schwimmen“, das geht, […]Wow, Qwerty! Da bewundere ich echt deine Ausdauer! Kann man sich das mal irgendwo anschauen?

Der hier erkennbare Ebenenwechsel hin zur Beziehungsebene erfolgt durch die Ironisierung, wobei der Wechsel zu einer unernsten Interaktionsmodalität mit Smileys zusätzlich verdeutlicht wird. „Qwerty“ schließt sich dem Ebenenwechsel an, indem er/sie auf die Äußerung von „Vollprofi“ mit Humor reagiert:

 (44) […] Ja ne? Da kannste nicht mithalten. […] Zitat: Kann man sich das mal irgendwo anschauen? Hihi, na klar. In jedem besseren Zoo, Delfinarium etc. Liebe Grüße Qwerty

Wie die Beispiele zeigen, agieren die Forumsmitglieder zuweilen ausschließlich auf der Ebene der Beziehungsgestaltung, als unbeteiligter Rezipient kann man zum „Zeugen eines kleinen verbalen Duells“ (Sandig 2006: 283) werden oder sich am negativen oder positiven Bewerten durch Ironie erfreuen.

5 Fazit

Die exemplarischen Überlegungen haben verdeutlicht, dass Grammatik-Texte für die Analyse von Stilwechseln und ihren Wirkungen einen geeigneten Untersuchungsgegenstand darstellen, da sich bei gleichbleibendem Gegenstand Anpassungen z.B. an bestimmte Adressatengruppen vergleichen lassen. Festhalten lässt sich insbesondere,

1 dass sich im Vergleich zielgruppendifferenter Darstellungen zielgruppenspezifische Formen des Gestaltens ausmachen lassen, zu denen auch bestimmte Arten von Stilwechseln gehören, und dass insofern die Analyse von Stilwechseln als Beitrag zur Verortung von Texten zwischen maximaler und minimaler Wissenschaftlichkeit verstanden werden kann: Vor dem Hintergrund des ausgeprägten Negativimages, mit dem das Thema „Grammatik“ behaftet ist, lässt sich erkennen, dass die Textproduzenten vor allem in einführenden Darstellungen und in solchen für Adressatengruppen mit heterogenem, insbesondere auch eher niedrigem Wissensniveau Stilwechsel einsetzen, um den Texten Attraktivität zu verleihen und die Rezeptionsbereitschaft zu steigern;

2 dass sich im Vergleich zielgruppengleicher Darstellungen, deren Erscheinen sich über einen größeren Zeitraum erstreckt, weniger Unterschiede in Gestalt von Stilwechseln beobachten lassen, sondern vielmehr bei gleichbleibendem (Wissenschaftlichkeits-)Anspruch Anpassungen an veränderte Rahmenbedingungen im Bereich der Grammatikforschung, die vor allem das Selbstverständnis und die Positionierung zwischen Präskription, Normierung und Deskription betreffen, sich aber zwangsläufig auch in der Art und Weise des Gestaltens niederschlagen und insofern einen Stilwandel sichtbar werden lassen;

3 dass die Art der Handlungsdurchführung und die primär im Rahmen des Gestaltens anzusiedelnden Stilwechsel durch Handlungen, die in erster Linie die Beziehungsgestaltung betreffen, ergänzt, zuweilen auch unterbrochen oder außer Kraft gesetzt werden können, wie es die exemplarischen Beobachtungen zur Behandlung von Grammatikthemen und ‑fragen in der Forenkommunikation offengelegt haben.

Literatur
Quellen

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Forschungsliteratur

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Krieg-Holz, Ulrike 2017: Textsortenstile – Stilbeschreibung und Textsortenklassifikation. Berlin.

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Sandig, Barbara 1986: Stilistik der deutschen Sprache. Berlin / New York.

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Selting, Margret 2001: Stil – in interaktionaler Perspektive. In: Eva-Maria Jakobs/Annely Rothkegel (Hg.): Perspektiven auf Stil. Tübingen, 3–20.

Stilwechsel von der Erkenntnis zur Wissenschafts-PR

Wie man über die Smarte Welt und Virtuelle Realität kommuniziert

Ines-A. Busch-Lauer

Gliederung

 1 Einleitung

 2 Technikentwicklung und Begriffswelt – Alles smart, oder …?

 3 Online-Texte, ihre Makrostruktur und Stilmerkmale

 4 Fazit

1 Einleitung

Der Kommunikationsstil in den Naturwissenschaften und der Technik gilt als stark normiert und ist gekennzeichnet durch eine unpersönliche Darstellungsweise, Sachlichkeit und Folgerichtigkeit (vgl. Göpferich 1995). Aufgrund des enormen Wissenszuwachses im Technologiebereich zeichnen sich zwei Tendenzen ab: Zum einen spezialisieren sich Fachgebiete und zum anderen nimmt die Interdisziplinarität zu (z.B. in der Mensch-Maschine-Interaktion). In der Folge kommt es zu einer stärker spezialisierten vs. fachübergreifenden Fachkommunikation, die beide für Laien oft genug unverständlich bleiben.

Durch das Internet als interaktive Plattform für den Wissensaustausch nimmt jedoch der Abstand zwischen Wissenschaft als Theoriegebäude mit Spezialwissen einerseits und Gesellschaft als Praxisraum andererseits ab und die Rolle des Wissenschaftsjournalismus wächst. Zudem ist der Publikations- und Popularisierungsdruck für neue Erkenntnisse hoch, so dass das Medium Internet in diesem Kontext sehr gut geeignet ist, eine zeitnahe und unkomplizierte Berichterstattung sowohl für Fachleute als auch für Laien zu ermöglichen. Neben Open Access-Wissenschaftsmagazinen mit allgemeinem Charakter etablierten sich in den vergangenen Jahren insbesondere themenspezifische Blogs (z.B. ScienceBlogs), deren Einträge nicht nur Wissen vermitteln, sondern die über die Kommentarfunktion Diskussionen in Echtzeit anregen. Während Wissenschaftlerdiskurs früher über persönliche Briefe und in Journalen über Leserbriefe geführt wurde, bieten Blogs und Webinare sowie Kommunikationsplattformen wie Twitter und Instagram heute einer multiplen Leser-/Zuschauerschaft die Option der unmittelbaren, auch anonymen Teilhabe an Entwicklungen, der Bewertung und Reaktion auf Veröffentlichtes. Zudem werden Social Media häufig für die Veröffentlichung von neuen Erkenntnissen genutzt.1 Die Multimodalität der neuen Medien eröffnet eine weitgehend barrierefreie Kommunikation. Texte können automatisch über Software vorgelesen werden und Programme werden inzwischen auch über Sprecheingaben gesteuert. Zudem reichern Bilder, grafische Elemente und die weiterführende Verlinkung die Darstellung von Erkenntnissen und Prozessen an. Im Zuge der Entwicklung neuer fachlicher Konzepte, wie der Mensch-Maschine-Interaktion, entstehen auch neue sprachliche Interaktionsmuster, z.B. die Interaktion mit Chatbots, die sich einer künstlichen, standardisierten Sprachmusterkommunikation bedienen. Über neuronale Netzwerke und künstliche Intelligenz werden Computer immer lernfähiger. In naher Zukunft wird Wissenschaft auch durch Augmentierte Realität mit 3D-Optionen noch besser verständlich.2 Zudem wird es schwieriger zwischen natürlicher und computerbasierter Sprache bzw. Texten zu unterscheiden. Smartphones und Kommunikationsdienste führen ihre Nutzer zu einer verkürzten, schnellen Interaktion. Geschriebene (getippte) Kommunikation wirkt gesprochensprachlich, d.h. sie ist informell, durch Kurzformen charakterisiert und durch Emoticons symbolhaft.

Insgesamt ist festzustellen, dass durch den technischen Fortschritt der Kommunikationsmedien auch deutliche Stilwechsel begründet sind: Zum einen der Übergang vom einfachen gedruckten Text zu digitalen Texten, die über technische Optionen der Informationserweiterung verfügen, die eine barrierefreie Kommunikation ermöglichen, die stärker visualisiert sind und zugleich die Echtzeitkommunikation zwischen Autoren und Rezipienten herstellen können. Zum anderen Texte mit Informationseingrenzung durch ‚Chatstrukturen‘ und Symbole, die einen schnellen Informationsaustausch zwischen Sender und einem Rezipienten bzw. der Rezipientengemeinschaft ermöglichen. Die Kommunikation wird stärker adressatenwirksam gesteuert.

Während die Verbreitung von wissenschaftlichen Erkenntnissen in gedrucktem Material gut erforscht ist (vgl. z.B. Adamzik 2010; Auer/Baßler 2007; Berg 2018; Conein u.a. 2004; Koskela 2002; Niederhauser 1999), liegen zur digitalen (Fach-) Kommunikation, z.B. zu Blogs, noch verhältnismäßig wenige linguistische Studien vor (u.a. Mauranen 2013; Enderli 2014; Moss/Heurich 2015; Meiler 2018; Schach 2015). Das Forschungsfeld Verständlichkeit von digitaler Wissenschaftskommunikation wurde erstmals durch die Beiträge des Sammelbandes von Bonfadelli u.a. (2016) mit einem Überblick zu den Forschungsfeldern (u.a. Public Understanding of Science) thematisiert und die Diskursqualität von Online-Wissenschaftskommunikation unter den Schlagwörtern Science for all und Scientific Literacy.

Mit den Auswirkungen der zunehmenden Digitalisierung auf die deutsche Sprache befasste sich im Jahr 2014 eine forsa-Befragung (forsa 2014) unter 100 Sprachwissenschaftlern. Danach geht die Mehrheit der befragten SprachwissenschaftlerInnen (62%) davon aus, dass die zunehmende digitale Kommunikation einen großen Einfluss auf die deutsche Sprache hat. Zu den Bereichen mit besonders starken Auswirkungen gehören:

 (1) die Lexik (22% der Befragten verweisen auf die vermehrte Nutzung von Abkürzungen, Floskeln und neuen Wörtern),

 (2) die Vermischung von Mündlichkeit und Schriftlichkeit (22%) sowie

 (3) die Veränderung der Grammatik, Rechtschreibung und Interpunktion (19%).

Dass es zu Veränderungen des Kommunikationsverhaltens kommen wird, glauben 17% der Befragten; weitere 17% gehen auch von einem stärker informellen und kreativen Sprachgebrauch aus und die Verwendung von Anglizismen betonen 6%. Insgesamt 39% der Befragten meinen, dass sich die Satzstrukturen vereinfachen; 20% sehen vermehrt gesprochensprachliche Strukturen und 14% vermuten Veränderungen in der Groß- und Kleinschreibung, weniger Interpunktion sowie vermehrt Kürzungen von Endungen und die Nutzung von Abkürzungen (vgl. forsa 2014: 4–6). Betrachtet man die Lexik genauer, so gehen 26% der Befragten davon aus, dass die digitale Kommunikation in diesem Bereich durch die stärkere Nutzung von Neologismen, Anglizismen und von Akronymen geprägt sein wird. Zudem ist von einer Informalisierung und einer Nutzung von mehr bildlichen Sprachelementen (z.B. Symbole, Emoticons) auszugehen.

Leider sehen 27% der Befragten auch die Gefahr, dass sich durch die Nutzung digitaler Medien die Schreib- und Lesefähigkeit verschlechtern könnte; 29 % der Befragten gehen hingegen eher von einer Verbesserung aus, aber 34% sind diesbezüglich noch unentschieden.

Betrachtet man zusammenfassend die Ergebnisse der Befragung, so erscheint es notwendig, die geäußerten Meinungen durch Textanalysen aus verschiedenen digitalen Genres zu verifizieren. Zugleich ist es erforderlich, Stilwechsel als Ausdruck von Sprachdynamik auf den einzelnen Sprachebenen zu dokumentieren. Aus diesem Grund betrachtet der vorliegende Beitrag exemplarisch, welche stilistischen Tendenzen sich in digital veröffentlichten Texten abzeichnen. Dazu wurde ein Korpus aus Texten von Wissenschaftsmagazinen und von Blogtexten zu den Themen ‚Smart Technology‘ und ‚Virtuelle Realität‘ betrachtet.

2 Technikentwicklung und Begriffswelt – Alles smart, oder …?

Naturwissenschaft und Technik sind heute allgegenwärtig und ihre Erkenntnisse oft für fachliche Laien zu komplex. In Zeiten eines starken wissenschaftlich-technischen Umbruchs, der das Leben der Menschen nachhaltig beeinflusst, entsteht ein besonderer Bedarf, Erkenntnisse verständlich in die breite Öffentlichkeit zu transferieren, auch um Ängsten vor diesen Entwicklungen vorzubeugen. Eine solche qualitativ neue Phase der Technikentwicklung wurde durch die Digitalisierung und Automation eingeleitet, über die besonders im Internet berichtet wird und deren Berichterstattung viele Züge der Computerfachsprache und des Journalismus trägt. Die Sprache der Informatik ist schnelllebig, von vielen Neologismen, Anglizismen und Symbolen geprägt; der Sprachstil ist sachlich, kurz und präzise. Im Gegensatz dazu ist die Sprache im Journalismus durch Vergleiche, direkte und indirekte Rede, Beispiele und Metaphern angereichert, was sich auf die Gestaltung der Berichterstattung über IT-Entwicklungen überträgt.

Auf der Online-Plattform www.heise.de werden die neuesten Entwicklungen im Bereich Computer und Digitalisierung vorgestellt, wobei die Informationen häufig auf englischsprachigen Quellen beruhen. Teilweise erscheinen die dort verbreiteten Mitteilungen auf weiteren Portalen in modifizierter Form, teilweise über unterschiedliche Genres. Oft werden die englischen Fachbegriffe (für die es keine Äquivalente im Deutschen gibt) ins Deutsche übernommen. Ein englischer Fachbegriff gilt als kürzer (daher ökonomischer), ist prestigeträchtiger und der breite Leserkreis (vom Experten zum interessierten Laien) stuft die Darstellung auch so als verständlich ein. Zudem sind die popularisierenden Texte auf deutschsprachigen Online-Portalen bzw. in Online-Ausgaben von Wissenschaftsmagazinen (z.B. Spektrum der Wissenschaft und bild der wissenschaft) häufig Übersetzungen aus dem Englischen. Diese übernehmen aus den oben genannten Gründen auch oft englischen Fachwortschatz, was gegenwärtig besonders in Texten zu den Themenbereichen Smart World, Virtuelle Realität, Künstliche Intelligenz und Robotik zu beobachten ist. Beispiele dafür sind: Internet of Things (IoT), IIoT (Industrial Internet of Things – Industrie 4.0), Smart City, Artificial Intelligence (AI), Virtual Reality (VR), Augmented Reality (AR), Mixed Reality (MR). Die (englischen) Neologismen dringen über die Berichterstattung sukzessive in den Alltag der Menschen vor und bestimmen als Schlagwörter die Art und Weise der Kommunikation über und mit den Dingen. Die Begriffe sind zwar ‚in aller Munde‘, aber hinterfragt man das Verständnis zu einem solchen neuen Begriff, dann offenbaren sich oft Vagheiten und Wissenslücken, weil Neologismen häufig (noch) nicht klar definiert sind. Als Beispiel kann hier der Begriff Big Data genannt werden, der zwar seit einigen Jahren etabliert ist, aber als Schlagwort einem kontinuierlichen Wandel in Bedeutung und Beschreibung unterliegt. Diese Vagheit wird an Textbeispiel (A) deutlich, in dem sprachlich auf das Verständnisdefizit und die Prozesshaftigkeit von Big Data verwiesen wird (vgl. die durch Fettdruck markierten Textstellen). Der Begriff Big Data scheint nicht ins Deutsche übersetzbar zu sein und er durchläuft noch immer den Prozess der Präzisierung/Terminologisierung. Deshalb werden zu seiner Charakterisierung Vagheitsausdrücke (z.B. prinzipiell, eventuell, idealerweise) verwendet, die zudem auch Ausdruck der Unsicherheit des Autors im Umgang mit dem Begriff sind.

 (A) Big Data ist nach einer Reihe logischer Entwicklungsstufen im Internet, wie der Individualisierung, der Verlagerung von Daten in die Cloud und des rapide steigenden Wunsches nach (Digitaler) Mobilität, das neue kontrovers diskutierte Thema. […] Prinzipiell geht es darum, unterschiedliche Datenmengen mit den neuen Datensätzen zu kombinieren, eventuelle Muster in diesen kumulierten Daten mit intelligenten Softwareprogrammen aufzuspüren, um anschließend die richtigen (möglichst wirtschaftlich lukrativen) Schlüsse aus den Ergebnissen zu ziehen. Einmal erhobene Primärdatensätze können zu unterschiedlichen Zwecken und für unterschiedliche Akteure zweit-, dritt-, oder x-fach ausgewertet werden. Dadurch erweisen sich die Daten einerseits als Quelle für Innovation, Kreativität sowie „Out-of-the-box-Denken“ und münden idealerweise in neuen Geschäftsideen, Produkten oder Dienstleistungen. (Big Data – Die ungezähmte Macht, 04.03.2014: 3–4, www.dbresearch.de [letzter Zugriff: 31.01.2019])1

 

Welche fachlichen Konzepte scheinen die Kommunikation derzeit besonders zu prägen? Bei der Durchsicht deutscher Blogtexte fällt insbesondere das Adjektiv smart auf, das auch im Deutschen inzwischen zu einer ganzen Begriffswelt geführt hat und als Konzept das Leben der Menschen nachhaltig beeinflussen wird.

Ursprünglich bezog sich das Adjektiv smart nach Angaben des Oxford Learners’ Dictionary

 (1) auf Menschen „clean and neat; well dressed in fashionable and/or formal clothes“;

 (2) auf Sachen „clean, neat, and looking new and attractive“;

 (3) und im amerikanischen Englisch intelligent, (z.B.: … the smartest thing I ever did);

 (4) modern, modisch („fashionable“);

 (5) schnell („quick“).

Mit der Automarke Smart (seit 1998) und der Smart Card (Chipkarte mit Bezahl- und Wiederaufladefunktion, seit ca. 2001) begann der Boom von smart als „clever“, „intelligent“. Bezogen auf Technik/Computer bedeutet das Adjektiv laut Oxford Learners’ Dictionary

 (6) gesteuert, intelligent kontrolliert.2 „controlled by a computer, so that it appears to act in an intelligent way“.

Durch die technischen Entwicklungen ist die Bedeutung des Adjektivs (vgl. 6, „gesteuert, intelligent kontrolliert“) nunmehr dominant und profitiert auch von der Auffassung „clean and neat“ für Personen und Sachen (vgl. 1 und 2). So wird das Smartphone mit all seinen gehirnerleichternden Funktionen als unabdingbar und positiv wahrgenommen und darauf aufbauend auch weitere internetfähige tragbare Geräte. Der Begriffsumfang von smart hat sich zwar verengt, aber gleichzeitig eine ganze Reihe von Neologismen produziert: Smartphone, smart meter (‚intelligenter Stromzähler‘), Smart TV (‚Hybrid-TV-Gerät‘), Smart Grid (‚intelligentes Stromnetz‘), Smart Home, Smart City.

Diese Prominenz von smart wurde in deutschen Techniktexten erstmals durch das Themenheft 09/2014 von Technology Review über folgende Textüberschriften sichtbar:

Die neue Intelligenz im Haus. Sinn und Unsinn des Smart Home;

Smart Homes – Wohnen im Computer;

Alle reden vom Smart Home, aber was haben wir wirklich davon?;

Alles auf Android? Häuser werden smart, bleiben aber etwas kommunikationsscheu – noch ist das Angebot von vielen inkompatiblen Standards geprägt;

Feindliche Übernahme. In vielen Smart Homes stehen die virtuellen Türen sperrangelweit offen. Braucht künftig auch die Waschmaschine Anti-Viren-Software?;

Smart genug für Oma? In Hamburg testen Senioren Wohnungen, die lange Eigenständigkeit bieten sollen. Der Fußboden meldet jeden Sturz, und der Wäschekorb informiert die Reinigung.

Smart steht also für ‚intelligent, schlau, vernetzt‘. Die Textbeispiele B–D veranschaulichen die durch smart entstandene Begriffswelt: smart home, smartwatch, smart suitcase. Sie eröffnen gleichzeitig einen Blick auf den verwendeten Sprachstil. Die Prozessbeschreibung in (B) ist am Alltag der Rezipienten orientiert und wirkt dadurch vertraut. Die Smartwatch in (C) wird durch das positiv konnotierte Adjektiv erfolgreich im Kontrast zu totgeglaubt charakterisiert. Textbeispiel (D) nutzt Alltagssprache (auf sich aufpassen, allerlei, das gute Stück, sich selbst einchecken).

 (B) Wenn es draußen regnet, schließt das kluge Haus die Fenster. Fängt der Bewohner an zu frösteln, schaltet es die Heizung an. Fährt er weg, schließt es Tür und Garage. Smart wird das Haus also. (Technology Review 9/2014: 74).

 (C) Pebble, Wiedergeburt der Smartwatch – Bis heute ist die Smartwatch mit dem E-Ink-Display mit zehn Millionen Dollar Seed-Investorensumme das erfolgreichste Crowdfunding-Projekt aller Zeiten. Das Erstaunliche aber ist, dass sie auch die erste erfolgreiche Smartwatch überhaupt war und das schon totgeglaubte Genre der Wearables neu belebte. (Technology Review, 5/2014: 41.)

 (D) Ein Koffer passt auf sich auf – Der Flugzeughersteller Airbus hat zusammen mit T-Systems und dem Gepäckhersteller Rimowa einen smarten Reisekoffer entwickelt. Der Bag2Go besitzt allerlei Sensortechnik, einen integrierten Minirechner sowie ein Funkmodul samt GPS-Satellitennavigation. Der Besitzer soll stets wissen, wo sich das gute Stück befindet und es per App jederzeit orten können. Ein Display an der Außenseite zeigt zudem einen aktuellen Barcode, der schon bei der Buchung vergeben werden kann. Der Koffer kann darüber – oder einen ebenfalls eingebauten RFID-Chip – auch direkt mit Gepäcksystemen an Flughäfen interagieren und sich selbst einchecken, da kein Label mehr ausgedruckt werden muss. (Technology Review 5/2014: 17).

Betrachten wir die Beispieltexte (C) und (D), so fällt auf, dass weitere englische Begriffe Eingang in die deutschen Texte gefunden haben: E-Ink-Display, Seed-Investorensumme, Crowdfunding-Projekt, Wearables, Bag2Go, App, Barcode, Display, RFID-Chip, checken, Label. Einige davon sind fest etabliert, so dass sie von der Sprachgemeinschaft nicht mehr als fremd wahrgenommen werden (z.B. Wearable, Crowdfunding, Label, Barcode, Display) und inzwischen Bestandteil der Alltagssprache sind. Die Texte sind sehr umgangssprachlich formuliert, was ihre Verständlichkeit verstärkt und auch eine gewisse Glaubwürdigkeit impliziert, die Vorbehalten gegenüber neuen technischen Entwicklungen entgegenwirkt.

Das exemplarisch vorgestellte Konzept smart zeigt, dass es im Zuge der auf Englisch publizierten technischen Entwicklungen zu einer Übernahme von englischen Begriffen und damit zur Anglisierung des Wortschatzes im Deutschen kommt. Smartphone und Smartwatch wurden direkt übernommen und sind Standard. Ob ein Smart Home ein ‚intelligentes‘, ‚schlaues‘ oder ‚vernetztes‘ Haus oder doch nur ein ‚Zuhause‘ ist und eine Smart City die ‚überwachte‘ oder die ‚vernetzte‘ Stadt, wird die Sprachgemeinschaft noch entscheiden (müssen). Wie smart (unübersetzt oder übersetzt) in Zukunft im Deutschen verwendet wird, ist noch nicht klar entschieden. Zumindest ist smart als positiv konnotiertes Adjektiv auch in technischer Hinsicht akzeptabel für die Sprachgemeinschaft. Es bleibt allerdings offen, ob dies eine durchgängige Tendenz ist. Eine ähnliche Entscheidung steht z.B. auch für das Internet der Dinge (in deutschen Texten häufig Internet of Things oder abgekürzt: IoT) aus. Artificial Intelligence hingegen konkurriert in den deutschen Texten nicht mit der ansonsten häufig verwendeten Form Künstliche Intelligenz (KI), ebenso werden oft VR und AR anstelle von Virtual Reality und Augmented Reality genutzt. Es ist folglich Aufgabe der Fach- und der Sprachgemeinschaft hier adäquate Verwendungsentscheidungen zu treffen.