Sprachliche Höflichkeit

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Und da ist noch ein anderes Problem mit den Grundmaximen:

Mach dich selbst klein!

Mach den Partner größer!

Nur wie steht es mit dem elliptischen „als“?

 Als du denkst?

 Als du glaubst, dass du bist?

 Als du glaubst, das dein Partner glaubt, dass du bist?

Sie wissen schon, wo das hinführt. Analog die zweite Maxime:

 Als der Partner ist?

 Als du glaubst, dass die Partnerin ist?

 Als die Partnerin glaubt, dass sie ist?

Da können wir sogar ein Paradox der Höflichkeit erkennen:

Sich groß machen, indem man sich klein macht.

Der Default genügt.

Ist man nicht schon höflich, wenn man nicht unhöflich ist? Wenn man etwa Beschimpfungen und Beleidigungen unterlässt? Was ist der Default der Höflichkeit? Sich bedanken etwa ist der Normalfall. Auffällig ist, wenn man es unterlässt.

„Ein Brot, bitte“ und „Guten Morgen“ ist Default. Sogar sich bedanken für etwas, das man bezahlt hat, ist Default. Insofern ist vielleicht nicht angebracht, so etwas unter Höflichkeit zu behandeln (Kerbrat-Orecchioni 2005).

In der Moralphilosophie gibt es eine alte Tradition: Das Maß der Mitte. Für das gute Leben ist es das richtige Maß und der richtige Weg. Nicht so viel nach unten und nicht so viel nach oben.

Der sprachliche Kontrast von höflich und unhöflich lässt ein weites, weißes Feld dazwischen.

Dies zeigt die Grafik.4 Sie zeigt den Default.


Der Default ist das Glatte, das Normale. Der Default ist natürlich kein allgemeiner, genereller Standard. Er wird als im reziproken Wissen unterstellt. Und das mag bekanntlich auch nicht wohlkoordiniert sein.

Ich halte mich an die Grundmaxime (Höflichkeit eingeschlossen):

Sag, was zu sagen ist. Nicht mehr und nicht weniger.

Ich möchte gern

 glatt

 empathisch

 nett

kommunizieren.

Und ich möchte alle kommunikativen Möglichkeiten nutzen, die ich nutzen will und nutzen kann. Denn wozu haben wir denn diese Mittel?

Noch ein Wort zu höflichem Handeln und felicity conditions:

Einer hilft einer Frau in den Mantel und kugelt ihr dabei den Arm aus – ohne Absicht natürlich.

War er höflich?

Sollen Schussel höflich sein? Zumindest es versuchen?

Und ein allerletztes: Bitte klatschen Sie nicht höflich, sondern von Herzen.

Literatur

Ariely, Dan (2015). Unerklärlich ehrlich. München: Droemer.

Bonacchi, Silvia (2013). (Un)Höflichkeit. Eine kulturologische Analyse Deutsch-Italienisch-Polnisch, Frankfurt a.M.: Lang

Brown, Penelope/Levinson, Stephen C. (1987). Politeness. Cambridge: CUP.

Goffman, Erving (1971). Interaktionsrituale. Über Verhalten in direkter Kommunikation. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.

Heringer, Hans Jürgen (2009). Duzen und Siezen revisited. In: Ehrhardt, Claus/Neuland, E. (Hgg.): Sprachliche Höflichkeit in interkultureller Kommunikation und im DaF-Unterricht. Frankfurt a.M.: Lang, 61–75.

Leech, Geoffrey (1983). Principles of Pragmatics. London: Longman.

Kerbrat-Orecchioni, Cathérine (2005): Politeness in France: How to buy bread politely. In: Hickey, Leo/Stewart, Miranda (Hgg.) Politeness in Europe. Cleveland/Buffalo/Toronto: Multilingual Matters, 29–44.

Meibauer, Jörg (2008): Pragmatik. Eine Einführung. Tübingen: Stauffenburg.

Zur Höflichkeitsrelevanz von vielleicht und eigentlich in mündlicher Alltagskommunikation

Irma Hyvärinen

The aim of this study is to investigate the use of vielleicht and eigentlich as politeness markers in authentic spoken everyday German and in performances of Finnish GFL-learners on different levels. Having the property of hinting on alternatives, these lexems are able to express fuzzyness and indirectness which can be used as means of polite mitigation. After discussing word classification problems (ch. 2) and descriptions of these lexems in dictionaries and in research literature (ch. 3), empiric data will be presented: Ch. 4 illustrates the polite use of vielleicht and eigentlich in the BYU-Corpus of Spoken German. Corresponding samples of the learner language corpuses HY TALK and TAITO of the University of Helsinki (ch. 5) give evidence that an adequate use of the most important politeness functions of these lexems is mastered on the CEFR-level B1, partly thanks to similar usage of Finnish modal adverbials and particles, as pointed out in the concluding remarks in ch. 6.

1. Zur Einleitung

Ziel meines Beitrags ist zu erörtern, welche Rolle vielleicht und eigentlich bei Höflichkeit in der deutschen Alltagssprache spielen sowie in welcher Lernphase finnische Deutschlernende diese Lexeme zur höflichen Modifizierung des Gesprächs einsetzen können. Im gesprochenen Deutsch weisen diese Lexeme eine hohe Frequenz auf. Nicht in allen Gebrauchskontexten geht es um Höflichkeit, es scheint aber, dass das den beiden Lexemen eigene Merkmal, auf Alternativen hinzuweisen, sie dazu fähig macht, (oft zusammen mit anderen Mitteln) als Vagheitsindikatoren den Direktheitsgrad der Äußerung zurückzustufen und so zur sprachlichen Höflichkeit beizutragen.

Unter Höflichkeit verstehe ich situationsbezogene optimale Gestaltung reibungsloser Kommunikation, um sowohl das eigene Gesicht als auch das des Partners zu wahren. Außerdem geht es um Korrektheit dem/den Besprochenen und auch anderen, dritten Personen gegenüber.1

Als empirische Basis dieser Studie dienen für natives Deutsch das BYU-Corpus of Spoken German und für das Deutsch finnischer Lernender Teile des mündlichen Testmaterials des HY TALK- und des TAITO-Projekts der Universität Helsinki.2

Im Folgenden wird zuerst die Wortklassenproblematik von vielleicht und eigentlich erörtert (Kap. 2), wonach ihre Beschreibungen in einem allgemeinen einsprachigen Wörterbuch und zwei wortklassenspezifischen Spezialwörterbüchern sowie in exemplarischen Quellen der einschlägigen Fachliteratur mit besonderer Berücksichtigung der Höflichkeitsrelevanz besprochen werden (Kap. 3). In Kap. 4 werden höflichkeitsrelevante Gebrauchsweisen der beiden Lexeme im deutschen Korpus, in Kap. 5 Ergebnisse der Analyse der Helsinkier Lernerkorpora vorgestellt. Der Schwerpunkt der Analyse liegt in qualitativer Beschreibung. Das Fazit (Kap. 6) rundet den Beitrag ab.

2. Zur Wortklassenzugehörigkeit von vielleicht und eigentlich

In der modernen Grammatikforschung hat es sich eingebürgert, unter den Indeklinablia u.a. Abtönungs-/Modalpartikeln ohne Satzgliedfunktion und Modalwörter als Satzadverbialien als eigenständige Wortklassen zu unterscheiden, so etwa Helbig/Buscha (2001, 421–439); vgl. auch Helbig (1988, 32–37) und Helbig/Helbig (1990, 12–21, 30–39). Die Abgrenzung der Klassen und die Zuordnung verschiedener Gebrauchsvarianten zu der einen oder anderen Klasse sind jedoch nicht einheitlich, und auch die Terminologie ist bunt, zum Teil sogar irreführend. Denn was bei Helbig „Modalwort“ genannt wird, heißt z.B. in der Grammatik von Zifonun et al. (1997) „Modalpartikel“, d.h. dort ist „Modalpartikel“ nicht synonym mit „Abtönungspartikel“ (ebd., 58f.). Die Zifonun’sche Terminologie wird auch von Diewald und Ballweg in dem von Hoffmann herausgegebenen Handbuch der deutschen Wortarten (2009) verwendet.1 In dem von Nübling verfassten Kapitel über die nicht flektierbaren Wortarten in der Duden-Grammatik (2016) findet sich wieder die terminologische Gleichstellung von „Modalpartikel“ und „Abtönungspartikel“, während die andere Klasse „Kommentaradverb“ (bzw. „Satzadverb“, „Modalwort“) heißt (Nübling 2016, 598f., 602–606). Auch Brünjes (2014) verwendet in ihrer Monographie den Terminus „Modalpartikel“ im Sinne von „Abtönungspartikel“. In meinem Beitrag verwende ich deutlichkeitshalber die Termini „Abtönungspartikel“ vs. „Modalwort“. In der folgenden Tabelle sind zentrale Merkmale der beiden Klassen aufgelistet (vgl. u.a. Brünjes 2014, 18, Thurmair 1989, 37). Einige Merkmale sind für beide Klassen gemeinsam, sodass die Grenzziehung nicht immer leicht fällt (vgl. Nübling 2016, 598). Des Weiteren hat z.B. das Kriterium der Erststellenfähigkeit seine Grenzen: In V1-Entscheidungsfragen gibt es kein Vorfeld, in V2-Ergänzungsfragen ist das Vorfeld obligatorisch durch die Fragephrase besetzt.

Die in dieser Studie interessierenden Lexeme sind in der Kerngruppe der Abtönungspartikeln vertreten: Dazu gehören aber, auch, bloß, denn, doch, eben, eigentlich, einfach, etwa, halt, ja, mal, nur, schon, vielleicht, wohl (vgl. Helbig 1988, 36, Gelhaus1998, 379, Diewald 2009, 118, Brünjes 2014, 18; Nübling 2016, 603 fügt noch nicht und ruhig hinzu).2

Während dem Lexem vielleicht allgemein sowohl die Funktion als Abtönungspartikel wie auch die als Modalwort zugewiesen werden (Homonymie bzw. Heterosemie3), wird eigentlich – trotz seiner Erststellenfähigkeit – z.B. von Helbig (1988) nur als Abtönungspartikel angesehen; dagegen wird in den meisten anderen Quellen mit sowohl Modalwort als auch Abtönungspartikel gerechnet. Im folgenden Kapitel werden für beide Lexeme einige Ansätze der Wortklassenzuordnung und Varianteneinteilung miteinander verglichen.

 

Tabelle 1: Zentrale Merkmale von Abtönungspartikeln und Modalwörtern

3. Beschreibungen von vielleicht und eigentlich

Schon ein exemplarischer Vergleich der betreffenden Bedeutungs- bzw. Funktionsbeschreibungen im DUW = Duden Deutsches Universalwörterbuch (2011), in den Spezialwörterbüchern zu Abtönungspartikeln von Helbig (1988) und zu Modalwörtern von Helbig/Helbig (1990) sowie in den Partikelmonographien von Thurmair (1989) und Brünjes (2014) zeigt, dass das Bild alles andere als einheitlich ist.

3.1 vielleicht

Vielleicht kann als Modalwort, Abtönungspartikel oder Gradpartikel fungieren.

I Modalwort

Im DUW (2011,1924) wird 1vielleicht als Adverb kategorisiert; der Terminus „Modalwort“ kommt nicht vor. Es „relativiert die Gewissheit einer Aussage, gibt an, dass etwas ungewiss ist; möglicherweise, unter Umständen“ (ebd., Punkt 1). Hiermit stimmt die Beschreibung des Modalworts vielleicht als „Hypotheseindikator“ in Helbig/Helbig (1990, 270ff.) überein: Der Sprecher bezweifelt die Faktizität von p, hält diese aber für möglich (d.h. ebensogut p wie nicht p) (ebd., 270). Laut Brünjes (2014, 170) hat das Modalwort vielleicht „Skopus über die Proposition und macht eine Einschätzung bezüglich des Wahrscheinlichkeitsgrades des dargestellten Sachverhalts“. Das meistens unbetonte Modalwort sei in Aussage- und Fragesätzen einsetzbar, erststellenfähig und als Einwortantwort auf Entscheidungsfragen bzw. als Einwortreplik auf Aussage-Vorgängersätze möglich (Helbig/Helbig 1990, 271).

Um Vermutungen geht es z.B. in den folgenden Fällen:

 Vielleicht kommt er morgen. (DUW)

 Vielleicht ist er krank? (Helbig/Helbig)

Der Aspekt von Höflichkeit wird in diesem Zusammenhang weder von DUW noch von Helbig/Helbig thematisiert. Dagegen macht Brünjes (2004, 170) darauf aufmerksam, dass das Modalwort vielleicht im ersten Beispiel unten die Äußerung des Moderators in einer Fernsehsendung als höfliche Bitte erscheinen lässt. Entsprechend steigert vielleicht den Höflichkeitsgrad im zweiten Beispiel (vgl. Hentschel/Weydt 1989, 12).

 Dann darf ich jetzt vielleicht mal um den ersten Anruf bitten? (Brünjes)

 Könnte Ihre Tochter das vielleicht für mich erledigen? (Helbig/Helbig)

Auch in Ergänzungsfragen kann der Sprecher durch vielleicht die Imposition abmildern, und in vielen Situationskontexten macht vielleicht den Aussagesatz weniger aufdringlich, vgl.:

 Wann kann ich Sie vielleicht in dieser Angelegenheit sprechen? (Helbig/Helbig)

 Es wäre vielleicht besser, wenn er nicht käme. (DUW)

II Abtönungspartikel

Laut DUW (2011, 1924) hat 2vielleicht (Partikel, unbetont) drei Gebrauchsweisen, vgl. a)–c):

a) Die Partikel 2vielleicht „dient im Ausrufesatz der emotionalen Nachdrücklichkeit und weist auf das hohe Maß hin, in dem der genannte Sachverhalt zutrifft; wirklich, in der Tat“ (ebd.). Dieser Partikelvariante entspricht bei Helbig (1988, 228ff.) die Abtönungspartikel vielleicht1, die unbetont ist und „in Ausrufesätzen (mit Erst- und Zweitstellung des finiten Verbs)“ (ebd., 228) vorkommt (vgl. auch Thurmair 1989, 192ff.). Sie drückt

„ein Staunen des Sprechers über einen als außergewöhnlich empfundenen Sachverhalt (über das Wie, nicht über das Daß des Sachverhalts) aus, das begründet ist auf einer Abweichung von der Erwartung des Sprechers und einem Gegensatz zwischen Erwartetem und Eingetretenem […] (= wie man mit Erstaunen feststellen muß, das kannst du dir vielleicht nicht vorstellen!).“ (Helbig 1988, 229)

Beispiele:

 Ich war vielleicht aufgeregt! (DUW)

 Du bist vielleicht ein Träumer! (Helbig)

Den letzteren Beispielsatz führt auch Brünjes (2014, 167) an, konnte aber diesen Typ in ihrem Korpus nicht belegen. Dieser Variante kommt keine Höflichkeitsrelevanz zu.

b) Laut DUW ( 2011, 1924) dient die Partikel 2vielleicht „am Anfang eines Aufforderungssatzes der Nachdrücklichkeit und verleiht der Aufforderung einen unwilligen bis drohenden Unterton“:

 Vielleicht wartest du, bis du an der Reihe bist! (DUW)

 Vielleicht benimmst du dich mal! (DUW)

Bei Helbig (1988) kommt diese Gebrauchsweise nicht vor. Eventuell hängt das damit zusammen, dass vielleicht hier die Erststelle einnimmt, was als syntaktisches Kriterium eher für die Kategorie Modalwort spricht. Allerdings wird eine entsprechende Gebrauchsweise auch in Helbig/Helbig (1990) nicht angeführt. Brünjes (2014, 169f.) ihrerseits sieht in Sätzen mit vielleicht im Mittelfeld die Möglichkeit von zwei Lesarten: Wenn vielleicht nicht als Modalwort (vgl. oben), sondern als „Modalpartikel“ fungiere, gehe es nicht um eine höfliche, sondern um eine nachdrückliche, brüske Aufforderung. Für Dann darf ich jetzt vielleicht mal um den ersten Anruf bitten wäre in dem Fall z.B. Jetzt schaltet doch endlich mal die Leitungen frei ein passender Nachsatz. – Es sei angemerkt, dass sowohl bei Erst- als auch bei Mittelfeldposition von vielleicht die Stimmfarbe und der Situationskontext dafür entscheidend sind, ob die Aufforderung als höflich oder als brüsk interpretiert wird.

c) Die Partikel 2vielleicht „drückt in einer Entscheidungsfrage aus, dass der Fragende eine negative Antwort bereits voraussetzt oder vom Gefragten eine solche erwartet; 2etwa (1)“ (DUW 2011, 1924). Dieser Partikelvariante entspricht bei Helbig (1988, 230) die unbetonte Abtönungspartikel vielleicht2 (= etwa1) in rhetorischen Entscheidungsfragen, die das Gegenteil präsupponieren (vgl. auch Thurmair 1989, 194f.). Diesen Typ konnte Brünjes (2014, 168f.) in ihrem Korpus nur einmal belegen.1 In folgenden Beispielen besteht kein direkter Zusammenhang mit Höflichkeit:

 Na, und wird das vielleicht bei Männern gefragt? (Nein, zumindest seltener als bei Frauen.) (Brünjes)

 Ist das vielleicht keine Lösung? (Doch, es ist eine (recht gute) Lösung.) (Helbig)

III Gradpartikel

Im DUW (2011,1924) wird s.v. 1vielleicht (Adv.) unter Punkt 2 eine Gebrauchsweise angeführt, die m.E. als Gradpartikel einzustufen ist: vielleicht „relativiert die Genauigkeit der folgenden Maß- oder Mengenangabe; ungefähr, schätzungsweise“ (ebd). Für Helbig (1988, 231) gilt das entsprechende vielleicht3 vor Nominal- oder Präpositionalphrasen, die meistens eine Zahl- oder Zeitangabe enthalten, als unbetonte Gradpartikel (= etwa4, ungefähr, annähernd) (ebd.). Vgl.:

 eine Frau von vielleicht fünfzig Jahren (DUW)

 In vielleicht drei Tagen ist er wieder abgereist. (Helbig)

Brünjes (2014, 165f.) erwähnt einen weiteren Typ von vielleicht als Gradpartikel, bei dem vielleicht m.E. gegen zum Beispiel, etwa ausgetauscht werden kann (vgl. die Gradpartikel etwa5 bei Helbig 1988, 144):

 Und wenn sie einen Job finden, dann ist es vielleicht McDonalds auf Vierhundertfünfzigmarkbasis. (Brünjes)

Hier wie bei manchen Korpusbelegen der vorliegenden Studie fällt es schwer, zu entscheiden, ob sich der Skopus von vielleicht über die ganze Proposition (Modalwortgebrauch) oder aber nur über die unmittelbar folgende Nominal-/Präpositionalphrase (Gradpartikelgebrauch) erstreckt. In Vorschlägen signalisiert dieses janusgesichtige vielleicht Unverbindlichkeit und trägt insoweit zur Höflichkeit bei, als es Spielraum für andere Alternativen lässt, vgl. Korpusbelege weiter unten.

3.2 eigentlich

Auch für eigentlich kodifiziert DUW (2011, 472) (neben dem Adjektiv 1eigentlich) sowohl ein Adverb (d.h. Modalwort) 2eigentlich als auch eine Abtönungspartikel 3eigentlich. Dagegen ist eigentlich in Helbig/Helbig (1990) nicht als Modalwort lemmatisiert, während Helbig (1988, 128–131) für die entsprechende Abtönungspartikel vier Gebrauchsweisen unterscheidet. Wenn man aber an den Kriterien der Erststellenfähigkeit und der Betonbarkeit festhält,1 geht es nur bei einer der Gebrauchsweisen um eine Abtönungspartikel, nämlich bei Helbigs unbetonter Partikelvariante eigentlich3 in Entscheidungs- und Ergänzungsfragen. Wie Thurmair gehe ich davon aus, dass eigentlich in Aussagesätzen (d.h. Helbigs eigentlich1 und eigentlich2) „aufgrund der Vorfeldfähigkeit, der Betonbarkeit und der Paraphrasierbarkeit mit ‚im Grunde‘, ‚wirklich‘ zu den Satzadverbien [d.h. Modalwörtern, I.H.] zu rechnen“ ist (Thurmair 1989, 175). Genauso kommt dem betonten eigentlich in Fragesätzen (vgl. Helbigs eigentlich4 in Ergänzungsfragen) der Modalwortstatus zu. M.a.W.: Nur das unbetonte, nicht mit ‚wirklich‘ paraphrasierbare eigentlich in Fragen gilt als Modalpartikel (vgl. Thurmair 1989, 26f., 175–178).2

I Modalwort

DUW (2011, 472) sieht für 2eigentlich (Adv.) drei Gebrauchsweisen vor, vgl. a)–c). In den Bedeutungserklärungen der entsprechenden drei (vermeintlichen Partikel-)Varianten wiederholt Helbig (1988, 128ff.), eigentlich signalisiere, dass es sich um einen schwerwiegenden, wesentlichen Gedanken geht.

a) Die erste Gebrauchsweise im DUW (2014, 472) wird durch in Wirklichkeit (im Unterschied zum äußeren Anschein) paraphrasiert. Hiermit können Helbigs betonte Varianten vielleicht1 (= im Grunde genommen) und vielleicht4 (= im Grunde genommen, wirklich, tatsächlich) (1988, 128–131) gleichgesetzt werden. Höflichkeitsrelevanz wird hier nicht vermutet. Vgl.:

 Éigentlich ist er ein guter Fußballer, aber heute leistet er nicht viel. (Helbig, eigentlich1)

 Wie heißt er éigentlich? (im Gegensatz zu den falschen Namen, die er führt) (Helbig, eigentlich4)

b) Mit der Gebrauchsweise im Grunde, genau genommen; an und für sich (DUW 2011, 1924) lässt sich Helbigs unbetontes, erststellenfähiges eigentlich2 (= bei tieferer Überlegung, wenn man es recht betrachtet) (Helbig 1988, 129) in Aussagesätzen vergleichen:

 Eigentlich hast du recht. (DUW)

 Eigentlich hat er zeit seines Lebens hart gearbeitet. (Helbig)

 Wir wollten eigentlich (ursprünglich) nach München. (DUW)

Helbig (ebd.) vermerkt hier eine konversationelle „Hinwendung zu einem neuen Thema oder Gesichtspunkt“ – ein Merkmal, das insbesondere bei der Abtönungspartikel eigentlich in beiläufigen Fragen (vgl. Abschnitt II unten) hervorgehoben wird. Aus der Höflichkeitsperspektive erweist sich diese Beobachtung als relevant: In meinen Korpusbelegen (Kap. 4 und 5) wird das Modalwort eigentlich in Aussagesätzen oft eingesetzt, um den Hörer behutsam auf einen neuen Gedanken einzulenken.

c) Laut DUW (2011,472) signalisiert 2eigentlich (Adv.) „einen meist halbherzigen, nicht überzeugenden Einwand, weist auf eine ursprüngliche, aber schon aufgegebene Absicht hin“. M.E. könnte dieser Punkt mit b) oben vereint werden, denn auch hier könnte man eigentlich durch im Grunde genommen, an und für sich oder ursprünglich ersetzen. Zudem könnte man das einwendende Beispiel unten auch als höfliche Ablehnung verwenden, wenn die ursprüngliche Absicht nicht aufgegeben wird:

 

 Eigentlich wollten wir heute lernen. (DUW)