Qualitative Medienforschung

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4. Medienforschung als Auftragsforschung

Als Auftragsforschung ist die Medienforschung spätestens seit Einführung der privaten Rundfunksender in Deutschland auch außerwissenschaftlich besonders relevant. Mit dem Aufbrechen des öffentlich-rechtlichen Rundfunkmonopols Anfang der 1980er Jahre begann die Diskussion um die Qualität des privaten Rundfunks – Schlagwörter sind hierfür vor allem Pornographie und Gewalt. Die klassische Kommunikationsforschung konnte hierbei nur einen bedingten Beitrag leisten, wenn auch die klassische Bestimmung ihrer Grundfrage von Lasswell (1948, S. 37), »Who Says What In Which Channel To Whom With What Effect?«, die Wirkung bereits als Thema benennt. Von der Quotenforschung abgesehen blieb Medienforschung an einzelne Auftraggeber gebunden, private wie öffentlich-rechtliche.

Dieser Sachverhalt ist zunächst einmal nicht problematisch. Auftragsforschung ist in vielen Bereichen gang und gäbe. Für manche wissenschaftliche Institution ist Auftragsforschung Grundbestandteil der Finanzierung und damit unabdingbar. Die Finanzierungsform kann zunächst also nicht als ein ethisches Kriterium herhalten. Um die ethische Problematik zu erkennen, ist es sinnvoll, eine Unterscheidung aufzugreifen, die bereits Irle (1983) für eine andere anwendungsbezogene Sozialwissenschaft, die Marktpsychologie, erarbeitet hat. Er unterscheidet zwischen einer »quasiparadigmatischen«, theoriegeleiteten Forschung, einer problemorientierten oder »Domain«-Forschung und schließlich der praxisorientierten »technologischen« Forschung. Die technologische Forschung unterscheidet sich von den anderen Forschungsformen durch ein zusätzliches Forschungsziel. Sie soll »rationale Maßgaben dafür bereitstellen, was getan werden soll, um etwas hervorzubringen, zu vermeiden, zu verändern, zu verbessern usf.« (ebd., S. 836). Die Auftragsforschung »instrumentalisiert« also ihre Probanden zu einem außerwissenschaftlichen Zweck. Daraus ergibt sich eine erhöhte ethische Sorgfaltspflicht, vor allem im Bereich des informed consent, zum Beispiel mit der Pflicht, immer den Auftraggeber der Forschung mitzuteilen. Aber es ergibt sich im Medienbereich noch eine weitere Differenzierung. Medienforschung kann ein Instrument operativer Produktplanung oder strategischer Öffentlichkeitsarbeit sein.

4.1 Medienforschung als »in-house«-Phänomen

Als »in-house«-Phänomen dient die Medienforschung vor allem dazu, Bedeutung, Leistung, Akzeptanz und Wirkung medialer Produkte zu erheben, um dem Medienanbieter ein operatives Instrument in die Hand zu geben, seine Produkte zu optimieren. In diesem Fall hat der Auftraggeber Interesse an einer möglichst genauen und wissenschaftlich korrekten Erforschung des jeweiligen Objekts. An der Praxis medialer Vermarktbarkeit orientiert, will der Auftraggeber wissen, wie seine Produkte wirken, wo sie Defizite, gemessen an einem bestimmten Akzeptanzmaß (Einschaltquote, verkaufte Auflage, Leser pro werbeführende Seite, Klicks) haben und, im idealen Fall, wie er diese Defizite ausgleichen und seine Produkte marktgerecht optimieren kann. Für diese Forschung gelten zunächst die gleichen Prinzipien wie für »öffentlich« finanzierte Forschung: Sie muss den methodischen und ethischen Prinzipien wissenschaftlicher Forschung überhaupt entsprechen.

Der Forscher muss sich allerdings vor Augen halten, dass der Weg von der Ergebniserhebung hin zur Verwertung seiner Ergebnisse ein extrem kurzer ist. Damit stehen die aus der Anwendung der Forschungsergebnisse sich ergebenden Folgen viel mehr als in einer theoriegeleiteten oder problemorientierten Forschung in der Verantwortung des Forschenden. Denn anders als in der quasiparadigmatischen oder Domain-Forschung hat der Forschende auf die Anwendung seiner Ergebnisse unmittelbaren Einfluss. Seine Ergebnisse legen bestimmte Lösungswege nahe, orientiert an außerwissenschaftlich vorgegebenen Handlungszielen. Dies deutet auf ein grundsätzliches Problem der sich seit Max Weber werturteilsfrei verstehenden Sozialwissenschaften hin (vgl. Rath 2014, S. 150–152). Eben weil empirische Forschung kein Sollen aus dem erforschten Sein ableiten kann, ist sie instrumentalisierbar für Fremdzwecke. Vor allem bei der Nutzungsforschung können die Forschenden die vorgesehene Anwendung der Forschungsergebnisse absehen. Es liegt nahe, auch an diese Folgen der Forschung ähnliche Faustregeln anzulegen wie an empirische (Human-) Forschung überhaupt. Wenn der informed consent der »Zielgruppe« gegeben ist, z. B. im Falle einer verdeckten Manipulation der Wahrnehmung bei Mediennutzern, oder die »risk benefit balance« sich einseitig zugunsten eines Medienanbieters verschiebt, dann sind die Medienforschenden, wenn nicht als Wissenschaftler, so doch als kompetente Bürger, ethisch in der Pflicht.

4.2 Medienforschung in der strategischen Kommunikation

Anders stellt sich die Auftragsforschung ethisch dar, wenn sie als ein Instrument strategischer Öffentlichkeitsarbeit dient. In diesem Fall ist der Auftraggeber nicht oder nicht nur an einer möglichst genauen und wissenschaftlich korrekten Erforschung des jeweiligen Objekts oder Problembereichs interessiert. Vielmehr soll die Berechtigung einer bestimmten, meist im politischen Kontext formulierten Position des Auftraggebers nachgewiesen werden. Ethisch relevant ist dabei nicht nur die Frage, ob diese Ergebnisse nach den methodischen Regeln des wissenschaftlichen Forschens entstanden sind, sondern auch, ob die zu stützenden Positionen des Auftraggebers ethisch vertretbar sind. Dies mag unproblematisch sein, wenn es um Tatsachenbehauptungen geht, z. B. bestimmte Medienprodukte seien nicht gewaltverherrlichend oder der inhaltsanalytisch zu erhebende Anteil bestimmter Programmgenres (z. B. Information, Unterhaltung und Bildung) habe eine bestimmte Größe. Ethisch relevant wird es dann, wenn die wissenschaftlichen Ergebnisse eingebettet sind in strategische Forderungen. In diesem Fall muss der Forschende abwägen, ob er sich in den Dienst bestimmter, z. B. medienpolitischer Interessen nehmen lässt.

Allerdings kann grundsätzlich jede veröffentlichte wissenschaftliche Position aufgegriffen und normativ interpretiert werden. Im Gegensatz zu dieser klassischen Form der »Finalisierung« (Böhme/Daele/Krohn 1973) wissenschaftlicher Forschung ist die Auftragsforschung in strategischer Absicht jedoch häufig nicht in der Lage, ihre Ergebnisse eigenständig, z. B. in wissenschaftlichen Organen, zu veröffentlichen. Die Publikation wissenschaftlicher Forschung im Kontext strategischer Öffentlichkeitsarbeit steht immer im Konflikt zwischen Objektivität und Parteilichkeit. Diesen Konflikt gegenüber dem Auftraggeber zu formulieren und gegenüber der Öffentlichkeit auflösen zu können, ist eine zentrale ethische Aufgabe der Auftragsforschung. Dabei ist es zunächst gleichgültig, ob die betroffenen Forscher als kompetente Bürger die zu stützende Position des Auftraggebers teilen. Hier verschiebt sich der Schwerpunkt zwischen Experte und Bürger im Gegensatz zur inhouse-Forschung. Als Wissenschaftler sind sie verpflichtet, auf eine objektive, sachliche und vor allem differenzierte Darstellung ihrer Ergebnisse zu drängen, auch wenn auf dem »Markt der Meinungen« die griffige Formel, das verkürzende Schlaglicht häufig die angemessene Form zu sein scheint.

4.3 Medienforschung zwischen Forschung und Politik

Anders liegen die ethischen Problemlagen politischer Instrumentalisierung durch gesellschaftlich relevante Gruppen bzw. die politischen Eliten. Gerade die Diskussion um Gewalt und Pornographie im Fernsehen in den letzten 30 Jahren zeigt, wie stark Ergebnisse der Medienforschung zu diesen Themenfeldern in das medienpolitische Alltagsgeschäft Eingang gefunden haben. Stärker noch als in der Auftragsforschung stehen in der politischen Auseinandersetzung mit Ergebnissen vor allem der Medienwirkungsforschung normative und ideologische Überzeugungen im Vordergrund. Eine von Kerlen (2005, S. 42) als »Medienmoralisierung« bezeichneter Grundzug der Medienbewertung in Deutschland seit dem Kaiserreich bedient sich einer selektiven Rezeption der Medienforschung, die Forschende meist nur zur Kenntnis nehmen können – eine relativierende, differenzierende Klarstellung über Reichweite, Bedeutung und Interpretierbarkeit der Ergebnisse bleibt, wenn sie überhaupt Eingang in die öffentliche Diskussion findet, marginal. Der politischen Instrumentalisierung ist jedoch im Vorfeld kaum wirklich zu begegnen. Hier ist nicht der einzelnen Forschende, sondern die scientific community in Verbänden und Institutionen verpflichtet, sich aufklärend an der öffentlichen Diskussion zu beteiligen.

Doch die Verpflichtung der Medienforschung zur medialen Aufklärung über mediale Zusammenhänge liegt auch in ihrem eigenen Selbstverständnis als Wissenschaft begründet. Mag auch eine totalitäre Instrumentalisierung der Medienforschung östlicher (vgl. Gansen 1997) bzw. »Finalisierung« westlicher Provenienz nicht bzw. nicht mehr akut zu befürchten sein – die Tendenz zur »symbolischen Politik« (Sarcinelli 1987), die nur noch inszeniert (vgl. Meyer et al. 2000), d. h. medial vollzogen wird, erhöht die Gefahr, dass Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung in simplifizierender Form im Sinne normativer politischer Überzeugungen genutzt werden.

5. Forschungsethik und Datenschutz

Die Feststellung von Unger et al. (2014, S. 6), dass forschungsethische Themen im öffentlichen Raum »eng mit datenschutzrechtlichen Fragen verknüpft« seien, ist um so verständlicher, als dieser Aspekt in modernen, mediatisierten Gesellschaften zu den sensiblen Bereichen politischer Regelungen zählt. Die informationstechnischen Zugriffsmöglichkeiten auf Datennetze haben diese Sensibilität nicht nur allgemein politisch, sondern auch forschungsethisch in den Fokus gerückt. Dabei erfährt wiederum der informed consent eine breite Diskussion, da digitalisiert vorliegende, häufig online zugängliche Daten den Forschungsprozess in weiten Teilen auf die Sicherung der Privatsphäre der Probanden fokussiert (vgl. Miller/Boulton 2007; Appelbaum 2015).

 

Allerdings stellt der Datenschutz, obwohl er so breit und intensiv diskutiert wird, kein eigentliches forschungsethisches Problem dar. Denn im Gegensatz zu allgemeinen Fragen des informed consent sowie eines Auftraggebereffekts ist der Datenschutz keine Frage der normativen Orientierung der Forschenden, sondern ist selbst juristisch verbindlich geklärt. Hier bedarf es keiner eigenständigen forschungsethischen Abwägung möglicher Handlungspräferenzen, sondern die vorliegenden Regelungen geben das Maß ab für das konkrete Vorgehen im Forschungsprozess (vgl. Häder 2009). Die Anwendung dieser rechtlichen Vorgaben zum Datenschutz ist eher praktischer als ethischer Natur. Die Information der Probanden über die maßgebenden Aspekte (vgl. (Jacob et al. 2013, S. 230) Freiwilligkeit, Anonymität, »Folgenlosigkeit der Nicht-Kooperation« für die Beteiligten entspricht zwar dem Prinzip des informed consent, ist aber in der Ausgestaltung lediglich eine Konkretion der Rechtsnorm.

Ethisch relevante Überlegungen betreffen vielmehr die der Datenerhebung vorausliegenden Entscheidungen, zum einen in Bezug auf die Zumutbarkeit der Befragung für den Probanden, zum anderen in Bezug auf die Forschenden selbst, z. B. in Bezug auf die Pflicht, sich ausreichend und sorgfältig mit den Regelungen des Datenschutzes vertraut zu machen.

Literatur

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Medien
RALF VOLLBRECHT

Die meisten Menschen assoziieren mit Medien vermutlich Massenmedien wie Fernsehen, Radio und Zeitungen, vielleicht auch Social Media oder Geräte wie DVD-Player, Computer oder Smartphones und eventuell sogar Institutionen wie Fernsehanstalten und Verlage. Lehrer und Erwachsenenbildner denken bei Medien bestimmt auch an Unterrichtsmedien wie Tafel, Smartboards oder computergestützte Lernprogramme. In den Naturwissenschaften versteht man unter einem Medium auch einen Träger physikalischer oder chemischer Vorgänge. So ist Luft zum Beispiel ein Medium für die Schallübertragung und damit auch der Sprache. Verstehen wir Medien als Träger von Kommunikation, so wäre die Sprache das entscheidende Medium, über das wir uns verständigen. Der erste Lexikoneintrag des Begriffs »Medium« findet sich angeblich in Meyers Konversationslexikon von 1888, wo neben der lateinischen Herkunft (Mittel, etwas Vermittelndes) auf die spiritistische Bedeutung des Begriffs verwiesen wird (vgl. Faulstich 1991, S. 8 f.).

Ein derart weiter Medienbegriff, unter den so Unterschiedliches subsumiert werden kann, ist für wissenschaftliche Zwecke wenig sinnvoll. Die mit Medien befassten Fachwissenschaften, vor allem die Kommunikationswissenschaft, haben daher verschiedene Definitionen hervorgebracht, die den Medienbegriff enger zu fassen versuchen. Diese Definitionen konkurrieren teilweise miteinander und manche überschneiden sich auch. Sie lassen sich also nicht auf einen gemeinsamen Nenner bringen, denn dafür sind die Medienverständnisse und erkenntnisleitenden Perspektiven in den Medienwissenschaften zu unterschiedlich. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit werden im Folgenden die wichtigsten Begriffsverständnisse dargestellt, wobei die in der Pädagogik verwendeten stärker berücksichtigt werden.

Allgemeine und universelle Medienbegriffe

Noch immer gilt, was Schanze bereits vor knapp vierzig Jahren beobachtet hat: Der Begriff »Medium« tritt meist in Komposita auf (Massenmedien, Medienwirkung, Medienkompetenz), wird fast immer im Plural (»Medien-«, »Media-«) gebraucht und teilweise in angloamerikanischer Aussprache verwendet, »was dem Benutzer offenbar eine gewisse Exklusivität verleihen soll. Die Komposita steuern zur Begriffsschärfe wenig bei. Nicht von einem einheitlichen Begriffsgebrauch ist deshalb auszugehen, sondern eher von einer bunten Vielfalt von Medienbegriffen« (Schanze 1976, S. 25). Auch in Fachtexten werden Medien häufig mit Massenmedien (publizistische Medien) gleichgesetzt – zumindest bis dem Web 2.0 –, der Medienbegriff umstandslos vorausgesetzt oder Medien sehr allgemein als Objekt, Träger und/oder Mittler von Information oder im Sinne eines Zeichen- und Informationssystems aufgefasst.

Kübler weist darauf hin, dass in philosophischen, kulturgeschichtlichen und kunstbezogenen Diskursen (zu Letzterem siehe z. B. Weibel 1990) sowie in poststrukturalistischen Wirklichkeitskonzepten und kulturwissenschaftlichen Medientheorien universelle Medienbegriffe immer wieder auftauchen. Ein bekanntes Beispiel ist der Medienbegriff von Marshall McLuhan, der Medien als »Erweiterung des Menschen« auffasst und dabei auf das »Mängelwesen Mensch« aus Arnold Gehlens philosophischer Anthropologie rekurriert (und bereits 1964 den Computer als Medium und nicht als bloße Rechenmaschine gesehen hat; McLuhan 1968, 71). Obwohl der Begriff sich nicht durchsetzte, finden sich noch immer ähnliche Sichtweisen wie z. B. bei Wolfgang Coy, für den Computer »zu global vernetzten Prothesen der Sinne« werden (Coy 1994, S. 37). Kübler (2003, S. 91) konstatiert mit Verweis auf Baltes u.a. (1997), Ludes (1998, S. 77 ff.) und Kloock/Spahr (2000, S. 39 ff.) – zu ergänzen wäre Meder (1995, S. 9) – sogar eine »Tradition des McLuhanismus«.

Umfassender ist Werner Faulstichs Medienbegriff, der »der vom schlichten ›Mensch-Medium‹ bis zu komplexen systemtheoretischen Kategorien wie Kanal, Organisation, Leistung und gesellschaftlicher Dominanz alles einzuschließen vorgibt« (Kübler 2003, S. 91). Empirisch ebenso schwer fassbar und wohl eher als Metapher zu bezeichnen ist das von Dieter Baacke in der Auseinandersetzung mit mediendidaktischen Modellen erwähnte Mycelium-Modell des Kommunikationswissenschaftlers Marten Brouwer: »Das Geflechtswerk unter der Erde soll das unvermittelte System der Interkommunikation symbolisieren, während der daraus gebildete Pilz über dem Boden das Massenkommunikationssystem bezeichnen soll. Das Modell ist insofern glücklich, als es in der vegetativen Analogie die Lebendigkeit und Unübersichtlichkeit der ständig neu entstehenden oder sich gegenseitig ersetzenden Kommunikationskanäle des sozialen Lebens plastisch macht und dieses nicht lediglich als eine technisch-kybernetische Apparatur verstehen lässt« (Baacke 1973, S. 7).

Kittler unterscheidet in seiner Geschichte der Kommunikationsmedien technische Medien von Schriftmedien:

 

»Technische Medien, anders als Schrift, arbeiten nicht auf dem Code einer Alltagssprache. Sie nutzen physikalische Prozesse, die die Zeit menschlicher Wahrnehmung unterlaufen und nur im Code neuzeitlicher Mathematik überhaupt formulierbar sind« (Kittler 1993, S. 180).

Technische Medien (»Aufschreibsysteme«) werden dabei funktional definiert als historisch sich verändernde Mittel zum Speichern, Übertragen und Verarbeiten (Berechnen). Mit dem Computer ist für Kittler das Mediensystem geschlossen, denn »Speicher- und Übertragungsmedien gehen beide in einer Prinzipschaltung auf, die alle anderen Informationsmaschinen simulieren kann, einfach weil sie in jeder einzelnen Programmschleife speichert, überträgt und berechnet« (Kittler 1989, S. 196).

Aus kommunikationswissenschaftlicher Sicht halten es Bentele und Beck für sinnvoll, folgende Typen von Medien zu unterscheiden:

• »materielle Medien wie Luft, Licht, Wasser, Ton, Stein, Papier, Zelluloid;

• kommunikative Medien oder Zeichensysteme wie Sprache, Bilder, Töne;

• technische Medien wie Mikrofone, Kameras, Sende- und Empfangseinrichtungen;

• Medien als Institutionen, also die einzelnen Medienbetriebe (bestimmte Zeitung oder Fernsehanstalt) und die ›Gesamtmedien‹, z. B. ›der Film‹, ›der Hörfunk‹, ›das Fernsehen‹« (Bentele/Beck 1994, S. 40).

Eine Unterscheidung in primäre, sekundäre und tertiäre Medien geht auf Harry Pross (1972) zurück. Primäre Medien sind für ihn »menschliche Elementarkontakte« wie die non-verbale Sprache der Körperhaltung, Mimik, Gestik und ebenso auch die Verbalsprache. Zwischen Sender und Empfänger ist kein Gerät geschaltet. Dagegen benötigen sekundäre Medien auf Seiten des Senders Geräte für die Herstellung von Mitteilungen (Flaggensignale, Grenzsteine, Rauchzeichen, Schreib- und Druckkunst). Als tertiäre Medien bezeichnet Pross jene Vermittlungsprozesse, die technische Erstellung, technische Sender und technische Empfänger erfordern (Rundfunk, Telefon etc.), also auf Empfänger- wie Senderseite technische Geräte benötigen.

Nach heutigem Verständnis wird in Kommunikationswissenschaft und Medienpädagogik die Sprache in der Regel nicht zu den Medien gerechnet. Neuere Definitionen gehen beim Medienbegriff immer von einer technischen Vermittlung aus. Die Doppelseitigkeit des allgemeinen Medienbegriffs wie auch von Sprache, die nicht nur das Mittel der Verständigung im jeweiligen einzelnen sprachlichen Akt (pa-role) ist, sondern selber auch System, das Verständigung überhaupt ermöglicht (langue), bleibt jedoch grundlegend für jeden Medienbegriff in den unterschiedlichen fachspezifischen Ausformungen (vgl. Schanze 1976, S. 26).